Die Bibel nach Biff

51WFGZrIdxL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Wir schreiben das Jahr 1999, der zweitausendste Geburtstag Jesu Christi steht kurz bevor und die himmlischen Mächte beschließen, an ihrer Außendarstellung zu arbeiten. Sie schicken den – nicht sonderlich intelligenten und zuverlässigen – Engel Raziel zur Erde, um Jesus’ besten Freund Biff wieder zum Leben zu erwecken, damit dieser die wahre Geschichte der Jahre des jungen Messias aufschreibt; ein neues Evangelium muss her. Die beiden mieten sich in einem Hotel in New Orleans ein, und während der Engel sich mit TV-Seifenopern und Wrestling-Kämpfen die Zeit vertreibt, erzählt Biff, was damals wirklich geschehen ist.

Es beginnt mit den Kindheitstagen der beiden Freunde, Jesus (oder Josua, wie er im Buch heißt) lässt tote Eidechsen auferstehen; er weiß zwar, dass er Gottes Sohn ist, aber nicht recht,was von ihm genau erwartet wird. Biff und Josua treffen Maria Magdalena („Maggie“), verlieben sich beide in das Mädchen, aber der Sohn des Herrn sich nicht mit fleischlichen Gelüsten beschäftigen darf, ist er auf seinen Freund angewiesen und lässt sich alles haarklein schildern. Als Maggie jedoch einem Pharisäer zur Frau versprochen wird, brechen die Freunde zu einer langen Reise nach China und Indien auf; sie suchen die drei Weisen aus dem Morgenland, die zu Josuas Geburt erschienen waren, denn von ihnen erhoffen sie sich Aufschluss über seine Mission…

Der Roman nutzt geschickt den Umstand, dass in der Bibel in der Biographie von Jesus ca. 30 Jahre fehlen, berichtet wird lediglich über die Geburt und die letzten Wochen vor seinem Tod. Auch die Spekulation, dass er sich im fernen Osten aufgehalten haben könnte, ist ja so neu nicht. Christopher Moore schreibt durchaus humorvoll, sehr gelungen sind beispielsweise die Passagen, in denen der dämliche Engel durch die TV-Kanäle zappt und auch Jesus weist bisweilen allzu menschliche Eigenschaften auf. Allerdings legt der Autor nie den (zu) großen Respekt vor seinem Protagonisten ab, gerade gegen Ende geht es dann schon ziemlich christlich zu. Eigentlich ist das schade, denn man hätte mehr aus dem Stoff machen können, ich denke zum Beispiel an den Film „Das Leben des Brian“. So ist es aber nicht mehr als ein vergnügliches Buch, das wohl auch Papst Ratzinger ohne schlechtes Gewissen lesen könnte.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Rock-and-Roll-Zombies aus der Besserungsanstalt

51GKK9Ig6bL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_USA 1987: Die reaktionäre Reagan-Regierung versucht mit allen Mitteln ihre Vorstellungen einer christlichen und moralisch integren Gesellschaft umzusetzen und hat für jugendliche Rebellen (Punk- und Heavy Metal-Fans) Gehirnwaschanlagen eingerichtet, um diese Delinquenten auf den rechten Weg der Bigotterie zurück zu führen. In einer dieser Anstalten ist Melissa gefangen und als sie die Folter nicht mehr erträgt ruft sie ihre Freunde Wayne und Steve zu Hilfe. Die Befreier machen sich auf den Weg, doch dann schlägt ein Meteor in der Nähe des Jugendknasts ein und die dort verscharrten Toten erwachen zum Leben, um als Zombies blutrünstige Rache an ihren Peinigern zu nehmen…

Bryan Smith hat mit dieser flott geschriebenen Geschichte wieder einmal gezeigt, dass er alles liefern kann, was sich Horror-Fans vom Genre wünschen und erwarten: Eine originelle Story, Tempo, jede Menge Action und das gewürzt mit einer ordentlichen Prise Sex, Gore und Rock ‘n Roll. Bei seinen Zombies hält er sich eng an die Vorgaben der Romero-Klassiker (wer gebissen wird, verwandelt sich und das Gehirn muss zerstört werden um sie zu töten) und erweist dem Altmeister damit Referenz und Respekt. Dass er nebenbei auch noch ätzende Kritik an der Bigotterie und Heuchelei in Teilen der US-Gesellschaft äußert, erhöht den Unterhaltungswert durchaus. Ein Riesenspaß, allein der Titel des Buchs ist schon preiswürdig!


Genre: Horror
Illustrated by Festa

Kayla and the Devil

51xYGrKA1vL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Kayla ist 19, gut betucht, sieht umwerfend aus und hat dennoch ein Problem: Seit einiger Zeit wird sie von ihren Mitmenschen wie eine Aussätzige behandelt, auch Freunde und verflossene Liebhaber wollen partout nichts mit ihr zu tun haben. Des Rätsels Lösung erfährt sie bei einem Treffen mit dem Teufel, der höchstpersönlich verantwortlich ist für den Fluch, aber natürlich auch gerne bereit ist, ihr altes Leben wieder herzustellen. Allerdings gibt es bekanntlich nichts umsonst und der Preis in diesem Fall ist nicht nur Kaylas Seele, sondern auch ein Menschenopfer, das binnen einer Woche zu erbringen ist…

Bryan Smith schreibt erfrischend flott und lässt zu keiner Zeit Langeweile aufkommen, sein Stil erinnert an Edward Lee und Richard Laymon. Witzige Ideen (in diesem Roman wird Jack the Ripper wieder lebendig und sorgt für allerlei Aufregung) und viel schwarzer Humor bescheren ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen; für Horrorfans lohnt es sich definitiv, diesen Autor zu entdecken, zumal etliche seiner Werke mittlerweile auch auf Deutsch vorliegen.


Genre: Horror
Illustrated by Bitter Ale Press

Das Spiel

51BVyQaZV6L._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_In dem kleinen Ort Donnerville, USA passiert eigentlich nicht viel, zumindest nicht in der Leihbücherei, wo die junge Jane Kerry arbeitet. Sie ist also umso überraschter, als sie dort eines Tages einen Umschlag mit 50 Dollar und einer Einladung zu einem Spiel findet. Der geheimnisvolle Unbekannte, der den Brief hinterlegt hat, nennt sich selbst „Master of Games“. Schnell findet Jane in der Bücherei einen zweiten Umschlag, diesmal enthält er 100 Dollar und weitere Instruktionen. Das Spiel geht weiter und die junge Frau ist fasziniert davon, nicht nur wegen der Belohnung, die bei jedem Fund verdoppelt wird. Allerdings steigen auch die Einsätze, die ihr abverlangt werden, denn die Orte, wo die Umschläge versteckt sind, werden für Jane immer gefährlicher. Und was hat es eigentlich mit Englischprofessor Brace Paxton auf sich, den sie gleich nach dem Auffinden des ersten Umschlags kennen lernt? Vielleicht weiß er ja mehr über das Spiel, als er zugeben will …

Bitte anschnallen und gut festhalten! Wie alle Bücher von Richard Laymon gleicht auch „Das Spiel“ einer rasanten Achterbahnfahrt in einem atemberaubenden Höllentempo. Von der ersten Seite an wird der Leser mitgerissen vom Strudel der Ereignisse, Zeit zum Luftholen bleibt kaum. Der Autor verzichtet auf langwierige Beschreibungen, die Sprache ist einfach und die kurzen Sätze verfolgen einzig und allein das Ziel, die Story zu entwickeln. Diese beschränkt sich auf den ersten 320 Seiten des Romans auf Janes Jagd nach den Geldumschlägen, bevor es dann richtig zur Sache geht und ein blutiger Albtraum beginnt.

Der Heyne-Verlag hat nun offenbar Richard Laymon für seine Hardcore-Reihe entdeckt und dort ist er bestens aufgehoben. In seinen Romanen wimmelt es von Monstern, Vampiren, Kannibalen, Psychopathen und sadistischen Triebverbrechern aller Art; ein Mix aus Sex und Gewalt. Es sind insofern schmutzige Bücher ohne großen literarischen Anspruch, aber sie sind auch phantasievoll und die durch das wahnwitzige Tempo entsehende Spannung hat durchaus ihren Reiz. Freunde der harten Horrorliteratur kommen hier voll auf ihre Kosten; für zart besaitete Gemüter gilt jedoch: Hände weg!


Genre: Horror
Illustrated by Heyne Hardcore München

Verderben

51hxr0DzagL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Juniper ist ein winziges Kaff in der Wüste von Arizona und entsprechend groß ist die Begeisterung unter den Eingeborenen als die Kaufhauskette The Store verkündet, eben dort eine Filiale zu eröffnen. Die Stadtväter räumen dem Konzern ohne zu zögern lästige Steinchen wie Gewerbesteuer oder Bauvorschriften aus dem Weg, gilt es doch, die Wirtschaft zu stärken, die ja bekanntlich selbstlos Arbeitsplätze und somit Wohlstand für alle schafft. Einige mysteriöse Todesfälle schon während der Bauarbeiten werden folgerichtig als bedauerliche aber unvermeidliche Kollateralschäden des Konsumkapitalismus eingestuft und sind auch schon vergessen, als endlich der heiß ersehnte Tag der Eröffnung da ist.

Das Warenangebot in dem riesigen Laden ist sensationell und muss keinen Vergleich mit den berühmten Einkaufstempeln der Metropolen zu scheuen; selbst Kunden mit exotischen Vorlieben für Nazi-Spiele oder Snuff-Movies kommen im Store voll auf ihre Kosten. Dazu gibt es reichlich Billig-Jobs für die dankbare Bevölkerung, Kleinstadtherz, was willst du mehr?

Bill Davis, Software-Autor und Familienvater, verfolgt die Euphorie um den Store mit Skepsis und Sorge, zumal auch seine beiden Teenie-Töchter dort beschäftigt sind, die von allerlei seltsamen Ritualen berichten. Bald bestätigen sich seine Befürchtungen, denn der Store zeigt schnell sein wahres Gesicht: Inhaber kleiner Läden werden mit Geld oder Gewalt außer Konkurrenz gesetzt, während man selbst die Produktvielfalt reduziert, die Preise erhöht und die Löhne senkt. Die Stadt, die sich bereitwillig in Abhängigkeit des Konzerns begab, geht dafür Pleite und der Store übernimmt auch diese Aufgaben, selbstredend zu seinen Bedingungen. Bill sammelt verzweifelt Material gegen den Moloch, stößt aber überall an Grenzen und so ist er umso überraschter, als er eines Tages eine Einladung nach Dallas erhält, zum legendären Konzernchef persönlich…

Auf Buch und Autor bin ich durch die Amazon-Empfehlungen gestoßen, bisweilen findet man dort echte Perlen. „The Store“ ist natürlich nur vordergründig ein Horror-Roman und Bentley Little streut die genre-üblichen Zutaten eher pflichtschuldig als überzeugt ein. Er nutzt vielmehr die Stilmittel der Gattung für eine herzerfrischend bitterböse Kapitalismuskritik reinsten Wassers, indem er die dort systemimmanenten Prozesse pointiert überspitzt und die Verantwortlichen zu Monstern mutieren lässt. Souverän räumt er mit auch hierzulande oft nachgebrabbelten Mythen der Neoliberalen auf, die alles dem Primat der Ökonomie unterordnen möchten.

Der Roman ist flott und stringent geschrieben, die Handlung verläuft weitgehend linear und weist etliche kleine Höhepunkte auf, wie z.B. die Tatsache, dass das perfekte all-american-girl Samantha im Store eine fast skrupellose Blitzkarriere hinlegt, während Bills andere, eher unangepasste Tochter Shannon wesentlich weniger empfänglich für derartigen Blödsinn ist. Ich habe inzwischen weitere Bücher von Bentley Little gelesen und bin sehr angetan nicht nur von deren Spannungsgehalt, sondern auch von der Vielseitigkeit des Autors. Etliche Werke sind bereits in Deutsch erschienen bzw. folgen noch, ich kann sie reinen Gewissens und wärmsten Herzens empfehlen.


Genre: Horror
Illustrated by Bastei Lübbe

Der kleine Bruder

5179YKr-kEL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Nach der erfolgreichen Verbannung aus der Bundeswehr setzt sich Frank Lehmann mit einem Kumpel ins Auto und brettert von Bremen nach Berlin um sich in der WG seines Bruders, der dort als Künstler arbeitet, häuslich niederzulassen. Dort findet er zwar keine Spur von Manni bzw. Freddie, dafür aber jede Menge skurriler Gestalten, die ihn sogleich unter ihre Fittiche nehmen.

Es beginnt eine lange Nacht, in deren Verlauf sich Frank mit den seltsamen Gebräuchen der Hauptstadt anno 1980 vertraut zu machen beginnt; tatkräftig unterstützt von seinen neuen Kumpanen. Als aber am nächsten Tag der verschollene große Bruder immer noch nicht auftaucht und zu allem Überdruss auch noch die Mutter aus Bremen telefonisch nervt, beginnt Frank mit der Suche, die sich allerdings schwieriger gestaltet als erwartet, denn Mannis Freunde scheinen ihm etwas zu verheimlichen…

Mit „Der kleine Bruder“ liegt nun auch der dritte Band der Lehmann-Trilogie des Bremer Erfolgsautors und Multitalents (er ist ja auch noch Sänger der Band Element of Crime) Sven Regener vor. Obwohl, ganz so einfach ist es auch wieder nicht, denn der zuletzt veröffentlichte Roman ist eigentlich der Mittelteil der Trilogie. Für Neueinsteiger, die jetzt die Chance haben, die Bücher in der korrekten chronologischen Reihenfolge zu lesen, empfiehlt sich diese Lektüre:

1. Neue Vahr Süd
2. Der kleine Bruder
3. Herr Lehmann

Nach den beiden bisherigen Werken war ich nun etwas enttäuscht. Der Roman beginnt zwar stark, schwächelt aber bald, da der Plot einfach zu flach ist, um über mehr als 300 Seiten zu tragen. Daraus resultiert eine Dialoglastigkeit der immer selben Protagonisten, die sich auch noch in den verschiedenen Kneipen permanent über den Weg laufen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Buch ist gewohnt gut geschrieben, durchaus lesenswert, für Lehmann-Fans sowieso unverzichtbar und überzeugt auch als nostalgisches Zeitdokument, das das Chaos aus Punks, Hausbesetzern und K-Gruppen in der Mauerstadt trefflich beschreibt. Wirklich nicht schlecht, dennoch hatte ich mir insgesamt mehr davon versprochen.


Genre: Romane
Illustrated by Bastei Lübbe

Dead Zone – Das Attentat

51BiafspSsL._SX312_BO1,204,203,200_Johnny Smith ist glücklich an diesem letzten Oktobertag 1970 und er hat allen Grund dazu: Er ist jung, voller Ideale, frisch verliebt und arbeitet mit seiner Freundin Sarah in einer High School als Lehrer; den beiden steht die Welt offen. Als Johny bei einem Jahrmarktbesuch am Glücksrad eine geradezu unheimliche Glückssträhne hat, ahnen sie nicht, dass dies ein Vorbote nahenden Unheils ist, denn auf dem Heimweg erleidet Johnny bei einem bizarren Autounfall schwere Kopfverletzungen und fällt ins Koma.

Es passiert viel in dieser Zeit: Der Vietnamkrieg eskaliert noch einmal bevor er endet, Nixon muss das Präsidentenamt aufgeben und ein skrupellos psychopathischer Provinzpolitiker namens Greg Stillson schickt sich an, nach höheren Weihen zu streben. Als Johnny Smith 1975 aus seinem langen Schlaf erwacht, hat sich auch seine private Welt ein Stückchen weiter gedreht: Seine alte Liebe Sarah ist inzwischen verheiratet und hat einen Sohn, während seine eigene Mutter dem religiösen Wahnsinn anheim gefallen ist. Er hat viel verloren, aber dafür etwas gewonnen, allerdings ein eher fragwürdiges Geschenk: Die Gabe, durch Berühren oder Gegenstände bestimmte Ereignisse aus deren Vergangenheit oder Zukunft zu erblicken. Johnny ist zunächst nicht glücklich darüber, er setzt seine Fähigkeit äußerst zögerlich und unwillig ein, bis er erkennt, dass sie auch Verantwortung und Verpflichtung bedeutet, besonders als er eine Vision erhält, wie die Welt unter einem Präsidenten Stillson aussehen könnte…

Stephen King hat mit diesem frühen Meisterwerk (Erstveröffentlichung 1979) die Messlatte für sich selbst sehr hoch gelegt: „Dead Zone“ gehört zu seinen besten Büchern. Die Geschichte des all-American guy John Smith (der Name spricht Bände), der zum Helden wider Willen wird, ist packend und einfühlsam erzählt und berührt den Leser zutiefst, da er sich der Faszination des Geschehens kaum entziehen kann. Auch die übersinnlichen Aspekte kommen überzeugend daher und jagen einem – etwa bei Johnnys Visionen während der Suche nach einem Frauenmörder – schon mal kalte Schauer über den Rücken.

Der Roman ist außerdem vielleicht Kings politischstes Buch überhaupt; neben einer Abrechnung mit dem Vietnamkrieg und der Nixon-Ära wird darin die uralte Frage nach der Rechtfertigung des Tyrannenmordes thematisiert und am Ende vom Autor höchst elegant gelöst. Ebenso reizvoll ist die Verquickung fiktiver und realer Personen, so begegnet Johnny zum Beispiel Jimmy Carter. Fans des Schriftstellers lernen hier auch zum ersten Mal das Städtchen Castle Rock kennen, das in späteren Werken Schauplatz und Katastrophen ist, sowie den dortigen Sheriff, der allerdings bereits in „Cujo“ wieder aus dem Verkehr gezogen wird. „Dead Zone“ wurde unter der Regie von David Cronenberg erfolgreich verfilmt, der Streifen mit Christopher Walken (Johnny) und Martin Sheen (Stillson) ist absolut sehenswert, was bei King-Adaptionen ja nicht ganz selbstverständlich ist.

Denkt man an Politiker wie Donald Trump, könnte der Roman bald erschreckende Aktualität erlangen…


Genre: Horror
Illustrated by Heyne München

Bad Monkeys

41f8RoyD1JL._SX339_BO1,204,203,200_Jane Charlotte, eine junge Frau aus San Francisco, hat ein Problem. Sie wurde wegen Mordes festgenommen und erzählt jetzt ihre schier unglaubliche Geschichte einem Psychologen. Demnach nämlich gehört sie zu einer mächtigen Organisation, die sich „Bad Monkeys“ nennt und die wirklich üblen Typen aus dem Verkehr zieht. Dabei bedient man sich vorzugsweise geheimnisvoller Wunderwaffen wie Pistolen, die einen Herzinfarkt verursachen und eines nahezu unerschöpflichen High-Tech-Repertoires. Jane berichtet von ihrer nicht allzu glücklichen Kindheit und ihrem ersten Kontakt mit den „Bad Monkeys“ als sie mit 14 auf eigene Faust einen Kindermörder verfolgte. Ihre Jugend verlief eher ziellos, dazu kamen Drogenprobleme und so war sie durchaus bereit, gegen das Böse zu kämpfen, als die Organisation sie einige Jahre später anwirbt und auf erste Missionen schickt.

Janes Geschichte ist zweifellos faszinierend, aber als der Psychiater einige Fakten dazu recherchiert, stößt er recht bald auf Widersprüche und Ungereimtheiten. Besonders die Beziehungen zu Bruder und Mutter stellen sich dort doch entscheidend anders dar, als von der Geheimagentin geschildert. Ihre Erklärung dafür, die Affen-Chefs hätten die Dokumente gefälscht, um Spuren zu verwischen vermag nicht ganz zu überzeugen und so entwickelt sich ein Showdown, in dem sich die Ereignisse überstürzen…

Regelmäßige Besucher und Leser dieses famosen Blogs wissen, dass Matt Ruff einer meiner Lieblingsautoren ist und er hat mich auch dieses Mal nicht enttäuscht, denn wieder einmal hat er mit „Bad Monkeys“ eine völlig neue Richtung eingeschlagen, die Festlegung auf ein bestimmtes Genre ist ganz klar seine Sache nicht. Wir haben es hier mit einem Thriller zu tun, voll futuristischer Elemente und die Komplexität der Handlung weckt Erinnerungen an die Matrix-Filme. Obwohl vordergründig ein Zwei-Personen-Stück, erschließen sich aus Janes Erzählung mehrere Dimensionen in einer Welt, in der unter der Oberfläche der Normalität Konflikte von beinahe biblischen Ausmaßen ausgetragen werden. Natürlich nur dann, wenn die Geschichte stimmt und der Kampf nicht ausschließlich in der Psyche der jungen Frau tobt…

Die gewohnte Sprachgewandtheit des Autors, gepaart mit seinem feinsinnigen Humor tut ein Übriges, um das Buch zu einem höchst spannenden Lesevergnügen zu machen, bei dem man ehrlich bedauert, wenn die letzte Seite umgeblättert ist. In diesem Fall wiederhole ich mich gern und appelliere erneut an alle hier versammelten Literaturfreunde: Lest endlich Matt Ruff, ihr werdet es nicht bereuen!


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke

51-4pCwzk2L._SX312_BO1,204,203,200_Wir schreiben das Jahr 2023 und befinden uns in New York City. Während der erfolreiche Unternehmer und Wolkenkratzer-Fan Harry Gant seine Sehnsucht nach immer noch höheren Gebäuden stillt, plagen sich die Mitarbeiter der städtischen Kanalisation mit ganz anderen Problemen herum. In den giftigen Abwässern gedeihen nämlich mutierte Raubtiere prächtig, dort wüten nicht nur Kanalligatoren sondern auch ein Weißer Hai, der zu Vermarktungszwecken auf den Namen „Meisterbrau“ getauft wird und schon bald Bekanntschaft mit Harrys Ex-Frau Joan schließt, die im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund tätig ist.

Unterdessen widmet sich eine Gruppe von Öko-Piraten dem gewaltlosen Kampf gegen die Umweltverschmutzung und die Ausbeutung der verbliebenen Natur. Ihre mobile Kommandozentrale ist das luxuriöse U-Boot „Yabba-dabba-doo“, mit dem sie (unterstützt von sprechenden Bibern und Eichhörnchen) ihre witzigen und effektiven Aktionen durchführen. Selbst ein Transrapid kommt – fernab von Wolfratshausen – zum Einsatz und es gilt auch noch, den Mord an einem Finanz-Tycoon aufzuklären. All das rückt jedoch in den Hintergrund, als ein durchgeknallter Super-Computer sich anschickt, mittels eines Heeres dunkelhäutiger Androiden („Elektro-Neger“) eine globale Verschwörung anzuzetteln…

Es ist – zumindest für mich – fast unmöglich, eine schlüssige Inhaltsangabe von „G.A.S.“ abzuliefern, zu komplex und opulent ist das Werk. Wie schon in „Fool on the Hill“ erschuf Matt Ruff mit ungeheurer Fantasie einen eigenen Mikrokosmos, in dem skurrile, liebenswerte Figuren ihr Unwesen treiben und der Leser verfolgt atemlos staunend das Geschehen, dankbar, dass er daran teilhaben darf. Trotz zahlreicher Nebenhandlungen verliert er nie den Überblick, da es der Autor meisterhaft versteht, die Stringenz zu wahren und das Heft in der Hand zu behalten.

Der Roman ist mit viel feinsinnigem Humor gewürzt, man meint, die Freude des Schriftstellers beim Spinnen der unzähligen Fäden zu verspüren und kommt so in den Genuss intelligenten Lesevergnügens. Matt Ruff macht einfach Spaß, seine Bücher sprühen vor Witz und Geist. Es wäre zu wünschen, dass eine breitere Leserschaft von diesem Autor Notiz nimmt, er hat es ganz sicher verdient.


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Ich und die anderen

51TJxRCoClL._SX312_BO1,204,203,200_Wenn der junge Andrew Gage frühstückt, so läuft dies nach einem streng geordneten, komplizierten Ritual ab: Zunächst gibt es Rührei und Kaffee, dann folgen eine Tasse Kräutertee kombiniert mit Pfefferminzgelee auf Weizentoast; ein halbes Brötchen mit einer Scheibe Speck wird abgelöst von Orangensaft mit Honigpops und das Mahl endet schließlich mit einem Teller gesalzener Radieschen. Nun ist es keineswegs so, dass Andy ein unmäßiger Vielfraß wäre, nein, er leidet an einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Hervorgerufen durch extremen Missbrauch in der Kindheit haben sich nach und nach immer wieder verschiedene Teile seiner Psyche verselbständigt und diese verschiedenen „Seelen“, männlich wie weiblich, alt und jung leben alle in seinem Körper. Andy hat sich damit arrangiert und die Situation einigermaßen im Griff, kommt gut zurecht, denn er hat im Kopf ein Haus errichtet, in dem alle Bewohner Platz und Zuflucht finden.

Allerdings gerät eines Tages dieses mühsam aufrecht erhaltene Gleichgewicht in Gefahr als er an seinem Arbeitsplatz – passenderweise ein Virtual Reality-Unternehmen – auf Penny Driver trifft, eine junge Frau, die unter derselben Störung leidet, dies aber noch nicht bewusst realisiert hat. Behutsam versucht Andy ihr zu helfen, die Erfahrungen zu verarbeiten und sie zu überzeugen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dummerweise ist er selbst aber auch noch mit einer unglücklichen Liebe belastet, und so sind die beiden von den auf sie einstürzenden Ereignissen schnell überfordert. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zu Andys Heimatort, um die die dunlen Geheimnisse seiner Kindheitstraumata aufzuspüren. Die Reise treten sie jedoch nicht alleine an, denn im Gepäck führen sie eine ganze Reihe unberechenbarer Seelenbegleiter mit sich, von denen manche nicht ganz ungefährlich sind.

Selbst auf die Gefahr hin, die Leser hier zu langweilen; ich muss mich wiederholen und erneut ein Werk von Matt Ruff preisen. „Ich und die anderen“ unterscheidet sich gänzlich von den beiden bisherigen Büchern, ist aber nicht minder faszinierend. Der Autor führt uns mit großem Geschick in die Welt der Multiplen ein, er lässt uns staunen und er tut das einfühlsam und verständnisvoll, dennoch nicht ohne Humor. Es gelingt ihm zum Beispiel wunderbar, den realen Schrecken der Protagonistin zu schildern, wenn sie morgens in einem fremden Bett erwacht, ohne Erinnerung an die vergangenen Tage, dafür aber mit einer Liste ausgestattet, welche Dinge heute zu erledigen sind. Auch das brisante Thema Kindesmissbrauch packt Ruff mit der richtigen Mischung aus Emotionalität und Entschlossenheit an, er rührt an das Herz des Lesers, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Ich finde, mehr kann man von einem guten Roman nicht verlangen und erteile den klaren Auftrag: Lesen!


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Fool on the Hill

41Y99YOz28L._SX312_BO1,204,203,200_Merkwürdige Dinge geschehen in dem kleinen Städtchen Ithaca und der dort ansässigen Cornell-Universität. Dinge, die die Fähigkeit des Rezensenten übersteigen, einen stringenten Handlungsablauf auf die Festplatte zu meißeln. Also lasse ich es lieber gleich sein und begnüge mich zunächst damit, die Hauptdarsteller des Romans vorzustellen. Im Angebot hätten wir:

S. T. George: Schon mit 23 ein höchst erfolgreicher Schriftsteller, der die besten Texte schreibt, wenn er unglücklich verliebt ist.

Kalliope: Die schönste Frau der Welt, die ihr Aussehen ständig wechselt und den Wünschen der jeweiligen Verehrer anpasst.

Aurora Smith: Tochter eines haschrauchenden Nonkonformisten und mit einem tödlichen Langweiler verlobt.

Zephyr und Puck: Kleine verliebte Kobolde, die mit Modellflugzeugen und -booten unterwegs sind und bisweilen gegen bewaffnete Ratten kämpfen müssen.

Luther und Blackjack: Ein Hund und eine Katze auf der Flucht vor rassistischen Rassehunden und auf der Suche nach dem Tierhimmel. Wir lernen, dass Hunde zu religiösem Eifer neigen, während Katzen eher atheistische Thesen vertreten.

Mr. Sunshine: Ein altersloser Grieche und der geheimnisvolle Lenker der Geschichte.

Manchmal meint das Schicksal es gut mit mir, so wie an jenem Tag, als ich mich wieder einmal recht gelangweilt in einer Buchhandlung herumdrückte und mir “Fool on the Hill” von Matt Ruff ins Auge fiel. Ich kannte weder Roman noch Autor, dennoch griff ich zu und landete unversehens einen Volltreffer! Es ist ein herrliches Buch mit epischen Ausmaßen, eine Welt der Magie, voller Humor und Fantasie, eine zauberhafte Liebesgeschichte mit Elementen von Abenteuer und Horror, aber immer leichtfüßig beschwingt und heiter. Streckenweise fühlt sich der Leser an Shakespeare-Komödien erinnert, allerdings angereichert mit beinahe apokalyptischen Schlachten, mit Rittern, Jungfrauen und Drachen.

Der Autor pflegt einen wunderbaren Stil, setzt seine Worte mit Bedacht, doch stets treffsicher; es gibt unzählige Reminiszenzen an die Literatur zu entdecken, liebevolle Details, wie zwei Hundephilosophen namens Wiedumir und Östrogen, die auf Dogot warten, mögen hierfür als Beispiel dienen. Die zahlreichen verschiedenen Handlungsstränge sind kunstvoll miteinander verwoben und lassen beim Leser niemals Langeweile aufkommen; im Gegenteil: Ich hätte mir die eine oder andere Szene noch ausführlicher gewünscht. Der Roman verzaubert, man ist ehrlich betrübt, wenn er zu Ende ist und ein schöneres Kompliment für ein Buch kann ich mir nicht denken.

Fazit: Ich habe viele Bücher gelesen, aber das ist definitiv eines der besten.


Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Die Witwen von Eastwick

41dONLRMlGL._SX255_BO1,204,203,200_Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit die drei Hobby-Hexen Alexandra, Jane und Sukie zusammen mit dem diabolischen Darryl Van Horne allerlei Schabernack veranstalteten und das Städtchen Eastwick in Aufruhr versetzten. Über das ganze Land verstreut finden sie sich erst wieder, als ihre Ehemänner das Zeitliche segnen. Die neu gewonnene Freiheit nutzend, beginnen sie, sich die Welt anzusehen. Die lustigen Witwen bereisen Ägypten und China und so langsam kehrt sie zurück, die alte Vertrautheit zwischen den Freundinnen und mit ihr die nicht ganz unschuldige Freude an magischen Tricks. Getrieben von nostalgischer Neugier beschließen sie einen Abstecher nach Eastwick, Ort der Jugend und der Erinnerungen, die mit zunehmender Zeit verklärter und harmloser erscheinen.

Doch in der alten Heimat hat man sie nicht vergessen, es gibt immer noch genügend Leute, die sich an die Geschichten von damals erinnern, Legenden über skandalöse Riten der Magie und Hexerei und so entwickelt sich der geplante Sommerurlaub der Witwen zu einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit; einer Auseinandersetzung, der sie sich stellen müssen und die nicht ohne Folgen bleiben wird…

John Updike war ohne Zweifel einer der größten Romanciers, den die USA je hatten, einer, der wachen Auges die dunkle Seite des amerikanischen Traums beleuchtete und seine Beobachtungen mit spitzer Feder festhielt. In seinem letzten Werk stellt er sein Können noch einmal eindrucksvoll unter Beweis. 25 Jahre nach den „Hexen von Eastwick“  – die viele vielleicht nur durch die grandiose Verfilmung mit einem Jack Nicholson in Bestform kennen – schickt er seine drei Grazien (inzwischen geplagt von den Freuden des Alters) wieder zurück an den Schauplatz ihrer Schandtaten; eine Reise, die es in sich hat.

Das Buch besticht vor allem durch die ungeheure Vielfalt und Kreativität der Sprache, jedes Verb, jedes Adjektiv trifft zielsicher ins Schwarze und beschert ein anspruchsvolles Lesevergnügen, das sich eben nicht aus einem Übermaß an Action und einem rasend schnellen Plot speist. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die den Roman so lesenswert machen, seien es höchst amüsante Beschreibungen des Verhaltens von US-Touristen im Urlaub oder die Schilderungen des alltäglichen Kleinstadtlebens unter dem Primat spießiger Vorurteile. Der Tod von John Updike ist ein herber Verlust für jeden Literaturfreund und lädt zu einer intensiven Beschäftigung mit seinem Gesamtwerk ein.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Terrorist

41sRToLVIZL._SX301_BO1,204,203,200_Ahmad ist 18 Jahre alt und lebt in New Jersey allein mit seiner Mutter, einer Irin. Er verehrt seinen Vater, einen Ägypter, obwohl der sich schon früh absetzte und sich nie wieder um den Jungen kümmerte. Ahmad ist intelligent, dennoch bricht er die Schule ab, um als Lastwagenfahrer zu arbeiten. Er tut dies auf Geheiß seines Imams, bei dem er schon seit mehreren Jahren den Koran studiert. Natürlich kommt es, wie es kommen muss und der Junge gerät in Kontakt mit islamischen Extremisten, die ihn als Selbstmordattentäter einsetzen wollen: Er soll einen Lastwagen gefüllt mit Sprengstoff im New Yorker morgendlichen Berufsverkehr in einem Tunnel zur Explosion bringen…

John Updike reagiert mit seinem Roman auf die Anschläge vom 11. September, aber es ist kein spektakuläres Buch, kein Thriller, sondern es behandelt die psychologischen Hintergründe der terroristischen Ideologien. Der Autor zeichnet dabei ein äußerst düsteres Bild einer US-amerikanischen Gesellschaft, die gerade den Jugendlichen außer Konsum keinerlei geistig moralische Werte und Perspektiven mehr bietet und so den pseudoreligiösen Rattenfängern indirekt Vorschub leistet. Die nicht arabischen Protagonisten sind allesamt desillusioniert, manche zynisch, sie ertragen ihr Leben nur noch und können auch den Sex nicht ohne Schuldgefühle genießen. Der Möchtegern-Terrorist kommt dabei noch einigermaßen sympathisch daher, bezeichnend dafür ist eine Szene, in der er einen auf dem Rücken liegenden Käfer wieder umdreht, weil er dessen Leiden nicht erträgt.

„Terrorist“ ist für mich ein gelungenes Buch, eben weil es gar nicht erst versucht, vermeintlich einfache Lösungen für das Problem anzubieten, es hält uns vielmehr den Spiegel vor, allerdings ohne moralisch erhobenen Zeigefinger. Deutlich wird aber auch, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht militärischen Mitteln gewonnen werden kann, es bedarf stattdessen einer geistigen Auseinandersetzung mit dieser für uns so fremden Ideologie. Empfohlen den verantwortlichen Herrschenden zur Lektüre.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt Tb.

Manische Wiegenlieder

41tod+sLkHL._SX328_BO1,204,203,200_Nicht nur surreal und absurd wie im Untertitel des Büchleins versprochen sind die “Manischen Wiegenlieder”, nein, sie haben mehr zu bieten, weitaus mehr. W.R. Frieling überrascht dieses Mal mit einem bunten Strauß von Gedichten und er deckt dabei souverän die ganze Palette ab: Der begeisterte Leser findet Perlen wie den Knaller “Kannibalen” (Finger jammern in der Pfanne, Blut schäumt über in der Kanne), mein persönliches Lieblingsstück, und etliche satirisch witzige Reimereien, aber auch leise, nachdenkliche Texte voller Melancholie. Sehr gelungen sind dem Autor und Weltenbummler seine geografischen Reminiszenzen an verschiedene Fleckchen dieser Erde; in prägnanten Worten präzisiert er die typischen Eigenschaften der jeweiligen Regionen und ihrer Bewohner.

“Manische Wiegenlieder” ist ein wunderbares Werk der Poesie, auch bei wiederholter Lektüre wird es niemals langweilig, im Gegenteil, man findet stets aufs Neue exquisite Sahnehäubchen und staunt über Frielings virtuose Wortgewandtheit. Literaturfreunde, die sich an Robert Gernhardts Lyrik erfreuen, sollten auch hier bedenkenlos zugreifen. Wer dem Meister selbst beim Absingen einiger Wiegenlieder lauschen möchte, wird auf YouTube fündig (einfach den Buchtitel in die Suchzeile eingeben).


Genre: Gedichte, Humor und Satire
Illustrated by Internet-Buchverlag Berlin

Letzte Nacht in Twisted River

41fBYGsgFkL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_New Hampshire 1954: In einer kleinen Holzarbeitersiedlung verdient sich der verwitwete Koch Dominic (genannt Cookie) seinen Lebensunterhalt bis eines Tages sein Sohn Danny die Freundin des örtlichen Polizeichefs mit einem Bären verwechselt und kurzerhand pfännt (= mit einer Pfanne erschlägt). Gezwungen zur Flucht verschlägt es die beiden zunächst nach Boston, wo sie in der italienischen Gemeinde rasch heimisch werden und eine neue Liebe (Cookie) respektive eine gediegene Ausbildung (Danny) verpasst bekommen. 13 Jahre hält das fragile Glück, doch dann ist Constable Carl (der mit der bärigen Freundin) ihnen wieder auf den Fersen und sie setzen sich erneut ab, diesmal nach Vermont.

Auch hier finden sie sich prima zurecht, Cookie experimentiert (nicht nur in der Küche) mit asiatischen Einflüssen und Danny ist inzwischen selbst Vater und auf dem besten Weg, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden. Den Kontakt zur alten Heimat halten sie über ihren Freund Ketchum, ein grobschlächtiger aber herzensguter Holzarbeiter, der alles tut, um die beiden Exilanten vor dem verrückten und rachsüchtigen Cop zu beschützen. Allerdings können weder er noch eine weitere Flucht bis nach Kanada den unvermeidlichen Showdown nach fast 50 Jahren verhindern; die Dinge nehmen ihren Lauf und es kommt wie es kommen muss…

Es fällt nicht leicht eine Inhaltsangabe zu liefern, die diesem Epos gerecht wird, denn zu vielschichtig sind die Ereignisse in diesem neuen grandiosen Roman des begnadeten Erzählers John Irving. Natürlich finden wir jede Menge Liebe und Beziehungen, sowie tragische Tode und Verluste, die aber nie zu Bitterkeit führen, da sie als normaler Bestandteil des Lebens empfunden werden. Und natürlich gibt es auch Bären und schwergewichtig skurrile Frauengestalten wie Injun Jane, Six-Pack Pam oder Lady Sky, eine nackte Fallschirmspringerin, die im Schweinestall landet. Überhaupt die Charaktere: Wieder einmal gelingt es dem Romancier, liebenswert warmherzige und humorvolle Gestalten zu erschaffen, die den Leser tief anrühren, mit denen er nur zu gern Freud und Leid teilt und die er mit dem Zuklappen des Buches noch lange nicht vergisst.

Irvings fulminantes Werk umfasst fünf Jahrzehnte und ganz nebenbei serviert er als Soundtrack zum Leben der Protagonisten die dazu gehörige amerikanische Geschichte. „Last Night in Twisted River” ist somit auch ein politisches Buch; der Autor nimmt zum Beispiel kein Blatt vor den Mund, wenn die Rede auf den vorigen US-Präsidenten kommt. Keineswegs nur deswegen kann ich den Roman uneingeschränkt wärmstens ans Herz legen, denn viel zu selten stößt man heutzutage auf derartigen literarischen Hochgenuss wortwitziger Fabulierkunst. Irving-Fans werden das Epos lieben und für alle anderen ist es die perfekte Chance für den Einstieg in das Werk dieses außergewöhnlichen Schriftstellers. Zu wünschen wäre freilich, dass bald auch den Nobelpreisrichtern die Nordlichter aufgehen und dort nicht immer nur belanglose Brabbler á la Herta „Lieschen“ Müller prämiert werden.


Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich