Der durch die Corona-Pandemie erzwungene Wechsel von Büro- zur Heimarbeit hatte für Patricia Strunk eine positive Seite: Durch ihre tägliche Anwesenheit im eigenen Heim nahm sie ihre Umwelt, und das war in erster Linie ihr Garten, vollkommen neu wahr. Sie entdeckte Tiere, mit denen sie schon länger in enger Symbiose lebte: Spatzen, Amseln, Mäuse, Eichhörnchen, Füchse und Libellen. Mit all diesen freundlichen Gesellen teilte sie ihr Refugium und bemerkte doch erst allmählich, welchen Reichtum ihr die tierische Gesellschaft bescherte. Weiterlesen
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Geschichten aus dem Garten. Erlebnisse mit Eichhörnchen, Füchsen & Co.
Seelenvermächtnis – Udo W.: Mein zweites Leben
“Nur” Träume oder doch mehr?
Seit seiner Kindheit plagen Udo Wieczorek Alpträume vom Ersten Weltkrieg. Als Erwachsener suchen ihn die Träume erneut heim und er beschließt, ihnen auf den Grund zu gehen. Zusammen mit seiner Freundin Daniela macht er Urlaub in der Region, in denen er den Ursprung seiner Träume vermutet: einem Tal in Südtirol, dessen Frontlinie durch Sexten verlief. Er selbst ist zum ersten Mal dort, trotzdem kommt ihm das Tal vertraut vor. Immer wieder stößt er während seiner Wanderungen auf vertraute Orte, die er im Traum schon einmal gesehen hat. Und immer wieder erlebt er an solchen Orten eine Art Flashback – er wird zurück in seine Träume versetzt, nur diesmal mit mehr Details. Außerdem bescheren sie ihm Fundstücke wie ein blechernes Kästchen mit einer halben Münze und zwei Briefe, da Wieczorek trotz Ortsunkenntnis genau weiß, wo er hingehen und suchen muss. Was er träumt, ist die Geschichte eines jungen Soldaten namens Vinz, der auf der italienischen Seite Südtirols aufgewachsen ist, später aber für die deutsche Seite kämpft. Sein bester Freund Josele kämpft weiterhin für Italien. Beide Männer sind in ein Mädchen namens Maria verliebt. Und beide erleiden ein tragisches Schicksal: Der Soldat erschießt aus Versehen seinen besten Freund, weil er ihn während des Krieges für einen Feind hält. Das ist der Auslöser der Träume, denn Vinz hat tiefe Schuldgefühle, die er auch im Sterben nicht loswird – er stirbt an seiner Kriegsverletzung. Während er stirbt hat er aber die Vision eines Mannes, der Jahrzehnte später seinen Brief finden wird. Und diesen Mann spricht er in seinem Brief an und bittet darum, dass diese Geschichte aufgeklärt wird.
Wieczorek fährt über die Jahre hinweg mehrmals nach Südtirol, versteht und spricht sogar den Dialekt, obwohl er kein Südtiroler ist. Später nimmt er Journalist Manfred Bomm mit, der seine Spurensuche weiter begleitet und dokumentiert. Dabei finden erst Wieczorek selbst und dann er zusammen mit Bomm weitere Hinweise auf Vinz und dessen Geschichte: Sie können Vinz‘ Familie ausmachen, von der dessen Nichte noch lebt, finden bei dieser Familie ein weiteres Kästchen, das der Sohn der Nichte sorgsam aufbewahrt hat, und entdecken des Weiteren eine Gedenkstätte mit den Namen der Gefallenen. Außerdem erkennt Wieczorek im Haus des Soldaten Dinge wieder und findet eine verblasste Zeichnung einer Sonnenuhr, von der er ebenfalls geträumt hat.
Das in sich abgeschlossene Buch schildert die Spurensuche des Autors Udo Wieczorek zu einem Leben, das er in der Gegenwart nicht selbst gelebt haben und von dem er nichts wissen kann. Wieczorek selbst ist sich unschlüssig, ob er dieses vergangene Leben selbst in einem anderen Körper erlebt hat oder ob er die Botschaften aus einer anderen Zeit sozusagen als Empfänger aufgefangen hat. Er ist in den Träumen und Flashbacks so sehr Vinz, dass er Mühe hat, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Wenn er aber erst einmal wieder zurück in der Realität ist, spricht er von dem Soldaten in der dritten Person. Allerdings neigt Wieczorek dazu, dass er selbst Vinz gewesen sein könnte. Die Theorie der Reinkarnation taucht aber erst gegen Ende des Buches als eine der Möglichkeiten auf, da beide Autoren rational denken und deshalb vorsichtig mit Vermutungen sind.
Das fällt im Buch immer wieder auf: Beide Autoren sind nicht darauf aus, das Ereignis aufzubauschen und Kapital daraus zu schlagen. Wieczorek hat lange Zeit nur seine Freundin eingeweiht, bevor er nach Überredung Bomms ein Buch dazu geschrieben hat. Er hat vorher nur einen fiktiven Roman verfasst, um seiner Erlebnisse zu verarbeiten. Dementsprechend schonungslos geht er die Sache an, indem er die Träume genau schildert und seine Emotionen und Gedanken dazu, sowie seine Überlegungen und die daraus erfolgten Konsequenzen in Form einer Spurensuche. Ebenso genau schildert er sein Leiden, wenn die Alpträume wiederkehren, und welche Belastung sie für ihn darstellen. Es ist keineswegs so, dass er sie als Gabe empfindet und damit hausieren geht, sondern er will im wahrsten Sinn des Wortes Seelenfrieden finden, indem er diese Träume wieder loswird. Und dieser Seelenfrieden wird ihm tatsächlich nach und nach zuteil, als sich die Puzzlestücke zusammenfügen, v.a. als das letzte große Puzzlestück an seinen Platz rückt.
Zwei Erfahrungsberichte in einem Buch zum selben Erlebnis
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Den ersten Teil seiner ersten Reisen erzählt Wieczorek selbst, den zweiten übernimmt v.a. aber nicht nur Bomm. Beide schildern die Erlebnisse Wieczoreks aus ihrer Perspektive und was die Erlebnisse mit ihnen anstellen. Beiden gemeinsam ist das tiefe Staunen darüber, wie zielgenau Wieczorek Gebiete aufsuchen und Dinge finden kann. Er wird sogar von Vinz‘ Familie als einer der ihren akzeptiert, weil er Dinge weiß und wiederfindet, die nur Vinz und die Familie wissen können.
Was Wieczorek beschreibt, ist etwas, was auch im asiatisch-indischen Raum vorkommt: Kindheitserinnerungen aus einem vergangenen Leben, meist einem mit einem traumatischen Ende, d.h. einem traumatischen, gewaltsamen Tod in einem früheren Leben. Gerade im indischen Raum werden solche Erinnerungen der Kinder nicht gern gesehen, weil die Familien Angst haben, ihre Kinder an die frühere Familie zu verlieren. Man versucht solche Erinnerungen z.T. mit Gewalt auszutreiben. Lässt sich eine Familie allerdings auf die Spurensuche ein, erlebt sie den Seelenfrieden und nicht unbedingt den Verlust des Kindes, wenn die Sache aufgeklärt werden kann. Auch im westlichen Raum gibt es immer wieder Kinder, die sich an frühere Leben erinnern können, oft solche mit einem gewaltsamen Ende, das nach Aufklärung schreit. Psychiater Ian Stevenson ist diesem Phänomen wissenschaftlich nachgegangen und konnte Indizien dafür finden, dass solche früheren Leben tatsächlich stattgefunden haben. Sein Nachfolger Jim B. Tucker setzt Stevensons Arbeit fort. https://de.wikipedia.org/wiki/Ian_Stevenson Auch andere Autor*innen gehen diesem Phänomen nach, z.B. in den Büchern „Mama, ich war schon einmal erwachsen“ von Carol Bowman und „Erinnerungen an den Himmel“ von Dee Garnes und Wayne W. Dyer.
Das Buch liest sich neben dem professionellen Schreibstil schon allein deshalb spannend, weil die Autoren chronologisch vorgehen – durch die Spurensuche und die Puzzleteile der Träume ergibt sich die Spannung quasi von selbst. Man fiebert und leidet beim Lesen förmlich mit, weil gerade Wieczorek sein Innenleben sehr genau beschreibt, aber auch analysiert und seine Zweifel verdeutlicht. Dass die Erlebnisse im Präsenz formuliert sind, lässt die/den Leser*in fast in Echtzeit daran teilhaben. Schwarz-Weiß-Fotos der Fundstücke und anderen Orten und Personen, die Wieczorek wiedererkannt hat, sind ebenfalls im Buch vorhanden. Außerdem gehen die Autoren den Hinweisen aus Wieczoreks Träumen nach, indem sie Zeitzeugen und Kenner der Ortsgeschichte kontaktieren, in Büchern und im Internet recherchieren, um mehr Licht in die Angelegenheit zu bringen – auch, um sich historisch auf sicheren Boden zu begeben, denn Träume allein, seien sie noch so aufwühlend, sind keine historische Absicherung. Gerade für Wieczorek bedeutet es eine große Erleichterung, wenn er sich nicht für verrückt erklären muss, weil die Ortgeschichte tatsächlich seine Träume bestätigt.
Für Wieczorek ist es in jedem Fall aber eine psychische Be- und später nach Lösung des Falls Entlastung: Die Träume sind verstörend, aber die allmähliche Auflösung der Geschehnisse bewirkt bei ihm immer mehr Frieden in der Seele bis hin zu tiefem Frieden. Egal ob er oder andere an Reinkarnation glauben oder nicht: Die psychischen Vorgänge sind in jedem Fall real. Auch das wird im Buch en detail beschrieben, denn W. hält wie oben schon geschrieben mit seinen Erlebnissen und Gefühlszuständen nicht hinterm Berg.
Fazit
Ein gut recherchiertes Buch mit eigenen, detailliert geschilderten Erlebnissen zum paranormalen Thema der Reinkarnation. Das Thema selbst kommt aber in so ziemlich allen Religionen vor, auch in den Neben- und Urströmungen der monotheistischen, sodass eine nähre Beschäftigung damit lohnt, zumal es erstaunliche Parallelen zum Phänomen der Nahtoderfahrungen gibt.
GESCHICHTE DER ZÄRTLICHKEIT Die Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud
Let’s talk about sex, sang die Band Salt n Pepa im Jahre 1990. Ein Appell an die Offenheit, sich über die individuellen Wünsche und körperlichen Bedürfnisse auszutauschen, diese zu berücksichtigen, ohne sie dem Gegenüber aufzudrängen. Kurz: Sex in Absprache und Übereinstimmung miteinander, aus freier Wahl.
Was für uns heute selbstverständlich klingt, nahm in Europa seine offiziellen Anfänge mit Napoleon Bonapartes Einführung des Code Civil Anfang des 19. Jahrhunderts. Sex sollte nicht mehr als Rechtspflicht in der bürgerlichen Ehe betrachtet werden – mit Betonung auf bürgerlich! Eine Frau konnte beispielsweise bei der Verweigerung von Sex nicht mehr schuldig gesprochen werden.
Aber wurden die sexuellen Machtstrukturen des Patriarchats dadurch tatsächlich gelockert oder einfach verschoben? Über welche Instanz, wenn nicht mehr über das Gesetz oder die Kirche, wurden diese geregelt? Inwiefern zerbrachen sich die Philosophen Rousseau, Kant, Hegel und Freud darüber den Kopf? Fragen, denen sich der deutsche Literaturwissenschaftler Johannes Kleinbeck in seinem neuen Sachbuch widmet.
Gemeinsamer Nenner Zärtlichkeit
Kleinbecks Hauptargument besagt, dass der Gedanke, Zärtlichkeit solle an die Stelle der Rechtspflicht des Ehevollzugs treten, zuerst von den oben genannten Philosophen formuliert wurde. Da wäre Rousseau, demzufolge sich Zärtlichkeit durch die Prägung der rohen körperlichen Triebe steuern ließe – die ‚Gebrauchsanleitung‘ dazu ist kein geringerer Roman als sein Emile. Immanuel Kant wiederum schwört – paradoxerweise in junggesellenhafter Gesinnung – während der Besatzung Königsbergs durch die Truppen der Zarin Elisabeth I. auf schöngeistig-höfische Galanterie und eine ästhetische Verfeinerung der Sinne.
Hegels Vorstellung fällt da weniger romantisch aus. Der Verlust der sinnlichen Begierde in der Ehe ist nicht beklagenswert, sondern eine Bereicherung in Sachen Zärtlichkeit. Das wusste Hegel als Verfechter der Nationalökonomie Adam Smiths auch aus eigener Erfahrung zu schätzen, seine um knapp 20 Jahre jüngere Frau Marie weniger. Freud wiederum hatte es mit der Zärtlichkeit wie mit dem Koks. Wenn seine Verlobte Martha Bernays beides zu häufig und zu schnell mit anderen teilte, verlor es den Reiz des Speziellen, des Außergewöhnlichen.
Ein Elefant im Raum
Kleinbeck gelingt es, die unterschiedlichen Lesarten der Zärtlichkeit und deren Widersprüchlichkeiten in ihren jeweiligen historischen Kontexten auszuloten und zu zeigen, dass Zärtlichkeit nicht gleich sexuelle Freiheit in der Ehe bedeutet. Die Analyse von Freuds Briefaustausch mit seiner Verlobten hätte vielleicht zugunsten einer intensiveren Beschäftigung mit Napoleons Rezeption der Schriften Kants vor der Erlassung des Code Civil ein wenig bescheidener ausfallen können. Immerhin hatte Napoleon den französischen Offizier Charles de Villers mit der Übersetzung von Kants Schriften beauftragt.
Die gegen Ende der Abhandlung geäußerten Thesen gehen dann schon expliziter in Richtung Kapitalismuskritik und feministische Kritik. Seit den 1960ern und 1970ern, wo sich gleichzeitig mit der sexuellen Revolution die Institution Ehe aufzulösen begann, sei es zunehmend schwieriger geworden, Zärtlichkeit unabhängig von kapitalistischen Bedürfnissen zu praktizieren. Dass diese fragmentierende Trennung von (außerehelicher) Sinnlichkeit als Warencharakter und (ehelicher) Zärtlichkeit von Männern ersehnt sei, verlinkt Kleinbeck wiederum mit feministischen Ansätzen wie Virginie Despentes King Kong Theorie. Diese Argumente fallen, gerade weil sie im Schlussteil der Arbeit platziert sind, knapp aus. Dabei sprechen sie genau die wunden Punkte an, die näher zu erörtern es sich in dieser Abhandlung noch ausgezahlt hätte.
Letztlich wird die Frage „Ist Zärtlichkeit heute – unabhängig von der sexuellen Neigung – mit alternativen Beziehungsmodellen als der von politischen Aktivist*innen gefürchteten Monogamie bzw. monogamen Ehe langfristig praktizierbar?“ zum Elefanten im Raum.
How do I tell them I love them?
Schmerzhafter Entwicklungsprozess
Lark Winter (17) ist in mehrfacher Hinsicht anders: transgender, neurodivers, people of colour, polyamor. Die Erfahrungen, die sier mit dieser Art des Andersseins macht, verarbeitet sier in einem Roman, dessen Hauptfigur passenderweise „Birdie“ heißt, denn sier möchte Schriftsteller*in werden. Aber kein Verlag ist an sierer Geschichte interessiert, es hagelt Absagen. Unter anderem sei sier zu jung, um über solche Themen und Probleme zu schreiben. Oder sier übertreibe mit dem, was sier schreibt. Dabei ist Larks Leben alles andere als einfach, u.a. durch den Rassismus, den sier immer wieder erlebt und das Mobbing sogar in der eigenen LGBTQ+-Bubble. Und Kasim, der beste Freund Larks, hat sich von Lark abgewendet. Dabei will Lark nur eins: Frieden und unendliche Liebe in der Welt. Denn dann gibt es keine Ungerechtigkeiten mehr. Über siere Gedanken schreibt sier im Internet. Auch da muss sier sich mit Hasskommentaren der LGBTQ-Community und people of colour über siere Einstellung auseinandersetzen. Eines Tages aber geht ein Tweet viral, indem es angeblich über siere unerwiderte Liebe geht. Der Haken an der Sache: Diesen Tweet hat nicht Lark, sondern Kasim geschrieben. Lark sieht eine Chance für sieren Erfolg als Autor*in und klärt den Irrtum nicht auf – mit vielen unangenehmen Konsequenzen, aber auch Wachstumschancen.
Sehr tiefgründiger Roman über ernste Themen
Themen insgesamt: nicht-binär, neurodivers, dunkle Hautfarbe, Social Media, Kritik an der eigenen Bubble, Polyamorie, Drogen, Depressionen, Angststörung, Traumata, Rassismus, (Cyber-)Mobbing, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Corona-Pandemie, schwierige Familienverhältnisse, Berufswunsch, Liebe in ihren Facetten, Spiritualität – um einmal die wichtigsten zu nennen, denn es sind nicht alle.
Vielfalt – eine Sache der Natur
Der in sich abgeschlossene Roman greift gleich mehrere Themen auf, die deutlich verbreiteter in die Mainstreamliteratur gehören würden: zunächst das Thema Anderssein generell, hier spezifiziert durch nicht-binäre und neurodiverse Menschen, sowie people of colour. Es mag vielleicht erst einmal als too much herüberkommen, dass die Hauptperson all diese Themen in sich vereint. Aber Autor*in Kacen Callender schreibt aus eigener Erfahrung und die Natur geht sowieso nicht nach Schema F vor, sondern hat als Überlebensprinzip ihre unendliche Vielfalt. So geht der Roman sehr in die Tiefe, was Leser*innen, die derartige Erlebnisse nicht teilen müssen, vielleicht als schwere Kost wahrnehmen. Aber Menschen, die anders sind, müssen vielfältige und immerwährende Anfeindungen stemmen können, wollen sie überleben. Das macht sie tiefsinniger und insgesamt stärker. Allerdings kann es auch, wie am Beispiel von zweien der Freunde Kasims gezeigt, zur Radikalisierung und beginnender Unmenschlichkeit führen, wenn alle anderen (außer sie selbst und ihre Meinung) als Feinde wahrgenommen werden und dabei die Realität völlig aus dem Blick gerät.
Larks Gedanken dazu fasst das Buch an einer Stelle folgendermaßen zusammen: „Derselbe Kummer. Dieselbe Wut. Und derselbe Schmerz. Zerreißt uns wieder und wieder. In einer Welt, die von uns verlangt, dass wir uns heilen. In einer Welt, die von uns Schwarzen Menschen verlangt, dass wir uns ändern, damit andere Leute sich sicher fühlen können. Leute, die vor unseren Körpern Angst haben, unsere Haut als bedrohlich empfinden. Genau diese Welt weigert sich, zu sehen, wie sie uns umbringt. Ich bin wütend. Das habe ich mir vermutlich nie wirklich eingestanden. Ich dachte immer, die Wut einer Person wie mir sei in dieser Welt sinnlos. Schwarz, queer, trans, neurodivers. Mir absolut unbekannte Menschen verwenden meine Identitäten gegen mich. Sie sagen, ich hätte nicht das gleiche Recht zu leben, zu existieren. Wenn ich wütend werde, tun sie so, als wäre ich es nicht wert, geliebt zu werden. Wenn ich frustriert bin und mich wehre und Fehler mache (ich bin trotz allem ein menschliches Wesen, das lernen und wachsen muss), werde ich zur unsympathischen Figur eines Buches gemacht. Naja. Vielleicht interessiert es mich nicht mehr so sehr, was andere von mir denken.“ (S. 339)
Lark: Lerche. So hat Larks Mutter sier genannt. Und sie gibt Lark mit, dass sier nicht an Protesten teilnehmen muss, wenn das nicht sierer Identität entspricht – es gibt andere Wege wie z.B. das Schriftstellertum, um der eigenen Stimme Gewicht zu verleihen. Jeder und jedem, wie sie/sier/er mag und kann und nicht, wie andere meinen, dass man kämpfen muss. „‘Ich glaube, unsere bloße Existenz ist genug. Einfach zu sein, zu atmen und uns selbst und einander zu lieben. Das ist auch eine Art Kampf. Findest du nicht auch?‘ Ja. In einer Gesellschaft, die mir Selbsthass und Selbstverachtung beibringt, kann Selbstliebe stattdessen eine völlige Revolution bedeuten.“ (S. 342)
(Selbst-)Reflexion als Grundvoraussetzung für Entwicklung
Das Buch ist sehr (selbst-)reflektiert und auch philosophisch. Auch das gehört dazu, wenn man anders und Anfeindungen ausgesetzt ist: Man denkt viel, eigentlich immerwährend, über sich und die Welt nach. Das Finden zu sich selbst und der eigenen Haltung ist ein fortlaufender, oft schmerzhafter Prozess – der aber gegangen werden muss, will man wachsen und zu einem erfüllteren Leben kommen. Intelligenz muss aber nicht automatisch bedeuten, dass man (selbst-)reflektiert ist, wie zwei von Kasims Freunden zeigen. Sie benutzen ihre Intelligenz als Waffe und drehen Lark immer wieder das Wort im Mund herum, um sier zu diffamieren und den Hass auf sier zu schüren, während sie selbst sich im Gegenzug als diejenigen präsentieren, die einen Feind der Community entlarvt haben und sich so als Held*innen darstellen. Das ist das Gegenteil von Wachstum, das ist Versteinerung. Und das schadet sich und anderen immens. Auch das stellt das Buch sehr schön heraus, ebenso, dass es schwer ist, diese perfide Troll-Strategie zu durchschauen und dagegen anzugehen. Und in Bezug auf Rassismus sollten alle, die rassistisch denken, sich vor Augen führen, dass dunkelhäutige Menschen nichts weniger als die Wiege der Menschheit darstellen – die hellhäutigen sind schlicht Mutationen des dunkelhäutigen Ursprungs. Vielleicht sollte man sich auch einmal das Szenario überlegen, dass alle Menschen von Natur aus blind wären. Würden dann solche Äußerlchkeiten wie die Hautfarbe überhaupt noch eine Rolle spielen?
Intoleranz in der Realität auch in eigentlich toleranten Communities
In der eigenen Bubble nicht ernst genommen zu werden, Intoleranz selbst dort, auch Anfeindungen kommen tatsächlich vor. Intoleranz mancher Homosexuellen gegenüber Bisexuellen ist keine Seltenheit. Auch anderweitige Intoleranz gibt es: Meine Freundin berichtete mir mehrfach von der Frau einer lesbischen Kollegin, die das transsexuelle Kind derselben nicht akzeptiert. Ich selbst wurde mit meinen Gedanken kurz und inhaltslos abgespeist, als ich versucht habe, mich in einer solchen Bubble mitzuteilen, obwohl diese sich als offen bekennt und Aufklärungsarbeit betreibt. Ein anderes Erlebnis hatte ich mit schwarzhäutigen Frauen, die meinen Kommentar zu schwarzhäutigen Göttinnen ein paar Minuten nach Erscheinen gelöscht haben. Ich bin für Verbindung und finde es gut, dass Göttinnen wieder erstarken und Frauen sich ihre eigenen göttlichen Ansprechpartnerinnen suchen – egal welcher Hautfarbe. Aber da ich weißhäutig bin, wurde der Kommentar gelöscht – Rassismus andersherum. Dieser Rassismus andersherum wird in einer anderen Art auch im Buch thematisiert, indem alle weißhäutigen Menschen über einen Kamm geschert und angefeindet werden. Die Wut der people of colour ist sehr verständlich, aber die Schlussfolgerung daraus Larks und meiner Meinung nach die falsche. Auch hier gilt: Pauschalisierung und Engstirnigkeit trennt, Offenheit verbindet.
Es wäre also meiner Meinung nach besser, dass in meinem o.g. Beispiel Frauen sich verbinden und sich nicht gegenseitig z.B. aufgrund der Hautfarbe anfeinden. Damit will ich nicht kleinreden, dass weiße Menschen gegenüber people of colour nicht einiges aufzuarbeiten hätten! Aufarbeitung ist dringend nötig. Allerdings schwächt ein Verhalten wie oben dargestellt die Frauenbewegung insgesamt und spielt patriarchalen Kräften in die Hände, wenn Frauen sich gegenseitig zerfleischen. Miteinander reden und Aufarbeitung bringt viel mehr als Zerfleischung, finde ich.
Oder dass während meiner Studienzeit in einem feministischen Buch stand, Männer seien nicht erwünscht, obwohl sich Männer ebenfalls für die Frauenbewegung einsetzen. Hier wird meiner Meinung nach der Fehler gemacht, dass alle Männer über einen Kamm geschoren werden. Aber es entsprechen eben nicht alle Männer dem patriarchalen Männerbild (Gottseidank!) – auch Männer leiden unter dem Patriarchat, denn es gibt mehr Männertypen, als das patriarchale Bild zulassen und wahrhaben will.
Das alles hat mich schockiert. Und da kommt automatisch die Frage auf, ob solche Leute denn nichts aus der eigenen Erfahrung gelernt haben? Sie wollen Akzeptanz für sich, gestehen sie aber anderen nicht zu? Ich finde es sehr gut und mutig, dass Callender auch diese Probleme in der Welt der people of colour und der LGBTQ+-Gemeinde anspricht. Denn solche Inakzeptanz in den eigenen Reihen schwächt und die Bubble verliert an Glaubwürdigkeit.
Selbstliebe und Selbstfindung
Das Buch strotzt insgesamt vor Themen und Tiefgang. Große Themen sind Selbstliebe und Selbstfindung, gepaart mit der Übernahme der Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln. An Lark sieht man sehr gut, dass das Übernehmen von Verantwortung wie ein Sprung ins kalte Wasser und schmerzhaft ist und man dabei auch viele Fehler machen kann. Aber die Mühe lohnt sich, denn es fördert die Selbstliebe. Es ist schmerzhaft, sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen und Grenzen zu ziehen, v.a. weil letztere oft genug nicht akzeptiert werden. Das bedeutet natürlich einen mühevollen Entwicklungsprozess, der letztlich aber lohnend ist. Lark stellt sich diesem Prozess, der alles andere als glatt verläuft, und findet sich am Schluss selbst, dazu neue (echte) Freunde und siere Liebe, denn jetzt ist sier authentisch.
Lark ist sehr spirituell, dabei aber in keiner Religion verhaftet. Sier macht sich ein eigenes Bild über die jenseitige und göttliche Welt, die viele Anklänge an die Reinkarnationstheorie hat. Dabei spielt bedingungslose Liebe eine sehr große Rolle: Liebe zu anderen (was Lark leichtfällt, selbst zu sieren Feinden) und Liebe zu sich selbst (was Lark sehr schwerfällt, da sier regelmäßig angefeindet wird). Sier wünscht sich (Selbst-)Akzeptanz, Harmonie, eine friedliche Welt und einfach sein zu dürfen, ohne Wenn und Aber.
Nicht perfekt sein ist das Ziel, sondern Wachstum. Dabei macht man häufig Umwege und damit Fehler, die aber als weiterer Entwicklungsanstoß dienen können. Den Wachstumsprozess mit all seinen Irrungen und Wirrungen, sowie dass das Leben nicht einfach, sondern komplex ist, stellt das Buch wunderbar dar. Nicht nur Lark durchläuft einen Entwicklungsprozess, sondern auch fast alle anderen Figuren im Buch – außer denjenigen, die nichts dazulernen wollen. Und die gibt es durchaus auch in der eigenen Bubble.
Fazit
Sehr tiefgründiges Buch mit vielen ernsten Themen, die endlich wahrgenommen und akzeptiert werden wollen. Sehr empfohlen!
Illustrated by LYX
Querwies Rezeptesammlung
Wildkräuter – wahre Vitamin- und Mineralstoffbomben!
„Traue nicht dem Ort, wo kein Unkraut wächst!“ (Zitat im Kochbüchlein)
Das kleine, schmale Kochbüchlein in passend grüner Aufmachung enthält 24 Rezepte, die von Getränken über Suppen, Dips, Butter, Brötchen, Knabberstangen, Salaten, Frikadellen, Pfannkuchen Kartoffelbrei, Quiche bis hin zu Süßspeisen alle eins gemeinsam haben: Sie enthalten Wildkräuter. Allein an dieser Spanne von Einsatzgebieten lässt sich schon ableiten, dass Wildkräuter durchaus jedes Gericht aufpeppen können, sofern sie vom Geschmack her richtig verwendet werden.
Veronika Kraus bezeichnet sie zurecht als „schmackhafte Nährstoffbomben“, denn Wildkräuter strotzen vor Vitaminen und Mineralien – und das alles umsonst und bio, denn sie wachsen wild und nicht auf gespritzten, überdüngten Feldern. Außerdem haben viele „Un“-Kräuter heilende oder lindernde Wirkung. Man denke nur an die allseits verschriene Brennnessel, die harntreibend, stoffwechselanregend, entzündungshemmend und durchblutungsfördernd wirkt und sich u.a. gut in einer Quiche mit Tomaten und Käse macht und als Spinat-Ersatz oder Beigabe zu Spinat Gerichten einen würzigen Geschmack verleiht. Noch weniger gut sind Gärtner*innen auf Giersch zu sprechen, aber dieses sogenannte Unkraut hat ebenfalls entzündungshemmende und harntreibende Wirkung und soll den Blutfluss stillen, sowie die Verdauung anregen. Aus beiden kann man Tee zubereiten, sie als Gemüse oder im Salat verwenden, ebenso in Smoothies. Und aus fast allen essbaren Wildkräutern lässt sich Kräutersalz herstellen oder ein Wildkräuterpesto.
Allerdings sollte man schon Kräuter sicher bestimmen können, bevor man sie sich ins Essen macht, denn viele Wildkräuter haben giftige Zwillinge. Bestimmungsbücher und (noch besser) Wildkräuterführungen in der freien Natur vor der Haustür machen nicht nur Spaß, sondern sind auch durch Bewegung, frische Luft und natürlich die (essbaren) Kräuter gesund. Außerdem gibt es bei vielen Kräuterwanderungen nicht nur nette Gesellschaft, sondern auch ein Büffet mit Wildkräuterleckereien zum Verkosten – die beste Werbung dafür, die kostenlosen Leckereien auch mal selbst zu sammeln, zu verarbeiten und damit einen „guten Einstieg in die Welt des natürlichen Geschmacks“ hinzulegen. Aber nicht vergessen: Nicht die ganze Pflanze ausreißen, sondern schonend sammeln – andere Sammler*innen und die Insekten wollen schließlich auch noch was abhaben!;) So lässt sich ein intensiveres Verhältnis zur Natur aufbauen, das zudem noch durch den Magen geht. „Ein Leben nicht neben oder gar gegen die Natur, sondern das Leben mit der Natur soll unser Ziel sein“, formuliert es die Autorin treffend.
Kraus bereitet z.B. aus Giersch eine Limonade zu: Sie verwendet dazu Mineralwasser, Apfelsaft, Giersch, Gundermann, Minze, Zitronenmelisse, Zitrone und serviert die daraus entstandene Limonade gekühlt – eine gelungene Erfrischung im Sommer. Aus der Brennsessel bereitet sie eine Creme-Suppe zu und aus den getrockneten Brennnesselsamen Knabberstangen. Auch in veganen Kräuterfrikadellen machen sich Giersch, Brennnessel, Gundermann, Knoblauchrauke und Co. gut. In bekannten Gerichten wie Pfannkuchen peppen Wildkräuter wie die Knoblauchrauke den Geschmack auf, ebenso im grünen Kartoffelbei und im grünen Kartoffelsalat. Schnell zubereitet ist ein Blüten-Obst-Kuchen mit den essbaren Blüten der Wildkräuter wie Gänseblümchen, Löwenzahn, Tagetes, Rosenblüten, Kamille, Veilchen, Rotklee, Lavendel oder Minze. Auch Waldmeistercreme lässt sich schnell selbst zubereiten.
Die Autorin achtet darauf, dass ihre Rezepte alltagstauglich und auch für Einsteiger*innen gut umsetzbar sind. Natürlich sollte man trotzdem etwas Zeit zum Kochen mitbringen, aber wer sich gesund ernähren will, kocht sowieso frisch. Wünschenswert wäre allerdings, dass diese sehr gesunden „Unkräuter“ (wie überhaupt gesundes Essen) auch Eingang in die Küchen und Mensen von Kitas, Schulen und Betrieben finden würden – der Volksgesundheit würde es sicher nicht schaden!
Fazit
Kurz und knapp: Empfohlen, auch wenn Fotos der Rezepte fehlen. Der Gesundheit zuträglich sind die (essbaren) Wildkräuter allemal.
Die Autorin bietet noch ein weiteres kleines Rezeptbüchlein in lila Aufmachung an, in dem sie v.a. Rezepte für ihre Führungen gesammelt hat.
Diese Rezeptsammlungen sind allerdings nur privat zu beziehen über Querwies@t-online.de
Batman – Die Festung
Batman – Die Festung. “Kill your idols”, hieß es in den Siebzigern und Jahrzehnte später geht es auch Superman an den Kragen. Oder zumindest seiner Familie. Denn die Kryptonier waren alles andere als ein friedliebendes Volk. Der Heimatplanet von Superman war von einem imperialistischen Volk bewohnt, das andere Planeten eroberte und unterjochte. Nun kommen drei Überlebende und wollen ausgerechnet an Superman, dem wohl letzten Kryptonier Rache nehmen.
Batman in Supermans Festung der Einsamkeit
Ein Blackout hat die Erde lahmgelegt. Es gibt keine Energie mehr und der halben Planet scheint in ewige Dunkelheit getaucht zu sein. Der weltweite Stromausfall stürzt zwar die Menschheit in Finsternis, aber natürlich nicht Batman und seine neu gegründete Heldengemeinschaft aus neuen Justice-League Mitgliedern. Darunter übrigens auch der Präsident der Vereinigten Staaten Lex Luthor. Wie eingeweihte Fans wissen wurde der Erzfeind Supermans in einem anderen alternativen Paralleluniversum zum Hauptkanon, nämlich dem Hauptkanon zum US-Präsidenten. Außerdem sind mit im Team: D’ayl, eine Art Kuschelbär des intergalaktischen Green Lantern Corps (ein H’ivenite), Emiko Queen, die den Bogen ebenso wie Halbbruder Green Arrow zu spannen weiß, sowie Aqualad resp. Baldur.
Die Drei Weisen aus dem All
Die Aufgabe der illustren Heldenbande ist es nun, den drei Außerirdischen, die etwas an die Drei Heiligen aus dem Morgenland erinnern, zuvorzukommen und Superman aka Clark Kent vor ihnen aufzuspüren. Aber die drei Außerirdischen haben Kräfte die sogar jene Supermans übersteigen und so ist es für Batman & Co alles andere als einfach, den Kampf aufzunehmen, geschweige denn zu gewinnen. Aber was ein Einzelner nie schaffen konnte, schafft ein Team mit einem guten Teamgeist und so dringen sie gemeinsam in Supermans Festung der Einsamkeit vor. Allerdings auch kein leichtes Unterfangen, denn Superman hat einige wirkmächtige Fallen eingebaut, die sein letztes Stück Heimat vor Eindringlingen beschützen soll.
Superman: Kryptonischer Imperialist?
Ein munter erzähltes Abenteuer, das einige Überraschungen bereithält, die den Hauptkanon der Erzählung des Batman und Superman Mythos um ein interessantes Gedankenexperiment erweitern. Aber mehr kann hier selbstverständlich nicht verraten werden. Das Gesicht von Bruce Wayne trägt diesmal deutlich veränderte Charakterzüge, aber mit Maske sieht er so schick aus wie immer. Die betont düstere Atmosphäre der Bathöhle und des Abenteuers insgesamt wird durch komische Elemente konterkariert. So kommt auch der Humor nicht zu kurz und Lex Luthor bekommt am Ende ein würdiges Schicksal. Bei Superman ist man sich da allerdings nicht so sicher, ob diese Strafe wirklich eine ist.
Garry Whitta/Darick Robertson
Batman – Die Festung
(Original Storys: Batman: Fortress 1-8)
2023, 212 Seiten, Softcover
ISBN: 9783741633041
Panini Verlag
25,00 €
Moon Knight – Wächter der Nacht 3 – Monster im Mondlicht
Moon Knight – Wächter der Nacht 3 – Monster im Mondlicht. Moon Knight ist kein Superheld. Er sagt es selbst: “Ich bin ein Priester”. Als solcher kann er auch Wasser segnen und so wird es zur Waffe im Kampf gegen Vampire: Weihwasser. Der “lunare Antiheld”, der sein Leben dem Kult Khonshus, dem ägyptischen Mondgott, gewidmet hat, bekommt es in diesem Abenteuer mit einer ganzen Reihe von Vampiren und Werwölfen zu tun.
Moon Knight: 3 in 1 Superheld
Moon Knight ist kein einfacher Charakter. Oft verliert er sich in Trialogen mit seinen beiden anderen Persönlichkeiten, Jake Lockley und Steven Grant. Oder er spricht mit seiner Psychotherapeutin, Dr. Andrea Sterman, wobei nicht ganz klar ist, welcher seiner drei Identitäten sich für diese Sitzungen entschieden hat. Aber vielleicht spielen sie sich ja alle auch nur in seinem Kopf ab, so wie die anderen Gespräche, die er mit sich selbst führt. Aber er hat auch wirkliche Unterstützer, so kämpft etwa Khonshus Faust Hunter’s Moon auf seiner Seite oder die schöne, aber schweigsame Tigra. Soldier ist ihm ebenso treu ergeben, wie Reese, seien vampirische Rezeptionistin. Moon Knight kann jede Unterstützung gebrauchen, denn in New York versammeln sich alle größeren Vampirorganisationen zu einem Kongress, der den besten unter ihnen zu ihrem neuen Anführer küren soll. Zudem wird noch seine Tochter Diatrice, die er mit Marlene zeugte, entführt und im Hintergrund zieht der Erzschurke Zodiac die Fäden. Ein kongenial inszeniertes Abenteuer, das seinesgleichen sucht. Denn nicht nur die inneren Konflikte des Antihelden Moon Knight werden glaubwürdig geschildert, sondern auch die zeichnerische Umsetzung des Moon Knight Universums ist ganz besonders gut gelungen.
Moon Knight: schizophren und effizient
Ein Comic-Abenteuer, wahnsinnig gut inszeniert von Jed MacKay (DER TOD VON DOCTOR STRANGE), Alessandro Cappuccio (Mighty Morphin Power Rangers) und Federico Sabbatini (SPIDER-MAN), das man nicht so schnell vergessen wird. Denn dieser “Ritter des Mondes” (Moon Knight) verfolgt einen bis zum nächsten Vollmond und erscheint einem dann in dunkler Nacht. Vorausgesetzt man verfügt über genügend Empathie. Entstanden ist der wackere Mondritter übrigens als Spin-off eines 1975 erschienen Werwolf by Night Comics. Doug Moench und Don Perlin ließen ihn damals als Söldner einen Wolf jagen, aber seine Popularität unter den Lesern wurde so groß, dass er nach einigen Duellen bald einen eigenen Auftritt bekam.
Jed MacKay
Moon Knight – Wächter der Nacht 3 – Monster im Mondlicht
(Original Storys: Moon Knight 13–18, Annual 1)
Zeichner: Alessandro Cappuccio, Federico Sabbatini
2023, Softcover, 172 Seiten
ISBN: 9783741631610
Verlag: Panini
20,00 €
Hulk – Monsterwahnsinn
Hulk – Monsterwahnsinn. Der amerikanische Cartoonist, Illustrator und Designer Jim Rugg hat einen ganz besonderen Zugang zu seinem Lieblingssuperhelden gewählt. Er verwirklicht in vorliegendem XL-Band seine ganze eigene Vision aller Hulk-Meilensteine in dem er eine Art Collage aus über 60 Jahren HULK mit Pop-Art und Underground Comix zu einem einzigartigen Werk vermischt.
Mehr als 60 Jahre HULK
Im Mai 1962 – aus der Feder von Stan Lee und Jack Kirby stammend – erblickte ein ganz anderer Superheld das Licht der Welt. Ein Wissenschaftler namens Dr. Bruce Banner, seines Zeichens Nuklearphysiker, experimentierte damals mit dem Prototyp einer Gamma-Bombe und setzte sich damit großen Mengen an Gammastrahlung aus. Hinfort verwandelte er sich in Hulk (engl. Für Koloss, Klotz), jedes Mal, wenn Wut sich in ihm aufstaute. So wurde Hulk quasi zum Prototyp des Jähzorns oder cholerischen Menschen, wie sie wohl jeder aus seinem Umfeld kennt. Vielleicht wurde die Figur gerade auch deswegen so erfolgreich: jeder von uns kennt das Gefühl, wenn die Wut aufsteigt, aber nicht jeder von uns lässt ihr so freien Lauf wie Dr. Bruce Banner. Er verwandelt sich in ein riesiges, grünes Monster mit unglaublichen Kräften, das sogar Panzer (!) an ihrem Zielfernrohr packen und um sich herumwirbeln kann. Aus der Angst vor kleinen, grünen Männchen wurde also die mehr als berechtigte Angst vor Hulk, dem grünen Riesenmenschen.
Hommage an einen grünen Riesen
Jim Rugg verwendet nicht nur alte Cover von Hulk-Comics für seine künstlerischen Ambitionen zur Hommage an sein “grünes Männchen”, sondern auch eine Vielzahl von großformatigen Detailreproduktionen. Eine Vielzahl seiner ersten Storys werden ebenso zitiert wie die Versuche, Hulk zu heilen. Aber dass kein (grünes) Kraut gegen ihn gewachsen ist, zeigt auch der Spin-off des grünen Helden durch “savage” She-Hulk und seine Begegnungen mit dem Silver Surfer, den Fantastic Four, Spider-Man oder sogar Daredevil. Die vielseitigen Interpretationen unterschiedlicher Hulk-Autoren stellt Jim Rugg ebenso nebeneinander wie Leserbriefe begeisterter Leserinnen und Leser. Aber vielleicht ist es doch so, wie Doc Samson an einer Stelle meint: “Vielleicht gelingt es nun, Banner aus seinem lebenden Gefängnis im Monster zu befreien”. Samson sagt dies auf Hulks Rücken stehend nachdem er ihn mit einem Faustschlag niederstrecken konnte. Ihr bestes diesbezüglich versucht auch Betty, Banners angetraute Frau, die einfach nicht an das Böse in ihrem Mann glauben will. Vielmehr ist Banner ja in Hulk. Als dann noch Mr. Fixit auftaucht wird es wirklich kompliziert.
Alles in allem eine wunderbare Hommage an einen Superhelden im XL Hardcover Format, wie man es sich auch von anderen Kollegen wünschen möchte. “Grand Design” gelungen! Im Anhang befinden sich noch einige Originalcovers ebenfalls im XL-Großformat.
Jim Rugg
Hulk – Monsterwahnsinn
(Original Storys: Hulk: Grand Design – Madness 1, Hulk: Grand Design – Monster 1)
2023, Hardcover, 132 Seiten
ISBN: 9783741631351
24,00 €
SCHMERZAMBULANZ
Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie ist Kranksein zu einem Privileg geworden. Nicht nur wird dieses Privileg immer kostspieliger. In einem intransparenten Gesundheitssystem, das von bürokratischen, wirtschaftlichen und politischen Machtrochaden sowie von mangelnder Kommunikation und Logistik heimgesucht wird, gehen viele Entscheidungen oft auch auf die gesundheitlichen Kosten der Patienten – ohne, dass sie sich dessen bewusst sind oder sich dagegen zur Wehr setzen können.
Der im März 2023 erschienene Roman „Schmerzambulanz“, für den die österreichische Autorin Elena Messner 2022 mit dem Theodor Körner Preis für Literatur ausgezeichnet wurde, nimmt sich dieser Problematik an. Zwischen fiktiven Krankenberichten, erlebten Reden und inneren Monologen changierend, spürt Messner mit einem gnadenlosen Röntgenblick den Lücken und Tücken eines ‚krankenhausreifen‘ Systems nach, dem auch das Krankenhauspersonal zum Opfer fällt.
Leeres Versprechen
Dr. Judit Kasparek, leitende Ärztin der internen Abteilung eines Krankenhauses und hoffnungslose Optimistin, wird mit einem leeren Versprechen um den Finger gewickelt: Sie hat ihren Ausbildungsplatz an der besten Klinik des Krankenhausverbundes verlassen, um an ihrer neuen Arbeitsstelle eine Schmerzambulanz mit diversen Therapieangeboten aufzubauen. Aber der Weg dorthin ist noch lange nicht geebnet. Die Stolpersteine häufen sich nur so an.
Messner beschreibt ein – nicht beim Namen genanntes – österreichisches Krankenhaus als rentable Betreibergesellschaft, die lieber auf geliehene Ärzte und Pflegekräfte statt auf fix angestelltes Personal setzt. Seit geraumer Zeit wird vergeblich bei diversen Medizinmessen wie Arab Health neues medizinisches Equipment angefragt. Auch bei der Produktion und Lieferung von Medikamenten ist man auf externe Pharmakonzerne angewiesen – Stichwort China und Indien als neue Weltapotheke. Antibiotika und Erkältungsmedikamente gehören in Österreich schon seit Monaten zur Mangelware. Vielversprechende Studien zu neuen Schmerztherapien werden nicht zur Kenntnis genommen oder unter den Teppich gekehrt. Pflegekräfte werden nicht in die ärztliche Beratung miteingebunden. Dann wären da noch die Unstimmigkeiten bei der Vergabe von Medikamenten, und, und, und. Die Liste ist unerschöpflich.
Der Fall der 78-jährigen Barbara Steindl bringt das Pulverfass endgültig zum Explodieren: Nach einer nicht eindeutig erklärbaren Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Patientin sieht sich Judit dazu verpflichtet, ein Ethik-Konsil einzuberufen, womit sie den Groll all jener Angestellten auf sich zieht, die die Patientin betreut haben. Die Autorin lässt dabei die Frage offen, ob es sich um einen schlecht getarnten Racheakt wegen des nicht eingehaltenen Versprechens handelt, oder ob Judit den Fall der Patientin, in deren Alter ihre Kollegen die Ursache für deren „Gebrechlichkeit“ sehen, einfach nicht über einen Kamm scheren will.
Gleichzeitig versäumt Messner es nicht aufzuzeigen, wie das gesamte Personal unterschiedlicher sozialer Klassen auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und Schuldzuweisungen und die Instrumentalisierung der Patientin Vorrang gegenüber gemeinsamen Lösungen haben. So nimmt die Freundschaft zwischen Judit und der Anästhesistin Asja einen Kollateralschaden. Die Paranoia von Krankenpfleger Jovo wird zum Nährboden für fatale Missverständnisse. Vor ihnen ist auch nicht Judits Mentor, der Oberarzt Tom Trattner, gefeit. In ihm sieht wiederum der Bettenschieber Cveto, dem die Ausbildung zum Pfleger fehlt, eine Möglichkeit, sich beruflich über Wasser zu halten.
Wissenswertes und Sarkasmus
Messner gelingt es, in 226 Seiten viel Wissenswertes und selbst Recherchiertes über das (österreichische) Gesundheitssystem zu packen. Man erfährt unter anderem, dass die Richtlinien privater Krankenkassen im Krankenhaus Behandlungsmaßnahmen erzwingen, die der Patientin Steindl aber nicht zugutekommen. So werden nicht unbedingt notwendige Infusionen nur deswegen verabreicht, weil sie abrechenbar sind und die alleinige Einnahme von zu schluckenden Medikamenten finanziell nicht in der Krankenkasse inbegriffen ist. Da verwundert dann auch ein fiktiver Chirurg nicht, der angeblich die Kosten für einen Eingriff am Körpergewicht seiner Patienten misst.
Ein flüssig geschriebener, gelegentlich auch poetisch angehauchter Roman, der für notwendiges Unbehagen sorgt. Allerdings wird das Aufbrechen konventioneller Geschlechterrollen im Gesundheitswesen eher belächelt denn befürwortet, etwa wenn ein junger Krankenpfleger eine On-Off-Beziehung zu einer älteren Ärztin führt oder ein homosexueller Bettenschieber dem Oberarzt während des Ethik-Konsil unterstützend zujubelt. Trotz mancher Unwahrscheinlichkeiten wie der befürchteten Kündigung von Pflegern, auf die die Spitäler im Jahr 2023 mehr denn je angewiesen sind, überzeugt „Schmerzambulanz“ mit wahrheitsgetreuen Schilderungen.
Eurotrash
Christian Kracht ist Schweizer mit deutschen Wurzeln. Er sieht sich selbst als Kosmopolit. Nach eigener Aussage begreift er seine Romane eher „humoristisch“, löst mit seinem Werk und Leben allerdings häufig heftige Kontroversen aus. Ein Mensch und Autor, der nicht einzuordnen ist, und der in Eurotrash offensichtlich immer noch nach seinem eigenen Platz und Stellenwert in einem Leben sucht, dessen materielle Rahmenbedingungen andere bei einem flüchtigen Blick neidvoll als beste Voraussetzungen für unbeschwertes Glück ansehen würden. Weiterlesen
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln
Das Heißluftfritteuse Kochbuch – fettarm, schnell, lecker
Multifunktional, zeit- und energiesparend
Kochen, backen, grillen, „frittieren“ – all das kann man laut Buch mit der Heißluftfritteuse. Sie funktioniert ähnlich wie ein Mini-Umluft-Backofen mit heißer Luft und kann von herzhaft bis süß vielerlei Gerichte garen. Durch einen Heizkörper wird die Luft auf die richtige Temperatur gebracht (die man vorher am Gerät einstellen kann) und mithilfe eines Ventilators gleichmäßig im geschlossenen Garraum verteilt. Da dieser eher klein ist, kommt das Gerät schnell auf Betriebstemperatur, was Zeit und Energie spart. Dadurch wird weniger Strom verbraucht und das Essen steht schneller auf dem Tisch als mit Backofen oder Herd.
Die Fritteuse gart kross und knusprig, ist leicht per Knopfdruck zu bedienen und das Garen, das Timing und manchmal auch das Rühren gehen automatisch. Da man mit nur wenig oder keinem Fett auskommt, sind die Speisen nicht nur kalorienärmer, sondern auch geruchsärmer als mit einer herkömmlichen Fritteuse. Durch nur einen Garkorb ist das Gerät leicht zu reinigen, bei manchen Geräten dürfen Teile in die Spülmaschine. Der Eigengeschmack des Essens bleibt erhalten, ebenso mehr Vitamine und Nährstoffe durch das schonende Garen mit heißer Luft und niedrigerer Gartemperatur. Fett sparsam dosiert garantiert die Aufnahme der Vitamine, dient als Geschmacksträger und verhindert das Austrocknen der Speisen. Ungesunde Transfettsäuren werden vermieden, wenn gesündere Öle wie Kokos- oder Rapsöl zum Einsatz kommen.
Geräte mit mehreren Ebenen haben zudem den Vorteil, dass sich verschiedene Speisen gleichzeitig zubereiten lassen. Manche haben auch ein durchsichtiges Sichtfeld, sodass man den Garprozess besser im Blick hat. Aufwärmen und Aufbacken sind ebenfalls möglich. Pommes, Paniertes, knusprige Knabbereien, Popcorn, Fleisch, Fisch, Garnelen, Lachs, Gemüse, Nudeln, Reis, Couscous, Suppen, Eintöpfe, Pizza, Brote, Kuchen, Gebäck – die Bandbreite der in der Heißluftfritteuse gegarten Speisen ist groß.
Etwas mehr gesundes Fett darf es schon sein, sonst fehlt der Geschmack
Das Buch gibt eine sehr gut verständliche und auf den Punkt gebrachte Einführung über Funktion und Verwendungsweise der Heißluftfritteuse, sowie Tipps zum Umgang. Den meisten Punkten, die genannt werden, kann ich zustimmen. Die Handhabung ist einfach, zeit- und energiesparend und die verschiedenen Speisen garen schonend. Allerdings vermisse ich den Geschmack von etwas mehr Fett, da sich Fett und Essen nicht so gut verbinden wie z.B. in einer Pfanne. Kross werden die Speisen zwar, aber nicht so geschmackvoll wie mit mehr Fett. Der Kick zu wirklich gutem Essen fehlt mir also ein wenig. Außerdem ist wichtig zu wissen, dass v.a. für Diabetiker die Fettreduzierung wenig bringt, da es v.a. auf die richtige Menge an Kohlehydraten ankommt. Auch wenn man abnehmen will, bringt die Reduzierung der Kohlehydrate, z.B. durch eine ketogene oder kohlehydratarme Ernährung, mehr als die Reduzierung von Fett.
Das Buch enthält neben den einführenden Kapiteln zur Benutzung einer Heißluftfritteuse v.a. Rezepte. Diese sind unterteilt in Vegetarisch, Mit Fleisch und Fisch, Süßes und Nachspeisen plus einem Rezeptregister. Großformatige Fotos zeigen appetitlich das fertige Gericht, wobei ich festgestellt habe, dass meine Ergebnisse der Rezepte doch etwas anders ausgesehen haben. Die Fotos sind also nicht ganz realistisch. Die Rezepte selbst sind übersichtlich und einfach gehalten, man kann sie gut nachkochen. Etwas mehr Zeit als angegeben sollte man allerdings mitbringen und bedenken.
Man kann mit der Heißluftfritteuse z.B. Hähnchengeschnetzeltes, Backhendl, Ananas im Speckmantel, Blätterteigschnecken, Gemüse-Muffins, paniertes Gemüse, Gemüsepuffer, Lachs-Quiche, Kaiserschmarrn, Mandelkekse, Apfelchips oder Krapfen mit Quark machen. Die Kalorienzahl steht immer mit dabei, außerdem sind die meisten Rezepte mit Tipps versehen. Eigentlich ist für jede*n etwas dabei. Bei manchen Rezepten habe ich persönlich allerdings noch etwas nachgewürzt oder mehr Zutaten verwendet, weil mir das dann einfach besser schmeckt. Mein 11-jähriger Sohn fand manches gut, manches nicht so gut. Man muss also auch mitbedenken, was Familien bzw. Kindern schmeckt, denn wie so oft ist auch dieses Buch auf Erwachsene ohne Familie ausgelegt. Das Bedienen der Heißluftfritteuse machte meinem Sohn allerdings Spaß; sie ist tatsächlich einfach zu bedienen und zu reinigen, was eine Menge Zeit spart.
Fazit
Verständliches, übersichtliches, schön bebildertes Kochbuch zum Umgang mit der Heißluftfritteuse, die sich einfach bedienen lässt und tatsächlich Zeit und Energie spart. Auch der Garvorgang ist schonender als bei Backofen, Fritteuse oder Herd. Allerdings schmecken die Gerichte mit mehr (gesundem) Fett besser als mit wenig oder keinem. Und Diabetiker sollten bedenken, dass es bei ihnen mehr auf die Kohlehydrate als auf das Fett ankommt.
Federball
Es geht einem irgendwie sehr schwer von der Hand/Feder/Tastatur, dieses Buch in die Rubrik “Agenten- oder Spionage-Thriller” einzustellen. Aber die Literaturbranche verlangt mal wieder nach Kategorien und Schubladen.
John Le Carrè geht mit einem riesigen Bonus ins Rennen. Der Altmeister des subtilen Spionage-Romans will es mit 88 Jahren noch einmal wissen und die Presse überschlägt sich vor Lob und Begeisterung. Also geht man voller Vorfreude ans Lesen des neuerlichen Meisterwerks.
Ein schon etwas älterer Spion kehrt ins gute alte England zurück und wird mangels besserer Aufgaben in eine unbedeutende Filiale in London abgeschoben. Er trifft sich mit aktuellen und früheren russischen Informanten. In seiner Freizeit spielt er mit Begeisterung Badminton, wobei sich sein neuer Federball-Gegner später zum eher halbherzigen Spion für die Russen entwickelt.
Das ist die Story.
Über 90 Prozent des Buches quält sich eine zähe Handlung durch endlose Dialoge ohne Spannung und Esprit. In einem deutschen Finanzamt geht es mit Sicherheit spannender zu als in den Spionage-Abteilungen, die le Carré zeichnet. Lange fragt man sich, welche wertvollen Informationen wohl so wertvoll sind? Die Busfahrpläne Londons? Nein, es ist die mögliche Aussicht darauf, dass Großbritannien nach dem Brexit in enge Gespräche mit den USA eintreten wird … Überraschung …Gähn.
Viele Kritiker feiern das Buch als Anti-Brexit-Manifest. Weit gefehlt, allenfalls ein Nebenkriegsschauplatz, wenn le Carré dem jungen Ed ein paar hitzköpfige Statements in den Mund legt.
Die längste Zeit fragt man sich, ob le Carré vielleicht die bewusste Persiflage eines Spionage-Thrillers schreiben und all die James Bonds als langweilige Beamte entlarven wollte. Aber auch diese Hoffnung stirbt im Verlauf des Buchs.
Zur Ehrenrettung von le Carré muss man erwähnen, dass das Buch auf den letzten 20 Seiten sogar so etwas wie einen Hauch Spannung entwickelt. Aber auch das bleibt letztendlich ein Strohfeuer mit einem unlogischen Ende.
Unser Deutschlandmärchen
Im Buch sprechen Dincer, Fatmas Sohn, und Fatma in Monologen über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen und Nöte, ihre Träume und Hoffnungen. Dincer ist Fatmas große Hoffnung, was muss sie stolz gewesen sein, als er den Preis der Leipziger Buchmesse bekam! Bei der Preisverleihung, ich erinnerte mich, kam eine Frau mit auf die Bühne. Beim Lesen war ich mir sicher, dass das Fatma gewesen sein musste, als Mitautorin; aber es war seine Frau, stellvertretend für alle Frauen.
Dass Frauen in der Gesellschaft Unrecht geschieht, sagt uns auf der ersten Seite schon Hanife, Fatmas Mutter: „Es gibt in unserem Glauben eine Regel, die den Männerschwänzen dient: Ein obdachloses Weib zu behüten ist die Pflicht eines jeden Mannes. Die ersten Männer dieser Frauen waren im Krieg gefallen. Jetzt warteten hier die nächsten auf sie, mit ihren steifen Werkzeugen. Bekamen die Möglichkeit, das Gewissen ihrer Schwänze zu beruhigen.“
Auf gut 200 Seiten gibt es rund 60 Kapitel, bebildert mit Fotos der Familie, von 1962 bis 2022: da sitzt Fatma und Dincer steht neben ihr.
Fatmas Mutter wird, in Anatolien, früh Witwe, die beiden Brüder sind behindert, die Hoffnung der Familie liegt auf Fatma, also muss sie Yilmaz, „dem mit dem großen Kopf“, nach Deutschland folgen, als er um ihre Hand anhält. Das Leben dort ist schwer, am schlimmsten ist: Fatma muss über ein Jahrzehnt warten, bis sie schwanger wird, sie lässt kein ihr bekanntes Hilfsmittel aus, betet sogar zu Maria …
Da sie keine eigenen Kinder versorgt, bittet sie Yilmaz, ob sie arbeiten darf, und wird Fabrikarbeiterin (Akkordbrecherin!), und hat Nebenverdienste als Erntehelferin, die die Familie ernähren.
Als Yilmaz eine Kneipe aufmacht, putzt sie und unterstützt im Hintergrund. Aber die Kneipe bringt kaum Geld ein, denn die Kunden lassen anschreiben. Yilmaz ist ein liebenswerter Loser, der viele scheinbar gewinnbringende Ideen hat, die dann scheitern, der Schuldenberg wächst und Fatma arbeitet immer daran, ihn abzutragen. Aber: Als Dincer geboren ist, gibt es eine Woche lang Freigetränke, so hat es, da es nach ihm geht, zu sein.
Als der Vater zusammenbricht, wird die Kneipe geschlossen, die Schulden sollen gepfändet werden. In der größten Not kommt das Rettende in der Person von Herrn Hoeke, Richter am Amtsgericht. Er bekommt am nächsten Tag eine Vollmacht, regelt alles. Als er erfährt, dass Dincer schreibt, kommt er freitags „nach der Schicht“, liest alles, „bringt Bücher mit: Novalis, Rilke, Eichendorff, Fried, Lasker-Schüler. Bespricht mit mir alle Texte.“ Jahre später wird er anregen, „Dincer, deine Zeit kommt langsam, du musst vor Menschen lesen, die müssen deine Gedichte hören.“ Nach der Lesung in der Stadtbibliothek im Nettetal steht in der Westdeutschen Zeitung: „Jedes Jahr gibt Nettetal mit Martin Walser, Elke Heidenreich … an, wird das nicht langweilig? Endlich konnte man gestern Abend eine junge Stimme hören, die viel spannender klingt.“
Das Kapitel geht weiter: „Die Figur Hans Hoeke gibt dem schweigenden Märchen eine Hand, das Märchen beginnt, seine zukünftige Stimme zu suchen.“
Soweit der Plot. Ihn zu erfassen dauert etwas, in den vielen Kapiteln kommen einzelne Mosaiksteinchen. Das macht das Lesen zu einem spannenden Erlebnis, denn es besteht aus vielen Stimmen, in Lyrik und auch Prosa, die mit Offenheit und Zuversicht die Entwicklungen der Familie beschreibt.
Andere Stimmen sind in Anatolien zu hören, die der Eidechsen, Kräuter und der Steine. Und wie klingt Dincers Ablehnung bei seinen Arbeitskollegen? Da ist er, weil er Bücher liest, die Schwuchtel. Oder wie er als Arbeiter neben den StudentInnen in der Theatergruppe gesehen wird. Wie geht es der gut integrierten Gastarbeiterfamilie mit Solingen und Hanau?
Ausführlich beschrieben ist Dincers Abnabelungsprozess von Fatma, die lange hoffte, Dincer könnte als Mann ihre Enttäuschungen über Yilmaz heilen.
Besonders beeindruckt hat mich die Begegnung mit Bernd, „der Kollege, der immer die Gießformen auseinandergebaut hat.“ Er beglückwünscht ihn, dass er „den Sumpf“ hinter sich gelassen hat. Sumpf? Für ihn war es die Schule des Lebens, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. „Hätte ich mir damals diese robuste Art nicht zu eigen gemacht, wäre ich heute auch in der Theater- und Literaturszene verloren … Hab Jahre später Gedichte geschrieben und diese der Drehmaschine mit der Nummer 630, dem Schraubstock, der Bandsäge gewidmet.“
Und in der Danksagung kommen nach seinen Nächsten „alle, die mit Körperkraft und Schweißperlen auf der Stirn, mit Verstand und Gewissen versuchen, das Leben für sich und alle erträglicher zu gestalten.
Euer Dincer“
X-Men. Vol. 1. 1963–1966

The X-Men Prachtausgabe der 21. ersten Abenteuer
X-Men. Vol. 1. 1963–1966: Mutant? Wer sich in seiner Pubertät nicht also solcher gefühlt hat, kennt wohl auch die X-Men nicht und hat somit einiges versäumt. Aber all diese lässt sich nun ganz einfach nachholen. Der TASCHEN-Verlag präsentiert in einer weiteren XXL Ausgabe (28 x 39.5 cm, 4.67 kg, 666 Seiten) die ersten 21 Stories der Superhelden aus den Jahren 1963–1966.
X-Men: X-Men. Vol. 1. 1963–1966
Die preisgekrönten Marvel-Serie des TASCHEN-Verlages zeigt nach Spiderman, Avengers, Fantastic Four in ihrem bisweilen vierten XXL-Band die Damen und Herren um den genialen Telepathen Charles Francis Xavier (Professor X), genannt X-Men. Diese Mutant:innen versammelte Professor X in seiner Mansion (nachempfunden dem Englefield House im englischen Berkshire) vor allem deswegen, weil er sie vor Angriffen durch Magneto, dem Erzfein der Mutanten schützen will. Im Keller seiner weitangelegten Mutatanten-Schule befindet sich in einem unterirdischen Komplex auch Cerebro, mit der Prof. X die Gehirnwellen aller Menschen und Mutanten weltweit orten und somit mithören kann. und so mit ihnen in Verbindung treten können. Cerebro ist eine kugelförmige Halle, in der ein Steg vom Eingang zur Mitte der Halle führt. Dort befinden sich ein Sessel und der Steuerungs-computer, mit dem sich der Telepath mittels einer speziellen Kopfhaube verbindet. Xavier und Magneto hatten Cerebro ursprünglich gemeinsam entwickelt, sich dann aber aufgrund unterschiedlicher Ansichten verkracht.
Außergewöhnlich Begabte Gentleman
Von Stan Lee und Jack Kirby 1963 erstmals veröffentlicht waren die X-Men Mutanten vorerst nur ein charmanter, bunt zusammengewürfelter Trupp von Außenseitern. Sie waren alle Teenager mit besonderen, außerordentlichen Kräften, die vor allem unter ihrer (menschlichen) Umwelt litten. Denn die Menschen haben allesamt Angst, vor jenen, die nicht durchschnittlich und normal wie alle anderen sind. Dabei: wer ist schon normal? Vor allem in der Pubertät? Waren wir nicht alle einmal Mutanten? Viele von uns sind es heute noch, auch wenn wir nicht alle X-Men sind. Denn dieser Club der außergewöhnlich Begabten führen einen Kampf gegen Unterdrückung und Diskriminierung von Minderheiten. Somit können sie durchaus auch als Vorläufer der Bürgerrechtsbewegung der beginnenden Sechziger Jahre verstanden werden. Es gibt sogar
Interpretationen wonach Prof. X Martin Luther King und Magento Malcolm X. verkörperten. Aber das ist wohlgemerkt nur eine von vielen Interpretationen die die erfolgreiche X-Men Serie in ihrem bereits mehr als 70-jährigen Bestehen dienen musste. Außenseiter Cyclops, Marvel Girl, Angel, Beast und Iceman scharten sich um Professor Xavier, weil er sich für ihre Rechte einsetzte. Später folgten auch die mit Superkräften ausgestatteten Geschwister Quicksilver und Scarlet Witch, der kollossale Blob, der unaufhaltsame Juggernaut, Ka-Zar, der Dschungelbewohner aus dem Wilden Land, den Halbgott The Stranger von den Sternen, und Bolivar Trask mit seiner Armee von Sentinels, die Mutanten jagten. Es bekamen natürlich nicht nur die Superhelden Zuwachs, sondern auch ihre Gegenspieler.
Prachtausgabe der 21 ersten Stories
Die vorliegende Ausgabe, angelehnt an die Größe der Originalzeichnungen, enthält im XXL-Format die ersten 21 Geschichten der X-Men. Eine Zusammenarbeit von Marvel mit Certified Guaranty Company (CGC) garantiert makellose Originalausgaben, die extra für die Reproduktion neu aufgenommen wurden. Jede Seite wurde so fotografiert, wie sie vor mehr als einem halben Jahrhundert gedruckt wurde, und dann mit modernen Retusche-Techniken digital überarbeitet. Eventuelle Ungenauigkeiten der damals vorherrschenden Drucktechnik wurden auf diese Weise korrigiert, so als kämen die Comics frisch aus einer erstklassigen Druckmaschine der 1960er Jahre. Um die Haptik der ursprünglichen Hefte zu simulieren, wurde eigens für unsere Marvel-Serie ein ungestrichenes Papier entwickelt. Im Anhang finden sich zudem Biographien der beteiligten Künstlerinnen und Künstler sowie kurze Inhaltsangaben der einzelnen Hefte. Das Vorwort hat der kreative Kopf hinter den modernen X-Men-Stories, Chris Claremont verfasst. Die Blütezeit der Gründerjahre von Lee und Kirby lässt er in seinen Erinnerungen noch einmal aufleben. Ein ausführlicher Essay des X-Men-Autors Fabian Nicieza sowie Originalzeichnungen, Fotos und Erinnerungsstücke begleiten in die frühen Jahre der X-Legenden. Die Publikation ist auch als Collector’s Edition von 1.000 nummerierten Exemplaren erhältlich.
X-Men. Vol. 1. 1963–1966
XXL. Marvel Comics Library.
Famous First Edition:
Nummerierte Erstauflage von 5.000 Exemplaren
2023, Hardcover, 28 x 39.5 cm, 4.67 kg, 666 Seiten
ISBN 978-3-8365-9454-7
TASCHEN
€ 150
An die Rollatoren, fertig, los!
Die Anthologie »An die Rollatoren, fertig, los!« präsentiert 14 Geschichten, Gedichte und Gedanken über das Alt- und Älterwerden. Mit einer Fülle an humorvollen und nachdenklichen Momenten laden die aus der Slammer-Szene stammenden Autoren ein, das Älterwerden aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Weiterlesen