Seinetwegen

Literarisch ein Zwitter

Das Memoir «Seinetwegen» der Schriftstellerin Zora del Buono befasst sich mit der Leerstelle in ihrem Leben, welche sich aus dem Unfalltod ihres Vaters ergeben hat. Ihr Buch wurde für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert und in den Feuilletons positiv kommentiert. Der 33 Jahre alte Radiologe am Kantonsspital in Zürich, Dr. med. Manfredi del Buono, starb am 18. August 1963 im Alter von 33 Jahren und hinterließ seine Frau und Zora, seine acht Monate alte Tochter. In ihrem erzählenden Sachbuch berichtet die inzwischen sechzigjährige Autorin reportageartig im Präsenz von ihren Recherchen über den Unfall-Verursacher und über die Veränderungen, die gleichzeitig dabei mit ihr geschehen.

Die Mutter wie auch die Tochter haben kaum je über den Vater gesprochen. Und nun ist es zu spät, die demente Mutter ist in einem Pflegeheim und erkennt oft nicht mal mehr die eigene Tochter. Außer einem kritischen, ziemlich umfangreichen Leserbrief, der sich über das unglaublich geringe Strafmaß empört, findet sie bei ihrer Mutter nichts Schriftliches, das sie weiterbringen könnte. Der 28jährige Unfallverursacher, den die Autorin anfangs mit E. T. umschreibt, hatte in einem billig erworbenen, alten Chevrolet auf einer Landstrasse in der Nähe der Schweizer Kantons-Hauptstadt Glarus einen Heuwagen überholt. Dabei hatte er den entgegen kommenden VW-Käfer übersehen, in dem ihr Onkel am Steuer saß und ihr Vater als Beifahrer. Der «Töter», wie Zora den Unfallverursacher bezeichnet, war voll geständig, er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren auf Bewährung und zu 200 Franken Geldstrafe verurteilt.

Was ist aus E. T. geworden, fragt sich die Ich-Erzählerin. Lebt er noch, inzwischen 88jährig? Hat er je Kontakt zu seinem «Opfer» gesucht? Wie ist er ein Leben lang mit dieser schweren Schuld umgegangen? Je mehr sie über den «Töter» erfährt, desto erschreckender wird ihr bewusst, dass sie herzlich wenig über ihren Vater weiß. Von ihm existieren zwar einige auch im Buch abgedruckte Fotos, aber was für ein Mensch er war über das rein Berufliche hinaus, das bleibt für immer im Dunkeln. Aber auch die Fakten geben Rätsel auf. Der alte Chevrolet hatte 2200 Franken gekostet und war kurz vor dem Unfall für über 4600 Franken in der Werkstatt, woher hatte der junge Mann so viel Geld? Und warum waren trotz Werkstattbesuch die Reifen völlig abgefahren und die Bremsbeläge bis auf die Nieten herunter verbraucht? Der überholte Heuwagen erwies sich im Nachhinein als von einem Kind gelenkter Milchwagen, der im Gegensatz zu einem hoch aufgetürmten Heuwagen dem Unfall-Verursacher volle Sicht auf die Gegenspur ermöglicht hat? Besonders erfolgreich erwies sich neben allerlei eigenen Recherche-Ergebnissen schließlich ein Historiker, der Einblicke in viele Archive hat und Zora weitere Details auch über ihre Familie liefert.

In eine Liste der «Deformationen» hat die Autorin unter anderem ihre immer dann aufkommenden Irritationen eingereiht, wenn irgendwo von «schweren Schicksalsschlägen» die Rede ist. Ebenso in dieser Liste findet sich auch ihr «Befremden über intakte Familien». Sie enthält zudem die Probleme der unverheiratet gebliebenen, lesbischen Zora mit «Zweierbeziehungen». In ihren wilden Jahren habe sie aber immerhin zwei Jahre mit einem schwulen Mann zusammen gelebt, fügt sie keck hinzu. In gelegentlichen, durchnummerierten Einschüben unter dem Titel «Im Kaffeehaus» diskutiert die Autorin in kleinem Kreis mit wechselnder Besetzung über verschiedenste, ihr Leben prägende Aspekte psychologischer Art, zum Beispiel über «frühe Bindungen». Der in einer sachlich kühlen Sprache geschriebene Text aus essayartigen Kapiteln und Einschüben mit soziologischen und psychologischen Fragestellungen ist ein freies Spiel mit Assoziationen. All das aber ist als Lektüre keineswegs überzeugend, weder als unterhaltsame Erzählung noch als wirklich ernst zu nehmendes Sachbuch. Ein misslungenes Memoir eben, und literarisch ein Zwitter!

Fazit:   miserabel

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Genre: Memoir
Illustrated by C.H. Beck München

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