One second after

517dd1kaZsL._SX310_BO1,204,203,200_Was wäre, wenn jemand vorhätte, die USA anzugreifen? Wäre es da nicht strategisch klug, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten zunächst den Schutz durch die überlegene Technologie zu rauben? Was wäre, wenn es eine Waffe gäbe, die alles Elektronische ausschalten könnte? Diese Waffe könnte bereits in den Händen der Feinde sein … John Matherson, Geschichtsprofessor und Ex-Colonel, lebt mit seiner Familie in einer friedlichen Kleinstadt in den Bergen North Carolinas. Doch die Idylle findet ein jähes Ende, als ein elektromagnetischer Puls (EMP) die kompletten Vereinigten Staaten lahmlegt.

Alle elektronischen Geräte Autos, Computer, Radios, Flugzeuge funktionieren von einer Sekunde auf die andere nicht mehr. Die Gesellschaft bricht erschreckend schnell zusammen, und John muss sich eine entscheidende Frage stellen: Wie weit würdest du gehen, um deine Familie und deine Heimat zu schützen? Dieser Roman ist eine Warnung. Eine Warnung vor einer Gefahr, die schon morgen Realität sein könnte: Einem Angriff mit einer EMP-Waffe. Der elektromagnetische Impuls kann in einer Sekunde jede Form von Elektronik außer Gefecht setzen – und die Zivilisation, wie wir sie kennen, komplett ausradieren…

John ist Mitte 40 und lebt mit seinen beiden Töchtern (16 und 12 Jahre) in dem beschaulichen Örtchen Black Mountain am Fuß der Berge North Carolinas. Als Johns Frau Mary vor einigen Jahren an Krebs erkrankte, quittierte er den Dienst bei den Marines und zog mit seiner Familie in Marys Heimatort Black Mountain, wo sie gegen den Krebs kämpfte und er eine Stelle als Geschichtsprofessor am dortigen Collage annahm. Mary verlor den Kampf gegen den Krebs und John ist mittlerweile seit 4 Jahren alleinerziehender Vater und in Black Mountain ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft geworden.

Dann wird eines Tages, kurz vor dem Frühlingsbeginn eine Atombombe außerhalb der Erdatmosphäre gezündet und alles bricht zusammen! John erkennt als Ex Marine ziemlich schnell, dass es sich um einen EMP-Angriff handelt und auch als erster sehr schnell, was für katastrophale Ausmaße dieser totale Technikausfall nach sich ziehen wird! Die Pumpen für die Wasserversorgung funktionieren nicht mehr, es gibt keine Lebensmittel- und Arzneilieferungen, denn bis auf ein paar alte Autos aus den siebziger Jahren gibt es keine Transportmöglichkeiten. Die komplette US Regierung und die Infrastruktur sind zusammengebrochen. Doch darüber kann man eigentlich nur Vermutungen anstellen, denn natürlich gibt es auch keine Kommunikationsmöglichkeiten.

Innerhalb von ein paar Tagen gibt es Plünderungen der Lebensmittelgeschäfte und Apotheken, nach bereits 2 Wochen gibt es nichts mehr zu essen und man muss anfangen auf die Jagd zu gehen. In den Krankenhäusern und Pflegeheimen sterben die Patienten, die auf Beatmungsgeräte und lebenswichtige Medikamente angewiesen sind wie die Fliegen. Regelrechte Seuchen brechen aus, denn man kann der Leichen kaum Herr werden und es gibt kein Pflegepersonal mehr, dass sich um die Patienten und pflegebedürftigen alten Menschen kümmert. Kleinste Schnittverletzungen werden zu tödlichen Bedrohungen, denn für infizierte Wunden gibt es keine Antibiotika mehr und auf den Feldern ist die Ernte noch lange nicht reif.

Mitten in diesem Chaos fühlt sich John als Ex Marine verpflichtet, sich um sein Örtchen zu kümmern und die Zivilisation soweit es geht aufrecht zu erhalten. Aber John hat auch seine Familie und ein riesiges Problem, denn seine 12-jährige Tochter Jennifer ist Diabetikerin Typ 1 und hat nur noch einen begrenzen Vorrat an Insulin. Die Lage wird immer schlimmer, denn aus den größeren Städten kommen immer mehr Flüchtlinge und plündernde Banden an den Rand der Berge, da sie der Ansicht sind, dass es auf dem Land etwas zu essen geben muss. Nun muss sich Black Mountain auch noch mit einer Flüchtlingswelle befassen, denn die Flüchtlinge sind hungrig, schleppen Krankheiten herein und sind genauso verzweifelt wie die Bewohner des Örtchens selbst. Es gibt Einbrüche, Raubüberfälle, Vergewaltigungen und die Lage wird immer schlimmer….

Ich habe schon viele Endzeitgeschichten gelesen, aber dieses Buch hat mich förmlich umgehauen. Es war so unfassbar großartig, kaum in Worte zu fassen! Eines der besten Endzeitbücher, die ich je gelesen habe. Man muss aber auch dazu sagen, dass ich ein riesiger Fan von Endzeitgeschichten bin und dieses Buch nicht unbedingt etwas für Leute ist, die nur mal in eine Endzeitgeschichte reinschnuppern wollen. Da mich dieses Thema aber wirklich extrem interessiert, fand ich das Buch super spannend und fesselnd, könnte mir aber vorstellen, dass es anderen Lesern vielleicht zu langatmig ist! Es ist mit 500 Seiten ein ziemlicher Klopper und wirklich sehr detailliert beschrieben. Der Autor hat sich wirklich extrem mit diesem Thema befasst und sich um jedes Details Gedanken gemacht – ganz großes Kino!

Die ganze Geschichte spielt sich in Black Mountain ab und befasst sich ausschließlich mit den Problemen dieses einen Städtchens, was mir persönlich mehr als gut gefallen hat, weil man so einen ganz speziellen Bezug zur Geschichte bekommt und wirklich das Gefühl hat, ein Teil dieser Gemeinde zu sein. Die persönlichen Schicksale werden auch sehr stark herausgearbeitet, so dass die Geschichte sehr emotional ist und ich an mehreren Stellen ordentlich Tränen vergossen habe. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass dies für den einen oder anderen Leser einfach too much und zu detailliert sein könnte.

Fazit: Für hardcore Endzeitfans ein absolutes Muss, für Endzeitneulinge aber vielleicht eine Nummer zu viel.

William R. Forstchen (1950 in New Jersey geboren) ist ein US-amerikanischer Historiker, Experte für Militär- und Wissenschaftsgeschichte und den Amerikanischen Bürgerkrieg. Weitere Interessen sind Luftfahrt und Archäologie (er nahm an mehreren Expeditionen in die Mongolei, nach Rumänien und Russland teil). Er veröffentlichte bereits mehr als 40 Bücher.


Genre: Dystopie, Endzeitgeschichten, Romane
Illustrated by Festa

Märchen aus der Unterschicht

Eine märchenhafte Gesellschaftskritiktorsten-siekierka-maerchen-aus-der-unterschicht-9783734760921

Diese Überschrift soll nicht in die Irre führen, märchenhaft meint in diesem Fall nicht so etwas wie traumhaft oder rosa und glitzerig. Sie besagt lediglich, dass vorliegendes Buch ein Märchenbuch ist. Und Märchen waren schon zu früheren Zeiten eine Möglichkeit, Kritik am System, an der herrschenden Klasse zu üben. So auch in diesem Buch: Es beinhaltet altbekannte Geschichten dieser Art, nur wurden sie in unsere moderne Welt adaptiert.
Frau Holle lebt nicht im Himmel, sondern auf einer Onkologiestation. Hänsel und Gretel werden zu einer modernen Version von Bonnie und Clyde. Allerleihrau hat ihren Namen durch ihre von Neurodermitis geschändete Haut bekommen, ausgelöst durch Zitrusfrüchte. Nebenbei hilft diese Haut einer „Pferdebürste“ auch, den zudringlichen Heimleiter abzuwehren, leider nicht langfristig.
Schneeweißchen und Rosenrot leben auf Sylt und müssen sich mit ihrer Mutter allein durchschlagen, weil ihr Erzeuger ausschließlich Geld scheffeln will.
Die sieben Geißlein stammen eigentlich aus dem Kongo und sollen abgeschoben werden und der Fischer mit seiner dicken, gierigen Frau lebt, natürlich, in Wilhelmshaven.
Der böse Wolf jagt in Gestalt eines grantigen Hausmeisters Rotkäppchen. Es ist schließlich eine Unverschämtheit, dass eine Sozialschmarotzerin mit einem roten Kopftuch herumläuft, mit dem Aufdruck einer teuren Label-Marke.

Märchen haben eine moralische Aussage, heute wie früher. Und Märchen sind brutal, erzählen eine lange Geschichte komprimiert zusammengefasst, nur mit den wichtigsten Inhalten.
So hat es der Autor hier auch gehalten.
Die Bremer Stadtmusikanten ziehen als Punks durch die Lande und gehen knallhart vor, als sie sich eine Villa erobern wollen. Trotzdem erscheint es für den Leser richtig, wird das Haus doch von Ausbeutern bewohnt, die es nicht besser verdient haben. Zimperlich darf man jedoch nicht sein, harte Worte zur Beschreibung des Geschlechtsaktes fallen z.B. häufig und ungeschönt.
Einen großen Unterschied von diesen zu den alten, bekannten Märchen gibt es: Sie gehen nicht immer positiv aus und das Gute gewinnt nicht immer (nebenbei: auch bei älteren Märchen, abseits der Grimmschen, siegt manchmal das Böse).
Sehr eindrücklich ist „Die Alle-Ausländer-nehmen-Drogen-und-werden-kriminell-Geschichte“. Vorurteile werden hier geschickt verpackt aufgezeigt, wer hier nicht merkt, dass da irgendwas gehörig schief läuft, dem ist nicht mehr zu helfen.

Märchen waren früher nicht für Kinder gedacht und dieses Buch ist es auch nicht. Wer ein Problem mit deutlichen Worten außerhalb des gehobenen Schriftniveaus hat, sollte die Finger davon lassen. Wer nicht bereit ist, sich einen Spiegel vorhalten zu lassen, ebenso. Wenn ich auch gerade diesen Menschen zu gerne dieses Büchlein in die Hände drücken würde, es hätte wohl keinen Sinn. Perlen vor die Säue und so.

Jedem, der ein bisschen Futter zum Nachdenken sucht, Märchen mag, Kritik erkennen und annehmen kann oder einfach ein Buch lesen möchte, welches auf einer schönen Idee basiert, sei es ans Herz gelegt. Manche der Geschichten sind sogar ein bisschen witzig, der größere Teil jedoch eher positiv (im Sinne von aufrüttelnd) verstörend. Ganz nebenbei ist es handwerklich einfach toll geschrieben, kleine, feine Sprachspielereien haben mich begeistert und die Anlehnung an etablierte Märchen ist perfekt gelungen.
Definitiv ein Autor, den ich im Auge behalten werde und von dem ich mehr lesen will.


Genre: Sagen und Fabeln
Illustrated by BoD Norderstedt

Haus der bösen Lust

Justin Collier, ei51aiM5r34sL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_n Bierexperte mit eigener TV-Show, begibt sich zu Recherchezwecken für sein neues Buch in den tiefsten Süden der USA, nach Gast, Tennessee. Das Kaff ist benannt nach dem schwerreichen Howard Gast, der zu Zeiten des Sezessionskriegs eine Eisenbahnlinie bauen ließ und dafür – lokalen Gerüchten zufolge – seine Seele dem Teufel andiente. Collier steigt in Gasts ehemaligem Wohnhaus ab und merkt schon bald, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Geistererscheinungen und schreckliche Alpträume aus der Vergangenheit sind hier an der Nachtordnung und dazu kommt noch seine Libido, die verrückt spielt und sich rasend steigert …

Edward Lee brennt hier ein wahres Horror-Feuerwerk ab, das keine Wünsche offen lässt und dem geneigten Fan ein riesiges Lesevergnügen beschert. Trotz einiger Szenen, die auch abgehärteten Mägen alles abverlangen, überwiegt der pechschwarze Humor, den der Autor permanent und gekonnt einsetzt. Dass er sich dabei auch mit einem dunklen Kapitel der US-Geschichte, dem Bürgerkrieg auseinandersetzt, macht die Sache noch interessanter.

Viel mehr “Abseits des Mainstreams” (wie der Titel der Website proklamiert) geht kaum, denn der Autor schielt weder auf den herrschenden Publikumsgeschmack (und damit auf hohe Verkaufszahlen), er macht auch traditionsgemäß keine Gefangenen. Ein eingefleischter Fan des Genres schreibt Bücher für andere Fans und das macht er richtig gut, stets nach dem Motto “Sex, Gewalt und gute Laune”.  Hier ist nichts pathetisch oder prätentiös, der Spaß steht im Vordergrund, auch wenn gesellschaftskritische Aspekte keineswegs ausgespart werden. Gerne mehr davon, Mr. Lee!


Genre: Horror
Illustrated by Festa

Afghanistan. München. Ich: Meine Flucht in ein besseres Leben

Ein eindrucksvoller Erlebnisbericht eines Kindes, das viel zu früh erwachsen wurde.Djan1

Hassan Ali Djan wurde 1989 als erstes Kind einer afghanischen Familie in dem kleinen Dorf Almitu geboren. In diesem Buch beschreibt er seine Geschichte, die eindrucksvoller kaum sein könnte.

Als er gerade mal elf Jahre alt ist, stirbt sein Vater und Hassan wird damit zum Versorger für seine Mutter und die jüngeren Geschwister. Er arbeitet als Hirte und für die ortsansässigen Bauern, trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht. Deswegen beschließt er mit einigen erwachsenen Männern seines Dorfes in den Iran zu gehen, um dort als Tagelöhner zu arbeiten. Das verdiente Geld will er an seine Familie schicken. Dieses Unterfangen ist nicht nur gefährlich, weil lange nicht alle Iraner den Afghanen wohlgesonnen sind, es ist auch nicht sehr lukrativ. Für einen Jungen, der eigentlich noch ein Kind ist, ist es nicht leicht auf den Baustellen Teherans Arbeit zu finden.
Mit 15 beschließt er, nach Europa zu gehen um sich und seine Familie in Almitu versorgen zu können.
Mit Hilfe von Schleppern gelangt er über die Türkei nach Griechenland, mit dem Schlauchboot über das Meer, um hier festzustellen, dass es hier noch weniger Arbeitsmöglichkeiten gibt als in seinem Heimatort. Wie viele andere Flüchtlinge auch, lebt er am Hafen mehr schlecht als recht und immer in der Hoffnung, einen LKW nach Schweden, England oder sonst wo zu erwischen, als blinder Passagier natürlich. Nur nach Deutschland will er auf keinen Fall, hat er doch oft genug zu hören bekommen, dass die Flüchtlinge dort jahrelang nicht arbeiten dürfen.
Endlich schafft er es, stundenlang eingerollt in einem LKW-Ersatzreifen, weiter zu reisen. Und landet doch in Deutschland, ohne dies allerdings zu wissen.
Er wird in Massenunterkünften untergebracht und muss zwei Jahre lang auf sein Anhörungsergebnis warten, um dann seinen Abschiebebescheid in den Händen zu halten.
Glücklicherweise gibt es in den Heimen wohlwollende und hilfsbereite Sozialarbeiter, die ihm nicht nur schon während der Wartezeit zu einem Deutschkurs verhelfen, sondern ihn auch ermutigen, Widerspruch einzulegen.
Zwischenzeitlich erfährt er, was es mit dem Status der „Duldung“ auf sich hat, viele Bekannte hat dieses Schicksal getroffen. Das bedeutet, sie dürfen in Deutschland bleiben, aber erst mal nicht arbeiten und werden in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, sobald sich die Lage dort beruhigt hat.
Hier zeigt sich auch, wie willkürlich dieses System doch manches Mal ist. Ein Freund Hassans bekommt trotz sehr ähnlichem Schicksal ein ganz anderes Ergebnis seitens der Behörden.
Viel Hilfe erhält Hassan von einer deutschen Patin, die ihm auch die Gepflogenheiten der deutschen Gesellschaft näher bringt und von einer afghanischen Familie.
Nach vielen Jahren des Hin und Hers bekommt Hassan die Chance, eine Ausbildung abzuschließen, er fällt auf durch unbedingten Ehrgeiz und den Willen zu lernen. Zeitweise gerät er dabei sehr an seine Grenzen: Ausbildung, Nebenjob, um seinen Schwestern das Studium zu ermöglichen, Einsatz für andere Flüchtlinge und immer wieder lernen, lernen, lernen.
Trotzdem hat er seinen Weg nicht verlassen, sich vom geflüchteten Analphabeten zu einem vollwertigen, steuerzahlenden Mitglied der Gesellschaft gearbeitet und sich allen Schicksalsschlägen zum Trotz immer wieder aufgerappelt.

Bemerkenswert sind in meinen Augen vor allem zwei Dinge: das Alter des Protagonisten und seine Art, die ganze Geschichte sehr sachlich darzustellen. Kein Gejammer, kein Selbstmitleid und insgesamt keine sehr emotionale Sprache, einfach eine Berichterstattung. Nur die wenigen Momente, in denen er sich wirklich über etwas freuen konnte, sind ein bisschen überschwänglicher beschrieben. Er übt keine Kritik an irgendeinem politischen System oder Personen, sondern beschränkt sich auf reine Deskription, gerade diese Sachlichkeit macht das Buch umso eindrucksvoller.
Die gesamte Geschichte liest sich wie ein Roman, zeitweise musste ich mich wirklich daran erinnern, dass ich nichts Fiktives, sondern einen Erfahrungsbericht lese.
Ich habe ein paar neue Dinge über andere Kulturen gelernt und ich habe verstanden, warum es manchmal zu Missverständnissen kommt, die sich jedoch ganz einfach aus der Welt räumen lassen, wenn man offen aufeinander zugeht. Ich habe vor allem aber auch bestätigt gesehen, was ich vorher wusste: Jeder Mensch, egal woher er kommt, hat das Recht auf ein würdevolles und erfülltes Leben, wir haben nämlich nur eins davon.


Genre: Erfahrungen, Erinnerungen
Illustrated by Herder Verlag Freiburg

Totenhaus

Bestatterin Blum ist zurück, und wieder ist nichts so, wie es scheint.Totenhaus, Bernhard Aichner

Bestatterin Blum führt zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes und einiger tragischer Erlebnisse endlich wieder ein entspanntes Leben. Sie hat sich mit ihren beiden Kindern, Schwiegervater Karl und Freund Reza die verlorene Normalität zurückerobert und genießt diese. Jedenfalls solange, bis sie auf einen Zeitungsartikel stößt.
Sie entdeckt, dass eine tote Frau genauso aussieht wie sie, dass bei weitem nicht alles so ist, wie es scheint und dass ihr Leben noch lange nicht in geordneten Bahnen verläuft. Im Gegenteil, die Lage spitzt sich bedrohlich zu, als von ihr bestattete Leichen exhumiert werden sollen: Ein düsteres Geheimnis läuft in Gefahr entdeckt zu werden, so dass Blum fürs erste nur die Möglichkeit der Flucht bleibt. Dabei gerät sie an Menschen, die sie verwirren, verstören und bedrohen oder aber auch hilfreich an ihrer Seite stehen, manchmal alles in einer Person. Es werden Menschen sterben und auch auf andere Weise ist der Tod ein ständiger Begleiter der ganzen Geschichte. Wirkliche Schockmomente gibt es zwar nicht viele, dafür haben es die wenigen aber in sich.

Dies ist der zweite Band über die Bestatterin Brünhild Blum, jedem potentiellen Leser sei angeraten, Band eins, „Totenfrau“, zuerst zu lesen. Einige Dinge werden sonst unverständlich bleiben, beide Geschichten bauen aufeinander auf und nicht alles wird noch einmal erklärt.
Wie schon im ersten Teil besticht der Autor durch einen ungewöhnlichen Schreibstil, kurze, knappe Sätze wechseln sich ab mit längeren Gedankengängen und spiegeln so das Gefühlsleben Blums deutlich wider. Auch die spezielle Art der Dialogschreibung wurde hier wieder verwendet, keine Anführungszeichen sondern Spiegelstriche und keinerlei Beschreibungen zu Taten oder Emotionen während der Gesprächssituation. Aichner vertraut voll darauf, dass sich alles Wichtige aus den Worten der Protagonisten erlesen lässt und dies völlig zu Recht.
Wieder sind die handelnden Figuren zwiespältig zu sehen, mal handeln sie so, dass sie absolut in mein Wertesystem passen, dann wiederum passieren durch sie Dinge, die mich als Leser schockieren. Bei keiner Figur könnte ich sagen, dass sie mir sympathisch ist, genauso wenig wie ich behaupten könnte, ich würde sie nicht mögen. Dies unterscheidet den ersten vom zweiten Teil, bei der Totenfrau war Blum ein bisschen meine Heldin, eine Art moderner Robin Hood. In vorliegendem Buch dagegen hat sie mich nicht uneingeschränkt auf ihre Seite ziehen können.
Der Geschichte tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil, gerade dies brachte mich noch näher an das Buch, die reale Welt ist schließlich auch nicht ausschließlich schwarz und weiß.

Die Handlung ist spannend und freiwillig wird dieses Buch wohl niemand aus der Hand legen. Ständig gibt es neue Umwege, Kurven und sogar neue Ziele, selbst am Ende des Buches scheint nur ein Teilziel erreicht zu sein, was schlüssig ist, da das Ganze als Trilogie angelegt ist, es wird also interessant bleiben.
Wenn ich „Totenhaus“ gelesen hätte, ohne „Totenfrau“ zu kennen, wäre ich in Begeisterungsstürme ausgebrochen, wenn ich Punkte vergeben würde, hätte es auch immer noch die volle Punktzahl.
Der erste Band ist jedoch so unschlagbar gut und vor allem so anders geschrieben, dass das vorliegende nicht ganz mithalten kann. Ich könnte dies nicht mal sinnvoll begründen, vielleicht ist es auch einfach nur ein Gewöhnungseffekt.
In Schulnoten würde ich es so ausdrücken: Der erste Teil war eine Eins mit Sternchen, der zweite Teil eine glatte Eins, was natürlich immer noch eine sehr gute Leseempfehlung ist.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by btb München

Totenfrau

Gut und Böse werden kurzerhand durcheinander gewürfelt.

Ich muss zugeben, der erste Eindruck nach dem Lesen des 9783442749263_CoverKlappentextes reizte mich nicht mehr, als jeder andere ungelesene Thriller auch. Nachdem mir das Buch in den sozialen Netzwerken jedoch mehrfach über den Weg lief und sehr empfohlen wurde, konnte ich nicht widerstehen. Glücklicherweise, denn hätte ich es nicht gelesen, wäre mir einer der besten Thriller entgangen.

Protagonistin Brünhild Blum ist Bestatterin, nicht ganz freiwillig, hat sie doch einen Weg gefunden, sich ihr Leben einzurichten. Vielleicht nicht den Weg, den andere genommen hätten, aber immerhin einen nachvollziehbaren. Zum Startpunkt der Geschichte scheint ihr Leben in glücklichen Bahnen zu verlaufen, ihr Mann ist Polizist, sie haben zwei Kinder und Blum versorgt, zusammen mit dem Angestellten und Freund Reza, ihre Leichen. Bis ihr Mann stirbt. Ohne Vorwarnung und ohne sie darauf vorzubereiten, was danach passiert. Wer ist die geheimnisvolle Frau, die ihr Mann so oft getroffen hat und deren gemeinsame Gespräche auf seinem Handy gespeichert sind? Sie hört abscheuliche Geschichten und begibt sich daran, die Wahrheit herauszufinden.

Als Leserin war ich schon zu diesem frühen Zeitpunkt emotional mitten in der Geschichte. Ebenfalls ohne Vorwarnung und Vorbereitung.

Wie so oft bei Thriller-Rezensionen würde ich so gerne mehr erzählen, gerade weil ich dieses Buch für ziemlich spektakulär halte. Da ich aber anderen Lesern die Freude auf das Buch nicht zerstören will, belasse ich es dabei.
Ich mag es sehr, wenn nicht ganz klar ist, wer oder was denn nun eigentlich gut oder böse ist. Wenn mit moralischen und ethischen Vorstellungen gespielt wird und ich als Leser immer wieder darüber nachdenken muss, ob das alles nun irgendwie richtig ist, oder nicht. Nur ganz wenige Autoren haben dies so erreicht wie Bernhard Aichner, mir fallen nur zwei weitere Bücher ein, die hier mithalten können: „Still“ von Thomas Raab und „Das Parfum“ von Patrick Süßkind, damit ist Aichner quasi von Null auf Hundert in meinen persönlichen Thrillerautoren-Himmel aufgestiegen.

Sein Schreibstil ist anders als gewohnt, gefällt mir aber sehr. Viele kurze, abgehakte Sätze spiegeln das Gefühlsleben Blums wider, man ist mittendrin im Geschehen, zeitweise so dicht, dass man tatsächlich ins Grübeln kommt, ob es nicht doch besser wäre, in dieser Nacht das Licht brennen zu lassen.
Sehr schön sind die Dialoge in dem Buch, nicht in klassischen Anführungszeichen, sondern mit Spiegelstrichen voneinander getrennt und ohne „Regieanweisungen“. Auch dies führt dazu, dass man unmittelbar dabei ist, scheinbar wirklich den Gesprächen zuhört.
Blum als Protagonistin wird so authentisch, so echt beschrieben, dass ich jeden ihrer Beweggründe verstehen konnte. Was durchaus verwirrend ist, wenn sie anders handelt, als ich es tun würde. Vielleicht.
Nebenbei habe ich einige Dinge über den Bestatterberuf gelernt, die ich eigentlich gar nicht so genau wissen wollte, dem Buch aber natürlich weit nach vorne helfen. Alles was der Autor beschreibt, scheint bestens recherchiert zu sein, sonst hätte er kaum so genau und detailreich erzählen können. Nicht unbedingt etwas für zart besaitete Gemüter, aber wenn vorne „Thriller“ draufsteht, sollte auch ein Thriller drin sein.
Jedem Fan des Genres sei dieses Werk unbedingt ans Herz gelegt.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by btb München

Die gleissende Welt

SiriHustvedt “Die gleißende Welt” – im 17. Jahrhundert gab es diesen Buchtitel schon einmal. Margaret Cavendish, eine der ersten Frauen, die unter eigenem Namen publizierten, betitelte so einen utopischen Roman. Im 21. Jahrhundert dient die Cavendish der New Yorker Künstlerin Harriet Burden als Vorbild. Harriet Burden ist die Hauptfigur in Siri Hustvedts neuem Roman und ihr Nachname ist Programm. Denn es sind schon mannigfache Bürden, welche die arme Frau trägt. Zwar verfügt sie über ein Millionenvermögen, aber ach. Ach.

Geld alleine macht ja nicht glücklich. Noch dazu ist es “nur” das von ihrem verstorbenen Mann, einem einst gefeierten New Yorker Galeristen, ererbte Vermögen und keines, welches Harriet sich selbst erarbeitet hätte. Ein großes Unglück für die Ärmste, ist sie doch in Wahrheit eine hochtalentierte Installationskünstlerin und hätte mit eigenen Millionen überhäuft werden müssen – nur erkennt es leider keiner. Schlimmer noch, ihre Kunst wird verhöhnt und wenn sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dann immer nur als Frau an der Seite von. Tief gekränkt zieht Harriet sich aus dem öffentlichen Leben zurück und beginnt ein zweites Leben als Mäzenin. Zudem bleibt sie ihrer Kunst treu, doch zu sehen bekommen nur wenige Auserwählte ihre Werke. Harriet ist überzeugt davon, dass eine Frau in der Kunstszene eh keine gerechte Chance bekommt. Schließlich verfällt sie auf ein gewagtes Experiment. Sie zeigt ihre Kunst doch noch öffentlich. Aber nicht als sie selbst, sondern sie bedient sich im Laufe der Jahre dreier “Maskenmänner”, die als Strohmann ihre Werke in Ausstellungen zeigen – und natürlich dafür gefeiert werden. Doch die große “Enthüllung”, welche Harriet Burden für sich gleichermaßen als Rache und Katharsis geplant hat, findet nicht statt. Der letzte ihrer “Maskenmänner” durchkreuzt ihre Pläne und dreht den faustischen Handel gegen Harriet.

Wie ihre Protagonistin ist auch Siri Hustvedt auf ein gewagtes Experiment verfallen, um ihren geplanten Parforce Ritt durch die Gemengelage aus Vorurteilen, Begierde, Ruhm, Geld und Selbstverwirklichung dem Leser als auch wirklich von allen Seiten durchleuchtetes Paket zu präsentieren. Amerikas Ausnahme-Autorin schlüpft dafür in die Rolle der Herausgeberin und präsentiert die Geschichte der Harriet Burden als fingierte Spurensuche. Zu Wort kommen alle (fingierten) Weggefährten Harriets, Freunde wie Feinde, Gönner wie Kritiker und die mittlerweile unvollendet gestorbene Harriet selbst, deren (ebenfalls fingierte) Tagebücher der “Herausgeberin” Hustvedt anvertraut wurden. Ein geschickter Kniff – und anhand der unbestrittenen Wortmächtigkeit und literarischen Begabung der Hustvedt hätte es ein ganz großes Buch werden können.

Ein Buch, welches – wie der Verlag nicht müde wird, zu erwähnen – alle großen Themen Siri Hustvedts vereint. Literatur, Kunst, Psychologie und Naturwissenschaften. Nur das allergrößte Thema der Hustvedt hat der Klappentexter vergessen zu erwähnen: Nämlich sie selbst. Nichts interessiert Siri Hustvedt bzw. ihre Stellvertreterin Harriet Burden so sehr wie die eigene Befindlichkeit, vornehmlich in der gespiegelten Wahrnehmung anderer. Und so wurde aus der Vereinigung eines großes Talents mit einem großen Thema leider nur eins: Das hohe Lied der sich selbst bemitleidenden Larmoyanz und Siri Hustvedt avanciert von der von einer ganzen Generation bewunderten Schriftstellerin zur Hohepriesterin regressiver Luxusprobleme.

Denn um nichts anderes geht es in diesem Buch: First world problems in platin. Es tut geradezu weh, dieses Buch zu lesen. Siri Hustvedt kann schreiben, ihr Talent ist unbestritten und nahezu unerreicht. Es hätte ein kluges, ein berührendes Buch werden können – aber irgendwann hilft auch der wundervollste Stil nicht mehr. Dann ist gejammerte Selbstgerechtigkeit nur noch ein nervtötendes Ärgernis. Man möchte in das Buch hineingehen, Harriet und Siri gleichermaßen schütteln und sie von ihrem selbstgerechten Ego-Trip runterholen. Nach den Erfolgen der Vergangenheit tut Siri Hustvedt viel, um ihren eigenen Nimbus zu festigen. Zuviel, denn mit der “gleißenden Welt” hat dieser Nimbus bereits begonnen zu bröckeln. Sie wollte zuviel. Zu viele Themen, die sie ausgräbt und nur anreißt. Zuviele Genres, durch die sie mäandert. Und dann noch die unzählbar vielen Fußnoten, in denen sie sich gelegentlich nicht entblödet, als Quelle auf ihr eigenes Werk zu verweisen und die ansonsten nur dazu dienen, ihre Bildung auszubreiten. Darin ihrer Protagonistin nicht unähnlich verheddert sie sich schlußendlich nur noch in ihren Manierismen, scheitert an diesen und ihrem eigenen Anspruch.

Viel hatte man von diesem Buch erwartet – versprach es doch, dass Siri Hustvedt mit der “gleißenden Welt” in die New Yorker Kunstwelt zurückkehrt, Immerhin die Welt ihres größten Erfolges “Was ich liebte”. Doch nicht ein einziges Mal löst sie die Emotionen aus, die dieses Buch hinterließ. Aus der ans Innerste ihrer Leser rührenden Erzählerin ist eine selbstgerechte Autorin geworden, die sich aller Erfolge und Lobeshymnen zum Trotz nicht genug gewürdigt fühlt. Möglicherweise liegt es daran, dass Siri Hustvedt sich immer noch an ihrem Mann, dem gefeierten Schriftsteller Paul Auster abarbeitet. Zwar finden sich genug Stimmen, die der Meinung sind, sie habe Auster mittlerweile in den Schattten gestellt, aber ihr Drang, sich selbst zu beweisen, scheint immer größer zu werden. Denn – ganz egal, wie oft es abgestritten wird – auch “die gleißende Welt” ist mit Sicherheit zu einem Teil autobiographisch. Die Parallelen sind einfach nicht zu übersehen, gerade wenn man auch ihre anderen Werke kennt.

Oder – es liegt daran, dass Siri Hustvedt in Wahrheit gar nicht so begabt ist, wie es ihre Wortmächtigkeit suggeriert. Denn – auch in “Was ich liebte” hat sie letzten Endes nur nacherzählt. Auch dieser Roman fußte auf eigenem Erleben, schlimmer noch auf Leben, die sie nur als Beobachterin miterlebte. Welchen Preis die als Vorlage dienenden Personen – ihr Stiefsohn und die erste Frau von Paul Auster – dafür gezahlt haben, das will man lieber gar nicht wissen. Dann schon lieber ihre eigene Befindlichkeit – aber auch von der will man eben nicht endlos lesen. So gesehen ist es kein Wunder, dass Hustvedt mit der epischen Darbietung ihrer eigenen Klugheit den Mangel an Phantasiebegabung kaschiert.

Um den Bogen zurück zu schlagen: Da ist ja noch der entlehnte Titel. Margaret Cavendish wird heute als Universalgenie gefeiert und es bedarf schon einer gewissen Chuzpe, sich einfach einen Buchtitel von einem Universalgenie zu entlehnen. Passt aber dazu, dass Hustvedt sich auch ihre Themen bisher immer nur geliehen hat. Bitter, dass sie das eigentlich gar nicht nötig hat. Und schon gar nicht hat sie es nötig, sich hinter vorgeblichen oder tatsächlichen Vorurteilen wie die von Harriet Burden immer wieder angeprangerte Bevorzugung männlicher Künstler zu verstecken.

So heißt es in der “gleißenden Welt” : „Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze, ironische Bemerkungen und Parodien schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein paar Eier ausmachen kann.“ Hier sei die zugegeben platte Anmerkung, dass man auch als Frau durchaus Eier zeigen kann, erlaubt. Und wer, wenn nicht eine Autorin mit dem Renommee einer Siri Hustvedt wäre dazu besser in der Lage. Eine große Chance – vertan.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Im Auge des Mörders

51LJRkR4WxL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Ein Vergewaltiger lässt nach vollendeter Tat seine Opfer traumatisiert zurück, um sie einige Wochen später brutal zu ermorden. Sein letztes Opfer, Eva Haller setzt sich gegen ihn zur Wehr und er muss schnellstens aus ihrer Wohnung flüchten. Trotzdem lässt er nicht von ihr ab und sie engagiert  Stefan Trapp, einen technikverliebten Bodyguard, weil die Polizei ihr nicht glaubt.  Der brutale und psychopathische Mörder trickst jedoch Polizei und Bodyguard immer wieder aus und es findet sich kein Hinweis auf ihn. Als es ihm ein zweites Mal gelingt, Eva in seine Gewalt zu bringen, beginnt ein Wettlauf mit dem Tod, denn am Ende kann nur Evas Ermordung stehen.

Dieser Thriller von Marcus Hünnebeck hat alles, was ein gut gemachter Thriller haben muss. Verfolgungsjagden, einen psychopathischen Mörder, Protagonisten, die auftauchen und wieder verschwinden, Ermittler, die im Dunkeln tappen, ein Opfer, das sich wehrt und wild entschlossen ist, nicht zu sterben und zuletzt für die weiblichen Thrillerfans einen extrem attraktiven Bodyguard.

Der Autor stellt Eva Haller in den Mittelpunkt seiner von Hochspannung getriebenen Geschichte. Sie ist freiberufliche Journalistin und hat die Aufmerksamkeit des Täters erregt, obwohl sie optisch nicht in sein Beuteschema passt.

Im Laufe der Entwicklungen trifft sie auf einige Menschen, die ihr helfend zur Seite stehen und gerade, als man sich entspannt zurücklehnen möchte, um Luft zu holen, entpuppen sich genau diese Helfer als Verdächtige, nur um einige Seiten später wieder entlastet zu werden. Marcus Hünnebeck versteht es meisterhaft, die Fäden in der Hand zu halten und den Leser an sein Buch zu fesseln. Kontinuierlich steigert er die Spannung und man sollte sich für den Tag, an dem man beginnt, in diesen Thriller einzusteigen, nichts anderes mehr vornehmen, denn man wird scheitern. Der Leser darf Anteil haben an Kompetenzgerangel bei der Kripo, an Fehlentscheidungen und Irreführung der Bevölkerung, die es dem Täter ermöglichen, sein Netz um Eva zusammenzuziehen.

Während des Lesens habe ich ständig auf einer zweiten Ebene nach dem Täter gesucht und ihn nicht gefunden, weil ich immer wieder den falsch und sehr intelligent gelegten Fährten von Marcus Hünnebeck gefolgt bin. Ziemlich zum Ende, als ich schon seit geraumer Zeit vergessen hatte, zu atmen, steigt ein leiser Verdacht auf und ich war äußerst erleichtert, es doch noch herausgefunden zu haben.

Das eingefügte Lokalkolorit macht den Thriller umso lesenswerter, wenn man die Örtlichkeiten kennt.
Marcus Hünnebeck hat sich mit diesem Thriller in die Riege der Dan Browns, Stieg Larssons, Simon Becketts und Sebastian Fitzeks geschrieben.

Herausragend


Genre: Thriller
Illustrated by Egmont LYX.digital

Nur wer wagt, gewinnt

Peter_BuchenauPeter Buchenau mag ein guter »Redner, Ratgeber und Kabarettist« (Eigenwerbung) sein, ein brillanter Autor ist er nicht. Sein Buch »Nur wer wagt, gewinnt« ist in erster Linie eine labyrinthische Predigt, die apodiktisch angelegt ist unter dem Mantra »Nur wer dies und jenes tut oder lässt, der …«

200 Seiten lang verkündet der Autor in immer neuen Schleifen, dass es besser sei, Entscheidungen zu treffen als im Nichtstun zu verharren. Unser Leben sei vom Zwang bestimmt, permanent neu entscheiden zu müssen. Davon dürfe man sich aber nicht unter Druck setzen lassen, auch eine falsche Entscheidung könne in den allermeisten Fälllen noch korrigiert werden. Ziel seines Buches sei es aufzuzeigen, wie man Risiko bewertet und welche Chancen sich aus »risikointelligentem Handeln« ergeben können.

Stilistisch bedient sich Buchenau dabei immer wiederkehrender rhetorischer Fragen. Mag dies bei öffentlichen Vorträgen dienlich sein, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu steigern, so ist es beim Lesen einfach nur hinderlich, zumal es bei dieser Art der persuasiven Kommunikation nicht um Informationsvermittlung sondern um Zustimmung oder Ablehnung geht.

Es kann durchaus sein, dass der Autor einiges zu sagen hat. Seine Art des schriftlichen Vortrags jedenfalls verbaut den Zugang zum Leser, und das ist schade.


Genre: Ratgeber
Illustrated by Linde

Die Anatomie der Melancholie

Robert_Burton»Jeder Mensch hält seine Bürde für die schwerste«, schreibt der römische Philosoph Seneca, und »ein Melancholiker jammert mehr als alle anderen«, ergänzt Robert Burton (1577–1640) im Vorspruch seines Buches.

Der Autor, selbst hoch depressiv, kannte den Gegenstand seines Werkes nur allzu genau. 1621 erschien die erste Fassung des Werkes des englischen Exzentrikers, der als mönchischer Bücherwurm sein ganzes Leben in den Mauern des Oxforder Christ Church College verbrachte und dort nach der Erstveröffentlichung weitere dreißig Jahre an Erweiterungen und Vervollkommnungen des Werkes arbeitete. Schon seine klaustrophile Lebensweise wird seine Neigung zur Melancholie verstärkt haben.

Melancholie als Universalmetapher

Bei Burtons Lebenswerk handelt es sich um die erste grundsätzliche Behandlung der »englischen Krankheit« Melancholie, die wir heute im Krankheitsbild gern als Depression bezeichnen. Der Autor weitet den Melancholiebegriff zur Universalmetapher aus und seziert mit seinem Text eine in sich kranke Welt, die er als »domicilium insanorum«, als Irrenhaus, apostrophiert.

Frontispiz von 1638

Frontispiz von 1638

Vor rund 400 Jahren erschienen wirkt dieses Buch der Bücher vom Range der »Essais« eines Michel de Montaigne – abgesehen von manchen medizinischen Schlußfolgerungen – wie ein Text, der in unseren Tagen geboren wurde: frisch, sprudelnd, satirisch, blumenreich.

Übersetzer Werner von Koppenfels hat für die in der »Handbibliothek Dietrich« erschienene Ausgabe Texte aus der insgesamt dreibändigen »Everyman Edition« ausgewählt und stellt nach eigenen Angaben etwa ein Sechstel des voluminösen Originals vor. Gegliedert ist das Opus in eine Vorrede des unter dem Pseudonym des »lachenden Philosophen« Democritus als »Democritus Junior« schreibenden Burton, die allein als wortgewaltige Suada auf den Zeitgeist gelten darf. Schon in dieser Vorrede wird deutlich, dass es dem Verfasser bei aller wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit um eine gewaltige Satire geht, die er wortreich zu Papier bringt. »Turbine raptus ingenii«, wie Scaliger sagt, getrieben vom Wirbelsturm des eigenen Witzes, buschiert Burton wie ein Jagdhund durchs Gelände und bellt dabei jedes Thema an, das er am Wegesrand erblickt.

Schreiben als Gegenmittel zur Melancholie

Über Melancholie zu schreiben ist Burtons Art, die ihn plagende Melancholie zu vermeiden. Aus innerstem Antrieb versucht er, schreibenderweise den eigenen Geist zu besänftigen. Dabei ärgert ihn besonders das »Zeitalter der Kritzelei«, in dem er lebt. Er konstatiert, dass viele eine »unheilbare Schreibsucht« plage und die Zahl der Bücher ins Zahllose gewachsen sei: »Und dies nur, weil es jeden juckt und gelüstet, sich groß zu zeigen, weil er nach Ehre und Ansehen giert – und so schreibt man eben, was immer es sei, und kratzt es zusammen, woher auch immer – von Ruhmsucht verhext«. Angesichts der Wirklichkeit falle es schwer, darüber keine Satire zu verfassen.

Im Mittelpunkt seiner Schrift beschreibt Burton den Gegenstand seiner Untersuchung und schildert Ursachen und Symptome der Melancholie. Den Gegenstand seiner Abhandlung sieht er entweder als Veranlagung oder angenommene Gewohnheit. Von melancholischen Stimmungen sei kein Mensch verschont, jeder verspüre gelegentlich ihren Stich, Schwermut sei in diesem Sinne Merkmal der Sterblichkeit. »Auf einen Tropfen Honig komt in dieser Welt leicht ein Becher voll Galle«, schreibt er und verweist damit auf den Namen der Krankheit »melancholia«, was so viel wie »mélaina cholé« oder »schwarze Galle« bedeute.

Burtons Sicht der Ursachen von Melancholie

Robert Burton

Robert Burton

Ausführlich befasst Burton sich mit den Ursachen der Melancholie und kommt von den Eltern, die sie vererben können über die Ernährung zu Eigenschaften wie Ehrgeiz, Eigenliebe, Ruhmsucht, Prahlerei, den Drang zur Selbstvergrößerung und die Gewalt der Einbildung, die sie begünstigen.

Aus der Sicht des Verfassers der »Anatomie der Melancholie« sind all das vollkommen sinnlose Eigenschaften: »Unter all den Myriaden von Dichtern, Rhetorikern, Phoilosophen und Sophisten der früheren Zeiten hat kaum ein Werk von tausend überlebt«. – »Nomina et libri cum coribus interierunt«, ihre Namen und Bücher seien miteinander verwest. Und denoch »wollen und müssen Hinz und Kunz unsterblich werden (wie sie meinen), müssen ihren Ruhm bis zu unseren Antipoden ausbreiten, wo sie doch von der Hälfte, ja drei Vierteln ihrer Heimatprovinz weder wahrgenommen noch beachtet werden«.

Wege zur Heilung der Melancholie

Burton beschreibt die körperlichen und geistigen Zeichen, in denen sich depressives Verhalten ausdrückt. Gleichzeitig macht er Mut, es bestehe gute Aussicht auf Heilung, es sei denn, und dies sei die schwerste Kalamität, die Erkrankten legten selbst Hand an sich und suchten »inmitten dieser grauen, scheußlichen, verödeten Tage, da sich kein anderer Trost und Ausweg zeigt, die Erlösung aller Leiden im Tod«. Unterstützt würden sie dabei von Sokrates, der im »Phaidon« zitiert wird: »Leidet einer an einer unheilbaren Krankheit, so mag er sich selbst töten, wenn es zu seinem Wohl geschieht«. Dagegen stehe indes die christliche Auffassung, »wer sich selbst erdolcht, tötet die eigene Seele«.

Im weiteren Teil des Buches beschreibt Robert Burton die Wege zur Heilung der Melancholie. Übersetzer Koppenfeld hat hier die Stellen ausgewählt, die auch aus aktueller Erkenntnis noch medizinische Bedeutung haben könnten. Zum Schluß wendet sich Burton schließlich den Komplexen »Schwermut der Liebe« und »Religiöse Melancholie« zu.

Stilistisches Meisterwerk

Burtons »Melancholie« ist ein wundervoll geistreiches und trotz seines beinahe biblischen Alters aktuelles Werk, das sich geradezu anbietet, wieder entdeckt zu werden. In stilistischer Hinsicht schäumt das Buch über von sprachlichen Kaskaden und bunten Begriffen. Der Autor arbeitet verstärkend mit Tautologien, sprachlichen Spiralen und Schleifen, die das Vergnügen der Lektüre trotz des an sich ernsten Themas enorm steigert.

Der ohne Frage hoch gebildete Verfasser versucht immer wieder, seinen Leser mit eben dieser Bildung aufs Glatteis zu führen, indem er ihn schwallartig mit lateinischen Zitaten großer Geister überschwemmt, die zum Glück samt und sonders kongenial übertragen wurden. Allein diese stilistische Brillanz macht die Lektüre unabhängig vom Gegenstand, mit dem sich manche kreative Geister quälen, zu einem Hochgenuss.

Wer sich in Gesellschaft eines geistvollen Mannes in Gestalt seines Buches wohler fühlt als im Alltagstrubel des Banalen, wird mit Robert Burtons «Anatomie der Melancholie« bestens bedient.


Genre: Klassiker, Kulturgeschichte
Illustrated by Dietrich´sche Verlagsbuchhandlung

Das Doktorspiel

41+vFTJ1iqL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Im neuen Thriller von Béla Bolten werden Alexander Thal und sein Team auf eine harte Probe gestellt. Im Schmetterlingshaus auf der Mainau wird die schrecklich zugerichtete Leiche eines renommierten Kinderarztes aus Konstanz gefunden. Der Tote stammt aus einer der einflussreichsten Familien und die Ermittler müssen mit äußerster Vorsicht an die Tätersuche herangehen. Sie haben kaum eine Spur und die wenigen, die sie finden, führen sie nicht weiter. Im Laufe der anstrengenden Suche nach dem Täter wird ein zweite Leiche im Bodensee gefunden. Stück für Stück tasten sich die Polizisten unter Einsatz ihres Lebens an die möglichen Täter heran. Sie geraten in einen Strudel aus verzweifelten Eltern, militanten Impfgegnern und einer fanatischen Sekte.

Béla Bolten beschreibt ausnahmslos menschliche Charaktere, denen der Fall zusehends auf’s Gemüt schlägt. Wie Alexander Thal, akribisch eine Kaffeetasse spülend, über den Fall nachdenkt oder Bettina Berg versucht, trotz vorangeschrittener Schwangerschaft, ein vollwertiges Mitglied des Teams zu sein, führt geradewegs in das Herz des Lesers. Gerade das macht es aber so spannend. Es sind lauter Menschen mit all ihren verschiedenen Eigenheiten unterwegs, die sich zusammenraufen müssen, um einem perfiden Killer auf die Spur zu kommen. Immer wieder verstrickt man sich in den Hinweisen und Spuren, die im Laufe der Geschichte auftauchen. Béla Bolten hält keine Informationen zurück und lässt den Leser immer auf dem Stand der Ermittlungen sein. Eigentlich möchte man lieber einen Schritt voraus eilen, aber man wird wegen dieses Erzählstils zu einem vollwertigen Mitglied des Teams.

Atemlos steht man in der Rechtsmedizin dabei, wenn Gerhard Restle seine Ergebnisse bekannt gibt und als Madlaina in Lebensgefahr gerät, lebt man ihre Verzweiflung mit und möchte sofort erste Hilfe leisten. Der Weihrauchgeruch in der Sektenunterkunft nimmt einem den Atem und man sucht unweigerlich nach einem geöffneten Fenster. Dass der Leser bis zum Schluss darüber im Dunkeln tappt, wer für die Morde verantwortlich ist, hält ihn davon ab, diesen spannenden Thriller vorzeitig aus der Hand zu legen.

Für mich ist dieser Thriller von Béla Bolten einer der besten, die ich bisher von ihm gelesen habe.

Nervenaufreibend.


Genre: Thriller
Illustrated by Kindle Edition

Kokon

61IBq+xxySL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Auf der Seite der Guten steht Mike, ein Polizist, wie man ihn sich vorstellt: Geschieden, mit halbwüchsigem Sohn und Frauengeschichten, seine Exfrau immer noch liebend. Etwas chaotisch, sodass man am Anfang denkt, dass dieser Mensch sicher keinen brutalen Killer stellt.
Auf der Seite der Bösen agiert ein Serientäter, der eiskalt, analytisch und zutiefst verstörende Morde an Frauen begeht. So verstörend, dass das gesamte Team der Polizei erschüttert ist. Mike und sein pedantischer Kollege Jürgen machen sich auf die Jagd und versuchen, das Puzzle zusammenzusetzen.                                                                                   

Ich habe in der Gluthitze angefangen, diesen Thriller zu lesen und hatte Schwierigkeiten, mich von der Geschichte loszureißen.

Noah Fitz versteht es sensationell gut, den Leser ständig auf falsche Fährten zu führen. Man meint, der Polizei voraus zu sein und den Täter zu kennen, als sich dann plötzlich wieder andere Einzelheiten finden, denen man nun wieder bereitwillig folgt.
Er bildet zuerst viele Nebenstränge und Zweitschauplätze, die er hinterher so virtuos zusammenführt, dass man sich vor die Stirn schlagen möchte, weil man nicht selber dahinter gekommen ist.
Ich habe um ein Kind gebangt, mir Sorgen um einen Erwachsenen gemacht, der die Welt aus Kinderaugen sieht, mitgelitten mit einer jungen Frau, die Liebe suchte, aber nur Sex bekam und mit dem Herzen bin ich Mike und seiner Frau gefolgt und habe glühend gehofft, dass sie wieder zueinander finden.
Dass letztendlich jemand der Täter war, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte, hat diesem Thriller die Krone aufgesetzt.

Mitreißend.


Genre: Thriller
Illustrated by Kindle Edition

Königstöchter

51CW4+XCyoL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Ira Wittekind, neugierige Reporterin mit Hang zur Ermittlerin, soll einen Unfallbericht über eine alte Frau schreiben,  die unter eine Kehrmaschine geraten und einen grässlichen Tod gestorben ist. Um etwas Hintergrund für die Story zu erhalten, spricht sie mit weiteren alten Damen, die die Verstorbene kannten und erfährt mit viel Fingerspitzengefühl nach und nach Ungeheuerliches aus der Vergangenheit der Getöteten und drei ihrer Freundinnen. Weitere Morde geschehen, ausnahmslos an alten Frauen, die auf den ersten Blick kein Motiv erkennen lassen. Doch je weiter die Reporterin in die gemeinsame Vergangenheit der Opfer eindringt, desto klarer wird das Mordmotiv.

Vier Frauen, durch eine unvorstellbar schreckliche Vergangenheit bis ins hohe Alter miteinander verbunden, müssen am Ende ihres Lebens feststellen, dass es letztendlich kein Vergessen geben kann. Das Aufbauen der Spannung und die schlüssige und logische Verknüpfung mit den Geschehnissen von damals hat Carla Berling mit Bravour gemeistert. Immer wieder folgt man Ira, der ausserordentlich sympathischen Journalistin, denkt, dass man klüger ist und mehr weiß als sie, doch am Ende liegt man falsch. Carla Berling zeichnet die beteiligten Personen so plastisch und deutlich mit all ihren Eigenheiten und Charakterzügen, dass man meint, man kenne diese Leute schon lange persönlich. Genau das ist es, was diesen Krimi ausmacht. Diese “Bekanntschaft” mit allen Protagonisten führt immer wieder auf eine falsche Fährte, weil man der einen oder anderen Person ein solches Handeln gar nicht zutrauen mag. Wenn man meint, der Höhepunkt der Spannung sei nun erreicht, setzt die Autorin noch eins drauf und hält den Leser damit eng bei der Geschichte.
Während des Lesens fand parallel im Kopf eine ganz eigene Ermittlung zur Entlarvung des Täters statt. Am Ende hatte ich mit jedem einzelnen der Beteiligten gerechnet, habe aber vollkommen falsch gelegen.

Mitreißend.


Genre: Krimi
Illustrated by Kindle Edition

Ich kann auch schlank: Mein Dukan-Diät-Tagebuch

51gjNYoK-XL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Dieses Buch einen Ratgeber zu nennen, würde es nicht richtig beschreiben. Kirsten Wendt, übergewichtig, trotzdem gut aussehend, fühlt sich schon lange nicht mehr wohl in ihrer Haut. Sie hat, wie so viele in ihrer Situation, fast alle Diäten ausprobiert, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Über eine Bekannte erhält sie Informationen über die “Dukan-Diät”. Sie beschließt, dass dies ihre letzte Diät sein soll, egal wie sie endet. Um nicht den Überblick zu verlieren und ihre Ernährungsumstellung zu dokumentieren, verfasst sie ein Tagebuch, das sich verselbständigt und zu einem “Ratgeber” mutiert.

Offen und kein bisschen selbstherrlich schildert Kirsten Wendt ihren schweren Weg vom Übergewicht zur Normalfigur. Und genau das macht dieses Buch so besonders. Es ist kein Bericht, wie sie zu Hunderten geschrieben werden, getreu dem Motto: alles war ganz einfach und ich habe nicht gehungert, es hat Spaß gemacht, ich war die ganze Zeit glücklich. Und jetzt habe ich endlich Untergewicht. Juhu.


Mitnichten. Die Autorin schildert einen steinigen, mit Entbehrungen, psychischen und physischen Belastungen einhergehenden und manchmal fast nicht aushaltbaren Weg. Wenn sie anklagt, jammert, euphorisch jubelt, strahlt und wieder am Boden zerstört ist, fühlt man jede Minute mit ihr. Die zum Kaffee bereitgestellten und zum gemütlichen Verzehr bei der Lektüre dieses Buches gedachten Kekse bleiben wortwörtlich im Halse stecken. Danke dafür, Kirsten Wendt.  😉 Trotz Leid, Qual und Hungerperioden behält die Autorin ihren Humor. Immer wieder blitzen witzige Einlagen auf, die den Leser daran erinnern, dass eine gewaltige Herausforderung nicht die lustige Seite in einem Menschen vergraben muss. Ganz nebenbei entdeckt Kirsten Wendt einen weiteren Vorzug dieser Ernährungsweise: Ihre Migräne, unter der sie seit Jahren leidet, verflüchtigt sich Stück für Stück und wird so deutlich erträglicher.


Dieses Diät-Tagebuch ist uneingeschränkt lesenswert, auch für die Menschen, die glauben, dass eine so gewaltige Abnahme ein Kinderspiel sei.

Phänomenal.

 


Genre: Erfahrungen
Illustrated by Kindle Edition

Deathbook

Erschreckend realitätsnah geschrieben, Herzklopfen beim Lesen wird kaum ausbleiben.

DeathBookDer Protagonist ist in diesem Thriller der Autor selbst, was von Anfang an eine persönliche Beziehung zu ihm entstehen lässt.
Andreas Winkelmann, erfolgreicher Autor im Bereich der blutrünstigen Romane, verliert seine geliebte Nichte Kathi durch einen Selbstmord.
Damit will er sich jedoch nicht abfinden und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. An der Todesart seiner Nichte besteht kein Zweifel, sie lag auf abgelegenen Bahngleisen und wurde von einem Zug überfahren. Aber geschah dies wirklich aus freien Stücken?
Als im Internet ein Video auftaucht, welches ihren Tod in allen Einzelheiten aufzeigt, wird klar, dass mehr dahinter stecken muss. Mit Hilfe von Michaela Sperling, einer Freundin Winkelmanns und Polizeianwärterin, und Jan Krutschig, einem Computerspezialisten, erfährt Andreas Einzelheiten über eine ominöse Internetseite namens „Deathbook“.
Immer mehr Menschen sterben auf mysteriöse Art und Weise, und jedes Mal tauchen Videos ihrer letzten Minuten im Internet auf.
Andreas begreift, dass sich das Leben seiner Nichte und vieler anderer Jugendliche zu einem großen Teil im Netz abspielt, vor allem auf Facebook pflegen sie Freundschaften wie im realen Leben, ohne zu bedenken, dass die scheinbare Intimität ihrer Gespräche dort nur allzu leicht zu durchbrechen ist.
Zum Ende des Buches verstrickt sich der Protagonist immer weiter in das Geschehen und macht sich selbst zum Hauptverdächtigen.
Eines sei versprochen: Am Ende werden alle losen Fäden schlüssig verknüpft und es kommt zu einem passenden Abschluss.

Dieses Buch ist der vierte von mir gelesene Thriller Winkelmanns, und bis jetzt konnte er mich nie hundertprozentig überzeugen. In diesem Fall ist es ihm gelungen: Ich finde das Buch wirklich großartig. Wie von Winkelmann gewohnt, beschreibt er besonders die Todesszenen sehr direkt und detailreich, aber dieses Mal ist es ihm auch geglückt, bei mir ein absolutes Spannungsgefühl zu erzeugen. Zugegeben, ganz kurz zwischendurch habe ich mich schon gefragt, woher ein normaler Mensch den Mut nimmt, sich so offensichtlich in Gefahr zu begeben, wie es der Protagonist mehrmals tut. Ein paarmal erschien es doch ein klein wenig überzogen.
Aber alles andere wirkte so überzeugend auf mich, dass ich das Buch in kürzester Zeit verschlungen habe. Ich konnte von Anfang an mit (dem fiktiven) Andreas Winkelmann fühlen, seine Gedankengänge und Emotionen nachvollziehen und verstehen – endlich genau das, was mir in seinen vorherigen Werken gefehlt hat.
Die Idee, sich selbst zur Hauptfigur zu machen, gefällt mir sehr und auch die Beschreibungen der Schauplätze sind sehr bildreich dargestellt.
Das Internet mitsamt seiner Gefahren zum Thema zu machen hat einen aktuellen, realistischen Bezug und manch ein Facebooknutzer mag sich vielleicht ein bisschen wiedererkennen.

Zuerst hat der Autor dieses Buch als interaktive Ebook-Reihe herausgebracht, auf deren Einteilung auch die Kapitel in dem Gesamtbuch aufbauen.
Diese Rezension bezieht sich auf das zusammengefasste Buch, welches im Vergleich zu den Einzelwerken überarbeitet wurde.


Genre: Thriller
Illustrated by Wunderlich