Irma Ondra ist ein „dienstbarer Geist“, wie es in vergangenen Jahrhunderten hieß, eine Haushälterin, die überall positiv wirkt, sich ständig zurücknimmt, die Klappe hält, nie über ihre Auftraggeber redet und möglichst wenig kostet. Weiterlesen
Archiv
Die Launen der Reichen
Agnes
Luxus-Eisenbahnwagen sind auf Dauer nicht das ergiebigste Thema, dem man sich widmen kann. Ein Schweizer Autor, der sich mit Sachbüchern über abseitige Themen einen Namen gemacht hat, recherchiert über eben diese und ist dabei dankbar für jede Ablenkung. Zu Studienzwecken hält er sich in den USA auf und lernt im Lesesaal der Public Library Chicago die junge Agnes kennen. Agnes, eine Physikerin, fasziniert ihn durch ihre Rätselhaftigkeit und ihr elfenhaftes Wesen gleichermaßen. Zu seinem Erstaunen geht Agnes schnell auf sein Werben ein und die beiden werden ein Paar. Agnes zieht zu ihm, doch sie kommen sich nicht wirklich näher. Nicht so nahe, nicht so verschmelzend, wie der Sachbuchautor, dessen Name der Leser nie erfährt, es gerne hätte. Er versucht zu ergründen, was außer Agnes morbider, fast zwanghafter Beschäftigung mit dem Tod noch zwischen ihnen steht. Agnes Profession als Physikerin scheint nicht zufällig. Obsessiv will sie alles über das Leben und seine Begrenzungen wissen. Ihre Grundlagenforschung über atomare Kristallgitter wird ebenso von einem unerbittlichem Entschlüsselungswunsch getrieben, wie ihr Wunsch, ihre eigene Geschichte am besten schon vorab zu überblicken.
Die Liebe ist ihr unheimlich, sie ist ihr nicht begrifflich genug. Auch der Erzähler kann ihre Zweifel nicht zerstreuen, zumal er sich im Laufe der Erzählung auch immer wieder der burschikoseren Louise, dem exakten Gegenpart von Agnes, zuwendet. Agnes wird schwanger und verliert das Kind. Diese Tragödie bringt sie vollends um ihr subtiles Gleichgewicht. Sie drängt ihren Geliebten, ein mehr aus Spaß begonnenes Beziehungstagebuch wieder aufzunehmen und die Geschichte/ihre Geschichte fortzuschreiben. Sie wünscht sich von ihm, dass er ihr ein Leben aus Punkten male, wie die Bilder impressionistischer Künstler. “Glück malt man mit Punkten, Unglück mit Strichen.” Durch das Schreiben soll er es schaffen, “das Kind für sie zu machen”. Sie habe es ja nicht geschafft. Die Geschichte als Ersatz für das Leben, das ihr abhanden kam. So wird der Ich-Erzähler zum Erfinder, der Report zum Roman: “Jetzt war Agnes mein Geschöpf” – damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Halbherzig wehrt er sich zunächst, doch bald schon erliegt er dem Reiz, nicht nur eine Geschichte, sondern auch Agnes nach seinem Willen und Wunsch zu formen. Was nicht gelebt werden kann, soll wenigstens geschrieben werden. Artig bemüht er sich um eine Wendung hin zu einem Happy End. In der Geschichte darf das Kind leben, sie werden eine glückliche Familie.
Doch diese Geschichte ist nicht authentisch, das spürt der Erzähler, das spürt auch Agnes. Er schreibt heimlich den Schluß 2. Agnes, von einer manischen Suche getrieben, findet diesen schließlich auf der Festplatte: den folgerichtigen, wahrhaften Schluss der Geschichte und es ist an ihr, ob dieser Schluss wirklich der Schluss ihrer/dieser Geschichte werden wird. “Agnes ist tot, eine Geschichte hat sie getötet”. So beginnt der Roman. Ist sie tot, ist sie nur innerlich tot, ist sie für den Erzähler tot, ist der Erzähler für sie tot? Im Buch wird es nicht entschieden, diese Entscheidung wird jedem Leser neu überlassen.
Das vorherrschende Thema des Romans ist Identität. Peter Stamms Roman zieht den Leser trotz seiner gleichwohl distanzierten und unterkühlten Sprache in einen Sog unerbittlicher Trauer. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zerfließen, bis einer der beiden Protagonisten daran zerbricht. Es sind zwei im Grunde gleiche Fragen, die zu unterschiedlichen Motiven werden: Agnes, die wissen will, was von ihr bleibt und der Ich-Erzähler, der der Verlockung, sich des Anderen zu bemächtigen, nicht widerstehen kann. Im Spiel der Charaktere läuft alles auf die Frage hinaus: Können wir ohne ein selbst gefertigtes Bild des Anderen auskommen?
Es geht aber nicht nur um die Identität einzelner Personen, elegant beleuchtet Peter Stamm auch die Frage nach der Identität eines Buches. Wie viel Erfahrung, wie viel Wahrheit muss einem Roman zugrunde liegen? Kann ein Roman ein Ersatz sein für ein nicht gelebtes oder ein nicht mehr lebbares Leben? Das Reale verwandelt sich ins Mediale, der Roman wird zum Sammelbecken. Es ist dies ein immer wiederkehrendes Dilemma in der Literatur, welches Stamm hier begreifbar vermittelt.
Meine Preise
Wer Thomas Bernhard von seiner witzigen Seite kennenlernen möchte, der ist mit dieser Persiflage auf Verleihungen diverser Literaturpreise an den schreibenden Genius aus Gmunden bestens bedient.
25 Jahre seines Lebens stiefelte Bernhard in denselben Klamotten durch die Gegend. Er trug sie daheim, unterwegs und auch bei gesellschaftlichen Ereignissen: Dies waren ein knallroter Schafswollpullover, den ihm ein gut gelaunter Amerikaner nach dem Krieg geschenkt und der schon fast alle Städte der Welt gesehen hatte sowie eine graue Hose aus Wolle. Doch am Tag, an dem ihm in der Akademie der Wissenschaften der Grillparzer-Preis verliehen werden soll, entschließt sich der Meister wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung, seine Lieblingsboutique „Sir Anthony“ aufzusuchen und einen Reinwollanzug in anthrazit anzuschaffen. Er wählt dazu passende Socken, ein graublau gestreiftes Hemd und eine Krawatte und behält die Neuerwerbungen gleich an. Die dienstbaren Geister der Kleiderstube packen seine alten Klamotten in eine Tüte mit Werbeaufdruck und Bernhard zieht fein ausgestattet von dannen.
Im Foyer der Akademie, in der ihm der Preis verliehen werden soll, hält er Ausschau nach einer Persönlichkeit, die ihn begrüßt – doch niemand beachtet ihn. Er geht in Begleitung seiner Tante in den Festsaal, in dem die Musiker bereits ihre Instrumente stimmen. Niemand kommt, ihn in Empfang zu nehmen und zu seinem Platz zu begleiten. Schließlich quetscht er sich in eine hintere Sitzreihe und beobachtet amüsiert die wachsende Unruhe, die Festkomitee und Veranstalter befallen. Alle scheinen jemand zu suchen. Bernhard weiß auch, wer das ist.
Endlich wird man auf ihn aufmerksam, stürzt herbei und bittet ihn in die erste Reihe. Bernhard besteht nun darauf, vom Festpräsidenten persönlich gebeten zu werden. Der platziert ihn neben die Kultusministerin, die ob der folgenden Elogen auf Grillparzer bald einschläft und „das bekannte Ministerschnarchen“ anstimmt. Bernhard nimmt die Auszeichnung entgegen, sagt aber einfach nur „Danke“ statt große Reden zu schwingen und verlässt die Veranstaltung, ohne dass es jemand bemerkt. Selbstbewusst geht der frisch gekürte Preisträger zu „Sir Anthony“ zurück und gibt den Anzug, der ihm plötzlich viel zu klein zu sein scheint, wieder zurück.
Andere Preisverleihungen an Thomas Bernhard gingen weniger glimpflich ab und motivierten ihn zu Schmähreden über die österreichische Ministerialbürokratie, unfähige Kulturbeamte und großkopferte Literaturfunktionäre. Er schaffte es mit seiner unvergleichlich trockenen Art, Preise und Auszeichnungen abzuräumen und gleichzeitig mit seinen Reden die offiziellen Gäste zum fluchtartigen Verlassen der Feststätten zu bewegen. In seiner Prosa liest sich das alles wie eine große Posse, wie Realsatire, die einem phantasiebegabten Hirn entspringt. Doch weit gefehlt: Bernhard erzählt nur unbekümmert, wie es zu dem ein oder anderen Eklat kam und stellt gerade damit sein unvergleichliches Talent unter Beweis. Spannend ist es schließlich, zu den Prosatexten die zugehörigen Festreden zu lesen, die dem Bändchen beigefügt sind.
Durch ein Jahrhundert geweht
Elf Gedichte hat Elsa Rieger versammelt, die sie zum Familienbuch anordnet. Beginnend anno 1909 mit ihrer Großmutter, einer Gutsverwaltertochter aus dem Lande Rübezahls, ordnet sie anhand von markanten Jahreszahlen lyrische Blitzlichter.
Die Autorin erzählt von der wilden Zwanziger Jahren, in denen ihre Mutter aufwuchs, die dann 1939 dem zweiten Weltkrieg ins Auge blicken musste. Der endete für sie mit dem Einzug der russischen Befreier in Wien und der großen Lüge, auch nur einer habe für den Gröfaz aus Österreich den Arm ausgestreckt.
Zwischen „Heil“ und „Shalom“ erblickte die Autorin 1950 selbst das Licht der Welt, halb jüdisch, halb arisch. Mit 16 sieht sie in Gestalt von Jimi Hendrix die vermeintlich große Freiheit, um dann in den Iden des März 1974 ein Kind des Rock´n´Roll zur Welt zu bringen.
1985 stirbt der Papa – nur seine Brille erinnert noch an ihn. Fünf Jahre später hat sich der gewaltsam geteilte Himmel wieder geschlossen. Berlin tanzt auf den Resten der Mauer, und es beginnt eine vermeintlich bessere Zeit.
1999 zieht die Autorin ein Resümee ihrer Betrachtung von Großmutter, Mutter und Tochter: Drei Frauen haben sich behauptet. Mit einem Lächeln schaut die Dichterin zurück.
Elsa Rieger ist mit ihrem kleinen, nachdenklich stimmenden Gedichtband Großes angegangen. Wo andere Autoren ein dreibändiges Prosawerk schreiben, um Familiengeschichte generationenübergreifend schildern zu können, greift sie auf die gebundene, rhythmische Sprache zurück und belichtet Momentaufnahmen. – Ein interessantes Experiment!
Elisabeth II. Keine Komödie
Die Queen kommt nach Wien. Gegen Mittag wird die britische Königin Elisabeth II. in der Wiener Innenstadt erwartet. Vom Balkon des 87jährigen greisen Großindustriellen Herrenstein möchten sich auf Einladung seines Neffen Victors rund 40 Gäste das Ereignis ansehen.
Rudolph Herrenstein, durch einen Autounfall an den Rollstuhl gefesselt, ist ein Grantler und Menschenfeind. Der Waffenhändler lebt mit seinen Diener Richard und seiner Hausangestellten in einer riesigen Wohnung, in deren Musikzimmer auch ein Bösendorfer steht und ist jedem Besuch abgeneigt. In einer gewaltigen, sich ständig steigernden Schimpfkanonade zieht er über seine Gäste, über Wien, Österreich, Musik, Literatur und Kunst her.
Als endlich die Königin mit Verspätung naht, stürzen die inzwischen 90 Gäste auf den Balkon und winken mit dem Union Jack. Unter ihrer Last kracht der gesamte Balkon drei Stockwerke tief zu Boden und verschwindet in einer Staubwolke. Lediglich der Alte und sein Diener überleben.
Thomas Bernhard hat dieses tragikomische Stück zwei Jahre vor seinem Tod veröffentlicht und seine Aufführung nicht mehr erlebt. Monologartig kotzt die zentrale Figur Herrenstein seinen gesamten Abscheu über Gott und die Welt aus sich heraus. Der Protagonist nimmt unter anderem auch Bezug auf verschiedene Komponisten und erklärt, Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ sei die einzig genießbare Musik, während er bei der Aufführung von Johannes Brahms traditionell die „schwarze Fahne“ hisst. Goethe und Kleist zählen zu den wenigen Literaten, die ihm etwas gelten. Schopenhauer und Nietzsche seien Philosophen, mit denen er „in Urlaub“ fahren könne.
„Elisabeth II.“ ist ein großes Stück Bernhardscher Rhetorik, eine prächtige Suada, welche die Wortgewalt des Gmundener Dichters belegt.
Landschaften einer fernen Mutter
In einem sehr persönlichen Kontext gab mir eine junge deutsche Frau mit Migrationshintergrund die “Landschaften einer fernen Mutter”, einen autobiographischer Text des iranischstämmigen Autors Said.
Darin beschreibt und verarbeitet er die wenige Tage nach seiner Geburt vollzogenen Trennung von seiner Mutter. Die Scheidung der Eltern vollzog sich bereits während der Schwangerschaft und es war beschlossene Sache, dass das Kind ausschließlich bei seinem Vater leben sollte. Ein einziges Mal durfte er als Zwölfjähriger die Mutter sehen.
Jahrzehnte später: Said ist inzwischen 43 Jahre alt und lebt schon seit langem im deutschen Exil. Überraschend erhält er einen Telefonanruf: die Mutter sei auf dem Weg nach Kanada und möchte ihn, Said, treffen. Nach umständlichen Pass- und Visaverhandlungen begegnen sich die beiden Fremden in Toronto in der Wohnung des ebenfalls unbekannten Halbbruders zum ersten Mal. Drei Wochen verbringen sie gemeinsam in einer Wohnung, drei Wochen, um sich zu begrüßen, kennenzulernen und sich wieder voneinander zu verabschieden.
Die Landschaften sind viel mehr als nur eine Erzählung über die allgemeine Erfahrung des Fremdseins. Ausschließlich in Kleinbuchstaben geschrieben fällt der Text den Leser ungedämpft mit all seinem Schmerz und seinen Ressentiments an, der Leser schwankt zwischen Befremden und Betroffenheit. Das zerrissene Verhältnis zur Mutter spiegelt der Autor in der Romankonstruktion wider, sich der Stilmittel des Fragmentarischen, Lückenhaften und eingefügter, scheinbar willkürlich in der Zeit springender Passagen bedienend. Über weite Strecken schafft Said eine beeindruckende Sachlichkeit, eine unterdrückte, beherrschte Traurigkeit, doch spätestens im Epilog zeigt sich seine große Verbitterung über die zweimal verlorene Mutter, die ihn nicht mehr loslässt und auch den Leser noch länger begleitet.
Die “Landschaften einer fernen Mutter” sind ein bis zur Exhibition persönliches Buch, über weite Strecken zwar pragmatisch und aus selbstauferlegter Distanz geschrieben, im Epilog dann so undiplomatisch, so radikal von der Seele geschrieben wie nur möglich. Einmal nennt er Kafka, so dass der Vergleich mit dem “Brief an den Vater” sich geradezu aufdrängt. Der große Unterschied besteht darin, daß Said weiß, daß seine Mutter den Abschiedsbrief nie lesen wird.
Das Buch an sich ist so eigenartig wie die Erfahrung, die es beschreibt. Streckenweise gerät der Leser zwischen die Fronten, fühlt sich fast zum Schöffen ernannt. Aber wünscht Said die Zustimmung seiner Leser oder die Widerrede? Entscheiden will man hier nicht. Befremden und Betroffenheit mischen sich zu einer seltsamen Leseerfahrung.
SAID ist ein im deutschen Exil lebender iranischer Schriftsteller. Er kam 1965 als Student nach München, wo sich seine literarischen Ambitionen schnell mit einem politischen Engagenment und einem Bekenntnis zur Demokratie verbanden, welches eine Rückkehr in den Iran bis heute verhindert. Seit längerem deutscher Staatsbürger schreibt er Lyrik und Prosa in deutscher Sprache mit all ihren Nuancen. Auszeichnungen erhielt er nicht nur für sein literarisches Werk, sondern auch für sein Engagement für politisch Verfolgte, u.a. im “Writers in Prison Committee” .
Ich muss gestehen, dass mir der Schriftsteller bisher unbekannt war. Ich war von dem Buch aber tief berührt, werde sicher noch mehr von ihm lesen und empfehle das auch gerne – schon alleine, weil es sich die intellektuelle, gebildete Schicht der Muslime wünscht.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift
Mit der E-Zigarette zum Nichtraucher
Dank reiner Willenskraft bin ich vor Jahrzehnten vom Rauchen losgekommen und habe mich im Laufe der Jahre zu einem passionierten Nichtraucher entwickelt. Ich freue mich heute, nicht mehr in stinkigen Restaurants sitzen und meine Klamotten nach einem Lokalbesuch von kaltem Rauch befreien zu müssen. Meine Finger sind nicht mehr gelb, meine Kondition hat sich wesentlich verbessert, das Rasseln in den Atemwegen ist verschwunden. Dennoch gestehe ich, das Thema E-Zigarette anziehend zu finden!
Die E-Zigarette ist ja eigentlich keine Zigarette im klassischen Sinne. Sie ist ein Lifestyle-Spielzeug und wird mittlerweile auf jeder besseren Party vorgeführt. Deshalb war ich neugierig auf das Buch von Boris Maggioni zum Thema und habe es in einem Schluck »verdampft«.
Der Autor versteht es auf unterhaltsame Art, seinem Leser das Thema näher zu bringen. Gleich zu Beginn seines Sachbuches weist er auf die eigentlichen Gefahren der neumodischen Dampfmaschine hin: Das sind die kleinen Fläschchen mit der konzentrierten Flüssigkeit, mit denen die Geräte befüllt werden. Das Zeug ist, wird es pur genossen, aufgrund der extrem hohen Nikotinkonzentration absolut tödlich, und ich sehe schon die Kriminalliteraten der nahen Zukunft, die Morde durch »Liquids« (so der Fachbegriff) ausführen lassen.
Boris beschreibt ausgehend von der Warnung vor dem puren Genuss dieser Tinktur sehr genau alles, was man beim Umstieg in das E-Rauchen beachten muss: die unterschiedlichen Gerätschaften von der Einwegzigarette bis zum komplizierten Verbrennungskolben mit Ansaugautomatik und Bedienknöpfchen. Er listet ausführlich Vorteile, Nachteile und Risiken der verschiedenen Techniken auf und kommt dann wieder zum eigentlichen Problem der E-Zigarette. Das sind die Tinkturen, von denen keiner genau weiß, auf welchen chinesischen Giftmülldeponien sie von geldgierigen Pfuschern zusammen gepantscht werden.
Insofern ist dieses Buch eine sachlich-kritische Einführung in das Thema. Es sollte von jedem gelesen werden, der sich vom Raucher zum »Dampfmann« umschulen will.
Fische füttern
“Ist das Leben ein Strom von Dingen, die an uns vorbeiziehen? Sind wir mitten in diesem Fluss, kommen die Dinge, ziehen sie vorbei und verschwinden?” Oder “ist das Leben vielleicht gar kein Fluss, sondern ein Kanal? Dann sieht die Sache schon anders aus. Ein Kanal führt nirgendwohin, er bliebt schnurgerade, ohne ein Ziel, und kann höchstens hoffen, andere Kanäle zu schneiden und sich ein Zeit lang mit ihnen zu vermischen.”
Man weiß es nicht. Auch Fiorenzo weiß es nicht. Fiorenzo steht kurz vor dem Abitur, schwänzt aber vielleicht ein bißchen zu oft die Schule, um wirklich viel zu wissen.Seine rechte Hand hat er bei einem sinnfreien Experiment mit Feuerwerksböllern verloren und ist auch ansonsten “ein noch größerer Dummkopf als Galileo Galilei.”
Fiorenzo lebt im kleinem toskanischen Muglione, einem trostlosen Kaff, gelegen
an einem stinkenden Kanal, fernab jeder Postkarten-Idylle. Seine Mutter ist gestorben, sein Vater besessen davon, Mirko aus dem Nachbardorf zum kommenden Radrenn-Champion zu formen,nachdem der einhändige Sohn des Vaters Traum nicht mehr erfüllen kann. Fiorenzo musste sein Zimmer dem ungeliebten kleinen Champion überlassen und nächtigt nun im väterlichen Geschäft, einem Kramladen für Anglerbedarf, zwischen all den Würmern und Maden, die nur darauf warten, an die Killerkarpfen im stinkenden Kanal verfüttert zu werden. Einziger Lichtblick sind seine selbst im Land des schmalzigen Italo-Pop bemerkenwert erfolglose Heavy Metal Band und die schöne Tiziana. Tiziana, die nach dem Studium auf ihrem so verheißungsvoll vorgezeichnetem Lebensweg falsch abgebogen ist und sich ebenfalls im trostlosen Muglione wiederfindet. Sie vertreibt sich die Zeit mit einem Blog ohne Leser und ansonsten in ihrem mit viel gutem Willen und keinem Geld eröffnetem Jugendzentrum damit, eine selbsternannte Wächter-Gang, bestehend aus gelangweilten Späthippie- Rentnern in Schach zu halten.
Ein sehr eigenwilliges Panoptikum skurriler Figuren hat der italienische Autor Fabio Genovesi da aus der trüben Pampa der Toskana gefischt und lässt diese einen Sommer lang in einer Geschichte ohne wirkliche Handlung in einer erstickenden provinziellen Welt mit Sehnsüchten und unerfüllbaren Träumen kollidieren. Keiner bleibt in diesem bemerkenswert politisch unkorrektem Buch verschont: Die Jungen nicht, die Alten schon mal gar nicht. Blogger, Angler, Radrennfahrer, Lehrer, Eltern, Gutmenschen, Ehrgeizige – bei keiner Gruppe lässt Genovesi Gnade vor Recht ergehen.
Ohne Zweifel ist “Fische füttern” ein hochintelligentes Buch, subversiv und unkonventionell, in seinen Glanzmomenten frech, witzig und poetisch. Aber – das Buch ist im Niveau höchst schwankend. Der Einstieg ist nur mit gutem Willen noch als holprig zu bezeichnen, bei der Unterteilung von über 400 Seiten in mehr als 70 Kapitel, sehr abrupten Perspektiv- und Stilwechseln wird der Leser auch im Fortgang immer wieder höchst unsanft aus seinem Lesefluss gerissen und ist mehr als einmal geneigt, den Schlusssatz der Danksagung vorwegzunehmen und des Autors Rat zu beherzigen: “Wir leben nicht ewig hier, hier sind wir fertig, also jetzt alle raus um zu sehen, was draußen los ist.”
Seitenweise quält man sich durch aufgeblasenes Schwadronieren von Jugendlichen und renitenten Alten, Palaver mit dem Aussagewert der flachen Landschaft, die der Roman ebenfalls ausführlichst zeichnet und beklagt. Dazu kommt, dass Genovesi gelegentlich der Versuchung eindeutiger Effekthascherei nachgibt, sowie dem anscheinend unbezähmbaren Drang, einfach alles aufzuschreiben, was ihm zu seiner Geschichte einfiel. Weniger wäre in diesem Fall definitiv mehr gewesen. Zu oft endet im Klischee, was als inspiriende Lebensweisheit gedacht war.
Und dann kommt das Schlusskapitel, welches dem Leser einen Einblick in das Leben der Protagonisten zehn Jahre später gibt. Ein Kapitel, das einem die Moral der Geschichte wunderbar formuliert an die Hand gibt: Man kann erst dann gewinnen, wenn einem vorher das Verlieren beigebracht wurde. Ein Epilog, der in seiner Einfachheit berührt und den Leser mit der Geschichte gleichzeitig versöhnt und mit der Frage zurücklässt: Warum nicht gleich so? Genovesi kann es doch. Genauso wie dieser Epilog. das wäre mein Roman gewesen.
So bleibt leider nur ein durchwachsenes Fazit: Interesse am Radsport und Angeln dürfte für durchgehenden Lesegenuss förderlich sein.Für den Rest: Lesenswert, aber kein Muss.
Klick zum Buchtrailer
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift
Divina commedia
Ein mächtiges Maß legt Autor Norman Nekro an, wenn er mit den drei in diesem Buch versammelten Episoden um Tod und Wiedergeburt direkt auf Dantes “Göttliche Komödie” und damit eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur Bezug nimmt.
Wie bei Dantes “Divina Commedia” macht der Leser auch bei Nekro eine Reise durch drei Reiche der jenseitigen Welt. Er führt ihn durch die Hölle, in der die Sünder in ewiger Verdammnis büßen, durch das reinigende Fegefeuer bis zum Paradies.
Schrieb Dante seine Erzählung in symbolisch arrangierten, gereimten Elfsilblern, die bei der abstoßenden Beschreibung der Hölle beginnt und bei den Freuden des Paradieses endet, so bedient sich Nekro der Prosa.
Der Autor beginnt mit der rabenschwarzen Betrachtung eines Unfallopfers, in dessen Eingeweide sich soeben das Blech einer herrlich metallic-orangefarbenen Motorhaube gefressen hat.
Er schildert einen Heiligabend auf der Intensivstation, wo ein zwölfjähriger Junge, den ein Gewirr von Schläuchen, Kanülen und Kabeln ans Bett fesselt, in andere Sphären gleitet.
Den poetischen Höhenflug aber liefert Nekros Beschreibung des Tanzes eines Pfauenauges zur Sonne. Er beschwört Himmel und Erde ebenso wie die glühende Farbenpracht des nahen Waldes oder das archaische Rot der reifen Äpfel. Die ganze Welt besteht für den Falter nur noch aus reiner Seligkeit, er erlebt seinen irdischen Garten Eden. Ermattet und glanzlos sinkt er schließlich zu Boden, stumpf, grau und leblos ähnelt er dem verwelkten Blatt, das der kräftig auffrischende Wind gerade vorbeiweht. Mit einem Seufzer schließt der Schmetterling die Augen und dämmert hinüber in die Unendlichkeit des himmlischen Paradieses.
Allein für diese letzte Geschichte lohnt sich der Erwerb des Buches.
Der Todestagsverkäufer
Einer der angesehensten Bürger einer Stadt findet sich plötzlich im Hinterzimmer einer Kneipe wieder, um sich von einem zwielichtigen Quacksalber die Stunde seines Todes vorhersagen zu lassen. Magus Mortemer eröffnet seinem Kunden gegen einen prall gefüllten Beutel mit fünfzig süddeutschen Gulden, dass er bereits zwei Tage später das Zeitliche segnen wird. Und tatsächlich: Gevatter Tod schlägt auf die Minute genau zu.
Nachdem auch ein weiterer Städter mit seiner exakten Sterbestunde konfrontiert wird, zieht dieser Professor Froebius zu Rate, der auf vorsätzliche Giftmorde tippt. Doch die Sache ist weitaus vertrackter, es scheinen teuflische Mächte im Spiel zu sein, mit denen der geheimnisvolle Wahrsager verbündet ist.
Froebius schleicht sich in das Hotelzimmer des seltsamen Sehers und entwendet ein mysteriöses Buch, auf den ihn eine Erscheinung aus anderen Sphären hinweist. Damit versucht er, dem Todesboten auf die Schliche zu kommen. Doch der durchschaut den Arzt und schlägt ihn in seinen Bann …
Norman Nekro legt mit diesem Buch den dritten Teil seiner Reihe um den Medicus Froebius vor. Es ist das mit Abstand stärkste Abenteuer, das der ehemalige Militärarzt, der anno 1818 in einer hessischen Kleinstadt praktiziert, bestehen muss. Der Autor ist mit seinem Helden gewachsen, seine Geschichte ist brillant geschrieben, dramaturgisch erstklassig gebaut und historisch stimmig. Ein spannendes Lesevergnügen zur Geisterstunde!
Leiden Sie an Nomophobie?
Nomophobie? Schon wieder ein neuer Begriff, eine seltene Krankheit, eine ausgefallene Mode?
Kirsten Wendt hilft weiter: Nomophobie ist ein Kunstwort aus dem englischsprachigen Raum und eine vom UK Post Office geprägte Abkürzung für “‘No Mobile Phone – Phobia'”, wörtlich “Kein-Handy-Angst”‘. Als Nomophobie bezeichnet man die Angst, mobil unerreichbar für soziale und geschäftliche Kontakte zu sein. Es geht also um jene brandaktuelle Erkrankung des Zeitgeistes, der uns an allen Ecken und Kanten mit dem Handy am Ohr begegnet.
Die Autorin verrät dem Leser ihres Buches zum Thema zwar nicht, ob sie selbst zu den Handysüchtigen zählt. Vielleicht besitzt sie nicht einmal einen sprechenden Knochen, wie Catweazle, der aus dem Mittelalter in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts katapultierte Zauberer in der gleichnamigen TV-Serie der BBC das schnurlose Telefon nannte. Jedenfalls hat sie sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich in ihrem Elektrobuch nachlesen.
Dabei erweist sich Kirsten Wendt als geübte Erzählerin, die locker und launig selbst schwierige Themen in den Griff bekommt, und so bleibt sie auch nicht beim Thema Handysucht stehen. Vielmehr schlägt sie einen Bogen über Winkefleisch, Jugendsprache und Migräne bis hin zur Sexsucht. Wie sie es schließlich sogar schafft, Nomophobie und Nymphomanie zu verknüpfen, das soll hier nicht verraten werden. Dazu muss man/frau schon selbst dieses kleine Büchlein lesen.
Ein Ort schweigt
In „Ein Ort schweigt“ werden nicht nur die Krankentötungen mit etwa 8000 Opfern in Berlin-Buch an Hand von Sterbeurkunden nachgewiesen, sondern es wird auch die Haltung der Täter und Mittäter, der Bevölkerung, sowie der Umgang der Staatsführung der DDR mit den in Berlin-Buch begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet.
Die Opferzahlen wurden im Rahmen der erstmaligen Auswertung von zehntausenden Sterbeurkunden des Standesamtes Berlin-Pankow in den Jahren 2009/2010 ermittellt. Für mindestens 8000 Todesfälle gibt es keine hinreichende medizinische Erklärung. Hinzu kommen ungefähr 3000 Bucher Patienten, die im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion aus der Bucher Heil-und Pflegeanstalt in entfernte Tötungseinrichtungen verlegt und dort in Gaskammern oder durch Medikamente umgebracht worden sind. Unbekannt ist bis heute auch die erhebliche Zahl der pflegebedürftigen älteren Bucher Patienten, die während des Zweiten Weltkrieges – und dies fast ausnahmslos gegen ihren Willen – in östlich der Oder gelegene Einrichtungen verbracht wurden und nie zurück kehrten.
Der Grund für das hartnäckige Verdrängen und Verschleiern dieser in Buch begangenen Verbrechen liegt zum einen in den besonderen sozialen Strukturen des Ortes und zum anderen in der Absicht der damaligen DDR-Führung, Berlin-Buch zum größten und modernsten Krankenhausstandort Europas und zum Flaggschiff der DDR-Medizin zu entwickeln.
The Mirage
Am 09. November 2001 steuern christliche Fundamental-Terroristen Flugzeuge in die Wolkenkratzer der UAS-Metropole Bagdad, ermorden damit Tausende von Menschen und erschüttern die wirtschaftliche und militärische Supermacht United Arab States bis ins Mark. Der Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten und so beginnt man mit dem Verbündeten Israel die Invasion Amerikas, einem unbedeutenden Drittweltland, das als Drahtzieher der Anschläge und Heimat der Terroristen vermutet wird.
Acht Jahre später ist die angestrebte Zivilisierung Amerikas und Überführung in eine Demokratie immer noch nicht abgeschlossen und die Gefahr von Terroranschlägen im eigenen Land unverändert hoch. Mustafa, Amal und Samir arbeiten für Homeland Security und es gelingt ihnen, einen christlichen Selbstmordattentäter dingfest zu machen, der eine unglaubliche Geschichte zu erzählen hat: In Wahrheit wäre Amerika die fortschrittliche Supermacht und die zerstrittenen arabischen Länder befänden sich auf unterentwickeltem Niveau, als Beweis zeigt er den Ermittlern eine amerikanische Zeitung vom 12. September 2001.
Mustafa und seine Kollegen bekommen von höchster Stelle der Regierung den Auftrag, diesen mysteriösen Fall zu untersuchen und stoßen schon bald auf weitere Spuren: Der dubiose Unterweltsboss Saddam Hussein ersteigert regelmäßig im Internet Artefakte aus der vermeintlichen Parallelwelt und auch Senator Osama bin Laden, dem enge Verbindungen zum Geheimbund Al Kaida nachgesagt werden scheint daran sehr interessiert. Eine Reise nach Amerika soll schließlich des Rätsels Lösung bringen…
Matt Ruff hat es wieder einmal geschafft, seine Fans mit dieser fantastischen Geschichte zu überraschen und begeistert wie gewohnt mit einem mitreißenden Plot, dessen Details liebevoll sorgfältig ausgearbeitet sind: Die beliebteste TV-Serie der UAS ist der Echtzeit-Thriller “24/7 Jihad”, die Musik-Charts werden angeführt von der Punk-Band Green Desert mit ihrem Hit “Arabian Idiot” und der Gouverneur des Libanon war in seinem früheren Leben ein populärer Action-Filmheld. Und natürlich fehlen auch nicht die Protagonisten auf der anderen Seite, zu viel soll hier allerdings nicht preisgegeben werden.
Indem der Autor die persönlichen Geschichten der drei Hauptfiguren mit den politischen Bedingungen verknüpft, zeigt er auch den ganz normalen Alltag in einem islamischen Land, das hin- und hergerissen ist zwischen Säkularisierungsbemühungen moderner Aufklärung und reaktionärer Reglementierung der traditionellen Religion, eben ganz so wie heute in den realen USA. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Matt Ruff auch in seinem neuen Werk mit sprachgewaltigem Wortwitz glänzt, Bücher wie diese sorgen beim Leser für ungetrübte Freude!
Öffentlichkeitsarbeit für Autorinnen und Autoren
Im ersten Abschnitt seiner dem Thema Öffentlichkeitsarbeit für Autorinnen und Autoren gewidmeten mehrteiligen Arbeit befasst sich Autor Roland Zingerle mit den Grundschemata der zwischenmenschlichen Kommunikation. Zingerle bestimmt dazu den Begriff des “Mediums” als Mittler zwischen Sender und Empfänger und mit diesem Dreiermodell die Keimzelle dessen, was gemeinhin als ‘Kommunikation’ bezeichnet wird. Er differenziert Kommunikationsmedien und Massenmedien und erläutert, dass es darum gehe, mit Hilfe der Massenmedien auf die jeweiligen Kommunikationsmedien aufmerksam zu machen. Um nun ein Medienunternehmen davon zu überzeugen, über eine Buch oder eine Veranstaltung zu berichten, muss ein Autor die Vorteile aufzeigen, die sich daraus für das Massenmedium ergeben. Schließlich möchte er keine Anzeigen bezahlen, sondern die Berichterstattung kostenlos haben. Dazu sind zwei entscheidende Fragen vorab zu klären, die letztlich Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit sein müssen: Welches Ziel verfolge ich mit meiner Öffentlichkeitsarbeit? und Wer sind meine Zielgruppen? Dazu stellt Zingerle praktische Fragen, die helfen, diese zentralen Aspekte positiv zu beantworten.
Im zweiten Abschnitt befasst sich der Autor mit Aufbau und Arbeitsweise von Medienunternehmen. Zingerle unterscheidet zwischen der Aufbauorganisation, also der hierarchischen Struktur, sowie der Ablauforganisation eines Medienunternehmens, das sind jene Prozesse, die in der Alltagsroutine ablaufen müssen, um ein reibungsloses Erreichen des Tagesziels zu gewährleisten. Er geht von einem klassisch durch Anzeigen finanzierten Printmedium aus, wenn er die drei tragenden Säulen Redaktion, Anzeigenverkauf und Administration definiert.
Im dritten Abschnitt behandelt Roland Zingerle die Planung klassischer Öffentlichkeitsarbeit. Danach sollte sich ein Autor erst einmal klar machen, welche Aktivitäten er in welchem Zeitraum umsetzen will. Möchte er nur sein Buch präsentieren oder auch eine Lese-Tournee abhalten? Dazu zählt weiter eine Vorstellung, in welchem Zeitraum bestimmte Ziele umgesetzt werden sollen und welche finanziellen Mittel hierfür aufgewendet werden können. Zingerle gibt dann konkrete Hilfestellung bei der Kontaktaufnahme mit Medienunternehmen. Er nennt Kritierien für die Auswahl der Ansprechpartner und gibt Ratschläge für das richtige strategische Vorgehen bei der Kontaktaufnahme.
Im vierten Abschnitt befasst sich Zingerle mit Stilfragen klassischer Öffentlichkeitsarbeit. Dazu skizziert er im Schweinsgalopp das Einmaleins der Journalismus, zu dem unter anderem die berühmten “W-Fragen” zählen. Er erwähnt, was in keine Pressemeldung gehört wie Negativ-Botschaften, persönliche Meinungen und Schmähungen. Schließlich beschreibt er den Aufbau eines redakionellen Artikels. Ausführlich beschäftigt er sich anhand zahlreicher Bildbeispiele mit Grundregeln der Pressefotografie, da eine anspruchsvolle Öffentlichkeitsarbeit ohne Foto-Material undenkbar sei.
Im fünften Abschnitt behandelt Roland Zingerle die Schule des Sprechens. Der Verfasser geht dabei davon aus, dass Autoren Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie betreiben, um ihre Lesungstätigkeit bekannt zu machen. Dazu möchte er dem Leser Einblick in das Handwerk des Sprechers gewähren. Über Grundsätzliches zur Lautbildung kommt Zingerle zu konkreten Schnellsprechübungen, um die Zungenfertigkeit des Leser auf die Probe zu stellen. Er empfiehlt Übungen zum Gefühlsausdruck und gibt schließlich Verhaltensregeln zum Sprechen in der Öffentlichkeit. Abschließend nennt er sieben Punkte, die einen guten Rezitator ausmachen.
Schließlich befasst sich der Autor mit der organisatorischen Durchführung einer Lesung. Sinn und Zweck einer Autorenlesung ist, ein Buch zu präsentieren und möglichst oft zu verkaufen. Das gelingt nur, wenn die Zuhörer durch den Vortrag positiv beeindruckt und neugierig gemacht werden. Zingerle nennt dazu verschiedene Maßnahmen, die helfen können, den gewünschten Zweck zu unterstützen und einen möglichst durchschlagenden Erfolg zu erreichen. Der Band gibt auch Informationen über die Pflichten des Veranstalters, über Terminfragen, Audiotechnik und Beleuchtung bis hin zur konkreten Ablaufplanung.
Sechs Getränke, die die Welt bewegten
Vor etlichen Jahren lernte ich in Amerika bei einer Dinner Show ein junges Paar kennen. In breitestem Südstaaten-Dialekt stellten die beiden sich mit folgenden Worten vor: “Hi, we are Betty and Jim from Atlanta. Atlanta, Georgia. Home of Coca-Cola.”
Das ließ mich damals so fasziniert wie irritiert zurück. Zig Dinge wären mir eingefallen zu Atlanta, Georgia. Scarlett. Tara. Martin Luther King. Die Peachtree Road. Die Sezessionskriege. Meinetwegen auch Coca-Cola. Jedoch nicht als Erstes, Einziges und Wichtigstes. Aber so sind sie, die Amerikaner. Unbändig stolz auf den Siegeszug der braunen Brause als global akzeptiertes, bewundertes Symbol des American Way of Life.
Genau dies bestätigt auch der englische Historiker und Journalist Tom Standage in seinem überraschenden Werk Sechs Getränke, die die Welt bewegten. Spätestens seit Coca Cola zum kriegswichtigen Gut geadelt wurde, war der Aufstieg des Getränks von der Brause aus dem Sodabrunnen zur nationalen Institution unausweichlich.
Coca-Cola ist das letzte der 6 Getränke, anhand derer Tom Standage seine Leser unterhaltsam durch die Weltgeschichte führt. Der deutsche Titel führt leicht in die Irre. In diesem Buch geht es nicht in erster Linie um Getränkekunde, sondern die Entstehungsgeschichten von sechs Getränken – neben Cola sind es Bier, Wein, Rum, Tee und Kaffee – werden verknüpft mit einer rasanten Zeitreise von der Steinzeit in die Gegenwart. Der Originaltitel A history of the world in 6 glasses trifft es wesentlich besser. Standage bietet nicht weniger als einen Crashkurs in Weltgeschichte, gepaart mit Exkursen in Technik, Chemie und Religion. Nur wenige der sorgsam recherchierten Verknüpfungen sind weithin bekannt, am bekanntesten dürfte die Boston Tea Party sein. Umso überraschender zu erfahren, dass beispielsweise die Pyramiden wohl ohne die zufällige Entdeckung des Bieres nie gebaut worden oder die Entdeckungen der Kolonialzeit ohne Rum nicht machbar gewesen wären. Besonders spannend die Geschichte des Kaffees. “Das nüchterne Geschenk der arabischen Welt”, es trat seinen Siegeszug im Zeitalters der Vernunft an. Kaffeehäuser etablierten sich als Heimstätten eines Bündnisses aus Kaffee, Innovation und Netzwerk, “eine Art Internet des 17. Jahrhunderts”.
Standage zieht destillierte Schlüsse aus dem “flüssigen Vermächtnis der Kräfte, die unsere Welt geprägt haben“. Dabei räumt er mit bis heute verbreiteten Mysterien auf und stellt neue Thesen auf. So stehe “der Konsum von Coca Cola in engem Zusammenhang mit dem Wohlstand und der Lebensqualität von Ländern”. Gewagt, aber nicht von der Hand zu weisen und daher durchaus bedenkenswert.
Dennoch irritiert seine rigorose Trennung, jeder Periode ein bestimmtes Getränk zuzuordnen. Bier kommt im Buch nur in vorchristlicher Zeit vor, von der “Amphore Kultur” (Wein) hört man nur bis zum Mittelalter und Tee war das Schmiermittel der industriellen Revolution. Die Dominanz britischer Tea-Time-Kultur bis heute interessiert nur am Rande. Selbst die Prohibition spielt allenfalls im Hinblick auf den Siegeszug von Coca Cola eine Rolle. Standage weist jedem Getränk einen Platz als Katalysator für die Förderung der Kulturen und Zivilisationen zu. Dass jedes dieser Getränke für sich genommen bis heute mehr ist als nur ein Durstlöscher, ist bei dieser Vorgehensweise uninteressant. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Standage ein allgemeingültiges Standardwerk vorlegen wollte. Vielmehr dürfte es seine Intention gewesen sein, mit einem Augenzwinkern auf die Weltgeschichte zu schauen und Geschichtsmuffeln einen unterhaltsamen Rundgang zu bieten. Dies ist ihm zweifellos gelungen. Und da er seinem Gesamtbild viele unbekannte Details zufügt, dürfte dieses Werk auch den in Historie Versierteren Spaß machen.
“Die Gepflogenheit, sein Glas zu heben, ist uralt und beschwört übernatürliche Kräfte”. Und so ist natürlich auch diese Buchbesprechung nicht entstanden ohne den beherzten Einsatz diverser inspirierender Getränke. In diesem Sinne Salute, Cheers und Prösterken.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift