Verwirrung in der Gelehrtenstube
Literatur und Philosophie existieren ja nicht selten in symbiotischer Form, meist in Person eines geistigen Schöpfers, als Dichter und Denker bezeichnet, der alle beiden Kulturgattungen bedient, Nietzsche sei als Beispiel genannt. Eng verbunden sind diese Disziplinen aber auch dadurch, dass alle Denkergebnisse irgendwie fixiert werden müssen, sollen sie für die Nachwelt erhalten bleiben, und damit werden sie zwangsläufig zu Literatur. Im vorliegenden Roman bildet die philosophische Wissenschaft den reizvollen Hintergrund für eine raffiniert aufgebaute, komplexe Geschichte, die schon durch ihren Titel als Hommage an den Professor gleichen Namens gedeutet werden darf.
Die Autorin bindet einen Löwen in ihre Handlung ein, den der Gelehrte zunächst als Hirngespinst oder Studentenulk ansieht, der sich in seiner Symbolträchtigkeit jedoch immer mehr als Trostspender und gedanklicher Ruhepol erweist. Mit viel Komik und gekonntem Sprachwitz wird munter fabuliert in diesem ungewöhnlichen Roman mit seinem gewagten Titel, der ja suggeriert, hier stehe der gleichnamige Philosoph und sein Denksystem im Mittelpunkt, was manche Leser mutlos machen könnte. Keine Sorge! Äußerst elegant und schwungvoll führt Lewitscharoff durch ihre originelle Geschichte, und auch wenn man, wie ich, nicht jeden Hintersinn, jede Andeutung versteht als blutiger Laie in Sachen Philosophie, liest man dieses Buch gleichwohl mit geistigem Gewinn, vom geradezu königlichen Lesespaß ganz abgesehen.
Im Milieu professoraler Gelehrsamkeit erleben wir Blumenberg in seinem Arbeitszimmer und in der Vorlesung, einer, der fleißig seine Wissenschaft betreibt und hohe Anerkennung genießt bei seinen ehrfürchtigen, von ihm aber kaum wahrgenommenen Studenten. Vier von ihnen, ergänzt um eine wundersame Nonne, sind die anderen Protagonisten, die ihn in einer Collage von kunstvoll verschachtelten Geschichten umkreisen. Alle Figuren sind liebevoll und eindringlich beschrieben, sie stehen dem Leser beinahe plastisch gegenüber, sind greifbar nahe in dieser zweiten Erzählebene. Ergänzend sind zwei köstliche Kapitel eingeschoben, in denen der Erzähler auf sehr unterhaltsame Weise über Inhalte und Konstruktion seines Textes nachdenkt. «Ob der Erzähler wirklich wissen kann, was einem Selbstmörder zuletzt in den Sinn kommt, ist fraglich» heißt es da. Das Buchstabenleben des Romans und seine Gedankenwelt wird hier verschmitzt hinterfragt. Aber dass man einen Selbstmord so absolut unpathetisch schildern kann hat mir denn doch den Atem verschlagen.
Nach dem Tode aller Protagonisten treffen sie im Jenseits wieder zusammen, auch der Löwe ist zur Stelle. Mit ihrem rätselhaften Bericht aus einer Höhle (wem dämmert da was?) eröffnet die Autorin reichlich Raum für Interpretationen, mit denen man noch beschäftigt ist, lange nachdem man das Buch zu Ende gelesen hat. Was dem Atheisten Blumenberg und den anderen Figuren widerfährt, das langsame Verlöschen ihrer Existenzen, deutet für mich jedenfalls darauf hin, dass dieser Ort eine Vorstufe zum Nirwana ist, Himmel und Hölle existieren ja nicht. Dieses Buch ist ein meisterhaft geschriebener, wunderbar geistreicher Roman, der im wahrsten Sinne des Wortes bereichernd ist, ein selten zu findendes, intellektuell anspruchsvolles Lesevergnügen obendrein.
Fazit: erstklassig
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