Oh Schreck, der Ex!
Jura-Studentin Avery ist begeistert, denn sie hat eines der vergünstigten Zimmer in der Mulberry Mansion bekommen. Dafür muss sie zusammen mit ihren Mitbewohner*innen das alte Haus renovieren. Das macht ihr nichts aus, sind doch ihre Mitbewohner*innen nett – bis sie entdeckt, dass auch ihr Ex-Freund Eden an der Renovierung beteiligt ist. Wie der Zufall will, muss sie zusammen mit ihm den Dachboden des Hauses auf Vordermann bringen. Da brechen alte Wunden wieder auf, denn der ernste, eigentlich tiefsinnige und vernunftbegabte junge Mann hat sie ausgerechnet beim Abschlussball der Schule abserviert. Mehrere Versuche, mit ihm darüber zu reden, scheitern, denn Eden verhält sich ihr gegenüber kalt und reserviert. Aber schließlich öffnen sich die beiden wieder zart füreinander und Avery findet letztlich den Grund heraus, warum Eden sie damals aus heiterem Himmel verließ.
Einblicke in die Gedankenwelt hochsensibler Charaktere
Merit Niemeitz packt hier erfreulicherweise ein Thema an, das eher selten in der Belletristik vorkommt: den Ex-Freund. Zumindest in dieser Geschichte beleuchtet sie, was sich viele Verlassene fragen: Warum wollte er mich nicht mehr? Und: Gibt es eine zweite Chance? Gerade diejenigen, die verlassen wurden und darüber hinaus den Grund nicht wissen, leiden sehr, denn das Selbstbewusstsein sinkt in den Keller und sie kreisen ständig und schmerzhaft um die Frage „Warum?“. Das greift die Autorin sehr schön auf und schildert, wie es Avery mit dieser Last geht. Auch das angeknackste Selbstbewusstsein, das bei Frauen aufgrund der Sozialisierung sowieso niedriger ist als bei Männern, kommt hier immer wieder zum Tragen und verhindert schnellere und entschlossenere Vorgehensweisen und das Einfordern einer verdienten Erklärung.
Schön auch die Beschreibung der einzelnen Charaktere der Mitbewohner*innen, die liebenswert mit Macken sind. Man kann sich beim Lesen schon denken, dass die Autorin mehrere Figuren im Kopf hat, die sie als Hauptcharaktere für eine Fortsetzung nutzen will. Vielleicht ist das schon etwas zu offensichtlich, aber Fans der Geschichte wird es freuen.
Außerdem bekommen hier hochsensible Charaktere ihre Chance, gesehen und verstanden zu werden, denn Avery und Eden sind beide hochsensibel, d.h. mit feinen, alles wahrnehmenden Sensoren ausgestattet, die sie ihre Welt in einem intensiveren Licht sehen lassen. Dazu passt, dass Eden lesebegeistert ist und Avery zum Introvertierten neigt. Beide sind tiefgründig, mit einem reichen Innenleben ausgestattet, sehr gewissenhaft und werden überwältigt von den Anforderungen der Welt, sind aber auch im einem positiven Sinn sehr empathisch. Diese Empathie kann aber zu folgenschweren Fehlentscheidungen führen, wie die Autorin sowohl bei Eden als auch bei Avery herausarbeitet. Denn der Gedanke, nicht gut für jemand anderen zu sein und damit vorauseilend eine Entscheidung für diesen anderen mit zutreffen, hat viel Leid verursacht. Sie nimmt zudem dem anderen die Entscheidungsfreiheit und einem selbst die Möglichkeit für eine erfüllende Beziehung, was Niemeitz ebenfalls verdeutlicht. Aber auch die intensiven Emotionen, die Hochsensible haben, können im Weg stehen, denn Avery ist lange nicht bereit, ihrer Familie zuzuhören und deren Entscheidung nachvollziehen zu wollen. Stattdessen vergräbt sie sich in tiefem Groll. Die Gründe für die Entscheidungen der Hauptfiguren sind letztlich nachvollziehbar, die Probleme werden allerdings durch eine fehlende Eigenschaft verursacht: der Bereitschaft zur Kommunikation, die essenziell für jede Art von Beziehung ist. Auch das arbeitet die Autorin schön heraus, denn als Avery und Eden anfangen miteinander zu reden, wenn auch anfangs sehr holprig, öffnet sich die Tür für eine bessere Zukunft.
Die Triggerwarnung – häusliche Gewalt, emotionaler Missbrauch, Beschreibungen von Gewalt, Panikattacken, Trauer und Trauerbewältigung – finde ich gut, wie schon in meinen anderen Rezensionen geschrieben. Diese Themen verleihen der sogenannten „Trivialliteratur“ Tiefe, zumal sie von Niemeitz einfühlsam eingewebt werden und erklären, warum Menschen so handeln, wie sie handeln und dass man sie aufgrund ihres Handelns nicht vorschnell verurteilen soll.
Allerdings fällt der Roman auch durch ein paar Kritikpunkte auf: Niemeitz zieht, wohl dem Spannungsaufbau geschuldet, die Lösung in die Länge. Das liest sich irgendwann bemüht und lässt einen ungeduldig werden, denn zu viele Andeutungen und zu wenig Auflösung erhöhen nicht die Spannung, sondern eher den Unmut. Außerdem wirken Avery und Eden an manchen Stellen beinahe unsympathisch, denn Averys mauerndes Verhalten, was schon sehr an Schmollen grenzt, und Edens Kälte, sowie der Hang dazu, fast schon im Leiden zu baden – ohne die schlimmen Erfahrungen abwerten zu wollen, aber beide schlagen Hilfsangebote aus und bringen sich z.T. absichtlich in Schwierigkeiten – sind vor der Auflösung der Gründe hierfür kaum nachvollziehbar. Aber hier greift wieder, was ich schon oben erwähnte: Man soll Menschen nicht vorschnell verurteilen, Figuren auch nicht. Trotzdem ist es an manchen Stellen zu viel: zu viele Andeutungen, ohne dass es mit der Auflösung wirklich vorangeht, zu viel unverständliches Handeln, zu viele Wortwiederholungen, wenn Avery alles zu viel wird. Das alles soll zwar der Handlung und den Figuren Tiefe verleihen, aber es ist schlicht überdosiert. Das sage ich als Hochsensible, anderen fällt das vielleicht gar nicht auf und spielt somit beim Lesen keine Rolle.
Außerdem finde ich es wie schon bei anderen Romanen deutschsprachiger Autorinnen schade, dass sie ihre Welt in der englischsprachigen Kultur ansiedeln, was immer etwas bemüht rüberkommt, aber wohl dem Verkaufsargument geschuldet ist.
Fazit
Liebesroman mit einem eher seltenen Thema: Wie umgehen mit Ex-Freund*innen? Der Roman spricht auch schwierige Lebenssituationen an und wie diese in Beziehungen reinspielen, bietet dafür aber eine Lösung an: Kommunikation und Verständnis. Allerdings hat der Roman ein paar Schwächen, s.o. Fortsetzungen sind angedeutet.