Im Auge des Mörders

51LJRkR4WxL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Ein Vergewaltiger lässt nach vollendeter Tat seine Opfer traumatisiert zurück, um sie einige Wochen später brutal zu ermorden. Sein letztes Opfer, Eva Haller setzt sich gegen ihn zur Wehr und er muss schnellstens aus ihrer Wohnung flüchten. Trotzdem lässt er nicht von ihr ab und sie engagiert  Stefan Trapp, einen technikverliebten Bodyguard, weil die Polizei ihr nicht glaubt.  Der brutale und psychopathische Mörder trickst jedoch Polizei und Bodyguard immer wieder aus und es findet sich kein Hinweis auf ihn. Als es ihm ein zweites Mal gelingt, Eva in seine Gewalt zu bringen, beginnt ein Wettlauf mit dem Tod, denn am Ende kann nur Evas Ermordung stehen.

Dieser Thriller von Marcus Hünnebeck hat alles, was ein gut gemachter Thriller haben muss. Verfolgungsjagden, einen psychopathischen Mörder, Protagonisten, die auftauchen und wieder verschwinden, Ermittler, die im Dunkeln tappen, ein Opfer, das sich wehrt und wild entschlossen ist, nicht zu sterben und zuletzt für die weiblichen Thrillerfans einen extrem attraktiven Bodyguard.

Der Autor stellt Eva Haller in den Mittelpunkt seiner von Hochspannung getriebenen Geschichte. Sie ist freiberufliche Journalistin und hat die Aufmerksamkeit des Täters erregt, obwohl sie optisch nicht in sein Beuteschema passt.

Im Laufe der Entwicklungen trifft sie auf einige Menschen, die ihr helfend zur Seite stehen und gerade, als man sich entspannt zurücklehnen möchte, um Luft zu holen, entpuppen sich genau diese Helfer als Verdächtige, nur um einige Seiten später wieder entlastet zu werden. Marcus Hünnebeck versteht es meisterhaft, die Fäden in der Hand zu halten und den Leser an sein Buch zu fesseln. Kontinuierlich steigert er die Spannung und man sollte sich für den Tag, an dem man beginnt, in diesen Thriller einzusteigen, nichts anderes mehr vornehmen, denn man wird scheitern. Der Leser darf Anteil haben an Kompetenzgerangel bei der Kripo, an Fehlentscheidungen und Irreführung der Bevölkerung, die es dem Täter ermöglichen, sein Netz um Eva zusammenzuziehen.

Während des Lesens habe ich ständig auf einer zweiten Ebene nach dem Täter gesucht und ihn nicht gefunden, weil ich immer wieder den falsch und sehr intelligent gelegten Fährten von Marcus Hünnebeck gefolgt bin. Ziemlich zum Ende, als ich schon seit geraumer Zeit vergessen hatte, zu atmen, steigt ein leiser Verdacht auf und ich war äußerst erleichtert, es doch noch herausgefunden zu haben.

Das eingefügte Lokalkolorit macht den Thriller umso lesenswerter, wenn man die Örtlichkeiten kennt.
Marcus Hünnebeck hat sich mit diesem Thriller in die Riege der Dan Browns, Stieg Larssons, Simon Becketts und Sebastian Fitzeks geschrieben.

Herausragend


Genre: Thriller
Illustrated by Egmont LYX.digital

Nur wer wagt, gewinnt

Peter_BuchenauPeter Buchenau mag ein guter »Redner, Ratgeber und Kabarettist« (Eigenwerbung) sein, ein brillanter Autor ist er nicht. Sein Buch »Nur wer wagt, gewinnt« ist in erster Linie eine labyrinthische Predigt, die apodiktisch angelegt ist unter dem Mantra »Nur wer dies und jenes tut oder lässt, der …«

200 Seiten lang verkündet der Autor in immer neuen Schleifen, dass es besser sei, Entscheidungen zu treffen als im Nichtstun zu verharren. Unser Leben sei vom Zwang bestimmt, permanent neu entscheiden zu müssen. Davon dürfe man sich aber nicht unter Druck setzen lassen, auch eine falsche Entscheidung könne in den allermeisten Fälllen noch korrigiert werden. Ziel seines Buches sei es aufzuzeigen, wie man Risiko bewertet und welche Chancen sich aus »risikointelligentem Handeln« ergeben können.

Stilistisch bedient sich Buchenau dabei immer wiederkehrender rhetorischer Fragen. Mag dies bei öffentlichen Vorträgen dienlich sein, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu steigern, so ist es beim Lesen einfach nur hinderlich, zumal es bei dieser Art der persuasiven Kommunikation nicht um Informationsvermittlung sondern um Zustimmung oder Ablehnung geht.

Es kann durchaus sein, dass der Autor einiges zu sagen hat. Seine Art des schriftlichen Vortrags jedenfalls verbaut den Zugang zum Leser, und das ist schade.


Genre: Ratgeber
Illustrated by Linde

Die Anatomie der Melancholie

Robert_Burton»Jeder Mensch hält seine Bürde für die schwerste«, schreibt der römische Philosoph Seneca, und »ein Melancholiker jammert mehr als alle anderen«, ergänzt Robert Burton (1577–1640) im Vorspruch seines Buches.

Der Autor, selbst hoch depressiv, kannte den Gegenstand seines Werkes nur allzu genau. 1621 erschien die erste Fassung des Werkes des englischen Exzentrikers, der als mönchischer Bücherwurm sein ganzes Leben in den Mauern des Oxforder Christ Church College verbrachte und dort nach der Erstveröffentlichung weitere dreißig Jahre an Erweiterungen und Vervollkommnungen des Werkes arbeitete. Schon seine klaustrophile Lebensweise wird seine Neigung zur Melancholie verstärkt haben.

Melancholie als Universalmetapher

Bei Burtons Lebenswerk handelt es sich um die erste grundsätzliche Behandlung der »englischen Krankheit« Melancholie, die wir heute im Krankheitsbild gern als Depression bezeichnen. Der Autor weitet den Melancholiebegriff zur Universalmetapher aus und seziert mit seinem Text eine in sich kranke Welt, die er als »domicilium insanorum«, als Irrenhaus, apostrophiert.

Frontispiz von 1638

Frontispiz von 1638

Vor rund 400 Jahren erschienen wirkt dieses Buch der Bücher vom Range der »Essais« eines Michel de Montaigne – abgesehen von manchen medizinischen Schlußfolgerungen – wie ein Text, der in unseren Tagen geboren wurde: frisch, sprudelnd, satirisch, blumenreich.

Übersetzer Werner von Koppenfels hat für die in der »Handbibliothek Dietrich« erschienene Ausgabe Texte aus der insgesamt dreibändigen »Everyman Edition« ausgewählt und stellt nach eigenen Angaben etwa ein Sechstel des voluminösen Originals vor. Gegliedert ist das Opus in eine Vorrede des unter dem Pseudonym des »lachenden Philosophen« Democritus als »Democritus Junior« schreibenden Burton, die allein als wortgewaltige Suada auf den Zeitgeist gelten darf. Schon in dieser Vorrede wird deutlich, dass es dem Verfasser bei aller wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit um eine gewaltige Satire geht, die er wortreich zu Papier bringt. »Turbine raptus ingenii«, wie Scaliger sagt, getrieben vom Wirbelsturm des eigenen Witzes, buschiert Burton wie ein Jagdhund durchs Gelände und bellt dabei jedes Thema an, das er am Wegesrand erblickt.

Schreiben als Gegenmittel zur Melancholie

Über Melancholie zu schreiben ist Burtons Art, die ihn plagende Melancholie zu vermeiden. Aus innerstem Antrieb versucht er, schreibenderweise den eigenen Geist zu besänftigen. Dabei ärgert ihn besonders das »Zeitalter der Kritzelei«, in dem er lebt. Er konstatiert, dass viele eine »unheilbare Schreibsucht« plage und die Zahl der Bücher ins Zahllose gewachsen sei: »Und dies nur, weil es jeden juckt und gelüstet, sich groß zu zeigen, weil er nach Ehre und Ansehen giert – und so schreibt man eben, was immer es sei, und kratzt es zusammen, woher auch immer – von Ruhmsucht verhext«. Angesichts der Wirklichkeit falle es schwer, darüber keine Satire zu verfassen.

Im Mittelpunkt seiner Schrift beschreibt Burton den Gegenstand seiner Untersuchung und schildert Ursachen und Symptome der Melancholie. Den Gegenstand seiner Abhandlung sieht er entweder als Veranlagung oder angenommene Gewohnheit. Von melancholischen Stimmungen sei kein Mensch verschont, jeder verspüre gelegentlich ihren Stich, Schwermut sei in diesem Sinne Merkmal der Sterblichkeit. »Auf einen Tropfen Honig komt in dieser Welt leicht ein Becher voll Galle«, schreibt er und verweist damit auf den Namen der Krankheit »melancholia«, was so viel wie »mélaina cholé« oder »schwarze Galle« bedeute.

Burtons Sicht der Ursachen von Melancholie

Robert Burton

Robert Burton

Ausführlich befasst Burton sich mit den Ursachen der Melancholie und kommt von den Eltern, die sie vererben können über die Ernährung zu Eigenschaften wie Ehrgeiz, Eigenliebe, Ruhmsucht, Prahlerei, den Drang zur Selbstvergrößerung und die Gewalt der Einbildung, die sie begünstigen.

Aus der Sicht des Verfassers der »Anatomie der Melancholie« sind all das vollkommen sinnlose Eigenschaften: »Unter all den Myriaden von Dichtern, Rhetorikern, Phoilosophen und Sophisten der früheren Zeiten hat kaum ein Werk von tausend überlebt«. – »Nomina et libri cum coribus interierunt«, ihre Namen und Bücher seien miteinander verwest. Und denoch »wollen und müssen Hinz und Kunz unsterblich werden (wie sie meinen), müssen ihren Ruhm bis zu unseren Antipoden ausbreiten, wo sie doch von der Hälfte, ja drei Vierteln ihrer Heimatprovinz weder wahrgenommen noch beachtet werden«.

Wege zur Heilung der Melancholie

Burton beschreibt die körperlichen und geistigen Zeichen, in denen sich depressives Verhalten ausdrückt. Gleichzeitig macht er Mut, es bestehe gute Aussicht auf Heilung, es sei denn, und dies sei die schwerste Kalamität, die Erkrankten legten selbst Hand an sich und suchten »inmitten dieser grauen, scheußlichen, verödeten Tage, da sich kein anderer Trost und Ausweg zeigt, die Erlösung aller Leiden im Tod«. Unterstützt würden sie dabei von Sokrates, der im »Phaidon« zitiert wird: »Leidet einer an einer unheilbaren Krankheit, so mag er sich selbst töten, wenn es zu seinem Wohl geschieht«. Dagegen stehe indes die christliche Auffassung, »wer sich selbst erdolcht, tötet die eigene Seele«.

Im weiteren Teil des Buches beschreibt Robert Burton die Wege zur Heilung der Melancholie. Übersetzer Koppenfeld hat hier die Stellen ausgewählt, die auch aus aktueller Erkenntnis noch medizinische Bedeutung haben könnten. Zum Schluß wendet sich Burton schließlich den Komplexen »Schwermut der Liebe« und »Religiöse Melancholie« zu.

Stilistisches Meisterwerk

Burtons »Melancholie« ist ein wundervoll geistreiches und trotz seines beinahe biblischen Alters aktuelles Werk, das sich geradezu anbietet, wieder entdeckt zu werden. In stilistischer Hinsicht schäumt das Buch über von sprachlichen Kaskaden und bunten Begriffen. Der Autor arbeitet verstärkend mit Tautologien, sprachlichen Spiralen und Schleifen, die das Vergnügen der Lektüre trotz des an sich ernsten Themas enorm steigert.

Der ohne Frage hoch gebildete Verfasser versucht immer wieder, seinen Leser mit eben dieser Bildung aufs Glatteis zu führen, indem er ihn schwallartig mit lateinischen Zitaten großer Geister überschwemmt, die zum Glück samt und sonders kongenial übertragen wurden. Allein diese stilistische Brillanz macht die Lektüre unabhängig vom Gegenstand, mit dem sich manche kreative Geister quälen, zu einem Hochgenuss.

Wer sich in Gesellschaft eines geistvollen Mannes in Gestalt seines Buches wohler fühlt als im Alltagstrubel des Banalen, wird mit Robert Burtons «Anatomie der Melancholie« bestens bedient.


Genre: Klassiker, Kulturgeschichte
Illustrated by Dietrich´sche Verlagsbuchhandlung

Das Doktorspiel

41+vFTJ1iqL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Im neuen Thriller von Béla Bolten werden Alexander Thal und sein Team auf eine harte Probe gestellt. Im Schmetterlingshaus auf der Mainau wird die schrecklich zugerichtete Leiche eines renommierten Kinderarztes aus Konstanz gefunden. Der Tote stammt aus einer der einflussreichsten Familien und die Ermittler müssen mit äußerster Vorsicht an die Tätersuche herangehen. Sie haben kaum eine Spur und die wenigen, die sie finden, führen sie nicht weiter. Im Laufe der anstrengenden Suche nach dem Täter wird ein zweite Leiche im Bodensee gefunden. Stück für Stück tasten sich die Polizisten unter Einsatz ihres Lebens an die möglichen Täter heran. Sie geraten in einen Strudel aus verzweifelten Eltern, militanten Impfgegnern und einer fanatischen Sekte.

Béla Bolten beschreibt ausnahmslos menschliche Charaktere, denen der Fall zusehends auf’s Gemüt schlägt. Wie Alexander Thal, akribisch eine Kaffeetasse spülend, über den Fall nachdenkt oder Bettina Berg versucht, trotz vorangeschrittener Schwangerschaft, ein vollwertiges Mitglied des Teams zu sein, führt geradewegs in das Herz des Lesers. Gerade das macht es aber so spannend. Es sind lauter Menschen mit all ihren verschiedenen Eigenheiten unterwegs, die sich zusammenraufen müssen, um einem perfiden Killer auf die Spur zu kommen. Immer wieder verstrickt man sich in den Hinweisen und Spuren, die im Laufe der Geschichte auftauchen. Béla Bolten hält keine Informationen zurück und lässt den Leser immer auf dem Stand der Ermittlungen sein. Eigentlich möchte man lieber einen Schritt voraus eilen, aber man wird wegen dieses Erzählstils zu einem vollwertigen Mitglied des Teams.

Atemlos steht man in der Rechtsmedizin dabei, wenn Gerhard Restle seine Ergebnisse bekannt gibt und als Madlaina in Lebensgefahr gerät, lebt man ihre Verzweiflung mit und möchte sofort erste Hilfe leisten. Der Weihrauchgeruch in der Sektenunterkunft nimmt einem den Atem und man sucht unweigerlich nach einem geöffneten Fenster. Dass der Leser bis zum Schluss darüber im Dunkeln tappt, wer für die Morde verantwortlich ist, hält ihn davon ab, diesen spannenden Thriller vorzeitig aus der Hand zu legen.

Für mich ist dieser Thriller von Béla Bolten einer der besten, die ich bisher von ihm gelesen habe.

Nervenaufreibend.


Genre: Thriller
Illustrated by Kindle Edition

Kokon

61IBq+xxySL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Auf der Seite der Guten steht Mike, ein Polizist, wie man ihn sich vorstellt: Geschieden, mit halbwüchsigem Sohn und Frauengeschichten, seine Exfrau immer noch liebend. Etwas chaotisch, sodass man am Anfang denkt, dass dieser Mensch sicher keinen brutalen Killer stellt.
Auf der Seite der Bösen agiert ein Serientäter, der eiskalt, analytisch und zutiefst verstörende Morde an Frauen begeht. So verstörend, dass das gesamte Team der Polizei erschüttert ist. Mike und sein pedantischer Kollege Jürgen machen sich auf die Jagd und versuchen, das Puzzle zusammenzusetzen.                                                                                   

Ich habe in der Gluthitze angefangen, diesen Thriller zu lesen und hatte Schwierigkeiten, mich von der Geschichte loszureißen.

Noah Fitz versteht es sensationell gut, den Leser ständig auf falsche Fährten zu führen. Man meint, der Polizei voraus zu sein und den Täter zu kennen, als sich dann plötzlich wieder andere Einzelheiten finden, denen man nun wieder bereitwillig folgt.
Er bildet zuerst viele Nebenstränge und Zweitschauplätze, die er hinterher so virtuos zusammenführt, dass man sich vor die Stirn schlagen möchte, weil man nicht selber dahinter gekommen ist.
Ich habe um ein Kind gebangt, mir Sorgen um einen Erwachsenen gemacht, der die Welt aus Kinderaugen sieht, mitgelitten mit einer jungen Frau, die Liebe suchte, aber nur Sex bekam und mit dem Herzen bin ich Mike und seiner Frau gefolgt und habe glühend gehofft, dass sie wieder zueinander finden.
Dass letztendlich jemand der Täter war, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte, hat diesem Thriller die Krone aufgesetzt.

Mitreißend.


Genre: Thriller
Illustrated by Kindle Edition

Königstöchter

51CW4+XCyoL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Ira Wittekind, neugierige Reporterin mit Hang zur Ermittlerin, soll einen Unfallbericht über eine alte Frau schreiben,  die unter eine Kehrmaschine geraten und einen grässlichen Tod gestorben ist. Um etwas Hintergrund für die Story zu erhalten, spricht sie mit weiteren alten Damen, die die Verstorbene kannten und erfährt mit viel Fingerspitzengefühl nach und nach Ungeheuerliches aus der Vergangenheit der Getöteten und drei ihrer Freundinnen. Weitere Morde geschehen, ausnahmslos an alten Frauen, die auf den ersten Blick kein Motiv erkennen lassen. Doch je weiter die Reporterin in die gemeinsame Vergangenheit der Opfer eindringt, desto klarer wird das Mordmotiv.

Vier Frauen, durch eine unvorstellbar schreckliche Vergangenheit bis ins hohe Alter miteinander verbunden, müssen am Ende ihres Lebens feststellen, dass es letztendlich kein Vergessen geben kann. Das Aufbauen der Spannung und die schlüssige und logische Verknüpfung mit den Geschehnissen von damals hat Carla Berling mit Bravour gemeistert. Immer wieder folgt man Ira, der ausserordentlich sympathischen Journalistin, denkt, dass man klüger ist und mehr weiß als sie, doch am Ende liegt man falsch. Carla Berling zeichnet die beteiligten Personen so plastisch und deutlich mit all ihren Eigenheiten und Charakterzügen, dass man meint, man kenne diese Leute schon lange persönlich. Genau das ist es, was diesen Krimi ausmacht. Diese “Bekanntschaft” mit allen Protagonisten führt immer wieder auf eine falsche Fährte, weil man der einen oder anderen Person ein solches Handeln gar nicht zutrauen mag. Wenn man meint, der Höhepunkt der Spannung sei nun erreicht, setzt die Autorin noch eins drauf und hält den Leser damit eng bei der Geschichte.
Während des Lesens fand parallel im Kopf eine ganz eigene Ermittlung zur Entlarvung des Täters statt. Am Ende hatte ich mit jedem einzelnen der Beteiligten gerechnet, habe aber vollkommen falsch gelegen.

Mitreißend.


Genre: Krimi
Illustrated by Kindle Edition

Ich kann auch schlank: Mein Dukan-Diät-Tagebuch

51gjNYoK-XL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Dieses Buch einen Ratgeber zu nennen, würde es nicht richtig beschreiben. Kirsten Wendt, übergewichtig, trotzdem gut aussehend, fühlt sich schon lange nicht mehr wohl in ihrer Haut. Sie hat, wie so viele in ihrer Situation, fast alle Diäten ausprobiert, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Über eine Bekannte erhält sie Informationen über die “Dukan-Diät”. Sie beschließt, dass dies ihre letzte Diät sein soll, egal wie sie endet. Um nicht den Überblick zu verlieren und ihre Ernährungsumstellung zu dokumentieren, verfasst sie ein Tagebuch, das sich verselbständigt und zu einem “Ratgeber” mutiert.

Offen und kein bisschen selbstherrlich schildert Kirsten Wendt ihren schweren Weg vom Übergewicht zur Normalfigur. Und genau das macht dieses Buch so besonders. Es ist kein Bericht, wie sie zu Hunderten geschrieben werden, getreu dem Motto: alles war ganz einfach und ich habe nicht gehungert, es hat Spaß gemacht, ich war die ganze Zeit glücklich. Und jetzt habe ich endlich Untergewicht. Juhu.


Mitnichten. Die Autorin schildert einen steinigen, mit Entbehrungen, psychischen und physischen Belastungen einhergehenden und manchmal fast nicht aushaltbaren Weg. Wenn sie anklagt, jammert, euphorisch jubelt, strahlt und wieder am Boden zerstört ist, fühlt man jede Minute mit ihr. Die zum Kaffee bereitgestellten und zum gemütlichen Verzehr bei der Lektüre dieses Buches gedachten Kekse bleiben wortwörtlich im Halse stecken. Danke dafür, Kirsten Wendt.  😉 Trotz Leid, Qual und Hungerperioden behält die Autorin ihren Humor. Immer wieder blitzen witzige Einlagen auf, die den Leser daran erinnern, dass eine gewaltige Herausforderung nicht die lustige Seite in einem Menschen vergraben muss. Ganz nebenbei entdeckt Kirsten Wendt einen weiteren Vorzug dieser Ernährungsweise: Ihre Migräne, unter der sie seit Jahren leidet, verflüchtigt sich Stück für Stück und wird so deutlich erträglicher.


Dieses Diät-Tagebuch ist uneingeschränkt lesenswert, auch für die Menschen, die glauben, dass eine so gewaltige Abnahme ein Kinderspiel sei.

Phänomenal.

 


Genre: Erfahrungen
Illustrated by Kindle Edition

Deathbook

Erschreckend realitätsnah geschrieben, Herzklopfen beim Lesen wird kaum ausbleiben.

DeathBookDer Protagonist ist in diesem Thriller der Autor selbst, was von Anfang an eine persönliche Beziehung zu ihm entstehen lässt.
Andreas Winkelmann, erfolgreicher Autor im Bereich der blutrünstigen Romane, verliert seine geliebte Nichte Kathi durch einen Selbstmord.
Damit will er sich jedoch nicht abfinden und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. An der Todesart seiner Nichte besteht kein Zweifel, sie lag auf abgelegenen Bahngleisen und wurde von einem Zug überfahren. Aber geschah dies wirklich aus freien Stücken?
Als im Internet ein Video auftaucht, welches ihren Tod in allen Einzelheiten aufzeigt, wird klar, dass mehr dahinter stecken muss. Mit Hilfe von Michaela Sperling, einer Freundin Winkelmanns und Polizeianwärterin, und Jan Krutschig, einem Computerspezialisten, erfährt Andreas Einzelheiten über eine ominöse Internetseite namens „Deathbook“.
Immer mehr Menschen sterben auf mysteriöse Art und Weise, und jedes Mal tauchen Videos ihrer letzten Minuten im Internet auf.
Andreas begreift, dass sich das Leben seiner Nichte und vieler anderer Jugendliche zu einem großen Teil im Netz abspielt, vor allem auf Facebook pflegen sie Freundschaften wie im realen Leben, ohne zu bedenken, dass die scheinbare Intimität ihrer Gespräche dort nur allzu leicht zu durchbrechen ist.
Zum Ende des Buches verstrickt sich der Protagonist immer weiter in das Geschehen und macht sich selbst zum Hauptverdächtigen.
Eines sei versprochen: Am Ende werden alle losen Fäden schlüssig verknüpft und es kommt zu einem passenden Abschluss.

Dieses Buch ist der vierte von mir gelesene Thriller Winkelmanns, und bis jetzt konnte er mich nie hundertprozentig überzeugen. In diesem Fall ist es ihm gelungen: Ich finde das Buch wirklich großartig. Wie von Winkelmann gewohnt, beschreibt er besonders die Todesszenen sehr direkt und detailreich, aber dieses Mal ist es ihm auch geglückt, bei mir ein absolutes Spannungsgefühl zu erzeugen. Zugegeben, ganz kurz zwischendurch habe ich mich schon gefragt, woher ein normaler Mensch den Mut nimmt, sich so offensichtlich in Gefahr zu begeben, wie es der Protagonist mehrmals tut. Ein paarmal erschien es doch ein klein wenig überzogen.
Aber alles andere wirkte so überzeugend auf mich, dass ich das Buch in kürzester Zeit verschlungen habe. Ich konnte von Anfang an mit (dem fiktiven) Andreas Winkelmann fühlen, seine Gedankengänge und Emotionen nachvollziehen und verstehen – endlich genau das, was mir in seinen vorherigen Werken gefehlt hat.
Die Idee, sich selbst zur Hauptfigur zu machen, gefällt mir sehr und auch die Beschreibungen der Schauplätze sind sehr bildreich dargestellt.
Das Internet mitsamt seiner Gefahren zum Thema zu machen hat einen aktuellen, realistischen Bezug und manch ein Facebooknutzer mag sich vielleicht ein bisschen wiedererkennen.

Zuerst hat der Autor dieses Buch als interaktive Ebook-Reihe herausgebracht, auf deren Einteilung auch die Kapitel in dem Gesamtbuch aufbauen.
Diese Rezension bezieht sich auf das zusammengefasste Buch, welches im Vergleich zu den Einzelwerken überarbeitet wurde.


Genre: Thriller
Illustrated by Wunderlich

Golanhöhen

BischoffMan muss nur tief genug in der Vergangenheit des Kriminalkommissars wühlen, dann findet man schon den Mörder. So scheint seit einiger Zeit ein unumstößliches Krimi-Gesetz zu lauten. Egal, ob man „Tatort“ einschaltet oder einen Kriminalroman aufschlägt – ohne persönliche Verwicklungen der ermittelnden Personen geht es anscheinend nicht mehr. Der unbeteiligt ermittelnde Kommissar wurde wohl in Rente geschickt. Da macht auch der neue Roman „Golanhöhen“ von Marc-Oliver Bischoff aus der bewährten Dortmunder-Krimi-Schmiede (Grafit Verlag) keine Ausnahme. Aber soviel vorab: Dies ist auch schon der einzige zu bemängelnde Punkt und zugegebenermaßen auch persönlichem Überdruss geschuldet. Davon abgesehen ist das Buch ein außerordentlich gut gemachter Krimi, angemessen düster, intelligent aufgebaut und erzählt.

„Golanhöhen“ ist der dritte Teil von Bischoffs Frankfurt-Trilogie. Während in den ersten beiden Teilen noch Kriminalpsychologin Nora Winter ermittelte, steht aufgrund ihres Erziehungsurlaubs diesmal ihr Mann Gideon an der Spitze der Ermittlungen – zumindest so lange, bis er degradiert und suspendiert wird. Der Plot ist zum größten Teil angesiedelt in den heruntergekommenen Sozialbauten am Frankfurter Ben-Gurion-Ring, welche den unglücklichen „Spitznamen“ Golanhöhen tragen. Dieses Viertel gleicht in Frankfurt „einem schwarzen Loch. Armut zieht Armut an. Probleme bringen weitere Probleme mit sich“. Der noch positivste Lerneffekt, den ein Bewohner dort mitnehmen kann, ist Selbstmitleid. Selbstmorde sind alltäglich. So geht auch Gideon Richters Team zunächst von einer Selbsttötung aus, als sie zu einem Todesfall in den Sozialbauten gerufen werden. Doch Gideon hat Zweifel. Die Tote ist erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden, warum sollte sie sich ausgerechnet jetzt vom Dach stürzen? Und was ist mit dem toten Baby, dass in der Mülldeponie gefunden wurde? Hängen die beiden Fälle zusammen?

Gideon allerdings tut sich ausnehmend schwer, sich auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Den frischgebackenen Vater lassen Ermittlungen um ein totes Baby und eine Frau, die als Kindsmörderin inhaftiert war, ganz und gar nicht kalt. Dazu kommt eklatanter Schlafmangel, denn das Baby lässt Nora und ihm nicht viel Ruhe. Deshalb leidet er unter unerklärlichen Blackouts, von denen er befürchtet, dass sie nicht nur aus den schlaflosen Nächten resultieren. Und dann muss er sich auch noch besagten ungeklärten Dingen aus seiner Vergangenheit stellen, die plötzlich den Fall unerwartet tangieren. Gideon verliert Distanz und Objektivität und trifft einmal zu oft eine unhaltbare Entscheidung.

Bischoff beginnt den Roman zwar mit einem rasanten Prolog, läßt sich dann aber Zeit, den eigentlichen Fall ganz ruhig und detailliert, dabei aber an jeder Stelle spannend zu beginnen. Im weiteren Verlauf steigert er sein Tempo, die Brechstange bleibt dabei dankenswerterweise weggeschlossen. An jeder Stelle lässt er sich Zeit, alle Aspekte des Falls und der Ermittlungen in einem wohltuend unaufgeregten Schreibstil auszuleuchten. Ausführlichen Platz bekommt dabei auch die Betrachtung heutiger Arbeitsbedingungen. Unterbesetzte Teams, Stress, die Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, die stillschweigend vorausgesetzte Bereitschaft, auch über vertragliche Arbeitszeit hinaus bereitwillig parat zu stehen, auch und gerade bei Teilzeitkräften – Themen, die sicher nicht nur, aber eben auch Polizei-Teams beschäftigen. Bischoff zeigt am Beispiel von Gideons Team explizit und kritisch, wie sehr das so oft gehörte ungute „Sei froh, dass Du noch einen Job hast“ bereits gesellschaftlich akzeptiert ist. Dass dem Leser auch bei solchen Exkursen nicht langweilig wird, liegt nicht nur am Wiedererkennungswert, sondern sicher auch an der Fähigkeit des Autors, nicht nur geschliffen zu formulieren, sondern sich auch ohne Anbiederung in seinen Dialogen den jeweiligen Schichten gut und glaubwürdig anzupassen. Spannend zum Schluss der Mut des Autors, ausgerechnet eine Trilogie mit einem offenen Ende zu beschließen.

Marc-Oliver Bischoff kam über das Bloggen zum Schreiben, sein erster Krimi „Tödliche Fortsetzung“ wurde gleich mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Ludwigsburg und arbeitet dort als Technologieberater.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Grafit Dortmund

Mehr als Worte

Mehr als Worte original Cover komprimiertCarlotta versinkt in Depressionen, nachdem ihr Idol, der Schriftsteller Damiano Mantovani, sie abserviert hat.

Da hält das Schicksal in Gestalt des Verlegers Federico Sangiorgi eine dramatische, aber positive Wendung bereit.

Als Carlotta dann endlich wieder bereit ist, einem Mann ihr Herz und ihre Seele zu öffnen, sich neuen Möglichkeiten der Liebe zuzuwenden, da trifft sie der nächste Tiefschlag: Ist der Traummann Federico etwa schwul?

Aber auch Damiano Mantovani hat den Kampf um sein Glück noch nicht vollkommen aufgegeben, erneut umwirbt er Carlotta, und so bleibt bis zum Ende alles offen …

Dies ist keine reine Fortsetzung von »Ungesagte Worte«, sondern beginnt vor dessen Ende.

Es erzählt viele der gemeinsamen Erlebnisse mit Carlotta diesmal aus Federicos Sicht, und gibt darüber hinaus Einblicke in Damianos Seelenleben.
Und – so wie von vielen Leserinnen angemahnt – es verspricht ein »echtes« Happyend

Es ist erstaunlich, wie es Laura Gambrinus gelingt mich, also den Leser, schon nach kurzer Zeit so in die Geschichte hinein zu reißen. Ich konnte mich nicht mehr von Frederico lösen. Einen ganzen Tag lang bin ich mit seinen Gefühlen undLaura Gedanken mitgeschwommen. Habe seine erste Verwirrung in mir gespürt, den Wunsch, einer am Abgrund der Gefühle stehenden Frau wieder den Weg ins Leben zu erleichtern.
Ich habe mich köstlich amüsiert über die Ideen im Kopf einer Frau, die, so kennt Mann das eigentlich nicht, nicht darüber redet, oder nur mit der Freundin.
Gefühlsverwirrungen sind so vorprogrammiert.
Der Gedanke, seinen großen Seelenschmerz innerlich einzupacken, um ihn dann in einem tiefen Abgrund für immer zu begraben, wunderschön. Davon hätte ich eher etwas erfahren müssen.
Wer gerne eine Liebesgeschichte mit allen Facetten des normalen Lebens liest, ist bei der Autorin sehr gut aufgehoben.
Aber schaut selbst ins Buch und gebt mir nach dem Lesen recht.
Ich habe es in eins gelesen und zum Mittagessen nur eine Tüte Chips aufgerissen.

Ich wünsche Laura Gambrinus alles Gute für diesen wunderbaren Roman. Wir werden bestimmt noch einiges von ihr zu lesen bekommen. Interesse? Hier geht es zum Buch.

Hier einige Werke von ihr, die schon erschienen sind.

ungesagte worte SeesternliebeZauber der Lagune


Genre: Liebesroman
Illustrated by Kindle Edition

Still – Chronik eines Mörders

Ein leises, märchenhaftes Buch über ein zu lautes Leben

stillGleich vorweg: dieses Buch einem bestimmten Genre zuzuordnen fällt mir schwer. Ein bisschen Thriller, ein bisschen Krimi, ganz viel Familiengeschichte aber hauptsächlich ein Drama, so sehe ich diese anrührende Geschichte.
Wer einen Roman ohne Tod und Unheil erwartet ist hier falsch, wer einen blutrünstigen Thriller möchte, ebenfalls.
Blut fließt trotzdem, reichlich sogar, aber der Reihe nach.

Der Protagonist Karl wird in einem kleinen, verschlafenen Nest geboren und hält von Anfang an seine Eltern in Atem. Nicht, weil sich hier schon seine Bösartigkeit zeigen würde, sondern weil er schreit. Laut. Immer. Ohne Pause, so dass ein ganzes Dorf in Mitleidenschaft gezogen wird.
Als alle Beteiligten schon fast mit ihren Nerven am Ende sind, findet sein Vater den Grund für das Gebrüll heraus: Der kleine Karl hat ein hypersensibles Gehör, besser als jeder andere Mensch hört er selbst die leisesten Töne, entferntesten Gespräche und Lebensgeräusche. Eine für Andere normale Lautstärke bereitet ihm körperliche und seelische Schmerzen, weswegen ihm seine Eltern schließlich ein isoliertes Zimmer im Keller einrichten. Hier lebt er vor sich hin, findet schnell Freude an Büchern und zeigt eine hohe Intelligenz. Einen Zugang zu seiner Mutter findet er jedoch nicht, ebenso wenig, wie sie zu ihm. Sie ist mit einer derartig hohen, quakigen Stimme gesegnet, dass er sie schon im Mutterleib nicht ertragen konnte.
Die Jahre gehen ins Land, Karl im Keller, das restliche Leben oberhalb. Was niemand bedenkt: Karl kann selbst geflüsterte Gespräche hören, immer mehr erkennt er, wie anders er ist, wie er abgelehnt wird. Er beginnt zu fühlen, was Unrecht ist, als seine Mutter ein Verhältnis mit dem Dorfarzt beginnt. Nach einem tragischen Ereignis erkennt er schließlich, dass das einzig Schöne, Stille der Tod ist. Nur hierin erkennt er Liebe, versteht nicht, warum die Menschen am Leben festhalten, wenn der Tod doch so viel besser ist. Er beschließt, den Menschen zu helfen, in der Annahme, wirklich Gutes zu tun und ab hier beginnt die blutige Spur, die auf dem Klappentext des Buches vermerkt ist.
Karls Leben nimmt viele Wendungen, nur wenig Schönes passiert ihm, mit einer Ausnahme: Er begegnet einem ganz besonderen Menschen, der ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen wird. Das Ende ist konsequent und emotional, nicht wirklich unerwartet, aber richtig.

Wie so oft, wird einen kurze Inhaltsangabe dem eigentlichen Text nicht gerecht, das Buch ist so unglaublich großartig geschrieben, so märchenhaft und zeitlos, dass mir nur ein passender Vergleich eingefallen ist: „Das Parfum“ von Patrick Süßkind. Dieser Roman gehört für mich zu den ganz Großen und Thomas Raabs „Still“ kann hier meiner Meinung nach problemlos mithalten.
Im Anfangssatz hatte ich geschrieben, dass dies ein leises Buch sei. Das meine ich absolut positiv. Der Autor hat es verstanden, das Leben Karls aufzuzeigen und mich daran teilhaben zu lassen, ohne „laute“ Worte zu verlieren. Es sterben so viele Menschen, und trotzdem wirkt der Tod immer leise und friedlich, wie von Karl beabsichtigt. Immer wieder überzog mich ein leises Gruseln, insbesondere im Mittelteil, weil Karl wahrscheinlich als größter Massenmörder in die Geschichte eingehen könnte, wäre er nicht fiktiv. Trotzdem artet das ganze niemals in ein in ein Splatter-Gemetzel-Buch aus.
Alle Figuren sind sehr anschaulich beschrieben, keine klischeehaft oder langweilig. Die Hauptfiguren sind etwas Besonderes. Keine ist eindeutig gut oder böse, die ganze Geschichte an keiner Stelle einfach schwarz-weiß. Offensichtlich ist hier natürlich Karl, der nach den Maßstäben unserer Gesellschaft Böses tut, aber in der Annahme, den Menschen zu helfen.
Auch einige der anderen Figuren sind durchaus ambivalent zu sehen und diese Geschichte wird mir noch sehr lange im Kopf bleiben.

Der Sprachstil ist unheimlich bildreich, metaphorisch und einfühlsam, nicht nur inhaltlich ist dieses Buch lesenwert, sondern auch, weil Thomas Raab sich hier als wunderbarer Sprachkünstler präsentiert.

Für mich ist dies eines der bemerkenswertesten Bücher dieses Jahres, ich werde es sicher noch ein zweites Mal lesen.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by Droemer Knaur München

Einfach nur ich … ich habe überlebt

51h8Z9SyPML._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Ein Buch über ein abenteuerliches Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Schonungslos offen und ehrlich erzählt. Erfahrungen, auf die ich teilweise liebend gerne verzichtet hätte, aber sie gehören nun mal zu meinem Leben. Nicht immer leicht, keine schöne Geschichte, keine schönen Erfahrungen, einfach nur ICH, mit allen Ecken, Kanten, Fehlern und guten Seiten. Keiner hat dieses Leben für mich gelebt und keiner wird es mir abnehmen und für mich weiterleben.

Daggi Geiselmann schildert in einer verstörend sachlichen Form die Umstände ihres Lebens. Aus einem verschüchterten, fast unsichtbarem Kind wird ein junges Mädchen, naiv und auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Liebe. Dass sie in der Stadt, in der sie aufwächst, leichte Beute für zwielichtige Gestalten wird, ergibt sich fast von selbst. Tiefer und tiefer wird sie in den Abgrund gezogen und arbeitet am Schluss als Prostituierte, um ihre Heroinsucht zu finanzieren. Dass irgendwann am Ende, als es wirklich nicht mehr weitergehen kann, ein rettender Engel auftaucht, ist erlösend und doch weit entfernt von einem Happy-End.

Wer sich vom Cover und dem nicht gerade aussagfähigem Klappentext nicht abschrecken lässt, erhält Einblick in ein Leben, das es einem unmöglich macht, nach Ende des Buches von Daggi Geiselmann loszukommen. Man muss bereit sein, sich mit all seinen Emotionen auf die Autorin einzulassen. Schonungslos und fast sachlich schildert sie, wie ihr Leben von Anfang an schief gelaufen ist. Während man beim Lesen des Buches wohlbehütet im heimatlichen Wohnzimmer sitzt, steigen Bilder auf, die den Leser nach Luft schnappen lassen. Wie tief sich dieses Elend in die Seele der Autorin gefressen hat, erkennt man am Schreibstil. Sie verheimlicht nichts, beschreibt ihre Arbeit als Prostituierte, schildert, wie sie Heroinsüchtig immer auf der Jagd nach dem nächsten Schuss ist und beschreibt auch den Mann, der sie aus dem Schlamassel herausholt. Das alles geschieht ohne große Emotionen und literarische Tiefe. Genau diese “Oberflächlichkeit” löst aber das Entsetzen im Leser aus. Während des Lesens habe ich ohne Unterlass auf ein Happy-End gehofft, aber auch dieses Aufatmen findet nicht statt.

Eine Biografie, die dem Leser kraftvoll vor Augen hält, wie gut es ihm geht.

Erschütternd. Gerade deshalb lesenswert.


Genre: Biographien
Illustrated by Kindle Edition

Mein Nachbar und ich

51AkPYU60xL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Vicky kommt mit ihrem fünfjährigen Sohn prima allein zurecht und pfeift  auf Männer. Sie fühlt sich wohl mit Kind, Job und Wohnung – doch das ändert sich schlagartig, als der attraktive Simon samt Tochter ins Haus zieht. Irgendetwas an ihm bringt Vicky auf die Palme und Simon geht es mit ihr nicht anders. Als eines Tages die Kita-Erzieher für eine Woche streiken, müssen sich die beiden notgedrungen gegenseitig aus der Patsche helfen. Dabei stellen sie fest, dass der erste Eindruck manchmal gewaltig täuscht.

Alleinerziehende Mutter mit Sohn, alleinerziehender Vater mit Tochter. Er ist freiberuflicher Architekt und arbeitet zuhause, sie jedoch fährt jeden Morgen ins Büro. Beide Kinder bleiben in der Kita und freunden sich an. Die Antipathie der Eltern ist greifbar, doch dies wird von den Kindern pflichtschuldigst ignoriert. Als beide Eltern vor einer wichtigen beruflichen Heruasforderung stehen, streikt natürlich das Personal in der Kita und die alleinerziehenden, erfolgreich berufstätigen Eltern müssen sich zusammenraufen, um die Kinder irgendwie unterzubringen und zu betreuen. Was passiert, wird dem Leser schnell klar: sie tasten sich aneinander heran, umschleichen sich, verwerfen ihre Gefühle, nerven sich, kurz, sie tun all das, was zwei Menschen tun, die feststellen, dass ihre anfängliche Antipathie in etwas anderes umschlägt.

Wer gerne Liebesromane liest und Screwball-Komödien schaut, wird von diesem Buch begeistert sein. Kirsten Wendt und Marcus Hünnebeck beschreiben diese Liebesgeschichte überaus kurzweilig und amüsant. Neu an der Geschichte ist, dass es ein Wechselspiel der Sichtweisen gibt. Hat man sich gerade auf die Seite von Vicky geschlagen, erfährt man, wie Simon die Situation sieht und welche Ziele er verfolgt. So möchte man lieber ihn herzen und unterstützen. Wie beide Autoren abwechselnd aus Männleins und Weibleins Sicht die Entstehung einer Liebe schildern, habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Zwei Menschen wie du und ich mögen sich nicht, mögen sich doch, gestehen es nicht ein, entfernen sich wieder, taktieren und am Ende sind auch die Kinder nicht ganz unbeteiligt daran, dass es kommt wie es kommen muss. Ein Schlagabtausch der Emotionen, sehr wortgewandt und spritzig geschrieben. Ein paar skurrile Typen beteiligen sich an der Paar-Werdung und auch diese sind warmherzig und mit viel Sinn für Humor gezeichnet. Die beginnende Romanze der beiden Protagonisten wird fortwährend unterbrochen durch die wunderbar verdrehte Wortwahl der Kinder, sodass man diese Menschen einfach mögen muss.Wunderbar und leicht zu lesen.


Genre: Liebesroman
Illustrated by Kindle Edition

Die Stillen müsst ihr fürchten – Tatort Köln

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Ein psychopathischer Killer vergewaltigt und ermordet junge Frauen in Köln auf brutale Weise. Nach dem Mord stellt er Bilder der toten Frauen in die Facebook-Profile der Toten. Die Kripo Köln um Lasse Brandt ermittelt auf Hochtouren, da der Mörder bereits seine nächste Tat angekündigt hat. Zu allem Überfluss bekommt Brandt einen neuen, unerfahrenen Partner an seine Seite gestellt. Kann die Kripo Köln den Täter schnappen, bevor die nächste junge Frau ihm zum Opfer fällt oder wird Brandt selbst zur Zielscheibe des Psychopathen?

Nach zwei Frauenleichen, deren Fotos im social media auftauchen und die Kölner in einen Zustand der Schockstarre versetzen, scheint es für Kommissar Lasse Brandt und seinen neuen  Kollegen, als sei der Täter immer einen Schritt voraus. Der Täter jedoch lässt den Leser an seiner kranken Handlungsweise teilhaben und führt die Polizei weiterhin an der Nase herum. Fieberhaft versucht das Team der Ermittler eine Gemeinsamkeit herzustellen zwischen den Opfern. Bis dies gelingt, landet die Polizei immer wieder in Sackgassen. Selbst als Brandt dem Täter gegenüber steht, gelingt es ihm nicht, ihn zu verhaften.

Der Klappentext klang wie ein beliebiger Krimi, erschien typisch: ein Psychopath, junge Frauen, die ermordet werden und ein Bulle, der irgendwie nicht genug Abstand hat. So weit schon einige Male geschrieben und nicht wirklich spektakulär. Weit gefehlt. Je weiter man eindringt in die Psyche des Mörders, umso größer wird die Spannung. Salim Güler versteht es, den Leser ins tiefste Innere des Mörders zu führen. Am liebsten möchte man der Polizei zurufen, was der Psychopath als nächstes plant. Tatsächlich tappt der Leser im Dunkeln, um wen es sich handelt. Dies offenbart sich erst zum Ende. Der Spannungsbogen wird von der ersten bis zur letzten Seite gehalten, auch weil die agierenden Figuren sehr gut charakterisiert sind. Man hat das Gefühl, jeden einzelnen zu kennen und fiebert deshalb mit. Der Täter ist ein zutiefst krankhafter und brutaler Mensch, den man im Verlauf der Geschichte am liebsten selbst massakrieren möchte. Der Autor erweckt im Leser gleichsam dunkle Seiten zum Leben, die ihn selbst erschrecken.  Andererseits möchte man dem Täter zustimmen, wenn er über die Dummheit seiner Opfer philosophiert. Bis zum Ende habe ich versucht, Abstand vom Täter und allen beteiligten Personen zu bekommen. Es ist mir nicht gelungen. Kein Krimi der üblichen Sorte sondern außergewöhnlich und überaus bestürzend.

Großartig.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Der törichte Engel

“Wie ein schleimiges Ungeheuer schleppte sich Weihnachten durch Pine Cove, zog eine Spur von Lametta, Girlanden und Schlittenglöckchen durch den Ort, triefte vor Eierpunsch, stank nach Tannenbaum und festlichem Verhängnis, wie Herpes unter einem Mistelzweig.“

Ein Buch, das so beginnt kann nicht gänzlich unbrauchbar sein und dieses ist im Gegenteil höchst vergnüglich, auch wenn man es stilgerecht eigentlich in der Adventszeit lesen müsste. Wir befinden uns in dem kalifornischen Kaff Pine Cove, nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Romans von Christopher Moore, wo die Vorbereitungen für das Fest der Liebe auf Hochtouren laufen. Durch ein Missgeschick kommt der dabei der als Weihnachtsmann verkleidete Rabauke Dale Pearson nach einem Gerangel mit seiner Ex-Frau zu Tode un ein kleiner Junge droht ob des zufällig beobachteten Ablebens des heiligen Mannes traumatisiert zu werden. Wie praktisch, dass der törichte Erzengel Raziel (bekannt aus „Die Bibel nach Biff“) gerade in der Nähe und auf der Suche nach dem alljährlich fälligen Wunder ist: Flugs macht er das Geschehene rückgängig; allerdings werden durch einen Flüchtigkeitsfehler auch gleich noch alle anderen Bewohner des Friedhofs wiederbelebt. Und wie man es aus zahlreichen einschlägigen Filmen kennt, ist mit den lebenden Toten nicht gut Kirschen essen…

Christopher Moore hat mit „Der törichte Engel“ wiederum einen Roman geschrieben, der richtig Spaß macht und den dankbaren Leser verzaubert. Mit viel Liebe zum Detail brennt er ein Feuerwerk des Humors ab und lässt seine skurillen Protagonisten mächtig aufdrehen: Sheriff Crowe, der meistens bekifft ist und seine Frau Molly, die etwas aus dem Ruder läuft, seit sie eigenmächtig ihre Medikamente abgesetzt hat, nehmen an der Seite der übrigen Dorfbewohner den Kampf auf gegen blutrünstige Zombies, die zunächst Gehirne verspeisen und anschließend zu IKEA gehen wollen. In kleinen aber feinen Nebenrollen dürfen wir auch ein Wiedersehen mit dem Piloten Tucker Case und seinem sprechenden Flughund Roberto aus „Himmelsgöttin“ feiern und dabei bleibt kein Auge trocken.

Ich staune über die unerschöpfliche Fantasie des Autors und bewundere seinen herrlich trockenen Schreibstil, der im Genre der intelligenten Unterhaltung nicht leicht zu finden ist. Zu Recht wird Moore von den Kritikern immer wieder in die Nähe von Terry Pratchett und Douglas Adams gerückt und er braucht diesen Vergleich beileibe nicht zu scheuen. Ich wünschte, es gäbe mehr Bücher dieser Qualität, dann wären auch die Prüfungen, die die Deutsche Bahn täglich ihren (an Kummer gewohnten) Kunden auferlegt leichter zu ertragen.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München