Mit der E-Zigarette zum Nichtraucher

Dank reiner Willenskraft bin ich vor Jahrzehnten vom Rauchen losgekommen und habe mich im Laufe der Jahre zu einem passionierten Nichtraucher entwickelt. Ich freue mich heute, nicht mehr in stinkigen Restaurants sitzen und meine Klamotten nach einem Lokalbesuch von kaltem Rauch befreien zu müssen. Meine Finger sind nicht mehr gelb, meine Kondition hat sich wesentlich verbessert, das Rasseln in den Atemwegen ist verschwunden. Dennoch gestehe ich, das Thema E-Zigarette anziehend zu finden!

Die E-Zigarette ist ja eigentlich keine Zigarette im klassischen Sinne. Sie ist ein Lifestyle-Spielzeug und wird mittlerweile auf jeder besseren Party vorgeführt. Deshalb war ich neugierig auf das Buch von Boris Maggioni zum Thema und habe es in einem Schluck »verdampft«.

Der Autor versteht es auf unterhaltsame Art, seinem Leser das Thema näher zu bringen. Gleich zu Beginn seines Sachbuches weist er auf die eigentlichen Gefahren der neumodischen Dampfmaschine hin: Das sind die kleinen Fläschchen mit der konzentrierten Flüssigkeit, mit denen die Geräte befüllt werden. Das Zeug ist, wird es pur genossen, aufgrund der extrem hohen Nikotinkonzentration absolut tödlich, und ich sehe schon die Kriminalliteraten der nahen Zukunft, die Morde durch »Liquids« (so der Fachbegriff) ausführen lassen.

Boris beschreibt ausgehend von der Warnung vor dem puren Genuss dieser Tinktur sehr genau alles, was man beim Umstieg in das E-Rauchen beachten muss: die unterschiedlichen Gerätschaften von der Einwegzigarette bis zum komplizierten Verbrennungskolben mit Ansaugautomatik und Bedienknöpfchen. Er listet ausführlich Vorteile, Nachteile und Risiken der verschiedenen Techniken auf und kommt dann wieder zum eigentlichen Problem der E-Zigarette. Das sind die Tinkturen, von denen keiner genau weiß, auf welchen chinesischen Giftmülldeponien sie von geldgierigen Pfuschern zusammen gepantscht werden.

Insofern ist dieses Buch eine sachlich-kritische Einführung in das Thema. Es sollte von jedem gelesen werden, der sich vom Raucher zum »Dampfmann« umschulen will.


Genre: Gesundheit
Illustrated by Kindle Edition

Fische füttern

Fische füttern “Ist das Leben ein Strom von Dingen, die an uns vorbeiziehen? Sind wir mitten in diesem Fluss, kommen die Dinge, ziehen sie vorbei und verschwinden?” Oder “ist das Leben vielleicht gar kein Fluss, sondern ein Kanal? Dann sieht die Sache schon anders aus. Ein Kanal führt nirgendwohin, er bliebt schnurgerade, ohne ein Ziel, und kann höchstens hoffen, andere Kanäle zu schneiden und sich ein Zeit lang mit ihnen zu vermischen.”
Man weiß es nicht. Auch Fiorenzo weiß es nicht. Fiorenzo steht kurz vor dem Abitur, schwänzt aber vielleicht ein bißchen zu oft die Schule, um wirklich viel zu wissen.Seine rechte Hand hat er bei einem sinnfreien Experiment mit Feuerwerksböllern verloren und ist auch ansonsten “ein noch größerer Dummkopf als Galileo Galilei.”

Fiorenzo lebt im kleinem toskanischen Muglione, einem trostlosen Kaff, gelegen
an einem stinkenden Kanal, fernab jeder Postkarten-Idylle. Seine Mutter ist gestorben, sein Vater besessen davon, Mirko aus dem Nachbardorf zum kommenden Radrenn-Champion zu formen,nachdem der einhändige Sohn des Vaters Traum nicht mehr erfüllen kann. Fiorenzo musste sein Zimmer dem ungeliebten kleinen Champion überlassen und nächtigt nun im väterlichen Geschäft, einem Kramladen für Anglerbedarf, zwischen all den Würmern und Maden, die nur darauf warten, an die Killerkarpfen im stinkenden Kanal verfüttert zu werden. Einziger Lichtblick sind seine selbst im Land des schmalzigen Italo-Pop bemerkenwert erfolglose Heavy Metal Band und die schöne Tiziana. Tiziana, die nach dem Studium auf ihrem so verheißungsvoll vorgezeichnetem Lebensweg falsch abgebogen ist und sich ebenfalls im trostlosen Muglione wiederfindet. Sie vertreibt sich die Zeit mit einem Blog ohne Leser und ansonsten in ihrem mit viel gutem Willen und keinem Geld eröffnetem Jugendzentrum damit, eine selbsternannte Wächter-Gang, bestehend aus gelangweilten Späthippie- Rentnern in Schach zu halten.

Ein sehr eigenwilliges Panoptikum skurriler Figuren hat der italienische Autor Fabio Genovesi da aus der trüben Pampa der Toskana gefischt und lässt diese einen Sommer lang in einer Geschichte ohne wirkliche Handlung in einer erstickenden provinziellen Welt mit Sehnsüchten und unerfüllbaren Träumen kollidieren. Keiner bleibt in diesem bemerkenswert politisch unkorrektem Buch verschont: Die Jungen nicht, die Alten schon mal gar nicht. Blogger, Angler, Radrennfahrer, Lehrer, Eltern, Gutmenschen, Ehrgeizige – bei keiner Gruppe lässt Genovesi Gnade vor Recht ergehen.

Ohne Zweifel ist “Fische füttern” ein hochintelligentes Buch, subversiv und unkonventionell, in seinen Glanzmomenten frech, witzig und poetisch. Aber – das Buch ist im Niveau höchst schwankend. Der Einstieg ist nur mit gutem Willen noch als holprig zu bezeichnen, bei der Unterteilung von über 400 Seiten in mehr als 70 Kapitel, sehr abrupten Perspektiv- und Stilwechseln wird der Leser auch im Fortgang immer wieder höchst unsanft aus seinem Lesefluss gerissen und ist mehr als einmal geneigt, den Schlusssatz der Danksagung vorwegzunehmen und des Autors Rat zu beherzigen: “Wir leben nicht ewig hier, hier sind wir fertig, also jetzt alle raus um zu sehen, was draußen los ist.”
Seitenweise quält man sich durch aufgeblasenes Schwadronieren von Jugendlichen und renitenten Alten, Palaver mit dem Aussagewert der flachen Landschaft, die der Roman ebenfalls ausführlichst zeichnet und beklagt. Dazu kommt, dass Genovesi gelegentlich der Versuchung eindeutiger Effekthascherei nachgibt, sowie dem anscheinend unbezähmbaren Drang, einfach alles aufzuschreiben, was ihm zu seiner Geschichte einfiel. Weniger wäre in diesem Fall definitiv mehr gewesen. Zu oft endet im Klischee, was als inspiriende Lebensweisheit gedacht war.

Und dann kommt das Schlusskapitel, welches dem Leser einen Einblick in das Leben der Protagonisten zehn Jahre später gibt. Ein Kapitel, das einem die Moral der Geschichte wunderbar formuliert an die Hand gibt: Man kann erst dann gewinnen, wenn einem vorher das Verlieren beigebracht wurde. Ein Epilog, der in seiner Einfachheit berührt und den Leser mit der Geschichte gleichzeitig versöhnt und mit der Frage zurücklässt: Warum nicht gleich so? Genovesi kann es doch. Genauso wie dieser Epilog. das wäre mein Roman gewesen.

So bleibt leider nur ein durchwachsenes Fazit: Interesse am Radsport und Angeln dürfte für durchgehenden Lesegenuss förderlich sein.Für den Rest: Lesenswert, aber kein Muss.

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Genre: Romane
Illustrated by Bastei Lübbe

Divina commedia

Ein mächtiges Maß legt Autor Norman Nekro an, wenn er mit den drei in diesem Buch versammelten Episoden um Tod und Wiedergeburt direkt auf Dantes “Göttliche Komödie” und damit eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur Bezug nimmt.

Wie bei Dantes “Divina Commedia” macht der Leser auch bei Nekro eine Reise durch drei Reiche der jenseitigen Welt. Er führt ihn durch die Hölle, in der die Sünder in ewiger Verdammnis büßen, durch das reinigende Fegefeuer bis zum Paradies.

Schrieb Dante seine Erzählung in symbolisch arrangierten, gereimten Elfsilblern, die bei der abstoßenden Beschreibung der Hölle beginnt und bei den Freuden des Paradieses endet, so bedient sich Nekro der Prosa.

Der Autor beginnt mit der rabenschwarzen Betrachtung eines Unfallopfers, in dessen Eingeweide sich soeben das Blech einer herrlich metallic-orangefarbenen Motorhaube gefressen hat.

Er schildert einen Heiligabend auf der Intensivstation, wo ein zwölfjähriger Junge, den ein Gewirr von Schläuchen, Kanülen und Kabeln ans Bett fesselt, in andere Sphären gleitet.

Den poetischen Höhenflug aber liefert Nekros Beschreibung des Tanzes eines Pfauenauges zur Sonne. Er beschwört Himmel und Erde ebenso wie die glühende Farbenpracht des nahen Waldes oder das archaische Rot der reifen Äpfel. Die ganze Welt besteht für den Falter nur noch aus reiner Seligkeit, er erlebt seinen irdischen Garten Eden. Ermattet und glanzlos sinkt er schließlich zu Boden, stumpf, grau und leblos ähnelt er dem verwelkten Blatt, das der kräftig auffrischende Wind gerade vorbeiweht. Mit einem Seufzer schließt der Schmetterling die Augen und dämmert hinüber in die Unendlichkeit des himmlischen Paradieses.

Allein für diese letzte Geschichte lohnt sich der Erwerb des Buches.


Genre: Kurzprosa
Illustrated by Kindle Edition

Der Todestagsverkäufer

Einer der angesehensten Bürger einer Stadt findet sich plötzlich im Hinterzimmer einer Kneipe wieder, um sich von einem zwielichtigen Quacksalber die Stunde seines Todes vorhersagen zu lassen. Magus Mortemer eröffnet seinem Kunden gegen einen prall gefüllten Beutel mit fünfzig süddeutschen Gulden, dass er bereits zwei Tage später das Zeitliche segnen wird. Und tatsächlich: Gevatter Tod schlägt auf die Minute genau zu.

Nachdem auch ein weiterer Städter mit seiner exakten Sterbestunde konfrontiert wird, zieht dieser Professor Froebius zu Rate, der auf vorsätzliche Giftmorde tippt. Doch die Sache ist weitaus vertrackter, es scheinen teuflische Mächte im Spiel zu sein, mit denen der geheimnisvolle Wahrsager verbündet ist.

Froebius schleicht sich in das Hotelzimmer des seltsamen Sehers und entwendet ein mysteriöses Buch, auf den ihn eine Erscheinung aus anderen Sphären hinweist. Damit versucht er, dem Todesboten auf die Schliche zu kommen. Doch der durchschaut den Arzt und schlägt ihn in seinen Bann …

Norman Nekro legt mit diesem Buch den dritten Teil seiner Reihe um den Medicus Froebius vor. Es ist das mit Abstand stärkste Abenteuer, das der ehemalige Militärarzt, der anno 1818 in einer hessischen Kleinstadt praktiziert, bestehen muss. Der Autor ist mit seinem Helden gewachsen, seine Geschichte ist brillant geschrieben, dramaturgisch erstklassig gebaut und historisch stimmig. Ein spannendes Lesevergnügen zur Geisterstunde!


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Kindle Edition

Leiden Sie an Nomophobie?

Nomophobie? Schon wieder ein neuer Begriff, eine seltene Krankheit, eine ausgefallene Mode?

Kirsten Wendt hilft weiter: Nomophobie ist ein Kunstwort aus dem englischsprachigen Raum und eine vom UK Post Office geprägte Abkürzung für “‘No Mobile Phone – Phobia'”, wörtlich “Kein-Handy-Angst”‘. Als Nomophobie bezeichnet man die Angst, mobil unerreichbar für soziale und geschäftliche Kontakte zu sein. Es geht also um jene brandaktuelle Erkrankung des Zeitgeistes, der uns an allen Ecken und Kanten mit dem Handy am Ohr begegnet.

Die Autorin verrät dem Leser ihres Buches zum Thema zwar nicht, ob sie selbst zu den Handysüchtigen zählt. Vielleicht besitzt sie nicht einmal einen sprechenden Knochen, wie Catweazle, der aus dem Mittelalter in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts katapultierte Zauberer in der gleichnamigen TV-Serie der BBC das schnurlose Telefon nannte. Jedenfalls hat sie sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich in ihrem Elektrobuch nachlesen.

Dabei erweist sich Kirsten Wendt als geübte Erzählerin, die locker und launig selbst schwierige Themen in den Griff bekommt, und so bleibt sie auch nicht beim Thema Handysucht stehen. Vielmehr schlägt sie einen Bogen über Winkefleisch, Jugendsprache und Migräne bis hin zur Sexsucht. Wie sie es schließlich sogar schafft, Nomophobie und Nymphomanie zu verknüpfen, das soll hier nicht verraten werden. Dazu muss man/frau schon selbst dieses kleine Büchlein lesen.


Genre: Gesundheit
Illustrated by Kindle Edition

Ein Ort schweigt

In „Ein Ort schweigt“ werden nicht nur die Krankentötungen mit etwa 8000 Opfern in Berlin-Buch an Hand von Sterbeurkunden nachgewiesen, sondern es wird auch die Haltung der Täter und Mittäter, der Bevölkerung, sowie der Umgang der Staatsführung der DDR mit den in Berlin-Buch begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet.

Die Opferzahlen wurden im Rahmen der erstmaligen Auswertung von zehntausenden Sterbeurkunden des Standesamtes Berlin-Pankow in den Jahren 2009/2010 ermittellt. Für mindestens 8000 Todesfälle gibt es keine hinreichende medizinische Erklärung. Hinzu kommen ungefähr 3000 Bucher Patienten, die im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion aus der Bucher Heil-und Pflegeanstalt in entfernte Tötungseinrichtungen verlegt und dort in Gaskammern oder durch Medikamente umgebracht worden sind. Unbekannt ist bis heute auch die erhebliche Zahl der pflegebedürftigen älteren Bucher Patienten, die während des Zweiten Weltkrieges – und dies fast ausnahmslos gegen ihren Willen – in östlich der Oder gelegene Einrichtungen verbracht wurden und nie zurück kehrten.

Der Grund für das hartnäckige Verdrängen und Verschleiern dieser in Buch begangenen Verbrechen liegt zum einen in den besonderen sozialen Strukturen des Ortes und zum anderen in der Absicht der damaligen DDR-Führung, Berlin-Buch zum größten und modernsten Krankenhausstandort Europas und zum Flaggschiff der DDR-Medizin zu entwickeln.


Genre: Dokumentation
Illustrated by Rosemarie Pumb

The Mirage

Am 09. November 2001 steuern christliche Fundamental-Terroristen Flugzeuge in die Wolkenkratzer der UAS-Metropole Bagdad, ermorden damit Tausende von Menschen und erschüttern die wirtschaftliche und militärische Supermacht United Arab States bis ins Mark. Der Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten und so beginnt man mit dem Verbündeten Israel die Invasion Amerikas, einem unbedeutenden Drittweltland, das als Drahtzieher der Anschläge und Heimat der Terroristen vermutet wird.

Acht Jahre später ist die angestrebte Zivilisierung Amerikas und Überführung in eine Demokratie immer noch nicht abgeschlossen und die Gefahr von Terroranschlägen im eigenen Land unverändert hoch. Mustafa, Amal und Samir arbeiten für Homeland Security und es gelingt ihnen, einen christlichen Selbstmordattentäter dingfest zu machen, der eine unglaubliche Geschichte zu erzählen hat: In Wahrheit wäre Amerika die fortschrittliche Supermacht und die zerstrittenen arabischen Länder befänden sich auf unterentwickeltem Niveau, als Beweis zeigt er den Ermittlern eine amerikanische Zeitung vom 12. September 2001.

Mustafa und seine Kollegen bekommen von höchster Stelle der Regierung den Auftrag, diesen mysteriösen Fall zu untersuchen und stoßen schon bald auf weitere Spuren: Der dubiose Unterweltsboss Saddam Hussein ersteigert regelmäßig im Internet Artefakte aus der vermeintlichen Parallelwelt und auch Senator Osama bin Laden, dem enge Verbindungen zum Geheimbund Al Kaida nachgesagt werden scheint daran sehr interessiert. Eine Reise nach Amerika soll schließlich des Rätsels Lösung bringen…

Matt Ruff hat es wieder einmal geschafft, seine Fans mit dieser fantastischen Geschichte zu überraschen und begeistert wie gewohnt mit einem mitreißenden Plot, dessen Details liebevoll sorgfältig ausgearbeitet sind: Die beliebteste TV-Serie der UAS ist der Echtzeit-Thriller “24/7 Jihad”, die Musik-Charts werden angeführt von der Punk-Band Green Desert mit ihrem Hit “Arabian Idiot” und der Gouverneur des Libanon war in seinem früheren Leben ein populärer Action-Filmheld. Und natürlich fehlen auch nicht die Protagonisten auf der anderen Seite, zu viel soll hier allerdings nicht preisgegeben werden.

Indem der Autor die persönlichen Geschichten der drei Hauptfiguren mit den politischen Bedingungen verknüpft, zeigt er auch den ganz normalen Alltag in einem islamischen Land, das hin- und hergerissen ist zwischen Säkularisierungsbemühungen moderner Aufklärung und reaktionärer Reglementierung der traditionellen Religion, eben ganz so wie heute in den realen USA. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Matt Ruff auch in seinem neuen Werk mit sprachgewaltigem Wortwitz glänzt, Bücher wie diese sorgen beim Leser für ungetrübte Freude!


Genre: Romane
Illustrated by Harper

Öffentlichkeitsarbeit für Autorinnen und Autoren

Im ersten Abschnitt seiner dem Thema Öffentlichkeitsarbeit für Autorinnen und Autoren gewidmeten mehrteiligen Arbeit befasst sich Autor Roland Zingerle mit den Grundschemata der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Zingerle bestimmt dazu den Begriff des “Mediums” als Mittler zwischen Sender und Empfänger und mit diesem Dreiermodell die Keimzelle dessen, was gemeinhin als ‘Kommunikation’ bezeichnet wird. Er differenziert Kommunikationsmedien und Massenmedien und erläutert, dass es darum gehe, mit Hilfe der Massenmedien auf die jeweiligen Kommunikationsmedien aufmerksam zu machen.
Um nun ein Medienunternehmen davon zu überzeugen, über eine Buch oder eine Veranstaltung zu berichten, muss ein Autor die Vorteile aufzeigen, die sich daraus für das Massenmedium ergeben. Schließlich möchte er keine Anzeigen bezahlen, sondern die Berichterstattung kostenlos haben. Dazu sind zwei entscheidende Fragen vorab zu klären, die letztlich Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit sein müssen: Welches Ziel verfolge ich mit meiner Öffentlichkeitsarbeit? und Wer sind meine Zielgruppen? Dazu stellt Zingerle praktische Fragen, die helfen, diese zentralen Aspekte positiv zu beantworten.

Im zweiten Abschnitt befasst sich der Autor mit Aufbau und Arbeitsweise von Medienunternehmen.
Zingerle unterscheidet zwischen der Aufbauorganisation, also der hierarchischen Struktur, sowie der Ablauforganisation eines Medienunternehmens, das sind jene Prozesse, die in der Alltagsroutine ablaufen müssen, um ein reibungsloses Erreichen des Tagesziels zu gewährleisten. Er geht von einem klassisch durch Anzeigen finanzierten Printmedium aus, wenn er die drei tragenden Säulen Redaktion, Anzeigenverkauf und Administration definiert.


Im dritten Abschnitt behandelt Roland Zingerle die Planung klassischer Öffentlichkeitsarbeit.
Danach sollte sich ein Autor erst einmal klar machen, welche Aktivitäten er in welchem Zeitraum umsetzen will. Möchte er nur sein Buch präsentieren oder auch eine Lese-Tournee abhalten? Dazu zählt weiter eine Vorstellung, in welchem Zeitraum bestimmte Ziele umgesetzt werden sollen und welche finanziellen Mittel hierfür aufgewendet werden können.
Zingerle gibt dann konkrete Hilfestellung bei der Kontaktaufnahme mit Medienunternehmen. Er nennt Kritierien für die Auswahl der Ansprechpartner und gibt Ratschläge für das richtige strategische Vorgehen bei der Kontaktaufnahme.

Im vierten Abschnitt befasst sich Zingerle mit Stilfragen klassischer Öffentlichkeitsarbeit.
Dazu skizziert er im Schweinsgalopp das Einmaleins der Journalismus, zu dem unter anderem die berühmten “W-Fragen” zählen. Er erwähnt, was in keine Pressemeldung gehört wie Negativ-Botschaften, persönliche Meinungen und Schmähungen. Schließlich beschreibt er den Aufbau eines redakionellen Artikels.
Ausführlich beschäftigt er sich anhand zahlreicher Bildbeispiele mit Grundregeln der Pressefotografie, da eine anspruchsvolle Öffentlichkeitsarbeit ohne Foto-Material undenkbar sei.

Im fünften Abschnitt behandelt Roland Zingerle die Schule des Sprechens.
Der Verfasser geht dabei davon aus, dass Autoren Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie betreiben, um ihre Lesungstätigkeit bekannt zu machen. Dazu möchte er dem Leser Einblick in das Handwerk des Sprechers gewähren.
Über Grundsätzliches zur Lautbildung kommt Zingerle zu konkreten Schnellsprechübungen, um die Zungenfertigkeit des Leser auf die Probe zu stellen. Er empfiehlt Übungen zum Gefühlsausdruck und gibt schließlich Verhaltensregeln zum Sprechen in der Öffentlichkeit. Abschließend nennt er sieben Punkte, die einen guten Rezitator ausmachen.

Schließlich befasst sich der Autor mit der organisatorischen Durchführung einer Lesung.
Sinn und Zweck einer Autorenlesung ist, ein Buch zu präsentieren und möglichst oft zu verkaufen. Das gelingt nur, wenn die Zuhörer durch den Vortrag positiv beeindruckt und neugierig gemacht werden. Zingerle nennt dazu verschiedene Maßnahmen, die helfen können, den gewünschten Zweck zu unterstützen und einen möglichst durchschlagenden Erfolg zu erreichen.
Der Band gibt auch Informationen über die Pflichten des Veranstalters, über Terminfragen, Audiotechnik und Beleuchtung bis hin zur konkreten Ablaufplanung.


Genre: Ratgeber
Illustrated by Kindle Edition

Sechs Getränke, die die Welt bewegten

Sechs GetränkeVor etlichen Jahren lernte ich in Amerika bei einer Dinner Show ein junges Paar kennen. In breitestem Südstaaten-Dialekt stellten die beiden sich mit folgenden Worten vor: “Hi, we are Betty and Jim from Atlanta. Atlanta, Georgia. Home of Coca-Cola.”

Das ließ mich damals so fasziniert wie irritiert zurück. Zig Dinge wären mir eingefallen zu Atlanta, Georgia. Scarlett. Tara. Martin Luther King. Die Peachtree Road. Die Sezessionskriege. Meinetwegen auch Coca-Cola. Jedoch nicht als Erstes, Einziges und Wichtigstes. Aber so sind sie, die Amerikaner. Unbändig stolz auf den Siegeszug der braunen Brause als global akzeptiertes, bewundertes Symbol des American Way of Life.

Genau dies bestätigt auch der englische Historiker und Journalist Tom Standage in seinem überraschenden Werk Sechs Getränke, die die Welt bewegten. Spätestens seit Coca Cola zum kriegswichtigen Gut geadelt wurde, war der Aufstieg des Getränks von der Brause aus dem Sodabrunnen zur nationalen Institution unausweichlich.

Coca-Cola ist das letzte der 6 Getränke, anhand derer Tom Standage seine Leser unterhaltsam durch die Weltgeschichte führt. Der deutsche Titel führt leicht in die Irre. In diesem Buch geht es nicht in erster Linie um Getränkekunde, sondern die Entstehungsgeschichten von sechs Getränken – neben Cola sind es Bier, Wein, Rum, Tee und Kaffee – werden verknüpft mit einer rasanten Zeitreise von der Steinzeit in die Gegenwart. Der Originaltitel A history of the world in 6 glasses trifft es wesentlich besser. Standage bietet nicht weniger als einen Crashkurs in Weltgeschichte, gepaart mit Exkursen in Technik, Chemie und Religion. Nur wenige der sorgsam recherchierten Verknüpfungen sind weithin bekannt, am bekanntesten dürfte die Boston Tea Party sein. Umso überraschender zu erfahren, dass beispielsweise die Pyramiden wohl ohne die zufällige Entdeckung des Bieres nie gebaut worden oder die Entdeckungen der Kolonialzeit ohne Rum nicht machbar gewesen wären. Besonders spannend die Geschichte des Kaffees. “Das nüchterne Geschenk der arabischen Welt”, es trat seinen Siegeszug im Zeitalters der Vernunft an. Kaffeehäuser etablierten sich als Heimstätten eines Bündnisses aus Kaffee, Innovation und Netzwerk, “eine Art Internet des 17. Jahrhunderts”.

Standage zieht destillierte Schlüsse aus dem “flüssigen Vermächtnis der Kräfte, die unsere Welt geprägt haben“. Dabei räumt er mit bis heute verbreiteten Mysterien auf und stellt neue Thesen auf. So stehe “der Konsum von Coca Cola in engem Zusammenhang mit dem Wohlstand und der Lebensqualität von Ländern”. Gewagt, aber nicht von der Hand zu weisen und daher durchaus bedenkenswert.

Dennoch irritiert seine rigorose Trennung, jeder Periode ein bestimmtes Getränk zuzuordnen. Bier kommt im Buch nur in vorchristlicher Zeit vor, von der “Amphore Kultur” (Wein) hört man nur bis zum Mittelalter und Tee war das Schmiermittel der industriellen Revolution. Die Dominanz britischer Tea-Time-Kultur bis heute interessiert nur am Rande. Selbst die Prohibition spielt allenfalls im Hinblick auf den Siegeszug von Coca Cola eine Rolle. Standage weist jedem Getränk einen Platz als Katalysator für die Förderung der Kulturen und Zivilisationen zu. Dass jedes dieser Getränke für sich genommen bis heute mehr ist als nur ein Durstlöscher, ist bei dieser Vorgehensweise uninteressant. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Standage ein allgemeingültiges Standardwerk vorlegen wollte. Vielmehr dürfte es seine Intention gewesen sein, mit einem Augenzwinkern auf die Weltgeschichte zu schauen und Geschichtsmuffeln einen unterhaltsamen Rundgang zu bieten. Dies ist ihm zweifellos gelungen. Und da er seinem Gesamtbild viele unbekannte Details zufügt, dürfte dieses Werk auch den in Historie Versierteren Spaß machen.

“Die Gepflogenheit, sein Glas zu heben, ist uralt und beschwört übernatürliche Kräfte”. Und so ist natürlich auch diese Buchbesprechung nicht entstanden ohne den beherzten Einsatz diverser inspirierender Getränke. In diesem Sinne Salute, Cheers und Prösterken.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Dokumentation
Illustrated by Artemis und Winkler

Apfeldiebe

ApfeldiebeFünf Jungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein großmäuliger Anführer, der aber noch gerne mit seinen Ritterfiguren spielend sich heimlich in ein Abenteuerland träumt. Der dicke Mitläufer, das Weichei. Der kleine Bruder, der nichts sehnlicher wünscht, als in der Welt der Großen akzeptiert zu werden. Der langhaarige, verträumte Einser-Schüler, bevorzugtes Mobbing-Objekt der anderen. Und schließlich der düstere Neu-zugezogene, den man ebenfalls mangels Alternativen hänselt. Denn eigentlich hat man Angst vor ihm.

Die Roggenbacher Burgruine, ein verbotener Platz. Alex, der selbsternannte Anführer findet dort eines Tages eine unerforschte Höhle mit mittelalterlichen Gerätschaften. Es sind Ferien und da er schließlich der Anführer ist, führt er die anderen dorthin. Doch was als Abenteuer für einen Tag gedacht war, endet in einer Katastrophe. Die Decke der Höhle stürzt ein, die Jungen sind gefangen. Schluss ist mit Spiel, das Abenteuer wird blutiger Ernst. So jung die Kinder noch sind, so schwer sind die Päckchen, die sie mit sich tragen. Auf sich alleine gestellt, in einer Situation, wo Hoffnung langsam in Panik umschlägt, wo das altbekannte Mobbing die Grenzen des Wahnsinns überschreitet, sind die Kinder auf sich selbst,ihre Ur-Ängste und Ur-Instinkte zurückgeworfen. Wird überhaupt einer von ihnen das Tageslicht wieder erblicken?

Nur ein Mann weiß ungefähr, wo die Kinder sein könnten. An der großangelegten Suchaktion beteiligt er sich jedoch nicht. Er ist der Dorf-Grantler, der Außenseiter, den alle fürchten. Er selbst hat nichts mehr zu verlieren, er wartet nur noch auf den Tod. Die verschwundenen Kinder interessieren ihn nicht wirklich, zunächst einmal sind es für ihn fünf Apfeldiebe weniger, um die er sich kümmern muss. In seinen letzten Lebenstagen denkt er über sich und sein verpfuschtes Leben nach, in dem er nicht einmal über seinen Schatten springen konnte. Nach einer durchwachten Nacht wird ihm klar, dass er sich nur einmal hätte umdrehen müssen, um über eben diesen Schatten zu springen. Schafft er jetzt diese Umdrehung und kann er die Kinder noch retten? Vor der Höhle und vor sich selbst?

Das Thema mutet bekannt an. Natürlich. Doch wer liest heute noch Herr der Fliegen? Leider wohl kaum einer. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dieses Thema nach einer Neuauflage schrie, um in die heutige Zeit transkribiert zu werden. Der Autor Michael Tietz, dem mit “Rattentanz” ein Überraschungserfolg gelang, wagt dieses Wagnis. Und er macht es gar nicht mal schlecht. Seine Apfeldiebe können zwar nicht mit der Symbolträchtigkeit und der Intertextualität eines Herrn der Fliegen mithalten, doch was das Grauen angeht, das dieser Roman mit seinen klaustrophobischen und befremdlichen Szenen auslöst, kann er durchaus mithalten. Er macht vor nichts halt, scheut vor nichts zurück. Der Kampf ums Überleben wird nicht nur zu einem Kampf gegen die fast aussichtslosen Umstände, in der sich die Jungen befinden, sondern vor allem zu einer Grenzerfahrung im Umgang mit sich selbst und den Freunden. Während die einen dem Wahnsinn nicht mehr fern sind, finden andere erst zu ihrer wahren Stärke.

Tietz entfaltet sein Szenario bildgewaltig, verliert sich zuweilen aber in Details. Fast hat man den Eindruck, dass er seiner eigenen Sprachmacht noch nicht so recht traut. Zu diesem Eindruck passt auch, dass seine Charaktere zwar sorgfältig ausgewählt und gegenübergestellt, aber gelegentlich einfach zu stereotyp gezeichnet sind.

Im Gegensatz zu seiner gelegentlich überbordenden Detailverliebtheit steht jedoch das Ende. So versöhnlich einige Schlußzenen den Leser stimmen mögen, so irritiert bleibt er doch mit der Wertung zurück. Exemplarisch sei da Timis Mutter genannt. Ohne hier zuviel verraten zu wollen, auch sie hat ein Verbrechen begangen. Dies mit einem einzigen, noch dazu recht freundlichen Satz abzuhandeln, das geht und passt gar nicht.

Dennoch: ein atmosphärisch und psychologisch dichter, spannungsgeladener Thriller, der durchaus kunstvoll zu schocken vermag, aber auch berührt und Fragen aufwirft.

Der Autor: Michael Tietz lebt mit seiner Familie als Krankenpfleger im Schwarzwald, wo auch seine Bücher spielen.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Thriller
Illustrated by Bookspot

Wie der Mensch zum Schluckauf kam

Dieses Büchlein ist unterhaltsam und kann als Partyspaß oder für einen Mini-Wissenstest eingesetzt werden. Ob damit nützliches Wissen vermittelt wird, muss jeder Leser für sich beanworten.

Systematisch wird jedenfalls nichts aufgearbeitet, es gibt weder Rubriken noch eine erkennbare Ordnung in dem Buch. Dass zudem beim E-Book auch noch ein Inhaltsverzeichnis fehlt, führt für mich zu einem klaren Abzug von einem Punkt. Derartiges ist bei einem Elektro-Sachbuch nun wirklich ein Muss.

Einen weiteren Punkt ziehe ich für den unverhältnismäßig hohen Preis ab. Die Antworten auf die bisweilen durchaus amüsanten Fragen (\”Welche Oper entstand mit Hilfe einer Badewanne?\”) sind stets auf zwei bis drei kurze Sätze reduziert und können insofern nur vages Wissen vermitteln. Von Brockhaus erwarte ich sehr viel mehr Tiefgang!

Bezogen auf den Verlag und die damit verbundenen Erwartungen an seine Bücher fällt mir ein chinesisches Sprichwort ein: \”Begibt sich der Drache in seichtes Wasser, wird er schnell zum Gesprött der Krabben.\” Will sagen: Brockhaus sollte sich besser nicht im Trivialen bewegen, sondern dort bleiben, wo das Unternehmen daheim ist: im Meer des Wissens.


Genre: Lexika und Nachschlagewerke
Illustrated by Brockhaus Leipzig und Mannheim

Mordsviecher

Im Landkreis Garmisch wird die Leiche eines Unternehmers gefunden, inmitten unzähliger Tiere, Pferde, Hunde und Kaninchen, aber eben auch Reptilien und fast alle davon in einem erbärmlichen Zustand. Der Tote war ein äußerst erfolgreicher Daunenproduzent, bayerischer Unternehmer des Jahres und betrieb aktive PR in Sachen Tierschutz und Ökologie. Kommissarin Irmi Mangold und ihr Team ermitteln rasch die Todesursache: Gift einer schwarzen Mamba. Dann aber wird es schwierig, denn der vermeintliche Saubermann hatte nicht nur Feinde unter den Tierschützern, sondern auch genügend Neider im Kreis seiner Wirtschaftsfeinde und selbst innerhalb der Familie waren ihm nicht alle wohl gesonnen. Oder war es doch nur ein Unfall? Fragen über Fragen tun sich auf und zudem kriecht auch noch eine schwarze Mamba irgendwo frei durch das bayerische Alpenland…

Der Roman greift das brisante Problem des “Animal Hoarding” (unkontrolliertes Ansammeln von Tieren) auf, ein Phänomen, das auch hierzulande immer öfter auftritt und engagiert sich für den Tierschutz, eine feine Sache, für die der Autorin Lob gebührt. Allerdings ist das auch so ziemlich der einzig positive Aspekt, den ich diesem Werk abgewinnen kann. Die Handlung schleppt sich für einen Krimi zu zäh und langatmig dahin, die Protagonisten agieren allesamt eindimensional und sind zu wenig facettenreich gezeichnet; sie interessieren den Leser daher nicht sonderlich. Der Versuch, dem Buch etwas Regio-Touch und Lokalkolorit zu verleihen wirkt bemüht und beschränkt sich weitgehend auf die örtlichen Verkehrswege (inklusive detailgetreuer Schilderung Münchener Baustellen); ein paar richtig schräge einheimische Charaktere (und daran besteht ja hier in Bayern kein Mangel!) hätten wohl eher zum Ziel geführt.

Wer den Roman dennoch lesen möchte, kann auch außerhalb des Freistaats bedenkenlos zugreifen, die Verständlichkeit wird jedenfalls nicht durch übermäßigen Dialektgebrauch eingeschränkt.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Pendo

Bugatti taucht auf

Bugatti Es ist ein eher unbekannter Bugatti, der zu Beginn auf den Seiten dieses erstaunlichen Romans auftaucht: Rembrandt Bugatti, jüngerer Bruder des legendären Erfinders und Konstrukteurs Ettore. Dieser Rembrandt lebt zurückgezogen und unglücklich als Bildhauer, Aus seinen Tagebüchern aus den Jahren 1914/15 erfährt der Leser einiges über die stilprägende italienische Dynastie, aber auch aus dem tragischen, unglücklichen Leben des Rembrandt Bugatti, eines Menschen, für den “die Routine des Wiederkehrenden” nicht tröstlich ist, sondern “der Beweis, dass es kein Entkommen gibt.”

Szenenwechsel: Gegenwart. Februar 2008. Im schweizerischen Locarno wird die “Stranociada”, der Tessiner Karneval gefeiert. Ein junger Mann, Luca, gerät unbeabsichtigt in eine alkoholisierte Auseinandersetzung, wird kaltblütig zu Tode geprügelt und getreten. Aus nüchternen Protokoll-Aufzeichnungen ergibt sich die Chronik eines beiläufigen und völlig sinnlosen Todes, das unfassbare, weil “triste Bild von jungen Leuten zwischen Langeweile und Überforderung, die nicht wissen, was sie tun und deren Lebensgefühl man vermutlich so zusammenfassen könnte: Was soll der ganze Scheiß?”

Szenenwechsel: Wir lernen Jordi kennen, einen Freund der Familie des getöteten Jungen. Jordi aus dem Nachbarort Ascona, der dort eine Unterwasserfirma besitzt und sich “ungeheuerlich schämte, ohne zu wissen, wofür. Einfach für das, was passiert war.” Jordi ist ein durch und durch integrer, moralischer Mensch. Er will es nicht hinnehmen, dass diese Tat ungesühnt bleibt, er will der im Tessin schwelenden, zuweilen hysterischen Aufregung etwas entgegenhalten, den Tätern keine größere Bühne bieten als unbedingt nötig. Er will der Sinnlosigkeit, dem Unfassbaren “eine andere Handlung entgegensetzen, die den Ausschlag dieser Waage veränderte, etwas gutartig Schönes [….] etwas, was dem Schrecken [….] trotzen konnte [….] eine Geschichte, die von irgendwo her kam und von der man nicht sagen konnte, wo sie enden würde. Ein Riesending, ein Zartes.”
Jordi erinnert sich an einen alten Asconeser Mythos. Es geht die Legende, dass auf dem tiefsten Grund des Lago Maggiore ein alter Bugatti ruht. Bewiesen wurde diese Legende nie, mehr denn ein vage als Radnabe zu interpretierendes Etwas hat kein Taucher je gesichtet. Jordi versucht mit Hilfe von Freunden und Familie, das Unmögliche möglich zu machen und nach einigen Rück- und Schicksalsschlägen gelingt es ihnen in der Tat. Sie bergen den erstaunlich gut erhaltenen Bugatti, lassen Piazza und Promenade sperren und den Bugatti aus dem See öffentlichkeitswirksam auftauchen. “Sie machten es für Luca, der am 1. Februar ermordet wurde. Und dann organisierten sie ein großes Fest. An einem Sonntagmorgen. Und es kamen viele Leute, viel mehr Leute, als sie erwartet hatten.”

Die Geschichten, die Dea Loher in ihrem Romandebüt erzählt, fußen allesamt auf realen Ereignissen. Im Roman wird er Luca genannt, in der ebenso unfassbaren Realität war es der junge Student Damiano, der in einer Februarnacht beim Locarneser Karneval jenen grundlosen und brutalen Tod starb. Seine Familie und seine Freunde gründeten zur Trauerbewältigung die Fondazione Damiano Tamagni und kamen auf die Idee, dem Mythos des Bugatti-Wracks im Wortsinne auf den Grund zu gehen. Beide Ereignisse haben im Tessin hohe Wellen geschlagen. Als der Bugatti auftauchte, war es ein Riesen-Ereignis im kleinen Ascona und auch ein kollektives Aufatmen. Der Bugatti wurde für 230.000 Euro versteigert, dieses Kapital bildete den Grundstock für die bis heute bestehende Stiftung.

Auf nur etwas mehr als 200 Seiten hat die Autorin ein Werk von beeindruckender Komplexität geschaffen. Für jeden Erzählstrang der miteinander verwobenen Geschichten findet sie eine eigene, authentische Sprache. Die schreckliche Tat beschreibt sie dokumentarisch, nicht die ihrer Schuld ausweichenden Täter macht sie zu Romanfiguren, sondern Jordi, seine Freunde und seine weisen Ratgeber. Nicht die Gewalttat ist das Thema des Romans, sondern der Versuch, dem Verlust von Lebensträumen eine Aktion gegen Sinn- und Hilflosigkeit entgegenzusetzen. So wie Asconas berühmter Berg, der Monte Verita, nie sein Versprechen auf Wahrheit einlöst, so kommen auch die Freunde des Ermordeten der Wahrheit oder dem Sinn hinter der schrecklichen Tat nicht näher.

Der Bugatti im See war lange nicht mehr als eine Legende der Moderne, die Fondazione ist eine Sühne, ein Versuch der Wiedergutmachung. Beidem setzt Lea Doher nun ein bewegendes literarisches Denkmal. Die vorgeschaltete Geschichte der Familie Bugatti sowie die später von einem Ratgeber Jordis enthüllten Geschehnisse rund um den Bugatti und dessen unvergessenem Fahrer Rene Dreyfus dienen der Gegenwartsgeschichte dabei als Reflektor. Der radikal kühlen Sprache in den Protokollen zur Tatnacht setzt die Autorin bei der Erzählung von Jordis Geschichte eine vorsichtige, rücksichtsvolle, poetische Sprache entgegen, die das filigrane Gewebe von Schuld und Sühne, Trauer, Verlust und Aufarbeitung schützt. Manche Sätze entfalten eine ungeheure Leuchtkraft, leuchtend wie das berühmte Tessiner Licht in seinen besten Momenten.

Bugatti taucht auf wurde von der Kritik bisher einhellig gelobt und gefeiert. Ich stimme diesen Pressestimmen uneingeschränkt zu, möchte aber aus persönlichen Gründen noch einen Aspekt zufügen, der bisher wenig bis kaum Erwähnung fand.
Auch für meine Familie spielt Ascona seit Jahrzehnten eine große Rolle, genau wie Jordi stehe auch ich manchmal auf der Piazza und gerate ins Fantasieren, wie es in Ascona früher gewesen sein mochte, seit ich –wie Jordi – bei den Großeltern ein Foto von früher fand:
 Ascona
Wie Jordi sind viele, die Ascona kennen, dem Ort in einer Art ambivalenter Hassliebe verbunden. Ascona war ungeachtet seiner pittoresken Fassade noch nie eine leichte Adresse. Es war sicher nicht Dea Lohers Hauptanliegen, Ascona und seine Bewohner zu charakterisieren, aber dennoch ist ihr dies ausgezeichnet und bei aller spürbaren und berechtigten Kritik an Ascona doch liebevoll und wahrhaftig gelungen. Es ist auch der Ort und das über ihm schwebende Flair eines bedauernden “Tempi passati”, die eine Geschichte wie die des Bugatti erst möglich machten. Die unterschwelligen Schwingungen und Befindlichkeiten des Ortes, der seit Jahren zwischen Magie und Spießbürgertum verharrt, erfasst sie ebenso genau wie das Entsetzen über die unfassbare Tat, welches das gesamte Locarnese lange gefangen hielt. Sätze wie die über den sich esoterisch spreizenden, schlussendlich aber traurigen Monte Verita formulieren eine Wahrheit, wie ich sie besser formuliert noch nicht gelesen habe. Sätze, die ich am liebsten auswendig lernen würde, um sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzubringen.

Fazit: Gut möglich, dass ich mein Buch des Jahres bereits gefunden habe, Bugatti taucht auf ist eins der beeindruckendsten Romandebüts, die ich bisher gelesen habe. Prädikat: Sehr empfehlenswert.

Die Autorin: Dea Loher ist eine der bekanntesten Theater-Dramatikerinnen unserer Zeit. Sie studierte u.a. bei Heiner Müller und erhielt für ihre Werke zahlreiche Auszeichnungen. Ihre Werke beschäftigen sich oft mit den Themen Schuld, Trauer und Vergebung.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift 

Links zu den Hintergründen der real existierenden Geschehnisse: 
Die Bergung des Bugatti und 
Die Geschichte der Fondazione Damiano Tamagni


Genre: Romane
Illustrated by Wallstein Göttingen

The cold cold ground

Frühling 1981: Während die Menschen im Vereinigten Königreich der Märchenhochzeit von Prince Charles und Lady Di entgegen fiebern, hat man in Belfast auch noch andere Probleme. Im Maze-Gefängnis kämpfen die Gefangenen der IRA mit Hungerstreiks für bessere Haftbedingungen und eine ihrer Ikonen, Bobby Sands, ist gerade gestorben. Premierministerin Thatcher (“The dragon lady with no fucking heart” (Jello Biafra)) ist wieder einmal wild entschlossen, Härte zu demonstrieren und so droht der seit Jahren latente Bürgerkrieg in Nordirland endgültig zu eskalieren.

Sean Duffy, katholischer Polizeipsychologe, hätte also eigentlich schon genug zu tun, als kurz nacheinander zwei Homosexuelle ermordet werden; jeweils versehen mit kryptischen Botschaften. Als dann auch noch bekannt wird, dass einer der Toten Kontakte zur IRA hatte, wird die Lage für Duffy richtig prekär, denn egal, ob Serienkiller oder politisch motivierte Morde, der Ermittler gerät schnell zwischen die Fronten protestantischer und katholischer Kämpfer…

Dieser Roman ist nicht nur ein exzellent geschriebener packender Thriller sondern dank der historischen Umstände, in die er eingebettet ist, auch ein höchst interessantes Dokument der Zeitgeschichte. Dem Autor, der selbst in Belfast aufgewachsen ist, gelingt es in überzeugender Manier, die beklemmend klaustrophobische Atmosphäre dieser Tage zu erfassen, zum Beispiel die Suche nach Autobomben vor jedem Fahrtantritt. McKinty enthält sich dabei weitgehend politischer Statements, macht aber auch sprachlich überzeugend klar, dass sich die Methoden der Kombattanten doch verblüffend ähneln. Ich freue mich jedenfalls schon auf das nächste Buch aus dieser Reihe!


Genre: Thriller
Illustrated by Serpent\'s Tail

Seelenfeuer

SeelenfeuerBis zu ihrem 19. Lebensjahr führte die junge Hebamme Luzia Gassner ein beschauliches Leben in einem kleinen Weiler am Bodensee. Eigentlich ist sie damit zufrieden, doch als eine Berufung aus der großen Stadt kommt, beugt sie sich und wird im Jahre des Herrn 1483 die neue Hebamme der Stadt Ravensburg.

Wie viele weise Frauen ihrer Zeit, die das Wissen um die Kräfte der Natur und ihrer Gaben bewahren, verlässt sich auch Luzia bei ihrer Arbeit nicht alleine auf Gebete und erregt so das Missfallen der Kirche. Als ein verheerendes Unwetter die Stadt heimsucht und auch noch die Pest ihre schwarzen Klauen ausfährt, holt der Kaplan der Stadt den gefürchteten Großinquisitor Heinrich Institoris. Es beginnt ein Hexensabbat, in dessen Folge sich alle Bewohner der Stadt von der vormals verehrten Hebamme abwenden. Einzig ihr Onkel, der geachtete Apotheker und ihr Verlobter, Medicus Johannes von der Wehr verteidigen sie vehement. Doch es kommt, wie es kommen muss. Luzia wird der Hexerei angeklagt und in den Kerker geworfen. Dem unerschrockenen Johannes bleiben nur wenige Tage, um Luzia zu retten.

Das Thema ist nicht neu. In Buch und Film hatten wir schon mehr als eine Hebamme, die als Geburtshelferin für einen Mittelalter-Roman zu fungieren die Ehre hatte. Dies war wohl auch der Autorin klar. Sie setzte das Ganze in einen stark regional bezogenen Kontext und thematisierte vordergründig die zu jener Zeit aufkommende Hexenjagd. Dank aufwändiger Recherchen wahrte sie so ihre Chance, kenntnisreich und mit viel Liebe zum Detail mit einem bereits ergiebig verwursteten Thema zu punkten. Die Gegend um den Bodensee war zum Ende des 15 Jahrhunderts eins der Zentren des Hexenwahns und der daraus entstandenen Hexenverfolgung in Europa. Es ist historisch belegt, dass Heinrich (Institoris) Kramer , der Verfasser des Malleus Maleficarum ( Hexenhammer) in Ravensburg, Konstanz und anderen Orten der Umgebung an die fünfzig Schauprozesse abhielt, die auf dem Scheiterhaufen endeten. Der Hexenhammer ist in engem Zusammenhang mit der päpstlichen Hexenbulle zu sehen, beides pseudowissenschaftliche Legitimationsschriften für den Wahn jener Tage. Cornelia Haller hat sicher ausgesprochen genau recherchiert, nach der Lektüre ist man umfassend und nachvollziehbar über damalige Gedanken – und Gefühlswelten informiert. Doch gelegentlich sind ihre detailverliebten Schilderungen zu überbordend und überfordern die Geduld des Lesers, der auf den Fortgang der Geschichte hin fiebert.

Die Autorin wurde gefördert und empfohlen vom ebenfalls in der Bodensee-Region ansässigen Martin Walser. Walser ließ die Gelegenheit, sich bei der Buchvorstellung mit aufs Podium zu setzen, nicht verstreichen und lobte die Genauigkeitsleistung der Autorin. Zwar ein Kompliment mit ungesagt mitschwingender Wertung, aber in Ravensburg reichte es für Begeisterung und Vorschußlorbeeren.

Cornelia Haller selbst sagte in einem Interview, das Formulieren sei für sie das Handwerk. Um Gerechtigkeit walten zu lassen, hat sie es dafür sehr gut gemacht. Ihr Stil ist flüssig und stockt selten. Manchen Dingen merkt man jedoch das mangelnde Vertrauen in ihre Formulierkunst an. So musste die Hebamme natürlich Luzia (von Luzifer) heissen und rotes Wallehaaar ihr Eigen nennen, damit auch der Letzte versteht, welche Projektionsfläche die Hebamme bot. Die Detailverliebtheit der Autorin führt dazu, dass sie sich manchmal im Fabulieren verliert, aber es gelingen ihr auch Sätze von allgemeiner Gültigkeit, die nachhallen und berühren. So wenn sie die Hebamme Luzia über die Mysterien der Geburt nachdenken lässt. “Erst wenn sie (die Frau) dem Tod als Unterpfand ein kleines Stück ihrer Seele überlässt, darf sie die heilige Flamme des Lebens weiterreichen. So lautet der Handel. Das ist der Preis”. Ein Wort, welches gerade Frauen, die schon geboren haben, tief ins Herz trifft und das viele bestätigen werden. Für ein Kind ist die Geburt der Eintritt in die Welt, für die Mutter aber auch der Eintritt in den Kreis der Frauen, die ein uraltes Wissen in sich tragen.

Was mir überhaupt nicht gefallen und die Freude am Buch deutlich geschmälert hat, waren die äußerst ergiebigen Folterszenen. Hexengemetzel aus der fixen Meisterklasse de luxe. Mir war es wirklich mehr als nur den berühmten Tick too much. Denn spätestens nach zwei Seiten Folterei hat man es kapiert. Ja, sie wurde gefoltert. Ja, es war grausam. Spätestens nach vier Seiten genüsslicher Folterei wünschte man sich eine ebenso detaillierte Schilderung darüber, wie man solches Gemetzel überleben kann. Um sich nach glücklicher Rettung auch noch romantischer Gefühle zu erfreuen.

Dafür hat sich Cornelia Haller um einen wichtigen Nebeneffekt verdient gemacht: Das Thema der Inquisition wieder auf den Schild zu heben. Schliesslich leben wir in einer Zeit, in der mit Herrn Ratzinger ein Mann die roten Pantöffelchen trägt, welcher noch vor wenigen Jahren Inquisition als Fortschritt im Rechtsbewusstsein bezeichnete.

Fazit: Trotz einiger Längen und Übertreibungen sind einem am Ende des Buches die Figuren ans Herz gewachsen und man wüsste schon gerne, wie es vor allem mit Luzia und Johannes weitergeht. Das Seelenfeuer, es lodert nicht heiß und ungezähmt, aber als wärmende, gut gemachte Unterhaltung taugt es durchaus.

Seelenfeuer ist das Debüt der Autorin. Die ausgebildete Heilpraktikerin lebt mit Mann und zwei Töchtern am Bodensee.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Hoffmann und Campe