Ein zwiespältiges Gefühl hinterlässt die Lektüre des Romans »Fucking Famous«, der im Klappentext als »Deutschlands abgründigste Roman-Satire über Instagram & Co., schamlose Selbstdarstellung im Zeitalter der Algorithmen, Hyper-Narzismus und das allgegenwärtige Mantra der Influencer: Mach dich zur Marke!« klassifiziert wird.
Anna Hashagen schildert darin den Aufstieg einer 39-jährigen Berlinerin, die alles dafür tut, Aufmerksamkeit zu erregen. Dazu bedient sie sich einer geheimnisvollen Freundin namens Tessa, die sie spektakulär in die Öffentlichkeit bringt. Was als bitterböse Abhandlung über Social Media, speziell Instagram, auftritt, liest sich allerdings auch wie die Abrechnung einer von mangelnder Aufmerksamkeit enttäuschten Autorin, die streckenweise hasserfüllt austeilt und über andere herzieht, die erfolgreicher auf dem Marketingklavier spielen.
Die Autorin lässt ihre Protagonistin Lotte Hohenfeld von einer Party zu anderen ziehen, im Blitzlichtgewitter über Laufstege schreiten und sich an im Bussi-TV aufgestiegene Promis kleben. Dabei nutzt sie den Mere-Exposure-Effekt, wonach Rezipienten, denen eine Person penetrant vorgesetzt wird, diesen Charakter irgendwann allein durch ihre Dauerpräsenz mögen. Wie eine formbare Knetmasse passt sich Lotte geschmeidig den Gegebenheiten der verschiedenen Plattformen im Netz an und versucht, sich selbst als stimmig und vor allem authentisch zu inszenieren.
In den sogenannten sozialen Medien zeigt sie dabei nicht nur ihren Alltag, sondern liefert ständig vermeintliche Beweise ihrer eigenen Bedeutsamkeit, indem sie auf exklusiven Events abhängt, zu denen Normalsterbliche keinen Zugang haben. Ein Leben ohne Beobachter empfindet sie als Höchststrafe. Erfolg gilt ihr als Synonym für Aufmerksamkeit. Sie steht im ständigen Wettbewerb mit den vielen Unsichtbaren auf dieser Welt, die unbedingt erfolgreich sein und gesehen werden wollen und dafür alles tun. Baby Schimmerlos und »Kir Royal« war gestern; um im Licht zu stehen, gilt es heute, das Instrument der Reichweitenoptimierung zu beherrschen, und das bedeutet: ununterbrochenes Powerposten.
Anne Hashagen verlässt immer wieder die Rolle der fiktionalen Erzählerin, indem sie persönliche Sichtweisen und Philosophien einflicht. Der Text liest sich streckenweise autobiografisch, wenn sie sich aus der Sicht ihrer Protagonistin mit dem österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard vergleicht, der in seinem einzigartigen Roman »Holzfällen« aus der Perspektive eines Ohrensessels über eine Wiener Abendveranstaltung lästert, zu der er geladen wurde. Dem Bernhard-Niveau, seiner Sprachgewalt und dem ätzenden Zynismus, mit dem er die Situation seziert, wird ihr Text allerdings nicht gerecht. Auch ein Bezug auf Franz Kafkas »Hungerkünstler«, der mit seiner längst aus der Mode gekommenen Kunst vergangener Tage mitansehen muss, wie die Zuschauermenge an ihm vorbei zum Käfig eines jungen Panthers strömt, greift nicht, zumal der Roman darin gipfelt, dass Lottes Accounts gehackt und vollständig von Tessa übernommen werden, die sie eigentlich erst erschaffen hat und in deren Bett sie letztlich landet.
Wer immer schon über Selfie-Berühmtheiten die Nase rümpft, Influencer als INFLUENZA buchstabiert und damit den Fußpilz des spätkapitalistischen Zeitalters meint, der wird in diesem Buch Bestätigung finden. Dem Rezensenten stellt sich die Frage, warum eine promovierte Wirtschaftwissenschaftlerin sich zu diesem Werk hinreißen ließ. Erklärlich wird es vielleicht an der potenziellen Zielgruppe: 70 Prozent der jungen Menschen geben als Berufswunsch an, Influencer werden zu wollen und greifen deshalb vielleicht zu der Lektüre, weil sie aufgrund des Untertitels »Wie ich zu einer Millionen Follower kam und dabei unendlichen Spaß hatte« einen Ratgeber erwarten.
Den Protagonisten spekulativ mit dem Autor gleichzusetzen ist wohl der peinlichste Kardinalfehler einer literarischen Rezension, nicht wahr?
Welcher Anonymus fühlt sich denn da auf den Schlips getreten? 😉
Steht doch dran 🙂
Wie sagte Alan Ginsberg einst so treffend: “The poet stands naked before the world! Are you willing to stand naked before the world?”