Schweres Gift

Der zweite Krimi des Autors weist eine ähnlich hohe Qualität wie der vielbeachtete Debütroman (Kreuzigers Tod) auf.
Ein Mord in der Wiener Musikszene verschafft dem Leser einen schimmernden Eindruck des Wiener Lokalkolorits. Dabei gelingen Oberdorfer bei Gesprächen der Figuren über Musik (von klassischer bis in die Gegenwart) spektakuläre Sequenzen. Die anspruchsvolle Charakterisierung der unterschiedlichen Personen der Handlung gewährt tiefe Einblicke in die menschliche Psyche. Speziell beim „Schlussmonolog“ des/der trickreich überführten Mörders/Mörderin (genaues soll ja nicht verraten werden) leuchtet Oberdorfer stimmig düstere Winkel der menschlichen Seele aus. Zudem erhellt kritisches Licht die abgründigen Seiten einer städtischen Oberschicht. Pervertierungen, Komplotte innerhalb des Beamtenapparats, Korruption und Manipulationen der Öffentlichkeit werden höchst glaubwürdig zum spannenden Teil der facettenreichen Handlung.

Mit „Schweres Gift“ legt Oberdorfer ein hochwertig geschriebenes Stück Literatur vor, die durchs Korsett des Krimis fast zu eng geschnürt scheint. Oder positiv formuliert: die literarische Sprache des Autors sprengt den engen Rahmen eines Krimis, was bei dem einen oder anderen Leser vielleicht zu Irritationen führen mag.
Einer Leserschaft, die qualitätsvolle Krimis schätzt, ist der Roman aber ausdrücklich zu empfehlen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

New Cage

Ein in jeder Hinsicht wichtiges Buch! Ich möchte diese Rezension nicht weniger derb beginnen, weil „New Cage“ sowohl zur Lektüre jedes spirituell Interessierten als auch des chronischen Kritikers jeglicher Esoterik zählen sollte.

Die Krux am gesellschaftlichen Diskurs ist doch, dass es über „Esoterik“ keinen gibt. Die Linke hat mit diesem garstigen Thema gar nichts am brennenden Hut – ist einfach außer jeder Kritik; die Konservativen wollen keine Konkurrenz durch Diskussion salonfähig machen; eingefleischte Atheisten scheinen sich wie der Teufel vorm Weihwasser zu fürchten.
Daher ist die Unternehmung Johannes Fischlers aufs äußerste zu begrüßen. Er schafft eine wertvolle Basis für einen fundierten Diskurs, der unerlässlich sein sollte, vor allem wenn man davon ausgeht, dass eine Grundannahme des Autors stimmt. Nämlich, dass die Esoterik bereits mitten in der Gesellschaft angekommen sei. Mit zahlreichen Beispielen belegt er diese These – etwa würden Schulklassen auf Esoterikfachmessen gekarrt, um Kinderenergiearbeit (und Kinderschutzengelkommunikation) kennenzulernen. Das WiFi fördert Kurse, in denen man/frau sich nach „Kryon“-Ausbildungskonzepten zum Energie-, schlimmer noch: Lichtarbeiter umschulen lassen kann. Und Geistheiler kann man durch staatliche Legitimation werden, wenn man den entsprechenden Gewerbeschein der österreichischen Wirtschaft ersteht.

Kein esoterisch denkender/glaubender Mensch kommt ohne Engelsprays oder Engelkarten (die oftmals im Set feilgeboten werden) oder allerlei anderen Tand aus, was zu einer zweiten Hypothese des Autors führt: dass die esoterische Spiritualität 2.0 vor allem eine riesige Geschäftemacherei im Sinne gewiefter Werbe-Strategen sei.
Den Kunden – die heute nicht in Sekten organisiert sind, sondern in Onlineforen bzw. -gruppen Lehr-CDs und Engelsprays bestellen können – werden von ihren Geschäftsmeistern Aufträge mitgegeben, die Welt ins Licht zu führen, Planentenarbeiter zu werden, die Energie der Erde anzuheben etc. – so kaufen sie gern im Bewusstsein ihrer Wichtigkeit: missionieren sowie verkaufen in einem Atemzug. Fischler stellt recht klare Bezüge zur Konsumwelt her, in der der Trend zur Super-Marke, zum Mega-Brand unübersehbar ist, der zugleich den Konsumenten zum Spezialisten und Kenner (etwa der feinsten neuen Kaffeekapseldüfte) erhöht. Ähnlich funktioniert das Geschäft mit der Esoterik: jeder Lichtarbeiter kann sich eingeweiht schätzen und damit auch noch Geld verdienen (versuchen). Ich verstehe diesen Drang aus einer entfremdeten Arbeitswelt aussteigen zu wollen und auf einer Ebene zu arbeiten, in der das eigene Heil, Gesundheit, Glück erreichbar scheinen und gleichzeitig der Lebensunterhalt zu bestreiten ist. Leider aber werden damit zahlreiche ehrlich Sich-Bemühende zu Opfern, die gleichzeitig als Täter fungieren. Sie führen nicht ins, sondern hinters Licht. Fischler unterscheidet in seinem Werk zwischen spirituellen Methoden wie Meditation, Yoga, Chi Gong und Konsumesoterik. Er bestätigt das Bedürfnis in einer entindividualisierenden und entseelenden Zeit nach Identität und Erfüllung zu suchen: Sehr deutlich lässt er uns wissen, wie dieses Bedürfnis gerade in der Esoterik 2.0 korrumpiert, manipuliert und ins Gegenteil verkehrt wird.

Fischler spricht von der Re-sakralisierung der Welt in Folge der eher agnostischen Jahrzehnte der Vergangenheit. Doch Spiritualität, die zu Luxusartikeln verkam, die der auf Markenprodukte geeichte Konsument noch zu seinem Image hinzufügt, um ein bezauberndes Ich in die Welt zu stellen – damit hat Spiritualität, die nicht auf Schein und Selbstinszenierung abzielt, sondern auf psychisches/seelisches Wachstum nichts gemein. Fischler arbeitet einen Effekt heraus, der tiefer ins Elend, statt zur Befreiung führt: je massiver sich der Eso-Suchende mit scheinspirituellem Tand umgibt, desto schneller muss er sich nach weiteren Dingen umsehen, damit die scheinbare Wirkung nicht verfliegt, der Engelsduft sich nicht verflüchtigt. Damit gerät der Eso-Konsument (der aber als Lichtarbeiter ja gleichzeitig heilige Tupperware verhökert) in eine Teufelsspirale. Einerseits mag diese ihn in den Abgrund der materiellen Verelendung reißen (wenn alles Geld für diverse unmöglichen Quacksalber-Produkte und Kurse verpulvert wurde), anderseits kommt`s möglicherweise bald auch psychisch zum Burnout. Um nichts von der wirklichen Welt in sein Denken einzulassen, muss der Engel-, Planeten- und Allarbeiter ständig nach neuen Angeboten der sakralen Konsumwelt suchen, um seine Scheinidentität aufrechtzuerhalten. Er benötigt zunehmend schneller frische „Systeme“, um Praktisches, Lebenswichtiges und Notwendiges sowie seine eigenen Zweifel und Ängste zu verdrängen. Das schafft eine weit abgehobene Persönlichkeit (die im Zeitalter des Narzissmus noch nicht sonderlich auffallen würde), vor allem aber eine Psyche, die vermittels sämtlicher aus der Psychoanalyse bekannten Abwehrmechanismen Realität derart verleugnet, dass letztlich der Feind im Außen gleichermaßen an Gewaltigkeit zunimmt, wie eigene unerwünschte Impulse verdrängt werden müssen. Anzunehmen ist auch, dass nicht alles so läuft, wie es der Glücksarbeiter gern hätte und dem (teuflischen/dämonischen) Außen dafür Schuld gegeben werden muss. Hier zeichnet sich eine politisch äußerst gefährliche Entwicklung ab, die nur im ernsthaften und bemühten Diskurs aller mit Vernunft Ausgezeichneten und mit einem liebevollen Herz Begnadeten abgewendet werden kann.

Nicht zustimmen vermag ich des Autors Rekurs auf überholte Entwicklungsmodelle des Ich-Konzepts, wie sie uns reduktionistische Wissenschaft einreden will. Eine spirituelle Psyche ist keineswegs eine regredierte, Fischler (ver)mag nicht im Sinne Ken Wilbers zwischen prä- und transpersonalen Entwicklungen zu unterscheiden. Für den Eso-Narzissten gilt jedoch leider sehr wohl, dass nicht reifere Ich-Strukturen aufgebaut werden, sondern eine Schein-Identität von Besonderheit, Spiritualität, Einzigartigkeit die innere Leere übertüncht. (Was für den Narzissten, der wissenschaftlich tätig ist, ebenso gilt; Spiritualität ist halt dann durch den Allmachtglauben der Wissenschaft ersetzt). Der Mystiker weiß aber, dass jenseits des abgeschotteten, isolierten Modernen-Ich eine Dimension der Erfahrung existiert, die sein Dasein unendlich bereichert. Der Mystiker weiß allerdings auch, dass Engel selten zum Menschen sprechen – und wenn, dass ihn diese Erfahrung bis ins Mark erschüttert, und die infantilisierten Engel des Eso-Betriebs, die eher wie Heinzelmännchen wirken, die man auf astraler Ebene für sich schuften lassen will, schon gar nichts damit gemein haben. Den Irrglauben beständig Botschaften aus dem Himmelreich, anderen Planeten, anderen Dimensionen channeln zu können/müssen, sollte wirklich schleunigst ein heiliger Riegel vorgeschoben werden. In Engelsprays sind keine Engel zerstampft oder destilliert, Engelsalben aus Energie gibt’s nicht, und allerlei anderer Unsinn wäre einfach mit dem Begriff der Quacksalberei aus den Verkaufsregalen der Drogeriemärkte zu verbannen.

Traurig ebenfalls, dass heute Kinder als Partnerersatz missbraucht werden (lt. Winterhoff u.a.). Furchtbar, wenn sie zu Indigo- oder Kristallkindern stilisiert werden, womit man ihnen eine normale Kindheit raubt, weil man sie auf ihre besondere Rolle vorbereitet (die auch auf die Eltern zumindest violett abfärbt), sie damit jedoch hundertprozentig ins narzisstische Größenselbst und in egomanische Allmachtphantasien treibt. Natürlich passiert das jenseits esoterischer Familien (Mütter) ebenfalls – dies vergisst Fischler nicht zu erwähnen.

Kontraproduktiv scheint mir einzig die Einleitung des Buchs, die von einem der Science Busters verfasst wurde: Er versucht Spiritualität insgesamt zu diskreditieren. Diese sei eingebildet und überheblich, während Wissenschaft Segnungen wie das Fernsehen und Handys hervorgebracht habe. Als Beweis für die Richtigkeit und Allgültigkeit der Wissenschaften nennt er die Lebenserwartung eines heute Geborenen von 100 Jahren im Vergleich zu jener vor 15o Jahren, die bei 35 gelegen habe. Ich denk, dieser aus dem Hut gezauberte Zahlentrick belegt zur Genüge, wie arrogant und kreativ Wissenschaft mit der Wahrheit umgeht: In den USA nimmt die Lebenserwartung aufgrund der ungesunden Lebensweise und der zerstörten Umwelt bereits wieder ab; in Europa wird sie hauptsächlich deshalb höher, weil die Kindersterblichkeit abnahm (wäre eine eigene Diskussion, ob wegen Impfungen oder sonstigen Gründen), außerdem starb wohl die Generation schon fast aus, die zahlreiche Vertreter im 1. oder 2. Weltkrieg verlor. Zudem liegt die Lebenserwartung in manchen afrikanischen Ländern nun bei unter 35 Jahren, da die Ausbeutung durch Fischereikonzerne der langlebenden Welt und Landgrabbing und diverse andere Ungerechtigkeiten das eben bewirken.

Man könnte auch sagen: Wir fressen denen dort drunten das Fleisch von den Knochen – aber verfettet lebt man auch nicht lange – siehe oben: USA… Und wer heute als 8o-Jähriger stirbt, verbrachte wahrscheinlich die letzten zehn Jahre sediert im Altersheim: welch Sinnbild für unsere moderne wissenschaftlich so fortschrittliche Welt.


Genre: Sachbuch
Illustrated by Molden

Paradiesvögel

Herr Huse, auch bekannt als Björn Ciesinski, ist ein Cartoonist mit wundervoll doppelbödigem Humor, der gern mit Wörtern und Wendungen spielt. Seine »Heilige Dreifaltigkeit« ziert beispielsweise ein dreifach gefaltetes Doppelkinn; und bei »Haltet den Dieb« versuchen drei Polizisten, verzweifelt einen Bankräuber festzuhalten, der gerade über eine Klippe gestürzt ist.

Ein Gekreuzigter denkt kurz vor dem Verdursten daran, ob er daheim den Herd ausgemacht hat. Zwei Schnecken fragen »Zu mir oder zu dir?«, und ein Wandersmann sieht auf einer Orientierungstafel im einsamen Tann, dass der »Standort des unsichtbaren Touristen-Axtmörders« ganz in seiner Nähe ist.

Am besten gefällt mir von den 55 wundervollen Zeichnungen, die der 1976 in Bremen geborene Karikaturist in seinem Debutband »Paradiesvögel« präsentiert, die Darstellung einer Sanduhr, in deren oberem Teil ein Urlauber in der Sonne brät, während der Sand langsam aber stetig in sein Arbeitskabinett rieselt.

Huses Cartoons finden sich in der »Titanic«; er bloggt unter www.flachwissen.blogspot.de.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Holzbaum Wien

Der virtuose Kanzler

In fünf kurzen Akten schildert Erik Werk das Kommen und Gehen der Kanzler von Domanien. Nachdem der konservative Kanzler Karlos (Kohl) nahezu drei Dekaden über Nation und Volk geherrscht hat, wird er von dem Sozialisten Yannis Paterakis (Schröder) abgelöst. Dieser versucht sich durch allerlei Finten – stets um seine gute Frisur bemüht – im Amt zu halten, wird aber am Ende samt seiner unfähigen Mannschaft (die rot-grüne Koalition) durch den »Großen Kanzler« Lucius Quinctius abgelöst.

Der Autor behandelt das laut Verlagsangaben »hochbrisante politische Thema« kühl und schreibt in einem von trockenen Dialogen bestimmten erweiterten Exposé-Stil. Es gelingt ihm leider nicht, seine dürre Geschichte packend zu erzählen oder daraus eine von Sarkasmus triefende Parabel zu schmieden. Angesichts der versumpften poltischen Landschaft und der daraus resultierenden Politikverdrossenheit vieler Menschen schreit das gewählte Thema jedoch geradezu nach frechen, witzigen und gewagten Überzeichnungen.

Nach der Lektüre bleibt die Frage im Raum, ob der Verlag hier nicht besser einen Lektor beauftragt hätte, um mehr aus dem staubtrockenen Thema herauszuholen.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by e-enterprise Lemgo

Konzert ohne Dichter

Konzert ohne DichterAusgehend von einem berühmten Gruppenbild des Jugendstil-Stars Heinrich Vogeler schildert »Konzert ohne Dichter« Szenen aus der legendären Künstler-Kolonie Worpswede. Der Präraffaelit Vogeler hatte in seinem 310 x 175 cm großen Gemälde »Das Konzert« seine Frau Martha porträtiert, die an einem Sommerabend der Jahrhundertwende auf der Eingangstreppe vor ihrem gemeinsamen Wohnsitz Barkenhoff steht. Zu den Füßen der Frau, die in die Ferne blickt, liegt ein russischer Windhund. Auf der rechten Seite sitzen drei Musiker, darunter der Maler selbst am Cello, halb verdeckt durch seinen Bruder Franz an der Violine. Sein Schwager spielt Flöte. Zur Linken sind prominente Künstler aus dem Künstlerdorf abgebildet. Die »Malweiber« Paula Modersohn, Agnes Wulff und Clara Rilke-Westhoff sind zu sehen. Im Hintergrund steht der bärtige Otto Modersohn. Nur ein Mitglied der damaligen Barkenhoff-»Familie« fehlt: Das ist der Dichter Rainer Maria Rilke, dessen Bildnis Vogeler, der fünf Jahre lang an dem Bild arbeitete, wieder löschte.

In seinem höchst feinfühligen Künstlerroman schildert Klaus Modick, wie es zu dem Zerwürfnis zwischen dem berühmten Maler und dem nicht minder bekannten Dichter kam. Der Autor beschreibt drei Tage im Leben Heinrich Vogelers und nimmt dies immer wieder zum Anlass, die Gedanken seines Protagonisten in die Vergangenheit wandern zu lassen. Das biographisch angelegte Werk klingt am Freitag, den 9. Juni 1905 in Oldenburg aus. An jenem Tag wurde »Das Konzert« auf der Nordwestdeutschen Kunstausstellung gezeigt und Vogeler mit der Goldmedaille für Kunst und Wissenschaft geehrt.

Angeregt durch Tizians Gemälde »Das ländliche Konzert« hatte der Kunstgewerbler, der Möbel, Gebrauchsgegenstände, Kleidung und Schmuck entwarf, ein monumentales Gruppenbild geschaffen, das auf den ersten Blick wie ein Idyll wirkt. Dem Blick des aufmerksamen Betrachters entgeht jedoch nicht die Konstellation, in der die Figuren stehen, und so hatte Vogeler auch allen Grund, seinen »Seelenverwandten« Rilke auszusparen. Der stets recht blasiert auftretende Dichter hatte trotz geringer körperlichen Größe oder Schönheit einen Schlag bei Frauen, die er mit seinen weltentrückten Versen in Bann schlug. Vogeler rückte ihn in seinem Bild anfangs aufgrund einer Ménage-à-trois, in die sich Rilke verwickelt, mal näher an Paula Modersohn-Becker heran, mal näher an seine spätere Ehefrau Clara Westhoff. Als er erfährt, dass der krankhaft narzisstische Rilke sein eigenes Kind zu Pflegeeltern gibt, um seine Ruhe zu haben, streicht er ihn vollends aus dem Bild.

Während sein Gemälde in der Öffentlichkeit als Meisterwerk gefeiert wird, will der 33-jährige Vogeler nur noch dem goldenen Käfig Worpswede entfliehen. Sein Bild ist insofern Resultat eines dreifachen Scheiterns: Seine Ehe mit Martha kriselt, sein künstlerisches Selbstverständnis wankt, und die vermeintliche Freundschaft zu Rilke zerbricht. Tatsächlich bricht Vogeler bald zu neuen Ufern auf. Er reist durch die Welt und erlebt mit eigenen Augen die sozialen Widersprüche. Erfahrungen im Ersten Weltkrieg machen ihn zum radikalen Pazifisten, der sich während der Novemberrevolution 1918/19 auf die Seite der aufständischen Arbeiter und Soldaten schlägt. Nach Reisen in die Sowjetunion wird der Barkenhoff zu einer sozialistischen Künstlerkommune und dann zu einem Kinderheim der »Roten Hilfe« umgestaltet. Die Nazis zerschlagen schließlich den Barkenhoff, Vogeler geht ins sowjetische Exil, wo er am 14. Juni 1942 stirbt.

Autor Klaus Modick verwebt höchst kunstsinnig historische Fakten mit Rilke-Zitaten, Vogeler-Äußerungen und narrativen Mutmaßungen. Er bedient sich dabei einer blumenreichen, bisweilen kitschig-ornamentalen Sprache, um seinem Gegenstand wie dem Zeitgeist jener Epoche nahe zu kommen. Dies führt zu einem ebenso lyrisch einfühlsamen wie spannenden Gesellschaftsroman, der in seiner Kunstfertigkeit einzigartig ist. Im Ergebnis ist »Konzert ohne Dichter« ein Leseerlebnis der ganz besonderen Art.


Genre: Romane
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Zeiten ändern Dich

81Qu-QYh3YL._SL1500_Alexander sitzt im Knast. »Betrug zum Nachteil einer Bank« lautet sein Vergehen. Der Betrüger war als eine Art externer Kreditsachbearbeiter für eine Schweizer Bank tätig, beriet Kunden, Kreditanträge auszufüllen, damit sie an Geld kamen und fälschte dabei gekonnt die Zahlen. Fünfundzwanzig Jahre gab er sich dieser Tätigkeit hin, bis er auf die Idee kam, nicht immer nur die Kunden, sondern zur Abwechslung auch mal die Bank selbst zu bescheißen. Dabei wurde er jedoch von einem Neidhammel aus dem Rechenzentrum des Geldinstituts anonym angezeigt.

Im Knast lernt er einen Mithäftling kennen, der ihn vor einem Schläger in Schutz nimmt und dem er daraufhin blauäugig vertraut. Nach zweieinhalb Jahren wird der inzwischen 52-jährige entlassen und begegnet Lena, einer Prostituierte, die ihn aufnimmt. Er landet in einem Bordell und erfährt die Lebensgeschichte der Frau, die sich am Mörder ihrer Tochter rächen wollte, dabei aber den Falschen erledigte und dafür acht Jahre absitzen musste.

Alexander will nach Zürich an sein Geld, das auf einem Nummernkonto liegen müsste. Die dreiviertel Million wurde jedoch während seines Zwangsurlaubs von dem Herrn, dem er im Knast vertraute, abgeräumt. Der heißt in Wirklichkeit, wie er bald erfährt, Pavel Kirillov und ist angeblich ein gefährlicher Neonazi.

Der Verfassungsschutz, der ebenfalls an Kirillov interessiert ist, zwingt ihn dazu, Pavel zu kontaktieren und finanziert ihn. Der bietet ihm einen Job in einem illegalen Bordell an, in dem Safari-Simulationen mit blutjungen Mädchen gespielt werden. Pavel vertraut im und setzt ihn als Geldkurier ein. Nun hält Alexander seine Stunde für gekommen, sich sein gestohlenes Vermögen zurückzuholen. Dabei gerät er zwischen die Mühlsteine von organisiertem Verbrechen, Verfassungsschutz und Kreisen, die unter dem Deckmantel der angeblichen Jagd auf Neonazis ihre eigene Politik betreiben.

Bordelle und Gefängnisse sind die Universitäten des Lebens, schreibt Autor Detlev Crusius, der sich hinter dem Pseudonym Eddy Zack verbirgt. Crusius hat dort mehrere akademische Grade erworben und mit diesem Buch in gewisser Weise ein Stück eigenes Erleben zu Papier gebracht. So zählen die Schilderungen der Abläufe im Gefängnis, das Verhalten der Häftlinge untereinander und die Risiken und Nebenwirkungen, die ein Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen mit sich bringt, zu den emotional stärksten Szenen dieses ansonsten in lakonischem Stil geschriebenen Roman.

Der Leser spürt Authentizität, wenn Zack/Crusius schreibt: »Wer es nicht erlebt hat, kann nicht verstehen, was man mit Schweigen und Dunkelheit alles erreichen kann. Körperliche Schmerzen sind überflüssig. Dunkelheit und Nichts, das reicht.« Ebenso dicht sind auch die Beschreibungen der Welt der Bordelle wie die Szene vom Heiligabend im Puff, der ganz großes Kino ist.


Genre: Romane
Illustrated by Kindle Edition

Der Glückliche schlägt keine Hunde

Eine ebenso kenntnisreiche wie persönliche Biographie Loriots liefert Stefan Lukschy, der den Mann mit dem feinsinnigen Humor Jahrzehnte persönlich begleiten durfte und sich dabei zu einem engen Weggefährten enwickelte. Er schenkt dem Leser eine vergnügliche Begegnung mit Loriot und seiner Welt.

Eher zufällig bekommt der damals an der Westberliner Film- und Fernsehakademie studierende Autor die Chance, 1975 als Assistent bei Vicco von Bülow alias Loriot anzufangen. Das Paar konnte unterschiedlicher kaum sein: auf der einen Seite ein junger vom Freigeist der 68-er Studentenrevolution inspirierter langhaariger junger Mann mit speckiger Lederjacke, auf der anderen Seite ein konservativ gekleideter preußischer Edelmann, der bereits damals ein Star war.

Lukschy begleitet Loriot von nun an durch die meisten seiner Produktionen und findet in ihm einen väterlichen Freund, dem er bis zu dessen Tod im Jahr 2011 treu bleibt. Er schildert en detail den Perfektionismus, der dem Künstler eigen war und die technischen wie materiellen Bedingungen, unter denen gearbeitet wurde. Dadurch, dass Lukschy sich selbst stark zurücknimmt und stets als treuer Helfer und Freund, aber nie als der heimliche Genius hinter dem Meister auftritt, atmet sein Buch eine Herzlichkeit und Wärme, die in Künstlerbiographien selten zu spüren ist.

Die Lektüre verschafft selbst dem Fan, der viele der Werke des Meisters auf DVD oder Video-Tape gesammelt hat, zusätzlichen Einblick. Das Buch schenkt Freude, weil es Informationen und Facetten rund um die Kunstfigur Loriot zeigt, die ohne Lukschys intimen Zugang kaum zugänglich wären.


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Der letzte Schrei

Das wunderschöne hellblaue Leinencover mit zwei sich drehenden Karpfen verleitet direkt dazu, den Band in die Hand zu nehmen. Dass, was die britische Autorin dann in ihren 13 kurzen Episoden liefert, ist durchaus virtuos und zeugt von genauer Beobachtungsgabe. Es geht um Menschen, die sich nicht mehr viel zu sagen haben und dennoch umeinander kreisen.

Stilistisch häufig im Selbstgespräch verstrickt und dabei mit unterschiedlichen Bewusstseins- und Erzählebenen arbeitend, wirken die psychologisierenden Geschichten seltsam kalt, bisweilen sogar verzweifelt. Einige der Texte sind durchaus komisch, bisweilen sogar gnadenlos sarkastisch. Insgesamt aber verschließt sich die Autorin dem Leser eher als sich ihm zu öffnen.

Die Begegnung mit A. L. Kennedy empfand ich insofern als enttäuschend.

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Carl Hanser München

Der Schatz des Herrn Isakowitz

Der Schatz des Herrn isakowitz, Danny Wattin Jede Familie hat ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Geheimnisse, so sagt man. Der schwedische Autor Danny Wattin kannte die seiner Familie lange nicht. Kam das Thema zur Sprache, hieß es immer “Das willst Du nicht wissen” oder auch “wir hatten keine Kindheit”. Seine Verwandten waren ihm immer ein Rätsel, waren sie doch so ganz anders als die pragmatischen Schweden und im Vergleich zu diesen geradezu übergeschnappt.

Lange wusste er nicht einmal, dass all die Leute, die zu den Familientreffen kamen, gar keine Verwandten, sondern Leidensgenossen aus dem Konzentrationslager Dachau waren und wie seine Großeltern jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland mit an Dramatik kaum zu überbietenden Lebensgeschichten. Die Familie war ihm ein Rätsel, das er unbedingt ergründen wollte. Die Einzige über die Jahre eifrig weitergestrickte Familienlegende kündete von einem Schatz, den Ururgroßvater Hermann Isakowitz dareinst vergrub, bevor er im besetzten Polen von den Nazis ermordet wurde.

Es war Danny Wattins Sohn Leo, der den Stein schließlich ins Rollen brachte. Mit der Selbstverständlichkeit eines Siebenjährigen erkannte er das Offensichtliche: “Wenn man von einem Schatz weiß, muss man ihn ausgraben”. Logisch. Und damit beginnt eine abenteuerliche Unternehmung und eine unvergeßliche Reise. Danny Wattin macht sich mit seinem Sohn und seinem Vater auf. Bewaffnet mit einer Unmenge Butterstullen, einem uralten Straßenatlas und Opas hochmodernem Navi reisen sie nach Polen, in die Stadt Kwidzyn, der einstigen Heimat der Familie, wo der Schatz vergraben sein soll. Es wird ein Roadmovie der Generationen, in dessen Verlauf sich nicht nur die Bilder der Famkiliengeschichte klären.

Der Schatz des Herrn Isakowitz ist ein Dokumentar-Roman mit stark autobiographischen Zügen. Die Reise hat es wirklich gegeben sowie die Menschen, deren Geschichten Danny Wattin in Rückblenden erzählt. Es sind Geschichten, die sowohl in Schweden als auch in Deutschlang selten erzählt wurden. Von Schweden weiß man eigentlich nur, dass es im Krieg Neutralität bewahrt hat. Eine Neutralität, die Vielen auch zum Verhängnis wurde. Andererseits – so konstatiert Sohn Leo trocken – “sei es ja auch ganz gut gewesen, dass die Schweden so feige waren”. Somit mussten zumindest sie nicht kämpfen und eben auch nciht sterben. Eine Erkenntnis, der viele ähnliche folgen in diesem Buch. Denn je näher man sich etwas anschaut, desto weniger offensichtlich wird das, was es erzählt.

Danny Wattins Buch setzt historische Kenntnis voraus, allerdings nur in einem Rahmen, der den Meisten geläufig sein dürfte. Er berichtet weniger explizit von den Gräueltaten, die seine Familie und ihre Freunde durchlebten als davon, was diese Taten aus den Menschen gemacht haben. Was die Gräuel umso wahrhaftiger und schrecklicher erscheinen und den Leser schnell Empathie und Mitgefühl entwickeln lässt. Empfindet man die Verwandschaft zunächst als versponnen und zumindest im Ansatz nervtötend, findet man sie und ihre Schrullen auf einmal nur noch liebenswert.

Danny Wattin vermittelt aber auch, was viele aus der Enkelgeneration immer noch spüren: Wie sehr das, was unsere Vorfahren durchlebten, uns prägt. Die Sprachlosigkeit der Kriegsgeneration und wie die Geschehnisse des zweiten Weltkriegs und des Holocaust bis heute in den Familien nachwirken – es ist dies ein Thema, von dem in der letzten Zeit öfter zu hören und zu lesen ist. Danny Wattin findet im “Schatz des Herrn Isakowitz” die warmherzigsten Zeilen, die ich dazu bisher gelesen. habe. Traurig, ergreifend und zwischendurch auch immer wieder liebenswert, charmant und lustig ist dieses Buch gleichermaßen demütig wie stolz. Es ist ein Buch, das Ehre versteht und Ehre erweist. Ein Buch, das man mit Tränen in den Augen und einem Schmunzeln auf den Lippen liest.

“Der Schatz des Herrn Isakowitz”, ist das vierte Buch des in Uppsala lebenden, 1973 geborenen Schriftstellers und das Erste, welches auch in Deutschland erschienen ist. Seit mehr als zwanzig Jahren befragte und interviewte er seine Verwandten und ihre Freunde zu ihren Geschichten. Genauso lange hegte er auch den Wunsch, diese zu erzählen. Doch er musste erst älter werden und vor allem auf diesen MehrGenerationen-Roadtrip gehen, um wirklich verstehen zu können. Er führte während der Reise ein Tagebuch, welches ihm nun einen würdigen Rahmen gab, um die anvertrauten Geschichten schlüssig und stimmig zu erzählen..

Was auch immer die Drei auf dieser Reise gefunden und welchen Schatz auch immer sie nun gehoben haben, es sei hier nicht verraten. Nur soviel: Seit dieser Reise wissen Leo, sein Vater und sein Großvater genau, was ein Schatz ist und wie man ihn behüten muss. Und ganz sicher ist dieses Buch, dass er allen Überlebenden gewidmet hat, ein echter Schatz, den man nur wünschen kann, dass möglichst viele ihn aus dem Dickicht der Bücher zu diesem Thema zu heben vermögen.

Kommentare zu dieser Rezension gerne im Blog der Literaturzeitschrift 


Genre: Historischer Roman

Englische Exzentriker

Das Buch der schon selbst zu den Exzentrikern der britischen Literaturszene zählenden Dame Edith Sitwell sammelt Charakterbilder ungewöhnlicher Männer und Frauen, die sich auf die eine oder andere Weise in ihrer Exzentrizität hervorgetan haben. Dabei legt die exakte Beobachterin kein »humoriges« Werk vor, sie analysiert vielmehr scharfzüngig die verschiedenen Spezies britischer Exzentriker.

Exzentrik, so die Überzeugung Sitwells, kommt vor allem in England vor, weil dort eine spezifische Einsicht in die eigene Unfehlbarkeit Kennzeichen und Geburtsrecht der Eingeborenen ist. Dabei nimmt diese Entschiedenheit, ein Leben auszuformen und auf die Spitze zu treiben, vielfältigste Formen an und kann sich durchaus zur malerischen Vollkommenheit ausbilden.

Die »Bank-Nonne« Sarah Whitehead, die dreißig Jahre lang in einem Bankgebäude herumzulungerte, um ihren längst verstorbenen Bruder abzuholen, der dort tätig war und die sich bald dazu verstieg, öffentlich die Bank zu beschimpfen, weil sie vermeintlich um ein gewaltiges Vermögen gebracht werde, ist einer dieser sonderbaren Charaktere. Sitwell erzählt aber auch die Geschichte britischer Landadeliger, die – der Ruinenmode ihrer Zeit gemäß – Refugien in ihren Parks errichteten ließen, um sich dort Eremiten zur Zierde zu halten, die dort gegen entsprechendes Entgeld in schweigsamer Einsamkeit hausen sollten. Sie schildert einen komischen Kauz namens Jimmy Hirst, deer sich vorausschauend einen Sarg nach eigenem Gusto bauen ließ, der vorerst im Speisezimmer als Tisch, Büffet und Bar diente. Statt zu Pferde ritt Hirst auf einem Bullen zur Jagd, stolzierte in einer schimmernden Weste aus Federn eines Enterichs auf der Rennbahn umher und bezahlte seine Wettschulden mit selbstgefertigten Banknoten.

Sitwells großer historischer Rückblick auf die verschiedenen Spezies britischer Sonderlinge bedient sich einer entsprechend angemessenen exzentrischen Sprache, die äusserst ausgefeilt fast pfauengleich paradiert und nicht ganz leicht zu lesen ist. Wer lediglich ein lustiges Büchlein erwartet, der wird schlecht bedient; wer hingegen die ganz eigene Handschrift einer hochgebildeten Autorin, die sich mit dem Thema identifiziert – sie selbst wurde als höchst eigenwillig gekleideter Vogel mit dem Schnabel einer Harpyie beschrieben –, der wird diesem schlanken Band viel Freude abgewinnen.


Genre: Kulturgeschichte
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Finders Keepers

Morris Bellamy ist zwar ein Gangster, aber kein gewöhnlicher. Er ist belesen und seine Begeisterung respektive Obsession für einen seit Jahrzehnten zurückgezogen lebenden Schriftsteller treibt ihn 1978 dazu, in dessen Haus einzubrechen, da dort angeblich unveröffentlichte Manuskripte lagern, die für ihn wesentlich wichtiger sind als das Bargeld des Greises. Er findet beides, tötet den Autor und versteckt die Beute in der Nähe seines Eigenheimes. Bevor Bellamy Gelegenheit hat, die heißersehnten Texte zu lesen wird er wegen eines anderen Verbrechens festgenommen und zu lebenslänglich verurteilt.

Mehr als 30 Jahre später lebt in dem ehemaligen Gangsterhaus Familie Saubers, die – inmitten der Rezession – gerade so eben über die Runden kommt. Als jedoch der Vater bei dem Anschlag des verrückten Mercedes-Killers schwer verletzt wird drohen sämtliche Dämme zu brechen; die beiden Kinder sehen bereits eine drohende Scheidung der geliebten Eltern heraufziehen. Da trifft es sich nur allzu gut, dass Teenager Peter eines Tages eine vergrabene Truhe mit Geld und Manuskripten findet. Auch Peter ist ein glühender Verehrer des ermordeten Schriftstellers und erkennt sofort, was da vor ihm liegt: Zwei unveröffentlichte Romane seines Lieblingshelden, die er begeistert liest. Mit dem Geld hilft Peter seiner Familie über das Gröbste hinweg, doch als das immer noch nicht reicht, entschließt er sich schweren Herzens, die Texte zu verkaufen. Ein schwerer Fehler, denn der Mörder ist inzwischen auf Bewährung draußen und really not amused, als er das Versteck leer vorfindet…

Als King-Fan der ersten Stunde (seine Werke waren in Deutschland noch gar nicht erhältlich) fällt mir Objektivität zugegebenermaßen schwer, aber ich werde wenigstens versuchen, meine Begeisterung zu begründen. In »Finders Keepers« schreibt Stephen King über etwas, von dem er definitiv eine ganze Menge versteht, nämlich von Literatur und wie sie das Leben nicht nur der Schreiber, sondern auch der Leser determiniert, im Guten wie im Bösen. Es ist nicht sein erstes Buch zu diesem Thema, wir erinnern uns an »The Dark Half« und »Misery«, aber wohl sein intensivstes; die Figur des Morris Bellamy verlangt auch hartgesottenen Horror-Konsumenten so einiges ab. Überhaupt sind die Charaktere wieder mit einer beeindruckenden Tiefe gezeichnet, auch und besonders die jugendlichen; King beherrscht das meisterhaft, wie schon so oft bewiesen. Sein Schreibstil ist gewohnt packend und faszinierend und der stringente Plot weist keine Längen auf.

»Finders Keepers« ist keine direkte Fortsetzung zu »Mr. Mercedes«, aber ein weiteres Buch in dieser Reihe mit den bekannten Protagonisten Bill Hodges, Holly Gibney und Jerome Robinson, die allerdings erst vergleichsweise spät in den Ring steigen. Auch sie haben sich weiterentwickelt, die Kenner von »Mr. Mercedes« werden das zu schätzen wissen. Der Roman ist höchst spannend, ein exzellenter Thriller und ein formidables Lesevergnügen. Angekündigt in dieser Reihe sind drei Bände, man darf sich schon auf den nächsten freuen und hofft, dass der Meister damit nicht zu lange auf sich warten lässt.


Genre: Thriller
Illustrated by Hodder & Stoughton

Positionen 1960-2012

Mit den „Positionen“ legt P.P. Wiplinger ein umfangreiches Werk vor, das sein schriftstellerisches Schaffen auf stimmige Art ergänzt. Er, der immer das Leben vor das Schreiben setzte, bzw. das Engagement vor die pure Kunst, lässt uns darin an seinem Briefverkehr mit zahlreichen Persönlichkeiten aus der österreichisch und internationalen Kulturlandschaft ebenso teilhaben, wie an kritischer und kämpferischer Korrespondenz mit diversen Amtspersonen. Zudem ist das Buch gespickt mit Essay, Referaten und Reden, gehalten zu nachlesenswerten Anlässen, verfasst alskulturpolitische Statements.

Die Briefform liegt Wiplinger literarisch. Seine direkte Art Dinge anzusprechen, dabei lebendig und poetisch bildhaft sein zu können, zählt zu den Qualitäten des Buchs. Schon 196o, also in einem der ersten der Briefe (an Melitta Mühlborn), postuliert er, daß Briefe eine Weise seien, die Persönlichkeit, das Denken mit jemandem zu teilen. „Jeder Brief ist ein Teil, ich möchte sagen: ein Spiegelbild unserer Persönlichkeit“.

Bevor ich auf das Werk näher eingehe, eine grundsätzliche Äußerung: eingedenk der schnellebigen Postmoderne, in der Information zur Ware verflacht wird, da in der rasenden Selbstüberholung der Berichterstattung das Vergessen bereits begründet liegt, fällt„Positionen 196o – 2012“ unter die zeitgeschichtlichen Dokumente. Fragen, die uns heute bewegen sind früh von Wiplinger in die Rinde des Baums der Ereignisse eingeritzt, und wir können anhand des Wachstums knorrige Auswüchse und Verzerrungen deutlich ablesen. Für den an Geschichte, Politik, Literaturgeschichte Interessierten ein wertvolles Nachschlagewerk, das tatsächlich aufgrund des umfangreichen gelungenen Indexes auch dementsprechend zu verwenden ist. Vollständige Themenbereiche freilich erschließen sich aufgrund der gewählten Form eher selten –will man Wiplingers Konflikt mit dem Österreichischen PEN Club verstehen, muss man wohl andere Quellen zurate ziehen. Selbiges gilt für ähnlich komplexe Themen, allerdings mögen die „Positionen“ als Einstiegsdroge gelesen werden, die Sucht auf mehr Wiplinger auslösen kann. Seine „Lebenswege“, dutzende andere Werke liegen ja vor, die quer zu den Briefen gelesen tiefe Einblicke in sein Denken sowie in kulturelle (Fehl-) Entwicklungen gewähren.

Immer wieder beeindruckt sein Anschreiben gegen den Braunen Sumpf in Österreich, ob er gegen fragwürdige Bürgermeister, FPÖ Politiker und/oder Holocaust Verharmloser ins Feld zieht. Seine Schriften entbehren jedoch herzhaft-kräftig der modern typischen Negativverliebtheit. Sein aufmunternder Ton lässt sich gut heraushören in einem Brief an die (ja erst kürzlich verstorbene) Ceija Stojka, als er ihr 1995mitteilt, „dass Sie sich, liebe Ceija Stojka, sowohl durch Ihre beiden Bücher literarisch, aber vor allem durch Ihr engagiertes öffentliches Eintreten für die Menschenrechte und die humanistischen Grundprinzipien und Ihr mutiges Auftreten gegen jede Art von Rassismus und Intoleranz für eine Mitgliedschaft […] qualifiziert haben.“ Und auch persönlich drückt Wiplinger seine Freude über einen möglichen Beitritt der Roma-Autorin zum PEN-Club aus.

Wunderschön klingt in einem Statement das grundhumane Selbstverständnis Wiplingers an (im Brief 2o12 an Dr. Johanna Agreiter): „Und die Rebellion war meine Dynamik, die mich getrieben hat. Veränderung wollte und will ich noch immer, nicht endlose Erklärungen […] Eines hat man aber trotz aller individuellen inakzeptablen Gegenpositionen jedem Menschen nicht nur zu schulden, sondern aktiv zu erweisen, nämlich Respekt; Respekt auch vor dem Andersdenkenden und dem Anderssein. … Dagegen schreie und schreibe ich mein ganzes Leben schon an: gegen diese Intoleranz, gegen diese Überheblichkeit, gegen dieses Sich-selbst-zum-Richter-Machen. Das geht einfach nicht! Liebe und Zuneigung überschreiten Grenzen, Grenzziehungen (die einen sowieso nur in das eigene Ghetto einsperren). Empathie sollte, nein muss unbedingt über Grenzen hinweg ausgebreitet und wirksam sein; sonst leben wir in einer von uns selbst enthumanisierten, zerstörten Welt.“

In einem frühen Brief Wiplingers ist der zackige Aufmarsch von Veteranen, die Gefallene aus den Kriegen zu ehren gedenken, nicht vergessen, wobei seine Wut betreffs des „Deserteurthemas“ saftig aufblitzt und das Dunkel erhellt: „Ein Jägerstätter, wegen Wehrdienstverweigerung zum Tod verurteilt und hingerichtet, hat mehr für die Heimat getan als ein ganzes Bataillon Frontsoldaten.“ Nicht dem Vergessen anheimgegeben ist Franz Fuchs, der Attentäter von Oberwart, sind die Tragödien des Bosnienkriegs mit den Massenmorden, ist die leidige Bush-Administration, sind der Fall des Eisernen Vorhangs und Hilfssendungen an Bulgarische Schriftsteller. Fast muss man sich als Rezensent schämen, weil so wenig von dem, was Wiplinger dokumentiert, in der Beschränktheit der Mittel auch nur angerissen werden kann…

Seine Liebe zur Musik sei den „Antworten auf die Fragen der Dissertantin Arletta Szmorhun, 2oo4“ entnommen, da dieseWiplingers skeptische Haltung gegen den Intellektualismus bekunden: „Auch wenn der Autor Camus heißt und einmal ein modisches Zeitgeist-Kultbuch geschrieben hat [bezogen auf „Der Mythos des Sisyphos“] mit dem abertausende Intellektuelle ihren geistigen Existenznachweis, ihre Legitimation zu erbringen versucht und sich dabei selbst entmündigt haben, der Schlusschor der Matthäus-Passion, von Johann Sebastian Bach, oder Mozarts Requiem sind mir näher als alles andere, weil sie mich wirklich zutiefst berühren, weil ihre Botschaft Ewigkeitswert hat und zeitlos gültig ist.“

An anderer Stelle warnt Wiplinger eindringlich vor dem Hineinstürzen in die Emotionen, auch wenn er selbst sie immer wieder suchte. Doch als Ratgeber seien sie oft unzuverlässig.
Wie sein Offener Brief aus dem Bezirksblatt in meinbezirk.at, vom 25.12.2o12 beweist, kämpft P. P. Wiplinger nach wie vor voll herrlicher und gescheiter Emotionalität: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, waren Sie heute Nacht in der Mette? Hatten Sie mit Ihrer Familie […] einen schönen Heiligen Abend? Naja, sicherlich. Und haben sie eigentlich eine Ahnung (nein, ich glaube nicht), wie es Menschen geht, die aus ihrer Heimat flüchten mussten […] so sie nicht im Meer ersaufen?! […]. Was machen wir (Mühlviertler und andere Österreicher, wir alle eben) mit einem solchen Bürgermeister, der glaubt, derart menschenverachtende Einschätzungen haben zu dürfen und sie noch dazu ganz lässig und verantwortungslos von sich geben und damit manipulativ umgehen zu dürfen? […] Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es keine Diskussion, ob richtig oder falsch, so als sei jede Meinung a priori durch die gegebene Meinungsfreiheit schon als richtig anzusehen und legitimiert! Formulierungen inhumaner Inhalte unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit sind somit nicht der beurteilenden Kritik entzogen und sind nichts anderes als die Widerspiegelung einer inhumanen Gesinnung. Menschenrechtsverletzungen sind das, was sie sind, ohne jede langwierige Herumdiskutiererei, Interpretation oder was auch immer. Menschenrechtsverletzungen sind durch nichts und durch niemanden zu relativierende und so zu rechtfertigende Vergehen an Menschen!“ (Auszug aus dem Brief an den Bürgermeister Alfred Hartl, Bad Leonfelden /OÖ)

Manfred Stangl


Genre: Erinnerungen
Illustrated by Löcker Wien

Zanskar und ein Leben mehr

Zanskar, Ort und Kloster tief im tibetanischen Himalaya. Dorthin verschlägt es Dölma auf der Suche nach ihren Wurzeln. Sie wuchs bei Zieheltern in der Schweiz auf, Flüchtlingskind, nie richtig angekommen, auch als Ehefrau nicht oder in der Mutterrolle. Schreiben verschafft ihr ein Stück Heimat entdeckt Dölma, als sie im fremden Geburtsland ihrer Bestimmung folgt und sich einer Nonne anschließt, sodass sie Teil wird der Rituale, Gesänge und Gebete eines buddhistischen Klosters.

Nach zehn Jahren in denen Dölma als verschollen gilt benachrichtigt ein Brief aus Nepal ihre Tochter Pema-Marie, dass die Tagebücher in Kathmandu gefunden wurden. Pema-Marie begibt sich auf eine mannigfache Spurensuche: sie, die Wissenschaftlerin, begegnet einer spirituellen Glaubenswelt, Schamanen, ihrer Vergangenheit, verdrängten und verhärteten Schichten ihrer Psyche.

Facettenreich wie ein Juwel schillern die unterschiedlichen Ebenen des Romans. Gehalten in das Licht der diversen Betrachtungsweisen funkeln spirituelle Erfahrungen auf, glänzende Einblicke in das Wesen der Seele im Westen lebender Menschen, Ahnungen von Weite und Tiefe der Natur und den Räumen buddhistischer Gedankenwelten.

Feinfühlig geht Ulli Olvedi vor, nie schildert sie spirituelle Erlebnisse vordergründig blendend, nie zerrt sie ihre Protagonisten in ein kaltes Licht der akribischen Analyse, welches die Figuren bleich und hässlich aussehen lässt; selbst die typischen Verkorkstheiten Pema-Maries, ihre westlich-starren Denkmuster, die seelischen Verkrustungen beleuchtet die mitfühlende Art der Autorin so, dass Pema in einem sympathischen Licht erscheint.

Auch politisch bezieht der Roman Stellung: die chinesische Herrschaft über Tibet wird massiv angeprangert; und bei aller Klarheit und Schönheit, die das Leben der Nonnen im Kloster Zanskar bestimmt, übersieht die Autorin nicht die paternalistischen Formen des tibetanischen Buddhismus und lässt Dölma über die Freiheit der Frauen im Westen und die Emanzipation dozieren. Geschickt dann zeigt Olvedi anhand der Neurosen und Erstarrungen Pema-Maries, wie wenig wahre geschlechtliche Unabhängigkeit im Westen gelang, wie sehr die Frau vom leistungsfixierten Urteil des Vaters, sowie durch intellektuelle Selbstzensur von ihrem Leben abgeschnitten in ihrem wertenden überkritischen Denken dahinrotiert.

Olvedi zeigt Auswege, lässt ihre Figuren nicht in modernen Ohnmachtsphantasien abstumpfen und versumpfen.
Sie ist so weise, nicht auf alle Fragen willfährig zu antworten: das Konzept der Wiedergeburt beinhaltet die Gefahr, Hierarchien zu rechtfertigen, in die hinein man aus (vor-)bestimmten Gründen inkarniert wird; diesem Thema weicht Olvedi nicht aus… sie reflektiert die Opferbereitschaft der Nonnen, spricht das Für und Wider aus. Letztlich lässt sie einen jungen Rinpoche sagen, dass im Exil starre Strukturen sich zunehmend auflösen. Die Essenz des Inkarnationsgedankens wird ausgesprochen: man sei die Summe aller Wiedergeburten bis dato, es gehe nicht um Strafe oder Schuld, sondern besäße konkret jetzt die Möglichkeit, aus dem Vergangenen zu lernen und sein Leben zu ändern…
Bei all den subtil verpackten essentiellen Aussagen, die Olvedi trifft, ist ihr schriftstellerisches Talent so groß, Predigten von der Kanzel herab vermeiden zu können; nie sind Dialoge zu lang, weil Olvedi mittels ihrer Figuren belehren will, nie wird der Roman trocken oder langatmig. Im Gegenteil: stets zeichnet sie in ihrer einfühlsamen Sprache die Konturen der Landschaft mit, stets agiert der Mensch in die Natur eingebettet, bewegt sich darin wie in einem wundersamen Haus, auch wenn die Gefahren eines Lebens in den Riesen des Himalayas nicht verniedlicht werden: Nonnen murmeln Mantras, ihr Glaube an die Mutter der Buddhas beschützt sie – Tara wacht über ihre Töchter… doch das Sterben gehört zum Alltag wie das Sein.

Olvedis Sprache ist sanft und präzise: ihre Sätze stehen nicht als kalte Felsblöcke im Buch herum, uns als schroffe Lehrgebilde einzuschüchtern. Sie liefert Mimik, Gestik der Figuren mit, emotionale Färbungen, Stimmungen. Dadurch wird ihre Sprache so lebendig, menschlich, und anderseits eben geheimnisvoll, magisch, wo überwältigende spirituelle Erfahrungen faszinieren. Oder existentielle Erschütterungen, wie der Tod, abgemildert freilich durch das Wissen über die Wiedergeburt im Gewand des neuen Körpers, das nun besser um die gereifte Seele sich hüllt.
Oftmals scheinen Olvedis Sätze sich aus dem Buch auf einen Baum zu schwingen, wo sie Vögel werden und jubilierend trällern.

Ein Buch, wertvoll wie ein Diamant, wobei sich vermuten lässt, dass wohl die Sehnsucht des Lesers nach solch mystischen Räumen, die dieser Roman eröffnet, ihn drängt, sich selbst in spirituelle Bereiche, in die Meditation vorzuwagen…

Manfred Stangl


Genre: Romane
Illustrated by O.W. Barth München

Buddhas Kinder

Olvedi eröffnet mit diesem Buch interessante Einblicke ins monastische Leben exiltibetischer Klöster. Speziell der Alltag der Novizen wird beleuchtet, dabei stets auch kritisch hinterfragt.

Ungemein spannend ist des Weiteren Olvedis Charakteristik der tibetischen Medizin. Und gänzlich unglaublich liest sich die Begegnung mit einem Schamanen, den sie bei einer Heilungszeremonie beobachtet, wobei das Ergebnis der gelungenen Behandlung medizinisch überprüft wurde. Selbst Einblicke ins tibetische Totenbuch (und in eine berührende, auf die Wiedergeburt hingewendete Begräbniszeremonie) werden uns gewährt.

Erfreut erkennt der Leser Begebenheiten wieder, die Olvedi in ihren Büchern einarbeitete. Klar und schön spiegeln sich in „Buddhas Kinder“ die Quellen, aus denen die Romane der Meister-Autorin fließen. Auch die Herkunft des fundierten spirituellen Wissens wird fassbar, wenn sie von den großen buddhistischen Lamas unserer Zeit erzählt, bei denen sie studierte. Reich und prächtig bebildert ist dieses Buch ein Muss für jeden, den die mystischen Welten aus Olvedis belletristischem Werk faszinieren.

Naturgemäß nicht unproblematisch stellt sich die Schilderung des Klosterlebens der Kinder dar. Viele werden aus purer Armut von den Eltern „abgegeben“, anderen soll die umfassende Ausbildung im Kloster eine bessere Zukunft sichern. Nun scheint das Leben im exiltibetischen Kloster nicht vergleichbar mit den oft bösen Erfahrungen in katholischen Internaten. Disziplinär nötige Strenge wird durch die Weisheit der buddhistischen Lehrer abgemildert. Und Selbst-Disziplin stellt eine Tugend auf dem buddhistischen Pfad zur Erleuchtung dar. Klosterkinder spielen gern Fußball – vieles ist nicht ausdrücklich erlaubt, aber genauso wenig speziell verboten. Musik und Tanz zählen zu den Lehrinhalten der umfassenden spirituellen Tradition. Es scheint, als verstünden die erziehenden Mönche stets aufs Neue, die Balance zwischen nötiger Anleitung und dem Zulassen kindlicher Lebensenergie zu finden.

Ein Novize – Patenkind Olvedis – wendet sich an westliche Jugendliche. Er wirbt fürs Klosterleben, das ihm Halt, Sicherheit, Ausbildung und eine würdige Zukunft schenkt. Mönchen wird in buddhistischen Ländern hoher Respekt gezollt, und sie sind bei allerhand Zeremonien unerlässlich. Doch keines der Kinder ist gezwungen, nach seiner Zeit im Kloster, lebenslang Mönch zu bleiben.

Olvedi stellt den Buddhismus als philosophisch-psychologisches System dar, an das man nicht glauben muss bzw. soll, sondern das man nur mittels (Meditations-)Praxis sich erschließen kann. Den Unterschied zwischen Wiedergeburts-Überzeugung und Auferstehungsreligion erläutert sie präzise. Karma hat nichts mit Strafe zu tun, sondern mit den Chancen, aus den Fehlern voriger Leben zu lernen.

Dem Leben der Nonnen wird Olvedis besondere Aufmerksamkeit zuteil, (wie auch in ihren Romanen). Im Exil in Nepal und Indien zeigt der tibetische Buddhismus (der Vajrayana), weniger patriarchale Züge. Olvedi unterstützt die Entwicklung der Nonnen, wo sie nur kann, gerade natürlich im eigenen Verein, der sich zur Aufgabe machte, Klöster im Exil zu fördern.


Genre: Erfahrungen
Illustrated by Nymphenburger

Meschuggene Geschichten

MESCHUGGENE GESCHICHTEN – die hundert besten jüdischen Witze

Wie erfindet, wie erzählt man, wie nimmt man auf jüdische Witze fünfzig Jahre nach Auschwitz, nach dem Holocaust, nach dem rassistischen, industriellen Massenmord an den Juden, nach der planmäßigen Vernichtung jüdischen Glaubens, jüdischen Lebens, jüdischer Kultur in Europa? Wie amüsiert man sich daran, wie lacht man – wieder – darüber? Das sind Fragen, die in diesem Buch weder aufgeworfen, noch beantwortet werden. Dies muß jeder selber für sich tun, mit oder ohne Lektüre dieses Buches. Jedenfalls gibt es diese Witze – wieder, als Lebenszeichen, und das ist gut so. Der Autor Georg Pressburger, selber ein österreichischer Jude, der sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, Überlebender der NS-Vernichtungsmaschinerie, hat diese hundert jüdischen Witze gesammelt und nacherzählt. Und er tut dies ohne jedes Pathos, ohne Larmoyanz, ohne berechnende Seitenblicke auf die Tragik der eigenen Geschichte sowie der des jüdischen Volkes. Nichts ist also peinlich hier, es darf gelacht werden. Lachen ist ein Akt der Befreiung. Und der Witz ist ein Mittel dazu., ein gutes noch obendrein. – Nur das allein wäre zu wenig, an Motivation und Effekt. Da steckt mehr dahinter, hinter diesem Buch. Der Witz ist mehr als nur Anlaß zum Lachen, mehr als nur Auslöser dazu; hier ganz besonders. Die Witze hier sind Relikte einer untergegangen, weil vernichteten, ausgelöschten Welt und ihrer Geistes- und Alltagskultur; sie sind aber auch Zeichen, daß etwas am Leben geblieben ist, ja vielleicht wieder zu neuem Leben erwacht. Der Kohn, der Grün, der Blau – sie wandern durch die Welt des Geschäfts, der Politik, des eigenen Lebens. Und sie hinterlassen Spuren. Sie sind verwickelt in meschuggene Geschichten, die man von ihnen erzählt. Sie versuchen sich in ihrer und in einer neuen, fremden Welt zurechtzufinden. Und irgendwo gibt es immer wieder einen Rebbe, der milde und gütig, weise und geheimnisvoll lächelt. Und in diesem Lächeln ist das Judentum, ist es lebendig und am Leben geblieben. Waren das Lächeln und der Witz, waren meschuggene Geschichten stärker als Gewalt und Tod.

 


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Rötzer Verlag Eisenstadt / Burgenland / Österreich