Maria Callas. In Anlehnung an die griechische Göttin der Weisheit betitelte das deutsche Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” so einmal einen Artikel über die griechisch-amerikanische Opernsängerin. Athene war aber auch die Göttin der Strategie und des Kampfes, der Künste, des Handwerks und der Handarbeit und genau das brauchte die Callas in der damals männlich dominierten Opernwelt.
Maria Callas – Kunst und Mythos
Die wohl größte Sopranistin ihrer Zeit wurde als Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropoulou am 2. Dezember 1923 in New York City geboren. Ihre Eltern waren nach Amerika ausgewandert, um dort Arbeit zu finden. Zuneigung fang die junge Maria aber vor allem bei ihrer älteren Schwester Yakinhti (Jackie). Aber wenn man die Adressen in Manhattan ansieht, die die Familie in den Jahren der Weltwirtschaftskrise bewohnte, kann man von einem langsamen sozialen Abstieg sprechen: ein Aufstieg in die höher nummerierten Straßen von Midtown Manhattan bis nach Harlem lege dies nahe, schreibt Arnold Jacobshagen in seiner dieses Jahr bei Reclam erschienen Biographie “Maria Callas. Kunst und Mythos”. Ihren ersten Preis gewann die Callas übrigens mit “La Paloma“, begleitet von ihrer Schwester am Klavier, im Alter von elf Jahren. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lebte die Familie dann wieder in Athen, wo Maria bei Elvira de Hidalgo Unterricht bekam. Aber auch hier zog die Familie öfters um. Der Vater war allerdings in New York geblieben. Ihr eigentlicher Aufstieg begann mitten im Krieg: während die italienische Luftwaffe Piräus bombardierte, stand Maria Kalogeropoulou an der Nationaloper von Athen zum ersten Mal in einer Solorolle auf einer professionellen Bühne, als Beatrice in Bocaccio, einer Operette von Franz von Suppé. Positives hatte sie damals über die deutschen Besatzer zu berichten: “Als ich während des Krieges in Athen auftrat, bin ich von den Deutschen in keiner Weise belästigt worden, obwohl ich Inhaber eines amerikanischen Passes war.” Na wenigstens vor einer Operndiva hatten die Schergen Respekt. Als Maria den Rechtsanwalt und Opernliebhaber Edgar Richard Bagarozy kennenlernte, begann die eigentliche “Karriere”, denn der Mäzen hatte ehrgeizige Pläne, trotz dem Fiasko seiner United States Opera Company in Chicago. Mit Bagarozy beschäftigt sich auch ein Film im Genre Fantasy/Komödie von Bernd Eichinger aus dem Jahre 1999, auf den hier verwiesen wird, um die Faszination Callas auch in deutschen Landen zu untermauern. Der Film fiel allerdings sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum durch. Wahr daran ist wohl einzig, dass die Callas tatsächlich immer von einem schwarzen Pudel begleitet wurde, wie Fotos aus der Zeit beweisen. Durch Bagarozy kam Maria nämlich in Kontakt zu dem Industriellen Giovanni Battista Meneghini, der später ihr Ehemann wurde, obwohl er 28 Jahre älter als sie war. Ihren ersten Triumph feierte Maria Callas schließlich mit Richard Wagners Tristan und Isolde in Venedigs Teatro La Fenice. “Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Maria Callas ausgerechnet mit einer hochdramatischen Wagner-Partie erstmals in Italien triumphierte“, schreibt ihr Biograph hymnisch.
Callas – Gesichter eines Mediums
Einen ganz anderen Zugang zur “Göttin” Callas als die üblichen Biographien wählt eine Publikation des Verlages Schirmer Mosel, der dieses Jahr als Sonderausgabe nochmals aufgelegt wurde. Anstelle einer erzählen Lebensgeschichte treten hier insgesamt 165 Duotone-Tafeln und vier Farbtafeln, die Maria Callas herself porträtieren. Fotos aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, private Aufnahmen aus dem Familienalbum oder Promotionfotos ihrer Plattenfirma. Besonders bemerkenswert an dieser Publikation sind aber auch die einleitenden Essays. Ersteres stammt von der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, die die Callas als “einzige Person, die rechtmäßig die Bühne in diesen Jahrzehnten betreten hat” und “letztes Märchen” feiert: “Die Tränen, die ich geweint habe – ich brauch mich nicht mehr zu schämen. Es werden soviel unsinnig geweint, aber die Tränen, die der Callas gegolten – sie waren so sinnlos nicht. Sie war das letzte Märchen, die letzte Wirklichkeit, deren ein Zuhörer hofft, teilhaftig zu werden.” In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der zweite Text, der von dem ungarischen Musikwissenschaftler Attila Csampai stammt, der sich teilweise auch auf den Bachmann Text bezieht. Der in drei Teile gegliederte Text ist nichts weniger als eine Apotheose der wohl größten Opernsängerin der Welt. Csampai vermag es überzeugend gegen alle jene zu wettern, die die Größe der Callas zu ihren Lebzeiten nicht erkannt und geschmäht hatten. Er wendet sich in einer wütenden Anklageschrift gegen alle mediokren Kostverächter und neureichen Ignoranten, die von Oper keine Ahnung hätten und nur auf ihr Prestige achteten. Ihre Zeit sieht er vor allem zwischen 1949 und 1959 und jeder weiß, was für ein scheinheiliges Jahrzehnt die Fünfziger Jahre waren. “Die Callas war ein Skandal in Permanenz, die fleischgewordene Herausforderung gegenüber der restlos verunsicherten Männergesellschaft der Fünfziger Jahre.” Onassis – ihr zweiter Ehemann – wäre ohnehin nur von ihrem exotischen Flair interessiert und selbst ein Banause gewesen. “...sie war die reine Kunst, die inkarnierte Utopie des Kunstschönen – was von dieser Gesellschaft der seelenlosen Lemuren, der feisten Körper und eiskalten Herzen keinen interessierte.” Aber die Callas hätte durch ihr inneres Leben der Kunst objektive Gestalt verliehen, so wie es Pindar vor 2500 Jahren definierte: “Die Göttin Athena war so tief beeindruckt von den Wehklagen der Medusen-Schwester Euryale, dass sie nicht anders konnte, als es festzuhalten. Sie hatte das Bedürfnis, diesem Eindruck feste, objektive Gestalt zu verleihen. (…) Die Wehklage wurde in Kunst, in Können, in Aulosspiel, in Musik verwandelt.” Pindar unterschied zwischen dem Leid und dem geistigen Schauen des Leidens. Ersteres, der Affektausdruck selbst sei menschlich, ist Merkmal des Lebens, ist Leben selbst. Das andere aber, das dem Leid durch die Kunst objektive Gestalt verliehen wird, ist göttlich, ist befreiend, ist geistige Tat, so Csampai in Anlehnung an Pindar.
Callas: Apotheose einer Göttin
Copyright Schirmer Mosel Verlag
“Die Götter schweigen. Aber die Engel singen. So sang kein Mensch, kein irdisches Wesen. ES sang durch sie hindurch. ES: die Götter, das Urwissen der Menschheit, die Urkräfte des Universums. Der Ton glühte in ihr wie Lava, rot glühende Lava. Sie öffnete beim Singen kaum den Mund, verwehrte den Blick auf die Glut ihres Herzens“, so hymnisch beginnt der zweite Teil von Attila Csampais Text. Der von ihr gefundene Ton hätte unsere Seelen wie die Sonne unser Augenlicht geblendet und unsere Herzen entzündet, unseren Geist erwärmt. “So tönt die Stimme des Erzengels, der uns das Jüngste Gericht ankündigt, so streng, so übermenschlich. So klingt der hohe, der erhöhte Ton, der das WORT in Schwingungen versetzt, als Worte Gottes erkennbar macht, als Botschaften zwischen Seelen.” In seiner Überhöhung der Callas nimmt Attila Csampai aber auch Rache an ihren Kritikern, die einer singenden Frau nicht das zugestehen wollten, was sie dem gesamten weiblichen Geschlecht insgesamt Jahrhunderte oder Jahrtausende abgesprochen hatten, nämlich nicht nur “die Fähigkeit zu selbständigem Denken und Handeln, sondern auch zu tieferem Empfinden“. Attila Csampais Text über die Callas wird auch zu einer Anklageschrift gegen die Männerwelt der Fünfziger Jahre, die Klüngelei, die Männerbünde, die Altherren-Clubs. Tröstend erklärt er auch die Sinnhaftigkeit der Publikation eines Bildbandes zu Maria Callas zu dem er ja sein Vorwort schreibt. “Für die, die sie nie leibhaftig erleben durften sind die Bilder der einzig greifbare Beleg, dass ein Körper dieses alles entgrenzende Genie überhaupt fassen, beherbergen konnte, ohne zu zerbersten.” Im dritten Teil seines Textes, “Metamorphosen” übertitelt, beschreibt Attila Csampai ihre Performances in den wichtigsten Opern: Lady Macbeth, Lucia die Lammermoor, Leonara in Il Trovatore, Norma. Es gäbe noch viel mehr, noch viel mehr über die Callas zu sagen, allein, es sprengte den Platz und so wird der Raum für die Fotos eröffnet: “Ich glaubte immer, dass sie unsterblich sei, und sie ist es.” (Tito Gobbi)
Foto by David Seymour; 1993 Magnum/Focus courtesy Schirmer-Mosel
Für Interessierte empfohlen seien außerdem die Dokumentationen von ARTHAUS “Maria Callas. La Divina. A Portrait” (Tony Palmer), Callas assoluta (Philippe Kohly) sowie “The eternal Callas” (EMI Classics) oder der Spielfilm von Pier Paolo Pasolini mit der Callas in der Titelrolle “Medea” (ebenfalls ARTHAUS). Studioaufnahmen der “Göttlichen” sind bei EMI Classics erschienen: “The Complete Studio Recording 1949-1969” (70 CDs) oder auch “Maria Callas. 25 Complete Operas” und “Maria Callas. Glanzjahre einer Diva.” , beide by Membran Music Ltd.