Seit 1985 erscheint in dem italienischen Wochenmagazin »L´Espresso« jeweils auf der letzten Seite eine Kolumne von Umberto Eco. Diese Kolumne behandelt alle möglichen (und scheinbar unmöglichen) Themen. Es sind auch politische Fragen, über die Eco resoniert, aber viel häufiger entstammen die Themen der Alltagswelt. Die Kolumne trägt den Titel »Bustina di Minerva« und Eco selbst hat bisher zweimal eine Auswahl seiner »Streichholzbriefe« bezeichneten Texte veröffentlicht. Nun ist eine dritte Auswahl, zusammengestellt von seinem deutschen Übersetzer Burckhart Kroeber, im Hanser Verlag unter dem Titel „Schüsse mit Empfangsbescheinigung“ erschienen.
Was aber sind »Streichholzbriefe«, was ist eine »Bustina di Minerva«? — Wer könnte auf diese Frage kompetenter antworten als der Autor selbst. In der Einleitung zu seiner letzten Auswahl an »Streichholzbriefen« schrieb Eco: »Der Titel `Bustina di Minerva´ bezieht sich auf jene kleinen Streichholzhefte, die von der Firma Minerva hergestellt werden, und auf die Tatsache, dass man sich auf der Innenseite des Deckels oft Telefonnummern notiert, Einkaufslisten anlegt oder auch (wie ich) eben festhält, was einem gerade durch den Kopf geht, während man im Zug unterwegs ist, in der Bar oder im Restaurant sitzt, Zeitung liest, ein Schaufenster betrachtet, in den Regalen einer Buchhandlung stöbert. Daher hatte ich von Anfang an festgelegt, dass ich, falls es mir eines Abends aus ganz persönlichen Gründen einfallen sollte, über Homer nachzudenken, darüber schreiben würde, auch wenn Homer nicht gerade die Titelseiten der Zeitungen füllt. Wie man sieht, habe ich es oft so gehalten, mit oder ohne Humor.«
Die Auswahl, die Kroeber nun vorstellt, ist komplett frei von politischen Texten. Eco macht sich in diesen erstmals im deutschen nachzulesenden Texten Gedanken über die immerwährende kulturpessimistische Frage, ob das Buch, ob das Lesen überhaupt noch eine Zukunft habe und schreibt »Vom Lesen im Bett«. Er echauffiert sich über »Leibffreudige Katholiken und bigotte Laien« ebenso wie über »Diebstähle mit Pfiff«. Oder er beschäftigt sich mit der Frage, warum Hacker — auch gegen den eigenen Willen — systemerhaltend wirken:
»Die jüngsten weltweiten Virenanschläge aufs Internet dürfen uns nicht wundern. Je komplizierter eine Technik ist, desto angreifbarer wird sie. In einer niedrig fliegenden Propellermaschine war es ein leichtes, mit einem Flugzeugentführer fertig zu werden: Man machte die Tür auf und warf ihn hinaus. In einer interkontinentalen Düsenmaschine kann auch ein Irrer mit einer Schreckschusspistole alle in Schach halten. (…) Wer hat Zeit, vierundzwanzig Stunden am Tag die neuen Möglichkeiten seines Computers zu studieren? Die Hacker, eine neue Art von Eremiten, die den ganzen Tag mit (elektronischer) Meditation verbringen. (…) Dabei kann es sein, daß viele von ihnen glauben, im „Geist von Seattle“ zu handeln, das heißt, sich dem Moloch der Globalisierung entgegenzustemmen. In Wahrheit sind sie jedoch die besten Kollaborateure des Systems, denn um sie zu neutralisieren, muß das System sich immer mehr und immer noch schneller erneuern.«
Eco beschäftigt sich mit Sprache, er ist Professor für Semiotik. Ecos Texte sind eine wahre Lesefreude. Sie sprühen vor Eloquenz und sind zugleich selbstironisch. Wer von diesem Professor aus Bologna seziert wird, weiß am Ende nicht, ob er weinen oder lachen soll. Die Leserinnen und Leser sind sich einig: Sie freut´s.