Christoph Adam Carl von Imhof wird 1734 als dritter Sohn des Rittmeisters Christoph Albrecht Carl von Imhof geboren. Seinem großen Namen und der vorbestimmten Militärkarriere wird der Junge nicht gerecht. Als Linkshänder versagt er beim Kampf mit Degen, Säbel und Florett, auch mit Pferden kommt er schlecht zurecht. Dafür zeigt er ein ausgeprägtes Talent im Umgang mit Zeichenstiften, Kreide und Wasserfarben. Bannt er seine sieben Geschwister und die Arbeiter auf dem Gutshof zu Papier, gibt es begeisterten Applaus. Derart inspiriert wird Baron von Imhoff Porträtmaler.
1762 lernt er eine junge Frau mit französischem Namen kennen, die sich besonders von Narzissen angezogen fühlt. Sie begeistert die Geschichte hinter den Blumen: Im alten Griechenland lebte der schöne Narcissus, den man auch Narziss rief. Dieser Jüngling hatte sein Gesicht im Wasser eines Teiches gesehen und sich sofort in sein Spiegelbild verliebt. Er glaubte, es sei eine hohe Erscheinung und die sei wunderschön. Narcissus schmachtete so sehr in Sehnsucht nach dem schönen Jüngling, den er im Wasser sah, dass er die Nymphe Echo missachtete, die ihn heiß und innig liebte. Da Narziss stets nur sein eigenes Spiegelbild verzückt betrachtete und die verliebte Nymphe ignorierte, bestrafte sie ihn damit, dass sie ihn in eine schöne Blume verwandelte, der sie den Namen Narzisse gab. Von diesem Namen des jungen Mannes abgeleitet steht der Begriff Narzisst für einen, der sich selbst liebt.
Christophs Geliebte heißt Anna Maria (Marian) Apollonia Chapuset. Mit ihr verkehrt er erfolgreich, obwohl sie kaum 16 Jahre alt ist. Aufgrund einer Schwangerschaft will er sie ehelichen. Doch ihre Mutter lehnt eine Eheschließung ab. Als der Sechsjährige Krieg endet und auf Schloss Hubertusburg in Sachsen Friede geschlossen wird, stimmt die Frau Mama endlich zu. Gemach! Der Gardehauptmann des Herzogs hat es plötzlich nicht mehr so eilig, zumal auch keine Mitgift zu erwarten ist, die sein Leben aufwerten würde. Zu einer Heirat kommt es auch in den nächsten Jahrzehnten nicht.
Da bittet ihn ein Kamerad, ihn zu malen. Er will etwas Bleibendes schaffen, das die Familie oder die Angetraute ständig erinnert. Natürlich kann es kein Bild sein, dass über dem Kamin prangt. Es soll eine fingernagelgroße Miniatur sein, die sich in Halsketten, Medaillons, oder für die Brieftasche verwenden lassen. Das Miniaturporträt wird geboren.
Porträt für die Ewigkeit
Ein Porträt verewigt, und der Porträtist sei der geborene Verteidiger des Lebens gegen den Tod, schreibt von Imhoffs Biograf Walter Laufenberg. Zumal sei der in einem Bild Festgehaltene weniger gestorben als in jedem weiteren Augenblick seines Lebens, das doch nur ein allmähliches Absterben sei.
Neue Portraits gehen Christoph leicht von der Hand, als eigentliche Kunst empfindet er, ein lebensgroß skizziertes Bild, das alle Einzelheiten festhält, anschließend so zu verkleinern, dass alle Einzelheiten noch im richtigen Verhältnis zueinanderstehen. Und als ihm das gelingt, tritt er sichtbar als Künstler in Erscheinung und führt bald ein entsprechendes gesellschaftlch aktives Leben.
Das Geschäft floriert, Interessenten stehen Schlange, um sich ein winziges Bild mit ihrem Konterfei fertigen zu lassen. Gegen Aufpreis wird die Rückseite des Bildchens mit dem Namen des oder der Abgebildeten versehen. Bald will jeder, der auf sich hält, ein solches Bild von sich haben, es entsteht eine modische Welle, die Walter Laufenberg, der Autor des Imhoffschen Romanbiografie, als frühen Vorläufer des erst 250 Jahre später ausbrechenden Selfie-Fiebers ausmacht.
Von Imhoff malt auf Elfenbeinplättchen, Pergament oder Papier so klein, dass die Bildnisse in ein Amulett passen oder auf eine Schnupftabakdose, auf ein Armband oder in einen Bilderrahmen, der auf dem Sekretär steht. Seine eigene Bedeutung hebt das »Naturtalent« gerne hervor, indem er die Miniatur als die eigentliche Leistung eines wirklichen Malers bezeichnet. Den von adliger Hand gemalten Bildchen verleiht er neben dieser kunstwissenschaftlich gewagten These ein wenig Glanz der upper class. Mit seinen Porträts will Baron Imhoff dem Tod ein Schnippchen schlagen, er stiehlt ihm nicht die Seelen, sondern die Gesichter, in dem er sie unsterblich macht.
Der Traum vom großen Geld
Als ihm sein Landesherr, der Herzog Karl Eugen, am 28. Dezember 1766 die Abschiedsurkunde der Armee überreichen lässt, wechselt der 32jährige endgültig die Rolle und wird zum hauptberuflichen Künstler.
Durch Kontakt zu einem Engländer, der sein Geschäft mit Mausoleen macht, kommt er auf die Idee, nach London zu ziehen. Seine Lebensabschnittsgefährtin Marian träumt von einem großartigen Leben an der Seite eines gefeierten und reichen Künstlers am englischen Königshof. Doch die Wirklichkeit ist hart, und bringt ihn auf das Niveau eines fast verarmten Künstlers. Über eine Kammerfrau gelingt es ihm, einen Auftrag von der Königin zu bekommen. Von da an geht es bergauf, zumal auch die Honorare explodieren.
Doch das Geld reicht vorne und hinten nicht, und die Königin vergisst, ihn zu entlohnen. Immer deutlicher tritt in seiner Beziehung die soziale Einengung Marians zu Tage. Sie drängt ihn, nicht vorhandenes Geld im Glücksspiel und Lotterien zu investieren. Er träumt davon, im kolonialen Indien, das goldene Berge verspricht, seine Schulden abschütteln und goldene Berge verdienen zu können. Immerhin verschafft ihm die Königin weitere Aufträge, und er wird sogar als britischer Künstler anerkannt.
Der abgehalfterte Gardeoffizier hört derweil von Leuten, die sich der Ost-Indien-Kompanie verpflichtet hatten, dort drüben schnell aufstiegen und nach wenigen Jahren märchenhaft reich heimkehrten. Jeder bestätigt, es sei eine Kleinigkeit, die Menschen in Indien in jeder Weise auszunehmen. Dank seiner guten Beziehungen schnorrt Baron Imhoff Geld zusammen. Erfreut schreibt er dem Bruder, die Königsfamilie würde die horrenden Fahrtkosten von insgesamt einhundert englischen Pfund für ihn, Marian und das Söhnchen Christoph August übernehmen.
Reichtümer aus den Kolonien
Am 18. Januar 1769 besteigt das unverheiratete Paar die Fregatte »Duke of Grafton«, die nach Indien in See sticht. Der nagelneue stolze Dreimaster mit prächtigen Holzschnitzereien und Butzenscheiben soll für die nächsten Monate ihr Domizil sein. Die inzwischen vierköpfige Familie mit einem indischen Kindermädchen und Marians Schoßhündchen zieht in eine klitzekleine Kabine ein. An Bord lernen Sie mit Mister Warren Hastings ein Mitglied der britischen Regierung in Madras kennen. Während Christoph sich auch an Bord bemüht, seine künstlerischen Fähigkeiten zu vervollkommen, entspannt sich ein Techtelmechtel zwischen Marian und ihrem neuen Bekannten.
Nach fünf Monaten ist die Seefahrt nach Indien überstanden, das Paar wird von Herrn Hastings in seine Villa aufgenommen und kann dort kostenfrei leben und longieren. Christoph reibt sich innerlich die Hände und erwartet nun, den großen Reibach aller Indienreisenden machen zu können. Er beginnt, Tagebuch zu schreiben und alles schriftlich festzuhalten, was er auf der Reise und in dem für ihn ungewohnten Lande erlebt. Dabei verwendet er das Stilmittel eines an seinen Bruder gerichteten Briefes. Der Neuankömmling Imhoff zeigt sich offen für alles, was ihm fremd und neu ist und hält es als zuverlässiger Chronist auf dem Papier fest.
Am 1. Oktober 1770 zieht er gemeinsam mit seinem Gönner Hastings nach Kalkutta um. Inzwischen ist Baron von Imhoff ein geschäftstüchtiger Künstler geworden, der teilweise zu Fantasiepreisen seine Miniaturen produziert. Bengalen, so lauten seine Informationen, sei ein Land von noch unermesslicherem Reichtum als er es bereits in Madras kennen lernte. Auf der Reise lernt Christoph von Imhof einen britischen Arzt kennen, der in Kalkutta ein großes Haus besitzt und sich sofort bereit erklärt, den Deutschen aufzunehmen. Bald findet der Maler ein repräsentatives Haus und ist bald umgeben von mehr als 15 Bediensteten, mit denen er ohne Sprachkenntnisse kein Wort wechseln kann. Nun befehligt er einen Kammerdiener, einen Koch plus Unterkoch, einen Butler, einen Marktgängerin, acht Sänftenträger und Leute, die mit Säbeln in der Hand vor der Sänfte herlaufen und oder eine besonders prächtige Wasserpfeife am Ende der Prozession tragen.
Opfer eines Erfüllungszwangs
Der auch durch die Online-Zeitschrift NETzine bekannte Autor Walter Laufenberg modelliert in seinem 345 Seiten starken Werk das Portrait einer Persönlichkeit, die in der Kindheit und Jugend den Ansprüchen des Vaters keineswegs genügte, und lebenslang versucht, der Familie zu beweisen, was er für ein toller und erfolgreicher Künstler sei. Dabei spielt Geld die Hauptrolle. Diese nahezu krankhafte Konzentration auf die Erfüllung des angeblichen Vermächtnisses seines Herrn Papa beflügelt seinen Narzissmus. Hier liegt Laufenbergs Ansatz für den Buchtitel: Die romanhafte Interpretation einer Künstlerpersönlichkeit, die ihr höchstes Glück darin findet, andere in ihrem eigenen Narzissmus zu bestärken, indem er sie porträtiert. In seinem Tagebuch notiert Carl von Imhoff, er wolle probieren, rechtschaffen reich zu werden, »damit ich nach meinem Tod nicht bald vergessen werde«.
Dafür vergisst er seine langjährige Lebensgefährtin Marian, die sich mit Hastings tummelt. Allein reist er zurück nach London und von dort ins Vaterhaus, den Gutshof Mörlach. Aus dem Gebäude soll eine prächtige Schlossanlage mit einem weitläufigen Park entstehen, ein weithin sichtbarer Beweis für seinen Erfolg. Er hat vielen Menschen mit einem Miniaturporträt zur Unsterblichkeit verholfen, nun will er selbst unsterblich werden. Der neue Hausherr wirkt wie ein Besucher von einem anderen Stern, der über unermesslichen Reichtum verfügt. Er befehligt eine große Schar von Bauarbeitern, hält sich acht Kutschpferde, einen Kutscher, einen Vorreiter sowie einen Jäger, eine Köchin und zwei Hausmägde. Dazu kommen drei aus Indien mitgebrachte »Mohren«
Es kommt wie es kommen muss. Bald geht ihm das Geld aus und Marian läßt ihm auf seine Bettelbriefe mitteilen, dass sie nicht beabsichtige, Kalkutta zu verlassen und ihm sein Vermögen auszuhändigen. Damit ist das große Geld verloren: Christoph angehäuftes Vermögen, dass Marian aus Indien mitbringen sollte. Er setzt alles auf eine Karte und lädt zu einer großen Neujahrsfeier. Beim zeremoniellen Pas de deux blickt in die dunklen Augen einer jungen Frau und verliebt sich. Die junge Tanzpartnerin hieß Luise Franziska Sophie von Schardt. Er betrachtet sie mit ihren zwanzig Jahren als Jungbrunnen. Bereits einen Monat später feiern sie Hochzeit.
Als sie bemerkt, dass ihr frisch Angetrauter bereits ihre gesamte Mitgift ausgegeben hat für sein Schulden und Pläne, verlässt sie ihn. Nun rettet ihn auch ein Kontakt zu Geheimrat von Goethe nicht vor dem Untergang.
»Narziss und das Glück im Bild« von Walter Laufenberg ist eine packende Romanbiografie, wie man sie leider selten findet. Der Autor brilliert durch feinsinne Einsicht in die agierenden Charaktere, durch ausführliche Recherche, sprachlichen Reichtum sowie eine philosophische Tiefe, die nur ein langes und erfülltes Leben mit sich bringen kann. Laufenberg schildert das Leben des Porträtmalers Carl von Imhoff als fesselnden Roman, von dem man sich durch das selbstgebastelt wirkende Cover keinesfalls abschrecken lassen darf.
Walter Laufenberg: Narziss und das Glück im Bild • Romanbiografie des Porträtmalers Christoph Adam Carl von Imhoff
SALONLiteraturVERLAG 2023