Und wir scheitern immer schöner

In Fortsetzung seines Erstlings »Ich hab die Unschuld kotzen sehen« geht Bernemann auch in seinem zweiten Werk hart zur Sache. Von wem oder was auch immer getrieben sucht er nach einem bescheidenen Seelenasyl, um sich niederzulassen. Diesen Platz suchen auch seine Figuren, und sie glauben wohl, den Seelenfrieden vor allem in der körperlichen Vereinigung finden zu können.

Die schöne Unschöne namens Anne, die sich im Morgengrauen kurz vor dem Alkoholkoma aus einer Dorfdisco abschleppen ließ, fühlt sich für einen Augenblick geliebt. Dabei ist sie in den Händen eines hirnlosen Stechers, der sich nur abreagiert und sie entwürdigt. Wer die grandiose Beschreibung eines seelenlosen Ficks aus der Sicht eines Mannes lesen will, der wird bei Bernemann gekonnt bedient. Gnadenlos geht es in dem Text zu, weil die Darstellung der Reise ins Orgasmusland klar und wahr ist und lächerlich wenig mit Zuneigung oder Liebe und grauenhaft viel mit unterirdischen Trieben gemein hat.

Anne überfährt am Morgen nach der durchfickten Nacht auf dem Weg zur Arbeit ein kleines Kind. Erschreckt verstaut sie den toten Körper im Kofferraum, später in der Gefriertruhe. Sie will nicht schuld sein, sie will nur weg. Der katholische Priester, der den Eltern des verschwundenen Mädchens Trost spenden soll, denkt mehr an wilde Ritte auf seiner Haushälterin und an die Peitsche, mit der sie ihn domestiziert.

Der Sohn, der aus der unheiligen Allianz zwischen Priester und Haushälterin hervorging, gelangte in die Hände von Neonazis und entwickelte sich zu einem gepflegten Arschloch mit Kurzhaarfrisur. Bald hat er den ersten Menschen auf dem Gewissen: einen Türken, dem er mit einer Eisenstange den Kopf spaltete. Nazischläger zu sein, ist dem Siebzehnjährigen egal. Hauptsache, er ist irgendwer und bekommt die notwendige Anerkennung. Irgendwas für irgendwen zu sein, ist zu schwierig geworden, aber überhaupt irgendwer zu sein, ist auch gut. Wie geputzte Zähne. Dann schnappen ihn die Bullen, seine Nazifreunde distanzieren sich von ihm und werfen ihn der Einsamkeit zum Fraße vor. Im Knast lernt er Schausteller kennen. Er reist mit ihnen umher, ist sozial integriert und genießt die Freiheit im Kettenkarussell.

Im Karussell sitzt ein Familienvater. Er kann Frau und Kindern nicht mehr ins Gesicht sehen. Auf einer Geschäftsreise nach Spanien infizierte er sich bei einem einheimischen Kellner mit Aids. Dabei ist er nicht einmal schwul, er suchte nur etwas Nähe und Wärme.

So geht es munter weiter. Bernemann schlüpft in die Haut einer jungen Frau, die in der Disco einen Landschaftsgärtner abblitzen lässt, der sich wenige Tage später das Leben nehmen wird. Er versenkt sich in die Psyche eines Stiers, der in einer Arena abgestochen wird. Er beschreibt die Gefühle einer Frau mit einem durch Unfall entstellten Gesicht, von der sich Freier angeekelt zurückziehen; und er notiert auch noch die letzten Gedanken ihres krebskranken Vaters, der an diesem Gesicht schuld ist, auf dem Sterbebett.

Es ist immer Bodensatz, den der Autor durchpflügt, aufwühlt und beschreibt. Dem Normalbürger bleibt die Welt von Bernemanns Personal weitgehend unverständlich und verschlossen. Es ist die Welt derer, die aus verschiedensten Gründen, die häufig in ihrer Sozialisation zu finden sind, dem Motto huldigen: »Lebe schnell – Stirb jung«.

Ein unfreiwilliges Extremsterben also findet in diesem Buch statt, das in der Mythologie Figuren wie Kurt Cobain, Jim Morrison und Che Guevara angedichtet wird. Wieder mischen sich Kotze, Blut, Tränen, Speichel und Sperma in den Texten. Aggressionen, Mordlust, Angst vor Verletzungen und vermeintliche Coolness sind der Treibstoff der gescheiterten Helden, die schemenhaft durch das Buch geistern.


Genre: Pop-Literatur, Underground
Illustrated by Ubooks Diedorf

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