Familienbande

Familienbande
“Dein Vater wird auch dann noch am Leben sein, wenn längst niemand mehr weiß, dass es Nachkommen von ihm gegeben hat.” *1 Diesen Satz sagt die Mutter nach dem Tod des Vaters zu ihrem jüngsten Sohn Michael. Sie meint das nicht böse, sie sagt es nicht im Streit. Das ist eben ihre Sicht der Dinge, ihre Sicht auf die Bande, die ihre Familie umschlingen. Die Mutter ist Katia Mann und der Vater, das ist Thomas Mann, der Zauberer. Kaum eine Familiengeschichte ist so umfassend dokumentiert wie die der Manns. Doch im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit stand stets der Zauberer selbst, allenfalls die Söhne Klaus und Golo und die Tochter Erika erfuhren relevantes Interesse.Über den jüngsten Sohn, Michael, liest man meist nur eine Randnotiz wie “Michael ist Musiker und hat ein Programm vorzubereiten.” *2
Michael Degen erzählt in seinem Roman Familienbande von Michaels Leben, seiner zerrissenen Persönlichkeit, seiner Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe im kalten Umfeld einer intellektuellen Familie. Michael war von den sechs Kindern Thomas Manns das ungewollte, das ungeliebte Kind. Ein Kind, dem der große Schriftsteller mit Distanz, zeitweise mit Verachtung und Ekel begegnete. Die Mutter stellte ihren Gatten und sein Ausnahmetalent über alles, auch über ihre Kinder. Michael, Bibi genannt, ist als Kind schon schwierig, früh zeigt sich ein Hang zur jähzornigen Gewalttätigkeit. .Seine Frau Gret, Gefährtin seit Jugendtagen, wird die Einzige sein, der es gelingt, ihn halbwegs in der Spur des Lebens zu halten. In den Kriegsjahren, als die Familie in alle Winde zerstreut wird, erblüht Michael Manns Liebe und Talent zur Musik. Er wird zu einem der besten Bratschisten des letzten Jahrhunderts. Gemeinsam mit Yaltah Menuhin gibt er umjubelte Konzert auf ausgedehnten Tourneen. Doch es reicht nie. Der Vater verweigert die Anerkennung. Ein Musiker sei lediglich reproduzierender Künstler, keiner, der etwas erschaffe. Bis zum Lebensende Thomas Manns schaffen es Vater und Sohn gerade eben, ein Arbeitsverhältnis zu haben, als Thomas Mann Hilfestellung Michaels zum Dr. Faustus annimmt. Michaels ältester Sohn, Frido wird hingegen vom Großvater mit Liebe überschüttet, “für dieses junge Leben trägt er Segenswünsche im alten Herzen” *3
Auch dies löst in Michael Mann äußerst ambivalente Gefühle aus, welche seine eigene kleine Familie zu zerstören drohen. Nach dem Tode des Vaters bricht Michael jäh mit seiner bisherigen Karriere und beginnt eine zweite als Germanist. Auf Bitten der Mutter gibt er schliesslich die unveröffentlichten Tagebücher des Vaters heraus. Doch mit dem, was er darin über sich selbst lesen muss, wird er zeitlebens nicht fertig werden können. Wie Klaus hat auch Michael einen Hang zur Selbstzerstörung, schließlich stirbt auch er in einem Exzess aus Alkohol und Drogen.

Michael Degen ist ein großartiger Roman von bemerkenswerter Dichte gelungen. Man merkt an jeder Stelle des Romans, wie sehr dem Autor Sprache am Herzen liegt und wie virtuos er damit umzugehen versteht. Er beschönigt nichts, er wirbt auch nicht um Verständnis, er erklärt. Doch dem Leser sind die Charaktere stets nah. Darin liegt eine große Stärke dieses Buches. Ganz sicher ist es auch ein großer Verdienst des Autors, das Schicksal Michael Manns aus einer Ecke herausgeholt zu haben, in die es nicht gehörte und Dinge zu beleuchten, die bisher kein großes Interesse fanden. So war mir neu, dass Michael Mann gemeinsam mit Yaltah Menuhin konzertierte. Diese Tatsache alleine ist schon so interessant, dass ich mich ernsthaft frage, warum dies niemand bisher eines Romans für würdig befunden hat. Der Sohn eines berühmten Vaters, die Schwester eines berühmten Bruders – “wir haben beide unser Päckchen zu tragen”. So lässt es Michael Degen die schöne Geigerin sagen. Welch ein Thema. Zwei hochbegabte Künstler, gefeiert, aber nie aus dem übermächtigen Schatten der berühmten Verwandschaft heraustreten könnend. Sie werden bejubelt auf ihren Reisen, doch in den Behelfs-Schaufenstern der Nachkriegszeit hängen nur Plakate des Zauberers.

Dennoch – Familienbande ist ein Roman. Keine Biographie.Ich bin hinlänglich, aber nicht in allen Details mit der Geschichte der Familie Mann vertraut und bin mir nicht sicher, was in diesem Roman Fiktion und was wirklich so geschehen ist. Degen belegt zwar seine Zitate, verweist im Roman selbst auch auf verschiedene Quellen, aber ich hätte es schon gerne etwas genauer gehabt. Ich wüsste gerne, ob Katia Mann den eingangs erwähnten Satz wirklich so gesagt hat. Auch erschien mir die Person Gret Mosers zu verklärt. In Interviews mit Frido Mann liest sich das signifikant anders. Darüber hinaus hat mich irritiert, dass die Adoptivtochter von Gret und Michael, Raju, Degen nicht eine einzige Erwähnung wert war.

Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen ist Familienbande ein tief berührender, aber auch verstörender Roman, der auch abseits der Thomas-Mann-Gemeinde sein Publikum finden sollte. Er zeigt eindrücklich, was Familienbande lebenslang unabänderlich anrichten können Man ist versucht, während der Lektüre zu seinen Kindern zu gehen und zu fragen: Ihr wisst schon, dass ich Euch lieb habe und stolz auf Euch bin?

Der Autor: Michael Degen ist einer der renommiertesten Schauspieler Deutschlands. Seit seiner Autobiographie “Nicht alle waren Mörder” ist er auch als Schriftsteller überaus anerkannt. Als Schauspieler ist er mir vor allem erinnerlich als Meister der leisen Töne und genau diese sind es auch, welche die Familienbande so lesenswert machen.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.

Quellenangabe: 
*1 S.461, Familienbande
*2 aus Heinrich Breloer, die Manns
*3 aus Briefwechsel Thomas Mann/ Agnes Meyer


 


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt