Der Großaktionär

Athen ist nicht Hollywood

Auch in diesem Krimi brennt es, um einmal das Thema aufzugreifen, mit dem Griechenland traurigerweise im Jahr 2007 in der Öffentlichkeit von sich Reden machte. Allerdings brennen in diesem außerordentlich spannenden Kriminalroman weniger die Wälder, als über kurz oder lang die Nerven des Hauptdarstellers, Kommissar Kostas Charitos, durch. Dessen Tochter wurde nämlich, zusammen mit ihrem Zukünftigen und einigen hundert Touristen auf einem Kreuzfahrtschiff in der Ägäis enführt. Die Gauner geben sich als Nationalisten, versuchen Gesinnungsgenossen freizupressen und lösen verständlicherweise in der Familie des Kommissars ein emotionales und auch real ein ganz handfestes Chaos aus.
Petros Markaris letzter, 2007 bei Diogenes erschienener Kriminalroman, ist der mittlerweile sechste in einer nicht nur beachtlichen, sondern auch europaweit beachteten Reihe von Krimis. Sein Kommissar lebt und arbeitet in Athen, quält sich durch die lebensfeindliche Hauptstadt Griechenlands und versucht – obwohl anscheinend von Geburt an Misanthrop – sich das Leben nicht komplett vermiesen zu lassen. Der Mann isst gerne und trinkt gern, aber ein Gourmet ist er nicht. Hausfrauenkost, und nur die seiner ansonsten höchst nervigen Frau, ist ihm das allerliebste.
Wer sich durch die Krimis von Markaris liest, der bekommt einen Eindruck von einem Griechenland jenseits des Akropolis-Ausfluges, der Strand/Sonne/Taverne-Bilder. Korruption hat man zwar chauvinistischerweise sowieso den Griechen zugetraut, aber Markaris kommt mit politischen Zusammenhängen und Einblicken daher, die das Interesse an der Wiege der westlichen Demokratie ganz neu und auf ganz andere Weise entzündet wird.
Wie der Fall im neuesten Krimi ausgeht? Griechische Krimis sind keine Hollywood-Filme. Seine Tochter überlebt, aber glücklich wird der Kommissar am Ende doch nicht.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Das Tagebuch der Signora

Hinter der Mauer des Schweigens blüht der Horror.

Wer kann sich noch an die italienischen Neofaschisten erinnern? Können Sie ad hoc den Namen der Partei nennen, die das Erbe Mussolinis angetreten hat? Können Sie sich vorstellen, dass italienische Faschisten in der Gegenwart an einer Regierung beteiligt waren – und nun auch schon wieder sind, ja gar den Parlamentspräsidenten stellen?
Das vermutlich eine Mehrheit der Leserinnen und Leser dieses Textes nicht sofort und mit Gewissheit diese Fragen beantworten kann, kommt nicht von ungefähr. Die Tatsache, dass aus der offen neofaschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) eine Partei entstehen konnte, die es nach wenigen Jahren schaffte, sich das Image einer konservativen aber dennoch seriösen und demokratischen politischen Kraft zu geben, ist an und für sich schon schockierend. Dass diese, trotz aller erfolgreicher Camouflage, immer noch vom faschistischen Geist angefeuerte Partei mit dem heutigen Namen „Alleanza Nazionale“ tatsächlich zweimal Koalitionspartner in einer italienischen Regierung (unter dem nicht minder dubiosen Ministerpräsidenten Berlusconi) sein konnte, war den meisten politischen Kommentatoren in Europa nur noch wenige Monate lang überhaupt erwähnenswert und kritikwürdig. Dass sie nunmehr Teil der Partei Berlusconis geworden und damit erneut Regierungspartei ist, löst ausserhalb Israels keine ernstzunehmenden Befürchtungen mehr aus.
Dass aber hinter der demokratischen Fassade nicht trotz, sondern gerade wegen des Vergessens, schlimmste Verbrechen immer noch auf ihre Aufklärung warten und deren Urheber auf ihre Verurteilung, davon handelt der 2007 erschienene Roman der italienischen Autorin Liaty Pisani, die durch ihre Spionage-Krimis mit der für seinen Berufsstand zu nachdenklichen Hauptfigur, dem Geheimagenten Ogden, bekannt wurde.

Der vorliegende Roman ist kein Spionagethriller. Wohl tauchen am Ende wieder Angehörige eines „Dienstes“ auf – und gehören diesmal zu den „Guten“. Das Kriminale der Geschichte liegt aber in der der Historie des italienischen und deutschen Faschismus.
An den Ufern des Lago Maggiore ereignet sich im September 1943 das erste Massaker an italienischen Juden. Die deutsche Wehrmacht hatte nach der Kapitulation der italienischen Truppen gerade Oberitalien besetzt. Eine junge Frau, Signorina Brandini, war nicht nur Zeugin, sondern auch indirekt in dieses Verbrechen verstrickt. Das Massaker wurde nie gesühnt, die deutschen Mörder und ihre italienischen Kollaborateure laufen frei herum, bzw. wurden nie belangt.
60 Jahre später erhält ein amerikanischer Maler mit italienischen Wurzeln von der mittlerweile betagten, aber reichen Signora Brandini ein Tagebuch, in dem diese die damaligen Ereignisse beschreibt und sowohl Täter als auch Kollaborateure nennt. Ein alter italienischer jüdischer Schriftsteller, großväterlicher Freund des Malers, erhält durch dadurch ebenfalls Kenntnis vom Inhalt des Tagebuches. Er selbst hat einen Teil seiner Familie bei jenem Massaker verloren. Beide beschließen die Tatsachen endlich zu veröffentlichen.
Wie wenig aber das Vergangene wirklich vergangen ist, müssen sie im Folgenden leidvoll erfahren, da sich herausstellt, dass der Sohn des Hauptkollaborateurs, ein angeseher, reicher und skrupelloser Geschäftsmann mit politischen Ambitionen, diese Veröffentlichung um jeden Preis verhindern will.

Die Geschichte, die Liaty Pisani so meisterhaft und spannend erzählt, basiert auf Tatsachen. Am Ende des Romans schreibt sie: „Das hier Erzählte beruht zum Teil auf Tatsachen. Einige der Personen, die in diesem Roman vorkommen, haben existiert: zum Beispiel die Opfer, die bei ihrem richtigen Namen genannt werden (…) Auch nach sechzig Jahren nach der Tragödie von Meina hat keiner der Verantwortlichen für jene Verbrechen büßen müssen. (…)“

Die Pisani hat ein großartiges Buch vorgelegt!


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Italienische Verhältnisse

Von wegen “bella figura”

„(…)Mit Hilfe seiner Zeitungen, seiner Fernsehstationen, seiner Abgeordneten (er hatte nämlich eine Partei gegründet) entfesselte der Cavaliere eine wilde Kampagne gegen die Staatsanwälte, die gegen ihn ermittelten, und bezichtigte sie, ein parteiisches Recht auszuüben. Er selbst bezeichnete sich als politisch Verfolgten.
Er tat so viel und sprach so viel, daß viele Italiener ihm Glauben schenkten.
Dann, eines Tages, geschah, was allen widerfährt: er starb. Im Jenseits wurde er in ein schmuckloses Zimmer geführt. Dort stand ein wackliger Tisch, hinter dem auf einem Strohstuhl ein heruntergekommenes Männlein saß.
„Du bist der Cavaliere?“ fragte das Männlein. „Mit Verlaub“, sagte der Cavaliere verwirrt durch diesen vertrauten Ton. „Sagen Sie mir zuerst einmal, wer Sie sind.“ „Ich bin der Höchste Richter“, sagte das Männlein leise. „Und ich lehne Sie ab!“ schrie der Cavaliere umgehend, der zwar sein gesamtes Haar, sein Fleisch, seine Knochen verloren hatte, nicht aber sein Laster.“

Wer da als „Cavaliere“ daherkommt, ist niemand anderer als der zweifache Ministerpräsident Italiens, Medienmoguls und notorische Gerichtsbeschimpfer und nun bald wieder-Ministerpräsident Italiens, Silvio Berlusconi. Der Autor dieser oben zitierten Zeilen wiederum niemand geringeres als der derzeit wohl berühmteste, lebende Autor Italiens, Andrea Camilleri.
Dem deutschen Lesepublikum ist Camilleri vor allem als Schöpfer des überaus beliebten „Commissario Montalbano“ bekannt, jener Kriminalromane, die Sizilien auf unnachahmliche Weise in ein Licht stellen, dass zumindest partiell nicht von Mafia und anderen Furchtbarkeiten dominiert wird.
Andrea Camilleri gehört aber auch zu den engagiertesten und wortmächtigsten Kritikern Berlusconis. In vielen Ausätzen, Artikeln, Parabeln und Kurzgeschichten, die zumeist in Zeitschriften erscheinen, geißelt er nicht nur die geradezu „schulbübische Dreistigkeit“ des Medienmoguls Berlusconi. Camilleri zeichnet mit seinen Texten auch ein Bild seines Vaterlandes und seiner Landsleute, das zumindest schlaglichtartig in der Lage ist, die mehr als berechtigte Frage zu beantworten, wie es denn sein kann, dass die Bewohner eines der schönsten Länder Europas, in dem Wert gelegt wird auf gute Küche, geschmackvolles Design und eine „bella figura“ so ein Parvenü nun dreimal zum Regierungschef gewählt werden konnte.
Wer die Geschichten in dem hier ohne Vorbehalte empfohlenen, schon 2006 erschienen Band „Italienische Verhältnisse“ von Andrea Camilleri liest, wird ein Panoptikum italienischer Skurrilitäten, Lebensentwürfe, Verhaltensweisen und Realitäten vor Augen geführt bekommen. In dieser bunten Vielfalt, zum Teil liebenswerten Skurrilität aber auch in der Widersprüchlichkeit liegt der Schlüssel zum Verständnis. Italien ist das Land, in dem die Zitronen blühen. Italien ist aber auch das Land, in dem Senatoren im Parlament Schampusflaschen köpfen, weil der politische Gegner eine Abstimmungsniederlage erlitten hat oder auch schon mal nicht sprichwörtlich, sondern im Wortsinne handgreiflich werden.

In dem Taschenbuch, das im Wagenbach-Verlag erschienen ist, werden insgesamt 22 Texte Camilleris, sortiert in vier Kapitel, dem deutschen Publikum erstmals in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht. Ein Text mit den Lebensdaten Camilleris, Anmerkungen zu Namen und Fakten, die in den Texten eine Schlüsselrolle spielen, sowie ein ausführliches Quellenverzeichnis helfen, dem Text-Verständnis auch noch eine politisch-historische Einordnung hinzuzufügen.


Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Wie durch ein dunkles Glas.

Verseuchte Schönheit

Es funktioniert mittlerweile wie ein Familientreffen: Man möchte erfahren, wie sich die beiden Kinder des sympathischen Kommissars entwickelt haben und was seine belesene Gattin Paola treibt. Geht es Vianello, dem mittlerweile zum Inspektor beförderten Kollegen von Brunetti gut? Sogar der spießig-schleimige Vize-Questore Patta ist einem über die Jahre ans Herz gewachsen. Ganz zu schweigen von der ebenso klugen wie durchtriebenen Signorina Elletra. Man möchte fast glauben, Donna Leon habe extra für ihr deutsches Lesepublikum das Personal für eine venezianische “Lindenstraße” entwickelt. Gäbe es da nicht den Einbruch der Realität in diese Puppenstube, wäre diese Krimireihe mittlerweile allerdings eher zum Gähnen.
So sehr Venedig als Bühne für Leon´s Geschichten sowohl Klischee als auch Realität ist, so sehr sind die Krimis mit dem Kommissar Brunetti zugleich harmlose „Sittengemälde“ und -glücklicherweise – bissige, zum Teil sarkastische Kommentare der hinter den Fassaden waltenden Wirklichkeit. Bitterböse fallen diese Kommentare in der Regel allerdings nicht aus – Leon ist eben nicht Highsmith.
Lesegenuss entsteht unzweifelhaft bei fortgesetzter Lektüre der Abenteuer des braven Commissario. Dies ist sowohl dem Gefühl von Zugehörigkeit zu einer „Gemeinde“ von treuen Leserinnen und Lesern geschuldet, als auch durch das Lokalkolorit, das Geschichten aus Venedig zweifellos zu vermitteln in der Lage sind. Spannung entsteht durch die mit politischer Aktualität und Brisanz angereicherte Stimmung eines Kriminalfalls nebst allen denkbaren “italienischen” Verwicklungen, Verstrickungen und bürokratischen “Besonderheiten”.
Dieses Mal erfahren wir von Verunreinigungen, ja Verseuchungen der Lagune von Venedig. Diese werden durch den petrochemischen Großbetrieb in Mestre, dem Industriestadtteil Venedigs, der auf dem Festland liegt, verursacht. Aus der Produktion dieser Mammutfabrik fließen seit Jahrzehnten unterschiedlichste, zum Teil hochgiftige Stoffe in die Lagune und verpesten sie nach und nach.
Aber auch die venezianischste aller Industrien gerät im neuesten Buch von Donna Leon unter einen bösen Verdacht: Die Glasproduktion in Murano. Dort spielen die Inhaber zweier Glasmanufakturen eine unrühmliche Rolle. Einer ihrer Angestellten forscht nach Ursachen für die Behinderung, mit der eines seiner Kinder geboren wurde – und glaubt sie in toxischer Verunreinigung durch die Glasproduktion gefunden zu haben. Eines Nachts wird dieser als Nachtwächter arbeitende Angestellte tot vor den höllisch heißen Glasöfen vorgefunden…


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Wie durch ein dunkles Glas

Verseuchte Schönheit

Es funktioniert mittlerweile wie ein Familientreffen: Man möchte erfahren, wie sich die beiden Kinder des sympathischen Kommissars entwickelt haben und was seine belesene Gattin Paola treibt. Geht es Vianello, dem mittlerweile zum Inspektor beförderten Kollegen von Brunetti gut? Sogar der spießig-schleimige Vize-Questore Patta ist einem über die Jahre ans Herz gewachsen. Ganz zu schweigen von der ebenso klugen wie durchtriebenen Signorina Elletra. Man möchte fast glauben, Donna Leon habe extra für ihr deutsches Lesepublikum das Personal für eine venezianische “Lindenstraße” entwickelt. Gäbe es da nicht den Einbruch der Realität in diese Puppenstube, wäre diese Krimireihe mittlerweile allerdings eher zum Gähnen.
So sehr Venedig als Bühne für Leon´s Geschichten sowohl Klischee als auch Realität ist, so sehr sind die Krimis mit dem Kommissar Brunetti zugleich harmlose „Sittengemälde“ und -glücklicherweise – bissige, zum Teil sarkastische Kommentare der hinter den Fassaden waltenden Wirklichkeit. Bitterböse fallen diese Kommentare in der Regel allerdings nicht aus – Leon ist eben nicht Highsmith.
Lesegenuss entsteht unzweifelhaft bei fortgesetzter Lektüre der Abenteuer des braven Commissario. Dies ist sowohl dem Gefühl von Zugehörigkeit zu einer „Gemeinde“ von treuen Leserinnen und Lesern geschuldet, als auch durch das Lokalkolorit, das Geschichten aus Venedig zweifellos zu vermitteln in der Lage sind. Spannung entsteht durch die mit politischer Aktualität und Brisanz angereicherte Stimmung eines Kriminalfalls nebst allen denkbaren “italienischen” Verwicklungen, Verstrickungen und bürokratischen “Besonderheiten”.
Dieses Mal erfahren wir von Verunreinigungen, ja Verseuchungen der Lagune von Venedig. Diese werden durch den petrochemischen Großbetrieb in Mestre, dem Industriestadtteil Venedigs, der auf dem Festland liegt, verursacht. Aus der Produktion dieser Mammutfabrik fließen seit Jahrzehnten unterschiedlichste, zum Teil hochgiftige Stoffe in die Lagune und verpesten sie nach und nach.
Aber auch die venezianischste aller Industrien gerät im neuesten Buch von Donna Leon unter einen bösen Verdacht: Die Glasproduktion in Murano. Dort spielen die Inhaber zweier Glasmanufakturen eine unrühmliche Rolle. Einer ihrer Angestellten forscht nach Ursachen für die Behinderung, mit der eines seiner Kinder geboren wurde – und glaubt sie in toxischer Verunreinigung durch die Glasproduktion gefunden zu haben. Eines Nachts wird dieser als Nachtwächter arbeitende Angestellte tot vor den höllisch heißen Glasöfen vorgefunden…


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Vita Nuova

Tiefe Abgründe auf den Hügeln von Florenz

Salva Guarnaccia, Maresciallo der Carabinieri in Florenz, ermittelt in einem Mordfall, der in einer der herrschaftlichen Villen verübt wurde, die auf den Hügeln rund um Florenz liegen. Auf den Hügeln oberhalb Florenz leben jene vermögenden Fiorentiner, die sich den für gute Luft und soziale Distinktion notwendigen Abstand zur Toscana-Metropole leisten können. Müssen die normalen Einwohner von Florenz im Sommer in ihrer im Talkessel gelegenen Stadt mit Smog, Touristenüberfall und Bruthitze leben, so können die Anderen Sommerfrische, Swimmingpool und Aussicht auf die Renaissance-Stadt genießen. Dass aber diese vormaligen Adelssitze auch eine Art Strafkolonie darstellten, weil die selbstbewussten Bürger von Florenz in der Renaissance ihren Adel aus der Stadt und aufs Land jagten, ist heute, ausserhalb historischer Seminare, kaum bekannt. Mit Guarnaccias Mordfall hat das auch streng genommen wenig zu tun. Allerdings taugt diese Anmerkung als grimmiger Kommentar – als ob auf dem Haus, in dem der Mord stattfand, kein Segen liegen würde.
Dass dem tatsächlich so ist, wird auf den insgesamt 322 Seiten in fast bedrückender Weise deutlich. Guarnaccia bekommt es mit tiefsten Abgründen zu tun, in die er gezwungen wird hinabzuschauen. Die Tote ist die älteste Tochter des wohlhabenden Besitzers. Ermordert wird Sie wird am helllichten Tag im eigenen Haus. Die Familienverhältnisse in diesem Haus sind so, dass man sie im wahrsten Sinne des Wortes Grauen erregend nennen kann. Der Reichtum, mit dem das Haus gekauft wurde, stammt nicht aus ererbtem Wohlstand sondern resultiert aus einem gänzlich anderen Milieu. Der Maresciallo bekommt es mit Zwangsprostitution, Geldwäsche und Korruption zu tun.
Das aus solch furchtbaren Umständen keine im Klischeehaften untergehende Geschichte wird, ist der schriftstellerischen Größe der Autorin Magdalen Nabb zu verdanken. Sie hat es auch schon in den dreizehn vorhergegangenen Folgen dieser Kriminalroman-Reihe vermocht, mit Maresciallo Guarnaccia eine Figur zu erschaffen, die als „Typ“ funktioniert, und ein (literarisches) Leben entwickelt, das man unbedingt verfolgen möchte. Zugleich sind die Inhalte ihrer Geschichten so gewählt und gestaltet, dass sie sich zwar sehr nah an die Realität heranpirschen, diese aber nicht zu spiegeln vorgeben. Magdalen Nabbs Kriminalromane leben, auch wenn man sich als Rezensent wiederholt, nicht vom Plott. Frau Nabb hat einfach gute Literatur geschrieben. Wie wenig einfach das ist, lässt sich gerade im Kriminalfach tausendfach nachlesen…

Als ob Magdalen Nabb eine Vorahnung gehabt hätte, lässt Sie ihren Helden im Verlaufe seines vierzehnten Falles ein Kündigungsschreiben formulieren.
Magdalen Nabb starb unerwartet 2007 in Florenz an einem Hirnschlag. Wer ihre Romane noch nicht kennt, sollte nach der Lektüre dieses neuen Romans mit der nachholenden Lektüren der anderen dreizehn Bücher beginnen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Diogenes Zürich

Die dritte Jungfrau

Haben Katzen Knochen im Penis?

Die Autorin ist bestimmt nicht mehr nur in ihren Ferien aktiv, wie immer mal wieder über sie zu lesen ist. Fred Vargas mag zwar, weil sie in ihrem erlernten Beruf als Archäologin gewiss nicht ungern tätig war und die ersten Bücher sie bestimmt nicht reich machten, in den Anfängen ihre Karriere als Teilzeitliteratin begonnen haben. Die Qualität ihrer Bücher allerdings hat sich mit jeder Neuerscheinung signifikant gesteigert, was zum einen unzweifelhaft ihrem Talent zuzuschreiben ist, sich aber wohl auch – ganz irdisch – einer gewissen Steigerung der mit Schreiben verbrachten Arbeitszeit verdanken mag.
In ihrem neuesten Werk, „Die dritte Jungfrau“ hat sie eine weitere Sprosse in der Qualitätsleiter erklommen. Wobei dieses Bild wohl zu viel Mühe suggeriert. Die Erzählung kommt natürlich nicht – wie könnte sie auch, ob des Sujets – „leicht“ daher. Wohl aber freut sich die Leserin und der Leser über eine Flüssigkeit, die nichts mit Oberflächlichkeit zu tun hat. Fred Vargas entwickelt ihre Figuren ebenso behutsam wie dezidiert weiter: Den überaus komplizierten Charakter des Jean-Baptist Adamsberg wie die intelligente Schrulligkeit seiner Mitspieler, der Mitarbeiter der Pariser Sonderkommission des Morddezernats. Die Vargas macht ihre Lesegemeinde dabei zu Komplizen – und wer „leidet“ nicht mit, wenn die immer wieder von Adamsberg verlassene Geliebte nun von einem anderen Mitglied jenes Kommissariats „erobert“ wird? Wer unter den treuen Leserinnen und Lesern wird es nicht mal „zärtlich“ mal „merkwürdig“ berühren, wenn schon auf den ersten Seiten zu erfahren ist, dass Adamsberg mit eben jener Musikerin ein gemeinsames Kind hat – Adamsberg als Papa?
Kurz gesagt: Auch der neue Band in der im Grunde einen, langen Erzählung der Fred Vargas zieht sehr schnell und gekonnt in den Bann. Und neben der Raffinesse der Erzählkunst ist es (handelt es sich doch um nichts anderes als einen Kriminalroman) die Spannung, die sich mit dem Fortgang der Lektüre aufbaut.
Adamsberg hat es mit einer Mordserie zu tun, die zunächst weniger als Mord, denn als Fall unerlaubter Graböffnung und Leichenschändung in zwei Fällen daherkommt. Die Gräber zweier Jungfrauen werden von einer unbekannten Person geöffnet, den Leichen wird offensichtlich Haar abgeschnitten und schließlich werden die Gräber wieder geschlossen.
Beide Damen fanden ihren Tod in der Normandie. Die Polizei dort hatte sich mit der Aufklärung keine große Mühe gegeben, war dem ersten Anschein gefolgt und die Fälle als Selbstmord zu den Akten gelegt. Adamsberg wird im Laufe der Ermittlungen zusätzlich in abstruse Fälle von Wilderei verwickelt, lernt einiges über kirchliche, jahrhundertealte Heilversprechen und wird zudem in seine Kindheit zurückgeworfen. Alles gemeinsam spielt tatsächlich auch für den eigentlichen Fall eine Rolle und – versprochen – was die Auflösung betrifft, wird man wieder auf das Trefflichste in die Irre geführt. Ein Lesegenuss und ein Spaß der nur von einer Archäologin erfunden werden konnte – und nicht nur wegen der Grabschänderei.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Die dunkle Botschaft des Verführers. Maresciallo Bonanno ringt um Fassung.

Wenn nach dem Siegeszug des Sizilianers Andrea Camilleri (nicht nur) auf dem deutschen Büchermarkt sein deutscher Verlag einen weiteren sizilianischen Autor vorstellt, der ebenfalls mit Kriminalromanen reüssieren will, dann ist jede Vorsicht nicht nur verständlich, sondern angezeigt. Nicht, dass der Versuch, auf der langen Welle des Erfolges ihres Autors Camilleri auch weiteren Autoren aus Sizilien eine Chance und dem Verlagshaus möglichst profitable Umsätze zu verschaffen verwerflich wäre – wenn denn die literarische Qualität mit der Intensität des Marketings mithält.

In der edition luebbe des Verlags Bastei-Lübbe aus Bergisch Gladbach erscheinen nicht nur die Romane des sizilianischen Ausnahmeautors Andrea Camilleri. Mittlerweile wurden dort auch zwei Romane von Roberto Mistretta veröffentlicht. Mistretta wird dem deutschen Publikum als Journalist und Autor von Kinderbüchern vorgestellt, dem es aber in den vergangenen Jahren in den Fingern juckte sich literarisch mit dem Verbrechen auseinanderzusetzen. Ergebnis ist eine auf Serie angelegte Romanfigur, ein Marescialo der Carabinieri namens Bonanno. Dieser lebt mit seiner Mutter und seiner 12jährigen Tochter, aber ohne seine geschiedene Frau, zusammen, raucht sich offenbar von Roman zu Roman die Lunge kaputt und – wen wundert´s – ist natürlich verfressen und jähzornig.

In dem vor wenigen Wochen erschienenen zweiten Buch schlägt sich Bonanno mit verschiedenen kriminellen Auswüchsen menschlicher Sexualität herum. Ein Gauner betreibt mit „Genehmigung“ des lokalen Mafia-Fürsten einen schwunghaften privaten Bordellbetrieb und wird direkt am Anfang der Geschichte, zunächst nicht nachvollziehbar, auf brutalste Weise zusammengeschlagen und dabei fast um sein Leben gebracht. Parallel zu dieser Geschichte um Prostitution, Korruption und Erpressung wird nach und nach eine zweite Geschichte erzählt, die weitaus düsterer, um ein Vielfaches schrecklicher und brutaler ist. Ein Ring von Pädophilen baut eine Bild-, und Filmdatei von Kinderpornographie auf. Das Material stellen sie durch eigenen Kindesmissbrauch selbst her. Beide Geschichten verstricken sich mit dem Fortgang der Erzählung immer mehr miteinander und am Ende gelingt dem braven Carabinieri sowohl die Einbuchtung des Mafiafürsten als auch die Zerschlagung des Kinderpornographieringes. So weit, so gut. Die Geschichten, die Mistretta erzählt, berühren beim Lesen ob ihrer Realitätstauglichkeit. Natürlich wird die Erzählung mit ihrem Fortgang immer spannender und kumuliert zu einem „Showdown“. Aber wie Mistretta die verschiedenen Ebenen miteinander verwebt, bzw. auf welche Weise er uns zum einen die Figuren vorgestellt werden (ein übelgelaunter, wenn auch engagierter und eigentlich herzensguter Carabinieri-Hauptmann; die schon von Camilleri´s Kommissar Montalbano bekannte Schar von mal dümmlich agierenden, mal leidend mitarbeitenden Mitstreitern) zum anderen die Geschichte des Kindesmissbrauchs thematisiert wird, erzeugt bei aller Spannung, ein zuweilen beklemmendes Gefühl. Das Thema wird nicht für einen „Reisser“ instrumentalisiert. Das ist gut so.

Mistretta und Camilleri stammen beide aus Sizilien. Camilleri residiert in einer anderen literarischen Liga als Mistretta. Das ist aber kein Makel, sondern eine Frage der Entwicklung. Camilleri ist im Spätherbst seines Lebens angekommen, hat eine reiche literarische und Lebenserfahrung. Mistretta ist gerade mal halb so alt. Also, nur zu! Wir sind gespannt auf weitere Geschichten.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Kältezone

Man muss nicht, wie einige Rezensenten immer wieder suggerieren, der Meinung sein, dass aus Europas Norden seit Jahren per se die besten Krimis kommen. Aber man muss doch zugeben, dass aus der Tatsache, dass es Regionen gibt, in denen der Sommer keine Dunkelheit und der Winter kein Licht kennt, Umstände erwachsen, die für die Entwicklung einer Dramaturgie in einem Kriminalroman zumindest nicht ganz abträglich sind.

Bekannt ist auch, dass der Mensch zwar ein sehr anpassungsfähiges Wesen ist, sich aber auch nicht an alles klaglos gewöhnen mag. Und so weist beispielsweise Island, die Heimat des Autors dieses Buches, eine sehr beachtliche Selbstmordrate auf. Da im gleichen Zuge auf dieser sehr nördlichen Insel offensichtlich nicht häufig Morde geschehen, entwickelt sich die Aufklärungsarbeit einer isländischen Mordkommission etwas langatmiger, als dies vielleicht in – sagen wir mal – New York üblich ist.

In diesem, schon 2004 in deutscher Übersetzung erschienenen mittlerweile sechsten Krimi von Arnaldur Indridason taucht die Leiche, die einen »Fall« und damit Ermittlungen auslöst, erst Jahrzehnte nach ihrem Ableben auf. Auftauchen ist dabei das denkbar schlecht gewählteste Wort, da nicht sie, sondern der See abtaucht, auf dessen Grund sie offensichtlich 30 Jahre lang lag. Während Kommissar Erlendur und seine Kollegen Elínborg und Sigurdur Óli (die Frage, wie man sich isländische Namen und Vornamen und die sprachliche Unterscheidung zwischen Mann und Frau merkt, ist ein eigenes Thema) sich auf die Suche nach der Identität des Skeletts machen, entwickelt sich vor dem geistigen Auge der Leserin und des Lesers eine Parallelgeschichte, die im Leipzig der fünfziger Jahre spielt. Hauptdarsteller dort sind linientreue junge isländische Sozialisten, die mit einem Stipendium des Staates DDR und »betreut« durch Stasi und FDJ an der dortigen Universität studieren. Es ist die Zeit kurz vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Ungarn. Die Staatsmacht in der DDR ist noch nicht vollständig gefestigt, das Spitzelsystem voll im Aufbau befindlich.

Was das mit dem Mordfall in Island zu tun hat? Wie diese beiden Zeitebenen miteinander verflochten sind und wie dies der Autor Arnaldur Indridason literarisch verwebt, macht einen wesentlichen Teil den Lesegenusses aus. Die Geschichte wirkt zunächst verworren, um sich dann aber zu einer Höchstspannung zu entwickeln. Am Ende jedenfalls ist man sich gewiss nicht mehr so ganz sicher, welcher der düsterere Ort ist: Island oder Leipzig?


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Die Fleischmafia

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine neue Folge der Fortsetzungsgeschichte »Fleischsucht: Wie wir unsere Fleischreste unters Volk bringen« veröffentlicht wird. Nur weil derzeit nicht bundesweit über neues Ekel- oder Gammelfleisch skandalisiert wird, heißt das nicht, dass derlei Schweinereien nicht stattfinden. Weiterlesen


Genre: Sachbuch
Illustrated by Econ Berlin

Die Passion des stillen Rächers

»Ein typisches Advokatenbüro kam ins Bild. Schwarze Holzregale voller ungelesener Bücher und Gesetzessammlungen aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, aber sicher noch gültig, wo doch in unserem Land kein Gesetz der letzten hundert Jahre über Bord geworfen wird, alles wird verwertet, wie beim Schwein.«

Solche Schilderungen mit den dazugehörigen halbseidenen Protagonisten sind es vielleicht, die Andrea Camilleris Kriminalromane so erfolgreich machen. Es stimmt zwar, dass Camilleri es meisterhaft versteht, in seinen Büchern Eigenheiten und Charakterzüge seiner Heimat Sizilien, vor allem die seiner Bewohner, zu illustrieren. Aber es sind ja nicht literarische Soziogramme, die aus einem interessanten Sujet eine Lesefreude machen. Und erst recht kann man damit nicht die Beständigkeit, mit der jede Ankündigung eines neuen Buches des sizilianischen Autors die Vorfreude auf die Lektüre weckt, erklären. Camilleri versteht es vor allem, seine Welt in den vielen kleinen Szenen, in den Beschreibungen der unaufgeräumten Winkel, zu beschreiben — und sei es eben ein Regal vollgestellt mit juristischer Literatur, in einem Anwaltsbüro, ungelesen. Und was ist ein Jurist, der seine Gesetzeswerke nicht liest?

Camilleris neuestes Krimiabenteuer rund um den Commissario Montalbano beginnt mit einem im Krankenhaus delirierenden Montalbano, genesend von einer Schusswunde inklusive dem dazugehörenden Schock, schlaflosen Nächten und seiner Endlosverlobten, Livia, die aus Genua anreist und Montalbano in seinem Strandhaus pflegt. Klar, dass diese allzu ruhige Situation schnell durch einen kriminellen Akt unterbrochen wird. Die Unterbrechung ereilt den Rekonvaleszenten in Form einer Entführung. Eine junge Frau verschwindet, die Familie ist nicht nur außer sich, sondern am Boden zerstört. Die Entführer brauchen eine kleine Ewigkeit, bis sie sich mit ihrer Forderung melden. Die Situation wird um so absurder, umso klarer wird, dass eigentlich alle Beteiligten im Vorhinein wussten, dass die Eltern der Entführten keineswegs in der Lage sein würden, die geforderten Millionen zu zahlen.

Was sich in diesem Buch nach und nach entspinnt, ist ein Geflecht aus familiärem Abgrund, finanziellen Transaktionen diesseits und jenseits der Legalität begleitet von einem politischen Lokalkolorit, wie er auch nach hundertfacher Interpretation durch Hollywood noch Niemand hat den Sizilianern nachmachen können. Ein Spinnengeflecht á la siciliana. Klar ist, dass am Ende alles anders kommt, als der Leser bis kurz vor Schluss denkt. Und wie das geht, verraten wir hier natürlich nicht. Der Weg dorthin, so viel sei verraten, ist kurzweilig.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Geheime Melodie

Der Großmeister des Agenten-Thrillers John le Carré ist beileibe kein eindimensionaler Versprachlicher von Geheimdienstmythen oder Verschwörungstheorien. Beides ist Bestandteil seiner Literatur, beschreibt diese aber nicht hinreichend. Der mittlerweile 75jährige britische Autor und gelernte Germanist ist einer der brillantesten Erzähler der europäischen Literatur und ein im besten Sinne guter Geschichtenerfinder. Haben ihm 1989 die Geheimdienste der sozialistischen Staaten einen großen Resonanzboden für seine Geschichten, die sogenannte »Systemauseinandersetzung« zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten, entzogen, so zeigte le Carré bald schon durch seine Beschäftigung z.B. mit dem nicht minder tödlichen Methoden der Pharmaindustrie und ihrer politischen Helfer im Roman »Der ewige Gärtner«, oder mit den Verquickungen und Kumpaneien zwischen den Geheimdiensten der westlichen Großmächte mit den Drogenbaronen und ihren Waffenhändlern in »Der Nachtmanager«, dass ihm nicht nur der Stoff keineswegs ausgeht, sondern zudem, dass er ein wacher und politisch Stellung beziehender, zuweilen sogar anklagender Literat und Weltbürger ist.

Sein Buch »Geheime Melodie« gehört nun eindeutig zur letzteren Sorte von le Carré-Krimis. In »Geheime Melodie« zieht es einen von einem britischen Missionar mit einer Afrikanerin gezeugten und in Zentralafrika geborenen Dolmetscher in sein Geburtsland zurück. Grund der Rückkehr ist der Einsatz für den britischen Geheimdienst, der ihn, da er viele der afrikanischen Sprachen und Dialekte perfekt sprechen und übersetzen kann, als Dolmetscher für eine Konferenz engagiert, auf der angeblich eine demokratische Friedensordnung für den Kongo abgestimmt werden soll. Bruno Salvador, so nennt le Carré seine Hauptfigur, lässt sich, ob dieses Zieles, gerne einspannen und übersetzt nicht nur auf der Konferenz, sondern horcht die Teilnehmer für den britischen Dienst aus. Der Einsatz bei dieser Geheimkonferenz hat für Salvo, wie Salvador in der Kurzform genannt wird, aber weit reichende Folgen bis hin zum Abtauchen in den Untergrund. Zurück lässt er dabei seine bürgerliche Existenz, seine hochfeinen Vorstellungen von Ästhetik und Lebensstil. Dafür nimmt er Dokumente von dieser Konferenz mit, die explosiv und hochgefährlich sind. Man braucht kein professioneller Agentenjäger zu sein um sich auszumalen, was unserem Helden geschehen kann. Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass ein Dolmetscher aus gutbürgerlichen britischen Verhältnissen, wenn auch durch Einsichten politisch radikalisiert, so schnell seine Naivität gegen den kalten Zynismus eines gewieften Untergrundkämpfers wird eintauschen können, dass ihm nichts zustoßen kann. Aber mehr sei von der Handlung auch nicht verraten.

John le Carré hat sich, wie immer in der Vorbereitung auf seine literarischen Stoffe, vor Ort umgesehen und recherchiert. Eine Reise in den Kongo führte ihn in das Grenzgebiet zu Ruanda. Dort erlebte er die Folgen der Gewalt und des Krieges, vor allem des Genozides an dem Volk der Tutsi wie auch der Gräuel durch Tutsi-Kämpfer, die auf ihrem Feldzug gegen geflohene Hutu-Milizen diese in den Kongo folgten und nun ihrerseits zu Gewalttätern wurden. Sein Resümee formulierte er so: »Die Wirklichkeit ist so überwältigend, dass alle Fiktion dagegen verblasst«.

»Geheime Melodie« ist kein Tatsachenbericht. Wohl ist dieser Roman sowohl ein gut konstruierter und spannend geschriebener Krimi als auch eine politische Anklage gegen die Politik einer englischen Regierung, die sich in einer Kontinuität ihrer kolonialen Vergangenheit weiterhin gegen die Interessen der Menschen in Afrika stellt und zugleich politische Anteilnahme heuchelt.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by List München

Schüsse mit Empfangsbescheinigung

Seit 1985 erscheint in dem italienischen Wochenmagazin »L´Espresso« jeweils auf der letzten Seite eine Kolumne von Umberto Eco. Diese Kolumne behandelt alle möglichen (und scheinbar unmöglichen) Themen. Es sind auch politische Fragen, über die Eco resoniert, aber viel häufiger entstammen die Themen der Alltagswelt. Die Kolumne trägt den Titel »Bustina di Minerva« und Eco selbst hat bisher zweimal eine Auswahl seiner »Streichholzbriefe« bezeichneten Texte veröffentlicht. Nun ist eine dritte Auswahl, zusammengestellt von seinem deutschen Übersetzer Burckhart Kroeber, im Hanser Verlag unter dem Titel „Schüsse mit Empfangsbescheinigung“ erschienen.

Was aber sind »Streichholzbriefe«, was ist eine »Bustina di Minerva«? — Wer könnte auf diese Frage kompetenter antworten als der Autor selbst. In der Einleitung zu seiner letzten Auswahl an »Streichholzbriefen« schrieb Eco: »Der Titel `Bustina di Minerva´ bezieht sich auf jene kleinen Streichholzhefte, die von der Firma Minerva hergestellt werden, und auf die Tatsache, dass man sich auf der Innenseite des Deckels oft Telefonnummern notiert, Einkaufslisten anlegt oder auch (wie ich) eben festhält, was einem gerade durch den Kopf geht, während man im Zug unterwegs ist, in der Bar oder im Restaurant sitzt, Zeitung liest, ein Schaufenster betrachtet, in den Regalen einer Buchhandlung stöbert. Daher hatte ich von Anfang an festgelegt, dass ich, falls es mir eines Abends aus ganz persönlichen Gründen einfallen sollte, über Homer nachzudenken, darüber schreiben würde, auch wenn Homer nicht gerade die Titelseiten der Zeitungen füllt. Wie man sieht, habe ich es oft so gehalten, mit oder ohne Humor.«

Die Auswahl, die Kroeber nun vorstellt, ist komplett frei von politischen Texten. Eco macht sich in diesen erstmals im deutschen nachzulesenden Texten Gedanken über die immerwährende kulturpessimistische Frage, ob das Buch, ob das Lesen überhaupt noch eine Zukunft habe und schreibt »Vom Lesen im Bett«. Er echauffiert sich über »Leibffreudige Katholiken und bigotte Laien« ebenso wie über »Diebstähle mit Pfiff«. Oder er beschäftigt sich mit der Frage, warum Hacker — auch gegen den eigenen Willen — systemerhaltend wirken:

»Die jüngsten weltweiten Virenanschläge aufs Internet dürfen uns nicht wundern. Je komplizierter eine Technik ist, desto angreifbarer wird sie. In einer niedrig fliegenden Propellermaschine war es ein leichtes, mit einem Flugzeugentführer fertig zu werden: Man machte die Tür auf und warf ihn hinaus. In einer interkontinentalen Düsenmaschine kann auch ein Irrer mit einer Schreckschusspistole alle in Schach halten. (…) Wer hat Zeit, vierundzwanzig Stunden am Tag die neuen Möglichkeiten seines Computers zu studieren? Die Hacker, eine neue Art von Eremiten, die den ganzen Tag mit (elektronischer) Meditation verbringen. (…) Dabei kann es sein, daß viele von ihnen glauben, im „Geist von Seattle“ zu handeln, das heißt, sich dem Moloch der Globalisierung entgegenzustemmen. In Wahrheit sind sie jedoch die besten Kollaborateure des Systems, denn um sie zu neutralisieren, muß das System sich immer mehr und immer noch schneller erneuern.«

Eco beschäftigt sich mit Sprache, er ist Professor für Semiotik. Ecos Texte sind eine wahre Lesefreude. Sie sprühen vor Eloquenz und sind zugleich selbstironisch. Wer von diesem Professor aus Bologna seziert wird, weiß am Ende nicht, ob er weinen oder lachen soll. Die Leserinnen und Leser sind sich einig: Sie freut´s.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Carl Hanser München

Mit brennender Geduld

Es ist für leidenschaftliche Leserinnen und Leser eine gewisse Herabwürdigung ihrer Lektüre, wenn ein Buch als »Buch zum Film« gehandelt wird. Wenn allerdings die Verfilmung eines literarischen Stoffes sowohl ästhetisch gelungen ist, und sie zudem dem Buch zu Aufmerksamkeit und zu weiteren Lesern verhilft, dann sollte man alles Beleidigtsein vergessen und sich freuen, dass der Text womöglich neue Freunde gefunden hat.

Mit diesem Literaturtipp verhält es sich leider noch nicht einmal so. Und dabei waren alle Voraussetzungen erfüllt: eine wahrhaft kongeniale Verfilmung mit zwei herausragenden Schauspielern in den Hauptrollen, Phillip Noiret und der leider nach den Dreharbeiten verstorbene Italiener Troisi. Der Name des Filmes lautet »Il Postino — der Postmann«. Das Buch, dem dieser Film zugrunde liegt trägt den Titel »Mit brennender Geduld« und wurde von dem chilenischen Schriftsteller Antonio Skármeta verfasst. In diesem Buch schildert Skármeta die Geschichte des Postboten Mario Jiménez und des chilenischen Dichters Pablo Neruda. Jiménez bringt Neruda täglich seine Post und mit einem Gedicht, das er dem Dichter abringt, bezirzt er seine Liebste. Es ist eine Geschichte über die Poesie und die Kraft der Dichtung. Es ist zugleich eine Geschichte aus der jüngeren Historie Chiles und seiner Menschen. Eine Erzählung über die Emanzipation der »kleinen Leute«, über Putsch und Exil. Aber es ist vor allem eine zutiefst emotionale Erzählung, die auf knapp 140 Seiten mit einer eindringlichen und poetischen Sprache fesselt und sehnsüchtig macht — auf mehr Poesie.

Das Buch hat es in Folge des wunderschönen und unbedingt sehenswerten Filmes leider nicht zu großer Auflage geschafft. Aber es ist erhältlich — und das ist heute doch schon etwas wert. Zumindest für die, die sich auf dessen Lektüre freuen dürfen.


Genre: Romane
Illustrated by Piper Malik Kabel München

Babettes Fest

Sie kennen das Buch? Sind Sie sicher? Oder kennen Sie vielleicht die (sehr gute) Verfilmung dieser Geschichte durch den dänischen Regisseur Gabriel Axel? Dann kennen Sie die Handlung — aber Sie kennen das Buch nicht. Das aber sollten Sie unbedingt kennen lernen.

Die Geschichte der französischen Köchin Babette, die nach der Zerschlagung der Pariser Kommune nach Norwegen flieht, für zwölf Jahre die Haushälterin zweier asketisch in einer streng protestantischen Dorfgemeinschaft lebenden Schwestern ist, kann schnell erzählt werden. Aber die Geschichte ist doch so reich, wie die Handlung scheinbar schlicht ist. Die Französin blieb für diese zwölf Jahre in der norwegischen Einöde durch ein Lotterie-Los mit ihrer Heimatstadt Paris verbunden. Dieses Los verhilft ihr nun nach all den Jahren zu einem stattlichen Gewinn von 10.000 französischen Francs. Babette lädt aus diesem Anlass die Schwestern und die gesamte asketische Protestantengemeinde zu etwas für diese Menschen schier Unbeschreiblichem ein: zu einem französischen Dîner. Und sie kocht meisterlich. In die Kälte und Öde des norwegischen Dörfchens und in die Askese seiner Bewohner bricht etwas Warmes, Reiches und zutiefst Sinnliches ein: ein kulinarisches Fest auf höchstem Niveau. Die Einwohner ihrerseits ahnen schon kurz nach der Einladung zum Essen Böses und schwören sich gegenseitig darauf ein, den Abend furchtbar zu finden und der Versuchung und der Sünde nicht nachzugeben. Daraus wird nichts. Aus Ablehnung wird Skepsis, diese verwandelt sich im Verlaufe des Abends und im Fortgang der Gänge des Menüs in Seeligkeit und Glück. Etwas Neues, Fremdes hat Einzug gehalten — und hat alles verändert.

Das Buch hat 80 Seiten. Lesen Sie es an einem Nachmittag, an dem Sie Ruhe haben. Trinken Sie einen guten Tee oder Kaffee dabei. Die Lektüre dauert nicht lange — aber sie sollte in einen Abend münden, an dem Sie sich etwas Schönes gönnen. Und sei es ein wunderbares Essen — aber nicht allein! Auf jeden Fall werden Sie nach der Lektüre das Textzitat, das auf der Rückseite des Buches steht, verstehen: »Diese Frau verwandelt ein Dîner im Café-Anglais in eine Art Liebesaffäre — eine Liebesaffäre von der edlen, romantischen Sorte, wo man nicht mehr unterscheidet, was körperliche und was geistige Begierde und Sättigung ist.«


Genre: Romane
Illustrated by DVA München