Hier beschreibt ein 1964 geborener Autor seine Kindheit und Jugend, die wesentlich bestimmt war durch die provinzielle Enge Solingens, in dem er aufwuchs und die politische Haltung seiner Eltern. Die waren im Geist der damaligen Zeit links eingestellt und bewegten sich zwischen Naturfreunden, Spontis und DKP-Kommunisten, die der Hass auf die den Vietnamkrieg führende Supermacht USA einte. Prechts Eltern engagierten sich weitgehender als andere und adoptierten zwei vietnamesische Kriegskinder, die wie Geschwister des Autors aufwuchsen. Sie verbannten von Coca-Cola bis Ketchup alles, was einen amerikanischen Schatten trug und wehrten sich auch gegen die »Verdummungsmaschine« Fernseher.
Precht versucht in seinem Buch, die Haltung seiner Eltern zu verstehen und den Kontext zu erklären, in dem sie dachten und handelten. Dabei ist ihm hoch anzurechnen, dass er weder ins große Jammern über ein versunkenes Idyll ausbricht noch die antiautoritären Achtundsechziger als mephistophelische Ausgeburt verdammt, wie es derzeit modern zu sein scheint. Er müht sich aufrichtig, Antworten auf Fragen zu finden, die mit seiner eigenen Entwicklung zu tun haben. Dieses Bemühen scheitert allerdings daran, dass er aus der Perspektive desjenigen berichtet, der sich die meisten Zusammenhänge erst im Nachhinein aus Büchern erarbeitet hat. Besser wäre sicherlich gewesen, er hätte sich auf sein Erinnern beschränkt und den Oberlehrer weggelassen. Und an dem ständigen Hin und Her zwischen den Polen krankt der gesamte Bericht, von dem nie ganz klar wird, ob es sich um eine Autobiographie, einen Hintergrundbericht oder ein Feuilleton handelt. Gänzlich hilflos wirkt der Autor, wenn er in der Jetztzeit landet, und sich wie ein Schneekönig freut, wenn ihn ein Typ wie Guido Westerwelle in burschikoser Freundschaft »Junge« nennt.
Wie erging es Frank Lehmann eigentlich, bevor er nach Berlin-Kreuzberg kam, dreißig Lenze und „Herr Lehmann“ wurde? Er wuchs in der Provinz auf, genauer gesagt in einem scheußlichen Stadtteil von Bremen, der jetzt auch als Titel auf einem großartigen Roman prangt: Neue Vahr Süd.
Frank lebt noch bei den Eltern, als die Bundeswehr nach ihm ruft. Von Natur aus ein wenig verlangsamt, vergisst er, obwohl er eigentlich nicht zum Bund will, zu verweigern. Er wird trotz Tricks und Täuschungsversuchen eingezogen und singt bald den öden Blues der Grundausbildung, in der die jungen „Schnüffel“ von kaputten Kommissköppen geschunden werden. Sein Glück im Unglück ist, dass er in Bremen stationiert bleibt, so kann er zum Wochenende seine Freunde sehen und sich auch um die chaotische Wohngemeinschaft kümmern, in die er mittlerweile eingezogen ist.
Irgendwie will er dann doch noch verweigern, scheitert dabei aber an den Clowns, die sein Gewissen „prüfen“ sollen. Also kriecht er weiter durch den Schlamm. Nur das „feierliche Gelöbnis“ will er auf keinen Fall mitmachen, und so kommt es zu einem herrlichen Showdown, der derartig anschaulich und detailreich geschildert wird, dass es eigentlich schade ist, dass schließlich die Akte des Rekruten Lehmann aus den schlammigen Tiefen der Bundesbürokratie auftaucht und ihn leider, leider, leider für untauglich erklärt.
Es hätte doch noch so wundervoll weiter gehen können, lieber Frank, und nun musst du nach Berlin, um Herr Lehmann zu werden. Da liest man das Buch am besten gleich ein zweites Mal!
Genre: RomaneIllustrated by Eichborn Verlag
Die schier unglaubliche Entstehungsgeschichte des kleinen Harald könnte ebenso gut von Helge Schneider stammen. Ob das nun gut oder schlecht ist, mögen die beiden untereinander ausmachen. Jedenfalls kam HS als Sturzgeburt zur Welt, und das geschah so schnell, dass selbst die Mutter nicht rechtzeitig zur Stelle war. Entsprechend sprudelt es in munterer Folge aus dem inzwischen betagten Knaben hervor: von der Zwölftonmusik Schönbergs, mit der er als Kind angeblich in den Schlaf gesungen wurde über Begegnungen mit Schriftstellern, Filmstars, Regisseuren und anderen Stars der Siebziger Jahre, die in bunter Folge über- und durcheinander purzeln, hin zu Vaterschaftsprozessen in Kirgisien. Schmidts vollkommen absurde „Tagebücher“ sind, seien wir heute einmal großzügig, ein Potpourri des gebildeten Blödsinns, ein Feuerwerk des angewandten Alphabetismus.
Der zweite Teil des Buches (in Wahrheit sind es vier Fünftel) besteht aus neueren Kolumnen, die wöchentlich im „Focus“ unter dem Konterfei des Talkmasters erscheinen. Die sind erste Sahne und lassen sich wie leckere kleine Teilchen stückweise verzehren.
In der „Mallorca-Zeitung“ bezeichnet der Autor sein Werk selbst als „Mogelpackung“, denn ein farbenfroher Schuber hindere den potentiellen Leser am vorzeitigen Öffnen und Durchblättern seines Werks. Tatsächlich handelt es sich bei der Veröffentlichung, die aus Gründen des Gebrauchswerts einige Kochrezepte unterrührt, weder um einen Reiseführer noch um eine Inselbeschreibung. Vielmehr sind es kurze Erzählungen, die sich an fiktiven einheimischen Freunden des Autors bewegen: einem Schäfer, einem Gärtner und einer Apothekerin. Es geht um Mallorca im Regen, um den täglichen Umgang mit Fremden und anderen Eingeborenen, um Prozessionen, schwarze Schweine, Windmühlen, Fahrradfahrer und Pferderennen. Inselkenner, die keine Ausflugstipps oder sonstige Hilfestellungen bei der Erkundung des Eilands erwarten, werden die literarisch gefärbten Reflexionen über das Leben auf „der“ Insel gern lesen.
Umberto Ecos dritter Roman, Abenteuerstory, Liebesgeschichte und gewaltiges Zeitepos, spielt Mitte des 17. Jahrhunderts, zu Beginn der Aufklärung. Roberto de la Grive wird vom französischen Kardinal Mazarin auf eine streng geheime wissenschaftliche Expedition in die Südsee geschickt. Als er bereits einen Teil seines Auftrags erledigt hat, erleidet er Schiffbruch und wird an Bord eines verlassenen englischen Schiffes gespült. Dort findet er genügend Vorräte, aber auch exotische Pflanzen, ausgestopfte Tiere, Messinstrumente und ihm unbekannte, merkwürdige Gerätschaften. Nach einiger Zeit an Bord merkt er, dass er nicht allein ist. Er trifft auf Caspar Wanderdrossel, einen Jesuiten, der dem gleichen Geheimnis auf der Spur ist wie er selbst.
Umberto Eco wurde 1932 in Alexandria geboren und lebt heute in Mailand. Er verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik des Mittelalters. Seine Romane „Der Name der Rose“ und „Das Foucaultsche Pendel“ sind Welterfolge geworden.
Auf der Welle amerikanischer Rechtsanwaltskrimis schwimmender stilistisch wie inhaltlich flacher Roman, der außerdem in offensichtlich hartholziger Übersetzung daherkommt. Eine Anwältin setzt sich als Newcomer für ein Flittchen ein, das glaubt, ihren gewalttätigen Mann erschlagen zu haben. Natürlich ist die Angeklagte unschuldig, ihr Mann hat sich – das bleibt zudem noch schwammig offen – selbst getötet, um sie zu belasten. Um dem Ganzen noch eins, zwei, drei darauf zu setzen, erfährt die Gute, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist und ihr behandelnder Arzt sie unter Hypnose schwängerte! Letzterer muss dafür noch im Gerichtssaal mit dem Leben zahlen, und auch die Protagonistin schluckt Blei zum Happyend. Im Original zuerst erschienen im Verlag Volk und Welt: es verwundert, welcher Schrott in etablierten Buchhäusern zwischen harte Deckel gepresst wird
Zapfer Frank wird dreißig, und deshalb reden ihn Freunde und Kollegen zu seinem Ärgernis nur noch mit „Herr Lehmann“ an. Herr Lehmann lebt sein geruhsames Singledasein in SO 36, dem beschaulichsten Zipfel des Berliner Altbaubezirks Kreuzberg. Er pilgert von einer Zapfstelle zur nächsten, verliebt sich in eine Köchin, übersteht den Besuch der Eltern, die sehen wollen, in welchem Restaurant ihr Sprössling Geschäftsführer ist, steht Auge in Auge einem herrenlosen Kampfhund gegenüber und erlebt, wie sein bester Freund Karl langsam durchdreht.
Dieser erfrischend amüsante Roman vermag auch solche Leser aufzuheitern, die nie das Vergnügen hatten, vor dem Mauerfall den Kiez um den U-Bahnhof Schlesisches Tor kennen und lieben zu lernen. Es ist ein literarisches Kleinod, das stimmig Struktur und Geist der berühmt-berüchtigten Kreuzberger Szene und ihrer langen durchzechten Nächte einzufangen versteht.
Der Roman endet stilistisch sicher genau dort, wo das Idyll von heute auf morgen zusammenbrach: Die Mauer geht auf, und der stille Bezirk am Ende jeder Zivilisation wird zur sturmdurchtosten Mitte.
Genre: RomaneIllustrated by Goldmann München
Spannend gestrickter Krimi um eine fanatische Organisation, die computergesteuert die Weltbank lahm legen und damit eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen will. Kommissar Wallander ist auch diesmal mit ungeheurer Intuition und viel Glück gesegnet. Kaum glaublich, wie kompetent eine relativ schlecht ausgestattete Polizeieinheit in der schwedischen Provinz agiert. Extrem komplizierte und verschachtelte Fälle werden mit endloser Hingabe und selbstlosem Einsatz gelöst.
Auch in diesem Buch zieht Mankell eine gehörige Portion Sozialkritik wie einen unwilligen Hund am Halsband in das Geschehen. Kein Werk ohne die scheinbar unumgänglichen Reflexionen zu Überfremdung, Wertverlust und die hungernden Kinder in Afrika. Hier klebt ein Autor in seiner eigenen Biografie und beschwert sein Werk in unnötiger Weise.
Kees Popinga, ein braver Prokurist und untadeliger Familienvater, erfährt vom betrügerischen Konkurs des Seehandelsunternehmens, dem er sein bisheriges Leben gewidmet hat. Über Nacht bricht seine Existenz vollständig in sich zusammen. Das, woran er bislang glaubte, gerät ins Schwanken. Er flieht in einem Zug nach Amsterdam und weiter nach Paris, wo er versucht, sich eine neue Identität aufzubauen. Dabei gerät er in die Halbwelt. Polizei und Presse setzen ihm nach, denen er sich nahezu zwanghaft schriftlich erklären möchte. Wie in einem guten Schachspiel bewegen sich die Parteien damit Zug um Zug aufeinander zu. Doch kann Popinga die Partie gewinnen?
Simenon, der Erfinder des „Kommissar Maigret“ schuf mit diesem Roman eine kunstvoll gebaute Erzählung mit psychologischem Hintergrund.
Es handelt sich um das methodische Werk eines selbst äußerst produktiven amerikanischen Schriftstellers und Journalistik-Professors, das jedem Autor helfen will, durch konsequentes Schritt-für-Schritt-Arbeiten zu besseren Ergebnissen zu kommen. Bickham setzt dabei auf ein aufeinander aufbauendes System von Karteikarten, die anhand des Buches angelegt werden können, und die dazu dienen, den Prozess des Kreativen Schreibens zu ordnen und jederzeit abrufbar zu machen. Er empfiehlt, sich unter gewisse Zwänge zu setzen und jeden Tag ein festgelegtes Pensum von Seiten zu schreiben, um Stagnation zu vermeiden. Sobald das Tagesziel erreicht sei, arbeite der Geist schneller und effektiver, um sich und seinen Herrn möglichst bald zu erlösen.
Das Lehrbuch geht wie alle ähnlichen Werke zum Kreativen Schreiben davon aus, dass Schreiben erlernbar sei und keinerlei spiritueller Einflüsse von außen bedürfe.
Autoren, die aus dem Nichts Bestseller auf den Büchertisch werfen, geraten leicht in die Druckwelle großer Erwartungen. Besonders schwierig wird es, wenn kein neuer Knaller folgt. Brown überbrückt dieses schwarze Loch, indem er sein Debut aus der Schublade zieht.
Bei Diabolus handelt es sich um ein Verschlüsselungsprogramm, gegen das die Mutter aller Schnüffler machtlos ist, sollte sein Code publik werden. Ergo entspinnt sich eine blutige Schnitzeljagd nach dem Schlüssel. Wie auch in den später verfassten Brown-Thrillern gibt es eine atemberaubend schöne, hochintelligente Lady, eine allmächtige US-Behörde, mordgierige Schurken sowie einen schrecklich intelligenten Protagonisten, der spielerisch und mit vielfältigen Sprachkenntnissen das Geheimnis löst. Der Mystery-Thriller baut Spannung mit knappen Beschreibungen, rasant wechselnden Handlungsorten und einem Stakkato von 128 kurzen Kapiteln auf. Wie bei Brown üblich, kämpfen die Guten vor allem gegen die Uhr, denn der diabolische David nagt am Sicherheitsschild des großmächtigen Goliath.
Inspektor Alvarez löst ein Verbrechen, das als solches von Anbeginn bekannt zu sein scheint. Der Leser begleitet den Polizisten von Zeuge zu Zeuge und erfährt en passant einiges über das Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden. Mit Hilfe verwandtschaftlicher Bande fällt die Lösung dem Inspektor, der sich schließlich auch noch in eine attraktive Britin verliebt, fast in den Schoß. Zum guten Schluss gibt es noch einige unglaubliche Verwicklungen, die den sauber erzählten Fall gänzlich unglaubwürdig macht. Pure Urlaubslektüre ohne Tiefgang.
Der auf Mallorca tätige Inspektor Alvarez liegt im Clinch mit seinen Vorgesetzten und gibt dabei wundervolle Einblicke in die mallorquinische Inselbürokratie. Urlaubslektüre aus der Sicht eines britischen Mallorca-Residenten, der seinen Helden bevorzugt im Milieu der auf der Insel lebenden Briten recherchieren lässt.
Die originelle Geschichte um einen namenlosen Detektiv, der nach langer Zeit aus Barcelona auf seine Heimatinsel Mallorca zurückkehrt, ist der erste mallorquinische Kriminalroman, der nach Francos Sprachverbot auf Katalan publiziert wurde.
Autor ist ein in Palma lebender Journalist der spanischen Tageszeitung „Ultima Hora“. Sein lesenswerter Thriller spielt in den Kreisen der neuen mallorquinischen Bourgeoisie, die ihren steilen Aufstieg Grundstücks- und Immobilienspekulationen zu verdanken hat und nimmt deren Niveau ironisch aufs Korn.
Amüsante Unterhaltung.
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Ein italo-amerikanischer Pizzabote erbt ein über fünfhundert Jahren aus Zins und Zinseszinsen zusammen gespartes Vermögen von einer Billion Dollar. Verbunden mit diesem ungewöhnlichen Erbe ist eine testamentarische Verpflichtung, die Menschheit zu retten. Es entspannt sich eine unterhaltsame Reise durch Geldwesen und Volkswirtschaft, wobei der Erbe von den Reizen des Goldes ebenso verleitet wird wie von bösen Fanatikern, die unersättlich sind. Letztlich will er der Welt einen volksdemokratisch gewählten Weltpräsidenten schenken, um damit die aus den Fugen geratene Weltordnung wieder ins Lot zu bringen. Kurz vor dem ersten Wahlgang wird dieser jedoch von seinen ärgsten Widersachern ins Jenseits befördert.