Oh, Ihr Schauspieler, die Ihr eines nahen Tages dieses auf Anregung der Bayerischen Staatsoper ausdrücklich für die Bühne geschriebene Zweipersonenstück auswendig lernen müsst, Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl, denn schon Brünhilde, die widerborstige Lieblingstochter von Götterpapa Wotan, ergießt sich gleich mit 48 Seiten Text, mit einem Redeschwall in 1.189 Zeilen, in 71.340 Zeichen, bis der gekündigten Walküre erst einmal die Puste ausgeht und der gebrochene Gott, Wotan Wanderer, auf der Suche nach sich selbst und dem eigenen Untergang, zu Wort kommt. Und was antwortet ihr der Olympier, dem eigentlich keiner mehr so recht glauben oder gar folgen mag, da er Verträge nach eigenem Gutdünken interpretiert, sie mit Raubgold erfüllt, und dessen Rechtfertigungen deshalb kaum jemanden wirklich interessieren? »Kind. Soviel hast du ja noch nie gesagt! Ich hör dir jetzt seit Stunden zu, aber was hast du gesagt? Ich weiß es nicht mehr.«
Welch weise Worte, wilder Wotan. Oder ist es die Selbsterkenntnis der Autorin, die denjenigen, der sich an ihren Text wagt, vorwarnen möchte? Denn wer die ersten zwei Stunden des Monologschaums überstanden hat, der hat nur noch gute vier Stunden Wortwahn zu durchschwimmen. Wer Jelinek liest, ahnt wohl, was ihn erwartet, sonst sei er gewarnt. Er wird sich nicht beklagen, sondern vielmehr die philosophische Tiefe in den Texten suchen wie weiland Alberich das tückische Gold im schlammigen Rhein. Er wird vielleicht verstehen, was den rosaroten Panther, das Rheingold und das Jelineksche Verständnis des Marxschen »Kapital« verbindet und daraus ein intellektuelles Rahmenprogramm bestreiten können, das mäandert wie weiland Vater Rhein vor seiner zwanghaften Begradigung, die es den vielen Schatzsuchern unserer Tage so unendlich erschwert, das in den Auenlandschaften wartende Rheingold zu bergen.
Der Text, Elfriede J. mag es mir nachsehen, wirkt wie der innere Monolog einer inmitten des Feuerrings auf ihrem Walkürenfelsen gelangweilt auf die Erlösung durch den einen Helden harrenden Brünhilde mit ihrem Vater, der sie verstieß, nicht mehr mit ihr redet, dem sie jedoch alles nahezu zwanghaft erklären will, ihr Denken, ihr Handeln, ihr Aufbegehren, ihren Verrat. Gemischt mit einem guten Schuss Antikapitalismus macht die Autorin aus Wotan einen Bundespräsident a.D., der einer entwerteten Gesellschaft vorsteht, die sich als Exportweltmeister geriert und glaubt, alle Probleme mit dem Anwerfen der Geldpresse lösen zu können, um auf diesem Wege Erlösung zu spenden. Dies geschieht in einer Kunstsprache, die immer wieder Geld als Meta-Tag einsetzt und als Spiegel der intellektuellen Leere unserer Zeit verstanden werden möchte. Wie Brünhilde schreibt sie fleißig, tippt wütend »Bits und Bytes«, brennt ein Feuerwerk wilder Worte ab und sinniert. Wie heißt es an einer Stelle: »Da regt sich was und vermehrt sich! Wir könnens nicht sein, aber da bewegt sich noch was.»
Jelineks »Rein GOLD« ist, kurz gefasst, eine Suada, die sich über den Leser ergießt und in ihrer Monotonie, von ein paar Kalauern (»Der Wurm, \”ein großer und nicht im Rechner\”, bewacht« … den Nibelungenschatz) abgesehen, wenig Neues oder Erfrischendes zum Thema Wagner bringt. Das »reine Gold«, das die Autorin verspricht, entpuppt sich dabei recht schnell als literarisches Talmi.
Elfriede Jelinek
rein GOLD. Ein Bühnenessay
Rowohlt 2013
ISBN 978-3-498-03339-2