Alles ist letztendlich Nichts
Der Debütroman «Weil da war etwas im Wasser» von Luca Kieser wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert. Damit gehörte er also zu den zwanzig Neuerscheinungen des Jahres 2023, die als Vorauswahl aus 196 eingereichten Titeln für die werbe- und verkaufsträchtige Longlist ausgewählt wurden. Betrachtet man im Nachhinein anhand von Feuilleton-Rezensionen und Leser-Kommentaren die Rezeption dieses Buches, so ist das Ergebnis auffallend negativ. Denn die Rezeptions-Ästhetik geht nun mal davon aus, «dass nicht die Intention des Autors im Vordergrund steht, sondern dass der Leser selbst maßgeblich an der Erzeugung des Textsinns beteiligt ist.» Genau das aber gelingt mit diesem Roman nicht! Neben dem Diktum der Literatur-Wissenschaft ist aber auch die demonstrative Nichtbeachtung des Feuilletons ein deutlich ablehnendes Signal, von den überregionalen Zeitungen gibt es nur eine einzige Rezension. und in den Kommentaren der Leserschaft herrscht weitgehend Unverständnis. Man scheitert nicht an der postmodernen Erzählweise, sondern schlicht und ergreifend am kaum zu entschlüsselnden und schon gar nicht nachvollziehbaren Textsinn!
Der Autor hat für sein Roman-Experiment ein eigenwilliges Setting gewählt, in dem Tier- und Menschenwelt eng ineinander verflochten sind, wobei ein Riesenkalmar, einem aktuellem Trend folgend, im Mittelpunkt steht. Er ist einem Frosttrawler in der Antarktis beim Krillfang ins Netz geraten und liegt nun auf dem Oberdeck, das Netz ist zerrissen. Seine riesigen Tentakel führen ein ungewöhnliches Eigenleben, denn zu den vielerlei Perspektiven, aus denen in diesem Roman erzählt wird, gehören eben auch seine sprechenden Fangarme, die Namen tragen wie beispielsweise «Der Blendende», «Der Süße», «Der Halbe», «Der Schüchterne», «Der Müde» und ähnliche mehr. Als ein monströser, weiblicher Tintenfisch ein Tiefseekabel berührt, erwacht sein sexueller Trieb, und von einem zufällig vorbei schwimmenden Männchen wird es dann geschwängert.
Berichtet wird ferner von einem Seemann namens Sanz, der 1861 beim Anblick eines Riesenkraken derart entsetzt war, das er schockiert seinen Beruf aufgeben musste und in Luxemburg eine Familie gegründet hat, deren Stammbaum im Anhang des Romans abgebildet ist. Alle dort verzeichneten Nachkommen verdanken ihr Leben letztendlich also einem angriffslustigen Riesen-Tintenfisch. Diese Genealogie wird im Roman immer wieder mit dem Kalmar in Verbindung gebrach, die Familien-Mitglieder tauchen regelmäßig in jeweils einem der Kapitel dieses Romans auf und bilden so einen losen Rahmen für die unkonventionelle Erzählung. Die Studentin Sanja Sanz, im Jahr 2000 geboren und jüngstes Mitglied der Familie, absolviert auf dem Frosttrawler in der Antarktis ein Praktikum. Sie muss damit klar kommen, dass dort ein halbes Jahr lang Dunkelheit herrscht. Sanja ist es auch, die ein Herz hat für den Riesenkalmar, der den Krillfängern ins Netz geraten ist und nun am Oberdeck liegt, sie versucht alles, um ihn am Leben zu erhalten. Ihr Tagebuch bildet das Ende des Romans. Es gibt auch literarische Verweise, zum Beispiel auf Jules Verne, der in «20.000 Meilen unter dem Meer» eine solche Riesenkrake publikums-wirksam zum Monster hochstilisiert hat,
Luca Kieser verwendet eine angenehm lesbare Diktion, bei der immer auch ein gewisses Pathos mitschwingt. Von einem Plot allerdings kann man nicht sprechen bei dieser chaotischen Erzählung, die vor allem durch wilde Zeitsprünge und geradezu irre Perspektiv-Wechsel gekennzeichnet ist. Der Text wird häufig durch längere Fußnoten ergänzt, wie sie zwar in Sachbüchern üblich sind, in der Belletristik aber den Lesefluss nur stören, ebenso wie es auch die gelegentlichen Verweise des Autors zu anderen Kapiteln seines Buches tun. Kaum gelungen erscheinen auch die philosophischen Exkurse, zum Verhältnis zwischen Leib und Seele beispielsweise oder zur Evolutionstheorie mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Die Intention des Autors, seine gigantische Themenfülle zudem, überfordert (fast) alle Leser, denn: ‹Alles ist letztendlich Nichts› !
Fazit: mäßig
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