The Fire Next Time

The Fire Next Time. Zunächst erschien dieses Buch als Collector’s Edition im Großformat – jetzt, zum 100. Geburtstag Baldwins – in dieser handlichen Jubiläums-ausgabe. Einerseits zu Ehren Baldwins, andererseits auch zu Ehren des Fotografen Steve Schapiro, der leider 2022 verstarb. Ein Klassiker neu aufgelegt, denn der Text James Baldwins (1924–1987) veränderte damals bei Erscheinen (1963) tatsächlich die Welt.

Weggefährte Martin Luther Kings und Malcolm Xs

Engagierter Text und engagierte Fotografie zum Thema Rassismus in den USA. Leider ein Thema das nichts an Aktualität einbüßt, wie die Auseinandersetzungen um Black Lives Matter immer wieder zeigen. Denn eigentlich sollte der zum Namen einer Bewegung gewordene Slogan längst allen klar sein. Schließlich wurde im vorvorigen Jahrhundert, dem 19., ein Bürgerkrieg im Namen der Sklavenbefreiung geführt. Aber auch 100 Jahre später, im 20., als Baldwin seinen Text verfasste, hieß es immer noch: “No Dogs, No Blacks Served.” Baldwin war ein Weggenosse Martin Luther Kings und Malcolm Xs, aber vielleicht weniger eines Elijah Muhammad. Denn trotz der Verehrung des NOI-Anführers (Nation of Islam) Elijah ließ sich Baldwin nicht vor seinen Karren spannen, wie er schonend und mit großer Sorgfalt im Text auch erklärt. Als Baldwin beim “Ehrenwerten Elijah Muhammad” zu Hause in Chicago einer Einladung nachkommt, bietet sich ihm die Option, den Black Muslims beizutreten. Aber eher noch würde er den Black Panthers die Stange halten, so Baldwin. “Ich musste an meinen Vater und mich denken, wie wir hätten sein können, wenn wir Freunde gewesen wären”, schreibt Baldwin gelassen und verzichtet nicht darauf, sich in einer Limousine Elijahs in die weiße Nachbarschaft eines weißen Freundes, des “Devils” und Feindes also, chauffieren zu lassen: “Genau genommen war ich mit einigen weißen Teufeln am anderen Ende der Stadt auf einen Drink verabredet.”

“Na, Kleiner, zu wem gehörst du denn?”

Mit süffisantem Humor konnte er so den Annäherungsversuchen der NOI auf friedlichem Wege entgehen und ausweichen. Der “Son of a Preacher Man” hatte stets eine feine Klinge geführt und viel Gespür und Humor gezeigt. Trotz alledem muss man sagen. Denn als er beschreibt, dass ausgerechnet eine Pastorin ihn mit demselben Spruch zu kapern versuchte, wie es normal Zuhälter, Ganoven oder Prostituierte machten, wird dem jungen James klar, dass er zu niemandem gehören will, außer zu sich selbst. “Na, Kleiner, zu wem gehörst du denn?”, waren genau die Worte, die auch die Pastorin wählte und so geriet er ausgerechnet in “die Fänge der Kirche”. Dabei war sein Stiefvater David schon bei dem Verein. Als “Son of a Preacher Man” konnte er seinen Vater ausbremsen und auch ihm entkommen. Vorläufig. Für Baldwin war die Schriftstellerei ein Ausweg aus Armut und Rassismus. Für Steve Schapiro spielte die Fotografie vielleicht eine ähnliche Rolle.

Erstklassiger Essay und 1A Fotografie

Über 100 Fotografien von Steve Schapiro, der mit Baldwin für die Zeitschrift Life durch die Südstaaten der USA reiste, zeigt die vorliegende Publikation des TASCHEN Verlages. Schapiros Fotos zeigen die führenden Köpfe der Bürgerrechtsbewegung – darunter Martin Luther King Jr., Rosa Parks, Fred Shuttlesworth und Jerome Smith sowie zentrale Ereignisse wie den Marsch auf Washington und den Selma-Marsch. Ein Erlebnisbericht Schapiros, eine Einleitung des legendären Bürgerrechtlers und US-Kongressabgeordneten John Lewis, Bildunterschriften von Marcia Davis von der Washington Post und einen Essay von Gloria Baldwin Karefa-Smart, die mit ihrem Bruder James in Sierra Leone lebte, als er mit dem Verfassen dieses Textes begann, sind zusätzliche Aufmunterungen zu einem Jahrhunderttext, den jeder einmal gelesen haben sollte.

Die spitze Feder eines Ausgegrenzten

“Nach der Flut das Feuer” ist eigentlich ein Bibelzitat, spielt aber auf die verheerenden Folgen des Rassismus und die weiße Polizeigewalt in den USA an. “Sie hatten die Richter, die Geschworenen, die Gewehre, das Gesetz – mit einem Wort, die Macht.” Als Schwarzer in Amerika lerne man schon vom ersten Augenblick an in dem man das Licht der Welt erblicke, “sich selbst zu verachten”. Bestechend an diesem Text sind aber nicht nur Baldwins pointierte Ausdrucksweise und sein Humor, sondern auch sein Wissen, dass er als Geste der Versöhnung nutzt: “Vielleicht liegt die Wurzel unserer Misere, der menschlichen Misere darin, dass wir die ganze Schönheit unseres Lebens opfern, uns von Totems, Tabus, Kreuzen, Blutopfern, Kirchtürmen, Moscheen, Rassen, Armeen, Flaggen und Nationen einsperren lassen, um die Tatsache des Todes zu leugnen, die einzige Tatsache, die wir haben. Mir scheint, wir sollten uns an der Tatsache des Todes erfreuen – ja, sollten beschließen, unseren Tod zu verdienen, indem wir uns mit Leidenschaft dem Rätsel des Lebens stellen. Wir tragen Verantwortung für das Leben: Es ist das kleine Signalfeuer in der beängstigenden Dunkelheit aus der wir kommen und in die wir zurückkehren werden.” Der Wiederentdeckung James Baldwins zu seinem 100. Geburtstag steht nichts mehr im Wege: The Fire Next Time…

Der Fotograf
Steve Schapiro war ein angesehener Pressefotograf, dessen Aufnahmen die Titelseiten von Vanity Fair, Time, Sports Illustrated, Life, Look, Paris Match und People zierten und in vielen Museumssammlungen zu finden sind. Er hat seine Werke in mehreren Büchern publiziert, darunter American Edge, Schapiro’s Heroes, The Godfather Family Album, Taxi Driver, Then and Now, Bowie und zuletzt Misericordia. Viele seiner ikonischen Bilder wurden für Plakate und Werbekampagnen von berühmten Hollywood-Filmen wie Asphalt Cowboy (Midnight Cowboy), Taxi Driver, So wie wir waren (The Way We Were) und Der Pate III (The Godfather Part III) verwendet. Er starb 2022.

Der Autor
In seiner Eigenschaft als Romancier, Essayist, Dramatiker, Dichter und Sozialkritiker gilt James Baldwin (1924–1987) als eine der intelligentesten und provokantesten literarischen Größen der Nachkriegszeit. Seine Sachtextsammlungen, allen voran Notes of a Native Son (1955) und Hundert Jahre Freiheit ohne Gleichberechtigung (1963), und seine Romane, darunter Giovannis Zimmer (1956) und Eine andere Welt (1962), setzen sich mit der offensichtlichen, wenn auch unausgesprochenen Komplexität rassischer, geschlechtlicher und sozialer Unterschiede im Amerika der letzten Jahrhundertmitte auseinander. Baldwin stammte aus Harlem (New York), lebte aber hauptsächlich in Südfrankreich.

James Baldwin. Steve Schapiro
The Fire Next Time
2024, Hardcover, 14 x 19.5 cm, 0.42 kg, 192 Seiten
ISBN 978-3-8365-9699-2
Ausgabe: Englisch
TASCHEN Verlag
€ 15


Genre: Essay, Fotograf
Illustrated by Taschen Köln

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