„Ich bin Schriftsteller, ich schreibe nur Geschichten“, sagt Ferdinand von Schirach mit einer subtil gesetzten Note eines süffizienten Understatements. Mehr als 10 Millionen verkaufte Bücher zeigen, dass seine Geschichten ankommen. Sie haben ihn reich und zur Cashcow seiner drei Verlage gemacht (Luchterhand, btb, Penguin). Übersetzt in mehr als 30 Sprachen ist er zu einem globalen Erfolgsautor geworden. Verdientermassen? Das kann man wohl guten Gewissens bejahen. Weiterlesen
Archiv
Der stille Freund
Beobachter
Zeus hält es einmal mehr für angebracht, in Menschengestalt auf der Erde aufzuschlagen, um sein Ohr an die Stimmen derjenigen zu legen, die er geschaffen hat. Und damit sich diese anstrengende Geschäftsreise zu den Menschen überhaupt lohnt, gönnt er sich ein Bonbon: Es erscheint in Gestalt einer üppigen Griechin, von der der alte Götterbock unbedingt ein Kind will – natürlich in der Hoffnung, dass daraus ein prächtiger Halbgott der Literatur entspringe. Weiterlesen
Neujahr
Fiasko der Selbstüberforderung
Der Roman «Neujahr» von Juli Zeh beginnt mit einem Neujahrsmorgen auf Lanzarote, als der Protagonist Henning früh zu einer Radtour aufbricht, um den Steilanstieg auf den nahe gelegenen Atalaya-Vulkan zu bewältigen. Die Tour endet mit einem Dèjá-vu, ihm wird bewusst, dass er schon einmal in seinem Leben dort gewesen ist. Als moderner, total überforderter Familienvater aus dem akademischen Milieu leidet er an Panikattacken, obwohl doch in seinem Leben eigentlich alles OK ist. Ein unpopuläres, wenig bearbeitetes Thema, das die vielseitig tätige Autorin sich da für ihren Roman ausgesucht hat. Die Meinungen zu ihrem Buch sind in den Feuilletons überwiegend negativ bis hin zum Verriss, in den Leserkommentaren bleiben sie aber ziemlich ambivalent. Skeptisch ist man dort allenfalls, was die Nähe zur Realität anbelangt, die denn doch sehr bezweifelt wird.
Henning hat einen sicheren Job in Verlagswesen, die Ehe mit der gut verdienenden Theresa läuft problemlos, er liebt seine beiden Kinder, aber er findet sich in keiner dieser Rollen wieder, ist nicht wirklich zufrieden mit dem, wie es läuft. Gerade weil er das Rollenklischee als vorbildlicher Ehemann bestens und auch widerspruchslos erfüllt, wird er im Roman zur tragischen Figur. Denn er will heraus aus der Tretmühle, die sein Alltagsleben in Wahrheit bedeutet. Und so hat er sich für den Urlaub auf der kanarischen Insel ein Fahrrad gemietet, um sich mit dem strapaziösen Berganstieg vom Feriendomizil aus gleich zum Jahresbeginn zu fordern, um ein Erfolgserlebnis zu haben, wenn er den Berg dann bezwungen hat. Was sich als schwierig erweist, das Leihrad ist zu schwer, er hat kein Proviant mitgenommen, nicht mal Wasser, und er kommt schon bald an die Grenzen seiner körperlichen Möglichkeiten. Aber er gibt nicht auf, will partout hinauf radeln und nicht schieben, er schindet er sich unerbittlich. In einem permanenten Gedankenstrom rekapituliert er dabei schwer strampelnd und schwitzend seine Lebenssituation. Er will den Grund für ES finden, wie er seine seelische Störung psychologisch verklausuliert bezeichnet, will seine lästigen Dämonen vertreiben. Als er nach 90 von 190 Buchseiten das Ziel erreicht, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Er war schon mal da, er kennt diesen Vulkan!
In einem neuen Handlungsstrang schließt sich im zweiten Teil des Romans eine dystopisch anmutende Rückblende aus Hennings früher Kindheit an, als der damals Vierjährige mit den Eltern und seiner zweijährigen Schwester Luna dort schon mal in Ferien war. Zurückblickend sieht er sich plötzlich in einer schon leicht verfallenen Ferienvilla, wie er mit seiner Schwester im Garten herumtobt, wie die Eltern mit ihnen spielen oder Ausflüge machen. Eines Tages sieht er seine Mutter, die unter dem Gärtner liegt, sieht dessen behaarten Rücken und weiß sich keinen Reim darauf zu machen. Als Luna und er schon im Bett sind, kommt es zu einem lautstarken Streit zwischen Vater und Mutter. Am nächsten Morgen wacht der Vierjährige auf und merkt, dass seine Eltern weg sind. Es gibt kein Frühstück, und so sehr er auch sucht, sie sind nirgends zu finden. Aber das Auto ist weg, er vermutet sie beim Einkauf in der nächsten Ortschaft am Strand. Notgedrungen muss er sich um Luna kümmern, ihr die Windel wechseln, und der Hunger wird immer stärker und auch der Durst, denn das Wasser aus der Leitung darf man hier nicht trinken, wie ihnen die Eltern eingeschärft haben.
So erweist sich der Roman letztendlich als literarische Versuchsanordnung von Helikopter-Eltern, denen eine perfide anmutende Horror-Phantasie herzlos verlassener Kleinkinder gegenüber gestellt wird. Im weiteren Sinne geht es hier um die Bewältigung durchaus vorhandener, gesellschaftlicher Probleme, um multiple Dynamiken der menschlichen Psyche. Insbesondere die unglaubwürdigen Figuren, der unterkühlte Schreibstil und der überzogen quälerisch anmutende Horrorteil lassen die Lektüre zu einem ärgerlichen Fiasko werden!
Fazit: miserabel
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Peter Handke – Ein Langzeitportrait 1975-2024
2019 gewann der scheue, österreichische Dichter und Schriftsteller de Literaturnobelpreis. Einige Berichte zeigten den sprachlosen verstörten Dichter in seinem neuen Heim in Chaville bei Paris, wo er mehr oder weniger seit den 1990er Jahren lebt.
Fotos des jungen und weisen Schriftstellers
Über 50 Jahre hat die Fotografin Isolde Ohlbaum den Schriftsteller Peter Handke nun schon begleitet. Zum Jubiläum des Verlages schickte sie dem Verleger 500 Fotos aus denen er die vorliegenden 150 Photographien auswählte. Entstanden ist eine Art Photoessay, eine Biographie in Bildern, denn wir bekommen sowohl den ganz jungen Handke im Teatro Romano in Tusculum/Italien als auch den doch schon etwas gealterten Handke (geb. 1942 in Griffen, Kärnten) in Chaville zu sehen, wie er die Muscheln auf seinem Schreibtisch ordnet. Eine derartige Künstlerbiographie ist einzigartig, gibt es doch nicht viele Freundschaften, die über so viele Jahrzehnte kontinuierlich bestehen bleibt. So eine Langzeitbeobachtung einer öffentlichen Person, wie Isolde Ohlbaum sie erarbeitet hat, ist der Geschichte der Photographie wahrscheinlich sogar einmalig. Viele der Photographien sind in einer Art Reisemodus entstanden, im Kontext von Lesungen, Verlagsausflügen, Dichtertreffs, Geburtstagfeiern oder Literaturpreisen wie dem Petrarca-Preis. Wir erleben somit auch ein Porträt lebendigen literarischen Lebens in ungewöhnlicher Dichte, wie es einem Schriftsteller und Nobelpreisträger wohl mehr als würdig ist, denn schließlich hatten auch die Leute um ihn herum einen Einfluss auf seinen späteren Erfolg. Es kommen also auch viele Dichterfreunde ins Bild, und natürlich auch der Stifter des Petrarca-Preises, Hubert Burda oder auf einem Bild sogar Ohlbaum selbst.
Der König im Exil – photobiographisch besucht
In Chaville bei Paris lebt Peter Handke in einem Haus mit verwunschenem Garten, der durch die Fotografien Ohlbaums so auch öffentlich einsehbar wird. Hier hat der Dichter zur Literatur gewordener Spaziergänge verfasst und seinen Hort kreativen Schaffens zwischen Vogelfedern, Schneckenhäusern, Bücherbergen und eigenhändig bestickten Fauteuils eingerichtet. Zusätzlich zu den beeindruckenden Photographien glänzt der vorliegende Band zusätzlich durch Zitate aus Werken und Interviews von Peter Handke, die von Isolde Ohlbaum ausgewählt wurden und mit einem Vorwort des Filmemachers Frank Wierke ergänzt sind. Die Fotografin und Herausgeberin des vorliegenden Fotobandes übergibt übrigens noch dieses Jahr, Ende 2025, ihr Archiv der Photosammlung der Bayerischen Staatsbibliothek München zur Aufbewahrung und weiteren Betreuung. Peter Handke kommt nur mehr für seltene Arztbesuche nach Österreich und verbringt sein Leben in Chaville, weil – wie er einer österreichischen Tageszeitung offenbarte – „Chaville eine versteckte Stadt am Rand der Städte ist … Aber wo ich bin: Das gehört zu niemandem. … Die Wälder sind viel schöner …“. Es sei der perfekte Rückzugsort für einen Dichter: drei Minuten zur Bahnstation, fünf Minuten zum Wald, um dort ungestört zu schreiben und stets in greifbarer Nähe seines ideellen Sehnsuchtsorts: Paris. Der Verlag selbst nennt diese neue Art der Photobiographie übrigens einen „photobiografischen Roman“. Vielleicht der Auftakt zu einer neuen Reihe?
Isolde Ohlbaum
Peter Handke – Ein Langzeitportrait 1975-2024
mit 150 Photographien von Isolde Ohlbaum, einem Vorwort von Frank Wierke
und Zitaten aus Werken und Interviews von Peter Handke 248 Seiten, 152 teils farbige Abbildungen
ISBN 978-3-8296-1034-6
Schirmer/Mosel Verlag
€ 39,80 € (Ö) 41,- CHF 45,80
Italienische Paläste in Nord- und Süditalien
Italienische Paläste. Der 1953 in Florenz geborene Fotograf Massimo Listri weiß, was Schönheit heißt. Er hat bereits über (!) 70 Fotobände veröffentlicht und stellt seine Werke weltweit aus. In “Palazzi italiani”, das in einer mehrsprachigen Ausgabe bei TASCHEN erschienen ist entführt er die Kulturbegeisterten in die schönsten Bibliotheken der Welt. Und das in XXL.
Identifikationsorte des Adels und Bürgertums
Von Mailand im Norden bis Palermo im Süden reicht diese prächtige Publikation, die die Paläste des wohl schönsten Landes der Welt vorstellt. Zu einer Definition von “Palast” in Abgrenzung zu Haus, Villa oder Burg erklärt Robert Stalla in seiner lehrreichen Einführung zu vorliegender Publikation, dass das Wort eigentlich auf den Palatin, den Hügel der Regierung im Alten Rom zurückgeht. Palatin, Palladium, Palazzo bezeichnete “in prominenten Lagen stehende, monumentale die Umgebung dominierende Baukomplexe”, so Stalla. Häufig waren diese Vierflügelanlagen frei stehend, mit großen prachtvollen Innenhöfen, aufwendiger Gliederung sowie erlesenem Interieur. Die vorliegende Publikation ermöglicht es nunmehr, die Palazzi nicht nur von außen zu bewundern, sondern sie auch zu betreten und ihr Inneres zu bestaunen.
Kommunale Paläste in der Renaissance
Die Anfänge der Palazzi wurden von den mittelalterlichen Kommunalpalästen in Florenz und Siena gemacht, die als kommunale Identifikationsorte Sinnbilder der Staatsmacht verkörperten. Anfangs wurden diese ebenso wie die Kirchen mit Türmen ausgestaltet, die ebenbürtig mit diesen, das klassische Stadtbild der Renaissance zu prägen begannen. Siena hatte sogar eine behördliche Anordnung, dass kein Kirchturm jenen des Rathauses überragen durfte. Die Wandmalereien in diesen Palästen waren oft Propagandainstrumente des Narrativs des vorherrschenden Adels- oder Bürgergeschlechts. Im berühmten Florentiner Palazzo Vecchio ritterten etwa Leonardo da Vinci (1452-1519) und Michelangelo (1475-1564) quasi gleichzeitig und die Ausgestaltung der imposanten Deckengemälde.
Italienische Paläste von Nord- bis Süditalien
Der Geschäftsmann Cosimo de Medici (1389-1446), dessen Familie die Geschicke Florenzs für 300 Jahre lenkte, versammelte eine Künstlergruppe, die die Idee der “Rinascità”, der Wiedergeburt der Antike, propagierte. Als Humanist wollte Cosimo die Kunst in all ihren Erscheinungsformen – auch Architektur – fördern. Neben Venedig war auch Genua eine der vier mächtigsten Seerepubliken, die vor allem durch die 1407 gegründete Banca di San Giorgio den anderen drei den Rang ablief. Wie Niccolò Macchiavelli (1469-1527) es ausdrückte sah er in der Bank die dominierende politische Institution Genuas, mit der die Stadt “sogar Venedig überlegen sei”, so Roberto Stalla in seiner Einführung.
Vom Veneto bis Sizilien
Die Bank finanzierte 163 Palazzi in Genua, die auch als Unterkünfte für Staatsgäste eine repräsentative Funktion hatten. Ein Sonderstellung im italienischen Palastbau hatte übrigens Andrea Palladio (1508-1580) inne. Seine Bauten in Venedig waren zwar nur sakraler Natur, die Palazzi im Veneto jedoch zeigen ein deutlich anderes Gesicht. 1577 hatte derselbe Palladio den Vorschlag gemacht, den nach einem Brand beschädigten Dogenpalast gänzlich abzureißen. Aber damit hatte er sich wohl nicht sonderlich beliebt gemacht. Die vorliegende Publikation folgt den italienischen Palästen bis ans Ende des Stiefels und zeigt in bisher nie veröffentlichten Fotografien das ganze Spektrum der Prachtentfaltung des italienischen Bürgertums und Adels.
Viele Details in Großaufnahme
Eigene Exkurse zu einzelnen Palazzi in Venedig oder Mantova et al ergänzen die Ausführungen Stallas im Vorwort und gehen auf weitere Details des jeweiligen Bauwerks ein. So erfahren wir etwa über den Palazzo Ducale, den Dogenpalast, dass er auf einer Grundfläche von 75×100 Metern steht und an San Marco angrenzt und somit das politische und das religiöse Zentrum der Stadt eine Einheit bildeten. Beim Brand 1577 gingen sämtliche Gemälde von Giovanni Bellini, Vittore Carpaccio und Tizian verloren und Tintoretto und Veronese ersetzten die vorangegangenen Meisterwerke. Massimo Listri hat bei TASCHEN auch “The World’s Most Beautiful Libraries” publiziert. Listris Fotografien in “Palazzi” zeigen die schönsten architektonischen Details und vermitteln die einzigartige Atmosphäre der italienischen Paläste.
Massimo Listri
Italian Palaces
Ausgabe: Mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch)
2025, Hardcover, XXL, 29 x 39.5 cm, 7.54 kg, 640 Seiten
ISBN 978-3-8365-9693-0
Taschen Verlag
€ 175
Frühlingsnacht
Coming-of-Age-Geschichte voller Rätsel
Mit «Frühlingsnacht» wurde Anfang des Jahres bereits den vierten Roman des norwegischen Schriftstellers Tarjei Vesaas in einer gelungenen deutschen Übersetzung herausgebracht. Der Autor zählt in seinem Heimatland zu den bedeutendsten Schriftstellern überhaupt und wurde mehrfach auch für den Nobelpreis vorgeschlagen. Die deutsche Ausgabe wird durch ein wenig informatives, eher ärgerliches Nachwort ergänzt, in dem die hierzulande weitgehend unbekannte, norwegische Schriftstellerin Hanne Ørstavik weit ausholend mehr über sich selbst schreibt als über das Buch, um das es ja eigentlich geht.
Im Mittelpunkt dieser Coming-of-Age-Geschichte steht der 14jährige Hallstein, der mit seiner vier Jahre älteren Schwester Sissel über Nacht allein ist in ihrem abseits gelegenen Haus. Seine Eltern sind zu einer Beerdigung gefahren und werden erst am nächsten Tag zurück sein. Voller Freude über die «sturmfreie Bude» haben sie sich gerade gemütlich zum Abendessen niedergesetzt, als es plötzlich überraschend laut an der Tür klopft. Draußen im Regen stehen zwei Männer und zwei junge Frauen, die mit ihrem Auto liegen geblieben sind und dringend um Hilfe telefonieren wollen, weil die etwas ältere der beiden Frauen, Grete, schwanger ist und die Wehen schon eingesetzt haben, sie steht kurz vor der Niederkunft. Im Haus gibt es zwar ein Telefon, aber Anfang der 1950er Jahre sind dort nur handvermittelte Gespräche möglich, und die Vermittlung ist schon geschlossen um diese Uhrzeit.
Sissel stellt das Schlafzimmer der Eltern für Grete zur Verfügung, und Hallstein wird von Karl, Gretes Mann, aufgefordert, schnell mit ihm auf Fahrrädern in das nächste Dorf zu fahren und die Hebamme herbeizuholen. Karls Vater Hjalmar kommt Hallstein ziemlich komisch vor, weil er viel wirres Zeug spricht und beim Sprechen immer wie wild mit den Armen herumfuchtelt. Er will nun schnellstmöglich seine Frau Kristine aus dem Auto holen, sie sei stumm und könne nicht laufen, er müsse sie seit einem Jahr immer tragen. Sie wird im Zimmer von Sissel untergebracht und fängt, als sie mit Hallstein allein ist, plötzlich überraschend doch an zu sprechen. Sie bittet ihn um Hilfe, falls sie ihn rufe, sagt aber nicht, wobei er denn helfen soll. In Karls Halbschwester Gudrun meint Hallstein die Traumfrau wieder zu erkennen, die ihm nächtens häufig am Fenster erscheint, er hatte ihr den Namen Gudrun gegeben in seiner blühenden Phantasie. Die Hebamme ist da und holt nachts das Baby von Grete und Karl auf die Welt, während Kristine am nächsten Morgen tot im Bett liegt, – warum bleibt offen. Es stellt sich schließlich auch heraus, dass Hjalmar während der Autofahrt Kristine in einem heftigen Streit verboten hat zu sprechen, was sie ebenso strikt befolgt hat wie sein Verdikt von vor einem Jahr, sie könne nicht mehr laufen.
Die nächtlichen Besucher tragen dramatische Konflikte hinein in das stille Haus von Hallstein und Sissel, die nicht wissen, was ihnen geschieht in den Turbulenzen, die sie wie ein Gewitter mit Blitz und Donner überziehen. Die friedliche Frühlingsnacht hat sich jäh in ein Drama verwandelt, mit dem sich Hallstein als der Jüngste in diesem kammerspiel-artigen Geschehen plötzlich erschrocken und ungewollt wieder findet. Für ihn als naiven Protagonisten vollzieht sich in dieser einen Nacht schlagartig der Wandel vom Kind zum Erwachsenen. Er erlebt ein Abenteuer, in dem Geburt und Tod direkt aufeinander folgen. Das bringt auch viel Ungeklärtes ans Licht und hat all die merkwürdigen Figuren am Ende nachhaltig verändert. Für seine verstörende Geschichte hat der Autor eine dem szenischen Wirrwarr stakkatoartig angepasste, stockende und reduzierte Sprache gefunden, in der Vieles nur angedeutet und fast nichts begriffen wird. Legitime Erwartungen der Leserschaft dürften sich mit diesem eigensinnig unkonventionellen Roman wohl kaum erfüllen, – Andeutungen allein aber werden der anspruchsvollen Thematik partout nicht gerecht!
Fazit: mäßig
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Die Wut ist ein heller Stern
Weder bereichernd noch unterhaltend
Die Schriftstellerin Anja Kampmann thematisier in ihrem Roman «Die Wut ist ein heller Stern» das Erstarken des Nationalsozialismus, das schlagartig mit der so genannten Machtergreifung am 30. Januar 1933 begann. In fünf Teilen, die mit den Jahreszahlen von 1933 bis 1937 betitelt sind, wird darin erzählt, wie in der Hamburger Hafenstadt das Leben der randständigen und auch der jüdischen Bevölkerung zunehmend schwieriger und bedrohter wird. Horden von randalierenden Braunhemden stoßen mit den kommunistisch orientierten «Roten» zusammen, Mord und Totschlag werden alltäglich und bleiben ungesühnt, ein rechtsfreier Raum entsteht mit der Zeit. Der Roman spielt im Milieu des weltbekannten Rotlichtviertels rund um die Reeperbahn, in zwielichtigen Etablissements, in den kommunistischen Boxvereinen, in einer trügerischen Glitzerwelt. Dem stehen im Privaten die armseligen Stuben und dunklen Hinterhöfe des Prekariats gegenüber. Es sind die Frauen, die im Fokus dieses Romans stehen, all die Tänzerinnen, Akrobatinnen und Halbweltdamen, von denen nicht wenige zumindest gelegentlich auch der Prostitution nachgehen, ohne dadurch wirklich aus dem nicht nur finanziellen Schlamassel heraus zu kommen. Für all diese Frauen verwendet die Ich-Erzählerin Edda im Roman immer nur den Begriff «Rita», sie sind Ritas allesamt.
Hedda arbeitet als Akrobatin im Varieté «Alcazar», wo sie am Seil turnt, während unter ihr in einem Wasserbecken zwei Kaimane herumdümpeln. Die müssen vorher gut gefüttert werden, sonst wäre bei einem Fehlgriff am Seil das Risiko viel zu groß. Als einmal die Fleischlieferung ausbleibt, beauftragt der Varieté-Chef deshalb einige Kinder, ihm zehn fette Ratten zu bringen als Futterersatz. Er ist eine allseits respektierte Größe der schillernden Halbwelt und gebietet über eine «Finken» genannte Truppe von Schlägertypen aus einem Boxverein, die sich durchzusetzen gewöhnt sind. Aber auch deren Macht schwindet, sie geraten zunehmend mit den Nazitrupps von SA, SS und Gestapo aneinander. Die profitieren davon, immer die Staatsmacht hinter sich zu wissen, sie bleiben ungeschoren auch bei den schwersten Verbrechen. Wenn Edda voller Wut über die wachsende Bedrohung spricht, verwendet sie für diese Schläger nur den Begriff «Keiler», für sie Inbegriff des Unheimlichen und Gefährlichen.
Besondere Sorgen macht sie sich um ihren rachitischen Bruder, der plötzlich nicht mehr am Unterricht teilnehmen darf, weil er ein Risiko sei für den «gesunden Volkskörper». Ihre Freundin, mit der sie sich ein Zimmer teilt, leidet als Prostituierte unter der rücksichtslosen Verrohung der Freier, insbesondere der aus dem Nazi-Milieu, für die sie als Untermensch gilt. Hedda schöpft Hoffnung, als ihr Bruder Jaan, der bei ihrem Onkel in dessen Schmiede arbeitet, als Harpunen-Schmied auf einem der vielen neuen Walfänger Arbeit findet. Mit dem Walfett will das Dritte Reich den akuten Fettmangel beseitigen. Sie glaubt an die Chance, dass sie und der kranke Bruder mit Jaans Schiff aus dem Land flüchten könnten. Denn auch «der Graue», ihr Stammfreier, kann ihr als ehemaliger Kolonialoffizier keinen Schutz mehr bieten. Ihr rachitischer Bruder wird in ein fragwürdiges «Heim» verbracht, ihr bester Freund verschwindet spurlos, und sie selbst wird schließlich zwangssterilisiert. Der Roman endet abrupt, das Ende bleibt offen.
Das von einer wütenden Hedda subjektiv Wahrgenommene wird von ihr in einer sachlich kargen Sprache erzählt. Anja Kampmann erklärte: «Ich wollte eine Stimme finden, die davon erzählt, aber die vor allem eine starke Lebendigkeit hat». Dieser komplexe Roman, der ohne historische Verweise bleibt, lebt weitgehend von seinen schillernden, zuweilen auch ambivalenten Figuren, die allerdings wenig Empathie zu erzeugen vermögen. In der Flut ähnlicher Romane bleibt als literarisches Alleinstellungs-Merkmal hier letztendlich nur die eigenwillige, poetisch anmutenden Stilistik der Autorin. Die erscheint aber weder thematisch angemessen noch als Prosa wirklich lesenswert, der Roman stellt also mitnichten eine unterhaltende oder gar eine bereichernde Lektüre dar!
Fazit: miserabel
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald
Eine Dystopie mit Wumms
Der Debütroman der Schriftstellerin Fiona Sironic mit dem ellenlangen Titel «Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft» hat es auf Anhieb auf die Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises geschafft. Eines jener aktuell prämierten Bücher, wie die Juryvorsitzende anmerkte, das «in psychologische, gesellschaftliche und politische Abgründe“ blicke. Wobei der Abgrund hier die sich bereits deutlich abzeichnende Klima-Katastrophe ist. Damit gehört es zu einem neuartigen literarischen Genre, das man als realistische ‹Climate Fiction› bezeichnen kann, also als vom Klimawandel inspirierte, in der Regel dystopische Belletristik. Zu den Vorreitern dieses vieldiskutierten Genres gehört insbesondere Margaret Atwood. Eine Besonderheit des vorliegenden Romans ist der nerdige Jugendsprech, in dem er verfasst ist, ein in den asozialen Medien gebräuchlicher, hier aber auf die Spitze getriebener Kauderwelsch. Dieses geradezu archetypisch für viral gehende Texte benutzte Fachchinesisch wird für Leser, denen diese Szene fremd ist, zu einer ärgerlichen Hürde, an der nicht wenige kläglich scheitern dürften.
Der Plot ist in einer gar nicht so fernen Zukunft angesiedelt. Die fünfzehnjährige Ich-Erzählerin Era lebt mit ihrer Mutter in einer Hütte am Waldrand, sie dokumentiert dort akribisch das Aussterben vieler Vogelarten. Im Internet verfolgt sie in Echtzeit zudem aufmerksam den Stream ihrer 18-jährigen Schulkameradin Maja und deren jüngerer Freundin Merle, die auf einer Lichtung im Wald öffentlich Festplatten in die Luft sprengen. Ihre Aktion richtet sich gegen ihre Mütter, die gegen Geld als «Momfluenzerinen» dafür gesorgt haben, dass ihre gesamte Kindheit viral gegangen ist. Mit ihren ebenso radikalen wie hilflosen Zerstörungsaktionen versuchen sie nun verzweifelt, alle digitalen Spuren an ihre öffentlich gewordene Kindheit auszulöschen. Was allerdings zum Scheitern verurteilt ist, denn «das Internet vergisst nie», wie jeder weiß. Era hält alle ihre Beobachtungen und Erkenntnisse – altmodisch analog – in Notizbüchern und Zeichnungen fest, sie bildet damit einen thematischen Gegenpol zur Zerstörungswut von Maja und Merle. Was die Drei eint, das ist ihre Suche nach Intimität, sie wollen ihren Lebensraum zurück erobern. Und sie teilen das Interesse an dem fast ganz in den Hintergrund gerückten Geschehen in der realen, der analogen Welt. Während dort die Turteltaube ausstirbt, verlieben sich Maja und Era als Mädchen des Digitalzeitalters ineinander! Schließlich zerstört symptomatisch ein Waldbrand den bisherigen, noch einigermaßen intakten Lebensraum der Mädchen.
Neben den ökologischen Abgründen sind politische Bezüge in dem Roman eher vage abgedeutet. An einer einzigen Stelle wird darin als ein politischer Verweis auf «das Internet vor den Konzernen» hingewiesen, welches in der vollkommen digitalisierten Welt dann zu einem «nach den Konzernen» geworden ist. Unzählbare Streams laufen jetzt als Dauerberieselung rund um die Uhr, ein Privatleben ist quasi unmöglich geworden. Damit einhergehend hat sich eine allgemeine Kultur der permanenten Achtsamkeit entwickelt, die dazu zwingt, lückenlos über alles öffentlich Publizierte informiert zu sein.
Alle Orte dieser feministischen Geschichte sind nur vage als Land oder Stadt benannt. Die Folgen des Klimawandels sind allgegenwärtig, tropische Temperaturen fordern jede Menge Hitzetote, private Räume werden zunehmend beengter. Eras Hang zum Analogen wird im Roman von ihrer Tante als Hinweis gedeutet, sie sei dabei, zur «Sozial-Legasthenikerin» zu mutieren. Dieser Roman strotzt nur so von solcherart Neologismen als Kennzeichen eines unbeirrt eigenwilligen, «dystopischen?» Schreibstils. Seine Wirkung in der aktuellen Literatur dürfte geradezu als ein «Wumms» wahrgenommen werden, es ist keine Mahnung zum Umweltschutz mit erhobenem Zeigefinger, sondern eher mit der drohenden Faust. Darin liegt ohne Zweifel der Verdienst dieses Romans!
Fazit: lesenswert
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Die Sprache meines Bruders
Kafkaeske, ich-bezogene Unbehaustheit
Lange zehn Jahren nach ihrem Debüt als Schriftstellerin ist mit «Die Sprache meines Bruders» der zweite Roman von Gesa Olkusz erschienen, er wurde für den diesjährigen Deutschen Buchpreis nominiert. Der schmale Band erzählt in sieben Kapiteln die ebenso einfache wie absurde Geschichte zweier Brüder, die in ihrer Rätselhaftigkeit und mit ihren Leerstellen unwillkürlich an Franz Kafka erinnert. Der im Februar erschienene Roman hat in den Feuilletons praktisch keine Beachtung gefunden und wurde auch in Leserkreisen eher skeptisch beurteilt. Zu Recht?
In Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven rollt Gesa Olkusz die Vorgeschichte ihrer Erzählung auf. Zusammen mit ihrer Mutter kamen Kasimir und Parker aus Polen in die USA, sie sollten es im eigenen Haus einmal besser haben, den American Dream für sich selbst erleben. Ihr Vater blieb zurück, ein frühes Trauma für die Söhne, er fehlte den Brüdern als Bezugsperson. Die Mutter verfiel in Lethargie, kaum das sie angekommen waren, und hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Jegliche Verbindung in die Heimat wurde von ihr abgebrochen, sie pflegt auch keinen Kontakt zu den Nachbarn, spricht allenfalls mal ein paar Worte mit der aufdringlichen Mrs. Carpenter von nebenan. Und auch die Brüder hegen eine tiefe Abneigung gegen die Nachbarn, sie sind mental nie richtig angekommen in ihrer neuen Heimat. fühlen sich nicht zugehörig in dem fremden Land. Diese Vereinsamung zweier junger Männer eskaliert nach dem Tod der Mutter in fast völlige Sprachlosigkeit untereinander. Wobei Kasimir dumpf in seinem Schweigen verharrt und nur bewundernd seinen stets agilen Bruder beobachtet. Ihre Sinnsuche, die Frage nach ihrer eigenen Identität, wirft unwillkürlich beim Lesen Fragen auf nach den tieferen Ursachen, die aber im Roman ganz bewusst unbeantwortet bleiben: Was war der Grund für die Auswanderung? Warum ist der Vater in Polen geblieben? War geplant, dass er nachkommen würde? Warum gibt es keinerlei Kontakte zu den anderen Verwandten in Polen? Die Brüder haben sich nie getraut, danach zu fragen, ihre Mutter hat das Geheimnis dieser dysfunktionalen Familie mit ins Grab genommen.
Soweit die Ausgangslage dieser lethargischen Geschichte einer vergeblichen Identitäts-Suche. Daran ändert sich dann auch nichts, als Parkers vergleichsweise lebenslustige, neue Freundin Luzia in das Zimmer der verstorbenen Mutter einzieht, sie hat sich notgedrungen schon bald an die allgemeine Sprachlosigkeit im Hause angepasst. Parker arbeitet als Chauffeur, während Kasimir gedankenverloren zu Hause bleibt, den Haushalt führt und ansonsten antriebslos den Tag vertrödelt. Eines Tages hat Parker einen mysteriösen Fahrgast, der seinen sich sträubenden Chauffeur in ein Gespräch hineinzieht und ihn schließlich sogar dazu überreden kann, seinen Job kurzzeitig aufzugeben. Er soll gegen ein äußerst großzügiges Honorar für ihn tätig werden, ihm behilflich sein. Durch das viele Geld verlockt, quittiert Parker seinen Job und verlässt ohne Abschied oder irgendeine Erklärung das Haus. Am nächsten Tag zieht auch Luzia aus, sie emigriert kurz entschlossen in südliche Gefilde. Kasimir bleibt allein zurück und wacht schließlich, ganz am Ende der Erzählung, aus seiner Lethargie auf.
Die fehlende Kommunikation ist zentrales Thema dieses psychologisch feinsinnigen Romans, dessen Stilmittel darin besteht, die Interaktion zwischen den wenigen Figuren auf unterhaltsame Weise kafkaesk absurd erscheinen zu lassen. Die von den Akteuren geübte Rücksichtnahme erweist sich als völlig falsch, sie ist der eigentliche Grund für die seelischen Verwerfungen, an denen die Brüder mit ihrer gegenseitigen Hassliebe leiden und dann letztendlich auch daran scheitern. In stilistischer Strenge wird nichts erklärt in diesem verstörenden Roman von der ich-bezogenen Unbehaustheit seiner Protagonisten, wobei es gerade dieses Unausgesprochene ist, das nachhallt beim Leser. Die Ignoranz der Feuilletons ist hierbei also völlig unverständlich!
Fazit: erfreulich
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Tar Baby
Auf der Suche nach Identität
Der vierte Roman der amerikanischen Schriftstellerin Toni Morrison mit dem Titel «Tar Baby» ist in der aktuellen deutschen Ausgabe mit einem Vorwort der Autorin ergänzt worden. Darin schildert die erste farbige Nobelpreisträgerin die familiären Umstände, die sie dazu gebracht hätten, dieses Buch zu schreiben. Auslöser war demnach eine uralte Geschichte aus Afrika von einer Puppe aus Teer, die den Gruß eines Kaninchens nicht erwidert hat. Als das Kaninchen die Puppe wütend tritt, bleibt es an dem klebrigen Teer hängen und kann sich nicht mehr davon befreien. Dieses Teerbaby ist für die Autorin das Sinnbild einer toughen, schwarzen Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, wie sie im Interview erklärt hat.
Im ersten von zehn Kapiteln wird die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht erzählt, die einen farbigen Seemann auf eine abgelegene Karibikinsel verschlägt. Son ist von einem vorbeifahrenden Schiff gesprungen und wäre beim Schwimmen an Land beinahe ertrunken. Unterschlupf findet er in einem einsam gelegenen Haus, in das er sich nachts einschleicht. Wobei er beinahe erwischt worden wäre, er konnte sich gerade noch in die Kleiderkammer der Hausherrin retten. Der mehr als siebzigjährige Valerian Street hat vor Jahren seine Bonbonfabrik in Amerika verkauft und sich mit Margaret, seiner deutlich jüngeren Frau, in ein großes, feudales Landhaus zurückgezogen, sein karibisches Refugium. Betreut wird das weiße Ehepaar von dem farbigen Butler Sydney und dessen Frau, die als Köchin fungiert. Als die Hausherrin überraschend auf Son stößt und schreiend um Hilfe ruft, will Sydney den Eindringling auf der Stelle erschießen, wird in letzter Sekunde aber vom Hausherrn daran gehindert. Der lädt den Farbigen vielmehr zu einem Drink ein und bietet ihm schließlich sogar großzügig auch noch Unterkunft an.
Im Haus wohnt besuchsweise seit einigen Monaten auch Jadine, die 25jährige, ebenfalls farbige Nichte des Butler-Ehepaares. Sie wurde nach der Schule vom Hausherrn gefördert, er hat ihr ein Studium als Kunsthistorikerin in Paris finanziert, das sie inzwischen erfolgreich abgeschlossen hat. In Paris wurde die äußerst attraktive junge Frau als farbiges Model entdeckt und hat sich deshalb entschlossen, zunächst nicht als Dozentin an der Universität zu bleiben. Sie ist stattdessen nach New York gegangen, um dort als gut bezahltes Model zu arbeiten. Nach anfänglichem Streit kommen sie und der Eindringling Son sich schnell näher und haben bald schon rauschhaften Sex miteinander. Er erzählt ihr schließlich sogar den kriminell bedingten Grund für seine Flucht aus den USA. Es ist kurz vor Weinachten, der erwachsene Sohn der Streets wird sehnsüchtig erwartet. Wegen widriger Wetterverhältnisse sind aber kurzfristig alle Flüge gestrichen worden, und auch andere Gäste müssen absagen. So sitzen schließlich nur die Streets, das Butlerehepaar sowie Jadine und Son beim Festschmaus am Esstisch zusammen, wo der traditionelle Truthahn aber ausnahmsweise diesmal durch eine Gans ersetzt ist. Es kommt zum Eklat, als gesprächsweise durch die Köchin, die für den einzigen Sohn wie eine zweite Mutter war, angedeutet wird, dass Mrs. Street ihn als Baby und Kleinkind mit Nadeln gestochen und ihm sogar Brandwunden zugefügt hat. Überstürzt reisen Jadine und Son nach New York ab.
In Person der auf einem derart speziellen Gebiet wie der Mode erfolgreichen, schwarzen Protagonistin kumulieren die unterschwellig vorhandenen, rassistischen Töne, die der Plot thematisiert und der Buchtitel symbolisiert. Sie fühlt sich von den konventionellen Vorstellungen und sozialen Bedingtheiten anderer farbiger Frauen bedrängt. Und auch die heiße Affäre mit Son scheitert schließlich an derartigen rassisch geprägten, konträren Lebens-Einstellungen und -Bedingungen. Nicht nur die Farbigen in diesem Roman befinden sich auf der Suche nach ihrer Identität, alle müssen sich letztendlich fragen, ob sie denn wirklich authentisch handeln. Stilistisch überzeugend ist die poetische Sprache der Autorin, mit der sie – auch in kontemplativen Dialogen – starke Bilder erzeugt beim Lesen ihrer extrem breit angelegten, interessanten Rassismus-Story.
Fazit: erfreulich
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Tage in August
Hier erscheint die deutsche Übersetzung einer Neuauflage, die 2021 erschien. Geschrieben hatte die Autorin das Buch 1953, mit siebzehn Jahren. Sie legte die Handlung in die letzten Jahre des 2. Weltkrieges. Es erschien dann 1962 und wurde ein Erfolg. Im Vorwort von 1998 schreibt die dann über Fünfzigjährige, dass sie es nun wie ein Jugend Foto betrachte.
Mystique. Auf der Jagd

Mystique. Auf der Jagd
Autor und Zeichner Declan Shalvey präsentiert in vorliegendem Band die komplette Spionage-Miniserie mit der bekannten Gestaltwandlerin. Mystique trat erstmals in einem Ms. Marvel Comic vom April 1978, #16, auf und ist seither nicht mehr aus der Marvel Comic Welt wegzudenken. Denn wie man weiß, kann sie vielerlei Gestalten annehmen. Mit dabei: Nick Fury, der sein Bestes tut, Mystique zu jagen.
Vom Jagen der Jäger
Mystique hatte auch schon in einigen X-Men-Kinofilmen ihre Auftritte. Sie wurde schon von Rebecca Romijn und von Jennifer Lawrence verkörpert. Ihre charakteristischen Merkmale wie blaue Hautärzte Haare und gelbe Augen machen sie zur wohl exotischsten Mutantin des Marvel Multiversums. Als Raven Darkholme ist sie besonders gut im Nahkampf, weiß aber auch mit diversen Waffen umzugehen. Als Ziehmutter von Rogue und leiblicher Mutter von Nightcrawler sowie des Präsidentschaftskandidaten Graydon Creed hat sie auch Verantwortung. Mystique ist eine brillante Hackerin und war Anführerin der zweiten Inkarnation der „Bruderschaft der bösen Mutanten“ (Brotherhood of Evil Mutants). Diese führte später auch für die US-Regierung als Spezialeingreiftruppe unter dem Namen Freedom Force Einsätze durch. In vorliegender Spionage-Miniserie von Autor und Zeichner Declan Shalvey (Moon Knight, Deadpool) als deutsche Erstveröffentlichung attackiert Mystique ein Black-Operation-Team in Frankfurt, was den tief gefallenen SHIELD-Agenten Nick Fury auf den Plan ruft. Nick Fury Jr. ist nämlich an einen einfachen Schreibtisch-Job gebunden. Doch als sein Vater Nick Fury Sr. auftaucht und ihm eine Akte zu Mystique zuspielt beginnt er, den Vorfall in Frankfurt zu untersuchen. Seine Recherchen führen ihn bald zu Ravens Frau Irine Adler aka Destiny, die er nun als Köder für Mystique benutzt.
Die mystische Comic-Figur Mystique
Nach dem Untergang Krakoas wurden die Karten der Geheimdienste neu gemischt und Mystique machte sich in Frankfurt auf die Jagd nach dem mysteriösen Protozoa-Programm. Das Black-Ops-Team rund um Maverick wurde dort aktiv, um einen gefährlichen Mutanten, Sabretooth, auszuschalten. Als Mystique, die die Mission schon längst manipuliert hat, auf den Plan tritt, geht sie über Leichen, denn sie will alles über Protozoa wissen. In “Mystique. Auf der Jagd” zeigt die blaue Gestaltwandlerin Raven Darkholme, dass einem nicht fad werden muss, wenn man verheiratet ist. Vor allem wenn die Braut noch dazu Destiny heißt. Die Mutant:innen, die von der Insel Krakoa aus operierten, brauchen nun ein neues Zuhause, aber sie befinden sich auf der Fahndungsliste von SHIELD, das seinerseits von Hydra unterwandert wurde. Dass Nick Fury und Mystique in vorliegendem Abenteuer so heftig aufeinanderprallen ist den exzellenten wenn auch etwas zu blassen Zeichnungen und der packenden Story zu verdanken. Keine Gegner waren wohl jemals kontroversieller. Außerdem mit dabei: Magneto, Destiny, Fabian Cortez, Maverick und Avalanche. Aber das Beste kommt noch. Ihren gemeinsamen Sohn Nightcrawler, also von Destiny und Mystique, soll letztere in einer ihrer männlichen Formen gezeugt haben. Und das im Alter von bereits mehr als 100 Jahren! Was beweist, wie unnütz Männer im 21. Jahrhundert doch schon geworden sind. Als Anti-Heldin ist Mystique vielleicht nicht unbedingt als weibliche Identifikationsfigur geeignet, jedoch kann man sie sicherlich als bemerkenswerte und starke Mutantin bezeichnen, der sicherlich noch eine blühende Zukunft bevorsteht. Im Film. Und im Comic!
Declan Shalvey
Mystique. Auf der Jagd
(Original Storys: Mystique (2024) 1-5)
2025, Klebebindung, 17X26cm, 128 Seiten,
ISBN: 9783741644924
Panini Comics
17,00 €
Batmans grösste Gegner

Batmans grösste Gegner
Scarecrow, Two-Face, der Pinguin, Catwoman und der Joker gehören wohl zu den größten Feinden des Dark Knight. Zumindest was die Vintage-Zeit betrifft, in der diese bunten Geschichten erschienen sind. Zudem gibt eine Diorama-Zeichnung mit einem Einblick ins Innere der Bat-Höhle Aufschlüsse über den Lebensstil der berühmten Fledermaus. Aber auch weiteres Zusatzmaterial wie Detailaufnahmen des famosen Bat-Gürtels verraten einige der Geheimnisse, die seine größten Gegner besser nicht wissen sollten.
Vintage in XL-Format
Neben den klassischen Zeichnungen ist an dieser Publikation vor allem auch das Format für Sammler sehr anziehend. Mit immerhin 25.5 X 35.5cm spielt der Bildband schon in der Sonderliga XL-Format. Die besonders bunten und schrillen Zeichnungen tun ihr übriges, diese Geschichten in ein echtes Vintage-Abenteuer zu verwandeln. Die Entstehungsgeschichte eines Superschurken widerspricht allerdings dem gängigen Kanon der bisher bekannten DC-Comics. Doppelgesicht, besser bekannt als Two-Face, hat in der hier vorliegenden Version den Namen Harvey Apollo und bezeichnet sich vor Gericht als Wandermime, Barde und Schauspieler, bis sein Widersacher, Lucky Sheldon, ihm eine Säure ins Gesicht schüttet. Und das vor dem Gericht, wo die Verhandlung gegen Lucky stattfindet! Eine Gesichtshälfte von Harvey wird durch die Säure völlig entstellt und der Mensch hinter der nunmehrigen Maske zum Monster verunstaltet. Denn von nun an nennt er sich Two-Face und unterwirft alle seine Entscheidungen dem Wurf einer Münze, deren eine Seite er ebenso verunstaltet, wie sein Gesicht es bereits ist. Landet diese Seite nach einem Wurf auf seiner Handfläche, gewinnt das Verbrechen, seine böse Seite bekommt die Oberhand und Harvey ist durch nichts mehr aufzuhalten. Außer natürlich durch – Sie ahnen es bereits – Batman!
Batmans grösste Gegner und Gegnerinnen
In den vorliegenden Vintage-Abenteuern, die erstmals als Limited Collector’s Edition 37 1975 in den USA erschienen, ist übrigens stets auch The Boy Wonder, Robin, an der Seite des dunklen Ritters. Er rettet ihm gleich mehrmals das Leben, wie wir es auch im Scarecrow Abenteuer mitverfolgen können. Professor Jonathan Crane aka Scarecrow arbeitet an der Universität und wird von dieser aufgrund seiner unkonventionellen Lehrmethoden alsbald ausgeschlossen resp. suspendiert. Dieser Schicksalsschlag holt auch aus ihm das ungebremste Böse hervor, denn auf Ablehnung folgt stets Rache. Crans besorgt sich ein Kostüm und bietet sich als gedungener Erpresser diversen Geschäftsmännern an. Bis Batman und Robin ihm auf die Schliche kommen und ihm schließlich das Handwerk legen. Eine besonders lustige Geschichte ist auch das letzte Abenteuer in diesem XL-Band, der in der “Hall of Infamy” (Saal der Niedertracht) auch die weiblichen Exponentinnen der grössten Gegnerinnen Batman präsentiert. Catwoman überfällt eine Theatervorstellung eines Odysseus-Stückes und fordert von der Hauptdarstellerin die Perlen. Auf einem bereitgestellten Segelboot, das der Aufführung dienen hätte sollen, flieht Catwoman mit dem Schatz und versenkt sogar noch ihre Verfolger: “Circe verwandelte Männer mit einem Trank in Schweine, ich Getränke sie und schicke sie zu den Fischen! Hahaha!”
Bill Finger, Bill Woolfolk, u.a.
Batman Klassiker – Batmans grösste Gegner
Zeichnungen: Bob Kane, Jim Mooney, Jack Burnley, Charles Paris (pencils), Jerry Robinson, George Roussos, Ray Burnley, Win Mortimer, Charles Paris (inks)
(Original Storys: Limited Collector’s Edition 37)
2025, Hardcover, 64 Seiten, XL-Sonderformat (Format: 25.5X35.5), Farbe
ISBN: 978-3-7416-4576-1
Panini Comics
29,00 €
Die blutige Kammer
Gruselige Täter-Opfer-Umkehr
Als Neuauflage ist nach 56 Jahren der Sammelband «Die blutige Kammer» der britischen Autorin Angela Carter jetzt wieder in einer neuen Übersetzung auf Deutsch erschienen. Das Buch gehört zum Genre der Horrorliteratur, wobei das Besondere darin besteht, dass hier klassische Märchen in radikaler Weise in feministische Schauerliteratur umgewandelt wurden. «Es ging mir nicht darum», hat sie erklärt, «‹Versionen› oder … ‹Erwachsenen-Märchen› zu schreiben, sondern den latenten Inhalt der traditionellen Geschichten zu extrahieren und ihn als Ausgangspunkt für neue Geschichten zu verwenden›». Märchen sieht sie nicht als zeitlos an, sondern als in ihrer jeweiligen Zeit verankert. Als kämpferische Feministin empfindet Angela Carter die Rolle der Frauen im Märchen als generell prekär und dreht in ihren Geschichten den Spieß deshalb radikal um, lässt also gequälte junge Mädchen in die Rolle derjenigen schlüpfen, die das Böse verkörpern und nun ihrerseits quälen. Vielleicht trägt diese Neuerscheinung ja dazu bei, dass die britische Schriftstellerin nun in Deutschland wiederentdeckt wird.
Beginnend mit der titelgebenden und mit Abstand längsten der zehn Geschichten, eine Anverwandlung des «Blaubart»-Themas, ist deren Ich-Erzählerin ein blutjunges Mädchen, dessen Vater beim Spielen sein gesamtes Vermögen verliert und als letzten Einsatz seine Tochter anbietet. Prompt verliert er wieder! Daraufhin muss sie nun den deutlich älteren Gewinner des Spiels heiraten und kommt dann schicksalsergeben in sein Schloss. Dort ist sie als Hausherrin von immensem Reichtum umgeben, der Furcht einflößende Mann aber kostet nun genüsslich ihre Unerfahrenheit. Als er schon am nächsten Tag verreisen muss und seiner frischgebackenen Ehefrau alle Schlüssel anvertraut, entdeckt sie die für sie strengstens verbotene, titelgebende Folterkammer. Dort findet sie die einbalsamierten Leichen ihrer Vorgängerinnen und ruft entsetzt ihre Mutter an. Die kommt in letzter Sekunde angeritten und erschießt beherzt den vorzeitig zurückgekehrten, bösen Schwiegersohn, der ihre Tochter bedroht. Kein Wunder übrigens, schließlich hatte die Mutter ja auch schon mal einen Löwen erschossen, der ihr gefährlich geworden ist. Die beiden Frauen obsiegen also, nicht der mörderische Blaubart!
Weitere Erzählungen adaptieren Märchen vom «Gestiefelten Kater», «Rotkäppchen», «Schneewittchen» und «Die Schöne und das Biest» bis hin zu Goethes «Erlkönig», variieren in drei Erzählungen aber auch genüsslich das Gruselthema «Werwölfe». Wobei letztere natürlich das längst widerlegte Klischee vom blutrünstigen Wolf bedienen und ihm eifrig weitere Facetten hinzufügen. Unbekümmert verwandeln sich in diesem ambitionierten Band Menschen zu Tieren und umgekehrt, so wie dabei auch oft das Gute und das Böse die Rollen tauschen. Und die geschundenen weiblichen Figuren, egal ob Heldinnen oder Antiheldinnen, sinnen hier stets auf Rache, gerade weil sie andererseits, oft vergeblich, alle auch auf Liebe hoffen. Typisch für die Orte der Handlungen sind verfallene, unwirtlich kalte Schlösser mit gruseligen Schlossherren als Bewohner, oder aber armselige, schmutzstarrende Hütten im dunklen Wald.
Was das Thema Sexualität anbelangt, hat die britische Autorin in ihre phantasievollen Geschichten beherzt erotische Szenen eingefügt, die ihre jugendfreien historischen Vorbilder in eine zwar auch schaurige, aber weniger märchenhaft naive Gegenwart transferieren. Damit verschafft sie ihren unverkennbar ironischen Schilderungen einen gewissen Drive, der durchaus passend wirkt und all dem Horror auf wohltuende Weise sogar etwas von seinem Schrecken nimmt. Stilistisch sind diese burlesken Erzählungen allerdings deutlich überfrachtet mit Metaphern, was andererseits für Märchen ja nicht ganz untypisch ist. Die von Maren Kames in ein adäquates, leicht lesbares Deutsch übersetzten Geschichten sind eine angenehme Lektüre, – allerdings nur, sofern man, angesichts des täglichen Horrors in den Nachrichten, dieser literarischen Genre-Nische denn überhaupt etwas Positives abgewinnen kann!
Fazit: mäßig
Meine Website: https://ortaia-forum.de
Cabo de Gata
Magerer Plot und stilistisches Können
Mit dem Roman «Cabo de Gata», der eher als eine zielgerichtete Novelle anzusehen ist, hat Eugen Ruge ein autobiografisches Buch geschrieben, in dessen Widmung geschrieben steht: «Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war». Und so beginnen denn auch beinahe alle Sätze der Novelle mit den Worte «Ich erinnere mich». Ein angehender Schriftsteller (sic) mit Schreib-Blockade berichtet darin von seinem Selbstfindungstrip. Der namenlos bleibende Ich-Erzähler, der nach der Scheidung von seiner Frau in einer tiefen Sinnkrise steckt, schildert darin eine spontane Reise in den Süden, die ein Ausbruch aus seinem bisherigen Leben darstellt. Er will in der Einsamkeit eines fremden Ortes völlig ungestört einen Roman schreiben.
In dem Wahn, sich von allen Fesseln zu befreien, geht der Vierzigjährige so weit, seine bescheidene Wohnung zu kündigen, alle Möbel zu verkaufen oder zu verschenken, alle Zahlungen zu stoppen und dann sein schmales Konto vollends leer zu räumen. Er reist mit kleinem Gepäck, alles hinter sich lassend, mit einigen kurzen Zwischenstopps und ohne konkretes Ziel Richtung Mittelmeer. Erst unterwegs wird er mit Hilfe eines Reiseführers auf den Naturpark im Süden Spaniens aufmerksam und landet kurz entschlossen, nach beschwerlicher Anreise mit einem klapperigen Bus, von Almeria kommend, im titelgebenden Naturpark «Cabo de Gata». Dort sucht er in einem kleinen Fischerdorf ein bescheidenes Quartier, was sich als ziemlich schwierig erweist, weil diese Gegend touristisch noch völlig unerschlossen ist. Das merkt er daran, dass der kleine Ort und auch sein Strand total vermüllt sind, was allerdings dort niemanden zu stören scheint. Schließlich kommt er als einsamer Gast in der Pension einer alten Witwe unter, deren Mann Fischer war. Die Tochter, deren gewaltiges Hinterteil immer wieder seinen Blick anzieht, ist ebenfalls mit einem Fischer verheiratet und arbeitet bei der Mutter als Bedienung. Die Wirtin, aber auch die anderen Dorfbewohner, sind äußerst wortkarg, sogar die Tochter spricht kein Wort mit ihm und knallt ihm mittags nur wortlos sein Essen auf den Tisch.
Die Landschaft ist öde, es weht ein kalter Wind, die Bewohner sind ausgesprochen unfreundlich, gleichwohl beschließt der Ich-Erzähler, dort zu bleiben. Er kämpft mit seinen Notizen, die er vormittags aufschreibt und meist am Nachmittag schon wieder verwirft, sein Romanprojekt kommt nicht von der Stelle. Dabei geht es ihm wie den drei Fischern, Söhne seiner Wirtin, die er oft beobachtet bei seinen Spaziergängen am Strand. Die rufen ihm dann immer zu: «Mucho trabajo, poco pescado», – viel Arbeit, wenig Fisch! Zu den auffallend wenigen Figuren der Erzählung gehören auch zwei Kurzzeit-Touristen, ein Engländer und ein Amerikaner. Außerdem einige Sonderlinge aus dem Ort, die er beobachtet: Zwei Männer in Schlafanzügen, die jeden Morgen vor ihre Haustür treten, eine Frau mit Gipsbein, die dann irgendwann keines mehr hat, sowie ein wortkarger Barmann. Zuletzt freundet er sich dann mit einer rot getigerten, scheuen Katze an, die er langsam an sich gewöhnt, indem er sie füttert. Er sieht in ihr die Inkarnation seiner Mutter, die ihm mit ihrer Anwesenheit etwas sagen will, davon ist er überzeugt. Dass er vergebens hier sei, der Erfolg mit seinem Buch würde sich nämlich von selbst einstellen, «sobald die Welt aufgehört hat, mich durch Wandel zu stören». Er bleibt 123 Tage in Gabo de Gata, bis er schließlich einen im flachen Wasser sterbenden Rochen beobachtet und spontan abreist.
Mit dem Vorhaben, für sein Buch aus nichts als aus Erinnerungen zu schöpfen, nutzt Eugen Ruge bewusst die Schwächen des Gedächtnisses und gibt absonderlichen Assoziationen und irrealen Zusammenhängen einen breiten Raum. Damit bezweckt er, zu einer anderen, zu einer ‹poetischen› Wahrheit zu gelangen. Das mag über den langweiligen, äußerst mageren Plot hinweg täuschen, was hier allein durch stilistisches Können ein wenig kompensiert wird. Ob das denn reicht, muss letztendlich jeder Leser für sich allein beantworten!
Fazit: mäßig
Meine Website: https://ortaia-forum.de



