Ben Lindenberger, Drehbuchautor von TV-Krimi-Serien, entdeckt Stoff für einen eigenständigen Kriminalroman: Er verfolgt den Prozess gegen einen Familienvater, der angeklagt ist, Frau und Kinder auf bestialische Weise erschlagen zu haben. Der Angeklagte, ein Berliner Stararchitekt, der besessen der Theorie vom Bauwerk als Gesamtkunstwerk anhängt, erweckt allerdings nicht den Eindruck eines brutalen Mörders. Ben nimmt während der Verhandlung Kontakt zu dem Angeklagten auf und steigt in sein Privatleben ein.
Lindenbergers großes Vorbild ist Truman Capote, der mit »Kaltblütig« eine der großartigsten Kriminalreportagen der Literaturgeschichte schrieb. Die Entstehung dieses Meisterwerks wurde dadurch begünstigt, dass Capote ein nahezu intimes Verhältnis zu den beiden später überführten und zum Tode verurteilten Tätern aufbaute, das ihm half, neben der Tat, ihrem Ablauf und der Wirkung auf den Ort des Geschehens das Seelenleben der Mörder zu sezieren. Dies versucht auch der Protagonist des Psychothrillers von Jonas Winner, wobei ihm Scharfsinn, Stilsicherheit und Distanziertheit Capotes fehlen. Dafür kommt er mühelos mit diversen Damen in die Horizontale. Dass sich dies auch gegen ihn wenden kann, erkennt er erst später.
Winners Psychothriller ist flott geschriebene Unterhaltungslektüre. Zahlreiche Dialoge outen den Verfasser als Kenner des Drehbuchgeschäfts. In vielen Punkten schimmert der Held des Romans als Winners Alter Ego durch. Der Autor liebt es, mehrere Handlungsstränge, die später zusammenfließen und sich teilweise erschließen, in Häppchen zu servieren. Der Einstieg in das »Setting«, ein Begriff, den gleich mehrere Romanfiguren verwenden, wird dadurch am Anfang erschwert. Doch dann schreitet die Erzählung geradlinig voran.
Es dauert allerdings rund 200 Seiten, bis sich der eigentliche Plot erschließt und Spannung aufkommt. Einen wirklichen »Thrill«, den der Untertitel verspricht, bleibt der Autor jedoch schuldig. Die Spannung spielt sich mehr im Kopf des Erzählers ab, insofern ist es ein typisch deutscher Krimi, der Spannung, »ein raffiniertes psychologisches Puzzle um Machtgier, Täuschung, Intrigen und dunkle Begierden« laut Klappentext, intellektuell aufbaut, statt sie tatsächlich zu schildern.
Jonas Winner wurde als Self-Publisher mit seinem düsteren Siebenteiler »Berlin Gothic« bekannt, den begeisterte Leser auf Spitzenplätze in den Amazon-Bestsellercharts katapultierten. Amazon entschied sich aufgrund der Popularität der Reihe, das Buch zu übersetzen und in den US-Markt einzuführen. Entsprechenden Erfolg erhofft sich auch Knaur, der den Autor jetzt herausbringt. So wie es Ben Lindenberger erträumt, sei auch dem Verfasser des Krimis gewünscht, aus dem nervenden Job des Serienschreibers aussteigen und seine weitere Karriere als Romanautor fortsetzen zu können. Das Zeug dazu hat der 1966 geborene promovierte Philosoph auf jeden Fall, wie dieser als Erstling anzusehende Kriminalroman beweist, der vom »großen Wurf« allerdings noch ein klein wenig entfernt ist.
Jonas Winner
Der Architekt. Psychothriller
Knaur 2012
ISBN 978-3-426-51275-3
Adolf Hitler erwacht 2011 und bewegt sich wie
Billy Hoffmann will mit seiner Familie zu einer Zirkusvorstellung gehen. Unterwegs erlebt er Schreckliches: Sein älterer Bruder Philipp wird von einem tonnenschweren Reisebus erfasst, der ihn durch die Luft schleudert. Er stirbt. Die entsetzte Mutter, so das Bild, das sich unauslöschlich in das Kind einbrennt, steht schreiend an der Böschung, wo der Tote hingeschleudert liegt. Blut befleckt ihren neuen Mantel. 





Oh, Ihr Schauspieler, die Ihr eines nahen Tages dieses auf Anregung der Bayerischen Staatsoper ausdrücklich für die Bühne geschriebene Zweipersonenstück auswendig lernen müsst, Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl, denn schon Brünhilde, die widerborstige Lieblingstochter von Götterpapa Wotan, ergießt sich gleich mit 48 Seiten Text, mit einem Redeschwall in 1.189 Zeilen, in 71.340 Zeichen, bis der gekündigten Walküre erst einmal die Puste ausgeht und der gebrochene Gott, Wotan Wanderer, auf der Suche nach sich selbst und dem eigenen Untergang, zu Wort kommt. Und was antwortet ihr der Olympier, dem eigentlich keiner mehr so recht glauben oder gar folgen mag, da er Verträge nach eigenem Gutdünken interpretiert, sie mit Raubgold erfüllt, und dessen Rechtfertigungen deshalb kaum jemanden wirklich interessieren? »Kind. Soviel hast du ja noch nie gesagt! Ich hör dir jetzt seit Stunden zu, aber was hast du gesagt? Ich weiß es nicht mehr.«