Utopien sind wie Horizonte. Man erreicht sie nie, aber wer sich ihnen nicht nähert, tritt auf der Stelle. Das aus dem Altgriechischen stammende Wort “Utopie” bedeutet aber auch Nichtörtlichkeit, auch Nirgendwo genannt. Nun ist die Vermessung von etwas Nichtörtlichem keine leichte Angelegenheit, aber die Autoren Raul Zelik, politischer Romancier und Elmar Altvater, ehemals Professor für politische Ökonomie und heute Attac-Mitglied lösen das Titelrätsel schon gleich im Vorwort auf. Es ist eine Art Negativvermessung gemeint, ein Aufzeigen, was eben nicht mehr so weitergehen soll wie bisher, damit es in Zukunft ein wenig besser, um nicht zu sagen utopischer wird. Dazu arbeiten sich die beiden an allerlei Vergangenem und Gegenwärtigem ab. Sie sinnieren darüber, wie sich die wissenschaftliche Ökonomie von ihrer ursprünglich normativen Einbettung in Politik und Gesellschaft zu einer reinen Entscheidungslehre mit dem Fetisch Gewinnmaximierung entwickeln konnte. Sie untersuchen den Patienten Gegenwartskapitalismus, tasten ihn auf Brüchigkeiten und Porösitäten ab. Sie gehen detailliert auf die große Krise ein, jene gewaltige Polonaise an Wertevernichtung, wenn das Kapital anstelle realen Zinsnachwuchses zu viele spekulative Fehlgeburten hervorbringt. Da platzen erst reihenweise Hypotheken, die Besitzer fliegen aus ihren Häusern, der Immobilienmarkt implodiert infolge seines Überangebotes und die Häuser beginnen zu vergammeln, weil niemand mehr drin wohnt, bis sie eine Adresse für die Abrissbirne werden. Aber auch der Sozialismus kriegt sein Fett, denn dieser hat, so Altvater und Zelik, anders als der Kapitalismus sein 1968 nicht als Chance zur Verjüngung begriffen, sondern buchstäblich mit Panzern platt gemacht. Außerdem hat er den untauglichen Versuch unternommen, mit dem Kapitalismus in ein und dieselbe Kampfarena, die des Massenkonsums und des Wirtschaftswachstums zu steigen. Gelegentlich schimmert es auch tiefgrün, wenn die Vergesellschaftung von natürlichen Ressourcen gefordert wird, weil anders als spekulative Gewinnblasen die Erdöl- und Luftvorkommen eben nicht von alleine wachsen und man aus einem Aquarium wohl eine Fischsuppe machen kann, aber aus einer Fischsuppe kein Aquarium.
Der Text ist dialoggeformt, ein Kamingespräch zwischen Buchdeckeln, ein Reißverschluss an Einvernehmen und Ergänzung. Das kommt nicht immer spannend aber dafür mit einem Hauch von knisternder Harmonie daher. Gelegentlich macht Zelik den visionären Vorprescher, um dann ein wenig altväterliche Zurückhaltung auferlegt zu bekommen.
So weit so gut. Ob und inwieweit die beiden dem Kapitalismus auch positive Tugenden wie die wettbewerbsgarantierte Weitergabe von Kostenvorteilen und treffsichere Leistungsanreize abgewinnen können, wird über die gesamte Lektüre hinweg nicht so ganz klar. Wenn Zelik die Entmachtung herrschender Eliten vorschlägt, und dass Produzenten und Konsumenten demokratisch über den Einsatz von Produktionsmitteln bestimmen sollen, dann droht die Sache gegen Ende doch etwas ins räterepublikanische Fahrwasser abzudriften. Auch Altvaters Kernbehauptung, dass es für lebbare Alternativen zum Kapitalismus keiner umerzogenen oder gar komplett neuen Menschen bedarf, sondern dass die bereits vorhandenen Vorkommen an Verstand, Solidarität und Verantwortungsgefühl dazu vollkommen ausreichen, darf in ihrer Breitenannahme durchaus angezweifelt werden. Seine Verweise auf die anonym und unentgeltlich mitgestaltete Internet-Enzyklopädie Wikipedia” und auf das Open-Source-Betriebssystem Linux,” das ebenfalls als freie und offene Kooperation im Internet weiterentwickelt wird, liefern immerhin ein paar Belege dafür, dass Wirtschaften nicht immer nur auf dem Konkurrenzgedanken basieren muss, sondern durchaus auch solidarisch angelegt sein kann. Dadurch gelingt es den beiden aus dem großen rätselhaften Nirgendwo ein paar kleine wenn auch zaghafte Irgendwos zu machen. Ansonsten ist das Werk eher als kleiner Katechismus an teilqualifizierter Kapitalismuskritik einzuordnen.