Narratives Geschwurbel
Der österreichische Schriftsteller und Sound-Artist Max Oravin hat in seinem Debütroman «Toni & Toni» erstmals seine kreativen Impulse in Literatur umgesetzt. Indem er seine Erfahrungen als Performer hat einfließen lassen in eine poetisch anmutende Erzählung von der Fragilität menschlicher Bindungen. Ähnlich wie ein Langgedicht angelegt, wirkt sein lyrisch anmutender Text geradezu rhythmisch, ein eigenwilliger, originärer Stil, der seinesgleichen sucht in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart. Der 110 Seiten schmale Band wurde für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert, gehört also zu den im ersten Durchgang ausgewählten zwanzig Büchern aus den insgesamt knapp zweihundert, die von den Verlagen eingereicht wurden.
Aus der Ich-Perspektive von Thomas erzählt, beginnt die Geschichte damit, wie er bei seinem Gelegenheitsjob als Portier die Tänzerin Antonia kennenlernt, die spätabends in einem von ihm betreuten Saal noch üben möchte. Er stellt sich als Toni vor, was sie lachend kommentiert, denn sie heiße ja auch Toni. Die Beiden sind sich auf Anhieb sympathisch, und obwohl er um zweiundzwanzig Uhr schließen müsste, überlässt er Antonia den Saal bis nach Mitternacht. Sie animiert ihn, doch mit ihr zusammen zu tanzen, was er von sich weist, er sei völlig unbegabt. Aber sie lässt nicht locker, erweckt in ihm das Gefühl für seinen Körper, bringt ihm seelisch gesteuertes Bewegen bei und erweckt tatsächlich bisher unentdeckte Fähigkeiten in ihm. Begeistert schlägt sie ihm vor, mit ihr zusammen demnächst bei einer Performance mit dem Titel «Filaments» mitzuwirken, die für sie den Durchbruch bedeuten könnte. Und Antonia erfindet auch gleich den passenden Namen für ihre Partnerschaft als Performer: «Toni & Toni».
Thomas hat Philosophie studiert mit einem sehr guten Abschluss. Er konnte sich aber nicht dazu durchringen, eine ihm angebotene Doktorarbeit anzunehmen und eventuell später eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Stattdessen beschäftigt er sich jetzt ausschließlich mit Buddhismus und Zen-Meditation. Nachdem ihm klar geworden ist, dass der einzige Weg zum tieferen Verständnis für ihn das Erlernen der japanischen Sprache wäre, hat er sich in ein selbst auferlegtes, ehrgeiziges Lernprogramm hineingestürzt. Dabei vernachlässigt er sträflich seine Gelegenheitsjobs, kündigt und bringt es sogar fertig, eine vom Arbeitsamt angeordnete, zweitägige Schulung für erfolgreiches Bewerben nach dem ersten Tag abzubrechen. Was denn auch eine sofortige Absetzung seines Arbeitslosen-Geldes nach sich zieht. Und sein Vater weigert sich standhaft, dem inzwischen über dreißigjährigen Sohn weiterhin Unterhalt zu zahlen. Antonia versucht erfolglos, ihm das Vergebliche seiner Studien klar zu machen: Er könne niemals so weit kommen, die Autoren buddhistischer Lehrwerke wie ein Muttersprachler im japanischen Original zu lesen und zu verstehen. Dafür wären nämlich nicht nur jahrelange Studien erforderlich, sondern auch längere Aufenthalte in Japan.
Natürlich spielen in diesem Roman zweier Psychopathen auch Drogen eine Rolle, und Antonia hat sich schon als Mädchen immer wieder mit dem Messer die Haut aufgeritzt. Beide sind wenig bindungsfähig und extrem in allem, was sie tun, die Vernunft ist komplett ausgeblendet in ihrem exaltierten Leben. Stilistisch ohne jede Gliederung vom ersten bis zum letzten Satz in einem absatzlosen Text erzählt, übernehmen phasenweise Themen wie Scheitern, Tanz, Meditation, Körpergefühl, Drogen oder das Faszinosum japanischer Schriftzeichen die Kontrolle über diesen Text abseits aller Konventionen. Und voller Neusprech zudem, «Mindfulnes im Overdrive» kann man da zum Beispiel lesen. «Ich sehe die Fasern der Wände zerreißen», heißt es gegen Ende, «sehe, wie sie nach Innen schnalzen, sehe das Sichtfeld zerbröckeln ins K-Hole.» Wer dem folgen kann als Leser, der mag sein Glück finden in diesem weitgehend sinnfreien narrativen Geschwurbel, – der Rest aber wendet sich mit Grausen!
Fazit: miserabel
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Gute Unterhaltung
Man kann auch in die Höhe fallen. “Danke, Mama, ich glaube es wird besser.” Joachim Meyerhoff aus Schleswig hat als Schauspieler unter anderem am Burgtheater in Wien, am Schauspielhaus in Hamburg, an der Berliner Schaubühne und den Münchner Kammerspielen gespielt. 2011 begann er mit der Veröffentlichung seines mehrteiligen Zyklus “Alle Toten fliegen hoch” von der er mit “Man kann auch in die Höhe fallen” den sechsten Teil vorlegt.
Erstkontakt. Nach “Falsche Fährten” erscheint “#Erstkontakt_” (sic) beim renommierten Comic Verlag Avant, Text & Zeichnungen: Bruno Duhamel. Dieses Mal widmet er sich dem Mythos von Nessie, besser bekommt als das Monster von Loch Ness, das sich irgendwo in den schottischen Highlands rumtreiben soll. Ein Hipster wider Willen, Doug, schießt zufällig ein Foto und löst damit eine Katastrophe für den kleinen Ort aus.
Anthropoid. Reinhard Tristan Eugen Heydrich war einer der Hauptorganisatoren des Holocaust und 1941 als stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren für zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich. Als er am 27. Mai 1942 in Prag bei einem Attentat tschechoslowakischer Widerstandskämpfer starb, wurden die Massaker von Lidice und Ležáky vom NS-Regime als Racheakte verübt.
Juno, die Erzählerin, ist Anfang Fünfzig. Sie lebt mit Jupiter, ihrem seit Jahren bettlägerigen Mann in einer kleinen Wohnung in Leipzig. Er ist Schriftsteller, sie freiberufliche Performancekünstlerin, die, nicht nur zu Coronazeiten, gerne häufiger Engagements hätte.
Ironischer Spionageroman
Masse und Komplexität als Manko
Peter Lindbergh: Dior. Haute Couture am Times Square. Für Peter Lindbergh’s außergewöhnliches Konzept ließ Dior eine beispiellose Anzahl seiner berühmtesten Kleidungsstücke über den Atlantik reisen. So entstand das letzte Buch des 2019 verstorbenen Fotografen, das bis heute als Originaldokument einer außergewöhnlichen Ko-Kreation gilt. Des Künstlers letzte Herzensangelegenheit, das Haute Couture und Fotografie elektrisierend verbindet, erscheint bereits in der unglaublichen 40th Ed.
The Fire Next Time. Zunächst erschien dieses Buch als Collector’s Edition im Großformat – jetzt, zum 100. Geburtstag Baldwins – in dieser handlichen Jubiläums-ausgabe. Einerseits zu Ehren Baldwins, andererseits auch zu Ehren des Fotografen Steve Schapiro, der leider 2022 verstarb. Ein Klassiker neu aufgelegt, denn der Text James Baldwins (1924–1987) veränderte damals bei Erscheinen (1963) tatsächlich die Welt.
Die andern sind das weite Meer. “The crack is were the light comes in.” Dieselbe Geschichte aus vier Perspektiven. Eine multiperspektivische Erzählinstanz, die aus verschiedenen Richtungen zeigt, wie es sich anfühlt, die Eltern zu verlieren: die Mutter an den Tod, den Vater an die Demenz. Die Familiengeschichte der Cramers ist so alltäglich wie normal, gleichzeitig aufrührerisch und emotional. Denn sie steht symptomatisch für viele andere.
Umlaufbahnen. Orbital. Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2024 und Hawthornden Prize for Literature 2024, nominiert für den Orwell Prize for Political Fiction 2024 sowie den Ursula K. Le Guin Prize 2024: Orbital von Samantha Harvey, ihr fünftes Werk.