In den Augen der anderen

Jodi PicoultWas ist normal und wer entscheidet das? “In den Augen der anderen ist Jacob Hunt alles andere als normal. In den Augen seiner Mutter ist es normal, ein besonderes Kind zu haben. Jacob selbst sagt “Normal ist nur eine Einstellung an der Waschmaschine”.

Als bei Emma Hunts Sohn Jacob das Asperger Syndrom diagnostiziert wird, eine autistische Störung, ist die Wissenschaft ungefähr auf dem Stand von Rain Man. Emma kämpft, lässt ihrem Sohn jede denkbare Therapie angedeihen und integriert seine besonderen Bedürfnisse in den Familienalltag. Routinen sind für ihn überlebenswichtig. Wenn Jacob nicht als erster duscht, ist der Tag nicht mehr zu retten. Wenn Jacob kein offenes Haar erträgt, dann macht Emma sich eben einen Pferdeschwanz. Wenn jeder Wochentag eine besondere Farbe haben muss, dann gibt es am weißen Dienstag eben Kartoffelpüree mit Reis. Wenn Jacob es leichter fällt, in Filmzitaten zu antworten, dann lernt man eben, dass “geschüttelt und nicht gerührt” das Äquivalent zu “Ja” ist. Emmas unermüdlichem Einsatz ist es zu verdanken, dass Jacob am Alltagsleben teilhaben, dass er zur Schule gehen und seine außergewöhnliche Intelligenz nutzen kann. Und sei es für ein obsessives Interesse an Kriminaltechnik. Was Emma nicht beeinflussen kann, ist die Wahrnehmung Jacobs in den Augen der anderen. Freundschaften sind nicht erzwingbar und wenn Jacob ein Außenseiter ist, nimmt sie in Kauf, dass auch sie aussen steht. Was Emma nicht rechtzeitig sieht und beeinflusst, sind die Auswirkungen von Jacobs Krankheit und des gelegentlich absonderlichen Familienlebens auf ihren jüngeren Sohn Theo. Eines Tages wird die junge Pädagogikstudentin Jess tot aufgefunden. Erschlagen? Vielleicht von Jacob, den sie mehrmals in der Woche betreute und für den sie erfolgversprechende Übungen für seine soziale Kompetenz entwickelt hatte? Schnell wird Jacob verdächtigt und die mühsam erkämpfte Normalität in Emmas kleiner Familie bricht zusammen. Jacob muss vor Gericht. Doch wie soll das gehen? Emma und ihr bislang nicht gerade durch fulminante Erfolge aufgefallene Rechtsanwalt Oliver nehmen den Kampf auf. Es geht darum, Jacob vor dem Gefängnis zu bewahren – aber auch um die Rechte von Menschen, die anders sind. Wenn auch nur in den Augen der anderen.

Jodi Picoult berichtet Jacobs Geschichte wie immer sorgfältig recherchiert. Der Leser wird erschöpfend mit Fachwissen über Autismus und das Asperger Syndrom versorgt. Teils zu erschöpfend. Weniger wäre in ihrem neuen Buch etwas mehr gewesen. Ein beherztes Streichen hätte nicht geschadet. Dennoch – der ungewöhnliche Held Jacob, die tapferen Mitstreiter und die Story entfalten genug Spannung, dass man sich auch in diesem Buch dem Sog von Jodi Picoults Erzählung nicht entziehen kann. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Der Leser erfährt jede Seite der Geschichte. Er weiß um die Nöte Emmas, aber auch um die von Theo. Er erfährt Hintergründe des Verbrechens vom ermittelnden Polizisten und vom Anwalt die genaue Vorbereitung des Prozesses und seine Führung. Aber auch die Gedankenwelt Jacobs und seine eigene Sicht der Dinge kommen nicht zu kurz. Der Beleuchtung des Themas von allen Seiten, aus aller Augen sozusagen tut dies ausserordentlich gut. Klar kristalliert sich heraus, wie Jacob auf andere wirkt, wie es zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen kommen kann.

Die US-amerikanische Autorin Jodi Picoult hat sich beidseits des Atlantiks eine riesige Fangemeinde erschrieben. Ihre Bücher erscheinen zumeist pünktlich zum Leseherbst und sind sichere Bestseller-Garanten. Ihre Bücher folgen einem immer gleichen Schema. Sie verbindet das Drama brisanter Themen mit den Auswirkungen auf eine Familie, akribische Recherche mit moralischen Grundsatzfragen. Ihre Bücher siedeln zwischen Reportage und Roman, immer nahe an ihren Protagonisten und am Thema. Ob es nun um die minutiöse Aufarbeitung eines Amoklaufs geht (19 Minuten) oder um die Frage, ob ein Kind gezeugt werden darf, welches ein Leben lang als Knochenmarkspender für die leukämiekranke Schwester dienen soll. (beim Leben meiner Schwester) – immer legt Jodi Picoult den Finger zielsicher in die Wunden unserer Gesellschaft und legt offen, wie kompliziert menschliche Verflechtungen sein können. Auch wenn man nach jedem ihrem Bücher erschöpfend informiert ist zum jeweiligen Thema – es ist nie langweilig, immer spannend wie ein Thriller, bis sie am Ende dem Leser eine eigene Position abringt – die nicht zwangsläufig mit ihrer eigenen übereinstimmen muss.
Mich erinnern ihre dokumentarischen Romane immer ein wenig an die Readers Digest früherer Jahre. Oft wird – zu Recht – geklagt, dass Qualitätsjournalismus und vernünftige Reportagen selten geworden sind. Eine Geschichte wie die von Jacob hätte ich auch gerne in einem Magazin gelesen. Es scheint, als ob Jodi Picoult in die Bresche springt und diese warum auch immer freigewordene Lücke besetzt. Vielleicht sollte man den Erfolg von Jodi Picoult zum Anlass nehmen, Journalismus im 21. Jahrhundert noch einmal zu überdenken. Der Erfolg gibt Jodi Picoult recht und der Bedarf scheint da zu sein.

Fazit: In den Augen der anderen ist ein echter Jodi Picoult. Sorgfältig recherchiert. Sorgfältig dokumentiert. Man kriegt, was man erwartet. Ihre Fans werden es lieben. Ihre Kritiker werden wieder überheblich den Zeigefinger heben, dass man solche Themen doch nicht für reißerische Romane mißbrauchen könne – um damit zu überspielen, dass sie nur kritisieren, aber davor zurückscheuen, sich brisanten Themen fundiert zu nähern.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by Bastei Lübbe

Die hellen Tage

Neun lange Jahre haben wir gewartet. 2002 wurde Zsuzsa Bank für ihren Debut-Roman “Der Schwimmer” gefeiert und mit Preisen überhäuft. Seit diesem Frühjahr liegt mit den “hellen Tagen” ihr zweiter Roman vor. Von den Lesern geliebt, vom Feuilleton zwiespältig bewertet.

helletage“Die hellen Tage” sind ein Buch über Freundschaft und Liebe, Verrat und Aufopferung, Heimat, über Verlust und brüchige Idyllen. Vor allem aber über die Sehnsucht nach hellen Tagen. Den hellen Tagen, mit denen alles angefangen hat.

Zsuzsa Bank erzählt die Geschichte dreier Familien und die Geschichte einer Lebensfreundschaft. Einer Freundschaft, einst zwischen drei Kindern geschlossen, die sich zum Zeitpunkt der Erzählung nicht erinnern können “an eine Zeit vor dieser Freundschaft, keine Vorstellung davon, wie sie ausgesehen haben könnten, die Tage ohne einander”.
Zsuzsa Bank erzählt von den Tagen miteinander, von dieser Freundschaft, die sie in einem Dreieck hält, aus dem sie sich nie lösen konnten und wollten. Von den Mädchen Siri und Aja, von dem Jungen Karl. Drei, die “lange aneinander gefädelte helle Kindheitstage verlebten, unbelastet von den Verschattungen, die sie doch schon ahnten.”
Sie erzählt von Ajas Mutter, der Seiltänzerin Evi. Evi, die anders war als die anderen Frauen im Dorf Kirchblüt. Deren Haus eigentlich eine Baracke war, aber ein in der Zeit schwebender Ort für die Kinder und ihre Mütter, wo die “Tage hell waren, wenn sie im Schatten der Bäume Grashalme zupften”.
Sie erzählt von Zigi, Ajas Vater, der als Trapezkünstler unter der Zirkuskuppel schwebt und nur wenige Wochen im Jahr präsent ist. Wenige Wochen, in denen sie eine ganz normale Familie sein können, in denen Zigi “mit seinen schiefen Zähnen und dem wirren Haar” Aja und Siri auf seine Schultern setzt und sie lange tragen kann, ohne müde zu werden. Sie erzählt die Geschichte von Evi und Zigi, die einst eine schmale Zeitschleuse nutzten, um über Nacht und ohne Abschied aus ihrem Zirkusleben in Ungarn zu fliehen und ihr Glück in Wanderjahren im freien Westen zu suchen.
Sie erzählt von Karl, dessen Leben von zwei Sekunden bestimmt und unabdingbar getaktet ist. Den zwei Sekunden, die sein Bruder brauchte, um in ein fremdes Auto zu steigen und für immer aus aller Leben zu verschwinden.
Sie erzählt vom gemeinsamen Aufbruch der Freunde nach Rom, der Suche nach einem Ort, an dem es nie schneite, einem Ort voller Licht und Wärme. Von den Fahrten dorthin, die sie andächtig zelebrierten, die Berge hinter sich lassend, den Süden begrüßend. Rom – ein Ort, der in Seris Vergangenheit schon einmal die Rolle der verlorenen Stadt übernahm und in dem sich auch für Seri, Aja und Karl ihre Lebenswege klären und entscheiden werden.
Sie erzählt von der sich entwickelnden Freundschaft der Mütter. Der Mütter, die das Dreieck stützen, die das trotz aller Verluste immer spürbare Glück der drei festhalten, die dafür sorgen, dass ihre Tage hell bleiben können.
Schliesslich erzählt sie die unerwarteten Wendungen in Ajas Leben. Aja, die übers Eis schwebend die Gabe hatte, den Schnee zu spüren, bevor er fiel. Aja, deren Fähigkeit zur Nähe sie eine wunderbare Ärztin werden liess. Aja, deren Idylle sich als die brüchigste erwies und die mehr noch als die anderen beiden das Freundschafts-Dreieck brauchte, um sich im Leben zu halten und den Schatten, die plötzlich über den hellen Tagen lagen, zu widerstehen

Wie in ihrem Debütroman sind auch “die hellen Tage” weitgehend ein Roman übers Erwachsenwerden. Anders ist die Sprache Zsuzsa Banks. Es kündigte sich schon in ihren zwischenzeitlich erschienenen Erzählungen an, die kurzen, klaren Sätze aus dem Schwimmer sind Vergangenheit. Von den hellen Tagen erzählt Zsuzsa Bank elegisch, fast schon poetisch, auf jeden Fall eigentümlich und unvergleichlich. Unwillkürlich fragt man sich, ob man wirklich ein Buch aus unserer Welt, aus unserer Zeit in den Händen hält. Auf jeden Fall ist es ein Buch, welches den Leser lange festhält, ihn nachhaltig begleitet.
Ein bisschen schwebt der Roman, so wie Evi über Seil und Aja übers Eis. Die Handlung wird nicht stringent erzählt, Bruchstücke aus der Vergangenheit verweben sich immer wieder mit der gegenwärtigen Erzählwelt. Zsuzsa Bank widersteht jeder Reflexion. In ihrem Buch gibt es Beziehungen, aber keine Gespräche oder Analysen darüber, es gibt Lebensgeschichten, Wahrheiten und Erkenntnisse, aber keine psychologischen Studien.
Mutig wagt sie sich an Gefühlswelten. Sie weiß, welchen schmalen Grat sie damit betritt. Sie hält ihren Stil und die Balance genau wie Evi auf dem Seil und schafft es – manchmal nur haarscharf – nie die Grenze zum Kitsch zu überschreiten.
Allen Verlusten zum Trotz, allen schmerzlichen Wahrheiten die Stirn bietend, zeugt dieser Roman vom möglichen Glück. Dem Glück, Freunde und Familie zu haben, die einen tragen und auffangen. Die es ermöglichen, die “hellen Tage zu behalten und die dunklen dem Schicksal zurückzugeben.”

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Geopfert

Gus Dury ist ein ehemaliger Reporter und aktueller Trinker und erklärt sich wider besseres Wissens bereit, die Ermordung des Sohnes eines Freundes aufzuklären. Dazu säuft und prügelt er sich quer durch Edinburgh und macht weder vor russischen Menschenhändlern noch vor korrupten Regierungsmitgliedern halt, denn er hat eine Mission zu erfüllen und aufgeben steht nicht auf seiner Agenda…

„Geopfert“ ist (trotz des wieder mal selten dämlichen deutschen Titels) ein herrlich erfrischendes Buch mit einem echten hard boiled Helden, der irgendwie aus der Zeit gefallen ist und sich nicht anfreunden und abfinden mag mit der schönen neuen schottischen Metropole, hinter deren glänzender Fassade jede Menge Dreck verborgen ist. Verdorbene Politiker, skrupellose neureiche Gangster und natürlich eine mysteriöse femme fatale; dieser Roman enthält alles, was das Herz begehrt.

Tony Blacks Schreibe ist frech, realistisch, machomäßig und erinnert an Mailer oder Hemingway, scottish noir at it’s best. In UK sind bereits drei weitere Bücher der Gus-Dury-Reihe erschienen, und ja, ich werde sie alle lesen, der Autor hat das mehr als verdient.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Zsolnay Wien

Der Besucher

Schauerroman? Gesellschaftsroman? Psychologische Studie? Die britische Autorin Sarah Waters gibt ihren Lesern einige Rätsel auf. Fest steht am Ende, der Besucher ist ein gut unterhaltender, ganz und gar nicht schauerlicher Schmöker.

Der BesucherHauptschauplatz des Geschehens ist Hundreds Hall, ein jahrhundertealtes, vom Verfall bedrohtes Herrenhaus im englischen Warwickshire. Auf der einen Seite haben wir die zum englischen Landadel gehörende Witwe Mrs. Ayres. Sie residiert mit ihren erwachsenen Kindern Roderick und Caroline auf Hundreds Hall. In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg versuchen sie verzweifelt, den verwunschenen Familiensitz vor dem Verfall zu retten und einen einstmals als selbstständlich genommenen Lebensstil aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite gibt es Dr. Faraday. Junggeselle und Landarzt, der sich mühevoll aus dem Arbeitermilieu hochgearbeitet hat. Seine Mutter war einst Kindermädchen bei den Ayres und behütete die unter ungeklärten Umständen um Leben gekommene Erstgeborene. Faraday war schon als Kind fasziniert von der prachtvollen, aber auch mystischen Erscheinung Hundreds Halls. Haus und Bewohner erschienen ihm wie aus einer anderen Welt und begründeten seine lebenslange undefinierte Leidenschaft für Hundreds Hall.
Eines Nachts wird der Arzt zum Herrenhaus gerufen. Er nutzt die Gelegenheit, den Kontakt zur Familie zu begründen. Auch wenn sie aus unterschiedlichen Schichten stammen, eine entscheidende Gemeinsamkeit haben Faraday und die Familie. Sie alle suchen ihren Platz in der veränderten Gesellschaft des Nachkriegsenglands. Dr. Faraday wird bald zum Vertrauten der Familie, fühlt sich zugehörig und übernimmt – teils ungebeten – Verantwortung für Hundreds Hall und seine Bewohner. Schon bald erfährt er von seltsamen, unerklärlichen Vorgängen. Es beginnt mit sich verschiebenden Gegenständen und Möbeln, kryptischen Zeichen, die plötzlich an den Wänden auftauchen und unerklärlichen bedrohlichen Geräuschen im Haus und endet schliesslich in Bränden, versuchten und gelungenen Selbstmorden. Der Mann der Wissenschaft versucht, immer wieder natürliche Erklärungen zu finden und drängt die Familie zu unglücklichen Konsequenzen. Der Sohn wird in die Obhut eines Irrenhauses gegeben, doch es hilft alles nichts. Die Schicksalsfäden der Familie sind gezogen und umspannen die Familienmitglieder sowie den Herrn Doktor einen nach dem anderen unerbittlich und ausweglos.

Sarah Waters ist eine preisgekrönte britische Schriftstellerin, die vor dem Besucher vor allem mit Büchern aus dem lesbischen Milieu Aufmerksamkeit erregte. Mit dem nun vorliegenden Roman, erst der zweite ins Deutsche übersetzte, wagt sie sich erstmals in Mystery Gefilde. Sie erzählt die Geschichte gekonnt, ihre flüssige Sprache verdichtet die Ereignisse und bringt dem Leser so die gesellschaftlichen Umstände jener Zeit nahe. Sie lässt sich Zeit, beschreibt detailverliebt die Schauplätze und charakterisiert ihre Protagonisten psychologisch fundiert. Zugegeben, der Spannungsbogen leidet darunter. Das dürfte aber nur denjenigen stören, der einen Horror-Roman in schnellem Tempo erwartet. Meinem Empfinden nach hebt genau dies den Besucher über das Level einer reißerischen Horrorgeschichte hinaus und bestärkt meine Vermutung, dass die Intention der Autorin eher ein Gesellschaftsroman war. Ein Roman, der die Elemente des Schauerromans verstärkend nutzt, um die Geschichte eines schauerlichen Untergangs zu erzählen.

Ich habe mich gut unterhalten, auf mehr als 500 Seiten fein geschmökert und mich anschließend beim Lesen diverser Buchbesprechungen im Netz bestens amüsiert. Da waren sie wieder alle. Die sofort schreien, wenn Fragen offen und Lösungen ungeklärt bleiben. War es nun a) Wahn oder doch b) ein Poltergeist? Es wird diskutiert, man erregt sich, die Diskussion verselbstständigt sich und übersieht das, was wirklich geschrieben steht. Ohne allzu viel verraten zu wollen, weise ich zum einen dezent daraufhin, dass dieses Buch einen Titel hat und dieser Titel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zufällig gewählt wurde. Des weiteren verweise ich auf das Gespräch zwischen Dr.Faraday und dem Kollegen Seeley über die Theorie des Kräfte freisetzenden Traum-Ichs und schlussendlich auf die Traumsequenz Faradays (übrigens der Name!! Nachtigall und so…. ) in der letzten Katastrophennacht sowie seine epischen selbstberuhigenden Rechtfertigungen zum Ende des Romans! Bleibt als offene Frage, ob Mrs.Waters sich nicht heimlich auf ihrer Insel amüsiert, weil keiner Lösung C diskutiert ?

Mein Fazit: Mit dem Besucher begibt man sich auf eine schaurig schöne Reise. Ein Schmöker, wie gemacht für lange Winterabende, aber auch durchaus okay für faule Urlaubstage.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by Bastei Lübbe

Gott bewahre

Im Himmel ist die Hölle los: Gott war gerade mal eine Woche (entspricht allerdings 450 Erdenjahren) beim Angeln und als er zurück kommt muss er feststellen, dass dort unten alles den Bach runtergeht. Also ruft er seine heiligen leitenden Angestellten und seinen Sohn (der eigentlich viel lieber mit Jimi Hendrix Joints raucht und Gitarre spielt) zur Krisensitzung zusammen. Nach einem kurzen Abstecher in die Hölle ist schnell klar: JC muss noch einmal auf die Erde und der verkommenen Menschheit Gottes einziges Gebot nahe bringen: SEID LIEB!

Jesus landet in New York City und sammelt schnell die Verlorenen um sich, Junkies und Obdachlose, denen er hilft, so gut er kann. Dem großen Ziel bringt ihn das jedoch nicht unbedingt näher und so lässt er sich von seinen Freunden einigermaßen leicht überreden, bei „American Pop Star“ teilzunehmen, einer ebenso dämlichen wie erfolgreichen Casting-Show. Im Gepäck seine Gitarre und seine neuen Jünger macht sich Jesus auf den Weg nach Los Angeles, um von dort via TV die Welt zu verändern…

John Niven ist mit diesem Buch ein veritabler Rundumschlag gegen das konservative Amerika gelungen; verschont wird niemand und Gefangene werden nicht gemacht. Alle bekommen sie ihr Fett weg: Schwulenhasser und Abtreibungsgegner, rassistische Politiker und geldgierige Fernsehproduzenten, bigotte Hinterwäldler und natürlich der Papst. Der Autor versucht zu schockieren und das gelingt ihm zweifellos, ein Gott und sein Sohn, die sich fluchend durch den Roman kiffen, dürfte ihm kaum den Segen der katholischen Kirche einbringen.

Das Buch beginnt sehr vielversprechend, besonders die Szenen in der Hölle, wo der geneigte Leser beliebte Charaktere wie Jerry Falwell, Jesse Helms und Ronald Reagan antrifft sind in ihrer extremen Überdrehtheit nur schwer zu übertreffen. Im Mittelteil zieht sich die Casting-Tingelei ein wenig, auch wenn Niven (ehemals selbst Song-Produzent) immer dann seine stärksten Momente hat, wenn er bei den Musikauftritten seine geballte Kompetenz in die Waagschale werfen kann. Und auch gegen Ende weiß der Autor zu überzeugen; Jesus’ letzter TV-Auftritt ebenso wie der darauf folgende finale Teil können mit echter Empathie vielleicht sogar den einen oder anderen Kirchgänger wieder versöhnlich stimmen.

Ich fand das Buch (das im berüchtigten Heyne Hardcore-Verlag bestens aufgehoben ist) überaus lesenswert und erfrischend witzig, auch wenn es mit der Vulgärsprache bisweilen übertrieben wird und auch mancher Logikfehler vermeidbar gewesen wäre. Dennoch ist die kontroverse Aufarbeitung dieses heiklen Themas sicherlich nicht jedermanns Sache.

P.S.: Im aktuellen (deutschen) Septemberheft des „Rolling Stone“ findet sich neben einer Leseprobe ein ausführliches Interview mit dem Autor, der sich übrigens demnächst auch hierzulande auf Lese-Tournee begibt.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Heyne Hardcore München

Super Sad True Love Story

Die ganz nahe Zukunft in den USA: Wirtschaftlich spielt die einstige Supermacht keine Rolle mehr, dafür stecken sie nach einer Invasion in Venezuela auch militärisch gehörig in der Bredouille. Ein Euro kostet mehr als acht Euro und Leitwährung ist längst der Yen; als mächtigster Mann der Welt gilt der chinesische Generalbanker.

Lenny Abramov, der reichlich naive Sohn jüdisch-russischer Immigranten, literarisch interessiert und wahrscheinlich der letzte Tagebuchschreiber Amerikas, kehrt nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt in Rom zurück nach New York und muss schon bei der Einreise feststellen, dass das politische Klima rauer geworden ist: Polizei und Militär prägen das Stadtbild. Doch Lenny hat andere Dinge im Kopf; ist er doch frisch verliebt: Eunice Park heißt die Angebetete, eine wesentlich jüngere Frau koreanischer Abstammung mit familiären Problemen, die bald zu ihm zieht und das Glück zunächst perfekt macht.

Allerdings plagen Lenny auch Probleme, denn er ist 39 und gehört in einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn frönt, längst zum alten Eisen. Seine Arbeit für einen Konzern, der den Superreichen Lebensverlängerung verspricht, konfrontiert ihn täglich mit dieser Tatsache und auch die jungen Konkurrenten im Job setzen ihm gehörig zu. Und so taumeln Lenny und Eunice in eine fragile Beziehung, während sich um sie herum die ökonomischen und politischen Krisen zuspitzen und die Ausgestoßenen der Gesellschaft zu rebellieren beginnen…

Gary Shteyngart zeichnet durchaus überzeugend ein düsteres Zukunfts(?)bild der Vereinigten Staaten, die sich als Folge der nachhaltigen Wirtschaftsturbulenzen zu einer Mischung aus Polizeistaat und Militärdiktatur entwickelt haben. Da man sich den Gläubigern aus Europa und China in strahlendem Glanz präsentieren möchte, sind Säuberungsaktionen beim unterprivilegierten Teil der Bevölkerung an der Tagesordnung, während diejenigen, die noch Arbeit haben weitgehend mit sich selbst beschäftigt sind.

Mit ihren „Äppäräts“ genannten Kleinstcomputern werden permanente Rankings erstellt, gemessen wird dabei alles Erdenkliche, neben Kreditwürdigkeit auch die wirklich wichtigen Dinge wie personality und fuckability. Weiterer unabdingbarer Bestandteil des Daseins ist das GlobalTeens-Network (eine Art überdimensioniertes Twitter), mit dem rund um die Uhr Belanglosigkeiten in alle Welt geblasen werden. So feiert der Analphabetismus fröhliche Urständ, Bücher sind verpönt und auch deshalb ist Lenny, der seine Wohnung mit Literaturklassikern gefüllt hat ein Außenseiter, ein stiller Rebell. Doch auch eher unpolitische Menschen wie er und Eunice können sich nicht entziehen der normativen Kraft des Faktischen.

Der Autor selbst begegnet diesem geschilderten Verfall der Sprache und Kultur mit sorgfältigen und präzisen Formulierungen, bisweilen poetisch, aber nie antiquiert. Der Roman ist aufgebaut aus sich abwechselnden Tagebucheinträgen (Lenny) und Textnachrichten (Eunice); ein gekonnt eingesetztes Stilmittel, das die Gegensätze des ungleichen Paares verdeutlicht, denn „Super Sad True Love Story“ ist trotz aller implizierten Kritik an den realen oder fiktiven politischen und sozialen Verhältnissen eben auch eine Liebesgeschichte. Es kommt nicht allzu oft vor, dass ich unseren Feuilletonisten uneingeschränkt zustimme, aber hier ist die Euphorie angebracht, das Buch sollte man gelesen haben.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Elf Leben

MarkWatson
“Überschätzen die Leute, was sie verändern können oder unterschätzen sie es?” Um diese zentrale Frage menschlichen Daseins dreht sich ein kluges, überraschendes Buch des Briten Mark Watson. Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Sturm entfachen oder jeder kennt jeden um höchstens 6 Ecken. Diese Theorien sind nicht neu, Wissenschaftller aller Couleur und sogar soziale Netzwerke wie Xing mühen sich, den Beweis dafür zu erbringen. Neu ist, dass ein Autor den Versuch wagt, sich dieser Theorien literarisch anzunehmen. Mit Elf Leben ist Mark Watson mehr als das gelungen.

Xavier Ireland ist der Domian Großbritanniens. Moderator einer nächtlichen Radiosendung, in der Menschen anrufen, die schlaflos in London ihre Geschichten wälzen und sich von Xavier die Lösung ihrer Probleme auf einem Silbertablett erhoffen. Xavier hört ihnen zu, agiert jedoch mehr am Rande dieser Geschichten. Wohl gibt er Hilfestellung, aber er mischt sich nicht ein. Der Leser vermutet schnell, dass dies mit seiner eigenen Geschichte zu tun hat. Wenig gibt er von sich preis. Gerade soviel, dass man weiß, Xavier ist in Australien aufgewachsen, er hatte dort Freunde und eine große Liebe – um von einem auf dem anderen Tag wegzugehen und auf einem fernen Kontinent unter neuem Namen ein neues Leben zu beginnen, als eben jener Radiomoderator. Erst die Begegnung mit der exzentrischen, vor Leben sprudelnden Pippa, die trotz ihres eigenen Schicksals nie aufhören kann, sich einzumischen, die Xavier zunächst nur widerstrebend als Putzfrau in sein Leben lässt – erst diese Begegnung und die aufkeimende Liebe brngt ihn dazu, sich seinem Leben und seiner Vergangenheit zu stellen. Eine Entscheidung herbeizuführen, was er mit seinem Leben wirklich anzufangen (ver)mag. Soweit der vordergründige Plot. Im Hintergrund kreuzen sich zehn weitere Lebenswege. Mit Xavier sind dies die titelgebenden elf Leben, deren Schicksale unausweichlich miteinander verbunden sind. Sie werden sich nie begegnen, nie voneinander erfahren, aber das Handeln Xaviers, besser gesagt, sein Nicht-Handeln bleibt nicht ohne Einfluss auf die Schicksale dieser Menschen und sein eigenes.

Die eingangs gestellte Frage beantwortet diese Buch mit einem klaren “Du kannst das Leben von jemand ändern, ohne es überhaupt zu wissen. Es ist viel einfacher, Dinge zu wissen, als sie zu beherrschen..” Im Roman werden die elf Schicksalsfäden zusammengeführt, es schliesst sich ein Kreis. Anders und bestürzender als gedacht und erhofft. Dem Leser bleibt die Hoffnung, dass das Leben “Begnadigungen in letzter Minute” gewährt und der Kreis ein Schlupfloch lässt.

Elf Leben ist ein kluges, tief beeindruckendes und lange nachwirkendes Buch. Anspruchsvoll ob der vielen sich kreuzenden Geschichten und handelnden Personen schafft der Autor den Spagat zwischen Leichtigkeit und Tiefsinn. Den Leser stößt er in ein Wechselbad der Gefühle – charmante, feinfühlige Momente und scharfsinnige Beobachtungen lassen ihn lächeln und Tränen blinzeln zugleich. Er gibt ihm keine Lösungen mit auf dem Weg, aber viele Denkanstöße. Mark Watson schreibt, als wäre ihm die Geschichte mit Leichtigkeit aus der Feder geflossen, als hätte er nur notiert, was das Leben ihm diktierte. Nicht wenige Kritiker zogen den Vergleich zu Nick Hornby, ich finde ihn zu bemüht. Hornbys Geschichten sind wie aus einem Guß, ein melancholischer Unterton schwingt immer mit. Bei Mark Watson ändert sich der Ton, als er beginnt, die Tragödie des Xavier Ireland zu erzählen und trotz der Dimensionen dieser Ereignisse und dem überraschenden Ende verliert das Buch nie seinen optimistischen Unterton. Watson findet eine eigene Sprache für seine Geschichte, lakonisch und stilvoll zugleich. Manche Sätze sind so leicht, aber pointiert, dass man erst locker über sie hinweg liest, um nach einem kurzen Innehalten nachdenklich und tief berührt zu ihnen zurückzukehren. Lange wiegt er den Leser in falscher Sicherheit. Vom leichten Ton der ersten Hälfte getragen, war ich mir ziemlich sicher, welcher Art das große Geheimnis ist, welches Xavier umgibt. Aber – selten so daneben gelegen. Die zugrunde liegende Tragödie ist alles andere als lapidar, sie ist vielmehr in der Tat ein Grund dafür, dass ein Mann so aus der Welt fallen kann wie unsere Hauptfigur. Zusätzlich stockt dem Leser irritiert der Atem, wenn Watson den Kunstgriff anwendet, by the way der Zukunft vorzugreifen. So endet eine entscheidende Begegnung mit der simplen Feststellung “Sie gaben sich die Hand. Zwei Männer, die sich nie mehr wiedersehen werden”. So, als ob doch schon alles vorherbestimmt und auch durch Einmischen nicht mehr zu ändern wäre. Ebenso überraschend endet der Roman nicht an der Stelle, wo der Leser es erwartet hätte. Watson schreibt es auch noch ganz deutlich “Hier könnte die Geschichte enden”. Doch das tut sie nicht. Genauso ist das Leben eben nicht. Es ist nicht wie die Scrabble-Turniere, mit denen Xavier seine Sonntagnachmittage verbringt.

Mein Fazit: Den Wert der Buchstaben in Elf Leben hat Watson definitiv mehr als verdoppelt. Ich empfehle dieses sehr besondere Buch – selten genug – uneingeschränkt.

Der Autor: Mark Watson ist ein in England sehr beliebter Romanautor, Kolumnist, Radio- und Fernsehmoderator und Stand-Up Comedian. Studierter Literaturwissenschaftler und Umweltaktivist, ausserdem als Blogger noch einer von uns. Elf Leben ist sein erstes in Deutsche übersetze Buch. Ich für meinen Teil hoffe inständig auf weitere.

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Genre: Romane
Illustrated by Eichborn Verlag

Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens Mit Spannung erwartet. Der zweite Roman des Spaniers Ildefonso Falcones. Hält der Roman, was uns Falcones mit der “Kathedrale des Meeres “versprach ? Meiner Meinung nach ein entschiedenes NEIN: Ich war enttäuscht, ich habe mich gelangweilt, ich war mehrmals kurz davor, einfach nicht mehr weiterzulesen.

Falcones begibt sich diesmal ins Andalusien des Jahres 1568. Nach Jahren der Unterdrückung erheben sich die spanischen Muslime gegen ihre christlichen Peiniger. Unter den Aufständischen ist auch der junge Maure Hernando, der sein Volk und seine Kultur vor dem Untergang retten will. Doch die Revolte wird bald zum blutigen Glaubenskrieg, und angesichts der von beiden Seiten begangenen Grausamkeiten wächst in Hernando das Bedürfnis nach Frieden und Aussöhnung der Religionen – ein Ziel, dem er fortan sein Leben widmet.

Holzschnittartig konstruiert Falcones eine Geschichte, in der seine Protagonisten mal in die Berge, mal aus den Bergen, mal ans Meer, mal übers Meer flüchten, mal in der Kathedrale beten, mal in der Moschee, mal zuhause. Keine der Figuren erwacht zum Leben, keine wächst einem ans Herz. Die schier unglaubliche Detailfülle, mit der der Roman überfrachtet ist, hilft nicht im Geringsten. Das Buch verliert sich in unübersichtlichen und z.T. uninteressanten Einzelheiten, denen schwer zu folgen ist und erzeugt alsbald ein Gefühl des Überdrusses. Schade. Ich hatte mich gefreut auf diese Lektüre, war ich doch schon mehrmals in Granada und Cordoba, den Hauptschauplätzen und habe vieles noch genau vor Augen.

Falcones hat sich zuviel vorgenommen: den moralischen Zeigefinger heben, eine detailgetreue Abhandlung über geschichtliche Abläufe, eine Liebesgeschichte, und noch eine Liebesgeschichte, am besten direkt vermittels dieses Buches die bis heute zerstrittenen Religionen versöhnen, dazu noch dem Leser ein bißchen was über frühe Stierkämpfe uind die Anfänge der stolzen , spanischen Pferdezucht beibringen – 900 Seiten, die zwar einen roten Faden haben. Aber einen Faden, den man sich als Leser allzuoft wieder selbst zusammenrollen muss, 900 Seiten, in denen keine Spannung erzeugt wird, 900 Seiten, ohne dass ein Funke überspringt. Schade. Die Kathedrale des Meeres war so ein tolles Buch. Der Autor ist wohl wie so viele vor ihm an seinen eigenen Erwartungen und denen der Leser gescheitert.

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Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Herbert Wernicke. Regisseur, Bühnenbildner, Kostümbildner

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An den am 16. April 2002 mit 56 Jahren früh verstorbenen Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Herbert Wernicke und das von ihm geschaffene eigene Welttheater erinnert ein üppiger Bildband aus dem Schweizer Schwabe-Verlag. Für Wernicke-Fans unter den Opernfreunden ist die mit 350 Abbildungen reich geschmückte Gesamtwürdigung des Lebenswerks ein Muss.

Wernickes Werk ist ebenso Teil der Salzburger Festspielgeschichte wie er an den Opernhäusern von Frankfurt bis Madrid eindrückliche Spuren hinterließ. Schwerpunkt seiner Arbeit war Basel. Sein Verständnis von Bühnenbild war eine Raumidee, in der sich die Handlung organisch entwickeln kann. Es ging ihm dabei nicht um die pure Bebilderung eines Raumes beziehungsweise um Dekoration als um ein weitgehend ebenso abstrahiertes wie komplexes Gesamtbild.

Herbert Wernicke fühlte sich künstlerisch dem Barock und damit der Vorstellung der Bühne als Allegorisierung von Wirklichkeit verpflichtet. Die Malerei spielte in seinen Arbeiten stets eine deutliche Rolle. Stark setzte er auch auf tragende Symbole im Bühnenbild. Mehrfach tauchte in seinen Inszenierungen ein Flügel auf. Das Tasteninstrument steht als Gleichnis für das Kunstverständnis des aufgeklärten Bürgertums, das den schönen Künsten in seinem Denken weiten Raum gibt und sie hegt und pflegt. Kunst wird als befreiender Moment gefeiert, der vom Dunkel der realen Welt abhebt und sich gleichzeitig ausdrücklich vom kunstfeindlichen Kleinbürgertum distanziert.

Seinem Verständnis von Bühne als Gesamtkunstwerk entsprach seine Arbeitsteilung: Wernicke war Regisseur, Bühnenbildner, Beleuchter und Kostümbildner in einem. Um sich herum scharte er nach dem Werkstattprinzip Assistenten und Mitarbeiter, denen die Umsetzung seiner Entwürfe oblag. So schuf er ein ihm eigenes Bühnenuniversum, in das er die Sänger begleitete. Kritiker nannten dies „Wernickes Welttheater“.

Als Beispiel für seine Kunst sei die Inszenierung von Wagners Tetralogie „Ring des Nibelungen“ zitiert. Die Szenographie bestand aus einem festen Bühnenbild für alle vier Teile: Der Bühnenraum wird beherrscht von einem fensterartigen Mauerdurchbruch, der den Blick auf ein faszinierendes Alpenpanorama freigibt. Hoch oben thront Walhall, die von den Riesen Fasolt und Fafner im Auftrag Wotans erbaute Götterburg. Allein durch die unterschiedliche Beleuchtung erscheint der Hintergrund mal erhaben prunkvoll, mal dekadent luxuriös, mal morbid und dem Untergang geweiht. Im Vordergrund agieren die Sänger.

Der vorliegende Bildband bietet neben 13 Aufsätzen, die kundig versuchen, sich der Regiewelt Wernickes anzunähern, einen eindrucksvollen Teil vom Werden einer Inszenierung. Anschaulich lässt sich der Weg einer Oper von einer Raumidee über Zeichnungen, Entwürfe, Modelle und Kostümbilder bis zu Proben und zur Aufführung nachvollziehen. Wernicke selbst beschrieb diesen Prozess wie folgt: „Es ist wie bei jedem Stück, das erstmals aus so einem Urschwamm entsteht, eine Forschungsaufgabe: dahinterzukommen, was gemeint sein könnte, und das mit der eigenen Welt in Verbindung zu bringen, um durch Träume, Visionen oder auch etwas, was man im Alltäglichen sieht, eine Materialsammlung im Kopf zu veranstalten. Daraus entstehen dann manchmal Bilder und manchmal nicht.“

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Genre: Oper
Illustrated by Schwabe Basel

Ur

Wesley Smith ist Englischlehrer an einem kleinen College in Kentucky und gilt im Kollegen- und Schülerkreis als hoffnungslos rückständig, da er zum Lesen noch echte Bücher benutzt statt Computer oder E-Reader. Als es deswegen sogar zum Zerwürfnis mit seiner Freundin kommt beschließt Wesley aus Trotz, einen Amazon Kindle zu erwerben. Dieser trifft auch prompt ein (eigentlich zu prompt) und ist merkwürdigerweise pinkfarben statt weiß.

Beim Herumspielen mit seiner neuen Errungenschaft entdeckt Wesley bald den experimentellen Bereich (gibt es wirklich) und darin die UR-Funktionen (gibt es nicht wirklich). Aus Neugier sucht er darin nach seinen Lieblingsautoren und stellt verblüfft fest, dass persönliche Helden wie Hemingway oder Shakespeare weitaus mehr Bücher verfasst haben als allgemein bekannt; natürlich ein gefundenes Fressen für einen Literaturbesessenen! Doch der mysteriöse Kindle hat noch wesentlich mehr auf Lager, zum Beispiel Zeitungen aus der Zukunft…

Großmeister Stephen King hat diese Novelle exklusiv für den Amazon Kindle veröffentlicht und damit wieder einmal ein kleines Juwel aus der Feder geschüttelt. Die Geschichte ist extrem spannend und gewohnt empathisch erzählt, auch wenn die Hauptrolle diesmal nicht von kühnen Helden oder grauenvollen Monstern gespielt wird, sondern von einem E-Reader, der selbstverständlich entsprechend marketinggerecht in Szene gesetzt wird. King bewies sein Faible für technische Neuentwicklungen schon vor einigen Jahren, als er „Riding the bullet“ zunächst ausschließlich als Download im Internet verkaufte, insofern verwundert sein Engagement nicht. Aber auch seine eher klassischen Fans kommen auf ihre Kosten, gibt es doch ein Wiederlesen mit den Niederen Männern und dem Dunklen Turm.

Fazit: Unbedingt lesen, es muss ja nicht auf einem pinkfarbenen Kindle sein…


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Storyville

Für ‘ne Moment

mit Oliver Kobold – Autobiographie

W.N. Für ne Moment »… und was in der Gegenwart einzelne Momente sind, ordnet sich in der Erinnerung zu einer Geschichte, die unerschütterlich behauptet: Das bist du, das ist dein Leben«

Wolfgang Niedecken (im folgenden W.N.), Frontmann, Gründungsmitglied der legendären, seit Jahrzehnten bestehenden Kölsch-Rock-Band BAP erzählt. Von diesen Momenten. Momentaufnahmen einer Kindheit zwischen Trümmern und dem Lebensmittelgeschäft der Familie unter dem heiligen Severin im Nachkriegs-Köln. Von Jahren in einem katholischen Konvikt und der Rebellion gegen Autoritäten und auch seinem Vater. Von seiner Liebe zur Kunst und Malerei, den ersten Ausstellungen und der 70erJahre Kunstszene, schon damals begleitet von späteren auch musikalischen Weggefährten. Von den ersten unbeholfenen musikalischen Gehversuchen und der bei allem Dilettantismus daraus resultierenden fast schon religiös anmutenden Befriedigung. Von den Anfängen der Kölsch-Rockern und den späteren Erfolgen mit BAP. Von Unruhe in der Seele, dem ständigen Getriebensein zwischen Start und Ziel. Von Wendepunkten und Zufällen, von Liebe und Verantwortung. Von Heinrich Böll und Wim Wenders. Von den geplatzten Konzerten in der DDR und den Auftritten in China und Nicaragua. Von Afrikareisen und den aus dem Mut der Verzweiflung von Noh Gulu entstandenen Hilfsprojekten.

W.N. erzählt all dies, so wie er spricht. So wie er eben auf der Bühne seine Geschichten und Hintergründe zu den Songs erklärt. Oft genug findet der aufmerksame Leser und geübte Bap-Hörer auch Zitate aus seinen Songs, so daß man erfreut auch diese Stücke in einen Zusammenhang bringen kann. Die SongZitate sind nicht gekennzeichnet, wozu auch. Sind ja seine, brauch er sich um Urheberrechte keine Gedanken zu machen, ganz in der Tradition der in Amerika so geliebten Eastereggs.
W.N. erzählt nur bedingt chronologisch, mehr ist es so, als wenn er vom Höcksken aufs Stöcksken kommt. Für den Leser manchmal anstrengend, aber immer voller Poesie, voller Zuneigung zu denen, die ihn begleitet haben und denen, mit denen er heute seinen Weg weitergeht. Es ist ein liebevoller Blick zurück auf ein erstaunliches Leben, welches er selbst sich eigentlich ganz anders vorgestellt hatte, brotloser befürchtet wohl auch. Der Leser, der sich ein Nachkarten über den damals vieldiskutieren Ausstieg von Klaus “Major” Heuser und anderen langjährigen Bandmitgliedern erhofft hatte, bleibt unbedient. Er spricht über diese Zeit, ebenso wie über seine erste Frau Carmen. Et ess evven so, wie et ess. Man lebt sich auseinander, entwickelt sich in verschiedene Richtungen und geht den Weg in diese alleine weiter. So einfach, so schwierig.
Ich gebe zu, als langjähriger BAP-Fan hätte ich schon ganz gerne gewusst, was aus Schmal Boecker und Effendi Büchel wurde, aber gut – ist respektiert. Auch über die musikalische Zusammenarbeit mit Anne de Wolff hätte ich gerne mehr als eine halbe Seite gelesen, doch im Großen und Ganzen war es schön, dieses Buch zu lesen. Der geneigte Fan, der auch schon seit Jahren W.N.’s Logbuch liest (und sich dadurch auch selbst zum Bloggen hat inspirieren lassen ) erfährt zwar wenig Neues, aber er begibt sich mit diesem Buch auf eine Art Zeitreise. Oft genug waren es in den vergangenen Jahrzehnten auch meine Gedanken, die ich in seinen Worten wiederfand, oft genug war ich auf den Konzerten oder Premieren, die er beschreibt, oft genug war auch ich auf den beschriebenen Demonstrationen, hörte diesselbe Musik und las dieselben Bücher, fühlte mich von der Politik und der Entwicklung dieser Jahre ebenso beeinflusst. Von daher – für den Fan sicher ein unbedingtes Muß, aber auch zu empfehlen für die, die gerne die Geschichte eines so spannenden Lebens im Nachkriegsdeutschland lesen mögen.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Hoffmann und Campe

Gott schütze Amerika

51TT9+AMhgL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-arrow-click,TopRight,35,-76_AA300_SH20_OU03_Warren Ellis führt seinen Helden, Privatdetektiv Mike McGill tief ins Herz und die Abgründe Amerikas. Mc Gill, der sich selbst den Ehrentitel “Pech-Magnet” gab, erhält unvermutet vom Stabschef des weißen Hauses den Auftrag, ein seltenes Buch zu finden. Die alternative Verfassung der Vereinigten Staaten, dareinst unterzeichnet von der Gründungsvätern Amerikas. Wie geschaffen dafür, dem wahnsinnigen Treiben einer dekadenten Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Ausgestattet mit einer halben Million Dollar und einem Palmtop hetzen McGill und Partnerin quer durch die USA. Begegnen redseligen Serienkillern, salzwasser-gespritzten Bodybuildern, Anwälten, die sich an letalen Sexualpraktiken delektieren, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Soweit die vordergründige Handlung. Die Detektivgeschichte ist jedoch mehr Rahmen und Tarnung. Ellis eigentliches Thema ist die Reise durch die perversen Abgründe Amerikas und darüberhinaus das world wide web als neue Wiege des Mainstream. Eine simple, doch geniale Idee, im Netz geortete Absurditäten als Roman zu verarbeiten. Warren Ellis ist ein anerkannter britischer Graphic Novelist, berüchtigt dafür, das Superhelden-Genre zu parodieren und modernisieren. Sich selbst nennt er einen aktiven Online Bürger und nutzt den Roman als Mahnung, dass auch die groteskeste Handlung nur ein müder Abglanz dessen ist, was das Internet bereits morgen entfesseln kann. Logisch, dass es auch nur ein besessener Wissenschaftler und Netz-Messias sein kann, der McGill die Kurve zum korrekt aufgelösten Plot bringt.

Wer immer schon einmal lustvoll schaudernd in Amerikas Abgründe schauen wollte, ist mit diesem zum Buch gewordenen Comic bestens bedient. Wer dagegen gepflegte Krimi-Unterhaltung sucht, lässt besser die Finger davon.

Fazit: schnell, oft trashig geschrieben ist “Gott schütze Amerika” das freche, witzige Werk eines Engländers, der die Welt mit dem stoischen Blick desjenigen betrachtet, dessen Land dem Glanz eines verblichenen Weltruhms nachtrauert.

(Anm. d.Red.: Erstveröffentlichung dieser Rezension im zwischenzeitlich eingestellten Kulturmagazin Westropolis 20. Januar 2010. Aufgrund der derzeitig offen zutage tretenden und öffentlich diskutierten Abgründe Amerikas sowie der Nachricht, dass das gelobte Land adeligen gutten Zuwachs bekommt und demnächst zu allem Überfluss auch noch dem Freiherrn Karl Theodor von und zu war mal deutsche Nachwuchshoffnung Zuflucht bieten muss, fand ich es so angemessen wie selten “Gott schütze Amerika” in Erinnerung zu rufen. )

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Heyne München

So viel Zeit

51l+gGmt2XL._SX314_BO1,204,203,200_Sagen, wie die Dinge sind. Klartext reden. Gerader Blick und offene Worte. Dafür sind wir berühmt berüchtigt. Wir hier im Ruhrgebiet. Geliebt, lange auch schon über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus ist dafür “unser” Autor Frank Goosen.
Sein nach meinem Dafürhalten bestes Buch legte er vor zwei Jahren vor: “So viel Zeit”. Vor einigen Wochen nun legte ich dieses Buch dem geschätzten Mit-Rezensenten Ulrich Kretzler mit innigen Worten an sein Herz. Zu meiner Freude empfand er es genauso.

Bei Frank Goosen ist Fünf die magische Zahl, um Gefühle und Erinnerungen in den Griff zu bekommen.
Bei uns ist es die Zwei. Denn nun folgt: unsere gemeinsame Rezension zu diesem wunderbaren Buch. So viel Zeit muss jetzt einfach sein.

(Britta Langhoff in ruhrigem Schwarz, Ulrich Kretzler in bayerisch blau)
Konni, Bulle, Rainer und Thomas sind alte Bochumer Schulfreunde, die sich als inzwischen gestandene Mittvierziger mehr oder weniger eingerichtet haben in ihrem alltäglichen Leben, ohne jedoch selbst so richtig von dem überzeugt zu sein, was sie da tun. Allerlei Beziehungs- und andere Krisen tun ein Übriges, um nagende Zweifel zu schüren und so bleiben die regelmäßigen Doppelkopf-Abende einzige Konstante der gemeinsamen Freundschaft. Während einer dieser nicht immer harmonisch verlaufenden Veranstaltungen beschließen die vier – auch im Hinblick auf das bevorstehende 25-jährige Abiturtreffen – zu vorgerückter und feuchtfröhlicher Stunde eine Rockband zu gründen und sich so einen vermeintlichen Traum der verlorenen (?) Jugend zu erfüllen.

Gesagt, getan: Zügig werden die nötigen Instrumente (samt Roadie) erworben und allen Widerständen im jeweiligen persönlichen Umfeld zum Trotz die unvermeidlichen Übungen und Vorbereitungen aufgenommen. Die handwerklichen Grundlagen eignen sie sich vergleichsweise rasch an, aber dennoch müssen die Freunde feststellen, dass ihnen das gewisse Etwas fehlt und so erinnert man sich an den Schulfreund Ole, der früher genau dieses kreative Element verkörperte und damals direkt nach dem Abitur unter nie ganz geklärten Umständen nach Berlin geflohen ist. Man bricht also spontan auf in die Hauptstadt und setzt damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die das Leben aller Beteiligten vom Kopf auf die Füße stellen werden…

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir der Autor bis vor nicht allzu langer Zeit lediglich als Kabarettist, Hardcore-Fan des VfL Bochum und Kicker-Kolumnist ein Begriff war und so bin ich wieder einmal froh und dankbar, dass es hier in Blogsdorf Leute gibt, die wesentlich belesener sind als ich, denn sonst hätte ich definitiv etwas verpasst: Frank Goosen hat mit seinem vierten Roman nichts weniger als ein echtes Meisterwerk geschrieben.

Man spürt in seinem Buch viel Herzblut, was ja ein durchaus riskantes Unterfangen ist, denn allzu oft triefen solche Erzeugnisse von Pathos oder Wehleidigkeit. Der Autor vermeidet derartige Peinlichkeiten geschickt, indem er mit feinem Sprachwitz, ironischer Distanz und trockenem Humor bisweilen zwar Melancholie oder Nostalgie aufkommen lässt, sich dabei aber niemals in Sentimentalität oder falscher Verklärung der Vergangenheit verliert.

Es ist ein Buch, geschrieben von einem Mann über Männer, bei weitem aber kein Buch nur für Männer. Auch mich hat dieses Buch mitten ins Herz getroffen und von der ersten Seite tief in seinen Bann gezogen. Die Macht der Vergangenheit, beziehungsweise die Erinnerung an diese, treibt ja nun nicht nur die in einer Doppelkopfrunde konservierten Goosen’schen Protagonisten. Beruf erlernt, mehr oder minder Karriere gemacht, Ehepartner gefunden (und verloren), Kinder gezeugt und (v)erzogen, Eigenheim angeschafft, tolles Auto… – alles erreicht, was vor langer Zeit als “Lebensziele” angepeilt war. Jetzt kommt die Ernüchterung und die Wehmut. Geht es nicht allen Forty-somethings so? Im Buch ist die wiederauferstandene Band ein demonstrativer Akt, dem Gefühl entgegenzuwirken, alt und verbraucht zu sein und damit zu der doch allgemeingültigen Gewissheit führt, “dass man immer noch Kontakt aufnehmen kann zu seinem früheren Ich”.

Ohne seine anderen alle von mir aufrichtig gemochten Bücher schmälern zu wollen: “So viel Zeit” ist ein großartiger Roman mit hohem Unterhaltungs- und Wiedererkennungswert (nein, ich werde hier nicht verraten, in wem ich mich wiedererkannt habe), der neben Witz und ironischer Distanz auch Trauer und Gebrochenheit ohne Kitsch und Mitleidgedöns überzeugend zum Ausdruck zu bringen vermag.

Und so ist das Ergebnis rundum gelungen: Eine Hymne auf die Freundschaft, ein Plädoyer für die Verwirklichung von Träumen, eine Ode an die Musik, die Leben retten kann und last but not least eine Liebeserklärung an das Leben und die Menschen im Ruhrpott.

Ulrich Kretzler/ Britta Langhoff


Genre: Romane
Illustrated by Eichborn Verlag

Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten

Jacok Jankowski ist irgendwas über die Neunzig, so ganz genau weiß er das nicht mehr. Eben noch mitten im turbulenten Trubel seines Familienlebens steckend, findet er sich in den Niederungen eines Seniorenheimes wieder. Hauptsächlich damit beschäftigt, etwas für seine Würde zu tun. Als ein Wanderzirkus seine Zelte auf dem Parkplatz vor dem Seniorenheim aufschlägt, träumt er sich zurück in seine Vergangenheit. In die Zeit, welche die schönste und zugleich auch die schlimmste seines Lebens war. Im Amerika der 30er-Jahre-Depression steht er – Student einer Elite Universität – nach einem Schicksalschlag plötzlich vor dem Nichts. Verzweifelt springt er auf den nächstbesten Zug auf und findet sich als Tierarzt bei “Benzinis spektakulärster Show der Welt” , einem der legendären Eisenbahn-Zirkusse dieser Zeit wieder. Rasch findet er unter den Zirkusleuten Freunde und Feinde gleichermaßen, Leidenschaften, Hoffnung,Existenzkämpfe – und die Liebe. Die Liebe zu Marlena, der geheimnisvollen Dressurreiterin und zu Rosie, der sturen, klugen und treuen Elefantendame. Sara Gruen erzählt Jacobs Geschichte auf beiden Zeitebenen so zart und liebevoll wie leidenschaftlich und bildgewaltig. Auch wenn man kein ausgewiesener Freund des Zirkus ist,schnell ist man mitten in der Manege, schliesst Jacob und Marlena ins Herz, leidet, hofft und bangt mit ihnen.

In diesem Sommer kam der Film ins Kino, die DVD dazu wird in Kürze erwartet. Es heißt, Sara Gruen sei begeistert gewesen. Ihre Leser werden ihr größtenteils zustimmen. Der Film folgt der vorgegebenen bescheidenen Linie, verzichtet auf Effekthascherei und Sensationsgier. Darstellerisch überzeugte er mich nur bedingt. Es fragt sich, ob Robert Pattinson mehr als zwei Gesichtsausdrücke zu bieten hat, Reese Witherspoon kann eigentlich auch anders als nur unterkühlt. Ihre Marlena ist in der Buchvorlage nur vordergründig kühl, ihre besondere Gabe zur Zärtlichkeit kommt deutlich zum Tragen. Böse Zungen behaupten, der Elefant sei der beste Darsteller gewesen, aber es gab ja auch noch Christoph Waltz. Seine Rolle ist eine ambivalente, was ihm bekanntermaßen liegt. Folgerichtig ist sein August die Rolle, welche dem Zuschauer am endrucksvollsten in Erinnerung bleibt. Die Film-Adaption erinnert an das gefühlige Kino der 80er Jahre. Heute wirkt sie altmodisch. Im guten Sinne. Die nostalgische Atmosphäre des Films, seine wehmütige Dichte bieten Kino zum Träumen und zum Eintauchen in eine fremde Welt.

Wer sich in trüben Tagen nach einer seelenvollen Geschichte sehnt, nach einer Geschichte mit einem ebenso überraschenden wie befriedigendem Ende, dem seien Buch und Film ans Herz gelegt.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Wie veröffentliche ich ein E-Book auf amazon.de?

Das E-Book ist nicht nur die Zukunft der Literatur, sondern längst in der Gegenwart angekommen und bietet besonders denen völlig neue Chancen, die schon immer davon geträumt haben, ihren Namen auf einem Buch-Cover prangen zu sehen. Es ist also mehr als folgerichtig, dass ein echter Kenner des Verlagswesens und alter Hase im Literaturbetrieb wie W.R. Frieling, der selbst viele Jahre damit verbracht hat, hoffnungsfrohen Neu-Autoren eine Bühne für ihre Ambitionen (oder einen Jahrmarkt für ihre Eitelkeiten) zu bieten, sich nun seinerseits per E-Book des Themas annimmt und kompetent alle brennenden Fragen beantwortet.

Zunächst gibt es einen Überblick über den Siegeszug des neuen Mediums inklusive schier unglaublicher success stories von E-Book-Millionären jenseits des großen Teiches, bevor der Autor in medias res geht, den interessierten Leser (und potenziellen Schreiber) an die Hand nimmt und Schritt für Schritt zum Ziel seiner Träume führt. Dabei gibt er nicht nur wertvolle Tipps aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz preis, sondern warnt auch vor rechtlichen und steuerlichen Fallen, die besonders in der regulierungswütigen BRD an mancher Ecke lauern.

War es früher oft schwieriger, ein Buch zu veröffentlichen als zu schreiben, haben sich heute die Vorzeichen umgekehrt, dank Amazon ist es kindle-leicht. Dieser Ratgeber ist für Nachwuchs-Autoren unverzichtbar, wenn man sich daran hält, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Als Sachbuch ist er naturgemäß mit Fakten gefüllt, aber nicht überfrachtet und dank Frielings gewohntem Wortwitz niemals trocken; immer wieder blitzt zwischen den Zeilen der Schalk, der dem Verfasser im Nacken sitzt.

Die Lektüre des vorliegenden Werks (und aller anderen Amazon E-Books) ist übrigens keineswegs auf den Amazon Kindle beschränkt, sondern mit entsprechenden Gratis-Apps auch auf PC, Tablet, Smartphone etc. jederzeit möglich.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Illustrated by Internet-Buchverlag Berlin