In der Anthologie „Schaurige Orte in Österreich“ nimmt Herausgeber Lutz Kreutzer selbst die Feder in die Hand, um eine packende Erzählung aus seiner Zeit als Geologie-Student zum Besten zu geben.
Im Sommer 1984 begibt er sich in die höchsten Berge der Karnischen Alpen, um ungelöste Rätsel der Erdgeschichte zu erforschen und einen weißen Fleck auf der geologischen Karte zu schließen. Mit der Ausdauer eines Pferdes erklimmt der junge Kreutzer den südlichsten Gletscher Österreichs, das Eiskar, um Gesteinsproben aus dem Paläozoikum zu sammeln – einer Zeit, die rund 200 Millionen Jahre vor den Alpen liegt.
Kreutzers Abenteuer wird durch die Legende des Karawankenbären begleitet, der im ewigen Eis hausen soll und bereits manchen Bergsteiger in Angst und Schrecken versetzt hat. Als Kreutzer bei seinen einsamen Touren auf mögliche Spuren des legendären Braunbären stößt, lässt er den Eispickel nicht mehr los. In beeindruckender Detailtreue beschreibt er das Märchenreich aus Gestein und Eis und erzählt von seiner Freundschaft mit einer kleinen Maus, die er in einer versteckten Hütte in einer Felsspalte findet.
Meisterhaft zieht Kreutzer den Leser in seine autobiografische Erzählung hinein und vermittelt anschaulich, wie faszinierend und gleichzeitig bedrohlich die Naturgewalten in Extremsituationen sein können. Damit setzt er die Messlatte hoch für die anderen elf Autoren der Anthologie.
Einer von denen ist Daniel Carinsson, der den Leser in die Zeit der Kelten entführt. Er erzählt von einer weiträumigen Tempelanlage in Niederösterreich, die vor tausenden Jahren als kultisches Zentrum eines mächtigen Fürstentums diente. Carinsson bezieht sich dabei auf seltene Beweisstücke, die die Blütezeit der Kelten in Österreich weit vor unserer Zeitrechnung belegen. In einer Traumvision schildert er aus der Sicht eines Druidensohns ein rituelles Blutopfer zu Ehren Cernunnos’, des gehörnten Fruchtbarkeitsgottes.
Andrea Nagele sorgt für Gänsehaut, indem sie die Legende um eine zugemauerte Tür in der Frauenkirche von Pernegg aufgreift, bei der der Teufel höchstpersönlich eine tragende Rolle spielt.
Blutrünstig ist die Geschichte von Edith Kneifl, die sich um die Wiener Blutgräfin Erzsébet Báthory dreht. Die Nichte des polnischen Königs soll hunderte junge Mädchen ermordet haben. Kneifl schildert die Erlebnisse einer jungen Studentin, die in das Gebäude zieht und damit den Fortbestand einer blutrünstigen Dynastie thematisiert.
„Schaurige Orte in Österreich“ bietet eine fesselnde Sammlung, die meisterhaft historische Schauplätze und düstere Legenden zu einem unvergesslichen Leseerlebnis verwebt.