Abgründe

AbgründeEine Woche lang schaute Frankfurt auf Island. Nicht der Finanzblase wegen, auch Aschewolken waren außen vor – nein, es war Buchmesse und Island zu Gast. Man bezauberte mit der gemütlichsten Wohnzimmer-Installation der ganzen Messe und drohte mit der erklärten Absicht, Europas Buchmarkt werde sich nie wieder von dieser Bücherblase erholen. Die Heute-Show fragte gar, ob es nun nicht opportun sei, den Isländern mit einer Schreibblockade zu drohen. Wir fragen investigativ, ob es nicht einfach reicht, eines davon zu lesen. Im Selbstversuch verzichtete ich auf Elfen, Trolle und Stockfische und griff mir eines, welches Spannung und abgründige Blicke in Islands Finanzwelt versprach .

In seinem neuesten Island-Krimi schickt Arnaldur Indridason seinen bewährten Kommissar Erlendur erst einmal in Urlaub. So muss sich sein Kollege Sigurdur Oli um die Aufklärung zweier Todesfälle kümmern. In einen davon ist er persönlich verwickelt, da er der Bitte seines besten Freundes entsprechend eine junge Frau davon abhalten will, dessen Familie zu erpressen. Als Oli diese Frau, Lina, zur Rede stellen will, findet er sie zu Tode geprügelt von einem Schuldeneintreiber vor. Obwohl persönlich involviert, ermittelt er weiter und findet heraus, dass vor über einem Jahr ein Banker bei einem Ausflug, den ausgerechnet Linaorganisierte, einen tödlichen Sturz in einen Abgrund erlitt. Die Ermittlungen führen ihn in höchste Bankenkreise, die in abenteuerlichen, moralisch fragwürdigen Geschäften immer höhere Gewinne scheffeln.

“Abgründe” ist ein Krimi, bei dem es auch, bei weitem aber nicht nur, um einen kriminellen Plot geht. Von Ingridason zwar bildhaft und flüssig erzählt, liegt hier die Schwäche des Romans. Weite Teile drehen sich um das Privatleben Olis, das eigentlich nichts als abgründig langweilig ist. Das Sympathiepotential des Kommissars dürfte sich bei jenen erschöpfen, für die amerikanische Sportarten das Größte und die noch dazu vom Leben und den Frauen enttäuscht sind. Der Rest der Leser wartet auf den Fortgang der Handlung. Besser gesagt, der zwei Handlungen. Der Klappentext bemerkt zu Recht, dass die beiden Fälle auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Verschwiegen wird dabei, dass sie auch auf den zweiten Blick nicht wirklich miteinander verwoben sind. Außer, dass die Protagonisten sich kannten, finden sich nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. Der Plot um Lina ist relativ schnell gelöst, die Frage nach dem Motiv nimmt noch etwas länger Raum ein. Doch auch hier können die Banker nicht dienen. Die Geschichte um die Banker dient einzig und alleine dazu, die Erwartungen des Lesers zu bedienen, dem Hintergründe zur abgründigen Finanzwelt versprochen werden. Das verkauft sich sicher prima, die zu diesem Thema angebrachte Kritik ist lobenswerterweise auch zu keiner Zeit übers Ziel hinausschießend. Ärgerlich nur, wenn man fast die Hälfte des Buches zuwarten muss, bis der Autor sich endlich dem Thema zuwendet, welches der Klappentext als das vorherrschende anpreist. Noch ärgerlicher, wenn sich die Geschehnisse im Bankermilieu als relativ müde gähnende Abgründe erweisen – vor allem, weil sie anno 2005 geschahen und jeder halbwegs informierte Leser weiß, dass a) die Abgründe des Jahres 2008 wesentlich tiefer waren und b) sich gerade die isländische Wirtschaft anno 2011 wieder berappelt hat. (wahrscheinlich der vielen verkauften Bücher wegen). Eine weitere Irritation im Buch ist eine Side-Story über einen als Kind misshandelten Penner, der nunmehr auf Rachefeldzug ist und dem Kommissar das Leben kriminaltechnisch erschwert. Auch dessen Geschichte beschreibt Indridason eindringlich und bemerkenswert – aber sie hat nichts, absolut nichts mit dem Fall zu tun.(Wenn man mal davon absieht, dass das Leid des Penners die moralische Verwerflichkeit der anderen Verbrechen durchaus eindrucksvoll unterstreicht.) Dass man dies erst ganz zum Schluß erfährt, während man 420 Seiten lang auf die Auflösung der Zusammenhänge wartet, macht den Spannungsbogen nicht besser.

Arnaldur Indridason war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung und lebt heute als freier (preisgekrönter) Autor in Rejkjavik.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Bastei Lübbe

Kälteschlaf

Von der finanziellen und sozialen Katastrophe, in die die Finanzmarktkrise Island gestützt hat, berichtet der isländische Schriftsteller Arnaldur Indridason in seinem nunmehr achten Kriminalroman rund um den Kommissar Erlendur nicht. „Kälteschlaf“ wurde schon im Jahre 2007 veröffentlicht, kam aber erst Ende des vergangenen Jahres in deutscher Übersetzung in die Buchhandlungen. Aber auch ohne die reale Katastrophe ist Island kein idyllisches Eiland. Und zwar hat die Mordkommission der isländischen Hauptstadt Reykjavik gerade nicht so viel zu tun, beschaulich geht es trotzdem nicht zu.
„Cold cases“, so nennt man im Amerikanischen ungelöste Kriminalfälle. Die Akten solcher kalten Spuren wieder hervorzuholen ist Zeiten vorbehalten, in denen den Ermittlern sonst kaum etwas zu tun bleibt. Die isländischen Kriminalen tun das in diesem Krimi und stoßen auf zwei alte Fälle. Zwei Jugendliche verschwanden vor vielen Jahren und ein Selbstmord wirf Fragen auf. Vor allem der angebliche Selbstmord der Historikerin Maria X. treibt Kommissar Erlendur um.
Bei seinen Ermittlungen stößt der leicht skurrile Kommissar nicht nur auf Ungereimtheiten in den Akten, sondern auf alte Geschichten aus der eigenen Vergangenheit und auch das Verschwinden der Jugendlichen spielt auf einmal eine Rolle.
Isländern sagt man nach, sie glaubten tatsächlich an Trolle, Feen und andere überirdische Wesen. In diesem Kriminalroman fehlt denn auch das Übersinnliche nicht. Aber keine Sorge: Weit entfernt davon ins „Fantasy-Genre“ abzurutschen, ist der nunmehr achte Roman in dieser Reihe spannend erzählt. Es handelt sich um eine hinreichend schrullige Geschichte und die Lektüre macht, wie schon in den ersten sieben Fällen mit Kommissar Erlendur, einfach viel Spaß.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Codex Regius

Der Nordistik-Student Valdemar kommt 1955 an die Universität Kopenhagen um dort die isländischen mittelalterlichen Handschriften zu studieren. Sein Professor an der Uni Kopenhagen gilt als die Koryphäe in seinem Fach. Mit dem erhofften vertiefenden Studium wird es allerdings nichts. Stattdessen wird Valdemar mit seinem Professor in Indiana-Jones-Manier aus Kopenhagen über Berlin und Schwerin nach Island durch allerlei turbulente und durchaus abenteuerliche Szenen getrieben. Was sich so liest, als handele es sich bei diesem Buch um einen vielleicht kurzweiligen aber ansonsten banalen Abenteuerroman mit historischem Hintergrund, täuscht. In Wirklichkeit hat der isländische Schriftsteller Arnaldur Indridason einen überaus spannenden Roman vorgelegt, in dem es um die Bedeutung der historischen Handschriften für die kulturelle Identität der Isländischen Nation und den persönlichen Mut gegenüber Tyrannei und Völkerhass geht.

„In keinem anderen Land des Nordens sind im Mittelalter so viele Pergamentmanuskripte entstanden wie ausgerechnet im kleinsten von ihnen, Island“ schreibt die Übersetzerin der Bücher von Arnaldur Indridason in ihrer informativen Nachbemerkung über isländische Handschriften, die dem neuesten Roman Indridasons folgt.
Der Roman trägt den Titel „Codex Regius“ und tatsächlich spielen nicht eigentlich die beiden Protagonisten, der Student Valdemar und sein Professor die Hauptrolle, sondern diese mittelalterliche Handschrift, die auch unter dem Namen „Lieder-Edda“ bekannt ist.
Die Suche nach ihr eröffnet das Buch, dessen erstes Kapitel im Jahre 1863 beginnt und mit einem Mord endet. Tote hinterlässt auch die weitere Handlung im Buch, die mit einem Prolog im Jahre 1971 endet: Der Heimkehr des frisch gebackenen Literatur-Nobelpreisträgers Haldor Laxness mit dem Schiff aus Kopenhagen nach Island. Der Hauptteil der Handlung aber spielt im Jahre 1955 und erzählt nicht nur von Valdemar, seinen Versuchen ein Experte für isländische Handschriften mithilfe eines Professors zu werden, der allerdings eher dem Alkohol zugeneigt zu sein scheint, als der Wissenschaft. Lesend begegnen wir auch einer Gruppe von Nazis, die den Codex Regius für ihre rassistischen Wahnvorstellungen instrumentalisieren wollen und im Buch nur „die Wagneriten“ genannt werden: Eine Anspielung auf den „Ring der Nibelungen“ von Richard Wagner und der Instrumentalisierung dieser Musik durch die Nazis.
Arnaldur Indridason gelingt es in „Codex Regius“, Fragen um die Bedeutung von Literatur für das Individuum, die kulturelle Identität einer Nation und nach persönlichem Mut gegenüber Brutalität und Tyrannei mit einer spannenden Handlung zu verbinden, die die Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite trägt. Viel mehr kann man kaum verlangen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Todesrosen

Dieser Island-Krimi von Arnaldur Indridason beginnt einigermaßen makaber. Eine Frau schleppt einen Arbeitskollegen nach einer Party ab. Das wäre ja noch nichts Besonderes. Der Ort, zu dem sie ihn führt ist allerdings durchaus ungewöhnlich, zumindest als Schauplatz amouröser Abenteuer: Der Alte Friedhof in der Innenstadt der Hauptstadt Islands, Reykjavik. Womit das Pärchen nicht gerechnet hatte: In unmittelbarer Nähe entdeckt es eine Leiche. Nun mangelt es naturgemäß auf einem Friedhof nicht an Toten. Allerdings liegen diese normalerweise nicht auf, sondern in ihren Gräbern.

Womit es Kommissar Erlendur und seine Kollegen von der Mordkommission Reykjavik zu tun bekommen ist eine tote junge Frau, die nackt inmitten der Blumen auf dem Grab des isländischen Freiheitskämpfers und Nationalhelden Jón Sigurdsson liegt. Und was den isländischen Kriminalpolizisten lange Zeit zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass es ihnen nicht gelingen will, die Identität der Toten herauszufinden. So tappen Erlendur, seine Kollegen Sigurdur Óli und Elinborg im Dunkeln, rätseln über das mögliche Motiv für diesen Mord und den exponierten Ort, an dem die Tote gefunden wurde. Die Ermittlungen führen sie in den Westen Islands, zu den Westfjorden und in mehr als nur unappetitliche Zusammenhänge zwischen Immobilienspekulationen, Fischfangquoten und Prostitution.
In der edition lübbe sind mittlerweile neun Bücher des isländischen Autors Arnaldur Indridason erschienen. „Todesrosen“ erscheint als neunter Band und ist doch in Wirklichkeit der zweite Roman aus der Reihe rund um den Leiter der Mordkommission von Reykjavik, Erlendur und seine Kollegen. Wer die anderen, hochspannenden, Kriminalromane schon kennt, wird hier noch einmal in der Chronologie zurückgeworfen und wird einige Selbstverständlichkeiten, die man aus den bisher gelesenen Roman schon kennt, in ihrer Entstehung nachvollziehen können.
Dieser nun in deutscher Übersetzung vorliegende Fall hat gleichwohl schon alle Ingredienzien, die auch die später geschriebenen Krimis von Indridason ausmachen: So klein Island sein mag und so gering die Einwohnerzahl dieser Insel im Nordatlantik ist, so brutal fallen die Morde in diesen Krimis aus. Die Aufklärung der Verbrechen führt lesend in die Tiefen der isländischen Gesellschaft und scheut nicht vor ausführlichen Ausflügen in die Geschichte der Insel und seiner Bewohner zurück. Das Personal, dass die Romane von Indridason „bevölkert“ ist nicht minder realistisch und widersprüchlich gezeichnet. Eine besondere Spezialität des Autors ist aber, die Spannung bis zu den letzten Seiten seiner Geschichten aufrechtzuerhalten. Wer im Verlaufe der Lektüre sich der Aufklärung sicher glaubt, wird regelmäßig auf den letzten Seiten der Romane eines besseren belehrt. Prädikat: Hochspannend.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Kältezone

Man muss nicht, wie einige Rezensenten immer wieder suggerieren, der Meinung sein, dass aus Europas Norden seit Jahren per se die besten Krimis kommen. Aber man muss doch zugeben, dass aus der Tatsache, dass es Regionen gibt, in denen der Sommer keine Dunkelheit und der Winter kein Licht kennt, Umstände erwachsen, die für die Entwicklung einer Dramaturgie in einem Kriminalroman zumindest nicht ganz abträglich sind.

Bekannt ist auch, dass der Mensch zwar ein sehr anpassungsfähiges Wesen ist, sich aber auch nicht an alles klaglos gewöhnen mag. Und so weist beispielsweise Island, die Heimat des Autors dieses Buches, eine sehr beachtliche Selbstmordrate auf. Da im gleichen Zuge auf dieser sehr nördlichen Insel offensichtlich nicht häufig Morde geschehen, entwickelt sich die Aufklärungsarbeit einer isländischen Mordkommission etwas langatmiger, als dies vielleicht in – sagen wir mal – New York üblich ist.

In diesem, schon 2004 in deutscher Übersetzung erschienenen mittlerweile sechsten Krimi von Arnaldur Indridason taucht die Leiche, die einen »Fall« und damit Ermittlungen auslöst, erst Jahrzehnte nach ihrem Ableben auf. Auftauchen ist dabei das denkbar schlecht gewählteste Wort, da nicht sie, sondern der See abtaucht, auf dessen Grund sie offensichtlich 30 Jahre lang lag. Während Kommissar Erlendur und seine Kollegen Elínborg und Sigurdur Óli (die Frage, wie man sich isländische Namen und Vornamen und die sprachliche Unterscheidung zwischen Mann und Frau merkt, ist ein eigenes Thema) sich auf die Suche nach der Identität des Skeletts machen, entwickelt sich vor dem geistigen Auge der Leserin und des Lesers eine Parallelgeschichte, die im Leipzig der fünfziger Jahre spielt. Hauptdarsteller dort sind linientreue junge isländische Sozialisten, die mit einem Stipendium des Staates DDR und »betreut« durch Stasi und FDJ an der dortigen Universität studieren. Es ist die Zeit kurz vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Ungarn. Die Staatsmacht in der DDR ist noch nicht vollständig gefestigt, das Spitzelsystem voll im Aufbau befindlich.

Was das mit dem Mordfall in Island zu tun hat? Wie diese beiden Zeitebenen miteinander verflochten sind und wie dies der Autor Arnaldur Indridason literarisch verwebt, macht einen wesentlichen Teil den Lesegenusses aus. Die Geschichte wirkt zunächst verworren, um sich dann aber zu einer Höchstspannung zu entwickeln. Am Ende jedenfalls ist man sich gewiss nicht mehr so ganz sicher, welcher der düsterere Ort ist: Island oder Leipzig?


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach