Imperium

Die Geschichte des römischen Senators und Rechtsanwaltes Cicero, erzählt von seinem Diener und Sekretär Tullius Tiro, ist Gegenstand dieses herausragenden Historienkrimis. Tiro, Erfinder der Kurzschrift, protokolliert die unvergleichliche Entwicklung Ciceros vom stotternden und scheuen Jüngling zum selbstbewussten Machtpolitiker, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere die ihm vom Staat übertragene Macht über Leben und Tod, das »imperium«, ausübte.

Cicero gewann im Alter von 42 Jahren, dem jüngsten erlaubten Alter, mit dem römischen Konsulat das höchste Amt im Staat. Er erlangte es durch das einstimmige Votum aller Zenturien, als homo novus, ohne einflussreiche Familie, ohne Vermögen und ohne die Macht von Waffen: ein Kunststück, das noch nie zuvor gelungen war und nie mehr gelingen sollte. Mit seiner einzigen Waffe, seiner Redekunst, trat er allem entgegen, was im römischen Staat korrupt und verabscheuungswürdig war. »Redekunst, die nicht aufrüttelt, ist für mich keine Redekunst«, lautete sein Motto, und noch zweitausend Jahre später werden seine mitreißenden Reden als rhetorische Kunststücke gelesen und zitiert.

Im römischen Senat, im Volkstribunal und an den Gerichtshöfen herrschten Korruption und Intrige. Richter und Geschworene waren ebenso gekauft wie die Wähler, die auf dem Maifeld ihre Stimme abgeben durften. Für den Republikaner Cicero war es nahezu unmöglich, sich gegen die zementierten Machtstrukturen und die Allmacht des Geldes und der Aristokratie zu behaupten. Dass es ihm dennoch gelang, schreibt der Erzähler seiner Fähigkeit zum Pragmatismus und zur Demagogie zu.

Richard Harris macht aus dem Thema einen Staatskrimi, der den Leser bis zur letzten Zeile fesselt. Selten wurde römische Geschichte und die Fäulnis eines untergehenden Riesenreiches so spannend beschrieben wie in diesem Buch.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Heyne München

Geheime Melodie

Der Großmeister des Agenten-Thrillers John le Carré ist beileibe kein eindimensionaler Versprachlicher von Geheimdienstmythen oder Verschwörungstheorien. Beides ist Bestandteil seiner Literatur, beschreibt diese aber nicht hinreichend. Der mittlerweile 75jährige britische Autor und gelernte Germanist ist einer der brillantesten Erzähler der europäischen Literatur und ein im besten Sinne guter Geschichtenerfinder. Haben ihm 1989 die Geheimdienste der sozialistischen Staaten einen großen Resonanzboden für seine Geschichten, die sogenannte »Systemauseinandersetzung« zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten, entzogen, so zeigte le Carré bald schon durch seine Beschäftigung z.B. mit dem nicht minder tödlichen Methoden der Pharmaindustrie und ihrer politischen Helfer im Roman »Der ewige Gärtner«, oder mit den Verquickungen und Kumpaneien zwischen den Geheimdiensten der westlichen Großmächte mit den Drogenbaronen und ihren Waffenhändlern in »Der Nachtmanager«, dass ihm nicht nur der Stoff keineswegs ausgeht, sondern zudem, dass er ein wacher und politisch Stellung beziehender, zuweilen sogar anklagender Literat und Weltbürger ist.

Sein Buch »Geheime Melodie« gehört nun eindeutig zur letzteren Sorte von le Carré-Krimis. In »Geheime Melodie« zieht es einen von einem britischen Missionar mit einer Afrikanerin gezeugten und in Zentralafrika geborenen Dolmetscher in sein Geburtsland zurück. Grund der Rückkehr ist der Einsatz für den britischen Geheimdienst, der ihn, da er viele der afrikanischen Sprachen und Dialekte perfekt sprechen und übersetzen kann, als Dolmetscher für eine Konferenz engagiert, auf der angeblich eine demokratische Friedensordnung für den Kongo abgestimmt werden soll. Bruno Salvador, so nennt le Carré seine Hauptfigur, lässt sich, ob dieses Zieles, gerne einspannen und übersetzt nicht nur auf der Konferenz, sondern horcht die Teilnehmer für den britischen Dienst aus. Der Einsatz bei dieser Geheimkonferenz hat für Salvo, wie Salvador in der Kurzform genannt wird, aber weit reichende Folgen bis hin zum Abtauchen in den Untergrund. Zurück lässt er dabei seine bürgerliche Existenz, seine hochfeinen Vorstellungen von Ästhetik und Lebensstil. Dafür nimmt er Dokumente von dieser Konferenz mit, die explosiv und hochgefährlich sind. Man braucht kein professioneller Agentenjäger zu sein um sich auszumalen, was unserem Helden geschehen kann. Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass ein Dolmetscher aus gutbürgerlichen britischen Verhältnissen, wenn auch durch Einsichten politisch radikalisiert, so schnell seine Naivität gegen den kalten Zynismus eines gewieften Untergrundkämpfers wird eintauschen können, dass ihm nichts zustoßen kann. Aber mehr sei von der Handlung auch nicht verraten.

John le Carré hat sich, wie immer in der Vorbereitung auf seine literarischen Stoffe, vor Ort umgesehen und recherchiert. Eine Reise in den Kongo führte ihn in das Grenzgebiet zu Ruanda. Dort erlebte er die Folgen der Gewalt und des Krieges, vor allem des Genozides an dem Volk der Tutsi wie auch der Gräuel durch Tutsi-Kämpfer, die auf ihrem Feldzug gegen geflohene Hutu-Milizen diese in den Kongo folgten und nun ihrerseits zu Gewalttätern wurden. Sein Resümee formulierte er so: »Die Wirklichkeit ist so überwältigend, dass alle Fiktion dagegen verblasst«.

»Geheime Melodie« ist kein Tatsachenbericht. Wohl ist dieser Roman sowohl ein gut konstruierter und spannend geschriebener Krimi als auch eine politische Anklage gegen die Politik einer englischen Regierung, die sich in einer Kontinuität ihrer kolonialen Vergangenheit weiterhin gegen die Interessen der Menschen in Afrika stellt und zugleich politische Anteilnahme heuchelt.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by List München

Skelett

Im endgültig letzten Roman der Reihe um den britischen Spezialagenten Tweed geht es wieder um die erfolgreiche Aufklärungsarbeit des unschlagbaren Geheimdienstmannes und seiner Helfer. Im Büro des Ermittlers herrscht Langeweile: ein Mitarbeiter raucht eine King-Size-Zigarette, ein anderer putzt seine Knarre, ein dritter gähnt aus dem Fenster, da wird ein neuer Fall geliefert, der natürlich nur von Tweed aufgeklärt werden kann.

Ein Mann hat offensichtlich einen Mord gesehen und ist darüber in tiefe Amnesie gefallen. Der vornamenlose Tweed und seine Assistentin Paula fahren zum Landsitz des Zeugen, der Mitglied einer einflussreichen Milliardärsfamilie ist. Es geht ins modrige Dartmoor, wo sie bereits bei ihrem ersten Spaziergang grausam verunstaltete Skelette finden, von denen große Stücke Fleisch abgelöst wurden. Außerdem stoßen sie auf eine geheimnisvolle unterirdische Waffenfabrik. Schon entspinnt sich eine zwar abenteuerliche, jedoch in sich leider vollkommen unlogische Geschichte.

Wie in den zahllosen früheren Tweed-Romanen reisen die Agenten durch halb Europa, wobei sie stets in den besten Häusern logieren. Sie hinterlassen eine Spur der Verwüstung, wobei ihnen selbst kein Haar gekrümmt wird, obwohl der weltbeste Serienkiller auf den Ermittler anlegt. Colin Forbes (1923-2006) vermittelt auch mit diesem Werk wieder den Eindruck, die Beschreibung der gerade besuchten Städte sowie seiner Kleidung hätten mehr Gewicht als die Handlung des Romans selbst. Insofern kann der Klappentext des Verlages, der Autor sei »als fanatisch Reisender bemüht, seine Handlungsschauplätze stets selbst zu besuchen«, auch als milde Warnung verstanden werden.

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Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Heyne München

Der Ritter

In einem Brief an seinen Bruder berichtet ein Junge, den es in die Welt von Mythgarthr verschlug, über seinen Werdegang zum Ritter. Sir Able of The High Heart nennt sich der junge Held, der langsam erwachsen wird und viele Abenteuer in unterschiedlichen Sphären wie Alfarin und Muspel erlebt. Sein Ziel ist, das magische Schwert Eterne zu finden, um damit ein richtiger Ritter zu werden. Mit einem riesenhaften Wolfshund und einer magischen Katze sowie weiteren geheimnisvollen Gefährten besteht er Abenteuer, die ihn schließlich in das Reich der Frostriesen führen. Dort führt er gegen den Drachen Grengarm einen Kampf auf Leben und Tod …

In seltsam subtilem Stil erzählt der in seinem Sprachraum hoch gelobte Autor die Geschichte seines jungen Helden. Der Leser zieht an Sir Ables Seite durch die Ereignisse, um immer wieder festzustellen, dass viel geschieht, ohne dass es explizit beschrieben wird. Mit der lapidaren Art, mit der Schlachten und Kämpfe als selbstverständlich angesehen, aber eben nicht geschildert werden, soll der Leser angeregt werden, sein Phantasie zu benutzen. Das unterscheidet den Autor klar von den gängigen Fantasy-Schreibern, denen das Blut literweise aus der Feder tropft. Die ersten zweihundert Seiten des Bandes wirken leider wenig zusammenhängend, erst allmählich kristallisieren sich Handlungsstränge heraus, denen es zu folgen lohnt. Natürlich gibt es jede Menge Ungeheuer, Zauberschwerter, Drachen, Riesen, Questen, es geht auch um Liebe, Ehre und Edelmut — all die vertrauten Elemente des Genres werden berücksichtigt und eingewoben

Der Briefroman ist leserfreundlich in viele kleine Kapitel geteilt. Ausgesprochen billig wirkt allerdings, dass lediglich vier Vignetten geschaffen wurden, die sich endlos wiederholen … wobei diese Unsitte zu allem Überfluss auch noch im zweiten Band der Geschichte fortgesetzt wird …


Genre: Fantasy
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Der Zauberer

Im Kampf gegen den Drachen Grengarm ist Sir Able of The High Heart gefallen und wird in den Götterhimmel Skai aufgenommen, wo er lange Zeit verbringt. Doch er sehnt sich nach seiner geliebten Prinzessin Disiri, deren Ritter er ist. Auf seine Bitten entlässt ihn der Walvater noch einmal nach Mythgarthr. Ihm wird allerdings das Gelübde abgenommen, von den zauberischen Fähigkeiten, die er inzwischen erlangt hat, keinen Gebrauch zu machen.

Sir Able trifft auf eine Welt, die in Auflösung begriffen ist. Die Frostriesen greifen an, und ein Drache aus Muspel will das Land unter seine Kontrolle bringen. Der inzwischen zum Mann gereifte Junge tritt wieder als einfacher Kämpfer den Gefahren entgegen, allerdings hat er jetzt eine Erfahrung und einen Hintergrund, der ihm zum Vorteil gereicht. Außerdem hat er Freunde und Getreue, deren Schicksalsfäden bereits im ersten Band gesponnen und nun wieder aufgenommen werden.

Der zweite und letzte Band der Geschichte aus Mythgarthr ist ebenfalls als Brief des Helden an seinen Bruder Ben verfasst. Er knüpft nahtlos an die Geschehnisse des ersten Buches an und rundet die Geschichte zu einem Fantasy-Werk der besonderen Art.


Genre: Fantasy
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Der mystische Masseur

In seinem ersten Roman erzählt der mittlerweile auch im deutschen Sprachraum bekannte westindische Autor die witzig-melancholische Geschichte von Ganesh, dem großen Heiler von Trinidad, und liefert das satirische Porträt eines Dorfes, das den ungewöhnlichen und überraschenden Aufstieg eines gescheiterten Lehrers staunend begleitet. Der Protagonist versucht sich als Masseur, und er schreibt ein Büchlein über den Hinduismus. Leider ist er weder als Therapeut noch als Buchverkäufer erfolgreich. Doch Ganesh hat Phantasie, und die setzt er bei der Behandlung eines von einem bösen Dämon besessenen Kindes ein. Er wird zum »mystischen Masseur« und Erfolgsautor und landet schließlich sogar in der großen Politik.

Naipaul schafft mit seinem satirisch reflektierenden Roman ein wundervolles Werk auch über die Rolle des Autors, den Stellenwert des Buches, die Bedeutung von Titelblatt, Aufmachung, Umfang und Widmung sowie über den Sinn, den eingeschlagenen Kurs festzuhalten und an sich selbst zu glauben. Diese Auffassung hat zumindest dem Autor, der 2001 den Literatur-Nobelpreis bekam, geholfen und ihn weit gebracht.


Genre: Romane
Illustrated by List München

Manufactum

»Das ist doch voll die 68er-Verarsche«, tönt meine nichtsnutzige Nichte und tanzt um mich herum. Derweil blättere ich im neuesten Manufactum-Katalog und schreibe mit leuchtenden Augen eine lange Wunschliste. »Das ist echte Markenqualität«, gebe ich beleidigt zurück und versenke mich in die Lektüre. Tatsächlich scheiden sich am Angebot des Edelversenders die Geister und dokumentieren zugleich die sich wandelnde gesellschaftliche Einstellung zu Gebrauchs- und Verbrauchsgütern.

»Es gibt sie noch, die guten Dinge«, behauptet der Waltroper Versandhändler Manufactum, der seinen umfangreichen Katalog regelmäßig hunderttausenden Haushalten zuschickt und erfolgreich sieben Warenhäuser betreibt. Das Unternehmen bietet rund 4500 verschiedene, solide gefertigte Waren an, die aus Handwerksbetrieben, Klöstern und Traditionsbetrieben stammen.

Viele der Katalogbilder erinnern an Gegenstände, die unsere Großeltern gern gebrauchten und inzwischen auf Flohmärkten gelandet sind. Es handelt sich um klassische Küchengeräte, Werkzeuge, Büroartikel, Möbel, Lampen, Heimtextilien, Bekleidung, Schuhe, Taschen, Lederwaren, Pflegemittel, Gartenartikel und Spielsachen. Alles ist materialgerecht, langlebig, reparabel und weitgehend umweltverträglich. Das Unternehmen bemüht sich, alte Apfel- und Kartoffelsorten zu rekultivieren, und es verschafft Betrieben mit ausgefallenen Produkten eine Vertriebschance. Im Fluss der Zeit vergessene Materialien wie Bakelit, Gusseisen, Filz und Pappe werden ebenso exhumiert wie untergegangene Naturprodukte, Stoffe, Lebensmittel und Gewürze.

Der neueste Katalog ist ein knapp 400 Seiten starkes Nachschlagewerk versunkener Schätze: von »Abflusssieben« bis zu »Zylinderknopfnadeln« gibt es beinahe alles. Schon allein durch seinen Umfang wird der Warenatlas zum reich bebilderten Geschichtswerk und bietet eine Reise durch die jüngere Vergangenheit unseres Kulturkreises. Ältere Ausgaben des elegant aufgemachten Prospektes werden inzwischen selbst als Kultobjekte gehandelt. Das Katalogbuch ist Gegenstand wissenschaftlicher Analysen, die »Süddeutsche Zeitung« setzte ihn auf Platz zwei der wichtigen zeitlosen Ratgeber.

Die Welt von Manufactum fasziniert, denn es gibt für jeden Bereich nützliche und weniger nützliche Produkte. Lediglich die teilweise extrem hohen Preise bremsen mich bislang, bei der feinen Adresse in Kaufrausch zu fallen, wenn es gilt, die Wohnwelt aufzupeppen. Meine erste Anschaffung aus dem Waltroper Handelshaus war entsprechend preiswert, und ich halte sie heute noch in Ehren: der seit 1947 in der Schweiz produzierte Kartoffelschäler »Rex« aus Edelstahl ist das beste Produkt seiner Art und kostet nur 1,70. Es ist der Geräteveteran meiner Küche, und ich habe mich wirklich erst ein paar Mal daran geschnitten!

Das jacken- und hosentaschentaugliche Notizbuch »Kompagnon« diente schon Bruce Chatwin und anderen Literaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Aufzeichnung von Beobachtungen und Notizen. Solche Tradition verspricht dem Erwerber Erfolg! 192 fadengebundene Seiten aus tintenfestem Papier, Lesebändchen, Gummizug zum Verschließen, eine Einstecktasche im Deckel, ein vinylbeschichteter Einband und — wirklich wichtig — eine Stiftlasche zum Einstecken eines Schreibgerätes ist für nur 8,50 ein nützliches Geschenk für jeden, der schreibt.

Widerstanden habe ich bislang der Anschaffung von Omas Kolbenfüller zum Preis von 660,00. Mein betagter »Pelikan« von 1965 kleckst heute noch so gut wie vor vierzig Jahren und wird folglich ungern benutzt. Auch zur mechanischen Schreibmaschine »Olympia« habe ich trotz des Schnäppchenpreises von 540,00 ein gespaltenes Verhältnis. Ich erinnere mich gut der grauen Zeiten, in denen jeder Brief und jede Manuskriptseite einzeln getippt und mit Hilfe von schmierigem, nachtblauem Kohlepapier durchgeschrieben werden musste. Zudem fehlt ein Teil der beschworenen Nostalgie: Manufactum bietet kein Durchschlagpapier an. Sicherheitsabstand halte ich schließlich auch zur Bücherwand »Shannon«, nachdem ich überschlug, dass die entsprechende Umquartierung meiner Bibliothek mehr als zwanzigtausend Taler plus endlos viele Arbeitsstunden kosten würde. — Da investiere ich lieber in Inhalte als in Optik.

»Form follows function«, lautet einer der Grundlehren der Gestaltungskunst. Dinge, die lediglich als schöne Schauobjekte dienen, haben meist geringen Gebrauchswert. Fakt ist aber, dass wir überschüttet werden mit Hochtechnologie, die teilweise nur nach der Lektüre voluminöser Bedienungshefte benutzt werden kann. Entsprechend schwierig ist der Umgang mit Geräten des täglichen Bedarfs geworden. »Plug and Play« steht längst als Werbewitz. Glücklich, wer einen Freund bitten kann, das neue WLAN-Netz, den günstig erworbenen DVD-Rekorder, das ultramoderne MMS-Handy oder die Digitalkamera in Gang zu setzen und zu programmieren.

Konsequent entwickelt sich eine neue Zielgruppe, die elektronisch abrüsten möchte. Man mag sie als »Manufactum-Klientel« beschreiben — Menschen, die Gebrauchsgegenstände ohne überflüssigen Zusatz wollen. Es sind Verbraucher, die lieber einen von den in Pennsylvania siedelnden Amish-People produzierten mechanischen Handquirl nutzen als eine blitzmoderne Kitchen-Aid-Maschine. Gerade für eine alternde Gesellschaft ist es wichtig, dass die Geräte auf das Nötigste reduziert sind und keine sinnlosen Funktionen haben. Damit öffnet sich ein neuer Markt für diejenigen, denen die sprunghafte technische Entwicklung ein Gräuel ist, und die ihre technikfeindliche Haltung auch gern ideologisch abfedern. Der Händler im Retro-Look bedient folglich vorwiegend Kunden mit gehobenem Einkommen ab 45+. »Best Ager« werden sie im Kastendenken der Werbewirte in jüngster Zeit genannt.

Meiner Nichte ist es schnuppe, ob Olivenöl von grauhaarigen Mönchen in unzugänglichen Einsiedeleien mit nackten Füßen ausgepresst wird oder aus einer voll automatisierten spanischen Fabrik stammt; Preis und Vorhandensein im Regalsystem der Discounter bestimmen ihr Kaufverhalten. Insofern ist mir ihre Meinung nachvollziehbar, das Interesse an teuren Qualitätsprodukten sei ein Hobby alter Säcke mit zu viel Zeit und Geld. Deshalb sei der Katalog auch eine geniale Möglichkeit, die Generation der sonst so kritisch eingestellten Alt-68er in Bann zu schlagen.

Mich ficht die Meinung des Backfischs wenig an, denn auch in diesem Fall verhält sich die Wahrheit wie der Mond: manchmal verschwindet sie hinter den Wolken. Der Mythos der guten, alten Dinge jedenfalls bleibt bestehen. So stöbere ich weiter mit kindlicher Freude in dem Werk und träume von goldenen Zeiten.


Genre: Kataloge
Illustrated by Manufactum Waltrop

Shadowmarch 1 • Die Grenze

Garstige Lindwürmer überqueren die Grenze, grimmige Vögel mit Eisenschnäbeln schlagen Schafe, und graue Reiter legen im Auftrag des blinden Qar-Königs Ynnir ein geheimnisvolles Findelkind in der Südmark ab, über die König Olin Eddon dynastisch herrscht. Das ausgesetzte Kind wird von Chert und Opalia aufgenommen, einem Ehepaar vom Zwergenvolk der Funderlinge, das im Feld unter der Burg lebt. Sie nennen das geheimnisvolle Findelkind Flint. Weiterlesen


Genre: Fantasy
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Talk Talk

Fast ist es ein Tag wie jeder andere. Dana Halter, gehörlose Lehrerin aus San Roque in Kalifornien, kämpft morgens mit den Hindernissen des Alltags. Außerdem hat sie einen Termin bei ihrem Zahnarzt. Sie ist nervös, sie ist in Eile und möglicherweise wird sie zu spät kommen. Gerade ist sie mit dem Auto losgefahren, sie fährt sehr schnell, da gerät sie in eine Polizeikontrolle. Mit einem nervösen Lächeln und einer Ausrede versucht sie, den Polizisten gnädig zu stimmen. Das funktioniert aber nicht. Stattdessen wird Dana in Gewahrsam genommen und kommt ins Gefängnis. Sie wird verhaftet und unter Anklage gesetzt. Nach Meinung der Polizei und der Staatsanwaltschaft werden ihr zahlreiche Verbrechen zur Last gelegt. In verschiedenen Bundesstaaten der USA sind Straftaten, wie Betrügereien und Autodiebstähle, von einer Person mit dem Namen Dana Halter begangen worden.

Mit Hilfe ihres Freundes Bridger und einer Anwältin gelingt es, ihre Unschuld und ihre wahre Identität zu beweisen. Zwischenzeitlich ist sie auch noch ihren Arbeitsplatz losgeworden und deshalb hat sie nur noch ein Ziel, zusammen mit Bridger den Mann zu finden, der sich auf ihre Kosten ein angenehmes Leben macht.

T.C. Boyle gab vor Jahren mit seinem wundervollen Afrikaroman »Wassermusik« ein hervorragendes Debut und hat sich in der Zwischenzeit erfolgreich den amerikanischen Lebensweisen und den Lebensspuren der Hippies sowie eines Mister Kellog und eines Dr. Sex gewidmet.
Das Buch ist spannend erzählt und Freunde von T.C. Boyle werden an »Talk Talk« ihre Freude haben.


Genre: Romane
Illustrated by Carl Hanser München

Schüsse mit Empfangsbescheinigung

Seit 1985 erscheint in dem italienischen Wochenmagazin »L´Espresso« jeweils auf der letzten Seite eine Kolumne von Umberto Eco. Diese Kolumne behandelt alle möglichen (und scheinbar unmöglichen) Themen. Es sind auch politische Fragen, über die Eco resoniert, aber viel häufiger entstammen die Themen der Alltagswelt. Die Kolumne trägt den Titel »Bustina di Minerva« und Eco selbst hat bisher zweimal eine Auswahl seiner »Streichholzbriefe« bezeichneten Texte veröffentlicht. Nun ist eine dritte Auswahl, zusammengestellt von seinem deutschen Übersetzer Burckhart Kroeber, im Hanser Verlag unter dem Titel „Schüsse mit Empfangsbescheinigung“ erschienen.

Was aber sind »Streichholzbriefe«, was ist eine »Bustina di Minerva«? — Wer könnte auf diese Frage kompetenter antworten als der Autor selbst. In der Einleitung zu seiner letzten Auswahl an »Streichholzbriefen« schrieb Eco: »Der Titel `Bustina di Minerva´ bezieht sich auf jene kleinen Streichholzhefte, die von der Firma Minerva hergestellt werden, und auf die Tatsache, dass man sich auf der Innenseite des Deckels oft Telefonnummern notiert, Einkaufslisten anlegt oder auch (wie ich) eben festhält, was einem gerade durch den Kopf geht, während man im Zug unterwegs ist, in der Bar oder im Restaurant sitzt, Zeitung liest, ein Schaufenster betrachtet, in den Regalen einer Buchhandlung stöbert. Daher hatte ich von Anfang an festgelegt, dass ich, falls es mir eines Abends aus ganz persönlichen Gründen einfallen sollte, über Homer nachzudenken, darüber schreiben würde, auch wenn Homer nicht gerade die Titelseiten der Zeitungen füllt. Wie man sieht, habe ich es oft so gehalten, mit oder ohne Humor.«

Die Auswahl, die Kroeber nun vorstellt, ist komplett frei von politischen Texten. Eco macht sich in diesen erstmals im deutschen nachzulesenden Texten Gedanken über die immerwährende kulturpessimistische Frage, ob das Buch, ob das Lesen überhaupt noch eine Zukunft habe und schreibt »Vom Lesen im Bett«. Er echauffiert sich über »Leibffreudige Katholiken und bigotte Laien« ebenso wie über »Diebstähle mit Pfiff«. Oder er beschäftigt sich mit der Frage, warum Hacker — auch gegen den eigenen Willen — systemerhaltend wirken:

»Die jüngsten weltweiten Virenanschläge aufs Internet dürfen uns nicht wundern. Je komplizierter eine Technik ist, desto angreifbarer wird sie. In einer niedrig fliegenden Propellermaschine war es ein leichtes, mit einem Flugzeugentführer fertig zu werden: Man machte die Tür auf und warf ihn hinaus. In einer interkontinentalen Düsenmaschine kann auch ein Irrer mit einer Schreckschusspistole alle in Schach halten. (…) Wer hat Zeit, vierundzwanzig Stunden am Tag die neuen Möglichkeiten seines Computers zu studieren? Die Hacker, eine neue Art von Eremiten, die den ganzen Tag mit (elektronischer) Meditation verbringen. (…) Dabei kann es sein, daß viele von ihnen glauben, im „Geist von Seattle“ zu handeln, das heißt, sich dem Moloch der Globalisierung entgegenzustemmen. In Wahrheit sind sie jedoch die besten Kollaborateure des Systems, denn um sie zu neutralisieren, muß das System sich immer mehr und immer noch schneller erneuern.«

Eco beschäftigt sich mit Sprache, er ist Professor für Semiotik. Ecos Texte sind eine wahre Lesefreude. Sie sprühen vor Eloquenz und sind zugleich selbstironisch. Wer von diesem Professor aus Bologna seziert wird, weiß am Ende nicht, ob er weinen oder lachen soll. Die Leserinnen und Leser sind sich einig: Sie freut´s.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Carl Hanser München

Babettes Fest

Sie kennen das Buch? Sind Sie sicher? Oder kennen Sie vielleicht die (sehr gute) Verfilmung dieser Geschichte durch den dänischen Regisseur Gabriel Axel? Dann kennen Sie die Handlung — aber Sie kennen das Buch nicht. Das aber sollten Sie unbedingt kennen lernen.

Die Geschichte der französischen Köchin Babette, die nach der Zerschlagung der Pariser Kommune nach Norwegen flieht, für zwölf Jahre die Haushälterin zweier asketisch in einer streng protestantischen Dorfgemeinschaft lebenden Schwestern ist, kann schnell erzählt werden. Aber die Geschichte ist doch so reich, wie die Handlung scheinbar schlicht ist. Die Französin blieb für diese zwölf Jahre in der norwegischen Einöde durch ein Lotterie-Los mit ihrer Heimatstadt Paris verbunden. Dieses Los verhilft ihr nun nach all den Jahren zu einem stattlichen Gewinn von 10.000 französischen Francs. Babette lädt aus diesem Anlass die Schwestern und die gesamte asketische Protestantengemeinde zu etwas für diese Menschen schier Unbeschreiblichem ein: zu einem französischen Dîner. Und sie kocht meisterlich. In die Kälte und Öde des norwegischen Dörfchens und in die Askese seiner Bewohner bricht etwas Warmes, Reiches und zutiefst Sinnliches ein: ein kulinarisches Fest auf höchstem Niveau. Die Einwohner ihrerseits ahnen schon kurz nach der Einladung zum Essen Böses und schwören sich gegenseitig darauf ein, den Abend furchtbar zu finden und der Versuchung und der Sünde nicht nachzugeben. Daraus wird nichts. Aus Ablehnung wird Skepsis, diese verwandelt sich im Verlaufe des Abends und im Fortgang der Gänge des Menüs in Seeligkeit und Glück. Etwas Neues, Fremdes hat Einzug gehalten — und hat alles verändert.

Das Buch hat 80 Seiten. Lesen Sie es an einem Nachmittag, an dem Sie Ruhe haben. Trinken Sie einen guten Tee oder Kaffee dabei. Die Lektüre dauert nicht lange — aber sie sollte in einen Abend münden, an dem Sie sich etwas Schönes gönnen. Und sei es ein wunderbares Essen — aber nicht allein! Auf jeden Fall werden Sie nach der Lektüre das Textzitat, das auf der Rückseite des Buches steht, verstehen: »Diese Frau verwandelt ein Dîner im Café-Anglais in eine Art Liebesaffäre — eine Liebesaffäre von der edlen, romantischen Sorte, wo man nicht mehr unterscheidet, was körperliche und was geistige Begierde und Sättigung ist.«


Genre: Romane
Illustrated by DVA München

Mit brennender Geduld

Es ist für leidenschaftliche Leserinnen und Leser eine gewisse Herabwürdigung ihrer Lektüre, wenn ein Buch als »Buch zum Film« gehandelt wird. Wenn allerdings die Verfilmung eines literarischen Stoffes sowohl ästhetisch gelungen ist, und sie zudem dem Buch zu Aufmerksamkeit und zu weiteren Lesern verhilft, dann sollte man alles Beleidigtsein vergessen und sich freuen, dass der Text womöglich neue Freunde gefunden hat.

Mit diesem Literaturtipp verhält es sich leider noch nicht einmal so. Und dabei waren alle Voraussetzungen erfüllt: eine wahrhaft kongeniale Verfilmung mit zwei herausragenden Schauspielern in den Hauptrollen, Phillip Noiret und der leider nach den Dreharbeiten verstorbene Italiener Troisi. Der Name des Filmes lautet »Il Postino — der Postmann«. Das Buch, dem dieser Film zugrunde liegt trägt den Titel »Mit brennender Geduld« und wurde von dem chilenischen Schriftsteller Antonio Skármeta verfasst. In diesem Buch schildert Skármeta die Geschichte des Postboten Mario Jiménez und des chilenischen Dichters Pablo Neruda. Jiménez bringt Neruda täglich seine Post und mit einem Gedicht, das er dem Dichter abringt, bezirzt er seine Liebste. Es ist eine Geschichte über die Poesie und die Kraft der Dichtung. Es ist zugleich eine Geschichte aus der jüngeren Historie Chiles und seiner Menschen. Eine Erzählung über die Emanzipation der »kleinen Leute«, über Putsch und Exil. Aber es ist vor allem eine zutiefst emotionale Erzählung, die auf knapp 140 Seiten mit einer eindringlichen und poetischen Sprache fesselt und sehnsüchtig macht — auf mehr Poesie.

Das Buch hat es in Folge des wunderschönen und unbedingt sehenswerten Filmes leider nicht zu großer Auflage geschafft. Aber es ist erhältlich — und das ist heute doch schon etwas wert. Zumindest für die, die sich auf dessen Lektüre freuen dürfen.


Genre: Romane
Illustrated by Piper Malik Kabel München

Andrea Camilleri, Mein Leben

Er hat weltweit Millionen begeisterte Leserinnen und Leser. Seine Romanfigur, der sowohl kriminalistisch wie kulinarisch begabte Kommissar Salvo Montalbano, ist mittlerweile fast Kult. Dass sein Schöpfer diesem sizilianischen Quadratschädel zugleich einiges an Spitzbübigkeit mitgab, hat vielleicht zu dem in der Welt der Literatur einmaligen Ereignis geführt, dass eine Romanfigur seinen Schöpfer anruft, um ihm die Kündigung anzudrohen. Wir sprechen natürlich von Andrea Camilleri. Als dieser an eine Erzählung arbeitete, die »ein bisschen à la Hannibal Lector« sein sollte, verhält sich Montalbano, »der in dieser Geschichte ermittelt, an einem bestimmten Punkt wie folgt: Anstatt pflichtgemäß die Pistole zu zücken, macht er kehrt, fährt zu einer Telefonzelle und ruft einen alten Herrn in Rom an, der zu nächtlicher Stunde Geschichten schreibt: `Hör zu Camilleri, wenn du weiterhin ein solches Zeug schreiben willst, dann mach es, aber ich will damit nichts zu tun haben.´ Und Montalbano weigert sich, die Ermittlungen fortzusetzen.«

Camilleri erzählt diese Episode dem Journalisten Saverio Lodato, der aus einer Reihe langer und intensiver Gespräche mit dem sizilianischen Autor dessen Leben mehr dokumentiert, als dass er es schildert. Lodato hatte 2001 den Auftrag für die kommunistische Tageszeitung »L´Unita« ein Interview mit Camilleri über dessen Auffassungen zur sizilianischen Mafia zu führen. Nach dem Interview entwickelte sich ein umfangreicher Dialog zwischen den beiden. In mehreren Gesprächen erzählte der zur Zeit wohl erfolgreichste und bekannteste italienische Autor Lodato Episoden aus seinem Leben. Und glücklicherweise erkennt Lodato die besondere Qualität des Erzählens. Er beschließt, aus diesem Material keinen eigenen Text zu erstellen, sondern diese Gespräche zu dokumentieren. »(…) Camilleris ungetrübten Erzählduktus zu bewahren, und (habe) mich darauf beschränkt, ein sehr weit reichendes Themenmaterial auf einige simple Leitfäden für die Marschrichtung einzustellen. Ich wollte, daß der Leser auf gewisse Weise die `Stimme´ Andrea Camilleris genauso hört, wie ich sie vernommen habe«, schreibt er in seinem Vorwort. Ein größeres Geschenk hätte er seinen Lesern nicht machen können. Camilleri ist — seine Fans wissen es — ein ausgezeichneter Erzähler. Beim Lesen dieses Buches schleicht sich Neid ein. Gerne würde man ihn nicht nur lesen, sondern ihm auch zuhören dürfen.

»Andrea Camilleri, Mein Leben« ist eine Sammlung von Geschichten, die vom Beginn des Faschismus in Italien bis zur Hybris der Berlusconi-Jahre reichen. Es ist kein im eigentlichen Sinne politisches Buch. Die erste Hälfte handelt vor allem von Camilleris Kindheit und Jugendzeit. Hier schildert er aus dem Leben seines Vaters, er berichtet von der Faszination des Meeres. Beides entfaltet bis heute eine große Wirkung auf Camilleri. Geruch und Geschmack der Kindheit werden lesend lebendig und machen nicht nur im übertragenen Sinne Appetit auf die folgenden Kapitel seines Lebens.

Camilleri erzählt natürlich auch von seiner Arbeit. Wir erfahren, dass die Piazza von Porto Empedocle, seinem Heimatort, die Geburtsstadt der fiktiven Romanstadt Vigata ist. Wir hören tatsächlich, lesend, vielen Geschichten zu. Keine ist zu klein, um sie auszulassen, nicht eine ist unwichtig im Zusammenhang des langen Lebens, das Camilleri schon hat leben dürfen. Andrea Camilleri wurde 1925 geboren. Mehr als sein halbes Leben lang hat er in der italienischen Filmindustrie gearbeitet, war Regisseur, Drehbuchautor. Schriftsteller ist er erst im Herbst seines Lebens geworden. Die Gespräche in Lodatos Buch zeigen, wie gut die Reife des Lebens seiner Literatur getan hat.


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Piper Malik Kabel München

Maria, ihm schmeckt´s nicht

Italien ist spätestens seit Goethes »Italienische Reise« in Deutschland nicht nur literarisch ein Dauerbrenner. Nichts ist verkaufsfördernder in unseren Gefilden, als ein wenig »Italianitá«. Wer bestellt schon gerne »Kalbsrouladen«, wenn »Involtini di manzo« im Angebot sind. Und wehe dem Gastwirt, der ein Rehgoulasch als das bezeichnet was es ist, Goulasch eben, und nicht mindestens ein »Sugo vom Reh« daraus macht. Auch ein Neuwagen aus Wolfsburg, München, Ingolstadt oder sonst woher, verkauft sich einfach besser, wenn er vor der Kulisse von Amalfi fotografiert wurde statt vor einem Sonnenuntergang in der Lüneburger Heide.

Aber gerade weil das so ist, geht man natürlich erst einmal ein wenig auf Distanz, wird einem ein Buch angeboten, dass so viel italienischen »Lifestile« schon im Titel führt: »Maria« lautet unweigerlich das erste Wort. Dabei geht es nicht nur um italienische Frauen, sondern gleich um eine ganze Sippe. Vor dem geistigen Auge der Leserin und des Lesers spielen sich Szenen von rauschenden italienischen Festen ab, von wahren Pasta-Orgien, singenden Gondoliere und viel Herzschmerz, Vino, Urlaub, Robert de Niro, Al Pacino …

Um eines vorweg zu nehmen: Die Skepsis ist ganz und gar ungerechtfertigt. Die Geschichten in diesem Buch werden uns vom Autor in der Ich-Form erzählt. So sehr dieses Buch auch ein Roman ist, uns also in Geschichten entführt, die sich zumindest nicht eins zu eins so ereignet haben, so sehr spürt man doch beim Lesen das, was Jan Weiler in seinem Vorwort schreibt: »Es ist ein Roman über die Wirklichkeit (…)«.

Das Buch beginnt (wie sonst sollte ein Deutscher Aufnahme in eine italienische Sippe finden) vor der Tür des potentiellen Schwiegervaters seiner Angebeteten. Mit Blumen bewaffnet und bar jeder Vorstellung von dem, was ihn auf den folgenden über 260 Seiten erwartet, klopft er an die Tür eines Reihenhauses am Niederrhein. Der Papa jener Familie, in die er einzuheiraten gedenkt, gehört zur ersten »Gastarbeiter«-Generation, wie die Hunderttausende von Menschen, die Anfang der 60er Jahre in die Bundesrepublik zur (Hilfs-)Arbeit angeworben wurden, so merkwürdig verharmlosend-ablehnend genannt wurden. Im Moment, in dem unser »Held« die Schwelle des Hauses der Familie Marcipane überschritten hat, ändert sich viel für ihn. Er durchlebt auf den folgenden Seiten nicht mehr und nicht weniger als eine Transformation vom »Fremden« zum »Schwiegersohn«, oder wie sein Schwiegervater Antonio (wie sollte er auch sonst heißen!) ausruft: »Meine Sohn, ich habe eine Sohn! Wirste du sehen, du haste einhe neue Vater. Dasse muss gefeierte werde. Ursula, habbe wir Spumante?«

Klar, dass nach der Hochzeit die nicht kleine Zahl von Verwandten in Süditalien besucht werden muss. Und hier vollzieht sich dann vollends die Eingemeindung des deutschen Schwiegersohnes in eine ihm fremde Kultur. Diese Kultur lernt er ebenso schnell lieben, wie er einzelne aber unverzichtbare Teile davon fürchtet. Vor allem, wenn ihm die Fürsorglichkeit der italienischen Mama in Bezug auf ausreichende Ernährung zuteil wird:
»Möchtest du noch von dem Schinken?«
»Nein danke. Ich bin satt.«
»Es schmeckt dir nicht.«
»Doch, doch, es war toll, aber ich kann nicht mehr. Wirklich.«
»Maria, ihm schmeckt´s nicht.«
»Doch, doch, es schmeckt vorzüglich.«
»Na, danniss doch noch was.«
«Gut, ich, äh, esse vielleicht noch etwas Käse.«
»Na also. Und eine bistecca?«
»Um Himmels willen, nein danke. Ich kann nicht mehr.«
»schmeckt´s nicht?« (…)

So realitätstauglich dieser Dialog ist, so schön diese nicht wenigen witzigen Erlebnisse auch erzählt werden, so wenig lässt es Jan Weiler damit bewenden. Sein Buch handelt nicht nur von den für helles Auflachen und Schenkelklopfen geeigneten Momenten des italienisch-deutschen Verhältnisses. In einem Kapitel reist der »liebe Jung« mit seinem Schwiegerpapa Antonio allein nach Italia. Dort erzählt ihm Antonio die Geschichte seines Lebens, von den Bubenstreichen in Campobasso, der Fremdheit als Sproß eines zugereisten Sizilianers, seiner Sehnsucht nach Amerika, die ihn allerdings statt nach New York lediglich bis an den Niederrhein führte. Und dieses Kapitel ist es, das aus der Sammlung schöner, lustiger, herzlicher und teilweise skurriler Geschichten ein Buch macht, das mehr ist, als die flott geschriebene Befriedigung deutscher Sicht auf italienische Marotten oder sentimentaler italienischer Selbstbeschreibung des Lebens in der Emigration.

Jan Weiler war von 2000 — 2005 Chefredakteur des Magazins der »Süddeutschen Zeitung«. Seine Frau ist tatsächlich Italienerin. Mit ihr und zwei Kindern lebt er heute als freier Schriftsteller in der Nähe von München, der sicherlich italienischsten Stadt Deutschlands. Ob sein Schwiegerpapa Antonio heißt, wissen wir nicht — das ist aber auch nicht so wichtig. Dieses Buch ist eine Wohltat in jeder Beziehung. Zunächst einmal ist dies ganz körperlich gemeint: Die Lektüre ist Intensivtraining für das Zwerchfell. Es sollte nicht im Bett gelesen werden — zumindest dann nicht, wenn der Partner oder die Partnerin schon zu schlafen gedenkt. Sie werden ihn oder sie ständig durch lautes Gewiehere wecken. Zum anderen sind die Geschichten eine sprachliche Wohltat, weil sie flüssig geschrieben aber beileibe nicht banal sind. Und schließich tut das Buch auch deswegen gut, weil es ganz grundsätzlich Lust macht, weiterzulesen.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Ullstein Berlin

Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch

Als Manuel Vazquez Montalban 2003 unerwartet starb, hinterließ er nicht nur die in Deutschland recht bekannte Reihe von Kriminalgeschichten rund um den katalanischen Privatdetektiv Pepe Carvallo. Sein Oeuvre ist geradezu ausufernd. Es umfasst Romane, Kurgeschichten, Erzählungen, Essays und politische Kommentare. Davon sind in Deutschland seine wichtigsten Romane und Geschichten übersetzt und bekannt. Vieles aber gilt es noch zu entdecken. Dafür bedarf es der Entscheidung seiner deutschen Verlage, Wagenbach und Piper, diese auch dem deutschen Publikum bekannt zu machen.

Immerhin hat nun der Wagenbach-Verlag eine der schönsten Geschichten von Vazquez Montalban wieder auf den Markt gebracht. Das Buch, von dem hier die Rede ist, erschien erstmals 1997 in deutscher Sprache (in der wunderschönen SALTO-Reihe des Wagenbach Verlages), war nach nicht allzulanger Zeit ausverkauft und bis vor kurzem nur noch antiquarisch zu bekommen. Wie dem auch sei. Seien wir froh darüber, dass wir es nun an dieser Stelle wärmstens der geneigten Leserin und dem neugierigen Leser empfehlen können, denn sie können dieses Buch wieder in Ihrer Buchhandlung bekommen.

Die Erzählung führt uns einen »Weihbischof im Wartestand«, wie der Autor so schön formuliert, vor Augen. Und dieser Ex-Geistliche findet sich selbst in eine mehr als unangenehme Situation versetzt, nämlich in die Rolle des Robinson, des Schiffbrüchigen. Kein »Freitag« ist weit und breit zu finden und auch die praktischen Kenntnisse, mittels derer sich auf einer einsamen Insel das Überleben organisieren ließe, fehlen dem Segelbootbegeisterten Ex-Bischof. Das macht die Situation für ihn kompliziert, für den Leser umso interessanter. Wenn dem Schiffbrüchigen auch technische Kenntnisse fehlen, so ist doch seine kulinarische und literarische Bildung umso profunder. Und nichts animiert das kulinarische Gedächtnis so sehr, wie eine solche Situation: gestrandet, Durst, Hunger und kein Restaurant in Sicht. Noch nicht einmal Notproviant ist vorhanden. Was sich derweil am Horizont abzeichnet, ist eine im Meer treibende, sich der Insel nähernde Kiste Stockfisch. Und nun wird man lesend staunen, was dem gestrandeten Genießer so alles in das Gedächtnis kommt angesichts dieser Kiste Stockfisch.

Manuel Vazquez Montalban präsentiert mit dieser Geschichte eines seiner unterhaltsamsten Werke. Lesefreude pur.


Genre: Romane
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin