Wahn

Für ein Jahr mietet Edgar Freemantle ein Haus auf Duma Key, Florida. Das auf Stelzen errichtete Gebäude ragt wie ein Schiff in den blauen Golf von Mexiko. »Big Pink« nennt der ehemalige Unternehmer das einsame Strandhaus, das rosa gestrichen ist.

Freemantle hat sich an diesen Zufluchtsort der frisch Verheirateten und fast schon Toten zurückgezogen, um sich von einem schweren Verkehrsunfall zu erholen. Dieser Unfall kostete ihn einen Arm und brachte ihm schwere Bein- und Schädelverletzungen ein.

Sein Broca-Zentrum, eine Region der Großhirnrinde, ist beschädigt. Dadurch hat er Wortfindungsschwierigkeiten und kann sich teilweise nur schwer erinnern. Sein Arzt rät ihm, spazieren zu gehen und »gegen die Hecke der Nacht« zu malen.

Edgar ist durch die Beschädigung seines Gehirns ungewöhnlich sensibel geworden und beginnt wie unter Zwang zu zeichnen. Auf seinen Bildern entstehen Situationen, die Vorhersagen gleichen. Er hat offensichtlich das zweite Gesicht, und seine Darstellungen beschreiben Vergangenes und künden Zukünftiges. Telepatische Schübe und eine unheimliche Hellsichtigkeit lassen ihn Zeichnungen und Gemälde fertigen, die düsteren Prophezeiungen gleichen.

Bei ausgedehnten Strandspaziergängen trifft er auf Wireman, einen Anwalt, der die Erbin einer ausgestorbenen Dynastie betreut und freundet sich mit ihm an. Der von Alzheimer verwirrten, uralten Elizabeth Eastlake gehört der gesamte Strandabschnitt. Freemantle bemerkt, dass Wireman ebenso wie die Hausherrin Kopfverletzungen haben. Sie fiel im zarten Alter von zwei Jahren von einem Ponywagen, der Anwalt überlebte einen Selbstmordversuch mit Pistole. Beide scheinen ebenso wie der Maler über überdeutliche Begabungen zu verfügen, Dinge und Ereignisse wahrzunehmen. Alle drei Personen sitzen damit in einem Boot und stellen sich die Frage, ob ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten mit den Verletzungen bestimmter Hirnregionen oder mit der Gegend zu tun haben, in der sie wohnen. Schon bald werden sie von den Ereignissen aufgeklärt.

Freemantles Bilder schlagen fundamental ein und begeistern Fachwelt wie Publikum. Doch die Bilder, auf denen gelegentlich ein gespenstisches Schiff auftaucht, üben eine gefährliche Sogwirkung auf ihre Betrachter aus. Sie ziehen sie wie eine tückische Unterströmung an. Es ist, als ergreife etwas von ihnen Besitz, das über die Gemälde hinaus wirkt. Bald erkennt das neu entdeckte Malgenie, welche Grauen erregende Macht von seinen Bildern ausgeht. Mit seiner Kunst kann er zwar positiv wirken und sogar heilen. Er kann damit aber auch Leben vernichten, und viele Motive, die er wie im Fieber auf Leinwand schleudert, entfalten erst langsam ihre wahre Bedeutung.

Stephen King erweist sich mit »Wahn« erneut als exzellenter Erzähler und scheint kein Formtief zu kennen. Gemächlich entspinnt sich die Handlung, um bald eine eigene Dynamik zu gewinnen und zum Schluss für atemberaubendes Tempo zu sorgen. Ähnlich wie in seinem Psychothriller »Love«, die Biographie einer dreißigjährigen Ehe, die durch Höhen und Tiefen geht, spielt auch in »Wahn« die Liebe eines Mannes zu seiner Familie eine wesentliche Rolle. Außerdem verarbeitet King ein weiteres Mal die Schrecknisse eines schweren Verkehrsunfalls, der ihn vor einigen Jahren beinahe aus der Bahn warf.

Kings »Wahn« richtet ausnahmsweise kein Blutbad an, das Leser des Horrorkönigs beispielsweise von seinem Thriller »Puls« kennen. Der Leser wird dennoch oder gerade deshalb in Atem gehalten. Er erlebt das Grauen der Protagonisten, als diese versuchen, das Übel an der Wurzel zu packen, und er erfährt immer neue Überraschungen und unvorhersehbare Wendungen.

In seinen Grundzügen erschließt sich die Handlung des Werkes und sein voraussichtlicher Schluss recht früh aus vielen Details. King arbeitet beispielsweise mit einem Textversatz namens »Wie man ein Bild malt«, der die Kapitel einleitet. Dies erschließt dem Leser recht früh Details und Zusammenhänge. Das aber ist der Spannung eher förderlich, und so jagt der Leser knapp neunhundert Seiten lang atemlos dem enthemmt kreativen Erzähler nach.


Genre: Horror
Illustrated by Heyne München

Love

Mit seinem neuesten Roman setzt Stephen King seiner Frau als seiner großen Liebe ein literarisches Denkmal. Die inzwischen 50. Buchveröffentlichung des erfolgreichsten Autors unserer Tage heißt im Original »Lisey´s Story« und trägt in der deutschen Ausgabe den Titel »Love«. Wie vom Meister des literarischen Schauers zu erwarten, handelt es sich dabei um einen Psychothriller, der diesmal jedoch äußerst sensibel erzählt wird. »Es ist eine Liebesgeschichte mit Monstern. Einige davon sind Menschen«, beschreibt der rasend produktive Autor seine neueste Kopfgeburt.

Die Witwe des Erfolgsautors Scott Landon räumt den Nachlass ihres Mannes auf und erinnert sich anhand persönlicher Fundstücke ihres gemeinsamen Lebens. Lisey Landon empfindet auch nach dem Tod ihres Mannes eine derartig enge Bindung an ihn, dass sie meint, er wolle sie aus dem Jenseits bitten, noch Unbewältigtes aus seiner Biographie für ihn aufzuarbeiten, damit er in Frieden ruhen könne. Sie reist anhand von Zeitungsartikel und Memorabilien in die gemeinsame Vergangenheit, in die Zeit, wo sie sich kennen und lieben lernten, in die Zeit seines schweren Starts als Schriftsteller, seines enormen Erfolgs und seiner weltweiten Anerkennung.

Die Reise auf der Memory Lane wird für Lisey indes ein Trip zur Freak Alley. Denn neben vielen wunderschönen Erinnerungen gibt es auch bittere Szenen. Bei der Grundstückslegung einer Universitätsbibliothek wird Scott von einem Stalker angeschossen und schwer verletzt. Lisey rettet ihrem Mann in letzter Sekunde das Leben, indem sie den Verrückten mit einer silbernen Schaufel zu Boden drischt. Der Angreifer ist einer der Deep Space Cowboys, die behaupten, angebliche Geheimbotschaften der Autoren zu verstehen und glauben, deren Bücher seien in Wirklichkeit Führer zu Gott, Satan oder den Gnostikern.

Der ebenso verrückte Zellengenosse dieses Attentäters taucht nun zwei Jahre nach dem Ableben des Autors in Liseys Leben auf und beginnt, sie zu terrorisieren. Mit Hilfe ihres verstorbenen Mannes wehrt Lisey sich gegen den Dämon. Dazu folgt sie einem »Blut-Bool«, einer blutigen Schnitzeljagd, die sie von Hinweis zu Hinweis führt, und bei der immer wieder Versatzstücke der Wahrheit durch einen purpurroten Vorhang schimmern. Sie trifft Scott unter dem Boo`ya-Mond, einem Auenland der Phantasie, in das er sich bereits als Kind zurückzog, um sich vor der gewalttätigen Welt der »Bösmülligen« zu schützen, und es gelingt ihr, sich immer wieder in diese Zone des Zwielichts zu transportieren, um neue Kraft zu schöpfen.

»Love« ist ebenso ein Psychothriller wie die Biographie einer dreißigjährigen Ehe, die durch Höhen und Tiefen geht. Viele Parallelen öffnen sich zu Kings eigenem Leben, und doch ist dieser Roman weit mehr als ein Werk mit autobiographischen Reminiszenzen. Es ist eine einfühlsame Liebesgeschichte von symbiotisch verbundenen Menschen, die auch über den Tod hinaus in ihrer eigenen Sprache, ihren eigenen Ritualen und ihrer eigenen Welt leben. Es ist ein Buch über die Trauerarbeit beim Hinscheiden geliebter Menschen von einem Kenner der Untiefen und Abgründe der menschlichen Seele. Es ist ein zärtlicher Roman über die heilende Wirkung der Liebe und ihre Bedeutung als Kraftzentrum für die Beziehung.

King verarbeitet in seinen Büchern gern Geschehnisse der eigenen Lebensgeschichte: er war selbst Alkoholiker wie sein Protagonist Scott Landon in »Love«, und er ertrug einen durchgeknallten Fan, der in sein Haus eindrang. Er überlebte einen lebensgefährlichen Autounfall, den er im siebten Buch von »Der dunkle Turm« bis zum Klarnamen des Unglücksfahrers verarbeitete. Der King of Horror bereitet oft intime Details seines Lebens in seinen Romanen auf. Doch alle Spuren, die er legt, führen letztlich immer zu dem großen Pool der Mythen und Worte, aus dem der Schriftsteller trinkt: sie erweisen sich als literarische Fiktion.

In seiner Sprachgewalt wie in seiner Schöpferkraft ist Stephen King ein literarisches Phänomen. Gleichwohl wirkt es auf den Kenner des Gesamtwerks so, als schreibe King gegen die Uhr, als wolle er in einem Schreibmarathon Long Boy, dem Sensenmann, davon laufen. Das ist für den Autor, dessen Bücher sich nach eigenem Bekunden weitgehend selbst schreiben und ihm förmlich aus der Feder fließen, sicherlich eine ebenso ungewöhnliche Erfahrung wie für seine Leser.


Genre: Thriller
Illustrated by Heyne München

Puls

Das Ereignis, das als »Der Puls« bekannt werden sollte, erlebt der Comic-Zeichner Clayton Riddell, als er sich in Boston ein leckeres Softeis spendieren will: Teenager fallen übereinander her und beißen sich die Kehle durch, Geschäftsleute werden zu blutrünstigen Bestien, Busfahrer jagen und überrollen Passanten; kurz: ein infernalisches Chaos, in dem jeder jedem ans Leben geht, beginnt. Ohne lange Vorrede lässt King gleich zu Beginn seines von der ersten bis zur letzten Zeile atemberaubend spannenden Buches unfassbaren Horror über Land brausen, der von Handys ausgelöst wird, die einen unheimlichen Befehl aussenden.

Clayton denkt an seinen Sohn und hofft, dieser möge kein Handy benutzen und vor dem sich ausbreitenden Wahnsinn fliehen. Er zieht mit zwei Gefährten los, ihn zu suchen und stellt auf seiner Wanderung durch ein apokalyptisch verwüstetes Land fest, dass die Handy-Verrückten telepathische Fähigkeiten entwickeln und sich in die Gedanken der wenigen Nicht-Infizierten einloggen können. Diese sollen gezwungen werden, sich in einem angeblich funkstreckenfreien Gebiet zu sammeln. — Doch welches Grauen erwartet sie dort?


Genre: Horror
Illustrated by Heyne München

Der dunkle Turm

Der siebte und letzte Band der gewaltigen Serie „Der dunkle Turm“ führt die Helden, soweit sie die bisherigen dramatischen Ereignisse überlebten, unerbittlich ihrem Ziel entgegen. Doch je näher sie ihm kommen, desto schneller läuft die Zeit und desto schrecklicher werden die Gefahren. Weiterlesen


Genre: Fantasy
Illustrated by Heyne München

Susannah

Ähnlich wie es den Autor gepackt zu haben scheint, sein gewaltiges Epos zu beenden, folgt auch der Leser im sechsten und vorletzten Teil des Zyklus wie elektrisiert der Geschichte des Quartetts um den Revolvermann Roland. Nachdem die Freunde sich als Roboter entpuppende Wolfsmänner geschlagen haben, entkommt ihnen die von einem Dämon geschwängerte Susannah/Mia durch eine Tür, die nach New York führt. Die Freunde versuchen, ihr zu folgen. Dabei geraten Roland und Jake in einen Hinterhalt. Sie entkommen ihren Mördern und wenden sich schließlich an ihren Schöpfer, den Autor Stephen King. Während dessen verfolgen Jake, Oy und Callaghan die hochschwangere Susannah alias Mia, die von den dunklen Mächten gezwungen wird, ihren Sohn auszuliefern. Gerade als die Retter versuchen, in den Unterschlupf der Unterweltler einzudringen und Mia Rolands Sohn gebärt, der ihn letztlich töten soll, also genau im spannendsten Moment, endet der Band und bringt den Leser um den Genuss des Showdowns. Clever, clever, Stevie!

In angehängten persönlichen Tagebuchauszügen lässt King keinen Zweifel daran, dass er seit dreißig Jahren an „Der dunkle Turm“ denkt und gelegentlich stoßweise arbeitet, wobei er das Werk zwischenzeitlich sogar völlig aus den Augen verloren hat.


Genre: Fantasy
Illustrated by Heyne München

Wolfsmond

Der fünfte Band aus der Reihe „Der dunkle Turm“ führt das Quartett um den Revolvermann Roland in ein kleines Dorf in Mittwelt. Dort werden auffällig viele Zwillingskinder geboren. Jeweils eines von ihnen wird von Wolfsreitern, die das Dorf regelmäßig überfallen, entführt und geistig behindert zu seinen Eltern zurückgesandt. Andy, ein Botenroboter, kündigt einen neuen Überfall an. Roland, Eddie, Jake und Susannah erklären sich bereit, den Dörflern zu helfen. In einer Höhle des Dorfes entdecken sie eine geheimnisvolle Tür, die ihnen den Zutritt zur Erde und zu anderen Welten ermöglicht. Sie kehren für kurze Zeit nach New York zurück, um einen Buchhändler zu retten, der ein geheimnisvolles Grundstück besitzt, für das sich dunkle Mächte interessieren. Dann greifen die Wölfe in Mittwelt an und schließlich verschwindet Susannah, die ein gefährliches Wesen in ihrem Leib austrägt und von einer brutalen Persönlichkeit namens Mia beherrscht wird.


Genre: Fantasy
Illustrated by Heyne München