Die Bluträcherin

Ein neuer Colt, eine neue Winchester, und der Besuch einer bezaubernden Lady: Kann sich Al Thomas, der Sheriff von Alamosa mehr wünschen?

Doch Jennifer “Jenny” Parker stattet Sheriff Al keinen Höflichkeitsbesuch ab. Sie kommt von Fort Garland und will in Alamosa County das Amt für Indianerangelegenheiten führen. Jemand verkauft den Yuta-Indianern, die in der Gegend leben, Waffen und Munition. Vor allem Spencer-Gewehre. Schon etwas älter und nicht ganz so gut wie eine Winchester, aber immer noch tödlich genug.

Jenny will den Waffenhändlern auf die Schliche gekommen, und sie hat auch noch höchst persönliche Motive, sich an den Verbrechern zu rächen. Dabei ist die Methode der Dealer simpel: Für jedes alte Gewehr, das sie den Indianern billig verkaufen, können Smith & Wesson, Colt oder Winchester drei neue Waffen für teures Geld an die Siedler verkaufen, die Angst vor Indianerüberfällen haben.

Berichte von Indianer-Überfällen schrecken die Siedler. Die Indianer haben unter anderem Ranches und Farmen angegriffen, außerdem zwei Postkutschen und einen Siedlertreck überfallen. Ein Kavallerieschwadron wollte daraufhin für Ruhe sorgen, doch die Soldaten gerieten in einen Hinterhalt. Von 150 Mann überlebten nur 67. Es gelang ihnen gerade einmal, zwölf der Angreifer zu töten, bevor die sich zurückzogen. Es waren Yuta-Krieger, und neun von ihnen hatten Spencer-Gewehre, die so neu aussahen, als seien sie eben erst aus der Fabrik gekommen. Aber es waren ganz eindeutig Modelle aus dem Bürgerkrieg.

Kein leichter Job für Sheriff Al Thomas. Die Situation spitzt sich zu, als er einem Betrunkenen, der auf unbewaffnete Indianer schießen will, die Kniescheibe zertrümmert.

Dirk Bongardt legt einen aktionreichen Western vor, der mich an die vielen spannenden Romane erinnert, die ich als Junge verschlungen habe. Ohne die zufällige Entdeckung dieses speziell für den Kindle geschriebenen Romans wäre ich wohl nie wieder an den Fuß der blauen Berge geritten …


Wie veröffentliche ich ein E-Book auf amazon.de?

In einem Interview habe ich von Frieling mal den Satz gelesen: \”Es ist die große Kunst, Sachbücher so populär zu schreiben, dass der Leser gar nicht merkt, wie er lernt.\” Den Satz habe ich mir notiert, weil ich die meisten Sachbücher schrecklich langweilig finde und daraus nur ein oder zwei Informationen ziehen konnte. Und als ich dieses E-Book auf meinem frisch erworbenen Kindle-Reader las, musste ich an Frielings eigene These denken und wollte ihn daran messen.

Ich mache es kurz: Mir ist noch kein Sachbuch vor die Flinte gekommen, das ich mit derartigem Gewinn gelesen habe! Der Autor nimmt seinen Leser an die Hand und erklärt mit Engelsgeduld Schritt für Schritt den Weg vom Manuskript zum eigenen E-Book. Ich habe es anfangs überhaupt nicht bemerkt, wie geschickt er das anstellt. Denn Frielings Trick ist, im Plauderton zu schreiben und dabei sowohl essentielle Informationen einzustreuen und haufenweise Tricks zu verraten. Gleichzeitig unterhält er prächtig und behandelt alle Fragen, bevor man sie überhaupt stellen kann.

Wenn man nun noch berücksichtigt, dass dieses umfangreiche Buch zum Schleuderpreis abgegeben wird, dann ahnt man, dass Frieling das Thema E-Books wie kein Zweiter beherrscht: Er setzt auf massenhafte Verbreitung von Wissen zum Niedrigpreis. Kein Wunder, dass in wenigen Monaten mehr als zehntausend Exemplare dieses Werks abgesetzt wurde und Frieling sich damit in die Top-Verkaufslisten von Amazon katapultierte. Ein verdienter Erfolg für ein Spitzenbuch!


Illustrated by Internet-Buchverlag Berlin

Der Bücherprinz

Dieses Buch hat mich vom ersten Kapitel an gefesselt, und ich kann mich nicht erinnern, eine mit derartig schonungsloser Offenheit geschriebene Selbstbiografie zuvor gelesen zu haben.

Was müssen das für Eltern gewesen sein, die ihren Sprössling in eine Nervenklinik steckten, weil er sich die Haare lang wachsen ließ und Beatmusik hörte? Die Eindringlichkeit, mit der Frieling seine Erlebnisse als blutjunger Gefangener im “dunklen Turm” beschreibt, haben mich so aufgewühlt, dass ich nächtelang davon träumte und mehrmals schweissnass aufwachte. Gleichzeitig versucht der Autor, Verständnis für seine Peiniger zu entwickeln, er vergibt ihnen sogar in einem gewissen Sinne, waren sie doch Gefangene ihrer Zeit (der konservativ-katholischen Adenauerära).

Wer den Lebensweg dieses unkonventionellen Mannes liest, der sein Leben lang träumte und dabei eine Karriere vom Gammler zum Garagenmillionär aus dem Hut zauberte, der ahnt, welche verborgenen Kräfte in jedem von uns stecken. Es ist letztlich nur die Frage, ob wir sie entdecken, nutzen und etwas daraus machen. Frieling hat viel daraus gemacht. Ich ziehe den Hut vor seiner Leistung und diesem einzigartigen Zeitdokument.


Genre: Biographien, Erinnerungen
Illustrated by Internet-Buchverlag Berlin

Wie die Germanen den Tanga erfanden

Der Autor verpackt furztrockene Geschichte in knallbunte Geschichten, die sich spannend wie ein Krimi lesen.

Persönlich gefiel mir Kulturgeschichte des Teetrinkens in Deutschland am besten. Jetzt weiß ich, dass der 1610 aus Asien importiere Aufguss aus schwarzen Blattspitzen nur unter großen Schwierigkeiten zum Salongetränk wurde und verstehe die konkreten Auswirkungen des “praktischen” Kolonialismus besser.

Aber auch die spannende Geschichte der Freimaurerei und die Titelgeschichte, die der Entwicklung der Bademode gewidmet ist, habe ich in dieser Form noch nirgendwo gelesen.

Frieling schenkt dem Leser großes Kino!


Genre: Kulturgeschichte
Illustrated by Internet-Buchverlag Berlin

Von Küchenpunk und Oberelend

Egidius Rosenzweig hatte in seinen knapp sechzig Jahren schon so einiges gesehen, doch dieses halbnackte Wesen mit den spitzen Ohren und den dünnen Beinchen unter dem runden Bauch, das auf seinem Bett saß, war ihm bisher noch nie begegnet. Mit dieser Szene beginnt Andreas Dresen seine Kurzgeschichte „Herr Rosenzweig trinkt Tee“.

Verzweifelte Vampire gehören zum Alltag des freundlichen älteren Herrn, aber auch Hexen und Kobolde sind keine Seltenheit. An einem ruhigen verregneten Nachmittag war sogar einmal ein Einhorn vorbeigekommen und hatte seinen Rat gesucht. Nun soll Rosenzweig einem Ocko auf der Flucht helfen, und schon dringen brutale Häscher in seinen Laden, die ausssehen wie eine Kreuzung aus Schäferhund und verfaulten Lederlappen …

In Dresens zweiter Geschichte beäugen zwei Küchenkobolde einen jungen Mann, der seine Wochenenden mit immer neuem Damenbesuch versüßt. Diese One-Night-Stands werden allerdings ausschließlich zur Nachtschicht ohne Frühstück gebeten. Doch eine Besucherin ist hartnäckiger als ihre Vorgängerinnen und lässt sich nicht so leicht abwimmeln. Das ist der Punkt für die Heinzelpunks, einzuschreiten …

Auf den ersten Blick haben die beiden lustigen und angenehm lesbaren Kurzgeschichten lediglich den Auftritt außergewöhnlicher Wesen miteinander gemein. Auch der Titel der Sammlung erschließt den literarischen Kern nur bedingt. Denn unter „Küchenpunk“ und „Oberelend“ hatte ich mir schon etwas ganz anderes vorgestellt. Die Geschichten sind auf der anderen Seite aber wieder so launig und amüsant, dass dies dem Lesevegnügen keinen Abbruch tut.


Genre: Kurzprosa
Illustrated by epospresse

Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach

\"datPilskendanach\"Wie das Leben manchmal so spielt, müssen zwei im Ruhrgebiet geborene und sozialisierte Journalisten erst an die Alster ziehen, um sich kennen und schätzen zu lernen. Die Spiegel-Online Autoren Frank Patalong und Konrad Lischka stellten beim Feierabend-\”Pilsken\” fest, \”dass man den Ruhrie in sich nie ganz ablegen kann.\” Die beiden entdeckten viele Gemeinsamkeiten, aber auch einen entscheidenden Unterschied. Frank Patalong (Jahrgang 1963) wuchs im von der Stahlindustrie geprägten Duisburg auf. Er erlebte die Zeit, in der es Konsens war, Ruß, Dreck und Gift im Tausch gegen Arbeitsplätze in Kauf zu nehmen und den heimischen \”Monte Schlacko\”* als größtmöglichen Abenteuerspielplatz zu akzeptieren. Konrad Lischka (Jahrgang 1979) hingegen wurde Anfang der achtziger Jahre in Essen mit dem Strukturwandel groß. Er erlebte Zechen und Stahlwerke oftmals nur noch als Kulisse für postapokalyptische Foto-Szenarien oder als einzigartige Räume für die durchlässige Subkultur des Ruhrgebiets. Seine Halden waren schon die von Menschen gemachten Landschaftsparks, die viele heute für Natur halten.

Grund genug für die beiden, zu ihrem journalistischen Rüstzeug zu greifen und gemeinsam ein ehrliches Buch über das Ruhrgebiet und ihre Bewohner zu schreiben. Ihr Blick auf die \”wunderbare Welt des Ruhrgebiets\” ist oft kritisch, immer aber auch liebevoll. Sie erzählen persönliche Geschichten aus dem (Er-)Leben ihrer Familien und damit über zwei völlig unterschiedliche Zeiten und zwei völlig unterschiedliche Ruhrgebietswahrnehmungen. Ihr Buch ist aber bei weitem nicht nur eine Anekdoten- und Geschichtensammlung. Ihre Berichte bilden den Rahmen für eine subjektive und spannende Analyse des Ruhrgebiets. Es sind erstaunliche, manchmal auch schmerzliche Erkenntnisse, die die beiden da zu Tage fördern. Viele Gedanken, von den meisten im Ruhrgebiet Lebenden erst gestreift, haben die beiden zu Ende gedacht. Mit Vielem haben sie Recht, dies muss auch ich als Ruhrgebiets-Eingeborene (nicht immer gerne) unumwunden zugeben. Ich habe mich sehr oft wieder erkannt. Sie haben Recht mit ihren liebevollen Blicken auf die mutige, oft trotzige Beharrlichkeit des \”Ruhries\”, die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. Es stimmt, der Ruhrgebietler kultiviert den Malocherpathos, ist aber auch stolz auf die einzigartigen Kultur- und Landschaftsräume. Ich geben Ihnen aber auch Recht mit ihrer desillusionierenden Feststellung, \”Reg Dich nicht auf, hat doch keinen Zweck\” wäre ein ausgezeichnetes Leitmotiv für eine noch zu entwerfende Ruhrpottflagge. Fatalismus hat im Ruhrgebiet Tradition und auch die ach so vorbildliche, gerühmte Multi-Kulti-Toleranz ist schlicht und ergreifend oft genug einfach nur Ignoranz und nebeneinanderher leben. Hauptsache, man fällt nicht auf, passt sich an, kappt seine eigenen Wurzeln und wird zum \”Ruhrpötter\”. Lischka/Patalong fassen es treffend zusammen:\”Der bewährte Ruhrreflex gegen alles, was uns die Schattenseiten vor Augen führen könnte:Woanders ist auch scheiße\”.

Die beiden Autoren dürfen meckern. Sie sind aus dem Ruhrgebiet, sie lieben den Pott, man liest es aus jeder, auch noch der kritischsten Zeile heraus. Und sie meckern ja nicht nur, sie zeigen uns auch ihre persönlichen Lieblingsplätze und geben jede Menge feine Tipps für alle Lebenslagen. So ist ihr Buch ein empfehlenswerter Schmelztiegel geworden, genau wie das Ruhrgebiet selbst. Es sei jedem Ruhrgebietler empfohlen, der eine kritisch liebevolle Auseinandersetzung mit seiner Heimat verträgt und darüber hinaus jedem, der immer schon mal erfahren wollte, wie es im Ruhrgebiet abseits von der in den Medien oft so gern überzeichneter Tristesse wirklich ist.

Das Ruhrgebiet ist heute vom Strukturwandel gezeichnet, \”ein Ort, wo fast alles verschwinden oder sich zumindest jederzeit verwandeln kann\”. Im Guten wie im Schlechten. Sagen wir es mit dem im Buch oft zitierten Kumpel Schibulski \”Ewich gibbet nich. Wat bleibt, iss, wie die Leute sind.\”

(Anmerkung: Der Titel zitiert einen im Ruhrgebiet allgegenwärtigen Trinkspruch, welcher dem verstorbenen Dortmunder Oberbürgermeister Samtlebe zugeschrieben wird.) 
*ortsübliche Bezeichnung für die im Ruhrgebiet allgegenwärtigen Halden

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Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Bastei Lübbe

Die Spieler

dieSpielerAnnabelle Conroy – ebenso schöne wie begabte Trickbetrügerin – hat den ebenso skrupellosen wie mächtigen Kasinobesitzer Jerry Bagger aus Rache für die Ermordung ihrer Mutter um sagenhafte 40 Millionen Dollar erleichtert. Nun ist sie vor dem auf Rache sinnenden Unsympath auf der Flucht. Zum Glück gibt es Oliver Stone und seine bekannten Mitstreiter aus dem Camel Club – immer auf der Suche nach der Wahrheit, gerne aber auch auf Vergeltung und Rache sinnend. Der Camel Club bietet Annabelle Schutz und Unterstützung, doch unversehens wendet sich das Blatt und der Club kann seine Zusage nicht nur nicht einhalten, er braucht seinerseits die Hilfe Annabelles. Stone wird von seiner bis dato streng geheim gehaltenen Vergangenheit eingeholt und muss sich auf einen gnadenlosen Überlebenskampf mit ehemaligen Mitstreitern aus seiner CIA-Zeit einlassen.

So wirklich haben beide Storylines nichts miteinander zu tun, Baldacci gelingt es in seinem Thriller aber gekonnt, diese spannend zu verweben. Die Spieler, nun als Taschenbuch erschienen, sind der dritte Teil der Reihe um den Camel Club. Wie man es von Baldacci erwartet, surren die Verschwörungstheorien dem Leser nur so um dem Kopf, die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, das Katz-und-Maus Spiel hält die Spannung bis zum furiosen, blutgetränkten Finale.

Gut, stattgegeben – hohe Literatur ist das nicht. Manches zu konstruiert, manches zu zufällig, manch Protagonist zu sehr mit der Schablone gezeichnet, manch zeitliche Abfolge mit Macht so hingebogen, dass es so gerade eben noch in den vorgegebenen Rahmen passt und der Charakter Harry Finn erinnert sicher auch nicht zufällig an Jack Ryan. Aber – mal ehrlich, ein gut gestrickter Thriller zwischendurch muß auch mal sein. (zumal, wenn der Titel so dezent auf einen unser tapferen Mit-Rezensenten verweist ).

David Baldacci ist ein amerikanischer Thriller-Autor und Bestseller Garant. Seine Romane wurden in mehr als 45 Sprachen übersetzt und erreichen weltweit eine Gesamtauflage von über 40 Millionen Exemplaren. Sein erster Roman “Der Präsident” ( Absolute Power ) war ein durchschlagender Erfolg und wurde kurz darauf verfilmt. In den letzten Jahren gab es immer wieder Romane von ihm, die nur bedingt überzeugen konnten. Mit inzwischen drei Romanserien scheint es, als liefe er sich selbst hinterher und nicht wenige seiner Fans bemängelten holzschnittartige Schluddrigkeiten und wenig Spannung. Mit den Spielern kriegt er aber nun wieder die Kurve und liefert solide Kost. Spannend und flüssig, ein Pageturner, dessen Auflösung man entgegenfiebert. Es steht Thriller drauf, es ist Thriller drin. Mehr braucht es eben manchmal nicht.

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Genre: Thriller
Illustrated by Bastei Lübbe

11.22.63

Jake Epping, 35, ist Englischlehrer in Lisbon Falls, einem Nest in Maine und führt ein eher durchschnittliches Leben. Das ändert sich jedoch schlagartig, als ihm sein Kumpel AL Templeton in der Abstellkammer seiner Imbissbude ein Tor in die Vergangenheit zeigt. Die Regeln sind einfach: Bei jedem Eintritt gelangt man zum 9. September 1958 und bei jeder Rückkehr sind in der Gegenwart genau zwei Minuten vergangen. Außerdem wird bei jedem erneuten Durchschreiten ein kompletter Reset gestartet, sämtliche bei vorherigen Besuchen ausgelösten Änderungen sind hinfällig.

Al hatte einen großen Plan: Er wollte in der Vergangenheit bis zum Jahr 1963 ausharren und den Mord an Präsident Kennedy in Dallas zu verhindern, indem er den Attentäter Lee Oswald vorher tötet. Lungenkrebs im Endstadium zwingt ihn jedoch zur vorzeitigen Rückkehr und er bittet Jake, den Job zu übernehmen. Dessen anfängliche Skepsis wird bald von Neugier besiegt und so stürzt er sich in das ungewöhnliche Abenteuer. Vor der Rettung des Präsidenten muss er aber noch einem Freund helfen und eine Familientragödie verhindern; er reist nach Derry (treue King-Leser wissen, was 1958 in Derry geschah). Doch das ist erst der Anfang, auf Jake wartet nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern auch eine Vergangenheit, die sich partout nicht ändern lassen will…

Es gibt im Leben Momente, in denen man innehält, weil einem bewusst ist, dass das soeben Geschehene den Lauf der Geschichte nachhaltig verändern wird. Der 11. September war so ein Ereignis, die Ermordung von John F. Kennedy ein anderes. Es gibt darüber unzählige Bücher, Filme und Dokumentationen; Lou Reed hat ein wunderbar anrührendes Lied geschrieben („The day John Kennedy died“), auch Axl Rose sang: „It was my first memory when they shot Kennedy“. Und nun nimmt sich also der erfolgreichste Schriftsteller der Welt des Themas an.

King wählt dabei jedoch einen anderen Ansatz: Er lässt die Verschwörungstheorien (an die er übrigens im Gegensatz zu seiner Frau nicht glaubt) weitgehend außen vor und schickt seinen Ich-Erzähler in die Vergangenheit um diese zu ändern, mit allen (unbekannten) Konsequenzen. Er hält sich dabei eng an die historischen Vorgaben der Personen und Schauplätze im Dunstkreis von Oswald und verleiht dem Roman somit zusätzlich Authentizität. Natürlich ist auch das Leben in dieser Zeit ein weiteres Hauptthema und dieses Leben ist durchaus zwiespältig, denn neben der unbeschwerten Fröhlichkeit kleinstädtischer Tanzveranstaltungen und nachbarschaftlicher Empathie haben ebenso provinzielle Bigotterie und alltäglicher Rassismus ihren festen Platz. Highlights sind die problematischen Situationen, die bei Zeitreisen auftreten können: Wenn der Held beispielsweise nach seinem (nicht vorhandenen) Handy greift oder durch das laute Absingen obszöner Rolling Stones-Verse für Verwirrung sorgt.

Der Erzählstil ist packend, wie meist bei Stephen King, der Leser ist mittendrin im Geschehen und wird trotz einiger Längen im Mittelteil gefesselt von den Ereignissen. Da der Autor auch eine Reise in die eigene Vergangenheit unternimmt, gibt es ein Wiederlesen mit Protagonisten aus „Es“; Nostalgie pur für die Fans. Obwohl das Thema Zeitreisen schon bei „Langoliers“ behandelt wurde, weist der neue Roman eher Parallelen zu „Dead Zone“ auf, nicht nur weil dort ebenso durch ein politisches Attentat die Zukunft geändert werden soll, sondern auch wegen der nicht ganz unbedeutenden Nebenhandlungen. Und klar: Die Polizei von Dallas bekommt ordentlich auf die Mütze, mehr als bei „Tommyknockers“.

Stephen King wollte dieses Buch eigentlich schon 1972 schreiben und es ist gut, dass er gewartet hat, denn das Thema bewegt immer noch viele Menschen und es ist zu bezweifeln, dass er eine derart komplexe Aufarbeitung und Umsetzung schon in jungen Jahren hinbekommen hätte. Heute kann man mit Fug und Recht sagen, dass dem Meister wiederum ein großer Wurf gelungen ist.


Genre: Thriller
Illustrated by Hodder

Mumpelmonster

Eine hübsche Idee: Roland Brückner baut sein “Mumpelmonster”-Buch wie ein Computerspiel auf. Auf jeder Seite kann der (kindliche) Leser entscheiden, was der kleine grüne Mumpel als nächstes tun soll.

Soll Mumpel beispielsweise einen von ihm erfundenen Helm bei den Wildschweinen im Stadtpark ausprobieren (dann geht es auf Textblock 8 weiter) oder in einem Selbstversuch beim Schaukeln? (Punkt 54) Andererseits könnte Mumpel die ganze Sache Papa erzählen, der das Mini-Monster dafür lobt. (In diesem Fall geht es mit Punkt 41 weiter). Ein buntes Herumnavigieren durch das liebevoll illustrierte Buch inspiriert die Phantasie der Kinder und fordert ihnen Entscheidungen ab. So erklärt sich der Untertitel “Das Entscheide-Dich-Buch”.

Zum Buch habe ich mir die kostenlose iPad-App “Mumpelmonster” geladen. Diese gibt in optischer Hinsicht wesentlich mehr her als das Buch: 45 animierte Figuren sind abgebildet von Flammenlilli über Kritzelcarsten, Puzzlekopf, Tanzwahl und Trötenmumie bis zur Zuckelsusi. Die App lässt ahnen, welche Chancen sich dem Kinderbuch im E-Book-Bereich bereits heute eröffnen. Denn eigentlich hätte das komplette Werk als interaktives Elektrobuch produziert werden können.


Genre: Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by Zitty Berlin

Ruß

9783462043297_grStereotypen wiederholen sich doch. Willkommen im beliebtesten Handlungsort Deutschlands für überzeichnete Tristesse: Duisburg. Willkommen in abgewrackter Ruhrpott-und Malocher Folklore. Willkommen in Ruß, dem neuen Roman von Feridun Zaimoglu. Willkommen in einem arg dürftigen Handlungsgerüst. Schnell erzählt: Dem Arzt Renz wurde seine Frau ermordet. Resigniert und desillusioniert wird er zum Säufer, mühsam aufrecht gehalten von seiner Arbeit als Budenmann am Ruhrorter Neumarkt. “Nach und nach isst er die Asche seiner getöten Frau direkt aus der Urne” , findet seltsamen Trost in dilettantischer Ikonenmalerei. Die trügerische Ruhe wird gestört durch höchst unklare, undurchsichtige Gesellen, die ihm aus ebenso unklaren Motiven zur Rache verhelfen wollen. Der Tag der Haftentlassung des Täters naht und Renz lässt sich auf eine Jagd durch Deutschland nach Polen, schließlich Österreich ein – um zu einem so vorsehbaren wie unbefriedigendem Showdown zu gelangen.

Besessen von Sprache, mit unbändiger Lust am Spiel mit derselben malt Zaimoglu das Bild eines verlorenen, düsteren, labyrinthischen Ruhrgebiets, bevölkert von Pappkameraden mit vernarbten Lebensgeschichten. Spürbar ist der Autor vom Willen getragen, mit einer von Überflüssigem befreiten Poesie des Unschönen Literaturgeschichte zu schreiben. Den realen ruhrischen Umgangston löst er solange aus seinen Ursprüngen heraus, bis eine künstlich anmutende Umgangssprache entstanden ist. Ich für meinen Teil ( in Duisburg pottriotisiert ) – ich mag mein Ruhrisch, aber so wie die blassen Zecher am Kiosk spreche ich ganz sicher nicht. Ich habe mich nicht willkommen gefühlt im Ruß Zaimoglus. Mir hat das Buch nicht gefallen. Und zwar nicht nur, weil das Buch ganz sicher nicht gefallen will. Es will verstören und aufrütteln – aber das ist ein schmaler Grat. Ein Grat, der im Buch zu oft verlassen wird. Ein Grat, auf dem die Charaktere mühsam kippeln. Genauso mühsam, wie das Buch zu lesen ist. Gerade zum Ende hin erzeugt das Buch nichts als Überdruß.

Gleichwohl – wir wollen fair bleiben. Finsternis, Verzweiflung und Alkoholismus nehmen keineswegs ab, wenn die Handlung sich an andere Orte verlagert. Im Gegenteil – immer neue Lügengeschichten treiben das Verwirrspiel noch wüster voran. Der Leser weiß nicht nur, wem er glauben, trauen, schauen soll – er weiß auch nicht, liest er nur eine Road-Novel, einen Thriller oder doch vielleicht einen Heimatroman der anderen Art. Auch die Kritikpunkte an der oft zu bemühten Sprache Zaimoglus – sie relativieren sich, wenn man sie mit der Sprache anderer, in diesem Jahr preisgekrönter Romane vergleicht. (Ich sage nur : “Nämlich, dass…”) Seien wir dankbar, wenn wir einen Autor haben, der mit Sprache ringt, sie respektiert, ja, sie letztendlich in den Mittelpunkt seiner Bemühungen stellt. Und – für einen ganz großen Pluspunkt hat es sich gelohnt, das Buch gelesen zu haben: Zaimoglus Beschreibung der im Metropolenwahn der Kulturhauptstadt entstandenen Pseudo-Hochglanz- Locations wie dem Duisburger Innenhafen trifft es wie keine von mir bisher gelesene und legt den Finger genau in das wunde Herz derer, die nicht wollen, dass aus ihrem Ruhrgebiet eine öknomischen Zwängen untergeordnete kalte Ruhrstadt werden soll.

Vielleicht hätte mir das Buch besser gefallen, wenn der Vorab-Trommelwirbel des Verlags mir nicht die “große, deutsche Saga aus dem Ruhrgebiet ” versprochen hätte und meine Erwartungshaltung nicht die einer Ruhrgebietlerin gewesen wäre, welche in einem Roman über das Ruhrgebiet wirklich gerne etwas anderes als Klischees lesen würde. Sicher – es ist das Recht eines jeden Autors, seinen Handlungsort so trist und grau zu malen, wie es ihm beliebt. Sicher – Zaimoglu ist in guter Gesellschaft. Viele seiner Figuren und Orte erinnern an synthetische Versatzstücke aus Filmen, Büchern, Hörspielen über das Revier. (Duisburg-Ruhrort- so der Titel des allerersten Schimanskis. Seitdem hat wohl jeder in Deutschland eine verbriefte Vorstellung des Ortsteils. Die Schifferbörse, der schöne alte Ortskern, die sorgfältige restaurierte Promenade und das Haniel Haus gehören nicht dazu.) Dennoch- ich kann es nicht mehr hören. Dieses triste, trostlose Bild unserer Region und wenn die Süddeutsche noch so selbstgerecht urteilt: “Ein lebenskluger Roman über Deutschlands verwildernden Westen”. Ich sehe sie förmlich vor mir: die deutsche Intelligenzija in ihren Lese-Fauteuils, wie sie aus sicherer Distanz selbstgefällig urteilen, welch ein Kenner mit “Ruß” doch am Werke war . Wie bestätigt man nun doch in der von den armen Ruhrgebiets-Eingeborenen so vehement abgestrittenen Darstellung des Ruhrgebiets als Tristesse pur ist. Dass Zaimoglu selbst freundlich erklärte, die “Ruhries in ihrer Discount-Diaspora durchaus zu lieben”, macht mein Gefühl nach diesem Buch nicht weniger schal. Ich kann es nicht mehr hören. Gerade weil ich seit jeher oft und gerne sage: “Solln Se doch so reden, dann bleiben Se uns wengstens erspart, solche Fuzzis. Ohne die warn hier immer schon besser dran” werde ich hier nichts weiter zur Ruhrgebietsverteidigung hinzufügen. Wartet in Ruhe ab. Eine meiner nächsten Rezis. Ich hab da noch watt Feinet inne Hinterhand.

Feridun Zaimoglu kam 1965 mit seinen Eltern nach Deutschland und lebt in Kiel. Nach angefangenem Studium der Medizin und der Kunst arbeitet er als freier Schriftsteller. Seit seinem viel beachteten Erstlng “Kanak Sprak” wendet er sich in seinen literarischen Werken gegen einen romatischen Multikulturalismus.

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Genre: Romane
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Abaton – Vom Ende der Angst

AbatonFaszinierend und beängstigend zugleich – so kündigte der Jugendbuchverlag Mixtvision “ABATON – Vom Ende der Angst” an. Ein Omen? Zwei angesehene Drehbuchautoren tun sich zusammen, um gemeinsam als Jugendbuch-Autoren zu debütieren. Kann so etwas gut gehen? Schon der Prolog beweist: Hier wird der ganz große Bogen gespannt. Unter einer Trilogie tun es Christian Jeltsch und Olaf Kraemer nicht. Von im zweiten Weltkrieg mundtot gemachten, verkannt genialen Wissenschaftler bis zu Fragen von brennender Aktualität hat das Autoren-Duo sich einiges vorgenommen. Und zwar nicht irgendwie: Kraemer/Jeltsch bezeicnen ihr Genre selbst als Science Faction, verweben Mysteriöses mit realen jugendlichen Lebenswelten und tüten das Ganze spannend ein. Schon auf dem Cover begegnen wir dem hypnotisierenden Sonnenrad, innen durchziehen blaugedruckte Datenreihen das Buch und geben ganz im Stil amerikanischer Easter-Egg-Tradtion noch mehr Rätsel auf.

Edda, Linus und Simon sind drei eigentlich ganz unterschiedliche Jugendliche. Und doch ist es kein Zufall, dass sie sich in einem Feriencamp kennen lernen und als “kritische Masse” schnell seltsame Gemeinsamkeiten finden. Gemeinsamkeiten, gegen die sich zunächst noch wehren, die sie aber bald erkennen lassen, dass sie nur zusammen bestehen können. Bestehen gegen mysteriöse Geschehnisse, die auch ausgebufftere Jugendliche zu Tode ängstigen könnten. Das Camp erweist sich als manipulierende Forschungsstation, aus der noch die nervigsten Nerds als supercoole, jedoch fixierte Kids wieder rauskommen. Die drei verbindet eine gebrochene Kindheit – Simons Vater im Gefängnis, Edda Mutter in der Klapse und Linus Eltern komplett verschollen. Auf der Suche nach Linus Eltern entdecken sie im Berliner Untergrund mysteriöse Graffiti ( das Sonnenrad! ), die ihren Alltag in eine andere Ebene verschieben. Eine Ebene, in die sie immer wieder hineingezogen werden , in der nichts ist, wie es scheint, eine Ebene, die Angst machen, aber auch nehmen kann.

Kraemer/Jeltsch haben ihr Debüt in die ihnen bekannte Form eines Drehbuchs gepackt. Ein kluger Schachzug, der den Verzicht auf herkömmliche Kapitel legitimiert und den Autoren das gemeinsame Schreiben, sowie den mühelosen Wechsel zwischen Erzählperspektiven und Zeiten ermöglicht. Auch dem nicht so ausdauernden Leser wird so die Chance gegeben, immer nur kurze Abschnitte zu lesen und trotzdem nie den roten Faden zu verlieren, den die Autoren stringent durch die verwirrende Handlung führen.
Offizielle Altersangabe: für Jugendliche ab 14, aber “wie jedes gute Jugendbuch auch für Erwachsene”. Nun denn, auch die erwachsene Leserin hat eine Meinung, zunächst aber –wenn man sie schon im Haus hat – eine Kritik aus der Zielgruppe.

Malte, 14:
Zuerst ein kleiner Kritikpunkt, damit die Rezension nicht so klingt, als würde ich Geld für eben diese bekommen. Zu den Namen der Kinder Edda, Linus und Simon. Sie passen meiner Meinung nach nicht gerade zu einem Jugendthriller, der im 21. Jahrhundert spielt. Jugendliche identifizieren sich eher mit Namen wie Nina, Mark und Jan oder anderen “modernen” Namen, auch wenn zumindest der Name Edda im Buch von ihr selber kritisiert wird. Diesem Kritikpunkt stehen jedoch eine ganze Menge positiver Punkte gegenüber. Schon am Anfang beginnt die Story sehr rätselhaft und vielschichtig, da innerhalb von wenigen Seiten aus mehreren Sichten und in 2 Epochen berichtet wird. Im Laufe des Buches entwickelt sich die Story zu einer Mischung aus Matrix und in Teilen Tintenherz, da sie trotz aller Dramatik auch sehr fantasievoll und teilweise auch romantisch ist. Ein Lob auch an die Autoren, denen eine gigantische Story eingefallen ist, die zum einen nicht von anderen Büchern kopiert wurde und zum anderen auch genial in ihrer Form ist. Die Ereignisse in der Story fügen sich nahtlos ineinander als wären sie Zahnräder, was vielen Jugendromanen heutzutage leider nicht mehr gelingt. Besonders am Ende des Buches war es schwer von der Geschichte abzulassen und man hat sich gefragt, was als nächstes passiert und wirklich mit den Charakteren mitgefiebert.
Mein persönliches Fazit: Das Buch ist ein Buch der Kategorie, die ich gerne und ohne schlechtes Gewissen 2 oder 3 mal lese und welche ich auch gerne Freunden weiterempfehle. Dank der gelungenen Story und da ich nach dem Cliffhanger am Ende des Buches unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht, fiebere ich dem nächsten Buch der “Abaton” Trilogie Ende 2012 schon entgegen.


Fazit der Rezensentin: Spannend war es, keine Frage. Neu auch. Da hat Malte Recht. Nichts Abgekupfertes gefunden. Selten heutzutage. Und das bei so einer komplexen Struktur. Homogen geschrieben – trotz oder gerade wegen der zwei Autoren, denen es bei aller “Science Faction” gelingt, nahe an jugendlichen Gedankenwelten zu sein – wohlgemerkt, ohne auch nur einmal den pädagogischen Zeigefinger zu heben. Rund ist es nicht, soll es auch nicht sein. Schließlich: unter einer Trilogie tun es die Autoren nicht. Abaton ist im orthodoxen Glauben das Allerheiligste. Der Ort den nur wenige Erwählte kennen lernen dürfen. So darf man spekulieren, dass genau darin wohl auch die entscheidende Frage für Edda, Simon und Linus liegen wird: Was genau ihr persönliches Abaton ist und ob das Ende der Angst nun eine befreiende oder eine erst recht beängstigende Vorstellung ist.

Die Autoren: Christian Jeitsch ist ein Grimme- und Fernsehpreis-dekorierter Drehbuchautor ( diverse “Tatörte”, Polizeirufe u.a. Olaf Kraemer, Buch- und Filmautor, wurde bekannt mit der Uschi-Obermaier-Biografie “High Times”, die nach seinem Drehbuch unter dem Titel “Das Wilde Leben” erfolgreich verfilmt wurde.

Einen gelungenen Einstieg in die Abaton-Welt bietet die schick gestaltete Homepage zum Projekt.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by Mixtvision München

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Sommer 1990 in der DDR.Der letzte Sommer in einem Land, welches bald keines mehr sein wird. Maria wird bald siebzehn. Sie wohnt mit ihrem Freund Johannes auf dem Hof seiner Eltern nahe der deutsch-deutschen Grenze, die bald keine mehr sein wird. Maria ist ein zartes verträumtes Mädchen. Zwar beteiligt sie sich tatkräftig an der Hofarbeit, verweigert jedoch die Schule. Ihr Liebstes sind zu dieser Zeit die Gebrüder Karamasov, deren Fragen nach Schuld und Sühne, Leid und Mitleid, Liebe und Versöhnung. Weiterlesen


Genre: Romane
Illustrated by Graf-Verlag München

Abgründe

AbgründeEine Woche lang schaute Frankfurt auf Island. Nicht der Finanzblase wegen, auch Aschewolken waren außen vor – nein, es war Buchmesse und Island zu Gast. Man bezauberte mit der gemütlichsten Wohnzimmer-Installation der ganzen Messe und drohte mit der erklärten Absicht, Europas Buchmarkt werde sich nie wieder von dieser Bücherblase erholen. Die Heute-Show fragte gar, ob es nun nicht opportun sei, den Isländern mit einer Schreibblockade zu drohen. Wir fragen investigativ, ob es nicht einfach reicht, eines davon zu lesen. Im Selbstversuch verzichtete ich auf Elfen, Trolle und Stockfische und griff mir eines, welches Spannung und abgründige Blicke in Islands Finanzwelt versprach .

In seinem neuesten Island-Krimi schickt Arnaldur Indridason seinen bewährten Kommissar Erlendur erst einmal in Urlaub. So muss sich sein Kollege Sigurdur Oli um die Aufklärung zweier Todesfälle kümmern. In einen davon ist er persönlich verwickelt, da er der Bitte seines besten Freundes entsprechend eine junge Frau davon abhalten will, dessen Familie zu erpressen. Als Oli diese Frau, Lina, zur Rede stellen will, findet er sie zu Tode geprügelt von einem Schuldeneintreiber vor. Obwohl persönlich involviert, ermittelt er weiter und findet heraus, dass vor über einem Jahr ein Banker bei einem Ausflug, den ausgerechnet Linaorganisierte, einen tödlichen Sturz in einen Abgrund erlitt. Die Ermittlungen führen ihn in höchste Bankenkreise, die in abenteuerlichen, moralisch fragwürdigen Geschäften immer höhere Gewinne scheffeln.

“Abgründe” ist ein Krimi, bei dem es auch, bei weitem aber nicht nur, um einen kriminellen Plot geht. Von Ingridason zwar bildhaft und flüssig erzählt, liegt hier die Schwäche des Romans. Weite Teile drehen sich um das Privatleben Olis, das eigentlich nichts als abgründig langweilig ist. Das Sympathiepotential des Kommissars dürfte sich bei jenen erschöpfen, für die amerikanische Sportarten das Größte und die noch dazu vom Leben und den Frauen enttäuscht sind. Der Rest der Leser wartet auf den Fortgang der Handlung. Besser gesagt, der zwei Handlungen. Der Klappentext bemerkt zu Recht, dass die beiden Fälle auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Verschwiegen wird dabei, dass sie auch auf den zweiten Blick nicht wirklich miteinander verwoben sind. Außer, dass die Protagonisten sich kannten, finden sich nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. Der Plot um Lina ist relativ schnell gelöst, die Frage nach dem Motiv nimmt noch etwas länger Raum ein. Doch auch hier können die Banker nicht dienen. Die Geschichte um die Banker dient einzig und alleine dazu, die Erwartungen des Lesers zu bedienen, dem Hintergründe zur abgründigen Finanzwelt versprochen werden. Das verkauft sich sicher prima, die zu diesem Thema angebrachte Kritik ist lobenswerterweise auch zu keiner Zeit übers Ziel hinausschießend. Ärgerlich nur, wenn man fast die Hälfte des Buches zuwarten muss, bis der Autor sich endlich dem Thema zuwendet, welches der Klappentext als das vorherrschende anpreist. Noch ärgerlicher, wenn sich die Geschehnisse im Bankermilieu als relativ müde gähnende Abgründe erweisen – vor allem, weil sie anno 2005 geschahen und jeder halbwegs informierte Leser weiß, dass a) die Abgründe des Jahres 2008 wesentlich tiefer waren und b) sich gerade die isländische Wirtschaft anno 2011 wieder berappelt hat. (wahrscheinlich der vielen verkauften Bücher wegen). Eine weitere Irritation im Buch ist eine Side-Story über einen als Kind misshandelten Penner, der nunmehr auf Rachefeldzug ist und dem Kommissar das Leben kriminaltechnisch erschwert. Auch dessen Geschichte beschreibt Indridason eindringlich und bemerkenswert – aber sie hat nichts, absolut nichts mit dem Fall zu tun.(Wenn man mal davon absieht, dass das Leid des Penners die moralische Verwerflichkeit der anderen Verbrechen durchaus eindrucksvoll unterstreicht.) Dass man dies erst ganz zum Schluß erfährt, während man 420 Seiten lang auf die Auflösung der Zusammenhänge wartet, macht den Spannungsbogen nicht besser.

Arnaldur Indridason war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung und lebt heute als freier (preisgekrönter) Autor in Rejkjavik.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Bastei Lübbe

Karwoche

Bei einem illegalen Wettrennen durch die bayerischen Berge kommt es zu einem Beinahe-Unfall, in den auch Kommissar Wallner verwickelt wird, der eigentlich samt Freundin auf dem Weg in die Osterferien unterwegs ist. Im Wagen eines der beiden verhinderten Formel 1-Piloten findet sich zur allgemeinen Überraschung die Leiche einer jungen Frau, Hannah Lohwerk, deren Gesicht vor Jahren durch einen Autounfall entstellt wurde. Obwohl Wallner wegen seines Urlaubs keine offizielle Funktion bekleidet, mischt er bei den Ermittlungen kräftig mit, denn er lässt sich nur ungern das Heft aus der Hand nehmen. Bald führen die Spuren zu der schillernden Schauspielerfamilie Millruth, die erst vor wenigen Monaten einen Todesfall zu beklagen hatte und der es auch sonst nicht an dunklen Geheimnissen mangelt…

„Karwoche“ ist Andreas Föhrs dritter Roman mit den Miesbacher Polizisten um Kommissar Wallner und er bietet wiederum spannende Unterhaltung. Nicht nur ein bayerischer Regio-Krimi mit kantig schrulligen Charakteren, die sich durch robusten Humor auszeichnen, sondern einfach ein gut geschriebenes Buch, das die notwendigen Zutaten des Genres schmackhaft zusammenrührt. Natürlich merkt man dem Autor seine Vergangenheit als Drehbuchschreiber für TV-Krimis an; er versteht sein Handwerk und zieht den Plot trotz (unabdingbarer) Rückblenden stringent durch, steigert langsam aber sicher das Tempo, um zum Schluss die überraschende Auflösung zu präsentieren. Dabei sind die Protagonisten weder langweilig noch oberflächlich gezeichnet und das Leben der Hauptfiguren entwickelt sich romanübergreifend weiter.

Fazit: Vielleicht ist Wallner noch kein Kultkommissar wie auf der Rückseite des Buches vermerkt, aber er ist sicher auf dem besten Weg dahin. Bitte mehr davon!

P.S.: Auf bayerischen Dialekt wird weitgehend verzichtet, so dass auch Leser jenseits des Weißwurst-Äquators voll auf ihre Kosten kommen.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Knaur München

Harold

Heyne Taschenbuch Verlag, ISBN 978 ,453435971, 8,99€

Besorgt Euch bloß das beste Buch der Welt. Harold. Von Einzlkind.
Einsam hängt eine Schlinge vor dunklem englischem Pepita auf dem Umschlag. Eine einsame Stuhllehne lässt böses ahnen. Und es bestätigt sich: Harold, 49 Jahre alt, lebt in London, hat seine Anstellung als Wurstfachverkäufer verloren. Hier tappt der geneigte Leser in die Falle, die Einzlkind ausgelegt hat, denn Harold ist eine Null, ein Nichts, ein Antiheld, einer der bestimmt keine Geschichte von 222 Seiten zu erzählen weiß, denn der eigentliche Held ist Melvin und der ist ein „Savant“.
Harold dagegen ist ein typischer, missmutiger Engländer, der seine Aufgabe darin sieht, sich einmal im Monat aufzuhängen. Als geborener Verlierer glaubt er nicht mehr an den Erfolg seiner Aktionen, sondern er versucht die Eleganz seiner Misserfolge zu perfektionieren.
In dem Moment kommt Melvin, ein „neunmalkluges“, elfjähriges Genie, auf die Bühne. In seinem Gedächtnis hat er 1238 Bücher abgespeichert. Er kann sämtliche Beethoven-Sonaten auswendig, er ist sozusagen ein Roger Willemsen en miniature. Dafür leidet er an den typischen Hochbegabten Problemen: „Ich habe 4,5 Dioptrien plus auf dem linken und 5,5Dioptrien auf dem rechten Auge. Meine Hobbys sind mir nicht bekannt.“
Mit diesen Vorzeichen soll Harold Babysitter für Melvin sein. Eine Woche. Denn Melvins Mutter, alleinerziehend, hat ihre vollständige Präsenz für ihre Firma angeboten und die schickt sie eine Woche in eine andere Stadt.
Melvin kennt sich bei Pferdewetten aus und schleift Harold auf den Rennplatz. Mit Kennerblick untersucht er Pferd und Jockey und weiß, Orpheus gewinnt, ganz klar. Harold setzt seine letzten 20 Pfund. Und Orpheus wird – haushoch – letzter.
Das sind Harold und Melvin: Ein arbeitsloser Wurstfachverkäufer und ein Genie, wie man es seit Hegel nicht mehr gesehen hat.
In dieser einen Woche mit Melvin beginnt nun für Harold ein Roadmovie. Einzlkind hat dafür in die Trickkiste der großen Literatur gegriffen: Er bemüht Harold und Maude, schielt zu Capotes Frühstück bei Tiffany. John Irving steht Pate und eine Comedy Anleihe bei Monty Python lässt grüßen. Und im Ulysses hat er 800 Pfund versteckt, die Melvin im Portemonnaie der Mutter gefunden hat. Melvin will in dieser einen Woche seinen Vater suchen….
Harold: Lesevergnügen pur. Ich habe mich riesig amüsiert trotz der Versatzstücke aus dem großen Topf der Weltliteratur. Wer dann noch Spaß an Wortschöpfungen hat, wie „Mevin strohhalmt Cola, pimaldaumen u.a. ist diesem Kleinod schon verfallen.
Wer immer dieser Einzlkind ist und wer diesen Roman geschrieben hat, es muß ihm teuflischen Spaß gemacht haben und dieser Funke Spaß springt sofort auf den Leser.
Das Schlußwort von Jim, dem Tankwart: „Lieber Einzlkind als gar keine Geschwister.“


Genre: Romane
Illustrated by Heyne München