Philip K. Dick war ein Maniac. Sein Werk umfasst 108 Geschichten und 43 Romane, von denen diverse verfilmt worden sind. In dieser fünfbändigen Werkausgabe sind sämtliche Geschichten in chronologischer Reihenfolge enthalten. Dies erlaubt es, die Entwicklung des legendären Science-ficition-Autors zu verfolgen. Weiterlesen
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Sämtliche 118 SF-Geschichten
Mein letzter Mord
Es ist sein letzter Mord, die letzte Ermittlung, die ein alter niederländischer Polizist vor seiner Pensionierung noch durchführt. Einen ganz alten Fall hat man aus den Akten gekramt. Einen alten, ungelösten Fall, den der alte Polizist noch einmal neu aufrollen soll. Vielleicht ein letzter Versuch, diesen Fall noch zu klären, wahrscheinlicher aber der Versuch, den Polizisten auf seine letzten Tage vor dem Altenteil zu beschäftigen.
Der alte Polizist wählt einen ungewöhnlichen Weg, um den Fall zu lösen. Er versetzt sich in den Mörder hinein, geht dessen Wege gedanklich und real nach, besorgt sich eine Waffe, schläft mit dessen Witwe und schreibt darüber einen außergewöhnlich langen Ermittlungsbericht an seinen Vorgesetzten. Der Bericht ist nicht nur ein Bericht über die Ermittlungen, sondern vielmehr eine Lebensbilanz, die der Polizist zieht. Viel zu bilanzieren gibt es allerdings nicht, weder auf der Haben-, noch auf der Sollseite. Er war halt Polizist – “alles andere hat er vergessen zu tun”.
“Mein letzter Mord” ist das erste auf Deutsch erschiene Buch des Niederländers Marc Boog, ein im Nachbarland erfolgreicher und anerkannter Schriftsteller. Das Buch ist eher ein Essay als ein Roman oder gar ein Thriller. Eine Studie über den Versuch einer späten Selbstbefreiung. Es geschieht wenig in diesem Buch, dafür wird viel resümiert, erkannt, geschlussfolgert. Im niederländischen Literaturbetrieb hat man für diese Art Roman ein eigenes Genre erdacht, den “literaire thriller” und in der niederländischen Presse mutmaßt man nicht ganz zu Unrecht, dass es für dieses Genre schwer sein dürfte, über die Landesgrenzen hinaus Verständnis zu wecken. So verwundert es nicht, dass auch der niederländische Originaltitel den Leser schneller auf die richtige Fährte führt: “Ik begrijp de mordenaar” (ich verstehe den Mörder). Dem Autor geht es nicht darum, einen Fall zu lösen, sondern er möchte einen Mörder verstehen und erkunden, ob sich ein gewöhnlicher, ja langweiliger Mensch in diesen hineinversetzen kann.
In der Tat fällt es schwer, einen Zugang zu diesem Buch zu finden. Ik begrijp de mordenaar – man ist versucht zu sagen: “schön für ihn”. Aber wer begreift den Schriftsteller und das, was er uns damit sagen will? Der Mörder bleibt nebulös, spät kann man ein Motiv erahnen, seine Gedankengänge hingegen kann wohl nur der halbherzig ermittelnde Detektiv nachvollziehen. Aber auch das weiß man nicht sicher. Zu sehr vermischt sich dessen Lebenssicht, seine Wut auf verschenkte Lebenszeit mit dem, was er herausfindet. Zu keiner Zeit kommt der Leser diesem Polizisten nahe. Mehr noch, dieser Polizist – er interessiert einfach nicht. Zuviel Gejammer. Wie auch die anderen maßgeblichen Protagonisten bleibt er ohne Namen. Namen- und konturlos blickt er zurück auf ein Leben voller verpasster Chancen und er ergreift auch diese letzte Gelegenheit, aus seinem eigenen Schatten herauszutreten, eher zögerlich.
Auch Marc Boogs Sprache bleibt fremd und ist schwer zugänglich. Er formuliert wunderschön, aber konstruiert. Man hat den Eindruck, er betrachtet jedes Wort, dreht es um, stellt es mal hierhin, dann dorthin, solange, bis er zufrieden ist. So entstehen zwar Sätze, die für sich genommen gefallen und sicher auch nachdenkenswerte Wahrheiten beinhalten, doch als wahrhaftiger empfindet man den Roman dadurch nicht.
Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de, Cover zur Verfügung gestellt vom DuMontVerlag
Grimms Kochbuch
Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, mit deren Namen sich seit 200 Jahren die berühmte Sammlung der »Kinder – und Hausmärchen« verbindet, genossen neben der deutschen Sprache, die sie sammelten, pflegten und untersuchten, auch gern eine gute Küche. Darauf lässt zumindest eine Sammlung von Küchenrezepten schließen, die Wilhelms Ehefrau Dorothea hinterließ. Diesen kleinen Schatz der Kochkunst im Biedermeier hat nun der Reprint-Verlag Leipzig gehoben und in unsere Zeit »übersetzt«.
Über Jahrhunderte hinweg war der offene Kamin die einzige häusliche Kochstelle, in dem ein eiserner oder keramischer Kochkessel hing. Im Feuerschein einer derartigen Kochstelle wuchsen auch die Gebrüder Grimm auf. Wir wissen das von Aquarellen, die Jacob Grimm um 1800 schuf. Abgelöst wurde diese offene Kochstelle von gemauerten, hüfthohen Herden, bei denen die Pfanne auf einem Gestell oder Haken über der Feuerstelle angebracht wurde. Dorothea Grimm nutzte einen derartigen Herd; bei ihren Rezepten aus der Berliner Zeit ab 1841 kann bereits auf den Einsatz eines gemauerten Küchenherds mit eiserner Herdplatte geschlossen werden. Damit war es möglich, gleichzeitig mit mehreren Töpfen zu kochen und eine Backröhre zu nutzen.
Die Grimms führten in ihrer Berliner Zeit, bedingt durch den Bekanntheitsgrad der beiden Professoren, ein großes Haus, das von Besuchern aus nah und fern stark frequentiert wurde. Als internationale Wissenschaftsprominenz konnten sie sich vor Einladungen und Gegeneinladungen zu Mittagstischen und Teegesellschaften kaum wehren. Dies hatte auch Einfluss auf ihre Kochkultur, die französische, italienische, nordische und österreichische Bezüge aufweist. Eine der vielen Vorzüge der vorliegenden Sammlung ist, dass die Rezepte auf vier Personen herunter gerechnet und Schoppen, Quart, Nößel, Lot und andere Maße aktuell übertragen wurden.
Damit lassen sich süße Speisen, Fisch, Fleisch, Suppen und Gebäck bequem nachkochen und -backen. Sei es Brotkruste auf Schweinekeule, eine in Gelee gekocht Ganz, gepflückter Hecht, Karpfen in Gelee, geprügeltes Kalbfleisch oder kleine Pasteten – die märchenhaften Rezepte aus dem Hause Grimm öffnen auch im 21. Jahrhundert ungeahnte Gaumenfreuden.
»Grimms Kochbuch« ist ein Muss für jeden, der gern schlemmt und sich dazu anregen lässt.
Die Nibelunge
Von Generation zu Generation überlieferten unsere Vorväter mündlich die historischen Ereignisse um den legendären Drachentöter Siegfried und den Untergang der Burgunden. Vor rund 1000 Jahren wurde die Überlieferung unter dem Titel »Nibelungenlied« dann erstmals aufgeschrieben. Seitdem hat das ursprünglich in mittelhochdeutscher Sprache verfasste Werk eine beispiellose Karriere gemacht: Der Stoff wurde zum Mythos, er floss in zahlreiche Romane und Filme ein. Richard Wagner schuf daraus seine vierteilige Oper »Der Ring des Nibelungen«; Fritz Lang setzte die Geschichte in zwei abendfüllenden Stummfilmen um.
Das Nibelungenlied wurde zum Nationalepos, die ihm beigemessene Bedeutung zeigte sich auch in repräsentativen Prachtausgaben, die heute noch die Herzen bibliophiler Sammler höher schlagen lassen. 1898 erteilte die Reichsdruckerei dem Maler und Grafiker Joseph Sattler den Auftrag, eine besonders prächtige Ausgabe zu gestalten. Diese sollte zu einem Meilenstein in der Geschichte der Buchkunst werden und liegt nun mit ihrem großartigen Vollbildern als verkleinerter, auszugsweiser Reprint vor.
Waren die früheren neuhochdeutschen Übertragungen von Oswald Marbach oder Karl Simrock eng an das Original angelehnt, letztere sogar im gleichen Reimschema gehalten, ist die vorliegende Ausgabe in Auszügen übersetzt und vollständig nacherzählt worden. Joachim Heinzle eröffnet damit die Möglichkeit, die von Mord und Totschlag strotzende Geschichte der Rache Kriemhilds an Hagen, dem Mörder ihres geliebten Siegfried, nachzuvollziehen und gleichzeitig einen ausgezeichneten Eindruck von den zahlreichen Schmuckelementen, Titelleisten, Vignetten, Zierstücke und Initialen, die Sattler schuf, zu bekommen.
Beibehalten wurde vom Herausgeber das Gliederungssystem in 39 kapitelartigen »Aventüren« genannte Abschnitte. So lässt sich die Geschichte der wunderschönen Prinzessin Kriemhild, ihrer Liebe zu dem jugendlichen Recken Siegfried, dessen Ermordung und ihre fürchterliche Rache an Hagen ausgezeichnet nachvollziehen. Ganz wesentlich bestimmt wird der Band aber durch die ganzseitigen farbigen Bilder, die Sattler geschaffen hat. Hier werden weniger Bilderbuchgermanen in historisierenden Kostümen gezeigt als eine von dichter und klarer Bildsprache geprägte künstlerische Nacherzählung, die dem Jugendstil verpflichtet ist.
Ein bildgewaltiger Einstieg für jeden, der sich mit dem Nibelungenlied beschäftigen möchte.
Das fremde Haus
Aufgrund starken Schneefalls nimmt Connie den Geländewagen ihres Mannes, als sie zu einem Termin fährt. Auf der Heimfahrt folgt sie der Kurzwahl “Zuhause” des Navis und landet statt in ihrem eigenen Cottage an einem Ort, der ihr vollkommen fremd ist: Bentley Grove 11, Cambridge. Ihr erster Gedanke: Ihr Mann Christopher führt ein Doppelleben. Sie stellt ihn zur Rede, doch er streitet alles ab. Connie müsse die Adresse selbst eingegeben haben oder es sei ein Programmierfehler der Herstellerfirma. Connie, schon länger psychisch nicht die stabilste, beginnt an allem zu zweifeln. An ihrem Mann, an sich selbst, an ihren Eltern, an ihrem Leben. Ihre Zweifel treiben sie immer wieder nach Cambridge, Bentley Grove 11 wird ihr zur Obsession. Eines Tages steht vor diesem von ihr erfolglos beobachteten Haus eine zu-verkaufen-Offerte. Sie wartet des Nachts, bis ihr Mann tief schläft und klickt sich dann im Internet durch die Website des Maklers. Als sie den virtuellen Rundgang durch das Objekt ihrer Obsession beginnt, sieht sie Schauriges. Im Wohnzimmer liegt die blutüberströmte Leiche einer Frau, die ihr selbst erschreckend ähnlich sieht. Halb benommen vor Schock und Angst weckt sie ihren Mann, doch als er den virtuellen Rundgang startet, ist von einer Leiche nichts zu sehen. Wird ihr jemand glauben, wird jemand ermitteln oder ist Connie auf dem direkten Weg in die Pyschiatrie?
Die für sorgfältig konstruierte Psycho-Thriller bekannte Autorin Sophie Hannah hat diesen Krimi abwechselnd aus der Ich-Perspektive Connies und der 3.Person-Perspektive der polizeilichen Ermittler geschrieben. Dabei ist vor allem die Ich-Perspektive mutig. Denn es ist nicht nur die Perspektive eines möglichen Opfers, sondern zugleich auch die einer Frau, deren Neurosen sich langsam zur Paranoia auswachsen. Ob berechtigt oder unberechtigt, wird sich weisen. Das ist zunächst interessant, sehr bald wird es dann beklemmend und richtiggehend nervig. Dieses Nervige ist gewollt, der Leser muss es aushalten, will er erfahren, wie es weitergeht. Denn die Autorin will nicht nur einen spannenden Plot erzählen, sie seziert das psychotische Innenleben ihrer Hauptfigur bis zum Exzess und zeigt beeindruckend, was Paranoia aus einem Menschen machen kann. Während die beteiligten Ermittler schon bald ein wenig Dunkel in die mysteriöse Geschichte bringen, bleibt Connie desorientiert bis zum Schluß. Sie kann die Horror-Geschichte, deren Hauptdarstellerin sie selber ist, lange nur fragmentarisch zusammensetzen. Aber letztlich ist es ihre Panik, ihre Angst, die sie dazu treibt, verbissen und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen die ganze Geschichte Stück für Stück zusammenzutragen, solange, bis sie endlich das ganze Bild sehen kann.
Der Plot beginnt unvermittelt im Leben von Connie mit einer Szene, die den Leser über das ganze Buch und die teilweise etwas langen psychologischen Deutungen dazu motiviert, bei der Stange zu bleiben. Denn egal, was im Buch passiert, der Leser grübelt die ganze Zeit, wie wohl was mit wem zusammenhängt und was da jetzt eigentlich wirklich passiert ist. Das fremde Haus ist ein Thriller, der mit sehr wenig Action auskommt und auf Spannung baut, die sich aus unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven ergeben. Was ist wirklich so, wie es scheint, was ist anders und warum und gibt es nicht vielleicht noch eine weitere Ebene, die nur noch keiner sehen kann. Letzten Endes geht es um die Frage: Wessen Intuition ist die sicherste? Es erhöt die Subtilität der Erzählung, dass nur auf den ersten Blick alle Charaktere “normal” erscheinen. Denn schon auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass fast jeder Protagonist mindestens eine verborgene Macke hat. Was – wenn man es sich genau überlegt, ja eigentlich auch wieder normal ist. Als kleines Sahnehäubchen gibt es in diesem Verwirrspiel noch einige schrullige Ermittler, unter anderem das frisch verheiratete Team Charlie Zailer und Simon Waterhouse, bereits bekannt aus älteren Sophie-Hannah-Krimis, deren junges Glück durch das Geschehen einer Belastungsprobe unterzogen wird. Bei allem Verwirrspiel und den diversen kleinen Nebenhandlungen behält die Autorin gekonnt den roten Faden und führt diesen immer wieder an seinen Ausgangspunkt zurück. Von einem Happy End weit entfernt, ist die Auflösung dennoch gut und schlüssig gemacht. Fazit: Spannender Psychothriller, gute Unterhaltung.
Sophie Hannah
Das fremde Haus
Bastei Lübbe 2013
ISBN 978-3-404-16769-2
492 Seiten
Märchen aus Mallorca
Ludwig Salvator war ein komischer Kauz. Der exzentrische Erzherzog von Österreich und Prinz von Toskana hatte keinen Spaß an Amtsgeschäften und höfischen Zeremonien. Er befasste sich lieber mit dem Studium der Natur, diverser Sprachen und Dialekte sowie mit seinem Schimpansen »Gorilla«.
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Die Drachen der Tinkerfarm
Mutter Jenkins möchte Singleferien machen. Doch wohin mit ihren halbwüchsigen Kindern Tyler und Lucinda? Die Nachbarin muffelt und müffelt, ein Sommercamp ist unbezahlbar. Rettung naht in Gestalt des alten Onkels Gideon Tinker, der die Kinder brieflich zur Sommerfrische auf seine Tinkerfarm lädt. Niemand hat bisher von diesem Onkel gewusst, aber das macht ja nichts. Zumindest der Mutter nicht. Da können Tyler und Lucinda noch so oft betonen, dass Heuwagen-fahrten nicht die Erfüllung ihrer Träume sind, ehe sie sich versehen, sitzen sie im Zug und harren der Kühe, die sie dort bestimmt melken und dem Mist, den sie kratzen müssen. Und Internet oder eine Playstation gibt es dort bestimmt auch nicht. Dafür sind sie angehalten, im Zug eine eigenartige Anleitung des Onkels zur Pflege von Kühen zu studieren. Dass sie dabei Asbestanzüge tragen sollen, macht sie nun doch neugierig.
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Das fliegende Sushi und andere Katastrophen
Matthias Zipfel würde ich gern mal zum Sushi einladen, denn das wird preiswert. Den fetten Goldfisch, der das Cover seines Buches ziert und der mich lockte, das Buch zu erwerben, hat er jedenfalls nicht verschlungen: Der Mann mag keinen Fisch. Weiterlesen
Gonzo
Hunter S. Thompson, der erklärte Anarchist des »New Journalism«, nannte seine Form des Schreibens »Gonzo-Journalismus«, wobei das Adjektiv »gonzo« für bizarr, verrückt, hemmungslos und schräg steht. Er wurde zur Ikone der Beat-Generation und gilt als einer der durchgeknalltesten Autoren, die Amerika hervorgebracht hat.
In dieser Grahic Novel schildern die Comic-Zeichner Will Bingley und Anthony Hope-Smith HSTs Lebenslauf anhand seiner bekanntesten Werke. Nachvollziehbar gelingt ihnen dabei der Balanceakt zwischen Schreib- und Drogenexzessen, Erfindung und Wahrheit, Genie und Wahnsinn.
Monatelang lebte HST unter »Hells Angels«, um ein Buch über sie zu schreiben. Er ging stets voll in seinem Thema auf, er nahm Recherche wichtig und versuchte, mit dem jeweiligen Milieu eins zu werden. In seiner vielleicht bekanntesten Geschichte »Das Kentucky-Derby ist dekadent und degeneriert« besucht er mit einem britischen Zeichner das berühmte amerikanische Derby, um das feiste und verlogene Amerika zu beschreiben. Die Story verläuft turbulent, die Pferde sieht der Berichterstatter überhaupt nicht, da er meistens die VIP-Bar plündert. Er beschreibt, wie einige tausend volltrunkene Trottel »schreien, heulen, kopulieren, sich gegenseitig niedertrampeln und sich mit zerbrochenen Whiskeyflaschen angreifen«. Schließlich versprüht er eine Dose Kampfgas, was zu einem infernalischen Tohuwabohu führt. Dabei ist die vermeintliche Leichtigkeit, mit der die Geschichte daherkommt, Teil der Kunstfertigkeit des Autors und seiner Fähigkeit, sich selbst in seinen Texten zu inszenieren.
Thompson wurde zum Outlaw, weil er die klassischen Werte des »good old America« verhöhnt und zu einem der letzten Freiheitshelden, der sich mit Mitteln von Sprache und Stil gegen Vermassung und Verblödung wehrt und als kreativer Unruhestifter stets im Mittelpunkt seiner eigenen Geschichten steht. Dies wird in der vorliegenden »grafischen Biografie« gut herausgearbeitet.
Besonders aufschlussreich finde ich das Vorwort seines langjährigen Lektor Alan Rinzler, der über die Mühen schreibt, die er mit dem Zusammensetzen der oft nur auf Papierfetzen verteilten Werke HSTs hatte. »Hunter hasste Lektoren«, schreibt Rinzler »und war der schwierigste Autor, mit dem ich je zusammengearbeitet habe.« Dennoch konnte auch er sich dem Sog des Genies nicht entziehen.
Mein Buch!
Dieses Buch hat mich durch sein Cover gewonnen. Erwartet hatte ich aufgrund der optischen Anmutung im Nierentisch-Plauderton geschriebene unterhaltsame Anekdoten und Berichte einer Autorin, die sich in die Welt des Self-Publishing begeben hat.
Tatsächlich geliefert wird ein Sachbuch, das sich mosaikartig aus Interviews zusammensetzt. Dabei kommen neben Autoren auch Literaturagenten, Marketing-Leute, Verleger, Lektoren und Gestalter zu Wort. Beispielsweise spricht Andreas Eschbach über die Gefahr des verkrampften Schreibens und erläutert seine Arbeitsweise des raschen, linearen Schreibens.
Ihre Arbeitsweise nennt die Autorin hingegen »Sushi-Methode«. Damit will sie zum Ausdruck bringen, nicht linear zu schreiben. Ob das beim Sachbuch der richtige Weg ist, sei dahingestellt. So springt den Leser nach einem interessanten Interview eine Anweisung, wie am besten Word-Vorlagen zu formatieren seien, recht unvermittelt an und macht es schwer, den roten Faden wieder aufzunehmen. Das irritiert.
Da ich selbst diverse Autoren-Ratgeber verfasst habe, gehe ich vermutlich besonders kritisch an eine thematisch verwandte Veröffentlichung heran. Persönlich bin ich auch nicht davon überzeugt, dass Isaac Asimovs These »Wer Science-Fiction schreiben kann, kann alles andere auch schreiben« locker erweitert werden kann zu «Wer schreiben kann, kann alles schreiben«. Aber das sind Diskussionen unter Profiautoren, die hier keinen Platz haben.
Im Ergebnis habe ich Myra Çakans Buch mit Freude und Gewinn gelesen. Vor allem die Informationen über E-Book-Shops und Vertriebsplattformen sind wertvoll, wenn es darum geht, eigene Werke zu verbreiten. Außerdem schimmert zwischen den Ausführungen immer wieder das Nonplusultra des Schreibens durch: Es handelt sich um ein Handwerk, das erlernt werden kann und immer wieder trainiert werden muss. Wer glaubt, auf seine spontanen Ergüsse warte die Buchwelt, wird auch in dieser Veröffentlichung kaum den Stein der Weisen entdecken, um sein E-Book an den Leser zu bringen.
Stationen
Wer von Sonetten spricht, der denkt an Shakespeare. Seine Klanggedichte mit jeweils 14 Zeilen in fester Metrik erschienen erstmals 1609, also vor mehr als 400 Jahren.
William Shakespeare, über dessen wahre Identität sich die Forschung leidenschaftlich streitet, gilt als der König des Sonetts »in jambischen Pentameter mit weiblicher oder männlicher Kadenz«, um es literaturwissenschaftlich exakt auszudrücken. Der Dichter des elisabethanischen Zeitalters hat 154 dieser fragilen Blüten erschaffen und damit einen Höhepunkt der englischen Renaissance und ihrer Widerspiegelung in Literatur und Dramatik inszeniert.
Shakespeare wendet sich an einen »fair boy« und eine »dark lady« als scheinbar homoerotische Geliebte. Er appelliert an den jungen Mann, einen schönen Nachkommen zu erzeugen, um damit unsterblich zu werden. (»Im Vers zwingst du die Sterblichkeit. / Solang ein Mensch noch atmet, Augen sehn, / Solang dies steht, solang wirst du bestehn.«) Er spricht über das Altern, die Eifersucht, das Alleinsein, die Furcht vor Liebesverlust, aber auch über Tod, Tugend, Redlichkeit und die Dummheit der Welt.
Mit Shakespeares Sonetten verbindet mich eine persönliche Leidenschaft. Die Texte wurden nämlich unter anderem von Martin Flörchinger ins Deutsche übertragen. DDR-Nationalpreisträger Flörchinger spielte unter Langhoff ab 1953 im »Deutschen Theater« und ab 1956 im BE. Seine Übertragung der als unübersetzbar geltenden Sonette Shakespeares durfte ich betreuen und herausgeben. Sein Buch unter dem Titel »Und Narren urteil\’n über echtes Können« ist leider nur noch antiquarisch erhältlich.
Umso erfreulicher ist es, dass sich der promovierte Germanist Eberhard Kleinschmidt dem Gedicht nach klassischem Vorbild angenommen hat. Seine »Stationen« genannten 154 Sonette behandeln ebenso wie bei Altmeister Shakespeare den Themenkomplex Freundschaft und Liebe.
Der Autor versucht, die bei Shakespeare abgebildete Geschichte »neu-gewandet« als neues »Beispiel für des Lebens Spiel« (Prolog) »dem Vorbild nah, bald fern, bald von ihm abgekehrt« (Epilog) nachzuzeichnen. In Form einer Art Visionssuche (Aufstieg auf den Berg, Verweilen, Abstieg) ist das lyrische Ich der Dichter-Figur auf der Suche nach sich selbst und seiner Freundschafts- und Liebesbeziehung.
Kleinschmidt reflektiert in seiner Lyrik das eigene Sein und sein fortwährendes Tasten, Suchen, Spüren und Finden. Seine Verse sprechen vom Wandel der Gestalten, vom immerwährenden Kampf um das Entfachen von Liebe, Zuneigung und Nähe. Der Dichter begreift das Leben als wechselhaftes Spiel, das ihn mit seinen sowohl ernsten wie heiteren Seiten immer wieder neu gefangen nimmt. So nähert er sich gedanklich dem Vorbild Shakespeare und schließt den Bogen.
»Stationen« ist ein filigran gewirktes Werk, das gefangen nehmen kann, so man sich darauf einlässt.
Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
Wär schon schön, wenn man jemanden in seinem Leben hätte, der einen aus der Bredouille holt und rettet. Der ehemalige Bankberater von Tilman Rammstedt ist dieser Jemand anscheinend nicht. Dieser wäre am liebsten eine Salzstange und würde sich zu den anderen Salzstangen in den Einkaufswagen legen. Man kennt das.
Das Leben ist kompliziert geworden und keiner mehr da, der es einem erklären kann. Geschweige denn, dass Tilman Rammstedt wüsste, wie der Abgabetermin seines neuen Buches einzuhalten sei. Die Idee hat er: Er dichtet dem melancholischen Bankberater einen Überfall auf seine eigene Bank an. Dieser geht natürlich grandios schief, aber wie jetzt weiter? Das hypochondrische, an der Welt leidende Alter Ego Tilman Rammstedts kommt auf die nahe liegende Lösung: Hollywood. Dort sind sie doch zu finden, die Weltenretter – und wer könnte besser geeignet sein als der Experte für sechste Sinne und langsames Sterben, Bruce Willis, um in die Rolle des Bankberaters zu schlüpfen und dessen Schieflage zu begradigen? Beflügelt von seinem Lösungsansatz, setzt Herr Rammstedt sich an die Tasten und hackt ellenlange Mails an Herrn Willis hinein. Er bedrängt den Filmstar, umschmeichelt ihn, fleht und bettelt, wird zeitweilig beleidigend und nötigend. Bruce Willis jedoch antwortet nicht und Rammstedt beginnt zu fürchten, dass er sein Buch umbenennen müsse in “Die Abenteuer des Bruce Willis, die abrupt endeten, als er von einer Harpune durchbohrt wurde, weil er sich zu fein war, auch nur eine einzige Mail zu beantworten”
Tilman Rammstedts neues Werk Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters besteht aus diesen Emails, die sich mit Erinnerungen an seinen mittlerweile ehemaligen Bankberater abwechseln. Dieser Bankberater kennt zumindest die halbe Wahrheit und langsam beginnt Rammstedt einzusehen, dass dies doch so wenig gar nicht ist. Denn “das meiste war schließlich einfach und der Rest nicht so schwer”: Ein Baum ist wie ein Festgeld. Es muss fest stehen und langsam wachsen. Nicht mehr und nicht weniger. Der Bankberater steht dabei symbolisch für jeden, der beratend tätig ist und von dem die Leute erwarten, dass sie ihnen die Welt erklären, auch wenn das längst niemand mehr kann. Es hätte auch ein Steuerberater sein können, aber bei diesen lohnt es sich vielleicht nicht so sehr, wenn sie die eigene Kanzlei überfallen. Wer sich beim Titel des Romans Insiderwissen zur Finanzkrise erwartet hat, liegt völlig falsch. Dieses Thema kann man sich allenfalls dazu denken, man kann es aber auch lassen. Denn das ist nicht das Thema des Tilman Rammstedt. Genauso wie das Buch nichts mit Katzen zu tun hat, auch wenn eine auf dem Cover thront. Die Katze steht allenfalls für den toten Hund, der im Zweifel eine größere Hilfe ist als der Actionstar. Wen das irritiert, dem sei gesagt, das lernt man direkt als Anfänger bei jedweden sozialen Medien. Ohne sogenannten “Cat-Content” und Banken-Bashing geht heutzutage fast nichts mehr.
In diesem Buch findet sich ein ganzes Konglomerat derzeit erfolgreicher Literaturprinzipien. (Briefroman, die direkte Ansprache von Ikonen der Popkultur und Metafiktion – die Thematisierung von Fiktion der Geschichten und Charaktere). Vor allem das Prinzip der Metafiktion reizt Rammstedt bis zum Äußersten aus. Er schaltet sich nicht nur gelegentlich ein, sondern ist klar erkennbar der Ich-Erzähler, welcher von der Schwierigkeit berichtet, aus einer guten Idee einen Roman zu machen. Gerade, wenn der Abgabetermin näher rückt und Bruce Willis immer noch nicht geantwortet hat. Er tut dies nicht mitleidheischend, sondern durchaus gewitzt. Es ist ein großer Lesespaß, wenn er dem stummen Willis damit droht, jederzeit Hubschrauber auffliegen lassen zu können oder wenn er seinen eigenen Verlag inständig bittet, ihm aus dem gut bestückten Verlags-Fundus doch bitte ein Buch zukommen zu lassen, in dem ein Gefängnisausbruch erklärt wird. Die Emails haben deutliche Längen, da gerät der Autor gelegentlich ins Schwafeln. Doch die Einschübe mit den Erinnerungen an den Bankberater und dessen traurige Parabeln sind bei aller Lakonie sprachlich ungeheuer dicht und ausgefeilt. Bei aller Überspitzung ist Rammstedt da sehr nahe dran an der Realität.
Der Ausgang der Abenteuer bleibt ungewiss. Auf Seite 155 weiß Tilman Rammstedt noch nicht, an welcher Stelle der Geschichte er sich befindet. Auf Seite 999 verabschiedet er sich und wünscht Bruce Willis viel Glück. Leider haben es die Seiten 156-998 nicht mehr ins Buch geschafft und es bleibt somit der Phantasie des Lesers überlassen, ob Rammstedt sein so sehnlich erwünschtes glückliches Ende bekommt. Vielleicht hat er ja sogar statt Hollywood das Ruhrgebiet um Hilfe gebeten und Helge Schneider gefragt. Diesen hatte nämlich ich dauernd vor Augen, wenn es um den Bankberater ging. Warum auch immer. Sicher hätte Helge sich gemeldet und sehr wahrscheinlich wäre ihm auch etwas eingefallen. Auf jeden Fall hätte er verstanden, dass man “manchmal ein Ziel erst hinter sich lassen muss, um es zu verstehen.” So bleibt neben diesen Ungewissheiten noch die Frage offen: Werden wir je wieder einen Bruce-Willis-Film sehen können, ohne daran denken zu müssen, dass dieser Tilman Rammstedt im Stich gelassen hat?
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift
Die Tore der Welt
Erstveröffentlichung dieser Rezension am 09.April 2008 im Blog der Literaturzeitschrift.de. Mittlerweile hat sich der Kurs nicht nur der Telekom-Aktie dramatisch geändert, Schweinefleisch kostet so ungefähr noch dasselbe, die Tore sind als Taschenbuch erschienen und ganz neu auch als Filmbuchausgabe.(s. verwendeter Cover-Download) Die Säulen der Erde wurden mit großem Erfolg verfilmt und in der Adventszeit 2012 geht auch die Verfilmung der Tore als Vierteiler an den Start. Zur Einstimmung auf dieses Ereignis hat sich die Rezensentin für einer erneuten Veröffentlichung der Buchbesprechung entschieden.
Die Tore der Welt.Die mit grossen Getöse angekündigte Fortsetzung von “Die Säulen der Erde”, dem grossen Historienroman des letzten Jahrhunderts. Fortsetzung der Säulen? Geht das überhaupt? Waren nicht fast alle gestorben in den Säulen? Ich lerne schnell: Nein, geht eigentlich nicht.
Der Kunstgriff: Der selbe Ort, andere Zeit. Kingsbridge, England im Jahre 1327. Wir begleiten vier junge Menschen. Den Baumeister Merthin, einen Nachfahren des unvergessenen Jack, schwankend zwischen Genie und Rebellion. Seinen in den Ritterstand aufstrebenden Bruder Ralph. Das Mädchen Caris, die dem Traum folgt, Ärztin zu werden. Und die jüngste, Gwenda. Kind eines Tagelöhners, die den Traum der Freiheit und der Liebe träumt. Zu Beginn des Romans werden die Vier Zeugen eines Kampfes – und eines tödlichen Geheimnisses.
Ist das jetzt eine Fortsetzung? In meinen Augen ein klares Nein. Es sei denn, man definiert eine Fortsetzung dadurch, dass sie am selben Ort spielt , einer der Helden den gleichen Beruf hat und gelegentlich pflichtschuldigst erwähnt wird, das in den ein oder anderen Adern das gleiche Blut fliesst wie in den Adern von Jack und Aliena selig.Die Tore der Welt handeln vom Leben der Nachfahren der SäulenHauptcharaktere. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich vermisse den roten Faden. In den Säulen geht es vom ersten bis zum letzten Satz um den Bau einer Kathedrale. Eine klare Linie. Die Tore erzählen Lebensgeschichten. Ein durchgehender Handlungfaden, ein Ziel fehlt. Es werden Brücken, Krankenhäuser, Paläste gebaut, die Pest bricht mehrfach aus – gesichts- und leidenschaftslos geschildert wie selten. Die nächste Katastrophe wartet bereits an der nächsten Ecke. 1300 Seiten sind da noch knapp bemessen. Lange Reflexionen über das, was die Menschen so vor sich hindenken, im Wechsel mit bautechnischen Details brauchen schliesslich viel Platz. Die Charaktere wirken wie mit der Schablone des Baumeisters gezeichnet. Gut und Böse allzeit definiert, die Schicksale so vorhersehbar wie der Lauf des Flusses um Kingsbridge.
Im Grunde werden die immer gleichen Intrigen immer wieder durchgespielt. Ralph arbeitet sich gefühlte hundert Mal an seinem Rivalen Wulfric ab, der unwürdige Prior Godwyn kann keinen strategischen Schritt ohne seine Mama machen. Caris wäre es ohnehin lieber gewesen, in einem Roman des 21. Jahrhunderts beschrieben zu werden . Merthin baut mal hier, mal da, macht gefühlte 200 Heiratsanträge und hat immer eine tolle Idee. (Ich hörte schon von Lesern, die sich unwillkürlich an “Wickie” erinnert fühlten)
All die Geschichten wirken wie bereits erzählt. Die nur durch einen Eintritt ins Kloster auflösbare Abhängigkeit der Frauen, die Unbarmherzigkeit des Adels und der Kirche, die Knechtschaft der Lehrlinge unter den Gildemeistern, der Leibeigenen unter den Grundherren. Die Geschichten von Hexen- und Dämonenglauben, die von den Auswirkungen der Pest – alle schon mehrmals gelesen. Oft besser, spannender, authentischer, glaubwürdiger als hier. Auch die Idee, den Roman mit einem Geheimniss zu beginnen, welches sich erst am Ende löst- nicht wirklich neu. Zumal das im Klappentext groß angekündigte Geheimnis die Geschichten an sich nicht tangiert und im Rest des Romans kaum mehr zum Tragen kommt. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, der Autor greift es nur aus Pflichtbewusstsein wieder auf.
Die Ankündigung der Buchclubs Sex, Sex und noch mehr Sex in den Toren? Echte Sex-Szenen, noch dazu gute, muss man mit der Lupe suchen. Es sei den Verantwortlichen ins Stammbuch geschrieben, dass Vergewaltigungsszenen auch dann keine Sex-Szenen sind, wenn Ken Follett sie verfasst. Im Original titelt der Roman im Übrigen World without an end. (Ich hoffe ja mal nicht).Woher dann der deutsche Titel? Um Tore an sich geht es eher selten bis gar nicht.
Und noch was. Mir persönlich wichtig. Für 25 Euro krieg ich 2 kg gutes Schweinefilet, von mir aus auch 3 1/4 Telekom Aktien oder eben einen Ken Follett im Hardcover. Der geneigte Leser, soviel Geld anlegend, erwartet nicht nur einen Roman – der ihm gefallen mag oder eben auch nicht, das Risiko geht er ein – er erwartet zum Mindesten ein korrekt gesetztes Buch. Was er nicht erwartet, sind Druck-und Grammatikfehler, auch nicht des öfteren verwechselte Eigennamen. Und schon gar nicht eine nicht ganz korrekte Inhaltsangabe im Klappentext. Zur Übersetzung: Selten ist mir so deutlich wie hier aufgefallen, dass zwei Übersetzer am Werk waren. Miteinander haben die nicht gearbeitet, zu deutlich sind die “Schichtwechsel” zu merken.
Die Tore der Welt sind wieder ein Bestseller. War klar. Die Fortsetzung der Säulen? Einfach zu verlockend. Nur – mit den Säulen machte Follet damals den historischen Roman erst richtig bekannt. Dass er nicht der größte aller Autoren ist, fiel deshalb weiter nicht auf. Inzwischen hat er Hunderte von Nachahmern gefunden, und unter denen sind – sein Pech -, eben auch Spitzenkönner , deren Bücher zwar auch keine Literatur bieten, aber zumindest bessere Unterhaltung. Ich weiss,es gehört mit zum Schlimmsten, was man über ein Buch sagen kann, dennoch: Ich fand es langweilig, schlicht und ergreifend langweilig. Meine Meinung , mein Fazit : Wer es lesen will, übe sich in Geduld , warte auf das Paper-Back und investiere die Differenz in Schokolade oder eine Telekom Aktie. Vielleicht dämpft sich bis dahin ja auch die eigene Erwartungshaltung und man ist begeistert. Möglich. Warum auch nicht? Wer ein Werk von fast 1300 Seiten konstruiert und schreibt, hat gerne Anerkennung und ein Fleißkärtchen verdient.
In One Person
Bill Abbot ist fast 70 und blickt zurück auf ein bewegtes Leben. Aufgewachsen in einem Provinzkaff in Vermont stellt er früh fest, dass er sich zu Frauen und Männern gleichermaßen hingezogen fühlt; wahrlich keine einfache Prüfung in den prüden und bigotten 50er Jahren. Seine Familie steigert die Verwirrung noch: Da gibt es den Großvater, der im ortsansässigen Theater vorzugsweise Frauenrollen spielt, den Vater, der unter mysteriösen Umständen verschwand und die Mutter, die unter der zerbrechlichen Schale harte Geheimnisse bewahrt.
Dennoch verleugnet er seine Vorlieben nicht und geht seinen Weg, kämpfend dabei nicht nur gegen die Vorurteile und Anfeindungen der Heteros, sondern ebenso mit dem Misstrauen der Homos. Hilfe und Unterstützung findet Bill dabei in der Literatur und so verwundert es nicht, dass er (wie so viele Irving-Helden) schließlich selbst Autor wird. Er findet viele Liebschaften (beiderlei Geschlechts) und einige Freunde, von denen allerdings etliche das AIDS-Zeitalter nicht überstehen. Bill bewahrt sich trotzdem seine Empathie und Menschlichkeit; er bleibt ein suchender Erkunder.
Es fällt nicht leicht, zu diesem Roman eine klare und stringente Inhaltsangabe zu liefern; zu umfangreich ist der Plot und zu ausschweifend Irvings Erzählstil. Geboten wird definitiv keine leicht verdauliche Kost, auch wenn des Autors feinsinniger Humor und seine Vorliebe für skurrile Charaktere (Bären gibt es diesmal keine, dafür wieder mal Ringer) durchaus ihren Platz finden. Andererseits gehen die minutiös geschilderten Leiden sterbender AIDS-Patienten tief unter die Haut, ebenso wie die Nöte der Homo-, Bi- und Transsexuellen in der freien Welt der USA.
Ich habe den Eindruck, John Irving schreibt seine Bücher mit zunehmendem Alter immer kompromissloser: Wenn in früheren Werken sexuelle Inhalte eher zurückhaltend angedeutet wurden, ist die Sprache jetzt explizit und lässt an Offenheit nichts zu wünschen übrig. Auch bei politischen Themen positioniert er sich inzwischen so eindeutig, wie er das kürzlich in Interviews vor der US-Präsidentenwahl getan hat.
Irving ist einer der Großen der Weltliteratur, das bestätigt er wieder einmal mit seinem neuen Roman. “In One Person” ist ein kraftvolles Buch mit vielen Facetten, mal heiter, mal tragisch, aber stets zutiefst anrührend. Der Autor überzeugt wie immer mit seinen Ideen und Anliegen, das wichtigste davon ist diesmal das überaus eindringliche Plädoyer für die Toleranz der Vielfalt.
Kayla and the Devil
Kayla ist 19, gut betucht, sieht umwerfend aus und hat dennoch ein Problem: Seit einiger Zeit wird sie von ihren Mitmenschen wie eine Aussätzige behandelt, auch Freunde und verflossene Liebhaber wollen partout nichts mit ihr zu tun haben. Des Rätsels Lösung erfährt sie bei einem Treffen mit dem Teufel, der höchstpersönlich verantwortlich ist für den Fluch, aber natürlich auch gerne bereit ist, ihr altes Leben wieder herzustellen. Allerdings gibt es bekanntlich nichts umsonst und der Preis in diesem Fall ist nicht nur Kaylas Seele, sondern auch ein Menschenopfer, das binnen einer Woche zu erbringen ist…
Bryan Smith schreibt erfrischend flott und lässt zu keiner Zeit Langeweile aufkommen, sein Stil erinnert an Edward Lee und Richard Laymon. Witzige Ideen (in diesem Roman wird Jack the Ripper wieder lebendig und sorgt für allerlei Aufregung) und viel schwarzer Humor bescheren ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen; für Horrorfans lohnt es sich definitiv, diesen Autor zu entdecken, zumal etliche seiner Werke mittlerweile auch auf Deutsch vorliegen. Bryan Smith veröffentlicht seine E-Books inzwischen im Selbstverlag, es handelt sich also um echte Schnäppchen!