Das Buch über Edward Gorey, den Großmeister des Kuriosen, ist eine Hommage an einen der ungewöhnlichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Es taucht tief in Goreys faszinierende Welt ein, die zwischen surrealistischem Humor, düsterer Melancholie und subtiler Gesellschaftskritik oszilliert.
Inhalt und Gestaltung
Der Band führt den Leser durch Goreys vielschichtige Werke, die von grotesken ABC-Büchern bis hin zu viktorianisch angehauchten Illustrationen reichen. Besonders beeindruckend ist die umfangreiche Sammlung von Goreys Buchkunst, die seine Liebe zu Details und seine unverwechselbare Ästhetik unterstreicht. Der kritische Blick auf seine stilistischen Kontraste – von makabren Kindergeschichten bis hin zu charmant absurden Puppenfiguren – macht das Buch nicht nur zu einer Werkschau, sondern auch zu einer Analyse seines künstlerischen Vermächtnisses.
Walter Moers als Erzähler
Walter Moers’ Beitrag zu diesem Buch geht weit über die Rolle eines bloßen Herausgebers oder Übersetzers hinaus. Er agiert als Vermittler zwischen Edward Goreys komplexem, oft schwer greifbarem Werk und der deutschsprachigen Leserschaft. Mit seinem unverwechselbaren Stil und seiner Leidenschaft für das Skurrile gelingt es ihm, Goreys Schaffen in einen größeren kulturellen und literarischen Kontext zu stellen, ohne dessen Eigenheiten und Rätselhaftigkeit zu glätten.
Moers’ Einleitung und Kommentare sind nicht nur informativ, sondern auch charmant geschrieben. Er beleuchtet Goreys kreative Eigenheiten, wie seine Vorliebe für Pseudonyme, und sein zurückgezogenes Leben auf Cape Cod, ohne dabei ins Anekdotische abzudriften. Der humorvolle Ton, den Moers oft einfließen lässt, passt wunderbar zu Goreys Werk, das sich ebenfalls nie zu ernst nimmt.
Sprachliche Feinfühligkeit
Die Übersetzungen von Goreys Texten durch Walter Moers sind ein Kunstwerk für sich. Goreys Stil ist geprägt von einem lakonischen Humor und einer poetischen Präzision, die Moers meisterhaft ins Deutsche überträgt. Besonders herausfordernd sind die Moritaten, makabren Verse und komplexen Wortspiele, die Goreys Werke durchziehen. Moers meistert diese Schwierigkeiten mit Bravour, indem er nicht nur den Sinn, sondern auch den Tonfall bewahrt und den poetischen Rhythmus einfühlsam adaptiert.
Literarische Vermittlung
Moers fungiert in diesem Buch auch als Kommentator und Erzähler. In seinem Vorwort und den begleitenden Texten zu Goreys Werk schafft er eine Brücke zwischen der englischsprachigen Originalkultur und der deutschen Leserschaft. Er liefert biografische Hintergründe, die Goreys Eigenheiten – wie seine Vorliebe für Pseudonyme oder seine enigmatische Persönlichkeit – verständlich machen, ohne den Künstler dabei zu entzaubern. Moers zeigt auf, wie Goreys Werk zwischen den Genres oszilliert: von Kinderbuch über Gothic Horror bis hin zu surrealistischer Kunst, und ermöglicht so eine ganzheitliche Betrachtung des Künstlers.
Humor und Einfühlungsvermögen
Was Moers’ Kommentierung besonders lesenswert macht, ist sein feiner Humor, der perfekt zu Goreys oft ironischen und absurden Arbeiten passt. Seine Formulierungen spiegeln die Verspieltheit und den subversiven Geist wider, der auch Goreys Werke durchzieht. Gleichzeitig wahrt Moers immer Respekt vor Goreys Schaffen und vermeidet es, dessen Vielschichtigkeit auf einfache Erklärungen zu reduzieren.
Kontextualisierung und Kuratierung
Neben der sprachlichen Arbeit hat Moers eine große Leistung in der sorgfältigen Auswahl und Anordnung der Texte und Illustrationen erbracht. Die Kapitel sind so gestaltet, dass sie sowohl Gorey-Neulingen als auch Kennern einen roten Faden bieten. Moers stellt thematische Verbindungen her und gibt dem Leser eine Orientierungshilfe durch Goreys umfangreiches und vielfältiges Werk. Er weist auf die historischen und kulturellen Einflüsse hin, die Gorey geprägt haben – von viktorianischer Literatur über japanische Holzschnitte bis hin zum amerikanischen Ballett – und zeigt, wie Gorey selbst diese Elemente in seine Kunst integriert hat.
Moers’ eigener Stil als Bereicherung
Nicht zu übersehen ist, dass Walter Moers selbst ein Meister des Skurrilen ist. Seine eigene literarische Stimme, bekannt aus Werken wie Die Stadt der träumenden Bücher, ergänzt Goreys Werk auf subtile Weise. Man spürt, dass Moers sich Goreys Welt nicht nur analytisch, sondern auch intuitiv nähert. Dies verleiht seiner Würdigung eine persönliche Note, die den Leser in den Bann zieht.
Fazit
Walter Moers gelingt es, Edward Gorey nicht nur für ein deutschsprachiges Publikum zugänglich zu machen, sondern sein Werk auch in neuer Weise erlebbar zu machen. Seine sprachliche Kunstfertigkeit, seine einfühlsamen Kommentare und sein Verständnis für Goreys subversiven Humor machen dieses Buch zu einer doppelten Entdeckungsreise – sowohl in Goreys eigenwilliges Universum als auch in Moers’ kunstvolle Interpretation dieses einzigartigen Künstlers.
Dieses Buch ist ein Muss für Fans von Edward Gorey und für Liebhaber skurriler, tiefgründiger Kunst. Es fängt den Geist eines Mannes ein, dessen Werke ebenso zeitlos wie schwer greifbar sind. Gorey wird hier nicht nur als Künstler, sondern auch als Persönlichkeit gefeiert – und bleibt dabei ebenso rätselhaft wie faszinierend. Walter Moers gelingt es, Goreys Werk einer neuen Generation zugänglich zu machen, ohne dabei dessen Aura des Geheimnisvollen zu zerstören.
Eine meisterhafte Würdigung eines Ausnahmekünstlers!