Blutorangen. Der Gastrosoph Peter Peter glänzte schon durch eine prämierte Kulturgeschichte der italienischen Küche sowie Literaturguides zu Sizilien und Neapel. In seinem neuen Werk, Blutorangen, widmet er sich ganz der wichtigsten Frucht des Südens: der Zitrone.
Kulturgeschichte der Blutorangen und Zitronen
Schon Goethe assoziierte mit Italien “das Land in dem die Zitronen blühen”. Aber es war nicht nur die Zitrone, sondern eine Vielzahl an Zitrusfrüchten, die ihm damals begegneten: Zitronen, Mandarinen, Blutorangen, Bergamotten, Pomeranzen, Zitronatzitronen. Kurz auch als “Agrumen” bezeichnet, vom lateinischen “acer” für „scharf, herb, sauer“, dabei sind Zitrusfrüchte alles andere als nur das. Peter Peter zeigt uns in seiner kulinarischen Kulturgeschichte, dass das Wort für Orange aus dem Sanskrit Naranga stammt und selbst Apfelsine sich auf den Orient bezieht. Der “Apfel aus China“, die Apfelsine, stammt vermutlich aus dem Himalaya, Burma oder dem südchinesischen Yunnan und vielleicht hat wirklich Marco Polo sie von dort mitgebracht. Aber schon in Pompejis Wandfresken waren Zitrusfrüchte abgebildet, somit kannten sie auch schon die alten Römer. Interessant für Züchter ist die Tatsache, dass Zitrusbäume Selbstbestäuber sind und “nicht unbedingt auf die Hilfe von Bienen angewiesen sind“, so Peter. Die ersten Zitronen der italienischen Halbinsel dürften im 10. Jahrhundert in Amalfi geerntet worden sein, die Seerepublik hatte eben privilegierte Orientbeziehungen, also noch lange vor Marco Polo über Zitronen verfügt. Da Zitronen aufgrund ihres Vitamin C Gehalts gut gegen Skorbut sind, verzeichnete die Frucht einen grandiosen Aufstieg im Europa der Seefahrt in den kommenden Jahrhunderten. Aber auch für arme Leute war die Zitrone nichts weniger als das Versprechen auf das Paradies: “Qui tocca anche a noi poveri la nostra parte di ricchezza. Ed è l’odore dei limoni“, wie es in einem zitierten Gedicht von Eugenio Montale heißt. Wer dabei an Limoncello denkt liegt auch nicht ganz falsch.
Allheilmittel Zitrone
Wenn Lucio Battisti seiner Geliebten verspricht, dass in seiner Brust eine Zitrone schlägt (“batte in me un limone giallo, basta spremerlo“) und damit unweigerlich die Aufforderung es auszupressen (spremerlo) verbunden wird oder Paolo Conto in seinem Chanson “gelato al limon” verspricht, dass Liebe keine Sache des Geldbeutels sei, wird auch den etwas weiter nördlich Geborenen unweigerlich klar, dass die Zitrone mehr ist als nur eine Frucht. Schon in Zeiten der Pest wurden ihr heilsame Fähigkeiten zugesprochen, weswegen die Dottori mit der langen Nase der Commedia dell’Arte stets getrocknete Exemplare darin aufbewahrten. Auch in unserem Jahrhundert wuchs der Verkauf der Zitrone ums Doppelte, da viele glaubten, die Zitrone helfe auch gegen Corona. Aber genug der Theorie, die Gelateria Mario Campanella im apulischen Badestädtchen Polignano a Mare kredenzt einen Caffè Speciale, den man sich nicht entgehen lassen sollte: er enthält Zesten (sehr feine Streifen der Schale einer Zitrusfrucht) von Zitronen und gilt als Hinweis, wie vielseitig verwendbar die Zitrusfrüchte doch sind. Das zeigen auch 12 Rezepte, die Peter Peter feinsinngerweise zusammengestellt hat und hier sogar mit Fotos präsentiert.
Zum Nachkochen dringend empfohlen! (Auch das Rezept für einen zünftigen Limoncello ist dabei.) Natürlich erfährt der Leser auch woher die besten Zitronen kommen und was ihre Unterschiede sind. Ob Gardasee oder Kalabrien, jede Region hat ihre eigenen Vorzüge und Zitronen, darauf spielt auch die Beuyssche Capri-Batterie an.
Peter Peter
Blutorangen
Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens
2024, SALTO [285], 144 Seiten, rotes Leinen, fadengeheftet
ISBN 978-3-8031-1384-9
Wagenbach Verlag
22,– €