Bösartig unterhaltsam
Einer der Nominierten für den Deutschen Buchpreis 2023 ist der Österreicher Thomas Oláh mit seinem Debütroman «Doppler», der vom deutschen Feuilleton, ganz im Gegensatz zu anderen Büchern aus den großen und bekannten Verlagen, völlig ignoriert wurde. Bei Perlentaucher, verlässliche Informations-Quelle über das Echo in den Medien, findet sich einzig eine Buchkritik des Deutschlandfunks. Ganz anders bei den privaten Kritikern im Versand-Buchhandel, aber auch bei Literaturkritik.de, wo der Roman, wie die anderen Nominierten auch, eine durchaus ‹normale› Beachtung und wohlwollende Aufnahme findet. So weit, so (nicht) gut, denn dem Kostümdesigner und Kulturhistoriker ist mit seinem Erstling ein durchaus lesenwerter Roman gelungen, der mehr Beachtung verdient hätte.
In einem turbulenten Plot erzählt ein namenlos bleibender Junge gleich zu Beginn völlig emotionslos, mit einem verstörenden Fokus selbst auf die kleinsten Details, was bei dem Autounfall 1970 passiert ist, den er als Einziger überlebt hat. Seine Eltern und sein jüngerer Bruder kamen dabei ums Leben, er selbst landete mit Gehirn-Erschütterung im Krankenhaus. Fortan lebt er bei seinen Großeltern auf dem Lande, die in langer Familien-Tradition Weinanbau betreiben. Als nicht-österreichischer Leser lernt man in diesem Roman so einige sprachliche Besonderheiten und viele spezifische Begriffe, zu denen auch der titelgebende «Doppler» gehört. Gemeint ist damit eine Zweiliterflasche, in der landesüblich der Wein abgefüllt wird. Der Autor lässt es sich aber auch nicht entgehen, in einem der Kapitel den von seinem österreichischen Entdecker erstmals theoretisch beschriebenen Doppler-Effekt zu thematisieren und spöttisch, so ganz nebenbei, amüsante Verbindungen zwischen Physik und Wein herzustellen.
Überhaupt spielt der Wein in diesem Roman eine tragende Rolle, es wird hier unglaublich viel getrunken, natürlich auch in der Weinbauern-Familie, wobei dem edlen Getränk ehrfürchtig ‹zugesprochen› wird, es wird goutiert, nicht gesoffen! Die dabei üblichen Rituale permanenter Verkostung werden weitervererbt, sogar der kleine Enkelsohn und Ich-Erzähler bekommt Wein zu kosten und entwickelt nach anfänglichen Schwierigkeiten tatsächlich eine beachtliche Kennerschaft. Er beobachtet, wie auch der Pfarrer das Weintrinken zum andächtigen Ritual erhebt, nicht weniger innig, wie es scheint, als bei der Andacht in seiner Kirche. Religion und Wein, Katholizismus und Alkoholismus gehen hier wie selbstverständlich eine symbiotische Beziehung ein, spottet der Autor. Die Roman-Figuren sind allesamt archetypisch und leben in einer Zeitblase, die keinen Fortschritt kennt. Allein durch ihre Namen schon werden sie vom Autor stimmig charakterisiert, da gibt es den «grausamen Onkel», der die Prügelstrafe wie eine Messe zelebriert, und dessen Söhne sind die «enthusiastischen Cousins», zwei bösartige Volltrottel. Es gibt den «Onkel mit dem wilden Auge», der schielt, oder die «kindische Tante», eine Epileptikerin, schließlich die «lachende Cousine», die, ein paar Jahre älter schon, sich mit dem jungen Ich-Erzähler zum Petting trifft.
«Doppler» ist, ohne erkennbaren biografischen Bezug, offensichtlich eine Abrechnung des Autors mit seiner Heimat zu jener Zeit. Sein Text ist bissig, durch die distanzierte, geradezu lakonische Erzählhaltung aus der Kinderperspektive aber auf bösartige Weise auch unterhaltsam. Der Plot besteht aus lauter erzählerischen Miniaturen, zu denen vor allem die mit beängstigender Phantasie ausgemalten, gewaltgeprägten und saudummen Jungenstreiche zählen. Eine zweite Erzählebene bildet die geradezu mystisch erhöhte Weinwelt mit dem archaischen Leben dort. Dazu gehören auch Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, dessen Ende hier im Ort in einer Rückblende erzählt wird. Die birgt auch Geheimnisse, welche unerreichbar tief im Gedächtnis der Menschen verankert sind. Dieser oft übertrieben bösartige Roman ist vor allem durch seinen schwarzen Humor gekennzeichnet, sein kreativer Wortwitz trägt einiges dazu bei.
Fazit: 3* lesenswert
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