Port Vila Blues

Wyatt, ein australischer Meisterdieb, erbeutet bei einem Einbruch in das Haus einer Politikerin 50 000 Dollar und ein teures Schmuckstück, eine Tiffany-Brosche mit Diamanten. Mit Hilfe seines Freundes und Informanten Jardine versucht Wyatt, dieses Schmuckstück an die Hehlerin Liz Redding zu verkaufen.

Bei einem Treffen der Beiden wird allerdings klar, dass diese Brosche eine bestimmte Vergangenheit hat, sie wurde schon einmal gestohlen, und eine Versicherung will für die Wiederbeschaffung 25 000 Dollar zahlen. Zusätzlich steht der Schmuck seit einem Einbruch der berüchtigten »Magnetbohrerbande« auf der Fahndungsliste der Polizei. Wyatt will dieser Sache nachgehen und gerät schon bald in Schwierigkeiten, da die Polizei und verschiedene Gangster versuchen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Er geht in die Offensive, ermittelt auf eigene Faust und entdeckt die Hintermänner der Bande. Nach Recherchen und Verfolgungen kommt es schließlich auf der Pazifikinsel Vanuatu vor tropischer Kulisse zum großen Finale.

Ein Kriminalroman, der nicht nur auf der anderen Seite des Globus in Australien spielt, sondern der auch interessant und spannend von der anderen Seite des Gesetzes berichtet.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Pulp Master Berlin

Der Sterne Tennisbälle

Endlich kann man seine Rache leben, denkt der Leser bei der Lektüre dieses Buches, der mit Nedd Madstone fiebert, der fantastisch aussieht, der gute Noten im College hat, einen Vater im Unterhaus, eine feste Freundin, mit der er auch richtig guten Sex hat und der dann lesen muss, wie Nedd Madstone übelst mitgespielt wird, als die Polizei Rauschgift bei ihm findet, obwohl er nie kokst, der dann auch noch, zu allem Unglück, einen geheimnisvollen Brief einer Dame übergeben muss und man Nedd dafür die Rippen bricht und anschließend den Arm auskugelt. Und alles nur, weil sein charmantes Auftreten ihm nicht nur Freunde, sondern Neider und zwar Nedds drei beste Freunde bringt. Des Lesers Wut wird über diese Ungerechtigkeiten angeheizt, man fiebert mit, ärgert sich über die Gemeinheiten, die Nedd angetan werden.

Die Verursacher des Ärgers: Ashley, von Ängsten zerfurchter Emporkömmling, der vor Neid zerfressen wird, Rufus, rauschgiftsüchtig, und der liebeskranke Gordon, der scharf auf Nedds Freundin ist und sie ihm nicht gönnt. Und der Leser, der mit Nedd fiebert, hofft, dass ihm nichts mehr passieren wird, als er kaputtgeschlagen auf ein Schiff verfrachtet wird und wie der Leser weiter Horrornachrichten lesen muss (und die Wut sich immer mehr in ihm aufbaut), wie ihm Psychopharmaka gespritzt werden, als er auf einer schwedischen Insel, auf der eine Nervenklinik für ausländische »Kranke« unterhalten wird (und der Leser denkt, so etwas gibt es doch nur in totalitären Staaten) und Nedd nun 18 Jahre seines Lebens dort verbringen wird, bis ihm eines Tages eine spektakuläre Flucht gelingt, die er dem Tod seines dort kennengelernten Freundes verdankt, der ihm auch den Weg zu seinem großen, zukünftigen Reichtum zeigt, und der Leser weiß, der Graf von Monte ist wieder gekommen und setzt nun seine Gerechtigkeit in die Tat um. Und der Leser muss erfahren, dass alle Beteiligten, auch die Leser, mitnichten ihres eigenen Glückes Schmied sind, sondern lediglich »der Sterne Tennisbälle«.


Genre: Thriller
Illustrated by Aufbau Berlin

Heimatliebe ist mehr als eine Spreewaldgurke

»Vor lauter Globalisierung und Computerisierung dürfen die schönen Dinge des Lebens wie Kartoffeln oder Eintopf kochen nicht zu kurz kommen.« Hier spricht eine berufene Hausfrau, es formuliert aber auch die Chefköchin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel.

Im Zeitalter der digitalen Medien rutschen immer mehr Äußerungen von Würdenträgern und anderen Wichtigtuern unredigiert in die Öffentlichkeit, die dem Bürger ein Lächeln schenken. Im Falle der Pionierleiterin Merkel ist jetzt daraus ein kleines Büchlein entstanden, das eine Viertelstunde Freude schenkt. Die Zitate werden dem Ruf der großen Führerin gerecht, der kleinstmögliche Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen zu sein.

Angelas Welt ist voller Geheimnisse und Abgründe: »Frauen sind wie Teebeutel. Du weißt nicht, wie stark sie sind, bis du sie ins heiße Wasser tauchst«, prophezeite die Oberkommandierende und tauchte unter. Vielleicht dachte sie dabei an den Kochtopf eines Kannibalenstammes und betete: »Die heilige Barbara starb den Martyrertod. Ich hoffe, dass mir das erspart bleibt.

Da sie aber über »gewisse kamelartige Fähigkeiten« verfügt, wird die Merkelin diesen Weg kaum beschreiten müssen. Derweil bereist sie die blühenden Landschaften und lobt dieses, unser deutsches Land: »Ich denke an dichte Fenster! Kein anderes Land kann so dichte und so schöne Fenster bauen!« Das ist auch gut so, dann dringen die Lacher der Bürger selten an die Öffentlichkeit.

Besonders bemerkenswert ist die ausgeprägte Heimatliebe unserer Regierungschefin. »Ich will, dass Mecklenburg-Vorpommern das Bayern des Ostens wird«, lautet ihr politisches Credo. Und so ist es auch ein Merkel-Spruch, der diesem Band seinen Titel verlieh: »Heimatliebe ist mehr wert als eine Spreewaldgurke.« – Guten Appetit!


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Rowohlt

Kältezone

Man muss nicht, wie einige Rezensenten immer wieder suggerieren, der Meinung sein, dass aus Europas Norden seit Jahren per se die besten Krimis kommen. Aber man muss doch zugeben, dass aus der Tatsache, dass es Regionen gibt, in denen der Sommer keine Dunkelheit und der Winter kein Licht kennt, Umstände erwachsen, die für die Entwicklung einer Dramaturgie in einem Kriminalroman zumindest nicht ganz abträglich sind.

Bekannt ist auch, dass der Mensch zwar ein sehr anpassungsfähiges Wesen ist, sich aber auch nicht an alles klaglos gewöhnen mag. Und so weist beispielsweise Island, die Heimat des Autors dieses Buches, eine sehr beachtliche Selbstmordrate auf. Da im gleichen Zuge auf dieser sehr nördlichen Insel offensichtlich nicht häufig Morde geschehen, entwickelt sich die Aufklärungsarbeit einer isländischen Mordkommission etwas langatmiger, als dies vielleicht in – sagen wir mal – New York üblich ist.

In diesem, schon 2004 in deutscher Übersetzung erschienenen mittlerweile sechsten Krimi von Arnaldur Indridason taucht die Leiche, die einen »Fall« und damit Ermittlungen auslöst, erst Jahrzehnte nach ihrem Ableben auf. Auftauchen ist dabei das denkbar schlecht gewählteste Wort, da nicht sie, sondern der See abtaucht, auf dessen Grund sie offensichtlich 30 Jahre lang lag. Während Kommissar Erlendur und seine Kollegen Elínborg und Sigurdur Óli (die Frage, wie man sich isländische Namen und Vornamen und die sprachliche Unterscheidung zwischen Mann und Frau merkt, ist ein eigenes Thema) sich auf die Suche nach der Identität des Skeletts machen, entwickelt sich vor dem geistigen Auge der Leserin und des Lesers eine Parallelgeschichte, die im Leipzig der fünfziger Jahre spielt. Hauptdarsteller dort sind linientreue junge isländische Sozialisten, die mit einem Stipendium des Staates DDR und »betreut« durch Stasi und FDJ an der dortigen Universität studieren. Es ist die Zeit kurz vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Ungarn. Die Staatsmacht in der DDR ist noch nicht vollständig gefestigt, das Spitzelsystem voll im Aufbau befindlich.

Was das mit dem Mordfall in Island zu tun hat? Wie diese beiden Zeitebenen miteinander verflochten sind und wie dies der Autor Arnaldur Indridason literarisch verwebt, macht einen wesentlichen Teil den Lesegenusses aus. Die Geschichte wirkt zunächst verworren, um sich dann aber zu einer Höchstspannung zu entwickeln. Am Ende jedenfalls ist man sich gewiss nicht mehr so ganz sicher, welcher der düsterere Ort ist: Island oder Leipzig?


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Buntschatten und Fledermäuse

Muß man Buntschatten für voll nehmen? fragt sich Axel, der in seiner eigenen Welt lebt. Die Menschen um ihn herum sind für ihn Fledermäuse und Buntschatten, die Geräusche und bestenfalls Klang produzieren, Gefühle und Reaktionen zeigen, die einfach nicht zu begreifen sind. Ihre Sitten und Gebräuche bleiben ihm fremd, wiewohl er zunehmend in der Lage ist, sie zu beachten.

Immer wenn er glaubt, die Buntschattengesetze endlich zu durchschauen, passiert wieder etwas Undurchschaubares. »Dummbart« wurde er als Kind genannt, nun ist Axel ein Muster-Abiturient, dem alle Türen offenstehen. Doch: Warum kann er schwierige Aufgaben der Stochastik mit links lösen, an simplen Fragen des Alltags aber scheitert er kläglich? Er kennt die Hauptstädte aller Länder dieser Erde, aber wie heißt die Hauptstadt von Geselligkeit? Wo liegt die Hauptstadt von Freundschaft? Und wie kommt man in die Hauptstadt von Verliebtsein?

Axel ist enttäuscht von sich. Schlägt denn ein steinernes Herz in seiner Brust? Nur wenn er krank ist, spürt er sich und seinen Körper, ansonsten prägt innere Abwesenheit sein Dasein. Gefühle erreichen ihn nur schwer – man kann sie nicht auswendig lernen. Wie machen Buntschatten das bloß? Axel sorgt für Liebeskummer, ohne ihn selbst spüren zu können.

Als sein Vater stirbt, ist ihm die Traurigkeit der Buntschatten unbegreiflich. Was ist dabei, in die köstliche Ruhe des Friedhofs umzuziehen? Ohne Hilfe der heulenden Buntschatten wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, an einem solchen Tag zu weinen. Als er es vergeblich versucht, wurmt es ihn, dass er bei einer so einfachen Aufgabe versagt.

Zu seinem 18. Geburtstag wünscht sich Axel nichts sehnlicher als Vollständigkeit. Endlich würden seine innere Abgeschiedenheit und Benommenheit verschwinden, um Platz zu machen für Klarheit und Einsicht. Doch auch dieser große Tag endet mit Ernüchterung …
Axel Brauns hat einen großen, schlichten Roman geschrieben. Es ist die Geschichte eines Autisten, es ist seine persönliche Geschichte. Er hat sich das Reich der Sprache souverän erobert und schafft es auf bewundernswert einfache und eindringliche Weise, Einblick in sein abgeschiedenes Leben zu gewähren. Am faszinierendsten aber erscheint der so andere Blick auf unsere eigene Welt. Wie absurd erscheint einiges von dem, was wir Buntschatten wollen und tun! Dergestalt eröffnet uns der Autor gleich zwei neue Weltenräume: seinen speziellen und unseren vermeintlich allbekannten.


Genre: Romane
Illustrated by Hoffmann und Campe

Der Gefangene

Als Anklage gegen das bestehende Rechtssystem in den USA sowie gegen die Verhängung der Todesstrafe liest sich John Grishams jüngstes Buch »Der Gefangene«.

In seinem ersten Sachbuch beschreibt der gelernte Jurist und bekannte Bestsellerautor den Fall eines unschuldig zum Tode verurteilten weißen Amerikaners. Elf Jahre saß Ron Williamson in der Todeszelle, weil ihn gewissenlose Polizisten, die unbedingt einen spektakulären Mordfall abschließen wollten, trotz eines Alibis und offenkundiger Beweise seiner Unschuld zu einem »Traumgeständnis« nötigten. Danach gingen die Beamten in gnadenlosen Verhören unter Androhung von Gewalt soweit, von dem psychisch labilen Mann eine Geschichte zu erpressen, wonach er geträumt habe, wie der Mord abgelaufen sein könnte. Gemeinsam mit »verdächtigen« Lügendetektorkurven und Berichten von Gefängnisspitzeln, die behaupteten, Williamson habe die Tat gestanden, reichte das aus, ihn anzuklagen und zum Tod durch die Giftspritze zu verurteilen.

Die Polizei des kleinen Städtchens Ada im »Bibelgürtel« von Oklahoma hatte zuvor schon zwei Männer, Tommy Ward und Karl Fontenot, auf diese Weise lebenslang ins Gefängnis befördert. Deren Fälle war wegen ihrer offensichtlichen Absurdität von dem Schriftsteller Robert Mayer aufgegriffen und in seinem Buch »The dreams of Ada« veröffentlicht worden. Beide Fehlurteile sind bis heute nicht aufgehoben.

Grishams Buch beschreibt das Leben eines depressiven Baseballprofis, der aufgrund von Krankheit und mangelnder finanzieller Mittel einem Fehlurteil zum Opfer fiel. Der Zufall wollte es, dass sich Mitarbeiter eines unabhängigen Bürgerrechtskomitees des Falles annahmen und in letzter Sekunde einen Freispruch erkämpften. Minutiös arbeitet Grisham schlechte Polizeiarbeit, pseudowissenschaftliche Methoden, irrtümliche Identifizierungen, schlechte Verteidiger, faule oder arrogante Staatsanwälte und parteiische Richter auf. Streckenweise liest sich sein Buch wie ein Krimi, wobei ellenlange Ausführungen über Baseball eher den amerikanischen Leser interessieren mögen.

Dennoch ist bei diesem Buch alles andere: Grisham, dessen bisherige Bücher packende Thriller sind, tritt mit diesem Werk unspektakulär auf. Obwohl die Bedeutung des geschilderten Falles ungleich dramatischer als jede Romanhandlung ist, fehlen die üblichen Grishamschen Fluchten und Verfolgungsjagden. Wer einen typischen Grisham erwartet, sollte dies vorher wissen, bevor er zu dem Buch greift.


Genre: Sachbuch
Illustrated by Heyne München

Blutige Steine

Auf dem Campo Santo Stefano ist ein Afrikaner erschossen worden, ein so genannter »vucumpra«. So werden jene Menschen genannt, die zumeist aus Afrika stammen, und die auf den Plätzen und Straßen der Stadt nachgemachte Nobelwaren verkaufen. Commissario Brunetti versucht, in alle Richtungen zu ermitteln, aber es fällt ihm schwer, da er bis auf die vagen Aussagen einiger amerikanischer Touristen wenig Anhaltspunkte hat.

Über Umwege gerät er an die Adresse, wo der tote Afrikaner gelebt hat. Als er und Vianello dort auftauchen, hüllen sich die befragten Mitbewohner des Opfers in Schweigen. Bei der genauen Besichtigung der Wohnung findet Brunetti allerdings in einem gut gewählten Versteck Diamanten von großem Wert. Völlig irritiert ist Brunetti, als er von seinem Vorgesetzen Vice-Questore Patta von diesem Fall abgezogen wird. Stattdessen wird »höheren Ortes« weiter ermittelt. Als sich dann noch verschiedene Ministerien einschalten und der Computer von Signorina Elettra geplündert wird, ist Brunetti entschlossen, diesen Fall zum Abschluss zu bringen.

Auch in seinem vierzehnten Fall ermittelt Commissario Brunetti vor der prächtigen Kulisse Venedigs. Das Personal besteht wie immer aus seinem Mitstreiter und Kollegen Ispettore Vianello, der Polizeisekretärin Signorina Elettra und seinem Chef, dem eitlen Vice-Questore Giuseppe Patta. Wie in allen Brunetti-Romanen gewinnt der Leser auch einen Eindruck über die privaten Lebensverhältnisse des Commissarios, seiner Kinder oder über die ausgeprägten Kochkünste seiner Gattin, so dass Einem beim Lesen vor Vergnügen der Gaumen kitzelt. Mit seinem gesellschaftlichen Denken und den hohen moralischen Ansprüchen wirkt Brunetti gelegentlich wie ein Fossil aus alten Zeiten.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Diogenes Zürich

Die Fleischmafia

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine neue Folge der Fortsetzungsgeschichte »Fleischsucht: Wie wir unsere Fleischreste unters Volk bringen« veröffentlicht wird. Nur weil derzeit nicht bundesweit über neues Ekel- oder Gammelfleisch skandalisiert wird, heißt das nicht, dass derlei Schweinereien nicht stattfinden. Weiterlesen


Genre: Sachbuch
Illustrated by Econ Berlin

Die Passion des stillen Rächers

»Ein typisches Advokatenbüro kam ins Bild. Schwarze Holzregale voller ungelesener Bücher und Gesetzessammlungen aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, aber sicher noch gültig, wo doch in unserem Land kein Gesetz der letzten hundert Jahre über Bord geworfen wird, alles wird verwertet, wie beim Schwein.«

Solche Schilderungen mit den dazugehörigen halbseidenen Protagonisten sind es vielleicht, die Andrea Camilleris Kriminalromane so erfolgreich machen. Es stimmt zwar, dass Camilleri es meisterhaft versteht, in seinen Büchern Eigenheiten und Charakterzüge seiner Heimat Sizilien, vor allem die seiner Bewohner, zu illustrieren. Aber es sind ja nicht literarische Soziogramme, die aus einem interessanten Sujet eine Lesefreude machen. Und erst recht kann man damit nicht die Beständigkeit, mit der jede Ankündigung eines neuen Buches des sizilianischen Autors die Vorfreude auf die Lektüre weckt, erklären. Camilleri versteht es vor allem, seine Welt in den vielen kleinen Szenen, in den Beschreibungen der unaufgeräumten Winkel, zu beschreiben — und sei es eben ein Regal vollgestellt mit juristischer Literatur, in einem Anwaltsbüro, ungelesen. Und was ist ein Jurist, der seine Gesetzeswerke nicht liest?

Camilleris neuestes Krimiabenteuer rund um den Commissario Montalbano beginnt mit einem im Krankenhaus delirierenden Montalbano, genesend von einer Schusswunde inklusive dem dazugehörenden Schock, schlaflosen Nächten und seiner Endlosverlobten, Livia, die aus Genua anreist und Montalbano in seinem Strandhaus pflegt. Klar, dass diese allzu ruhige Situation schnell durch einen kriminellen Akt unterbrochen wird. Die Unterbrechung ereilt den Rekonvaleszenten in Form einer Entführung. Eine junge Frau verschwindet, die Familie ist nicht nur außer sich, sondern am Boden zerstört. Die Entführer brauchen eine kleine Ewigkeit, bis sie sich mit ihrer Forderung melden. Die Situation wird um so absurder, umso klarer wird, dass eigentlich alle Beteiligten im Vorhinein wussten, dass die Eltern der Entführten keineswegs in der Lage sein würden, die geforderten Millionen zu zahlen.

Was sich in diesem Buch nach und nach entspinnt, ist ein Geflecht aus familiärem Abgrund, finanziellen Transaktionen diesseits und jenseits der Legalität begleitet von einem politischen Lokalkolorit, wie er auch nach hundertfacher Interpretation durch Hollywood noch Niemand hat den Sizilianern nachmachen können. Ein Spinnengeflecht á la siciliana. Klar ist, dass am Ende alles anders kommt, als der Leser bis kurz vor Schluss denkt. Und wie das geht, verraten wir hier natürlich nicht. Der Weg dorthin, so viel sei verraten, ist kurzweilig.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Love

Mit seinem neuesten Roman setzt Stephen King seiner Frau als seiner großen Liebe ein literarisches Denkmal. Die inzwischen 50. Buchveröffentlichung des erfolgreichsten Autors unserer Tage heißt im Original »Lisey´s Story« und trägt in der deutschen Ausgabe den Titel »Love«. Wie vom Meister des literarischen Schauers zu erwarten, handelt es sich dabei um einen Psychothriller, der diesmal jedoch äußerst sensibel erzählt wird. »Es ist eine Liebesgeschichte mit Monstern. Einige davon sind Menschen«, beschreibt der rasend produktive Autor seine neueste Kopfgeburt.

Die Witwe des Erfolgsautors Scott Landon räumt den Nachlass ihres Mannes auf und erinnert sich anhand persönlicher Fundstücke ihres gemeinsamen Lebens. Lisey Landon empfindet auch nach dem Tod ihres Mannes eine derartig enge Bindung an ihn, dass sie meint, er wolle sie aus dem Jenseits bitten, noch Unbewältigtes aus seiner Biographie für ihn aufzuarbeiten, damit er in Frieden ruhen könne. Sie reist anhand von Zeitungsartikel und Memorabilien in die gemeinsame Vergangenheit, in die Zeit, wo sie sich kennen und lieben lernten, in die Zeit seines schweren Starts als Schriftsteller, seines enormen Erfolgs und seiner weltweiten Anerkennung.

Die Reise auf der Memory Lane wird für Lisey indes ein Trip zur Freak Alley. Denn neben vielen wunderschönen Erinnerungen gibt es auch bittere Szenen. Bei der Grundstückslegung einer Universitätsbibliothek wird Scott von einem Stalker angeschossen und schwer verletzt. Lisey rettet ihrem Mann in letzter Sekunde das Leben, indem sie den Verrückten mit einer silbernen Schaufel zu Boden drischt. Der Angreifer ist einer der Deep Space Cowboys, die behaupten, angebliche Geheimbotschaften der Autoren zu verstehen und glauben, deren Bücher seien in Wirklichkeit Führer zu Gott, Satan oder den Gnostikern.

Der ebenso verrückte Zellengenosse dieses Attentäters taucht nun zwei Jahre nach dem Ableben des Autors in Liseys Leben auf und beginnt, sie zu terrorisieren. Mit Hilfe ihres verstorbenen Mannes wehrt Lisey sich gegen den Dämon. Dazu folgt sie einem »Blut-Bool«, einer blutigen Schnitzeljagd, die sie von Hinweis zu Hinweis führt, und bei der immer wieder Versatzstücke der Wahrheit durch einen purpurroten Vorhang schimmern. Sie trifft Scott unter dem Boo`ya-Mond, einem Auenland der Phantasie, in das er sich bereits als Kind zurückzog, um sich vor der gewalttätigen Welt der »Bösmülligen« zu schützen, und es gelingt ihr, sich immer wieder in diese Zone des Zwielichts zu transportieren, um neue Kraft zu schöpfen.

»Love« ist ebenso ein Psychothriller wie die Biographie einer dreißigjährigen Ehe, die durch Höhen und Tiefen geht. Viele Parallelen öffnen sich zu Kings eigenem Leben, und doch ist dieser Roman weit mehr als ein Werk mit autobiographischen Reminiszenzen. Es ist eine einfühlsame Liebesgeschichte von symbiotisch verbundenen Menschen, die auch über den Tod hinaus in ihrer eigenen Sprache, ihren eigenen Ritualen und ihrer eigenen Welt leben. Es ist ein Buch über die Trauerarbeit beim Hinscheiden geliebter Menschen von einem Kenner der Untiefen und Abgründe der menschlichen Seele. Es ist ein zärtlicher Roman über die heilende Wirkung der Liebe und ihre Bedeutung als Kraftzentrum für die Beziehung.

King verarbeitet in seinen Büchern gern Geschehnisse der eigenen Lebensgeschichte: er war selbst Alkoholiker wie sein Protagonist Scott Landon in »Love«, und er ertrug einen durchgeknallten Fan, der in sein Haus eindrang. Er überlebte einen lebensgefährlichen Autounfall, den er im siebten Buch von »Der dunkle Turm« bis zum Klarnamen des Unglücksfahrers verarbeitete. Der King of Horror bereitet oft intime Details seines Lebens in seinen Romanen auf. Doch alle Spuren, die er legt, führen letztlich immer zu dem großen Pool der Mythen und Worte, aus dem der Schriftsteller trinkt: sie erweisen sich als literarische Fiktion.

In seiner Sprachgewalt wie in seiner Schöpferkraft ist Stephen King ein literarisches Phänomen. Gleichwohl wirkt es auf den Kenner des Gesamtwerks so, als schreibe King gegen die Uhr, als wolle er in einem Schreibmarathon Long Boy, dem Sensenmann, davon laufen. Das ist für den Autor, dessen Bücher sich nach eigenem Bekunden weitgehend selbst schreiben und ihm förmlich aus der Feder fließen, sicherlich eine ebenso ungewöhnliche Erfahrung wie für seine Leser.


Genre: Thriller
Illustrated by Heyne München

Der Mörder saß im Wembley-Stadion

Sommer 1966. Die Fußballweltmeisterschaft beginnt in England. Viel Arbeit für die Polizei. Aber auch viel Arbeit für Scotland Yard, denn Kommissar George Varney hat es mit einer Bande »schwerer Jungs« zu tun.

Eine Bank wurde beraubt, ein Mitarbeiter angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Während sich Kommissar Varney bemüht, den Fall rasch zu lösen, geschehen weitere Straftaten. Ein auf eigene Faust ermittelnder Journalist wird ermordet, und aus einem Gefängnis flieht ein Insasse. Doch das ist noch nicht die letzte Straftat in diesem merkwürdigen Fall.

Kommissar Varney steht unter großem Druck, zumal ihm sein Vorgesetzter Sheperdson schon mit einer Versetzung in die Provinz gedroht hat. Der Fall, bei dem die Fußballweltmeisterschaft eine kleine Begleitmusik spielt, löst sich am Tage des Endspiels.

Ein neuer, alter Kriminalroman von Erich Loest. Interessant dazu ist das Nachwort in dieser Buchausgabe. Loest beschreibt dort, wie er 1964 nach langer Haft in der DDR aus dem Gefängnis entlassen wird. Anschließend wird er vom Mitteldeutschen Verlag aufgefordert, Kriminalromane zu schreiben. Unter dem Pseudonym Hans Walldorf beginnt er zu schreiben.

1967 erschien dann »Der Mörder saß im Wembley-Stadion« im Mitteldeutschen Verlag Halle. Loest, der ja aus seiner Position in der DDR nur unzureichend recherchieren konnte, erinnert mit seinem Roman ein wenig an die Edgar-Wallace-Verfilmungen der frühen sechziger Jahre, als deutsche Regisseure und Schauspieler eine britische Atmosphäre erzeugen wollten. Wie diese Filme, so hat auch dieses Buch durchaus Charme und Spannung.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Steidl Göttingen

Imperium

Die Geschichte des römischen Senators und Rechtsanwaltes Cicero, erzählt von seinem Diener und Sekretär Tullius Tiro, ist Gegenstand dieses herausragenden Historienkrimis. Tiro, Erfinder der Kurzschrift, protokolliert die unvergleichliche Entwicklung Ciceros vom stotternden und scheuen Jüngling zum selbstbewussten Machtpolitiker, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere die ihm vom Staat übertragene Macht über Leben und Tod, das »imperium«, ausübte.

Cicero gewann im Alter von 42 Jahren, dem jüngsten erlaubten Alter, mit dem römischen Konsulat das höchste Amt im Staat. Er erlangte es durch das einstimmige Votum aller Zenturien, als homo novus, ohne einflussreiche Familie, ohne Vermögen und ohne die Macht von Waffen: ein Kunststück, das noch nie zuvor gelungen war und nie mehr gelingen sollte. Mit seiner einzigen Waffe, seiner Redekunst, trat er allem entgegen, was im römischen Staat korrupt und verabscheuungswürdig war. »Redekunst, die nicht aufrüttelt, ist für mich keine Redekunst«, lautete sein Motto, und noch zweitausend Jahre später werden seine mitreißenden Reden als rhetorische Kunststücke gelesen und zitiert.

Im römischen Senat, im Volkstribunal und an den Gerichtshöfen herrschten Korruption und Intrige. Richter und Geschworene waren ebenso gekauft wie die Wähler, die auf dem Maifeld ihre Stimme abgeben durften. Für den Republikaner Cicero war es nahezu unmöglich, sich gegen die zementierten Machtstrukturen und die Allmacht des Geldes und der Aristokratie zu behaupten. Dass es ihm dennoch gelang, schreibt der Erzähler seiner Fähigkeit zum Pragmatismus und zur Demagogie zu.

Richard Harris macht aus dem Thema einen Staatskrimi, der den Leser bis zur letzten Zeile fesselt. Selten wurde römische Geschichte und die Fäulnis eines untergehenden Riesenreiches so spannend beschrieben wie in diesem Buch.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Heyne München

Geheime Melodie

Der Großmeister des Agenten-Thrillers John le Carré ist beileibe kein eindimensionaler Versprachlicher von Geheimdienstmythen oder Verschwörungstheorien. Beides ist Bestandteil seiner Literatur, beschreibt diese aber nicht hinreichend. Der mittlerweile 75jährige britische Autor und gelernte Germanist ist einer der brillantesten Erzähler der europäischen Literatur und ein im besten Sinne guter Geschichtenerfinder. Haben ihm 1989 die Geheimdienste der sozialistischen Staaten einen großen Resonanzboden für seine Geschichten, die sogenannte »Systemauseinandersetzung« zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten, entzogen, so zeigte le Carré bald schon durch seine Beschäftigung z.B. mit dem nicht minder tödlichen Methoden der Pharmaindustrie und ihrer politischen Helfer im Roman »Der ewige Gärtner«, oder mit den Verquickungen und Kumpaneien zwischen den Geheimdiensten der westlichen Großmächte mit den Drogenbaronen und ihren Waffenhändlern in »Der Nachtmanager«, dass ihm nicht nur der Stoff keineswegs ausgeht, sondern zudem, dass er ein wacher und politisch Stellung beziehender, zuweilen sogar anklagender Literat und Weltbürger ist.

Sein Buch »Geheime Melodie« gehört nun eindeutig zur letzteren Sorte von le Carré-Krimis. In »Geheime Melodie« zieht es einen von einem britischen Missionar mit einer Afrikanerin gezeugten und in Zentralafrika geborenen Dolmetscher in sein Geburtsland zurück. Grund der Rückkehr ist der Einsatz für den britischen Geheimdienst, der ihn, da er viele der afrikanischen Sprachen und Dialekte perfekt sprechen und übersetzen kann, als Dolmetscher für eine Konferenz engagiert, auf der angeblich eine demokratische Friedensordnung für den Kongo abgestimmt werden soll. Bruno Salvador, so nennt le Carré seine Hauptfigur, lässt sich, ob dieses Zieles, gerne einspannen und übersetzt nicht nur auf der Konferenz, sondern horcht die Teilnehmer für den britischen Dienst aus. Der Einsatz bei dieser Geheimkonferenz hat für Salvo, wie Salvador in der Kurzform genannt wird, aber weit reichende Folgen bis hin zum Abtauchen in den Untergrund. Zurück lässt er dabei seine bürgerliche Existenz, seine hochfeinen Vorstellungen von Ästhetik und Lebensstil. Dafür nimmt er Dokumente von dieser Konferenz mit, die explosiv und hochgefährlich sind. Man braucht kein professioneller Agentenjäger zu sein um sich auszumalen, was unserem Helden geschehen kann. Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass ein Dolmetscher aus gutbürgerlichen britischen Verhältnissen, wenn auch durch Einsichten politisch radikalisiert, so schnell seine Naivität gegen den kalten Zynismus eines gewieften Untergrundkämpfers wird eintauschen können, dass ihm nichts zustoßen kann. Aber mehr sei von der Handlung auch nicht verraten.

John le Carré hat sich, wie immer in der Vorbereitung auf seine literarischen Stoffe, vor Ort umgesehen und recherchiert. Eine Reise in den Kongo führte ihn in das Grenzgebiet zu Ruanda. Dort erlebte er die Folgen der Gewalt und des Krieges, vor allem des Genozides an dem Volk der Tutsi wie auch der Gräuel durch Tutsi-Kämpfer, die auf ihrem Feldzug gegen geflohene Hutu-Milizen diese in den Kongo folgten und nun ihrerseits zu Gewalttätern wurden. Sein Resümee formulierte er so: »Die Wirklichkeit ist so überwältigend, dass alle Fiktion dagegen verblasst«.

»Geheime Melodie« ist kein Tatsachenbericht. Wohl ist dieser Roman sowohl ein gut konstruierter und spannend geschriebener Krimi als auch eine politische Anklage gegen die Politik einer englischen Regierung, die sich in einer Kontinuität ihrer kolonialen Vergangenheit weiterhin gegen die Interessen der Menschen in Afrika stellt und zugleich politische Anteilnahme heuchelt.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by List München

Skelett

Im endgültig letzten Roman der Reihe um den britischen Spezialagenten Tweed geht es wieder um die erfolgreiche Aufklärungsarbeit des unschlagbaren Geheimdienstmannes und seiner Helfer. Im Büro des Ermittlers herrscht Langeweile: ein Mitarbeiter raucht eine King-Size-Zigarette, ein anderer putzt seine Knarre, ein dritter gähnt aus dem Fenster, da wird ein neuer Fall geliefert, der natürlich nur von Tweed aufgeklärt werden kann.

Ein Mann hat offensichtlich einen Mord gesehen und ist darüber in tiefe Amnesie gefallen. Der vornamenlose Tweed und seine Assistentin Paula fahren zum Landsitz des Zeugen, der Mitglied einer einflussreichen Milliardärsfamilie ist. Es geht ins modrige Dartmoor, wo sie bereits bei ihrem ersten Spaziergang grausam verunstaltete Skelette finden, von denen große Stücke Fleisch abgelöst wurden. Außerdem stoßen sie auf eine geheimnisvolle unterirdische Waffenfabrik. Schon entspinnt sich eine zwar abenteuerliche, jedoch in sich leider vollkommen unlogische Geschichte.

Wie in den zahllosen früheren Tweed-Romanen reisen die Agenten durch halb Europa, wobei sie stets in den besten Häusern logieren. Sie hinterlassen eine Spur der Verwüstung, wobei ihnen selbst kein Haar gekrümmt wird, obwohl der weltbeste Serienkiller auf den Ermittler anlegt. Colin Forbes (1923-2006) vermittelt auch mit diesem Werk wieder den Eindruck, die Beschreibung der gerade besuchten Städte sowie seiner Kleidung hätten mehr Gewicht als die Handlung des Romans selbst. Insofern kann der Klappentext des Verlages, der Autor sei »als fanatisch Reisender bemüht, seine Handlungsschauplätze stets selbst zu besuchen«, auch als milde Warnung verstanden werden.

Bitte kommentieren Sie diese Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Heyne München

Der Zauberer

Im Kampf gegen den Drachen Grengarm ist Sir Able of The High Heart gefallen und wird in den Götterhimmel Skai aufgenommen, wo er lange Zeit verbringt. Doch er sehnt sich nach seiner geliebten Prinzessin Disiri, deren Ritter er ist. Auf seine Bitten entlässt ihn der Walvater noch einmal nach Mythgarthr. Ihm wird allerdings das Gelübde abgenommen, von den zauberischen Fähigkeiten, die er inzwischen erlangt hat, keinen Gebrauch zu machen.

Sir Able trifft auf eine Welt, die in Auflösung begriffen ist. Die Frostriesen greifen an, und ein Drache aus Muspel will das Land unter seine Kontrolle bringen. Der inzwischen zum Mann gereifte Junge tritt wieder als einfacher Kämpfer den Gefahren entgegen, allerdings hat er jetzt eine Erfahrung und einen Hintergrund, der ihm zum Vorteil gereicht. Außerdem hat er Freunde und Getreue, deren Schicksalsfäden bereits im ersten Band gesponnen und nun wieder aufgenommen werden.

Der zweite und letzte Band der Geschichte aus Mythgarthr ist ebenfalls als Brief des Helden an seinen Bruder Ben verfasst. Er knüpft nahtlos an die Geschehnisse des ersten Buches an und rundet die Geschichte zu einem Fantasy-Werk der besonderen Art.


Genre: Fantasy
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart