Ach was muss man oft von bösen Schlägern hören oder lesen, wie zuletzt als streitbare Anhänger des BVB Dortmund auf die Fans des Bayern-Jägers RB Leipzig losgingen. Mit seinem Romandebüt liefert Philipp Winkler nun prosaische Innenansichten dazu ab.
Hauptfigur ist der ganz und gar unzart besaitete Heiko K.. Er ist ebenso wie sein überschaubarer Freundeskreis eingefleischter Fan von Hannover 96. Wenn ihr Verein auf Tournee geht, richten sie gemeinsam mit Schlachtenbummlern von gegnerischen Mannschaften ihre ganz eigenen Spielpaarungen aus. Anstelle mit den Füßen wird mit Knien und Fäusten herausgefunden wer das stärkere Team ist, mal in Shopping-Malls, mal auf der grünen Wiese.
Heiko hat sich mit seinem scheidungs- und alkoholgeschädigten Vater überworfen, hat eine viertelintakte Beziehung zu seiner Schwester, lebt zur Untermiete bei einem schrägen Vogel auf dem Land, der ihn in im wahrsten Sinne des Wortes in tierisch krumme Geschäfte hinein zieht und hasst seinen Schwager, weil der die Verstachelung einer Frisur vermittelst Haargel für ganz toll Hipster hält. Seinen Lebensunterhalt verdingt er als Laufbursche im Boxstall seines Onkels Axel. Onkel Axel macht in der Szene den Talent-Scout und mischt auch selbst immer wieder mal handgreiflich mit. Zu seiner Ex-Freundin hält Heiko gebührend artige Trennungsdistanz.
Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Arten von Freizeitgestaltung nicht ganz ohne Risiken für die Gesundheit bleiben und so werfen enge Freunde nach und nach das Handtuch, sie wollen oder sie können ob ihrer zerschlagenen Glieder einfach nicht mehr. Allein Heiko bleibt seinen Randale-Idealen treu. Im Prinzip ist damit auch über die zentrale Schwäche des Romans schon viel gesagt. Es mutet durchaus kurz gegriffen an, wenn der Autor seinem Protagonisten jedwede Sehnsucht nach einer höheren Solidarität, nach sinnstiftender Zugehörigkeit abgehen lässt. Die vor Kampfeslust berstenden Frontlyriker des ersten Weltkrieges hatten zumindest zu Beginn ihren Spaß, Schutzschildbürger für Kaiser und Vaterland zu sein, die Freikorpsliteraten der zwanziger Jahre, die Schauweckers und Ballas ihren Glauben an die Wiedererweckung der Nation. Bei dem eigentlich gar nicht mal so unhellen Heiko führt der Kampf dagegen ein Waisendasein, ist ein inneres aber gänzlich isoliertes Erlebnis.
Hochexplosiver Gemütszustand bleibt im Wesentlichen sich selbst überlassen und die Story damit zur relativen Flachheit verdammt. Mit Nazis will er, wenngleich er nichts dabei findet, Schwule zu klatschen, auch nichts zu tun haben. Mit dem Verweis auf familiäre Zerrüttungen und eine sich im Wesentlichen selbst kultivierende Perspektivlosigkeit wird auch tief in die Kiste gängiger Erklärungsmuster gegriffen.
Die Sprache ist es, die das Tagebuch des inneren Grolls dennoch lesenswert macht. Trotzige Sarkasmen wie der Nachbar, der zum Herumkrakeelen seine Visage über den Gartenzaun schiebt oder ein Stillleben seines Onkels Axel, wie er sich in seiner „Schnellficker-Jogginghose“ auf einem kurz vor dem Spagat stehenden Stuhl herumfläzt sind einfach gelungen und machen Lust auf mehr. Wie die Karabinerhaken klinken sie sich an dem geheimen Spott-Voyeurismus des Lesers fest und trösten sogar über die Dichte der Kraftausdrücke und Unappetitlichkeiten hinweg. Über die durchaus gekonnten dramatischen Zuspitzungen hinaus halten sie Neugier und Leselust am Laufen und schaffen es, das Poesiealbum der fliegenden Fäuste tatsächlich in Literatur zu verwandeln.
312 Seiten


Schuld und Verstrickung sind ohne Zweifel geeignete Themen für einen Längen-, Breiten- und Tiefenroman von 650 Seiten und wenn die Handlung unmittelbar nach dem Ende einer Diktatur angesiedelt ist erst recht. Dann lässt sich genug aus dem Vollen schöpfen, um mit einer politischen und privaten Schiene sogar zweigleisig zu fahren.
Es gibt Romane, die mitunter auch von fernen Landen und Leuten erzählen. Man hat es in einem solchen Fall mit einer Art von prosaischem Reiseführer zu tun, die freilich anders als diese der Fiktion sei Dank nicht an die Werbetauglichkeit von Worten und Inhalten gebunden sind. Vielmehr kann sich ein Roman den Mut zur Ungeschminktheit leisten und das tut „Tanz der Kakerlaken“ beträchtlich.
Die ersten Alzheimer-Symptome können durchaus noch alltäglich sein, vorübergehender Verlust von Gedächtnis und Orientierung, aufkeimende Schrulligkeiten. Es dauert seine Zeit, bis die sichere Diagnose vorliegt und man endlich aufhört, mit der Person zu schimpfen und eigentlich die Krankheit zu meinen. Über das was dann kommt hat der österreichische Schriftsteller Arno Geiger ein sehr persönliches Buch geschrieben. Es erzählt über die Alzheimer-Erkrankung seines Vaters, darüber, wie einem geliebten Menschen, für den er immer noch viel an kindlichem Aufblick übrig hat, das geistige Navigationssystem abhanden kommt. Das Buch beginnt mit Szenen aus dem ganz alltäglichen und doch nie wieder alltäglich werdenden Umgang der beiden miteinander. Es sind Momentaufnahmen einer wegziehenden Vernunft. „Früher hatte ich auch Katzen“ entfährt es dem Vater beim Anblick einer Katze „nicht gerade für mich alleine, aber als Teilhaber“. „ Es geschehen keine Wunder aber Zeichen. Ohne Probleme ist das Leben auch nicht leichter“, lautet die Antwort auf die Frage seines Sohnes, wie es ihm geht. Solche und andere, immerhin im mittleren Stadium getane Äußerungen geraten zu Kartengrüßen aus einer ganz neuen Welt. Es ist eine Welt in der die Grundgesetze der Sachlichkeit und Zielstrebigkeit nicht mehr gelten, in der es dem Vater aber dennoch gelingt, sich über längere Zeit mit bewundernswerter Leichtigkeit zu behaupten.