Der Reiher

Dieser Roman schildert den letzten Tag im Leben von Edgardo Limentani, einem jüdischen Rechtsanwalt und Landbesitzer aus der oberitalienischen Stadt Ferrara. Limentani beschließt an diesem Tag endlich einmal wieder in die Valle, einer südlich des Po-Deltas gelegenen Sumpflandschaft, auf Jagd zu gehen. Limentani fährt in die Sümpfe, legt dabei einen Stopp ein, führt ein Gespräch mit dem Gasthauswirt Bellagamba und unternimmt einen Versuch, sich mit seinem Cousin Ulderico zu verabreden. Auf der Rückfahrt verschenkt Limentani die gesamte Jagdbeute, die obendrein gänzlich von seinem Jagdhelfer erlegt wurde. Er ruht sich im Gasthaus von Bellagamba aus, bevor er in sein Haus zurückkehrt, um sich dort in sein Zimmer zurückzuziehen. Für immer.

So wenig in „Der Reiher“ äußerlich geschieht, so intensiv wird die Lektüre durch das, was sich in Edgardo Limentani und durch das, was mit ihm geschieht. An das Ende dieses 152 Seiten umfassenden Romans angelangt, weiß der Leser, dass Edgardo Limentani beschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Im Alter von 45 Jahren. So wenig, wie offensichtlich an diesem Tag geschehen ist und den der Autor Giorgio Bassani so eindringlich zu schildern vermag, so schwer wiegt für Limentani diese Gleichförmigkeit und von Banalitäten strotzende Handlung. Neben der Hauptfigur Limentani wird Bassanis Geschichte von wenigen Personen bevölkert. Der Inhaber eines Gasthauses mit Zimmern, namens Bellagamba, der Jagdhelfer, der in den Sümpfen Edgardo Limentani nicht nur führt und hilft, sondern eigentlich allein für die Jagdausbeute sorgt sowie Ulderico, der Cousin des Landbesitzers spielen eine Rolle. Und die Zeit, in der diese Geschichte spielt: Wenige Monate nach dem Ende des italienischen Faschismus und der Kapitulation Nazi-Deutschlands.
Bellagamba ist ein Faschist der ersten Stunde und begegnet Limentani fast unbefangen. Sein Cousin hatte Mussolini ebenso begeistert zugejubelt, wie er sich nun mit dem neuen, demokratischen System, arrangiert. Sein Jagdhelfer zeigt ihm eine Zielstrebigkeit in der Jagd, die ihm vor lauter grüblerischer Selbstbefragung abgeht. Kurz nach dem Ende des Faschismus, nach Krieg und Holocaust kann ein Tag so banal sein, als ob eigentlich nichts geschehen wäre. Giorgio Bassani, einer der Großen der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts, wurde oft als einer der „leisesten Schriftsteller Europas“ bezeichnet. Tatsächlich erzählt Bassani in seinen Romanen und Erzählungen in einer Beiläufigkeit vom Leben der Menschen in seiner Heimatstadt Ferrara, die durchaus etwas atemberaubendes hat. Bassani beschreibt eine über jahrhunderte entstandene, einmalige, scheinbar voll assimilierte Kultur des Judentums in Ferrara. Das Wissen darüber, dass es wenig bedurfte, um das zu Negieren und dass diese Kultur mit dem Holocaust unwiederbringlich untergegangen ist, bewirkt eine Intensität dieser Erzählungen, die literarisch ihresgleichen sucht.
Alfred Andersch formulierte schon 1968: „Die Größe Bassanis kann daran erkannt werden, dass der Leser seiner Bücher sich der Stadt Ferrara nicht mehr als Tourist nähern kann, weder als naiver noch als kenntnisreicher. Ferrara wird ihn in erster Linie als Schauplatz der Erzählungen Bassanis interessieren.“


Genre: Belletristik
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

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