Schiffsmeldungen

Es ist schon erstaunlich, dass ein ein Sachbuch mit dem schönen Titel „Das Ashley-Buch der Knoten“, von Clifford W.Ashley 1944 publiziert, der Autorin E. Annie Proulx auf einem Flohmarkt entdeckt und erworben, einem ganzen Roman den Aufhänger und Rahmen geben kann.
Denn eigentlich handelt dieser Roman nicht von einer kunstvollen Seil- bzw. Taurolle, sondern dem Menschen Quoyle, der in seinem bisherigen Leben wenig aufrecht gehen konnte, sondern eher jemand war, der flach am Boden lag, so dass jederman bequem über ihn hinwegsteigen konnte. Quoyles Aussehen und vor allem sein markantes Kinn, das er immer wieder ängstlich im Kontakt mit anderen Menschen hinter seiner davorgehaltenen Hand versteckt, sowie seine bisherigen Lebenserfahrungen, machen ihn scheinbar zum Oberlooser. Aber was ist ein Looser? Was ist Glück? Was ist Leben mit sich im Einklang, wenn das Leben oder auch das Schicksal immer wieder zuschlägt?
Die Autorin schickt den sechsunddreißigjährigen, gerade verwaisten, frisch verwitweten und nun alleinerziehenden Vater zweier Töchter zusammen mit seiner alten, aber sehr tatkräftigen Tante Agnis, von deren Existenz er bisher kaum etwas wusste, auf die rauhe Insel Neufundland, wo am Quoyles Point das alte Haus ihrer gemeinsamen Vorfahren steht.
Mehr widerwillig, als gern setzt Quoyel das alte, sehr einsam gelegene Haus zusammen mit seiner Tante so in Stand, dass es bewohnbar wird für ihn, seine kleinen Töchter Sunshine und Beety und die Tante. Um seinen Lebensunterhalt und die Kosten für die Haussanierung zu verdienen, heuert er als Redakteur bei der alteingesessenen,etwas altmodischen Lokalzeitung „Gammy Bird“ an und erhält die sehr „interessante“ Sparte „Schiffsmeldungen“ zugewiesen.
Was wie ein gewöhnlicher, teils ungeliebter Job und ein verrücktes, nervenaufreibendes Hausinstandsetzungsprojekt aussieht, entpuppt sich im Laufe der Zeit, als neue Chance für Quoyle und seine kleine Familie. Quoyle lernt Stück für Stück die Einheimischen und ihre Besonderheiten kennen, aber auch die rauhe Insellandschaft und das sie umgebende Meer mit all seinen lebensgefährlichen Tücken.

Dass Quoyle eines Tages nicht mehr die Hand schützend vor sein hervorspringendes Kinn legt und von nun an sehr aufrecht durch sein Leben geht, hat er nicht nur der großen, scheinbar stillen Frau Wavey und ihrem behinderten Sohn Herry zu verdanken. Er hat hier auf der Insel Menschen gefunden, die ihm inzwischen mehr als freundschaftlich zugewandt sind und ihn so mögen und schätzen, wie er ist.
Quoyle ist angekommen, wo er „Augenblicke in sämtlichen Farben“ erleben und endlich „Ja.“ sagen kann.

Diese Entwicklung zum „Ja in sämtlichen Farben“ gestaltet die Autorin E. Annie Proulx weder rührseelig, noch kitschig, sondern sehr realitätsnah und spannend bis zur letzten Seite. Und so ganz nebenbei lässt sie dem Leser nicht nur Quoyle und seine inzwischen vergrößerte Familie, sondern auch eine besondere Insel ans Herz wachsen.

Bettina Gromm, 11.05.2011


Genre: Romane
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main

Veronika beschließt zu sterben

Selbstbestimmt will Veronika, Mitte 20, ihr Leben beenden, da sie es „in vollen Zügen genossen hatte“ und jetzt endlich frei sein und vergessen wollte – für immer. Mutig nimmt sie die mühsam besorgten Tabletten …

Doch der Selbstmord missglückt und sie erwacht in „Villete“, dem „berühmt-berüchtigten Irrenhaus“ von Ljubljana, der Hauptstadt von Slowenien, welches Veronikas Heimat ist. In „Villete“ nimmt sich ihr Dr. Igor mit einem gewagte Experiment an, um Veronika von ihrem Todeswunsch zu heilen, obwohl sie ja nur noch eine Woche zu leben hat, da der Selbstmordversuch ihr Herz zu stark in Mitleidenschaft gezogen hat.

Veronika nutzt diese eine Woche und lernt die Insassen von Villete näher kennen und fühlt sich von einigen „Verrückten“ besonders stark angezogen. Sie ist fasziniert und irritiert von dieser so anderen Welt, fern des bisherigen Alltags und der Probleme ihrer Heimat, die gerade einen Bürgerkrieg überstanden hat.

Paulo Coelho verarbeitet in seinem Buch nicht nur seine, über zwanzig Jahre zurückliegenden, eigenen Erfahrungen als Psychatriepatient, sondern stellt Fragen und gibt mögliche gedankliche Anregungen an den Leser. Er versucht zu erklären, was eigentlich „Verrücktsein“ im jeweiligen gesellschaftlichen Rahmen bedeuten kann und wie Menschen überhaupt in die Psychatrie kommen, um Hilfe zu suchen oder zu fliehen vor dem, was als normales Leben angenommen wird. Der Arzt Dr. Igor steht zusammen mit dem Pflegepersonal den Patienten als Institution „Psychatrie“ gegenüber und oft scheinen ihre Handlungen willkürlich und unverantwortlich. Trotzdem genesen einige „Villete“- Patienten und wagen nach langer Zeit wieder den Schritt aus dem Schutz dieser Institution hinaus ins reale Leben.
Zu ihnen zählt auch der schizophrene Eduard, dessen Geschichte den Leser genauso in seinen Bann zieht wie Veronikas Geschichte.

Obwohl das Buch vor zehn Jahren das erste Mal erschienen ist, scheint es nichts von seiner Aktualität verloren zu haben. Es wird immer wieder, und der Statistik zufolge auch immer mehr, Menschen geben, die ihr Leben als beendet und abgeschlossen betrachten oder die sich mit den rasant voranschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen nicht arangieren können oder wollen. Und wenn diese Menschen psychatrische Hilfe erhalten, gibt es bestimmt inzwischen neue Medikamente und Methoden, die einige vielleicht von ihren Leiden heilen…
Letztendlich entscheidet jedoch jeder Leser dieses Buches selbst, in wie weit er sich während und nach der Lektüre des Buches gedanklich mit dem Sinn seines eigenen Lebens und seinem gesellschaftlichen Kontext auseinander setzen möchte. Ich, für meine Person, habe dieses dünne Büchlein weder schnell durchflogen, noch werde ich es schnell wieder vergessen können. Dazu war es viel zu faszinierend für mich!


Genre: Belletristik
Illustrated by Diogenes Zürich

Der Tod der Königskinder

Katja Sommer, Mitte Deißig und von Beruf Kriminalkommissarin, hat sich entschieden nach Rügen zu ziehen, in eine alte Scheune, die sie Stück für Stück herrichtet, um dort in Zukunft mit ihrem Sohn Patrick zu leben. Noch ist ihr zwölfjähriger Sohn in Köln bei Freunden geblieben, um ihm nicht die Umbaumaßnahmen und einen zu frühen Umzug zuzumuten. Seine Mutter möchte es richtig machen, obwohl sie die Entscheidung bereits selbst gefällt hat, ihren ehemaligen Freund und Dienststellenleiter Hauptkommissar Kai Grothe zu verlassen. Und dies tat sie so konsequent, dass sie sogar auf ihrer alten Arbeitsstelle in Köln kündigte und hier auf diese Insel zog, die doch eigentlich nur für die alljährlich wiederkehrenden, Erholung suchenden Touristenströme interessant ist.
Doch auch hier leben und arbeiten Menschen. Katja Sommer möchte zu ihnen gehören und findet sich gut in das ihr bereits von einem vorherigen Fall vertraute Ermittlerteam (siehe auch: „Und es wurde Nacht“ von Birgit C. Wolgarten) ein. Da ist der smarte, stets auf seine Wirkung auf Frauen bedachte, Sven Widahn, der gründliche Rechtsmediziner Dr. Majonika, sowie Konrad Vohwinkel, der Leiter der Spurensicherung; mit beiden letzteren Herren hat Katja Sommer schon einen feuchtfröhlichen Kneipenabend verbracht. Mit Sven Widahn verbindet sie bereits mehr und es fällt ihr oft schwer, sich von ihm nicht bei den Ermittlungsarbeiten in ihrem jetzigen Fall, durch seine testosterongesteuerte Art durcheinander bringen zu lassen.
Ihr jetziger Fall sind zwei junge Menschen, die recht offensichtlich einem ganz besonderen Täter unterlegen waren…
Während das Ermittlerteam sich auf die Suche nach dem Täter macht und scheinbar nur mühsam vorankommt, wird der Leser – vom ersten Wort an – mit dem Erleben und den Schilderungen des Täters konfrontiert. Die Autorin geht dabei sehr geschickt vor und lässt den (un)geübten Krimileser immer wieder in die Irre tappen. Die verdächtigen Personen aus dem Umfeld des jungen Liebespaares werden differenziert gezeichnet und man spürt als Leser schnell, das sind keine künstlichen Wesen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut mit ihrem bereits gelebten Leben, ihren Hoffnungen, ihren Enttäuschungen, mit ihren erfahrenen Verlusten, mit ihrem immer wieder aufflackernden Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe…

Letztendlich kann das Ermittlerteam um Katja Sommer den Fall der zwei Königskinder, die einander so lieb hatten, abschließen. Doch zurück bleibt der schale Geschmack von einem Täter, der sich in das Leben seiner Opfer einschlich und daraus höchste Befriedigung zog…

Für Katja Sommer ist der Umzug nach Rügen noch lange nicht abgeschlossen: ihr Sohn möchte lieber in Köln bleiben, Kai Grothe startet eine reumütige Versöhnungsaktion und Sven Widahn ließ bei einem Besuch in ihrer Scheune eine rote Rose zurück…
Das lässt den Leser hoffen, Katja Sommer bald wieder bei ihren durchweg spannenden Ermittlungen zu begleiten.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Prolibris Verlag Kassel

Weiberabend

Joanne Fedler
Weiberabend
Knaur Verlag, München 2008, ISBN 978-3-426-66311-0

Acht Frauen, zwischen 37 und 43 Jahre alt, treffen sich zu einem ihrer seltenen und kostbaren Weiberabende.
Dieser eine Weiberabend steht für all das, was diese Frauen bewegt: ihr Dasein an sich, ihre Mutterschaft, ihre Kinder, ihre Partner, ihre Spiritualität, ihre Weiblichkeit; aber auch ihre Schwächen, ihre Verzweiflungen, ihre scheinbaren Niederlagen… All dies wird umrahmt von lukullischen Gaumenfreuden, zungenlösenden Getränken und anderen Sinnesfreuden…
Die Leserin oder auch der Leser wird schnell in das Geschehen hineingezogen, vor allem wenn ihr bzw. ihm diese Themen nicht ganz fremd sind.
Beim Lesen merkt man schnell, dass es sich hier auch um typisch amerikanische Lebensweisen handelt. Aber so weit ist diese Lebensart gar nicht von der europäischen entfernt… Nicht erst seit heute werden Frauen in Europa das erste Mal Mütter mit Ende zwanzig/ Anfang
dreißig oder sogar erst vierzig. Und das Hinzuziehen eines Psychotherapeuten für privates Krisenmanagement wird auch immer mehr kultiviert.
Natürlich bleibt es bei der Anwesenheit von soviel weiblichen Hormonen auch nicht aus, dass kleine und große Konflikte ausbrechen, die die Freundschaft der acht Frauen teilweise auf eine recht harte Probe stellen…
Ob man von diesen Frauen noch etwas lernen kann?

Auf jeden Fall macht dieses Buch Mut, trotz aller klugen und gut gemeinten Ratschläge von der ach so kompetenten Außenwelt, sein Leben als Frau und Mutter selbstbewusst und einzigartig zu leben.
Und dieses Leben sollte die Anwesenheit männlicher Hormone nicht ausschließen… Deshalb ist „Weiberabend“ nicht nur für weibliche Leserinnen empfehlenswert, sondern auch für männliche Leser.

Bettina Gromm, 10.08.2009


Genre: Romane
Illustrated by Knaur München

Haus der Schildkröten

Es trifft fast jeden, obwohl man es tagtäglich verdrängen möchte: das Altern und das reale Leben an sich.

Was fühlt ein alter Mensch bzw. fühlt er nicht mehr, wenn er ab sofort auf fremde Hilfe bis an sein sicheres Lebensende angewiesen ist? Was bedeutet es, als Kind seinen Vater oder seine Mutter allwöchentlich im „Haus der Schildkröten“ zu besuchen?
Annette Pehnt hat kein Sachbuch über das Alter und die damit verbundenen oft verdrängten Begleiterscheinungen geschrieben, obwohl dem Buch eine gründliche Recherche vorausgegangen sein muss.
Vielmehr lässt uns die Autorin langsam und mit genauer Beobachtungsgabe, in das Leben ihrer Protagonisten im „Haus Ulmen“ eintauchen: Frau von Kanter, die kein Wort mehr sprechen kann und trotzdem kommuniziert; der demente Professor, dessen Bewegungsdrang sich immer mehr steigert und der in seiner Enkeltochter Lili seine schon lange verstorbene Frau wiederentdeckt; Frau Hint, die früher so gerne reiste und sich nun in Herr Lukans Hände verliebt; Schwester Gabriele, die ihren täglichen Job macht; und Pfleger Maik, der von den Heimbewohnern besonders gemocht wird, aber von seiner Freundin abgewiesen wird, weil er den süßlichen Heimgeruch mit nach Hause bringt…
Jeden Dienstag besuchen Regina ihre Mutter, Frau von Kanter, und Ernst seinen Vater, den Professor, im „Haus Ulmen“. Sie ertragen diese Besuche mehr als das sie sie lieben, bis sich ihre Wege an einem Dienstag unter den Augen der Immergleichen kreuzen…

Zuneigung und Liebe sind kein Privileg der Jugend. Die Liebe kommt, wann sie kommen will und sie verweilt, wenn wir sie trotz aller Zweifel zulassen. Ob sie von Dauer ist, lässt die Autorin ganz bewusst offen, und damit dem Leser genug Raum, die Geschichte für sich weiter zu schreiben oder Parallelen zu seiner eigenen Lebensgeschichte zu entdecken.
Das Buch ist gewiß keine Dutzendgeschichte über die Liebe und das reale Leben, sondern ein besonders gelungenes Kleinod, das nicht auf dem bereits übersättigten Buchmarkt übersehen werden sollte, und hoffentlich noch viele Leser findet.


Genre: Romane
Illustrated by Piper München, Zürich

Die Entdeckung der Langsamkeit

Sten Nadolny
Die Entdeckung der Langsamkeit (Hörbuch)
marebuch-verlag,Hamburg 2004, ISBN 3-936384-54-1

Wer bereit ist, sich dieser Entdeckung zu öffnen, hat schon den ersten Schritt getan, um sich der Schnelligkeit unserer heutigen Zeit zu entziehen.
Die Biographie von John Franklin,dem Seefahrer und Entdecker, kann nicht mal schnell quergelesen oder quergehört werden… Dazu braucht der Zuhörer einfach Zeit – Zeit zum Zuhören!
Zuhören können, hinschauen können, nachdenken können- nicht oberflächlich- diesen Prinzipien blieb John Franklin bis an sein Lebensende treu.
Dass er schon zu seiner Zeit (1786-1847) damit auf heftigen Widerstand stieß, mag der Zuhörer kaum glauben…
Der Autor, Sten Nadolny, liest seinen Roman, der 1983 erstveröffentlicht wurde, selbst und nimmt uns mit auf eine Lebensreise in eine scheinbar schon längst vergangene Zeit… Wer möchte, kann aber ganz schnell Parallelen zu unserer heutigen ziehen.

Persönlich musste ich feststellen, dass mir der Autor manche Textpassage zu schnell vorgelesen hat und deshalb werde ich mir bei der nächsten Gelegenheit die Zeit nehmen, um im Buch alles noch einmal selbst nachzulesen – und zwar schön langsam!


Genre: Hörbücher
Illustrated by marebuch-verlag Hamburg

Mein Lied geht weiter

Eine Schwalbe macht noch keinen – wie bitte?

Der kahle Lindenbaum vor det Museum,
Is -haste Worte- wieda jrien belaubt.
Die Amseln üben wieda ihr „Te deum“,
Der Friehling kommt. Wer hätte det jejlaubt!
Ick laß mia von´ Aprilwind nicht vaschrecken
– Von wejen „Volksmund“, ick bleib fest dabei:

Eene Schwalbe macht eenen Sommer!
Eene Rose macht eenen Mai!

In meinem Blumentopp blieht schon een Krokus
– Na, und mein Emil is so jut wie neu!
Nachts im Park jibts wieda Hokuspokus.
Aus eins und eins wird zwei. Und späta drei!
Det een Mal keen mal sein soll, is een Märchen.
Man hat oft Pech, doch bleib ick fest dabei:

Eene Schwalbe macht eenen Sommer,
eene Rose macht eenen Mai.
Ei wei!

Wenn die ersten Schneeglöckchen blühen und die letzten Schneeflocken fallen, draußen die Sonne scheint, es aber noch a…kalt ist, kann man drinnen noch getrost seinen Leidenschaften frönen, z.B. ein Gedichtbuch zur Hand nehmen…
Dies tuen wahrscheinlich nur wenige Menschen, denn man musste in der bereits verflossenen Schulzeit andauernd Gedichte auswendig lernen und interpretieren…
Aber es gibt auch eine stets wachsende Fangemeinde, die in Gedichten etwas ganz anderes findet, z.B. Humor…
Und den feinen Humor, trotz aller ernsthaften Lebensangelegenheiten, atmen die meisten Gedichte von Mascha Kaleko ein und aus…

Der vorliegende kleine Band ist eine Auswahl von einhundert Gedichten aus Mascha Kalekos Nachlass, der sich in sieben „Kapitel“ gliedert…
Das Gute daran ist, dass man die Kapitel nicht, wie in einem Roman, nacheinander lesen muß, sondern man einfach irgendeine Seite aufschlagen und loslesen kann…
Aber Vorsicht, alles in Maßen und nicht in Massen! Auch für Mascha Kalekos Kleinode gilt: Weniger ist mehr!
Man kann den kleinen Band schon jetzt „durchkämpfen“, aber er liest sich bestimmt auch genauso schön unter einem sommerlichen Apfelbaum…

Zum Schluss noch etwas in Hochdeutsch für alle Fans dieser Internetseite, natürlich von Mascha Kaleko (1907-1975):

Ansprache eines Bücherwurms

Der Kakerlak nährt sich vom Mist,
Die Motte frißt gern Tücher,
Ja selbst der Wurm ist, was er ißt.
Und ich, ich fresse Bücher.

Ob Prosa oder Poesie,
Ob Mord – ob Heldentaten –
Ich schmause und genieße sie
Wie einen Gänsebraten.

Ich bin ein belesner Herr,
Nicht wie die andern Viecher!
Daß Bücher bilden, wißt auch ihr,
Und ich – ich fresse Bücher.

Die Nahrung, sie behagt mir wohl,
Verleiht mir Grips und Stärke.
Was andern Wurst mit Sauerkohl,
Das sind mir Goethes Werke.

Ich fraß mich durch die Literatur
So mancher Bibliotheken;
Doch warn das meiste, glaub es nur,
Bloß elende Scharteken.

Das Bücherfressen macht gescheit.
So denken sich´s die Schlauen.
Doch wer zuviel frißt, hat nicht Zeit,
Es richtig zu verdauen.

Drum lest mit Maß, doch lest genug,
Dann wird´s euch wohl ergehen.
Bloß Bücher fressen macht nicht klug!
Man muß sie auch verstehen.


Genre: Lyrik
Illustrated by dtv München

Die unglaubliche Reise des Smithy Ide

Ein Buch geschenkt zu bekommen, ist in etwa so, wie ein Parfüm geschenkt zu bekommen. Es ist ein Risiko! Ein Parfüm kann ganz gut auf dem Teststreifen riechen, aber tut es das auch auf meiner Haut? Ein Buch kann ganz interessant aufgemacht sein, aber wird mich sein Inhalt beim Lesen wirklich faszinieren?

Also ich bin das Risiko eingegangen und habe das mir geschenkte Buch „Die unglaubliche Reise des Smithy Ide“ aufgeschlagen und angefangen zu lesen …

Es hat mich schnell eingesogen, denn wer könnte sich nicht mit der Hauptfigur Smithy identifizieren. Smithy ist über die Jahre bequem und unzufrieden geworden, von Selbstzweifeln geplagt und hat sich scheinbar in sein Schicksal ergeben …

Der fast gleichzeitige Tod seiner Eltern und seiner Schwester Bethany reißen ihn aus seinem Trott. Er tritt eine skurrile Reise an …

Falls Sie Lust haben auf ein zutiefst menschliches Abenteuer, lassen sie sich dieses Buch doch einfach schenken und lesen Sie selbst! Es ist (k)ein Risiko!


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Der Gesang der Orcas

Sophie, ein fünfzehnjähriges Mädchen aus Berlin, und ihr Vater, ein anerkannter Fotograf für Magazine und Bildbände, begeben sich auf eine gemeinsame Reise in den äußersten Nordwestzipfel Amerikas, auf die Olympic-Halbinsel, in das Reservat der Makah-Indianer.
Diese Reise ist keine gewöhnliche Dienstreise für den Vater und keine unbedingt erwünschte Ferienreise für Sophie.
Jeder der beiden nutzt die Reise als Chance, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten und die Entfremdung untereinander, bedingt durch die jahrelange Globetrottertätigkeit des Vaters, zu überwinden.

Dies alles spielt sich ab vor der großartigen Kulisse der Pazifischen Westküste Nordamerikas und in der modernen, die alten Traditionen weiter pflegenden Indianerkultur.

Eine besondere Stellung in diesem Jugendroman nehmen für Sofie und ihre neuen Freunde die Begegnungen mit den Orcas auf dem offenen Ozean ein…

Wer sich gern dem Leben fremder Kulturen und Menschen öffnet, wer Achtung vor der Natur empfindet und wem Verlust und Abschied nicht nur Trauer und Wehmut bedeuten, dem sei dieses Buch empfohlen. Es ist für einen Erwachsenen genauso lesenswert wie für einen Teenager und weckt sogar etwas Fernweh.


Genre: Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by arena Würzburg

Die Glasbläserin

Der Titel ist ein wenig irreführend, erzählt dieses Buch doch nicht nur die Geschichte einer jungen Frau, sondern gleichberechtigt die von drei Schwestern, Johanna, Ruth und Marie, die bereits Halbwaisen sind und nun auch noch den Vater an den Tod verlieren. Dieser Verlust zwingt die drei Mädchen schon relativ früh dazu, selbst für ihren Lebensunterhalt in dem kleinen Glasbläserdörfchen Lauscha im Thüringer Wald im Jahre 1890 zu sorgen.

Wie unterschiedlich jede dieser drei historischen, aber trotzdem fiktiven Frauenfiguren auf Grund ihrer spezifischen Charaktere diese Selbständigkeit entwickelt, beschreibt Petra Durst-Benning sehr spannend und unterhaltsam und setzt gleichzeitig dem Glasbläserhandwerk und dessen Heimat Lauscha ein Denkmal.

»Die Glasbläserin« ist ein anspruchsvoller Schmöker zur Vorweihnachtszeit. Der Roman eignet sich aber auch als wunderschönes Weihnachtsgeschenk und dies nicht nur für an der zerbrechlichen Glasbläserkunst interessierte Leser.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by List München