“Cancel Culture” – Ende der Aufklärung? Ein Plädoyer für eigenständiges Denken

Was veranlasst uns dazu, jemanden einer Plattform zum Meinungsaustausch zu berauben? Warum bestehen so viele Unstimmigkeiten bei der Definition des Begriffs „Cancel Culture“? Verstößt „Cancel Culture“ tatsächlich gegen den demokratischen Toleranzgedanken? Oder weist gerade die Demokratie gesetzliche Lücken auf, derer sich verschiedene politische Lager mithilfe des Cancelns schamlos bemächtigen? Ist jede Form der Meinungsverweigerung als „Cancel Culture“ klassifizierbar, ist sie jemals gerechtfertigt?

Der Philosoph und Ex-SPD-Kulturminister Julian Nida-Rümelin widmet sich in seinem neuen Sachbuch „Cancel Culture – Ende der Aufklärung? Ein Plädoyer für eigenständiges Denken“ u. a. den obigen Fragen.

Expertokratie, Szientismus – das Ende der Demokratie?

Nida-Rümelin untersucht Phänomene der „Cancel Culture“ avant la lettre in unterschiedlichen Zeitepochen. Er nennt Bedingungen für den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft sowie Umstände, unter denen er diese gefährdet sieht. All das untermauert er mit philosophisch-politischen Ansätzen: Von Plato und Aristoteles bis hin zu Thomas Hobbes, John Locke, Immanuel Kant und John Rawls.

Cancel Culture – so der Autor – behindere das Projekt der Aufklärung. Diesem zufolge besitze jeder Mensch die Fähigkeit , sich unabhängig vom Staat ein politisches Urteil zu bilden. Obwohl sich Nida-Rümelin da eher skeptisch zeigt, plädiert er dennoch für die Förderung eines Vernunftverständnisses. Dieses müsse weniger auf wissenschaftlicher Expertise und mehr auf alltäglicher Lebenserfahrung basieren.

Nida-Rümelin übt Kritik an Expertokratie und Szientismus aus. Wissen und empirische Wissenschaften dürften keineswegs von Eliten für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Stattdessen müssten sie in verständlicher Sprache in die öffentliche Zivilgesellschaft eingebettet werden, um populistische Bewegungen oder Hetzkampagnen einzudämmen. Nur so könnte man freies und kritisches Gedankengut ermöglichen. Der Hang zur Expertokratie habe spätestens seit Corona an Bedeutung gewonnen. Am Szientismus bemängelt der Autor von „Der Akademisierungswahn: Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung“ die nach wie vor existente „naive“ Vorstellung, außerhalb des Wissenschaftlichen liege kein Wahrheitsanspruch.

Leicht verklausuliert

Über Nida-Rümelins Implikation, bei der Leugnung von per se nicht widerlegbaren Selbstverständlichkeiten wie „Das ist ein Baum“ handle es sich schon um eine ungewollte, wenn auch nicht behebbare Form der Cancel Culture, lässt sich streiten. Und zwar dann, wenn der Behauptende für diese Aussage gesellschaftlich geschnitten wird. Man fragt sich, ob der Autor mit dieser Verklausulierung den kontroversen Gender-Diskurs im Sinne hatte. Immerhin nennt er am Ende der Abhandlung im Rahmen einer eigens aufgestellten „Cancel-Culture-Kasuistik“ den Fall Kathleen Stock. Stock ist eine britische Philosophin, die sich gegen eine Relativierung des männlichen und weiblichen Geschlechts aussprach, dafür als transphob gebrandmarkt und als Universitätsprofessorin gekündigt wurde.

Nicht unvoreingenommen

Während Nida-Rümelin der Cancel Culture vorwirft, unbeliebte und nicht übereinstimmende Meinungen zu unterdrücken, muss man beim Lesen dennoch die Stirne runzeln. Die – nicht ganz unvoreingenommene – Annahme des früheren SPD-Politikers, die „aktuell größte“ Gefahr für die Demokratie gehe weniger von einer linken Cancel Culture aus, lässt sich widerlegen: Das Verschwinden kanonischer Werke wie William Shakespeares „Sommernachtstraum“, August Strindbergs „Fräulein Julie“ oder Colson Whiteheads „Underground Railroad“ (einer POC!) von akademischen Leselisten und Bibliotheken oder das Umschreiben von Roald Dahls Kinderbüchern und Ian Flemings Spionage-Romanen (James Bond) sind Beispiele gefährlicher linker CC. Sie verzerrt das Verständnis kultureller Sachverhalte zugunsten politischer Indoktrination. Das „Umschreiben“ von Geschichte durch Anachronismen und eine geistige Verhätschelung junger Studierender sind nicht weniger radikal als Xenophobie, religiöser Fanatismus oder die Forderung eines Verbots von Trans-Lesungen für Kinder. Derartige Formen des Cancelns begünstigen solche Entwicklungen sogar.

Auch Joe Biden als „middle of the road“-Kandidaten zu bezeichnen, der „jeder radikalen Intellektulität“ fernstehe, ist nicht ganz unproblematisch. The New York Times und The American Presidency Project haben über Bidens stark schwankende LGBTQI+-Politik berichtet: U. a. von seiner Stimme für den Defense of Marriage Act 1996. Oder seinen Einsatz dafür, die finanziellen Bundesmittel für US-amerikanische Schulen zu streichen, an denen Akzeptanz von Homosexualität gelehrt wurde. 1973 argumentierte Biden, die Aufnahme Homosexueller ins Militär oder in die Regierung berge Sicherheitsrisiken. 1993 stimmte Biden für einen Änderungsantrag zur Kodifizierung des Verbots der dauerhaften Einwanderung von HIV-positiven Migranten durch das Gesundheitsministerium.

Thematisierung unterschwelliger Formen des Cancelns als Stärke

Das Plädoyer für Toleranz mutet etwas banal an. Das mag vielleicht daran liegen, dass der Autor hauptsächlich das Problem unterschiedlicher Auffassungen von Demokratie beleuchtet: Demokratie als Realisierung individueller Rechte und Freiheiten vs. Einschränkung derselbigen durch eine kollektive Entscheidungsinstanz. Eine der Stärken der Streitschrift ist dennoch die Frage nach einer möglichen Existenz einer berechtigten Form von Cancel Culture, z. B. in Form des Arco Costituzionale in Italien nach dem Ende des 2. WK. Dazu gehört auch die Frage, inwiefern die subtilere „Cancel Culture“ zensorische Kontrollmaßnahmen toppt und warum sie sich gesetzlich so schwer fassen lässt. Man denke nur an Facebooks inkonsistente community rules und den Fall des Whistleblowers Julian Assange. Oder an Till Lindemann und die Versuche der Wiener Grünen, Rammstein-Konzerte zu boykottieren.


Genre: Politik und Gesellschaft, Sachbuch
Illustrated by Piper Verlag München

GESCHICHTE DER ZÄRTLICHKEIT Die Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud

Let’s talk about sex, sang die Band Salt n Pepa im Jahre 1990. Ein Appell an die Offenheit, sich über die individuellen Wünsche und körperlichen Bedürfnisse auszutauschen, diese zu berücksichtigen, ohne sie dem Gegenüber aufzudrängen. Kurz: Sex in Absprache und Übereinstimmung miteinander, aus freier Wahl.

Was für uns heute selbstverständlich klingt, nahm in Europa seine offiziellen Anfänge mit Napoleon Bonapartes Einführung des Code Civil Anfang des 19. Jahrhunderts. Sex sollte nicht mehr als Rechtspflicht in der bürgerlichen Ehe betrachtet werden – mit Betonung auf bürgerlich! Eine Frau konnte beispielsweise bei der Verweigerung von Sex nicht mehr schuldig gesprochen werden.

Aber wurden die sexuellen Machtstrukturen des Patriarchats dadurch tatsächlich gelockert oder einfach verschoben? Über welche Instanz, wenn nicht mehr über das Gesetz oder die Kirche, wurden diese geregelt? Inwiefern zerbrachen sich die Philosophen Rousseau, Kant, Hegel und Freud darüber den Kopf? Fragen, denen sich der deutsche Literaturwissenschaftler Johannes Kleinbeck in seinem neuen Sachbuch widmet.

Gemeinsamer Nenner Zärtlichkeit

Kleinbecks Hauptargument besagt, dass der Gedanke, Zärtlichkeit solle an die Stelle der Rechtspflicht des Ehevollzugs treten, zuerst von den oben genannten Philosophen formuliert wurde. Da wäre Rousseau, demzufolge sich Zärtlichkeit durch die Prägung der rohen körperlichen Triebe steuern ließe – die ‚Gebrauchsanleitung‘ dazu ist kein geringerer Roman als sein Emile. Immanuel Kant wiederum schwört – paradoxerweise in junggesellenhafter Gesinnung – während der Besatzung Königsbergs durch die Truppen der Zarin Elisabeth I. auf schöngeistig-höfische Galanterie und eine ästhetische Verfeinerung der Sinne.

Hegels Vorstellung fällt da weniger romantisch aus. Der Verlust der sinnlichen Begierde in der Ehe ist nicht beklagenswert, sondern eine Bereicherung in Sachen Zärtlichkeit. Das wusste Hegel als Verfechter der Nationalökonomie Adam Smiths auch aus eigener Erfahrung zu schätzen, seine um knapp 20 Jahre Frau jüngere Frau Marie weniger. Freud wiederum hatte es mit der Zärtlichkeit wie mit dem Koks. Wenn seine Verlobte Martha Bernays beides zu häufig und zu schnell mit anderen teilte, verlor es den Reiz des Speziellen, des Außergewöhnlichen.

Ein Elefant im Raum

Kleinbeck gelingt es, die unterschiedlichen Lesarten der Zärtlichkeit und deren Widersprüchlichkeiten in ihren jeweiligen historischen Kontexten auszuloten und zu zeigen, dass Zärtlichkeit nicht gleich sexuelle Freiheit in der Ehe bedeutet. Die Analyse von Freuds Briefaustausch mit seiner Verlobten hätte vielleicht zugunsten einer intensiveren Beschäftigung mit Napoleons Rezeption der Schriften Kants vor der Erlassung des Code Civil ein wenig bescheidener ausfallen können. Immerhin hatte Napoleon den französischen Offizier Charles de Villers mit der Übersetzung von Kants Schriften beauftragt.

Die gegen Ende der Abhandlung geäußerten Thesen gehen dann schon expliziter in Richtung Kapitalismuskritik und feministische Kritik. Seit den 1960ern und 1970ern, wo sich gleichzeitig mit der sexuellen Revolution die Institution Ehe aufzulösen begann, sei es zunehmend schwieriger geworden, Zärtlichkeit unabhängig von kapitalistischen Bedürfnissen zu praktizieren. Dass diese fragmentierende Trennung von (außerehelicher) Sinnlichkeit als Warencharakter und (ehelicher) Zärtlichkeit von Männern ersehnt sei, verlinkt Kleinbeck wiederum mit feministischen Ansätzen wie Virginie Despentes King Kong Theorie. Diese Argumente fallen, gerade weil sie im Schlussteil der Arbeit platziert sind, knapp aus. Dabei sprechen sie genau die wunden Punkte an, die näher zu erörtern es sich in dieser Abhandlung noch ausgezahlt hätte.

Letztlich wird die Frage „Ist Zärtlichkeit heute – unabhängig von der sexuellen Neigungmit alternativen Beziehungsmodellen als der von politischen Aktivist*innen gefürchteten Monogamie bzw. monogamen Ehe langfristig praktizierbar?“ zum Elefanten im Raum.


Genre: Kulturgeschichte, Sachbuch
Illustrated by Matthes & Seitz

Naturzauber durchs Jahr – Zauberhafte Deko-Ideen aus Naturmaterial

Die Autorin

Die Autorin studierte Werbegrafik und Kunst und ist im Bereich der Illustration und des Designs für Kinder unterwegs. Sie unterrichtete lange Zeit Kunst und Werken. Mittlerweile leitet sie Kurse für Lehrer und interessierte Erwachsene und unterrichtet Kunst und Musik. Außerdem war sie als Kind und später als Erwachsene viel im Wald/ in der Natur unterwegs, reist und fotografiert gern.

Naturdeko im Landhausstil

Das Buch beginnt mit Vorabinformationen, bevor es mit den Jahreszeiten losgeht, nämlich mit einer Auswahl an Materialien, mit denen man mit Fundstücken aus der Natur basteln und werken kann. Dann folgt eine Anleitung, wie man Naturmaterialien grundiert, wie man sie bestempelt, schattiert und schabloniert.

Den Großteil des Buches nehmen die verschiedenen Jahreszeiten ein und was man mit den dann vorhandenen Naturmaterialien kreativ machen kann. Frühlingszeit ist Osterzeit, also präsentiert die Autorin z.B. Häschen aus Baumscheiben, witzige Eierköpfe, ein Osternest aus Palmkätzchen, ein Gesteck mit Holzhase und Eiern, einen Hasen aus gebogenen Zweigen. Aber auch Holzvögel, Wiesenblumenkränze und andere frühlingshafte Bastelleien hat sie im Gepäck. Sommerliche Motive kann man basteln aus Steinen (z.B. Kakteen, Pilze); des Weiteren gibt es Holzhäuschen, Lavendel-Mäuse, Kirschkernkissen, Fischketten aus Holzfischen, Muscheln usw. und Leuchttürme aus Holzstäbchen. Der Herbst findet kreativen Ausdruck in Holzeulen mit Federn, Moosen, Zapfen, sowie Eichhörnchen aus Holz, Blätter-Mobile, Kürbisschnitzen, Engeln aus Mohnkapseln. Für den Winter präsentiert die Autorin Schneekristalle aus Ästen, Gräsern, Disteln, Sternanis, sowie Holzsterne, mit Serviettentechnik dekorierte Holzscheiben, Filzkugeln, Eisdeko, Bäume und Sterne aus getrockneten Orangen usw. Außerdem gibt sie am Ende des Buches Tipps für den Umgang mit Wiesenblumen (diese sind auch bebildert und beschriftet). Auch zu Gartenblumen und was man aus ihnen machen kann, gibt sie Tipps, ebenso für Blätter, Beeren, Früchte, Wald- und Strandmaterial. Im Buch ist auch ein Vorlagenbogen enthalten.

Insgesamt ist Pedevilla sehr bedacht darauf, reichlich Tipps zu geben, damit ihre Ideen beim Nachbasteln und Werken gut gelingen. Die Erklärungen und Anleitungen sind verständlich, übersichtlich und mit großen, schönen, stimmungsvollen Fotos der fertigen Werke gestaltet. Die Deko selbst ähnelt dem Landhausstil und ist für diesen natürlich eine tolle Ergänzung. Überhaupt sieht die Deko nicht wie eine Bastelei aus, sondern wie etwas, das man auch kaufen könnte. Vieles kann man mit den entsprechenden Materialien – die man z.T. aber erst besorgen muss, weil man sie nicht immer im Haus hat – gut nachbasteln, aber für manche Holzdeko sind Sägen und entsprechende Grundkenntnisse mit den einzelnen Sägen nötig. Die Ideen sind vielfältig und regen zu eigenen Kreationen an. Bei manchen, ansonsten sehr gut durchdachten Anleitungen habe ich mich allerdings das ein oder andere gefragt, was dann nicht erklärt wird, z.B.: Wie werden Orangen so getrocknet, dass sie nicht faulen oder schimmeln? Reicht eine gekaufte Alternative? Wie geht man mit einer Dekupiersäge um? Was muss man da beachten?

Die Werke sind z.T. auch zum Nachbasteln für größere Kinder geeignet. Kleinere können und wollen nicht einfach nachbasteln, was man vorgibt, deshalb sind diese Ideen für Familien mit kleineren Kindern nicht so geeignet. Sehr schön: Der Bezug zur Natur wird durch das Suchen und Verwenden von Naturmaterialien gefördert und vertieft, v.a. wenn man nach den Jahreszeiten bastelt.

Fazit

Für Bastelfans

  • die relativ einfach, aber stilvoll basteln wollen.
  • die die Natur und den Landhausstil lieben.

Genre: Deko, Natur, Sachbuch
Illustrated by Weltbild

Spuk-Orte in der Pfalz. Von Irrlichtern, Geisterhunden und Weißen Frauen

Cover des Buches Spukorte in der Pfalz (ISBN: 9783946587415)Burgen als Spuk-Orte

Rund einhundert Burgen kann man in der Pfalz besichtigen: keltische Fürstensitze, germanische Fluchtburgen, festungsartige Stadtruinen, Motten (älteste und einfache Burgen), salische und staufische Reichsfestungen, schlossähnliche Anlagen. Allerdings sind diese oft Ruinen, denn sie überlebten Bauernkrieg, lokale Fehden oder den Pfälzischen Erbfolgekrieg nicht. Nur wenige Burgen sind im 19. und 20. Jahrhundert wiederaufgebaut worden. Solche Burgen enthalten reichlich Geschichte(n). Das bedeutet allerdings auch viel Leid – und damit viele Geister. Aber nicht nur Burgen sind Orte, wo es spuken kann, sondern u.a. auch Felsen und Hinkelsteine. Dort begegnete oder begegnet man auch heute noch Weißen Frauen, Geisterprozessionen, Geisterhunden, einem unter der Burg schlafenden König, Raubrittern und Grenzsteinversetzern oder man hört seltsame Geräusche wie Klirren, Schnaufen, Atmen, Heulen.

Auch Spuk kann vielfältig sein

Dämonische Kröten sollen z.B. in der unheimlichen Falkensteiner Schlucht, auch „Hölle“ genannt, leben. Reizbare Kobolde und Geister umschwärmen die Ruine Hohenfels – einmal haben sie einen kaiserlichen Hauptmann in einen Rehbock verwandelt, der dann von einem Förster erschossen wurde. Zur immerwährenden Schlacht stellt sich ein Heer der Burg Leimigen auf: Sie sind dazu verdammt, weil sie ihren Herren verraten haben. Die Nonne Imagina brachte den Leichnam des Königs Adolf von Nassau 1298 nach einer Schlacht ins Kloster Rosenthal. In der Gruft, neben dem Leichnam, soll sie gleich darauf vor Kummer gestorben sein. Waldgeister soll es am Ungeheuersee im Leininger Sporn geben, außerdem lebte dort eine Waldfrau in ihrem Zauberschloss. Am Hochufer zwischen Waldsee und Neuhofen soll eine Weiße Frau umgehen. Auf dem Friedhof in Dannstadt tanzen Irrwische und im damaligen Dorfteich wohnte ein Wassermann.

Einer der Schlossherren von Hallberg war ein Despot und fristet sein untotes Leben als Poltergeist. Im Maudacher Bruch will 2004 ein Angler am Jägerweiher ein unbekanntes Flugobjekt gesehen haben. Im Krick, einem Sumpf zwischen Oppau und Edigheim, spukt ein schwarzer, riesiger Hund mit feurig-glühenden Augen, eine Sau mit Holzklumpen und eine dreibeinige Ziege. Nachdem die Schweden ein prächtiges Kloster im dreißigjährigen Krieg niedergebrannt hatten, spukt am Nachtweidebrunnen bei Mutterstadt ein Mönch herum. In Oggersheim treiben ein Kettenkalb, ein Hüttenhammel und ein schwarzer Hund ihr Unwesen. Im Weilacher Hof spukt ein Schmied, der früher zu einer Räuberbande gehörte. Gegenüber dem Felsen, auf dem die Burg Breitenstein errichtet wurde, wurde 1938 ein Altar für Vosegus ausgegraben: Man kennt ihn auch unter den Namen Pan oder Silvestris. Der Altar steht heute im Museum von Speyer. In der Kleinen Pfaffengasse in Speyer wurden die Bewohner 1756 durch Gespenster und andere ungewöhnliche Erscheinungen, sowie Poltern beunruhigt. Und der Teufelstisch erinnert an die Sage, dass der Teufel einst den dekadenten Schlossleuten der Dahner Burgen etwas auf der Fiedel vorspielte und sie nach einem Ärgernis enthauptete. Anschließend riss er zwei mächtige Sandsteinplatten aus dem Boden und stapelte sie zu einem Tisch auf – dem Teufelstisch.

78 pfälzische Spuk-Orte zählt das vorliegende Buch auf und erzählt knapp und gut verständlich die dazu passenden unheimlichen Geschichten. Die auf schwarzem Grund weiß gehaltenen Texte werden nicht nur durch diese Farbgebung des Hintergrunds, sondern auch durch die großen, atmosphärischen und mystisch wirkenden Schwarz-Weiß-Fotos der entsprechenden Orte sehr gut in Szene gesetzt. Autor und Journalist Ulrich Magin zeichnet sich für die Texte verantwortlich und hat ein Faible für die kuriosen Aspekte der Kulturgeschichte. Fotograf Peter Kauert fotografiert bevorzugt in Schwarz-Weiß. Beide zusammen harmonieren wunderbar und bescheren sowohl ein wohlig-schauriges Lese- als auch Seherlebnis – und wecken die Lust, diese Orte an Halloween/Allerheiligen erkunden zu wollen. Aber selbst wenn man sich das nicht traut, eignet sich das Buch an besagten Feiertagen hervorragend dazu, es in die eigene Halloweenfeier einzubauen und etwas daraus vorzutragen. Und ganz sicher hat nicht nur die Pfalz schaurige Orte zu bieten, sodass man angeregt wird, in der eigenen Heimat solche Spuk-Orte erkunden zu wollen.

Sehr gelungen!

 


Genre: Pfalz, Sachbuch, Spuk
Illustrated by Agiro

Aus den Filmen von Harry Potter. Magische Tierwesen. Mit zauberhaften Scherenschnitt-Silhouetten
by CHP

Das vorliegende Hardcover-Buch ist der 2. Band von Scherenschnitt-Silhouetten aus dem Harry-Potter-Universum (zuletzt “Magische Orte”). Diesmal geht es wie im Titel angekündigt um die magischen Tierwesen aus dieser Welt: Thestrale, Zentauren, Einhörner, Acromantulas, Drachen, Wassermenschen, Grindelohs, Dementoren, Basilisk, Inferi. Diese werden wieder in Untergruppen zusammengefasst. Die 3D-Papierschnitte sind mit Lasertechnik gestanzt.

Das Buch ist wieder so aufgebaut, dass pro Doppelseite eine Farbe vorherrscht, auf der linken Seite die Überschrift und ein passendes Zitat aus “Harry Potter” zu finden ist und auf der rechten Seite der 3D-Scherenschnitt mit einer Szene aus den Filmen. Die nächste Doppelseite zeigt neben den in derselben Grundfarbe gehaltenen Zeichnungen und Bildern aus dem entsprechenden Film die nicht nur im Scherenschnitt vorkommenden magischen Tiere und bietet in kurzen, prägnanten, verständlichen Texten Infos zu den Tieren selbst und wie sie für die Filme erzeugt wurden. Ergänzt werden die Texte durch Zitate aus den Filmen.

Das Buch selbst ist mithilfe fester Pappe hergestellt, sodass es ziemlich robust und stabil ist. Es bietet insgesamt 20 Seiten, die mit Text, Bild und Scherenschnitt gestaltet sind.

Eine sehr schöne, dafür aber mit 30 Euro auch teure Aufmachung für Fans.


Genre: Fantasy, Sachbuch, Scherenschnitt
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Das fabelhafte Pompom-Buch

Bildergebnis für Das fabelhafte Pompon-Buch. Größe: 163 x 185. Quelle: www.weltbild.at

Die Vielfalt der Pompoms – nicht nur für Kinder ein Spaß

Der Autor hat Grafikdesign studiert und ist Pompomkünstler und Unternehmer in Vietnam. Seit 2016 beschäftigt er sich begeistert mit Pompoms und hat mittlerweile sein Hobby zum Beruf gemacht. Er hat sich auf kleine Pompons spezialisiert, die man auch zu Ringen, Ohrhängern und Schlüsselanhängern verarbeiten kann. Wie man dabei vorgeht, zeigt er am Ende seines Buches: Das letzte Kapitel widmet er den Accessoires, die man aus Pompoms herstellen kann. Diese basieren auf den Formen, die er vorher im Buch beschrieben und vorgestellt hat.

Aber zunächst zum Anfang des Buches. In seinem Vorwort ermuntert er seine (erwachsenen!) Leser*innen, den Spaß am Fertigen von Pompoms zu entdecken und gibt eine kurze Einführung über seine Vorgehensweise in dem Buch. Auf den nächsten Seiten zeigt er jeweils in Großformat einzelne Pompombeispiele, wohl um den Appetit auf diese kleinen, süßen Kunstwerke anzuregen und um einen Einblick zu geben, welche Motive mit Pompoms möglich sind: Tiere, Nahrungsmittel, Smileys.

Bevor er mit den Leser*innen loslegt, informiert er sie verständlich in Wort und Bild darüber, welche Werkzeuge sie brauchen, welche Garnfarben es gibt und wie man seine Grafiken liest, die zur Anfertigung der Pompoms wesentlich sind. Die Grafiken muss man sich als Anfänger*in allerdings erst einmal genau anschauen, bevor man durchsteigt, wie sie zu verstehen sind. Ich hatte anfangs Schwierigkeiten damit, aber wenn man es einmal verstanden hat, sind sie gut zu lesen.

Um seine Leser*innen nicht zu überfordern, fängt er zunächst mit einfachen Motiven an und erklärt in einer Anleitung und einer bebilderten Schritt-für-Schritt-Folge, was genau man tun muss, bis man den fertigen Pompom in Händen hält. Er schafft damit die Grundlage für die Fertigung einzelner und miteinander verbundener Pompoms. Diese man wird später brauchen.

Dann unterteilt er seine Kapitel in Motiv-, Emoji-, Tier-, Frucht-, Lebensmittel-, Süßigkeiten-Pompons und -Accessoires. Mit fortschreitenden Kapiteln werden die Anweisungen kürzer, da Le wohl davon ausgeht, dass man mittlerweile immer mehr Übung im Wickeln der Pompoms und Lesen der Grafiken gewonnen hat. So beschränkt er sich schließlich auf die wesentlichen Neuerungen bei seinen Motiven, ohne dabei den ganzen Hergang genau zu beschreiben. Gerade bei den miteinander verbundenen Pompoms wie dem Hot Dog oder der Geburtstagstorte würde eine genaue Beschreibung eher ausufern und evtl. verwirren als helfen. Es ist also besser, sich an die Reihenfolge im Buch zu halten, damit man schon eine gewisse Übung hat, um sich an die schwierigeren Motive im Verlauf des Buches zu wagen.

Fazit

Insgesamt ein gelungenes Buch, das Wert auf Spaß legt und großen Wert darauf, dass die Leser*innen ein Erfolgserlebnis haben – die Anleitungen sind gut durchdacht und aufgebaut und letztlich auch für Anfänger*innen nachvollziehbar. Man muss allerdings beachten, dass die Fertigung dieser Motive für Erwachsene gedacht ist, nicht für Kinder.


Genre: gestalten, Pompoms, Sachbuch
Illustrated by Weltbild

Aromatherapie für Frauen – Das Selbsthilfebuch für bewusst lebende Frauen

Aromatherapie für Frauen

Ganzheitliche Infos rund um körperliche und seelische Belange der Frau und Hilfe in allen weiblichen Lebensabschnitten

Das vorliegende Buch ist sehr anschaulich und ansprechend, denn die pastellfarbenen Hintergründe und hübschen Fotos verbreiten stets eine Wohlfühlatmosphäre, in die man sich als am Thema interessierte Leserin hineinfallenlassen kann. Das Auge liest in diesem Fall mit und der Körper entspannt sich allein schon bei der Auswahl der Farben und Fotos.

 

Hinzu kommen strukturierte und gut verständliche Infos und Anleitungen zu Deos, Kompressen, Auflagen, Badesalzen, Körperölen, Duschgelen, Rasierbalsamen und vielem mehr – die Autorinnen bieten eine reichhaltige Auswahl an Dingen, die man mit Aromatherapie alles machen kann. Dazu gibt es jede Menge Infos zu Krankheiten, Forschungsergebnisse bzgl. Aromaölen, Rezepten für DIY-Mischungen und eine genauso breite Anwendungspalette für jede Lebenssituation der Frau, psychisch wie physisch: Pubertät, Schwangerschaft und Stillzeit mit all ihren Beschwerden, Wechseljahre, Zyklus. Dabei werden auch nicht schwere Beschwerden ausgespart wie Krebs und Endometriose. Die Autorinnen erklären den Zusammenhang von Beschwerden mit dem übermäßigen Stress, dem gerade Frauen ausgesetzt sind, und den zunehmenden Umweltbelastungen, die sehr negativ auf den Körper wirken. Dementsprechend hoch ist der Anteil an psychischen Problemen, über die das Buch informiert, und wie Aromatherapie zumindest Linderung verschaffen kann. Körperliche und psychische Beschwerden gehen aber oft Hand in Hand, was ebenfalls erklärt wird.

 

Das Buch ist also auf ganzer Linie ganzheitlich ausgelegt, betont den Umweltaspekt und geht einfühlsam auf die zahlreichen Situationen der Frauen ein, die sie ständig fordern und oft auch überlasten. Die Frau wird in jeder Zeile wertgeschätzt und ermutigt, was ebenfalls sehr wohltuend für Leserinnen ist. Die Aromatherapien unterstützen und ergänzen gängige Therapien, können aber auch in leichteren Fällen die Schulmedizin ersetzen. Dabei betonen die Autorinnen aber auch, dass jede Frau verschieden ist und ausprobieren sollte, was ihr persönlich guttut.

 

Vorab beginnt das Buch aber mit verständlichen Grundlageninfos über Aromatherapie und -öle, wobei ein guter Teil der Infos den Köperteilen zukommt, die das Aroma aufnehmen, z.B. die Nase. Die Funktion und der Aufbau der Nase werden erklärt und der Bezug der Düfte über die Nase z.B. zur Psyche hergestellt. Tipps zur Dosierung, zur Qualität, zum Einkauf, der sicheren Handhabung usw. ergänzen die Basisinfos. Wohlfühltipps zur Körper- und Zahnpflege bis hin zu Erkrankungen der Haut, zum Sport, zur Sexualität und zum gesunden Schlaf decken verschiedene Lebensbereiche ab. Ich habe mich nach der Lektüre sehr gut informiert gefühlt und die Rezepte zum Selbermachen sind nicht kompliziert. Insgesamt ein rundum gelungenes Buch!

 

Fazit

Ein vielseitiges, schön bebildertes, anschauliches, verständliches und informatives Buch rund um die Lebenssituationen der Frau, deren körperliche und psychische Belastungen und Krankheiten und wie frau sich mit Aromatherapie in verschiedenen Lebenslagen selbst helfen oder zumindest schulmedizinische Therapien unterstützen kann.


Genre: Aromatherapie, Frauen, Sachbuch
Illustrated by Joy Verlag

Hochsensible Eltern. Zwischen Empathie und Reizüberflutung – wie Sie Ihrem Kind und sich selbst gerecht werden

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Hochsensibilität – ein Segen nicht nur für das Erziehen von Kindern

Die Psychologin Elaine N. Aron ist selbst hochsensibel und Pionierin auf dem Forschungsgebiet „Hochsensibilität“ – sie weiß also, wovon sie in ihren Büchern schreibt, und gibt deshalb nicht nur einen Überblick über hochsensibles Elterndasein, sondern geht auch mithilfe ihrer Beispiele ins Detail, um die Besonderheiten, Vor- und Nachteile der Hochsensibilität und den Umgang damit herauszuarbeiten. Dabei bleibt sie verständlich und anschaulich, denn ihr ist es wichtig, dass Hochsensible auch in ihrem Elterndasein ihr Potential voll ausschöpfen. Und Potential haben Hochsensible reichlich, denn durch ihre angeborene Empathie, Feinfühligkeit, Tiefgründigkeit, (Selbst-)Reflexionsfähigkeit, Kreativität und dem damit verbundenen hohen Potential an Problemlösungskompetenz, der hohen Wahrnehmungskompetenz, der Gründlichkeit, dem wachen Interesse, der genauen Beobachtungsgabe, dem aktiven Zuhören, dem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl, der hohen Flexibilität und den insgesamt in allen Bereichen feinen Sinnen und Antennen sind Hochsensible sehr gute Eltern, die ihren Kindern sehr viel Aufmerksamkeit und Zuwendung widmen und sich immer überlegen, wie man das Beste aus den jeweiligen Situationen und Konflikten machen kann.

 

Unweigerlichen Herausforderungen und Problemen nicht nur des hochsensiblen Elterndaseins praxisnah und alltagstauglich begegnen

Einzig die Reizüberflutung, die mit der Wahrnehmungstiefe einhergeht, grätscht in stressigen Situationen in eine gute Elternschaft hinein, denn auch Hochsensible reagieren nicht mehr sehr sensibel, wenn Grenzen und Belastbarkeit überschritten werden. Hier gibt Aron zahlreiche und praktische Tipps anhand von Fallbeispielen, Erzählungen aus eigenen Erfahrungen und Forschungsarbeiten, wie hochsensible Eltern (HSP) mit Reizüberflutung und deren Folgen umgehen können. Außerdem gibt sie detaillierte Tipps für Paare, deren Belastungen mit der Elternschaft sprunghaft ansteigen, und sie unterscheidet dabei zwischen Paaren, die eine*n hochsensible*n Partner*in haben oder wo beide Partner*innen hochsensibel sind, denn die Unterschiede zwischen diesen Paaren verlangen andere Vorgehensweisen, die sie verständlich an die Frau und den Mann bringt.

 

Was ich sehr gut und fundamental wichtig finde: Aron bedient keinerlei Mutter-Kind-Mythos, sie verklärt die Elternschaft mit keinem Wort, sondern sie orientiert sich an der Realität, die sehr viel Stress für alle Eltern mit sich bringt, nicht nur für diejenigen, die Elternschaft und Beruf vereinen müssen. Auch das „bloße“ Hausfrauen- oder Hausmanndasein wertschätzt sie, denn sie weiß, wieviel es auch den Eltern, die zuhause bleiben, abverlangt. Die Wertschätzung gegenüber Eltern und dem, was sie tagtäglich leisten, ist in jeder Zeile zu spüren, zumal sie selbst als Mutter weiß, wie wenig die Gesellschaft und v.a. die Berufswelt Rücksicht auf Familien nimmt – die eigentlich das Fundament und damit den wichtigsten und wertvollsten Teil der Gesellschaft bilden! Sie kennt die Tücken und Fallstricke des Elterndaseins aus eigener Erfahrung, v.a. die der hochsensiblen, legt diese dar, macht Mut und gibt immer wieder in strukturierter Form alltagstaugliche Tipps, die nicht nur für Hochsensible geeignet sind. Dabei begleitet sie hochsensible Eltern durch alle Altersabschnitte des Kindes und der damit verbundenen Herausforderungen für Eltern – welche nicht wenige sind –, macht mit den Herausforderungen und Problemen vertraut und zeigt Möglichkeiten auf, wie man mit diesen am besten umgehen kann. Auch die Paarprobleme, die unweigerlich auftauchen oder sich verschärfen, wenn Kinder im Haus sind, spart sie nicht aus, sondern beleuchtet diese und gibt Hilfen an die Hand, wie man mit ihnen umgehen kann. Auch die Selbstfürsorge während der Elternschaft, v.a. die der Frauen, ist ein großes und wichtiges Thema in ihrem Buch.

 

Aron geht aber auch immer wieder darauf ein, dass es alles andere als eine Schande ist, wenn sich Hochsensible (aufgrund der angeborenen gründlichen Reflexion und damit des genauen Abwiegens von Für- und Wider der Elternschaft) gegen ein Elterndasein entscheiden. Es gibt sehr gute Gründe dafür, keine Kinder zu bekommen, wie auch gute Gründe für Kinder. Beides haben sich Hochsensible vorab sehr gut überlegt.

Einziger Wehrmutstropfen: In dem Buch sind viele Tippfehler, v.a. “sie” und “Sie”, “ihnen” und “Ihnen” usw. wird häufig verwechselt.

 

Fazit

Erleuchtendes, informatives und sehr gut verständliches Buch nicht nur, aber vor allem für hochsensibles Elterndasein – und der Betonung darauf, dass hochsensible Eltern aufgrund ihrer angeborenen Eigenschaften sehr gute Eltern sind.


Genre: Elternschaft, Hochsensibilität, Sachbuch
Illustrated by mvg Verlag

Gebrauchsanweisung für Thailand

Mit der Reihe der „Gebrauchsanweisungen“ ist dem Piper-Verlag eine echte Erfolgsgeschichte gelungen. Nach der ersten „Gebrauchsanweisung für Amerika“ von Paul Watzlawick, die bereits 1978 auf den Markt kam, sind mittlerweile etwa 120 weitere Bände erschienen und jedes Jahr kommen sechs bis acht neue hinzu, in denen namhafte Autoren ihre Eindrücke und ortskundige Geschichten aufschreiben und sich mit persönlichem Blick den Ländern, Regionen oder Städten auf ungewöhnliche und literarische Weise annähern. 

Martin Schacht hat in genau dieser Tradition seine „Gebrauchsanweisung für Thailand“ umgesetzt. Man kann vorwegnehmen, dass ihm nicht nur gelungen ist, die Philosophie dieser Buchreihe perfekt zu verinnerlichen, nein, es ist auch ein echter Schacht geworden.

Das Faktische kommt nicht zu kurz – es ist ja schliesslich eine Gebrauchsanweisung -, aber niemals geht es darum, welchen Nippel man durch welche Lasche zieht, oder im Reiseführer-Slang, welchen Tempel oder Turm man an welcher Stelle am besten fotografieren kann oder welcher menschenleere Strand auch noch zehn Jahre nach Erscheinen eines der üblichen Reiseführer immer noch ein Geheimtipp ist, an dem jährlich Millionen Menschen Ruhe und Einsamkeit finden.

Der Autor hat selbst viele Jahre lang, bevorzugt in den deutschen Wintermonaten, in Thailand gelebt und weiß, wovon er spricht. Viele Geschichten sind deshalb einfach nur unterhaltsam, ganz unabhängig, ob man nun nach Thailand reisen möchte oder nicht. Hinzu kommt, dass Schacht über zwei herausragende Talente verfügt. Er besitzt eine exzellente Beobachtungsgabe und die Gabe, all diese Wahrnehmungen auch noch mit feinsinniger Stilistik zu verbalisieren.

Er beschreibt das Naturell und die Kultur der Thailänder treffsicher und gerne mit einem Schuss Humor, immer aber mit gebührendem Respekt. Aber er macht auch vor dem typischen, so viele Klischees bestätigenden Verhalten der Touristen und Expats nicht halt. Ein Beispiel: „Bambus-Tische, Bambus-Stühle und Muschellampe, die leise im Wind klimpern – so etwas finden Thailand-Besucher ursprünglich und naturverbunden, vermutlich auch ökologisch sinnvoll wegen der nachwachsenden Rohstoffe. Der Thai hingegen findet das so prickelnd wie der durchschnittliche deutsche Großstadtbewohner Kuckucksuhren oder Wohnungseinrichtungen im Gelsenkirchener Barock, die heutzutage höchstens in Pseudohippen Cafès als ironisches Zitat existieren“. Oder: „Viele Expats sind Zyniker, die Thais für ein notwendiges Übel halten.“ Aber, so fügt er an anderer Stelle hinzu, „…das bringt viele Expats dazu, sich zu isolieren.“

Schacht scheut sich nicht, in jede Vorurteilswunde gegenüber Thailand zu fassen. Natürlich wird das non-stop laufende Sexbusiness in Bangkok oder in den strandnahen Metropolen des käuflichen Gewerbes wie zum Beispiel in Pattaya thematisiert, wobei der Hinweis auf die Ursprünge dieser speziellen Form des Tourismus in Zeiten des Vietnam-Krieges mit den über Thailand und die thailändischen Frauen herfallenden GI’s auf Urlaub nicht fehlen darf. Die vielen selbst erlebten Geschichten relativieren das ein oder andere und fokussieren vor allem auf all das, was für den Autor Thailand ausmacht und in die er seine Leser ganz spielerisch und mit spannendem Handlungsstrang gerne mitnimmt. Und dieser sich gerne mitnehmen lässt, da es so leicht ist, den farbenreichen Beschreibungen in tropischer Umgebung zu folgen und ins Träumen zu geraten.

Ohne dass er es expressis verbis formuliert, wird durch den hochwertigen und wertschätzenden Inhalt dieser Gebrauchsanweisung jedem Leser klar, dass menschengemachte Auswüchse nicht Thailand sind, sondern dass es sich zu neunundneunzig Prozent um ein wunderschönes Land mit liebenswerten Menschen handelt.


Genre: Dokumentation, Erzählung, Reiseführer, Sachbuch
Illustrated by Piper München, Zürich

Nur die eine Erde. Globaler Zusammenbruch oder globale Heilung – unsere Wahl

Buchcover Nur die eine Erde

Klimazerrüttung, Ökozid und was dagegen getan werden kann

 

Der Autor gibt auf über 300 Seiten einen fundierten, detaillierten und gut verständlichen Überblick mitsamt Glossar über die Funktionsweise der Erde und wie v.a. der Mensch die sensiblen Vernetzungen, auf denen das Leben und das Ökosystem insgesamt beruhen, stört. Er erklärt z.B., wie wichtig Bakterien für das gesamte Ökosystem sind: Bakterien, ohne die im Boden kein Leben möglich wäre, bis hin zu den guten Bakterien auf der Haut und im Darm, die den Menschen gesund erhalten. Bakterien sind die älteste Lebensform auf der Erde und die chemischen Verbindungen, die sie eingehen, wandeln giftige Elemente in nützliche um. Bakterien und die chemischen Elemente bezeichnet er als das A und O der Erde.

 

Das zeigt er auch am Beispiel der Landwirtschaft: Die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Giften – schädlich für die Insekten und deren Fressfeinde, sowie für den Menschen – und schweren Maschinen schert sich nicht um das empfindliche Ökosystem u.a. im Boden. Die schweren Maschinen pressen den Boden und damit das Leben im Boden zusammen und töten es ab: Stichwort Bodenkompression. Außerdem pressen sie so das CO2 aus dem Boden – die Böden sind neben den Wäldern die Orte, die am meisten CO2 binden! Der Autor weist nachdrücklich darauf hin, dass die konventionelle Landwirtschaft damit einen extrem großen Anteil an den Treibhausgasen (THG) hat. Dieser Anteil wird aber von der Wirtschaft und Politik konsequent verschwiegen und von den Medien kaum beleuchtet, was er ebenfalls scharf kritisiert. Er findet es zwar gut, dass der Verkehr und die Abholzung der Wälder in den Blick für den Umweltschutz genommen werden, aber die Aussparung der Landwirtschaft bringt dann nach wie vor Ärger für das Klima und begünstigt die Klimazerrüttung, wie der den Klimawandel nennt. (Er ist dafür, die Probleme klar und offensichtlich zu benennen und nicht zu beschönigen – Wandel klingt eher positiv als negativ und wird der tatsächlichen Zerstörung und dem Raubbau, den die Wirtschaft mit der Natur betreibt, in keinster Weise gerecht.) Die regenerative Landwirtschaft dagegen bindet 100% der THG.

 

Was ebenfalls gern unter den Teppich gekehrt wird, ist, dass nicht nur CO2 dem Klima zusetzt, sondern auch Methan und Lachgas. Diese gehören aber ebenfalls zu den Treibhausgasen. Und die Vieh-, da v.a. die Rinderwirtschaft, tragen einen nicht unbeträchtlichen Teil zum THG bei. Und da die Nutztierflächen über 80% der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen, fällt ein großer Teil der bewirtschafteten Erde für den Menschen weg. Die Tiere brauchen Nahrung, die angebaut werden muss, und sie brauchen Weidefläche. Die Nutzung dieser für den Tierbedarf belegten Fläche für die regenerative Landwirtschaft würde reichen, um die Weltbevölkerung zu ernähren, THG zu binden und zu reduzieren!

Zudem vernichten Herbizide und Pestizide Böden, dort die lebenswichtigen Bakterien und die Insekten. Diese Gifte gelangen außerdem in unsere Nahrungsmittelkette, weil Pflanzen und Tiere sie aufnehmen und dann auf unserem Teller landen. Sie reduzieren außerdem die Vielfalt von Flora und Fauna – ebenso wie die Monokulturen. Das wiederum hinterlässt beides tote Böden und ist verantwortlich für Erosionen, Überschwemmungen und sich immer mehr ausbreitende Wüsten. Und ist der Boden erst einmal sandig und zur Wüste geworden… Ebenfalls nicht in den offiziellen Berechnungen drin ist der Anteil der Schifffahrt am Ausstoß von THG.

 

Der Autor zeigt auch auf, dass der globale Handel für Gift und CO2 verantwortlich ist, sowie für die maritime Plastikverseuchung und Mikroplastik. Das mittlerweile überall vorkommende Plastik ist nicht nur haufenweise in unseren Meeren zu finden und durch kriminelle Aktivitäten auch auf illegalen Müllablagerungen, sondern auch in unserer Nahrung und damit in unseren Körpern.

 

Die menschengemachte Klimazerrüttung ist verantwortlich für unerträgliche bis tödliche Hitze – was wir gerade auch am eigenen Leib erfahren -, die alle Lebewesen tötet, ebenso für Überschwemmungen, Dürre, Wasserknappheit und Naturkatastrophen wie Waldbrände oder Stürme. Der globale Kipppunkt ist schon zwischen 1-2 Grad Celsius Erderwärmung erreicht – „eine existenzielle Bedrohung für die Zivilisation“ -, höchstwahrscheinlich ab 3 Grad Celsius – mit verheerenden Folgen, denn wenn das Klima kippt, sind diese Folgen nicht mehr aufzuhalten.

 

Kritik übt der Autor zudem am westlichen Schulsystem, das im Beginn der industriellen Revolution stecken geblieben ist und den Menschen nur als Faktor im Wirtschaftssystem betrachtet und darauf ausrichtet, dass er ein weiteres Rädchen in der Wirtschaft darstellen soll. Das ist nicht gerade menschen- und naturfreundlich.

 

Außerdem übt Hageneder Kritik an den Religionen: Diese seien eigentlich „grün“, aber durch den sogenannten „Wétiko“-Hochmut („Wétiko-Kannibalismus, der Konsum des Lebens anderer für den eigenen Zweck oder Profit“) korrumpiert, was Kriege, die naturfeindliche Agrarindustrie und das unmenschliche Bevölkerungswachstum begünstigt. Es gebe allerdings ein schrittweises Umschwenken. Als ökozentrisches Beispiel nennt er den indigenen Animismus, der wertschätzend mit der Natur umgeht. Überhaupt darf eine Herangehensweise an die schädlichen Auswirkungen der Klimazerrüttung nicht mehr anthropozentrisch sein (d.h. vom Menschen als Zentrum allen Maßes) wie bisher, sondern muss ökozentrisch ausgerichtet werden (die Erde und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt des Denkens und Handelns).

 

Was für eine zentrale Rolle die Gleichberechtigung der Frauen in diesem heilsamen Prozess des echten Umweltschutzes hat, legt er ebenfalls eindringlich dar. Das Gilgamesch-Epos, welches die „Ilias“ und die „Odyssee“ beeinflusst hat, bezeichnet er als „düstere Warnung vor männlicher Selbstherrlichkeit und ökologischem Missbrauch“.

 

Er geht außerdem ausführlich auf Nano-Müll, Chemie, Genmanipulation, Radioaktivität, Sonar- und Lärmbelastung, Lichtverschmutzung usw. ein.

 

Der Autor legt, wie an diesen Beispielen ersichtlich, nicht bloß dar, welche Schäden der Mensch nicht nur in seinem Lebensraum anrichtet, sondern zeigt auch Lösungen auf. Würde er das nicht tun, wäre das real existierende grauenhafte Szenario, das er in aller Deutlichkeit vor den Leser*innen ausbreitet, kaum zu ertragen. (Im Übrigen auch ein Grund, warum so wenig passiert: Der Mensch hat die Angewohnheit, vor unangenehmen Dingen die Augen zu verschließen und nach Vogelstraußmanier den Kopf in den Sand zu stecken.)

 

Warum trotzdem weiterhin im großen Stil zu wenig passiert? Die Lobby von Agrarölkonzernen und anderen Wirtschaftskonzernen, die mit umweltschädlichen Produkten eine Menge Geld verdienen, verhindert einen effektiven, ganzheitlichen und nachhaltigen Umweltschutz und damit die Erhaltung der Erde als Grundlage allen Lebens. Auch da bietet der Autor zahlreiche Beispiele, wie Wirtschaft und Politik miteinander in unheilvoller Weise verstrickt sind.

 

Er bietet aber auch am Ende eines jeden Kapitels Tipps für Regierungen, Wirtschaft und jede*n Einzelne*n an, wie man den schrecklichen Teufelskreis, in dem wir uns gerade befinden, noch aufhalten kann. Dazu gehört z.B. die Anerkennung tierischer Intelligenz – der Wal z.B. hat als einziges Lebewesen vier separate Kortikallappen, der Mensch in seinem Gehirn nur drei -, die Vermeidung von Plastik-Müll, die Unterstützung von Umweltorganisationen, das kritische Hinterfragen der Politik und der Wirtschaft, die Emanzipation der Frau, das Ersetzen anthropozentrischer Ansichten durch ökozentrische.

 

Das Buch wurde 2021 veröffentlicht, also noch in der Corona-Pandemie und vor dem Ukraine-Krieg. Krieg nennt er sowieso als eine große Triebfeder für Erdzerstörung. Das, was Hagendeger schreibt, hat sich 2021 durch die Überschwemmungen im Ahrtal, die weltweiten Überschwemmungen, die schlimme Hitze in Europa und anderswo in diesem Sommer und davor usw. schon bewahrheitet. Und immer noch tut die Politik zu wenig, im Gegenteil, es gibt wieder Bewegungen in Richtung weiterer Erdzerstörung, indem die Umweltpolitik behindert und Frauenrechte erneut eingeschränkt werden.

 

 

Fazit

 

Der Verdienst dieses Buches ist es, die Fakten klar und umfassend auf den Tisch zu legen und sowohl die Regierungen, die Wirtschaft als auch jede*n Einzelne*n davor zu warnen, was alles passiert, wenn in Richtung Umweltschutz wenig bis nichts passiert. Es stellt aber auch Lösungsvorschläge vor.

 

Weiterführende Links zum Thema

Mehr dazu auch in dem Artikel: https://www.republik.ch/2022/07/22/globale-hungerkrise-teil-1-wieso-muessen-menschen-hungern?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/welt/hinweise-dass-klimawandel-katastrophale-ausma%c3%9fe-annehmen-k%c3%b6nnte/ar-AA10dTRi?li=BBqfUd5&ocid=ACERDHP17

Artenvielfalt durch das Natur- und Kulturgut „Streuobstwiesen“ erhalten: https://www.spektrum.de/news/streuobstwiesen-gutes-obst-so-nahe/2043097?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

 

Wildwachsende, kostenlose Nahrungsmittel wertschätzen und pflücken: https://mundraub.org/map#z=7&lat=50.91&lng=11.56

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Genre: Sachbuch, Umweltschutz, Umweltzerstörung
Illustrated by Neue Erde

Spitznamen in der Literatur

Spitznamen gehören zum Leben. Doch wie entstehen sie, wer erfindet sie und spricht sie erstmals aus? Wie geht man damit um? Wem darf man Spitznamen verpassen und was geht wann gar nicht? Guido Fuchs hat literarische Beispiele gesammelt und präsentiert eine Palette von fast 300 Spitznamen als amüsante Zusammenschau aus der Literaturgeschichte. Weiterlesen


Genre: Sachbuch
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Das Politikverbot in der Schlaraffia

Der Künstlerbund Schlaraffia hatte sich mit seiner Gründung anno 1859 ein Politikverbot auferlegt. Mitglieder sollten sich Freundschaft, Kunst und Humor widmen können, ohne von profanen Themen wie Politik und Religion auseinandergebracht zu werden. Doch das bedeutet nicht, dass die Schlaraffia tatsächlich stets unpolitisch war. Eher das Gegenteil ist der Fall wie eine Arbeit des Schlaraffen Christian Säfken akribisch nachweist. Weiterlesen


Genre: Kulturgeschichte, Sachbuch
Illustrated by Selbstverlag

Das hochsensible Kind

Abbildung von Aron | Das hochsensible Kind | 1. Auflage | 2008 | beck-shop.deHochsensitivität/Hochsensibilität – eine Bereicherung für die Gesellschaft

Im vorliegenden Buch behandelt Elaine N. Aron, Pionierin auf diesem Gebiet, das Thema Hochsensitivität/Hochsensibilität bei Kindern. Sie selbst ist ebenfalls hochsensibel und hat einen hochsensiblen Sohn. Das merkt man dem Buch an, denn die Autorin und Psychologin kann in ihre Erfahrungsschatzkiste greifen, Situationen realistisch darstellen, das Thema wissenschaftlich einordnen und Tipps geben, um hochsensible Kinder angemessen zu erziehen. Tipps gibt es reichlich, denn ihr ist es wichtig, dass die Vorzüge der Hochsensitivität/Hochsensibilität als das gewürdigt werden, was sie sind: eine Bereicherung der Gesellschaft und auch eine Bereicherung für den hochsensiblen Menschen (HSM) selbst. Natürlich hat dieser Wesenszug – und Aron betont, dass es einer ist und eben keine Krankheit! – seine Nachteile, die sie weder verschweigt, noch übermäßig auswalzt. Sie kennt die Nachteile und geht nicht nur in diesem Buch pragmatisch mit ihnen um.

Anbei einige Zitate aus dem Buch, um zu verstehen, wie HSM und HSK (hochsensible Kinder) ticken:

„Wie in diesem Buch erläutert, haben HSK die angeborene, im Nervensystem verankerte Disposition, selbst die unterschwelligen Aspekte einer Situation wahrzunehmen und diese Informationen auf einer tiefen Ebene zu verarbeiten, bevor sie eine Entscheidung treffen oder handeln. Infolgedessen sind HSK in der Regel hochgradig reflektierend, intuitiv und kreativ (fähig zu vernetztem Denken), gewissenhaft, um Fairness bemüht und empathisch. Sie haben ein ausgeprägtes Gespür für subtile Veränderungen, Details oder den „fehlenden Baustein“ in einem Mosaik. Diese temperamentbedingte Disposition bewirkt, dass sie sich leichter überfordert und verletzt fühlen, sowohl physisch als auch emotional; sie tau­en langsamer auf, finden schwerer Anschluss und sind im Unterricht bisweilen still und wortkarg.“

»Sensibel« heißt in diesem Fall nicht, dass jemand freundlich, empathisch, künstlerisch veranlagt oder besonders feinfühlig ist. Natürlich finden wir diese Qualitäten gern bei hochsensiblen Menschen, zumindest, wenn sie sich von ihrer besten Seite zeigen. Hinzu kommen Züge wie Gewissenhaftigkeit, eine Neigung zur Spiritualität, eine gute Intuition und viele andere Tugenden. Aber hochsensible Menschen haben auf derlei Eigenschaften kein Monopol, und wenn sie sich überfordert fühlen, dann sucht man diese Eigenschaften oft vergebens bei ihnen. Hochsensibilität ist ein neutraler Wesenszug, der sich am besten als eine von zwei grundlegenden Überlebensstrategien beschreiben lässt: die erste, die Hochsensibilität, impliziert, dass man beobachtet und überlegt, bevor man handelt; bei der zweiten Variante handelt man schnell und lässt es dafür auf mehrere Versuche ankommen. Es ist unschwer zu erkennen, dass jede dieser Strategien in einigen Situationen er­folgreich ist, in anderen nicht.“

An Lehrer*innen gewandt: „Helfen Sie Eltern und Kollegen zu erkennen, dass die genetisch bedingte Disposition von HSK nicht verändert werden kann, völlig normal ist (dieses Merkmal findet man in jeder Spezies, in prozentual gleicher Ausprägung) und ihre Vor- und Nachteile hat, je nach Situation. […] Verbessern Sie, was möglich ist, denn HSK dienen als „Frühwarnsystem“ und machen auf Missstände aufmerksam, die alle Schüler bis zu einem gewissen Grad beeinträchtigen.“

Hochsensibilität hat also nach Aron viel zu viele positive Seiten, um vorweg verurteilend als Defizit eingestuft zu werden. Wie oben erwähnt geht sie darauf ein, dass nicht nur Menschen hochsensibel sein können. Auch Tiere sind es und diese durch alle Gattungen hinweg mit einem Anteil von bis zu 20%. Aron weist darauf hin, dass hochsensible Menschen und Tiere entscheidend zum Überleben einer Gruppe beitragen – sie sind aufgrund ihres bis in alle Bereiche/Sinne gehende feine Gespür das Frühwarnsystem der Gruppe und überleben eher als solche, die es nicht haben. Hochsensible besitzen auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, Empathie, sind gute Zuhörer*innen, hochgradig (selbst-)reflektiert, intelligent und damit wie geschaffen für alle Berufe, in denen es um das Wohl der Gemeinschaft geht und um Systemen, die von Grund auf falsch sind, auf die Spur zu kommen, deren Schwächen zu beleuchten und ihnen entgegenzusteuern. So verwundert es nicht, dass HSM oftmals beratende Funktionen innehaben, Lehr- oder psychologische Berufe ausüben, da sie hochreflektiert und feinfühlig sind. Auch Künstler*innen sind oftmals hochsensibel, da Hochsensibilität einen Reichtum an Kreativität und eine kritische Innenschau mit sich bringt.

HSK bringen von Natur aus diese Eigenschaften ebenfalls mit und sind von Baby an hochsensibel. Deshalb reagieren sie etwas anders als normalsensible Kinder auf ihre Umwelt. Wenn Eltern wissen, wie HSK ticken, können sie besser auf sie eingehen – und genau das ist das Herzensanliegen von Aron, die nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und alltäglichen Situationen spart, um den Leser*innen die Hochsensibilität bei Kindern nahezubringen. Das tut sie sehr detailliert, was sehr hilfreich ist. Die Art und Weise, wie sie schreibt, könnte zwar für Nicht-Akademiker etwas anspruchsvoller sein, trotzdem ist ihr Schreibstil noch gut verständlich.

 

Für Hochsensible eine willkommene Art der Arbeit an sich selbst, für Eltern Hochsensibler eine kompetente Anleitung

 

Für mich persönlich war die Lektüre des Buches ebenfalls hilfreich. Ich habe zwar kein hochsensibles Kind, dafür war ich aber selbst ein HSK und bin ein HSM. Ich habe mich in vielem wiedererkannt und v.a. habe ich erkannt, wie man mit mir in meiner Jugend hätte hilfreich umgehen können, es aber nicht getan hat. Leider passiert das (zu) vielen hochsensiblen Menschen, weshalb sie erst einmal ihre Kindheitslasten aufarbeiten müssen, um sich zu befreien und ein besseres Leben führen zu können. Da aber HSM Reflexion im Blut liegt, fällt es ihnen nicht so schwer wie anderen, psychologisch an sich zu arbeiten. Allerdings wissen sie auch, dass es nicht leicht werden wird. Ich ebenso, weshalb das Durcharbeiten dieses und anderer Bücher über Hochsensibilität Arbeit an sich selbst ist und dementsprechend Arbeit mit Schmerzen an der eigenen Psyche. Es kann also emotional hoch hergehen, wenn man hochsensibel ist und erkennt, was man alles in seiner Kindheit nicht hatte, was aber einem das Leben sehr erleichtert hätte, wenn man es gehabt hätte. Ich spreche da von grundlegenden Dingen wie Einfühlungsvermögen für das eigene Kind, Selbstreflexion der Eltern, Verständnis, Rückhalt geben, sich für das Kind einsetzen – das und noch mehr hat mir gefehlt, ist aber fundamental gerade für das Erziehen von HSK. Wenn ich dann noch lese, dass Hochsensible, wenn sie ein gutes Umfeld haben und liebevoll aufgewachsen sind, überproportional gesund sind und zudem mit einem gesunden Selbstbewusstsein gesegnet, das zwar die eigenen Schwächen kennt, man aber gut mit ihnen umgehen und die Stärken selbstverständlich an sich schätzen kann, kommt in mir Wut auf Eltern und Gesellschaft hoch, die Hochsensible und ihre Gaben, die eigentlich die Welt ein gutes Stück besser machen würden, so verkennen und verachten.

Am Schreibstil Arons und ihren Anmerkungen merkt man, dass sie all diese Probleme kennt und einen Weg für sich und evtl. auch andere HSM gefunden hat, dem allen mit all seinen Stärken entgegenzutreten. Und das sind bei HSM und HSK nicht wenige. Aron hilft mit ihren Büchern, so auch mit diesem Buch, die Stärken der HSM und HSK zu erkennen, diese auch zu nutzen und sich von allen Vorurteilen der Gesellschaft zu befreien und diesen entgegenzutreten. Das ist ein großer Verdienst der Pionierin auf diesem Gebiet!

Einziger Wermutstropfen: Das Buch wie auch „Sind Sie hochsensibel?“ enthält viele Tippfehler, v.a. wird häufig Sie/sie oder Ihnen/ihnen verwechselt. Das ist wirklich auffällig und lässt mich vermuten, dass das Korrektorat die Unterscheidung anscheinend nicht beherrscht. Solche Sachen lassen bei pauschaler denkenden Leser*innen Zweifel an der Kompetenz der Autorin aufkommen, da Rechtschreibung bzw. deren Mangel schnell mit Kompetenzlosigkeit in anderen Gebieten gleichgesetzt wird. Das würde aber diesem sehr guten, informativen Buch nicht gerecht. Deshalb gehört es bzgl. der Tippfehler dringend überarbeitet.

Fazit

Hochsensible werden aufgrund ihrer hohen Sensitivität und Sensibilität oft abgewertet, haben aber sehr viele Stärken, die der Gesellschaft immer wieder zugutekommen. Aron als Pionierin auf diesem Gebiet (und selbst hochsensibel) gebührt der Verdienst, dass sie auf diesen besonderen Charakterzug hinweist, ihn wissenschaftlich einordnet und deren Stärken immer wieder heraushebt. Dabei vergisst sie aber auch die Schwächen nicht und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Das tut sie auch in diesem Buch für Eltern hochsensibler Kinder. Sie erklärt ausführlich diesen Charakterzug und spart nicht mit hilfreichen Tipps und anschaulichen Alltagssituationen, um Eltern und ihren Kindern das Leben zu erleichtern. Empfohlen!


Genre: Hochsensibilität, Sachbuch
Illustrated by mvg Verlag

Die Macht der Geheimbünde: Freimaurer, Rosenkreuzer, Kabbalisten

Der einstige Zauberkünstler und jetzige Autor und Journalist Hannes Kohlmaier unternimmt mit »Die Macht der Geheimbünde« einen ebenso unterhaltsamen wie kenntnisreichen Bummel durch die Welten der Freimaurer, Rosenkreuzer, Kabbalisten und Schlaraffen. Weiterlesen


Genre: Esoterik und Grenzwissenschaften, Reportagen, Sachbuch
Illustrated by Riva Verlag München

Nahtod – Grenzerfahrungen zwischen den Welten

Initialzündung

Psychiater und Neurowissenschaftler Bruce Greyson kam durch Zufall in Kontakt mit Nahtoderfahrungen: Eines Tages wurde in seinem Krankenhaus eine Patientin eingeliefert, die während seines Dienstes wiederbelebt werden musste. Er selbst saß währenddessen in einem anderen Raum und aß Spaghetti. Ein Soßenfleck verblieb auf seiner Kleidung. Dieser Fleck wurde später wichtig – seine spätere Patientin im Bereich der Psychiatrie erwähnte ihn und andere Details zur Zeit ihres Nahtodes während des ärztlichen Gesprächs. Und das, obwohl sie, wie erwähnt zu diesem Zeitpunkt tot und in einem anderen Zimmer untergebracht war. Dieses Erlebnis verwirrte und beeindruckte Greyson so, dass er sich Jahrzehnte lang mit der Forschung über Nahtoderlebnisse beschäftigte.

Positive Aspekte der Nahtoderfahrungen

Greyson fand heraus, dass Nahtoderfahrungen häufig sind und allen Menschen passieren können, egal, welche Religion, welches Geschlecht, Alter oder ethnische Gruppe sie haben. Sie werden vom Gehirn anders als Träume, Vorstellungen oder Halluzinationen als Fakten verarbeitet und bieten einen gewissen Schutz vor der Entwicklung einer Gemütskrankheit nach einem engen Kontakt mit dem Tod. Diese Erlebnisse als real bzw. akzeptiert von anderen eingeordnet zu sehen, hilft den Nahtoderfahrenen sehr, ebenso die Möglichkeit, ihre Eindrücke mitzuteilen und sich ihr eigenes Bild davon zu machen.

Die Nahtoderfahrungen haben normalerweise mehrere tiefgreifende und lange anhaltende Nachwirkungen. Im positiven Fall ist es mehr Lebensfreude, es kann aber auch dazu führen, dass die Nahtoderfahrenen Schwierigkeiten haben, ihr voriges Leben wiederaufzunehmen. Dies wiederum kann aber positiv für ihre weitere Entwicklung und für eine gesündere und lebenszugewandtere Lebensweise sein. Außerdem verringern Nahtoderlebnisse die Angst vor dem Tod, sodass der eigene Tod und der von anderen den Schrecken verliert. Trotzdem trauern Menschen mit Nahtoderlebnissen ebenso wie andere – der Trauerprozess ist notwendig für die Heilung.

Die Erfahrung verringert aber auch die Angst vor dem Leben und bringt die Menschen dazu, mehr im gegenwärtigen Moment zu leben und ihn zu genießen. Das bedeutet, dass man ganz in der Gegenwart ist, während man plant oder sich erinnert; die Vergangenheit und die Zukunft haben also immer noch ihren Platz.

Nahtoderfahrungen legen außerdem nahe, dass der Geist ohne das Gehirn, das Gedanken und Gefühle filtert, ziemlich gut funktionieren kann. Nahtoderlebenisse werfen dann auch Fragen nach dem Weiterbestehen des Bewusstseins nach dem Tod auf. Der Autor stellt außerdem die These auf, dass das bessere Verständnis von Nahtoderfahrungen und ihre Integration in unsere Naturwissenschaften und die Medizin dazu beitragen kann, das Leiden in der Welt zu verringern. Er verweist in diesem Zusammenhang z.B. auf den Buddhismus: Diese Religion sucht Erkenntnisse über die Welt, um harmonischer mit ihr zu leben, anstatt die Umwelt zu beherrschen. Außerdem helfen Nahtoderfahrungen nicht nur denen, die sie gemacht haben, sondern evtl. auch denen, die davon hören und sich darauf einlassen, ihr Leben und den Tod neu zu bewerten.

Ganzheitliche Denkweise und Berichte von Nahtoderfahrungen

Greyson, der u.a. auch mit Moody und Stevenson zusammengearbeitet hat, hat seine Erkenntnisse mit wissenschaftlichen Methoden auch anderer wissenschaftlicher Disziplinen als der eigenen überprüft und wundert sich darüber, dass manch andere Wissenschaftler nichts anerkennen wollen, was über ihren Tellerrand hinausgeht. Er sagt zu Recht, dass Theorien Theorien sind und nicht die ganze Realität abbilden, sondern ihr höchstens nahekommen. Das, was noch nicht wissenschaftlich erforscht, aber dennoch vorhanden ist, verdient eine wissenschaftliche Herangehensweise, zumal wenn es eine so positive Auswirkung auf Betroffene und evtl. auch ihre Umgebung hat wie Nahtoderfahrungen. Dabei verschweigt er aber auch nicht, dass manche Nahtoderfahrungen durchaus bedrohlich auf die Menschen wirken können, zumal wenn sie nicht sterben wollen. Er betont aber dennoch, dass auch diese Erfahrungen einen positiven Ausgang haben.

Sein Buch möchte Menschen erreichen und ihnen Mut machen. Das schafft Greyson durch viele anschauliche Nahtodberichte, durch die verständliche Schreibweise und die transparente Darstellung seiner Arbeit und auch seiner Gedanken und Gefühle, die er dabei hatte. Denn er verschweigt auch nicht seine Verwirrung und seine Zweifel angesichts des wissenschaftlich ignorierten Nahtodphänomens und des Erstaunens darüber, wie hilfreich dieses Phänomen letztlich ist. Das Buch eignet sich für alle, die sich dafür interessieren, aber auch für diejenigen, die Angst vor dem Tod haben und aufgeschlossen für die doch zahlreich vorkommenden Nahtoderfahrungen sind. Sie können zumindest trösten, vielleicht aber auch zu einer positiven Neuausrichtung des Lebens führen.


Genre: Nahtod, Sachbuch, Tod
Illustrated by Ansata / Penguin Random House