Umlaufbahnen

Umlaufbahnen. Orbital. Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2024 und Hawthornden Prize for Literature 2024, nominiert für den Orwell Prize for Political Fiction 2024 sowie den Ursula K. Le Guin Prize 2024: Orbital von Samantha Harvey, ihr fünftes Werk.

Weltraumdrifter lassen grüßen

In 90 Minuten umkreisen die sechs Astronauten aus Orbital den Planeten, sechzehnmal in 24 Stunden. Dass einem dabei alles andere plötzlich nebensächlich erscheint ist nur eine von vielen Reaktionen des menschlichen Gemüts auf die unvorstellbare Tatsache im Weltraum zu sein, dem absoluten Nichts, und auf seinen Heimatplaneten zu blicken. Die subtile Macht ihres Raumschiffs mach sie alle gleich: Anton, das Herz des Raumschiffs, Pietro, der Verstand, Roman, der Kapitän, die Hände, Shaun, die Seele, Chie, das Bewusstsein und Nell, der Atem. Sie kommen alle aus anderen Nationen, Astronauten und Kosmonauten, wie man sie in Russland nennt, wohl weil diese gleich weiter hinaus wollten, in den /Kosmos/, als bloß zu den Sternen, /ad astra/. Sie atmen alle dieselbe recyclierte Luft, trinken Wasser aus ihrem wiederaufbereiteten Urin und schlafen in derselben Fledrmausmäßigen Position. Eine Art kommunistische herrscht zwischen den sechs Raumfahrern, deren Mission es ist, einen Taifun zu erforschen, um bessere Prognosen für die betroffenen Erdbewohner:innen treffen zu können. Um das Leben anderer retten zu können, opfern sie ihr eigenes. Denn das Raumfahren fordert seinen Tribut. Nicht nur was die Unannehmlichkeiten der Schwerelosigkeit betrifft, sondern auch die Spätfolgen. Ein Gemälde von Diego Velázquez, Las Meninas (1656) ist die Steilvorlage dieses außergewöhnlichen Romans, der mehr einer Meditation gleichkommt als einer bloßen Erzählung. Die Erleuchtung, welche Perspektive der Maler bei seinem Gemälde einnahm, erscheint dem Leser dann wie ein Glockenläuten.

Gedanken im Angesicht des Planeten

Was passiert, wenn man seine Heimat nur aus weiter Ferne durch ein kleines Fenster sieht? Wie verändern sich Denken und Fühlen?
sind nur zwei Fragen, die die Autorin in diesem lesenswerten Roman aufwirft und auf Möglichkeiten der Beantwortung prüft. “Sugoi”, das japanische Wort für die Interjektion “Wow” ist nur ein Ausdruck den man in vorliegendem aufrüttelnden Roman lernt und spürt, denn die Beschreibungen der Erdumrundungen sind in einer äußerst beeindruckenden Sprache formuliert und ringen einem schon während des Lesens Bewunderung ab. Sie erzählt von Sergei Krikaljew, dem sowjetischen Kosmonauten, der aufgrund der politischen Umwälzungen in seinem Heimatland sechs Monate länger als geplant auf der Mir verbringen musste. Aber auch Michael Collins, der die beiden Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin vor dem blauen Planeten fotografierte und als einziger Abkömmling der Menschheit nicht auf dem Foto war. Eine Spekulation, die Diskussionen auslöste, was das wohl für ihn bedeutete. Aber bei all dem, darf man nie den Preis vergessen, den die Menschheit für diese Momente des Ruhms zahlt, schreibt Harvey und wir alle wissen, was das bedeutet. Die Antriebsrakete ihres Raumschiffs benötigt allein beim Start so viel Benzin wie Millionen Autos. “Wir denken wir wären der Wind, aber wir sind nur die Blätter”, schreibt sie. Die Such nach der Last Frontier ist es, was die Raumfahrt antreibt, das Territorium vergrößern, der Weltraum die letzte Wildnis, die uns noch bleibt, das Revier markieren.

Samantha Harvey
Umlaufbahnen. Roman
(Originaltitel: Orbital)
Aus dem Englischen von Julia Wolf
2024, 1. Auflage, Hardcover im Schutzumschlag, 224 Seiten, 11,8 x 19,5 cm
ISBN : 978-3-423-28423-3
dtv
EUR 22,00 [DE] – EUR 22,70 [AT]

 


Genre: Roman
Illustrated by dtv, dtv München

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert