Null Bock
Es gibt nicht viele Schriftsteller, deren Ruhm sich praktisch auf einen einzigen Roman gründet wie bei Jerome David Salinger mit seinem 1954 erschienenen Klassiker «Der Fänger im Roggen». Nicht nur dass unzählige Schüler und Studenten sich damals mit dem Buch als Pflichtlektüre befasst haben, das Jahrzehnt des Erscheinens seines einzigen Romans wurde in der US-amerikanischen Literaturgeschichte sogar häufig als «Ära Salinger» bezeichnet. Der ungemein erfolgreiche Roman hat die Leserschaft damals schon polarisiert, und er tut es heute immer noch. Was keineswegs gegen ihn spricht, wie ich meine.
Holden gehört nicht zu den Romanhelden, die man sympathisch finden oder mit denen man sich identifizieren könnte als Leser. Als 16-Jähriger hat er Probleme mit dem Erwachsenwerden, verweigert jegliche Leistung, die unabdingbar scheint auf dem Weg ins Leben. Und damit in eine Welt; die er zutiefst verachtet, weil er sie als verlogen durchschaut hat. Wegen seiner Null-Bock-Haltung fliegt er aus dem College und durchlebt eine traumatische Odyssee auf dem Weg nach Hause. Anders als Goethes Werther verzweifelt er an der Gesellschaft, sucht den alternativen Lebensentwurf. Erst spät wird ihm klar, dass er vom einfachen Leben träumt, in einer einsamen Blockhütte mit Frau und Kindern.
In diesem Szenario bewegt sich der nur drei Tage umfassende, einsträngig erzählte Plot, dessen Ich-Erzähler einerseits merkwürdig reif und altklug wirkt, der aber durchaus auch noch kindlich erscheint, insbesondere was seine Sprache anbelangt. An der scheiden sich nämlich die Geister, besser gesagt die Leser, es ist ein unflätiger Slang, der gleich mehrere Probleme aufwirft. Erstens ist so etwas immer schwer zu übersetzen, auch ist der Jugendjargon vor sechzig Jahren ein anderer gewesen als heute, und außerdem besteht generell eine Krux darin, dass die Generationen sich zuweilen auch sprachlich fremd sind. Eine im aktuellen Argot geschriebene Geschichte dürfte auf viele Leser genau so abstoßend wirken, mir fällt da als Beispiel spontan «Axolotl Roadkill» von Helene Hegemann ein. In vielen Rückblenden, oft als Bewusstseinsstrom erzählt, breitet Salinger das Leben seines Helden vor uns aus, er beginnt mit dem Satz: «Wenn ihr das wirklich hören wollt, dann wollt ihr wahrscheinlich als Erstes wissen, wo ich geboren bin und wie meine miese Kindheit war und was meine Eltern getan haben und so, bevor sie mich kriegten, und den ganzen David-Copperfield-Mist, aber eigentlich ist mir gar nicht danach, wenn ihr’s genau wissen wollt». Zu diesem sprachlichen Duktus gesellt sich ein köstlicher, unterschwelliger Humor, so wenn Holden zum Beispiel von seiner Großmutter schreibt: «… sie schickt mir ungefähr viermal im Jahr Geld zum Geburtstag». Oder er sinniert darüber, dass er sich eine Lungenentzündung holen könnte und daran stirbt. «Dann überlegte ich, wie diese ganze Blase mich in einen verfluchten Friedhof steckte und so, mit meinen Namen auf dem Grabstein und so. Um mich rum lauter tote Typen. […] Und dann kommen am Sonntag Leute und legen einem einen Strauß Blumen auf den Bauch und den ganzen Mist. Wer will schon Blumen, wenn er tot ist? Keiner». Er spricht häufig den Leser auch direkt an, so wenn er von seinem früh verstorbenen Bruder erzählt: «Ihr habt ihn ja nicht gekannt».
Die Gedichtzeile von Robert Burns «Wenn einer einen trifft, der durch den Roggen kommt» hat Holden falsch verstanden und «trifft» durch «fängt» ersetzt, in seiner Phantasie sieht er sich nämlich, wie er kleine Kinder fängt, die im Roggenfeld herumlaufen und eine Klippe hinunter zu stürzen drohen. Und auch er fällt letztendlich nicht, er ist geläutert durch seine kleine Schwester, die er innig liebt, die er beschützen will. Genau dies ist das Motiv, das im kryptischen Titel dieses berühmten, aber auch schwierigen Romans anklingt, der zu vielfältigen Interpretationen einlädt über Generationen- und Gesellschaftskonflikte wie auch über sexuelle, moralische und psychologische Aspekte.
Fazit: lesenswert
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