Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner

Der Gentleman-Gauner

Insgesamt vier Bücher von Arsène Lupin, dem Gentleman-Gauner, sind beim Matthes & Seitz Verlag erschienen. Insgesamt gibt es 20 Romane, zwei Theaterstücken und etlichen Kurzgeschichten. Die vorliegenden ersten acht Geschichten sind als Fortsetzungsgeschichten zwischen 1905 und 1935 in dem Magazin „Je Sais Tout“ erschienen. Jede einzelne Episode ist aber in sich abgeschlossen.

Neuübersetzung der ersten Abenteuer

In Frankreich ist der gentleman-cambrioleur ein Star. Als Gegenentwurf zum bekannten Meisterdetektiv Sherlock Holmes wurde er von Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden. Einige Geschichten beziehen sich auch direkt auf Herlock Sholmes wie der englische Detektiv aus rechtlichen Gründen bei Leblanc genannt wird. Aber wer ist dieser Arsène Lupin und was macht ihn zum Gentleman-Gauner? Arsène Raoul Lupin wurde 1874 als Sohn von Henriette d’Andrésy und Théophraste Lupin geboren und genoss eine hervorragende Ausbildung in Jura und Medizin. Latein, Englisch und Griechisch sowie weitere moderne Sprachen beherrscht er fließend, sowie diverse Kampfsportarten.

Arsène Lupin, Meister der Illusionen

Als Meister der Verkleidungskunst und der Verstellung verwendet er gerne Pseudonyme: Raoul de Limézy, Vicomte d’Andrésy, Horace Velmont, Guillaume Berlat. Als vollendeter Gentleman zeigt er sich den Damen gegenüber galant und verabscheut Gewalt. So gibt er etwa erbeutete Juwelen einer Dame zurück, wenn er feststellt, dass sie sich (unbewusst) als loyal erwiesen hat. Am liebsten stiehlt er von den Reichen oder deckt politische Intrigen auf wozu er manchmal auch mit den Behörden zusammenarbeitet. Gerüchten zufolge soll der real existierende, humorvolle Anarchist Marius Jacob als Vorbild für Arsène Lupin gedient haben, was Maurice Leblanc stets negierte.

Netflix-Serie mit Omar Sy

Der Ziemlich-beste-Freunde-(Intouchables)-Star Omar Sy wählt in einer Adaptation der Romanvorlage, die bei Netflix unlängst erschienen ist, dezidiert Arsène Lupin als Vorbild. Dabei spielt das vorliegende Buch im französischen Original – also die ersten acht Abenteuer eine gewichtige Rolle. Der Vater von Assane Diop (Omar Sy) verwendet das Buch als Geheimcode für eine post mortem Mitteilung an seinen Sohn und dieser kann nach und nach eine politische Verschwörung aufdecken, die ganz Frankreich erschüttern wird. Dabei verwendet Assane Diop durchaus ähnliche Methoden wie sein literarisches Vorbild Arsène Lupin und bleibt doch stets Gentleman dabei. Oder er zitiert aus dem dritten Kapitel eine folgenreiche Stelle: “Bei den Künsten ist die Illusion zweifellos die subtilste. Sie fordert stets eine gewissen Fingerfertigkeit und manchmal eine gehörige Portion Mut. Die Art und Weise spielt letztendlich keine Rolle, nur das Ergebnis zählt. Und das Vergnügen die Welt getäuscht zu haben.

Lupin, dans l’ombre d’Arsène

“Lupin, dans l’ombre d’Arsène” (franz.:Lupin, im Schatten von Arsène) auf Netlix ist eine wirklich gelungene Adaption eines traditionellen Stoffes mit durchwegs modernen Mitteln. Die dritte Staffel soll in diesem Sommer erscheinen. Besonders toll dabei ist natürlich, dass die Macht des Buches, das übrigens auch auf Assanes Sohn großen Einfluss hat, hier richtiggehend zelebriert wird. Große Werke inspirieren eben auch große Künstler. Denn die Geschichte des Gentleman-Gauners wurde etwa auch vom Autoren-Kollektiv Boileau-Narcejac in fünf Romanen fortgeschrieben. Bei Matthes & Seitz Berlin sind außerdem erschienen: Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes, Arsène Lupin und der Schatz der Könige von Frankreich,
Die Gräfin Cagliostro oder die Jugend des Arsène Lupin.

Maurice Leblanc
Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner
Originaltitel: Arsène Lupin, gentleman-cambrioleur (Französisch)
Übersetzung: Erika Gebühr
2021, 238 Seiten, gebunden, auch erhältlich als Ebook
ISBN: 978-3-7518-0041-9
Matthes & Seitz Berlin
18,00 €


Genre: Krimi, Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
Illustrated by Matthes & Seitz

The Travel Episodes – Band 5: Von Abenteuern in der Ferne und vor der Haustür

Nach dem Reisen ist vor dem Reisen. Und die Zeit dazwischen kann unendlich lang werden. Nicht nur während einer Pandemie, sondern vielleicht sogar schon zwischen zwei Wochenenden. Das trifft natürlich nicht auf alle Menschen zu, aber auf jeden Fall auf all die mit dem Reise-Gen, die Horizont-Süchtigen, die Fernweh-Kranken. Diese Krankheiten heilt Johannes Klaus mit seinen Travel Episodes nicht, er bietet allenfalls das Methadon, die Ersatzdroge. Genau genommen befeuert er die Symptome sogar, wenn er verschiedene Autoren bittet, ihre jeweiligen Erlebnisse, Abenteuer, Erfahrungen, Bilder und Gedanken in Worte zu fassen. Frauen und Männer, die an irgendeinem Ort rund um den Globus waren oder sich vielleicht sogar noch dort befinden und mit ihren Berichten und Erzählungen bei der gesamten Leserschaft Kopfkino vom Feinsten über die mentale Leinwand flimmern lassen. Weiterlesen


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Reisen
Illustrated by Piper Malik Kabel München

Der Friedhof der vergessenen Bücher

Ein Buch wie eine Kathedrale

Der Ruhm des spanischen Schriftstellers Carlos Ruiz Zafon gründet sich auf den ersten Band einer Tetralogie, deren geheimnisvoller Ort «Der Friedhof der vergessenen Bücher» ist, zu dem unter gleichem Namen mit dem vorliegenden Erzählband nun posthum eine Ergänzung erschienen ist. Es handelt sich um «eine tief unter Barcelona verborgene Bibliothek, in der die Bücher darauf warten, ihre Seele an ihren Leser weiterzugeben». Die vier Romane bilden einen breitgefächerten Erzählkosmos, in dem die Bücher selbst sich ihre Leser suchen, nicht umgekehrt. Mit dem vorliegenden Band weiterführender, ergänzender Geschichten sollte dieser labyrinthische Kosmos nach dem Willen des früh verstorbenen Autors weiter wachsen.

Mit Abstand erfolgreichster Roman war der unter dem Titel «Der Schatten des Windes» erschienene, erste Teil der Tetralogie, der in 36 Sprachen übersetzt mehr als 15 Millionen Mal verkauft wurde. Einige von dessen Figuren, aber auch von den drei Folge-Romanen, finden sich hier ebenso wieder wie viele Themen und Motive der Tetralogie. Mit sieben bisher unveröffentlichten der insgesamt elf Erzählungen stellen sie ein letztes Geschenk des Autors an seine treuen Leser dar. Carlos Ruiz Zafon hat dazu erklärt: «Für mich ist der Friedhof der vergessenen Bücher so etwas wie die Verkörperung der Erinnerung, der Identität. Das geht weit über Bücher oder Literatur oder geistige Welten hinaus».

In «Blanca und der Abschied» geht es um die Liebe des angehenden Dichters David Martin , in «Namenlos» erfahren wir von dessen tragischer Geburt, die dritte Geschichte handelt von einem selbstlosen Arzt, dem es übel ergeht, und in der nächsten erzählt David Martin seinen Mitgefangenen «eine Geschichte von Büchern, Drachen und Rosen». Eine längere Erzählung handelt vom Fürst des Parnass, es folgt «Eine Weihnachts-Geschichte», wir sehen «Alicia im Morgengrauen» und erleben «Graue Männer» als Auftragskiller. Nach einer Liebesaffäre in «Die Frau aus Dunst» folgt mit «Gaudi in Manhattan» eine Hommage auf den berühmten Architekten. «Ist dir mal aufgefallen, dass die Leute immer mehr verblöden, je intelligenter die Handys werden?» fragt eine Rothaarige in Manhattan den Ich-Erzähler der kurzen, letzten Geschichte mit dem Titel «Apokalypse in zwei Minuten». Das Ende sei gekommen, aber da er «nie im Finanzsektor gearbeitet habe», gestehe sie ihm drei Wünsche zu. «Ich will wissen, was der Sinn des Lebens ist. Ich will wissen, wo es das beste Schokoladen-Eis der Welt gibt. Und ich will mich verlieben». «Die Antwort auf die beiden ersten Wünsche ist dieselbe», sagt die Rothaarige, und der Erzähler ergänzt: «Was den dritten Wunsch betraf, gab sie mir einen Kuss».

Barcelona bildet den örtlichen Ausgangspunkt fast aller Geschichten von Zafon, die er mit gedrechselten Worten in vergilbten Bildern beschreibt. Da ist von engen, labyrinthischen Gassen die Rede, von düsteren Fassaden, die in Nebelschwaden verschwinden. Fast immer fällt auch Schnee in seinen Beschreibungen, so als ob wir in Moskau sind und nicht in einer Stadt mit Mittelmeerklima, Licht und Sonnenschein passen nicht zur düsteren Welt Zafons. Ein immer wiederkehrendes Motiv sind bei ihm auch die Bücher, und meist ist ein satanischer Verleger namens Corelli in das Geschehen verwickelt, ihn mag der Autor, wie er erklärt hat, ganz besonders. Es ist diese unheimliche, geisterhafte Atmosphäre, die sein Markenzeichen darstellt und seine phantastische Erzählbühne stimmungsmäßig grundiert. Dabei gerät er mitunter deutlich in die Gefilde der Trivial-Literatur, was er durch einen Vergleich zu relativieren sucht: «Ein Roman sollte wie eine gotische Kathedrale sein, bestehend aus Worten und Geschichten und Figuren: Man geht hinein und man denkt nicht über die Mathematik oder Physik des Bauwerks nach». Und tatsächlich erzeugt er einen publikums-wirksamen Lesesog, der dafür sorgen dürfte, dass seine Bücher wohl nie auf dem «Friedhof der vergessenen Bücher» landen werden.

Fazit: lesenswert

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Fischer Verlag

Vom Aufstehen

Im Osten nichts Neues

Mit ihrem Buch «Vom Aufstehen» blättert Helga Schubert in 29 Erzählungen ihre ereignisreiche Lebensgeschichte auf. Mit der titelgebenden, hier als letzte abgedruckten Geschichte gewann sie 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Das war für die ziemlich in Vergessenheit geratene Schriftstellerin eine späte Wiederentdeckung. Dieser Band sei eine Hommage an ihre berühmte Kollegin, deren Erzählung «Das dreißigste Jahr» das ‹Aufstehen› thematisiert, erklärte sie in ihrer Klagenfurt-Dankesrede. Morgen werden in Leipzig die diesjährigen Buchpreise verliehen, der vorliegende Erzählband ist unter den nominierten Büchern, – winkt da womöglich eine weitere Auszeichnung?

Die achtzigjährige Autorin hat vieles miterlebt, als Kind die abenteuerliche Flucht vor der anrückenden Roten Armee aus Groß Tychow in Hinterpommern bis nach Greifswald, dann in der DDR das erste Arbeiter- und Bauernparadies auf deutschem Boden, schließlich die Wiedervereinigung und die Jahre danach bis heute. Die Autorin erzählt in einem Mix aus Realem und Fiktivem aus ihrem Leben, wobei sie angemerkt hat, dass sie diesen über viele Jahre hinweg entstandenen Erzählungen wenig Wert beigemessen habe. Nun aber seien sie doch erfolgreich veröffentlicht worden. «Mir ist das unheimlich, und das hängt auch mit meinem Glauben zusammen, dass ich mir sage: Bäume dürfen nicht in den Himmel wachsen. Ich denke dann, wann kommt mein Absturz, also dass die Leute sagen, nun ist es aber mal gut mit der Vergangenheit». Nach dem Mauerfall war es sehr ruhig geworden um die in ihrem Brotberuf als Psychotherapeutin tätige DDR-Schriftstellerin, die sich innerlich mit dem Unrechts-Regime arrangiert hatte. «Ich habe die Regeln des Ostens begriffen und sie beachtet» hat sie dazu angemerkt und ist nicht in den Westen gegangen wie manche ihrer schreibenden Kollegen.

Ihre im Umfang sehr unterschiedlichen Texte sind teils Momentaufnahmen, teils auch längere Rückbesinnungen auf das Erlebte. Gleich die erste Erzählung «Mein idealer Ort» ist ein Beispiel dafür. Sie erinnert sich an das Aufwachen in der Hängematte nach dem Mittagsschlaf bei der Großmutter im Obstgarten, wo sie viele Jahre lang die Sommerferien verbracht hat. Und dann gab es dort immer «Kuchen und Muckefuck», man denkt unwillkürlich an die Madeleines von Marcel Proust. «So konnte ich alle Kälte überleben. Jeden Tag. Bis heute». Ähnlich funktioniert auch die titelgebende, letzte Geschichte in diesem Band, als die Erzählerin morgens wach liegt und sich innerlich auf die Erfordernisse des kommenden Tages vorbereitet, aber auch in kurzen Erinnerungs-Splittern an ihre nicht immer einfache Vita zurückdenkt. Eine dominierende Rolle spielt dabei das problematische Verhältnis zu ihrer Mutter, deren Herzenskälte sie unverkennbar psychisch sehr belastet hat. Die hatte sie jahrelang mit Vorhaltungen gequält und ihr erklärt, es wäre besser gewesen, sie hätte abgetrieben, oder sie auf der Flucht irgendwo allein ausgesetzt, um sie los zu werden, oder sie ganz einfach vergiftet. Dass sie einer solch grausamen Mutter trotzdem vergeben könne, dürfte an ihren religiösen Wurzeln liegen, schließlich habe die Mutter ja ihrem Kind auch vorgesungen.

Neben distanziert beschriebenen Episoden dieser Lebensbilanz finden sich auch emotional berührende. Aber leider auch thematisch unergiebige wie «Eine Wahlverwandtschaft», wo endlos erscheinende Aufzählungen, den Stammbaum hoch und runter, ermüdend wirken mit Sätzen wie: «Und die Tochter meiner Mutter konnte darum auch den Vormittag bei meiner sterbenden Großmutter sein». Der Verwandtschaftsgrad muss reichen, Namen sind Mangelware. Meistens in kurzen Sätzen schon fast lakonisch knapp erzählt, erscheint diese Melange von zu ganz unterschiedlichen Zeiten entstandenen Erzählungen stilistisch äußerst ambivalent. Die inhomogene Zusammenstellung erschwert das Lesen, es fehlt ein innerer Zusammenhang des Erzählten, ein roter Faden, und wirklich Neues wird hier leider auch nicht geboten!

Fazit: mäßig

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by dtv München

Schaurige Orte in der Schweiz

Auf die Herausgabe dieses Bandes seiner wachsenden Sammlung von unheimlichen Orten und gruseligen Städten muss Herausgeber Lutz Kreutzer regelrecht gewartet haben. Denn »Schaurige Orte in der Schweiz« gab ihm, der nunmehr alleiniger Herausgeber ist, die Möglichkeit, wieder eine eigene Erzählung einzubinden, und die bildet diesmal ein Highlight der gruseligen Geschichten, die er zusammentrug. Weiterlesen


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Gmeiner-Verlag Meßkirche

Maghrebinische Geschichten

Kein Wort ist wahr

Im breiten Œuvre von Gregor von Rezzori ist «Maghrebinische Geschichten» sein bekanntestes Werk, erstmals 1953 in Buchform erschienen. Einige seiner satirischen Erzählungen hatte der Autor vorher bereits im Nachtprogramm des NWDR vorgelesen. Als sein Lektor handgeschriebene Notizen von ihm für diese Radiosendungen gesehen hat, schlug er ihm vor, daraus ein Buch zu machen. Nach seinen ersten drei, im Krieg erschienenen und als trivial kritisierten Romanen wurde er als Schriftsteller von kitschiger Unterhaltungs-Literatur abgestempelt. Das änderte sich mit dem vorliegenden Buch, das nicht nur in Deutschland sehr erfolgreich war. Sechs Jahre später widmete ‹Der Spiegel› ihm seine Neujahrsausgabe, eine Art Ritterschlag dieses seinerzeit meinungsbildenden Nachrichten-Magazins, mit dem er quasi als ‹literarischer› Schriftsteller anerkannt wurde. Ein Erfolg allerdings, an den er später dann nicht mehr anknüpfen konnte. Zeitlebens, beklagte er sich im Alter, klebe sein Name an einem einzigen Buch. Es ist ein Klassiker seines Genres, der bis heute gerne gelesen wird.

In einer an Boccaccio erinnernden Sammlung von Anekdoten, Schwänken, Legenden, Mythen und in epischer Breite erzählten Witzen schildert Rezzori parodistisch das Leben und die Sitten in seinem Phantasiestaat Maghrebinien. Als Vorlage diente ihm dabei das multikulturelle Land seiner Kindheit, das historische Gebiet der Bukowina, einst habsburgisches Kronland mit Czernowitz als Hauptstadt, in der er 1914 geboren wurde. Diese kosmopolitische, längst untergegangene Balkan-Gesellschaft am östlichen Rand der einstigen k. u. k. Monarchie, in die auch ein islamisch-osmanisches Erbe hineinwirkt, prägt seine Erzählungen entscheidend, er hat sich ihr zeitlebens als zugehörig gefühlt. Die von ihm selbst als «balkanischer Operettenstaat» bezeichnete, fiktive Welt wird von einem bunten Völkchen aus Schlitzohren, Schlawinern, Schnorrern, Lebenskünstlern und Halunken bevölkert. Allesamt extrem lustbetonte Hedonisten, deren Zusammenwirken über die Höhe des obligatorischen Bakschischs geregelt wird, besser gesagt geschmiert wird. Einig ist man sich nur im extensiven Genuss, wobei auch die Frauen allenfalls als Genussmittel angesehen werden in dieser extremen Macho-Gesellschaft.

Einer der unzähligen Witze dieses Buches sei hier als Beispiel für diese Denkweise in Kurzform wiedergegeben: ‹Bei Reisen ritt früher der Maghrebiner auf seinem Pferd vorweg, die Frau folgte ihm zu Fuß. Inzwischen hat sich diese Sitte total geändert, heute laufen stets die Frauen vorweg. Aber einzig deshalb, weil nach dem Krieg die Wege noch so stark vermint sind›. In den nur lose verbunden Kapiteln brennt der Autor ein wahres Feuerwerk kurioser Einfälle ab, manchmal finden sich gleich mehrere Witze auf einer Buchseite. Kein Wort von alldem ist je ernst gemein, alles dient als virtuoses Spiel nur dem Angriff auf unsere Lachmuskeln. Dass darin auch manch versteckte Gesellschaftskritik steckt, kann wegen der maßlosen Übertreibungen leicht übersehen werden. Gregor von Rezzori, Grandseigneur alter Schule, hat sichtlich Spaß an der Verbreitung seiner Schnurren, er schildert ganz ungeniert und zuweilen zotig Sitten und Gebräuche in Form von Eulenspiegeleien.

Stilistisch in einer bewusst gedrechselten Sprache geschrieben, weisen alle 27 Kapitel als Einleitung eine stichwortartige Kurzfassung des Folgenden auf. Da findet man dann auch mal eine Warnung vor einer Fußnote, «welche ein zartfühlender Leser besser überschlägt». Es geht dabei um Zoophilie, sei angemerkt. An anderer Stelle wird bei einem Hermaphroditen mit Kinderwunsch von ‹lesbischer Autogenese› gespöttelt. Alle Fußnoten sind als persönliche Anmerkungen des Autors, vom Schriftsatz her deutlich abgesetzt, als ergänzende Absätze angefügt. «Bei der Drucklegung des vorliegenden Berichts über …» ist ein Beispiel, es folgt dann meistens noch eine weitere, nicht minder kuriose Geschichte. Als amüsante Lektüre unbedingt zu empfehlen!

Fazit: lesenswert

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Rowohlt

Bukowski Fuck Machine

Bukowski Fuck Machine. „Erections, Ejaculations, Exhibtions and General Tales of Ordinary Madness 1967-1972“ war der Titel des Sammelbandes in denen Charles Bukowskis unzählige Kolumnen aus diversen Undergroundzeitschriften erstmals als Buch erschienen. Aber Bukowski schrieb auch Gedichte und Romane und insgesamt umfasst sein Werk mehr als 40 Bücher. Am 16. August wäre er 100 Jahre alt geworden, ein guter Vorwand für eine Re-Lektüre.

Chronist des White Trash

Auch in „Fuck Machine“ folgt Bukowski dem bereits mehrmals bewährten Rezept: es muss vom F… die Rede sein, damit die Leute seine Stories lesen. Das behauptet zumindest er selbst in einer der Geschichten mit dem Titel „Zwölf fliegende Affen, die nicht richtig kopulieren wollen“. In dieser in „Fuck Machine“ enthaltenen Geschichte beschreibt er seinen Arbeitsstil in seiner bekannt ironischen Weise und veräppelt sich quasi selbst.

Aber es geht auch brutaler zu in seinen Stories, etwa in „Die kopulierende Nixe von Venice, Kalifornien“, wenn zwei abgewrackte Typen Gangstern eine Leiche klauen und diese dann missbrauchen. Dabei haben sie ohnehin ihr ganzes Leben lang tote Frauen gefickt, wie einer dem anderen vorwirft.

Der Chronist des White Trash, Bukowski, macht auch nicht davor halt, sich in zwei Schwulenhasser einzufühlen, die in „Die Ermordung des Ramon Vasquez“ ihr Unwesen treiben. Eine kleine Fußnote macht darauf aufmerksam, dass der Autor keinem seiner Mitgeschöpfe wehtun, zu nahe treten oder Unrecht tun möchte. Denn auch diese Geschichte ist Fiktion, auch wenn sich bei Bukowski oft Facts und Fiction zu Faction mischen.

Bukowski Fuck Machine

Sein Saufkumpel Jeff ist ein brutaler Kerl, der auch schwangere Frauen die Treppen runterschmeisst, erst als eine Gruppen Chinesen ihn festhält, kapiert der Protagonist, dass auch er etwas gegen seinen Freund unternehmen muss. In „Der weiße Bart“ vergnügt sich der Protagonist und zwei seiner Freunde mit einer Minderjährigen, „Abstammung unbekannt“. Aber auch seine Boxergeschichte „Kid Stardust im Schlachthof“ und die Titelgeschichte, „Fickmaschine“, haben es in sich.

Unvergessen bleibt bei jedem Leser aber „Fünfzehn Zentimeter“, eine Geschichte, die man nie mehr vergisst. Charles Bukowski verstand es wie kein anderer, die harte Realität des amerikanischen Albtraums in einfache, aber treffende Worte zu fassen und mit seinem lakonischen Humor abzufedern.

Durch Übertreibungen und Wiederholungen machte er aus der Kehrseite des American Dream ein Leben, das sich hauptsächlich in Slums, Absteigen, Bars, Hurenhäusern und Schlachthöfen abspielte. Oder bei Boxkämpfen und Pferderennen. Bestimmt aber im Bett mit einer jener Frauen, die die Reichen übrig ließen: „Wir kriegen die Mädchen, wenn die mit den Mädchen Schluss gemacht haben und es keine Mädchen mehr sind – wir kriegen die benutzten, die versauten, die kranken und kaputten. Wenn man nach ‘ner Weile aus zweiter, dritter und vierter Hand mehr will, gibt man’s auf; oder man will es wenigstens aufgeben. Trinken hilft.“

Charles Bukowski
Fuck Machine. Stories
Übersetzt von: Wulf Teichmann
2019, 176 Seiten, Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-52236-1
12,00 €
FISCHER Taschenbuch


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Short Stories
Illustrated by Fischer Verlag

Erzählungen

Augenzwinkern inklusive

In Russland gilt Alexander Puschkin als der Nationaldichter par excellence, mit seinem Œuvre war er stilbildend als Wegbereiter der nach 1812 statt in französisch zunehmend in Landessprache geschriebenen Literatur, zugleich aber auch Vorbild für viele andere berühmte Dichter des Landes. Als Lyriker, dessen bedeutendste Werke als Versepen geschrieben sind, wandte er sich erst sieben Jahre vor seinem frühen Tod beim Duell der Prosa zu und leitete damit die Wende von der Romantik zum Realismus ein. Er hat nur drei Romane geschrieben, davon sind zwei unvollendet geblieben, wesentlich bekannter aber sind seine Erzählungen. In der vorliegenden dtv-Ausgabe «Erzählungen» von 2017 sind alle enthalten, die er selbst vollendet hat, ferner auch die drei Romane, von denen zwei nur Fragmente sind.

Puschkins Urgroßvater Ibrahim, ein Kriegsgefangener aus dem äthiopischen Adel, der vom Zaren adoptiert worden war und am Hof Karriere machte, hat ihn zu dem unvollendeten Roman «Der Mohr Peters des Großen» inspiriert. Als Peter I. für ihn die Ehe mit einem adligen Fräulein arrangiert, bricht für das Mädchen eine Welt zusammen, obwohl an dem klugen, sympathischen, blendend aussehenden Bräutigam alles stimmte, – nur eben die Hautfarbe nicht. Der Ausbruch einer Cholera-Epidemie zwang Puschkin Ende 1830 zu einer dreimonatigen Quarantäne auf seinem Landgut, er nutzte die Zeit dort unter anderem, um «Die Geschichten des verstorbenen Iwan Petrowitsch Belkin» zu schreiben. Er selbst schlüpft bei diesen fünf Erzählungen ironisch in die Herausgeber-Rolle und berichtet in «Der Schuss» von einem äußerst seltsamen Duell zweier Offiziere. «Der Schneesturm» handelt von einer tragisch-komischen Eheschließung, an deren kuriosem Ausgang das Wetter schicksalhaft beteiligt ist. Zur Einweihung seines neuen Hauses lädt «Der Sargschreiner» im Suff alle von ihm Beerdigte ein. In «Der Postmeister» brennt dessen schöne Tochter mit einem durchreisenden Husaren durch. «Fräulein Bäuerin» wiederum handelt von der Liebe zwischen der Tochter eines Gutsbesitzers und dem Sohn aus einem verfeindeten Nachbarngut, gegenüber dem sie sich als Magd ausgibt. Landesverrat und eine politisch unmögliche Liebe sind Thema des Prosa-Fragments «Roslawlew», im unvollendeten Räuberroman «Dubrowskij» eskaliert der Streit zwischen benachbarten Gutsbesitzern zu einer Katastrophe. Ein Ich-Erzähler berichtet in dem spannenden historischen Roman «Die Hauptmannstochter» vom Pugatschow-Aufstand, in «Pique Dame» ist die Spielsucht das Thema, in «Kirdshali» wird die Geschichte eines berüchtigten Räubers während des Russisch-Osmanischen Krieges erzählt. Kleopatra schließlich bietet sich in «Ägyptische Nächte» jedem Manne für eine heiße Liebesnacht an und verlangt dafür nicht weniger als seinen Tod am nächsten Morgen!

Stilistisch ist Puschkins Prosa durch eine straffe, dialogarme, zielgerichtete Erzählweise gekennzeichnet, die völlig unprätentiös und mit einer fein durchscheinenden Ironie das Milieu schildert, aus dem er selbst stammte, Adel und Gutsherren also. Seine durchweg sympathischen Figuren sind anschaulich beschrieben, die Männer meistens als ehemalige Offiziere, die Damen als gelangweilte Hausherrin oder Tochter in heiratsfähigem Alter. Ehen werden von den Eltern standeskonform arrangiert, was oft zu Dramen führt, wegen meist unüberwindbarer Standesgrenzen aber letztendlich doch folgsam hingenommen wird.

«Der gebildete Leser weiß, dass Shakespeare und Walter Scott ihre Totengräber als fidele Possenreißer geschildert haben», heißt es in Puschkin Geschichte zu diesem Thema, an anderer Stelle lesen wir: «Sie dachte… aber lässt sich denn mit Sicherheit sagen, woran ein siebzehnjähriges Mädchen denkt, das am frühen Morgen um sechs im Walde mit sich allein ist?» Es ist dieses Augenzwinkern, das seine Figuren zuweilen sogar real zeigen, welches diese vom Plot her überaus kunstvoll angelegten Erzählungen zu einer ebenso unterhaltsamen wie bereichernden Lektüre machen.

Fazit: erfreulich

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by dtv München

Das Schöne, Schäbige, Schwankende

Konglomerat literarischer Vignetten

Die Schriftstellerin Brigitte Kronauer hat ihr kürzlich erschienenes Werk «Das Schöne, Schäbige, Schwankende» erst kurz vor ihrem Tod fertig gestellt, es trägt die eigenwillige Genrebezeichnung «Romangeschichten». Schon als Schülerin hat sie angefangen zu schreiben, später dann als Deutschlehrerin gearbeitet, ehe 1980 der erste Roman der damals Vierzigjährigen erschien. Ohne Zweifel gehört die Büchner-Preisträgerin zu den herausragenden deutschen Schriftstellern unserer Zeit, viele, auch ich, schätzen sie als deren wortmächtigste ein. Ihre unbeirrt zum Credo erhobene Erkenntnis von der Ambivalenz der Dinge beherrscht auch den vorliegenden Band. Gegensätze seien nun mal die Würze in der Literatur, hat sie dazu erklärt, sie erst würden ermöglichen, viel dichter an die Wirklichkeit heranzukommen, denn man dürfe sich das intensive Erleben nicht nehmen lassen. Genau das ist ihr hier in ihrer geradezu als Vermächtnis anmutenden Sammlung von Geschichten wahrlich gelungen.

Die Autorin schildert in einem vorwortartig kurzen, ersten Kapitel ihr Vorhaben, in ihrem Romanprojekt über Menschen zu schreiben, Freunde, flüchtige und alte Bekannte. Das Manuskript trug den Arbeitstitel ‹Glamouröse Handlungen›, «der ein bisschen aggressiv gemeint war, denn solange ich veröffentliche, hat man mir vorgeworfen, mal grob, mal mit sanftem Kopfschütteln, vom sogenannten Plot nichts zu verstehen. Im Klartext heißt das, man unterstellt mir narrative Impotenz. Weiß ich etwa nicht, dass die Welt von sogenannten Handlungen  und Ereignissen zwischen Mikro- und Makrokosmos geradezu birst und Heerscharen von Autoren ihnen nachhetzen auf Teufel komm raus? Ich hoffte, diesmal den Stier nach meinem Gusto bei den Hörnern packen zu können. Irgendwelche Leute sollten sich schwer wundern». Und sie schreibt weiter: «Neununddreißig Porträts sollten zu je dreizehn nach Kategorien geordnet werden. Sie lauteten: ‹Das Schöne, das Schäbige, das Schwankende›». Die Schäbigen würden in einen stetigen Fall geraten ins immer Unerfreulichere, erläutert sie ihre geplante Vorgehensweise, bei den Schönen würde sich der Aufstieg zur lichten Offenbarung erst allmählich abzeichnen, die Schwankenden sollten «… unentschieden anfangen, dann zu einem glänzenden Moment aufsteigen und von dort aus wieder absinkend, in der Weise gezähmt, wie sie es jeweils verdienen».

Im zweiten und dritten der fünf Kapitel werden kurze Figurenporträts aus verschiedenen sozialen Gruppen skizziert, die in einem weiten Bogen über diverse Milieus hinweg psychologisch feinsinnig über Alltägliches ebenso berichten wie über Kunst und Natur. Formal kühn entstehen so äußerst kunstvolle narrative Vignetten, in denen bildhaft diverse solitäre Individuen auftreten, die sich allmählich zu einem polyphonen Wortgemälde fügen. Die beiden folgenden, weit umfangreicheren Kapitel handeln vom schwankenden Schicksal einer lebenslustigen, schönen jungen Frau sowie vom ebenso schwankenden, insgesamt aber eher behaglichen letzten Lebensabschnitts eines Literatur-Professors, der sich als schwärmerischer Bewunderer des berühmten Renaissance-Malers Matthias Grünewald erweist. Über dessen Isenheimer Altar wird in der letzten Geschichte immer wieder aufs Neue und bis ins allerkleinste Detail berichtet, der 92jährige Ich-Erzähler findet kein Ende in seiner schier grenzenlosen Verehrung.

Selbstironisch, spöttisch, geradezu übermütig bekennt Brigitte Kronauer im ersten, dem unverkennbar autobiografischen Kapitel, dass sie an ihrem streng geplanten Romanprojekt letztendlich gescheitert sei, «alles verlor den sortierenden Halt». Und so ist denn auch diese Geschichten-Sammlung ein undurchschaubares Konglomerat literarischer Vignetten und Kurzgeschichten geworden. Genau das aber ist als wortmächtiges Sprachkunstwerk mit einem kunterbunten Ensemble stimmig beschriebener, lebensechter Figuren, die viele Formen und Varianten menschlichen Daseins abbilden, unbedingt zur Lektüre zu empfehlen.

Fazit: lesenswert

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Irgendwann wird es gut

Joey Goebel präsentiert in »Irgendwann wird es gut« zehn Menschen aus der Kleinstadt Moberly, Madison County, die allesamt nicht auf der Sonnenseite des Lebens leben. Sie eint das dumpfe Gefühl, dass sich ihr Leben anderswo abspielt, vielleicht dort, wo die zahllosen Flugzeuge landen, die über den Fly-over-State Kentucky hinwegdüsen. Weiterlesen


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Short Stories
Illustrated by Diogenes

Kurze Interviews mit fiesen Männern

Ironisches Psychogewäsch

Drei Jahre nach dem Opus magnum von David Foster Wallace erschien 1999 eine Sammlung von Geschichten unter dem ebenso deskriptiven wie amüsanten Titel «Kurze Interviews mit fiesen Männern». Der wichtigste und innovativste US-amerikanische Schriftsteller der Postmoderne glänzt hier wieder mit seinem geradezu verwegenen Sprachstil, der in einigen narrativen Aspekten an James Joyce erinnert und wohl auf seine Mutter Sally Foster zurückzuführen ist, deren Sprachbegeisterung ihn, wie er trotz sonstiger Vorbehalte gegen sie einräumte, entscheidend geprägt habe. Es geht im Wesentlichen um abnorme Beziehungen zwischen den Geschlechtern in diesem Band, wobei, wie der Titel schon ahnen lässt, den Männern allein hier die Rolle des Buhmannes zugewiesen ist, ein feministischer Ansatz also.

Geradezu als Lehrstück, als Quintessenz aus den 22 Geschichten, die noch folgen, beginnt das Buch mit «Ein stark verkürzter Abriss des postindustriellen Lebensstils», eine halbe Buchseite nur, in der jemand einen Mann und eine Frau einander vorstellt. Ein kommunikativer Akt mithin, der grandios fehlschlägt, – die Drei verstehen nichts, weil sie unehrlich sind, weil sie sich verstellen. Probleme mit der Verständigung aber durchziehen alle diese Geschichten von der Suche nach Identität. Da ist der 13jährige Junge, der an seinem Geburtstag erstmals auf den Sprungturm im Freibad klettert und nun schlotternd vor Angst nach unten starrt, oder die Ehefrau, die nach dreijähriger Ehe das abgekühlte sexuelle Verlangen mit allerlei Hilfsmitteln aus der Adult-World wieder gehörig aufheizen will. Um Sex geht es in vielen der Geschichten, sei es um machohafte Protzerei, um brutale Vergewaltigung, um ausgeklügelte Methoden der Anmache. Unter den insgesamt vier Geschichten des Buches mit dem Titel «Kurze Interviews mit fiesen Männern» ist am Ende eine, bei der ein junger Mann erzählt, mit welchen Tricks er ein schönes Mädchen auf einem Stadtfest zu einem One-Night-Stand verführt hat. Postkoital berichtet sie ihm dann von dem schlimmen Erlebnis, wie sie mal als Tramperin unbedacht bei einem Mulatten ins Auto gestiegen ist und voller Entsetzen zu spät erkannt hat, dass der Mann offensichtlich ein pathologischer Lustmörder ist. Und wie sie mit purer Willensanstrengung zwar nicht der Lust, aber doch dem Mörder entkommen ist. Ihre «Anekdote», wie er es naiv nennt, beeindruckt den jungen Mann derart, dass er am Schluss aus seiner lieblosen Rolle als Frauen vernaschender Macho herausfindet und glaubt, sie könne ihn retten. «Ich wusste, ich konnte lieben. Ende der Geschichte».

In einem intellektuellen Feuerwerk erzählt Wallace, human und wütend gleichermaßen, von der Reizüberflutung des modernen Menschen, von dem informellen Dauerfeuer, unter dem er steht und bei dem sich Quantität und Qualität diametral gegenüberstehen. Er setzt seinen fulminanten Wortschatz und seine ebenso geschliffene wie komplexe Syntax mit beißender Ironie ein, wobei er auch in dieser Sammlung psychologischer Skizzen wieder die für ihn typischen Fußnoten verwendet, was seine ironische Intention oftmals ins verächtlich Sarkastische verschärft. All die Selbstdarsteller, Neurotiker, Depressiven in diesen Geschichten sind keine sonderlich markanten Figuren, denen man vielleicht sogar Empathie entgegenbringen könnte als Leser. Sie treten vielmehr narrativ deutlich zurück hinter das Geschehen, welches Wallace wie ein brillanter Diagnostiker mit Akribie psychologisch seziert, damit pathologische Marotten entlarvend, wobei er allerdings nicht selten gehörig übertreibt.

Zugegeben, DFW ist nicht leicht zu lesen, ein wenig muss man sich schon anstrengen, will man ihm gedanklich folgen. Gleichzeitig aber bietet die Lektüre beste Unterhaltung, wobei sich unter den oft schreiend komischen Erzählskizzen, unter dem «Psychogewäsch», wie es im Buch selbstironisch heißt, die depressiven Krüppel unserer Konsum- und Mediengesellschaft verbergen, und davon gibt es mehr, als man glaubt.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Rowohlt Taschenbuch Reinbek

Die stillen Trabanten

Melancholische Erzählwelt

Dass Clemens Meyer erzählen kann wie kaum ein zweiter Schriftsteller im deutschen Sprachraum, wird durch sein neues Buch «Die stillen Trabanten» eindrucksvoll bestätigt. Und wie schon in seinem letzten Roman «Im Stein» erschafft er auch in dieser Sammlung von Erzählungen ein düsteres, zerrissenes, melancholisches Bild unserer Gegenwart, in dem die autobiografischen Bezüge den Ton angeben und einen sehr eigenen Blickwinkel zur Folge haben. So liefert die Eisenbahn als meyersches Faszinosum gleich mehrfach den Hintergrund seiner allesamt im deutschen Osten angesiedelten Geschichten. Es fehlt dabei natürlich ebenso nicht das Pferderennen als weitere Leidenschaft Meyers wie auch das spezielle Milieu der Kneipen und Imbissbuden, der Gelegenheitsjobs und prekären Verhältnisse, und es herrscht auch hier die Nacht als geheimnisvoll dunkle Erzählzeit vor. Thematisch wird Verlust in diesen Erzählungen als Leitmotiv ebenso eingesetzt wie die Vergeblichkeit menschlichen Bemühens, – und Humor findet sich natürlich nicht mal ansatzweise.

Der Band ist in drei durch jeweils eine prologartige Szene eingeleitete Teile gegliedert, die ihrerseits wiederum drei Erzählungen enthalten. Es beginnt im Teil «Eins» mit der zarten Liebesgeschichte eines jungen Wachmannes und einer russischen Emigrantin am Zaun eines Ausländer-Wohnheims, die zaghafte gegenseitige Annäherung einer Wagonputzfrau der Eisenbahn und einer Angestellten beim Bahnhofsfriseur, schließlich eine wehleidige Reminiszenz an die ehemalige Strandbahn einer kleinen Stadt an der Ostsee, die nach dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt und abgebaut wurde. Der Teil «Zwei» erzählt von einem Wohnungseinbruch und einer verwirrten alten Frau in einem Abbruchhaus, vom Besitzer einer Imbissbude, der vom 14ten Stock seines Hochhauses nächtens auf die Lichter der Trabantenstadt schaut und beim Rauchen im Treppenhaus seiner ebenfalls dort rauchenden, muslimischen Nachbarin allmählich näher kommt. Sodann wird von einem heruntergekommenen ehemaligen Jockey erzählt, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und unbedingt einmal das exklusive Pferderennen auf Eis in St. Moritz miterleben möchte. Im letzten Teil ist zuerst von der Geschichte eines Lokführers zu lesen, der mit seinem Güterzug nachts einen lachenden Mann auf den Schienen überfährt und den dieser Schienensuizid psychisch derart belastet, dass er die Witwe des Selbstmörders aufsucht. Unter dem Titel «Die Rückkehr der Argonauten» beschreibt der Autor in der nächsten Geschichte den Besuch eines Mannes bei seiner Mutter im trostlosen ehemaligen «Kohlenviertel» der Stadt, wo er auch seine Kumpels von früher trifft, und in der letzten Geschichte wird von einem Schriftsteller berichtet, der sich im Exil in Moskau während des Zweiten Weltkrieges mit der Störtebeker-Sage beschäftigt, wobei interessante Bezüge bis in die spätere DDR hergestellt werden.

Aus all dem, was wir da lesen, spricht eine äußerst genaue Beobachtungsgabe des Autors, der die tiefsten menschlichen Befindlichkeiten akribisch ausleuchtet, der narrativ einfühlsam auch die allerfeinsten Regungen und Sehnsüchte atmosphärisch dicht erfasst. Sprachlich gekonnt setzt er dabei oft Zartes unmittelbar neben Härte, bildet stilistisch die raue Realität ebenso ab wie den schönen Traum. Wobei häufig beides ineinander geht bei seiner Erzählweise, was erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers erfordert und zudem abrupte Stimmungswechsel bewirkt. Die Erzählperspektiven bei den neun Geschichten wechseln zwischen erster und dritter Person, vieles ist auch in Form des inneren Monologs erzählt.

Diese Geschichten aus den Randbezirken der ostdeutschen Gesellschaft sind mit ihren vielen Andeutungen und unvermittelten Zeitsprüngen wahrlich keine leichte Lesekost. Clemens Meyer findet allerdings für seine sorgsam ausgewählten Themen wunderbar einprägsame Bilder und zieht damit den Leser stimmungsmäßig tief hinein in seine sehr spezielle, melancholische Erzählwelt.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by S. Fischer

Die Bar unter dem Meer

benni2Esiste una lingua senza metafora, un pranzo senza relever, un diavolo senza le zanne?“, frägt sich der Protagonist in „Il piú grande cuoco di Francia“ („Die Bar unter dem Meer”), einer Episode aus der Kurzgeschichtensammlung „Il bar sotto il mare“, die durch den roten Faden, einer Bar am Meeresgrund zusammengehalten wird und die Stefano Bennis Sprachwitz und kreativen Erfindungsreichtum zum Vergnügen der Leser exemplarisch darstellt. Ein Teufel ohne Stoßzähne (un diavolo senza le zanne), ob es das wirklich gibt? „Bar Sport“ war Stefano Bennis Erstling, der in 1977 in Italien bekannt machte. Eigentlich wäre er ja gerne Fußballer geworden, aber in seinem Debüt gelingt es ihm, einen würdigen Ersatz dafür zu finden. „Bar Sport duemilla“ knüpfte nochmals – 1997 – an seinen Romanerstling an und mit „Il bar sotto il mare“, dem vorliegenden bei Reclam auf Italienisch erschienen Werk setztee er seine Bar-Triologie 1987 fort. Alle zehn Jahre als ein „Bar“-Roman? Natürlich schreibt Benni dazwischen auch eine Vielzahl an Artikel, Kolumnen und Theatermonologe oder Filmdrehbücher für italienische Zeitungen wie Il manifesto, L’Espresso, La Repubbblica, etc und insgesamt weitere 20 Romane.

Die Bar unter dem Meer

Die „Bar“ an und für sich bezeichnet Benni als „luogo della narrazione“, also als Ort der Erzählung und nicht der Platz, wo man einen Espresso am banco schlürft. Denn in der Bar erzählen sich die Menschen von ihrem Leben und Benni ist ein guter Zuhörer, der das, was er dort aufschnappt, mit einer Vielzahl anderer literarischer Einflüsse vermengt, ohne dies auch nur im Mindesten zu verhehlen, denn Benni ist ein Vielleser und bevor er schreibt verschlingt er gleich mehrere Bücher, wie Ulrike Zanatta im Nachwort aufschlussreich erzählt: „Prima di iniziare un romanzo, passo un paio di mesi a leggere: è una ginnastica che mette in moto l’onnipotenza della fantasia e l’umilità della scrittura“. Die „Bar“ habe etwas unheimlich Egalitäres: hier begegnen sich Alt und Jung, Arm und Reich, Schön und Schiach. Aber in der Bar sind sie alle gleich. Aber manche von ihnen sprechen mit einer drastisch-vulgären Sprache, wie etwa der Capitano Charlemont in „Matu-Maloa“, der sich „una bella sega nel buco del culo del signore“. Andere drücken sich gewählter aus, wie Oleron in „Oleron“: „Nel palpito dell’agonia è la vita più sacra“: beim Herzschlag des Todeskampfes ist das Leben am Heiligsten.

23 Gäste: 1000e Geschichten

Il bar sotto il mare“ bedient sich eines simpel genialen dramaturgischen Tricks: die einzelnen Kapitel werden von unterschiedlichen Personen erzählt und so ensteht ein Kaleidoskop von Geschichten, die unsystematisch zusammengestellt ist und wo die Heterogenität der Erzählungen durch den Schauplatz „Bar unter dem Meer“ zusammengehalten wird. Die 23 Gäste auf dem Grunde des Meeres „fabulieren und persiflieren nach Herzenslust“, wie Zanatta es treffend beschreibt: „Die Geschichten sind so unterschiedlich wie ihre Erzähler und führen den Leser auf eine Reise durch verschiedene Genres und Epochen der Literatur.“ Man spürt den Einfluss von Edgar Allen Poe („Oleron“, „Il piú grande cuoco di Francia“) ebenso wie den von Agatha Christie oder in „California Crawl“ eine Parodie des amerikanischen Minimalismus, so Zanatta, aber auch den russischen Symbolismus wie in „Nastassia“.

Ein extravagantes Leservergnügen voller Wortwitz und Charme und man kann die Bar unter dem Meer auch lesen wie ein Literaturrätsel, was zusätzlich noch sehr viel Spaß macht.

Stefano Benni
Il bar sotto il mare
Ital. Hrsg.: Zanatta, Ulrike
349 S.
Reclam
ISBN: 978-3-15-019764-6

 


Genre: Humor und Satire, Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
Illustrated by Reclam Stuttgart/Dietzenbach

Greasy Lake und andere Geschichten

boyle-1Amerikanisch, daran ist kein Zweifel

Der als Thomas John Boyle geborene US-amerikanische Schriftsteller änderte seinen Namen in jungen Jahren zu Ehren eines schottischen Vorfahren in Tom Coraghessan Boyle, bekannt geworden ist er dann jedoch unter dem Kürzel T. C. Boyle. Wie bei seinem Namen sind auch im Werk des Autors unbändige Kreativität und sprachliche Knappheit die entscheidenden gestalterischen Merkmale, der 1985 erstmals veröffentlichte Band «Greasy Lake und andere Geschichten» ist ein prägnantes Beispiel dafür. In ihm sind vierzehn seiner Kurzgeschichten zusammen gefasst, insgesamt gibt es mehr als sechzig davon, die von ihm in etlichen derartigen Bänden publiziert wurden, gleichwertig neben seinen Romanen.

Und es geht gleich richtig zu Sache in der titelgebenden ersten Geschichte «Greasy Lake», eine durchaus schockierende Erzählung über eine Gruppe Jugendlicher, von der es da im ersten Absatz heißt: «Wir waren neunzehn. Wir waren böse. Wir lasen André Gide und nahmen ausgeklügelte Posen ein, um zu zeigen, dass wir auf alles schissen. Abends fuhren wir meistens zum Greasy Lake rauf». Es folgt ein von Alkohol und Drogen geförderter, völlig sinnloser Gewaltexzess. Wie hier sind auch in den anderen Kurzgeschichten zumeist Außenseiter der Gesellschaft als Protagonisten vertreten, oft komische Sonderlinge, die Boyle mit wenigen Worten glaubhaft und treffend skizziert. Er tut dies mit einer unterschwelligen Ironie, die aus dem ernstesten Geschehen eine amüsante Story entstehen lässt. Sprachlich ist all das brillant umgesetzt durch einen metaphernreichen, gleichwohl aber eher nüchternen, knappen und pointierten Schreibstil, der mich zuweilen an Hemingway erinnert hat.

Boyles Themen sind nicht nur originell, sie verblüffen den Leser auch durch ihre Vielfalt. Da geht es um eine verhängnisvolle Leihmutterschaft, eine heimliche Liaison des amerikanischen Präsidenten Eisenhower mit der Frau des KPdSU-Generalsekretärs Chruschtschow, einen grausamen indischen Bettlerkönig, um üble Geschäfte mit naiven Überlebensängsten, fanatische Walschützer, den Erfolg der Neumondpartei in den USA, einen gescheiterten Elvis-Presley-Imitator, die Einbürgerung der Stare 1890 mit ihren unerwünschten Folgen 1980, es geht um den grotesken materiellen Mangel im kommunistischen Russland und anderes mehr. Detailreich geschildert und immer wieder überraschende Wendungen nehmend, wobei wie gesagt auch der Humor nicht zu kurz kommt, sind diese wahrhaft abenteuerlichen Geschichten eine gleichermaßen abwechslungsreiche wie kurzweilige Lektüre.

«Literatur kann in jeder Hinsicht großartig sein, aber sie ist nur Unterhaltung». Wie stimmig dieses Zitat von T. C. Boyle ist, speziell für ihn persönlich, das zeigt sich für mich recht deutlich in der vorliegenden Sammlung von Geschichten. Der Autor hinterlässt mit ihnen beim Leser keine nachhaltige Wirkung, man hat sie vergessen, kaum dass man sie gelesen hat, mithin eine ziemlich belanglose Lektüre, für die U-Bahn oder den Badestrand geeignet. Gut und Böse sind da immer klar getrennt, Zwischentöne fehlen weitgehend, Philosophisches gar ist nirgendwo zu finden, obwohl die interessanten Themen ja bestens dazu geeignet wären, die Dinge etwas tiefer auszuloten, ihnen auf den Grund zu gehen, auch andere Facetten zu beleuchten. Man wird also nicht gerade bereichert durch dieses Buch, aber immerhin sehr gut unterhalten, amerikanisch eben, daran ist kein Zweifel.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
Illustrated by dtv München

Die Kreutzersonate

tolstoi-1Leider keine Satire!

Die A-Dur-Sonate Opus 47 für Klavier und Violine hatte Ludwig van Beethoven dem französischen Geigenvirtuosen und Komponisten Rodolphe Kreutzer gewidmet, sie wird deshalb populär auch als «Kreutzersonate» bezeichnet. In Leo Tolstois gleichnamiger Erzählung bildet dieses Musikstück den Kulminationspunkt einer düsteren Geschichte um eheliche Treue, die mit einem Eifersuchtsmord endet. Die russische Erzählprosa des 19. Jahrhunderts erreichte mit Tolstoi und Dostojewski einen Höhepunkt, wovon auch dieses Buch zeugt. Offensichtlich ging es dem berühmten Autor hier vor allem darum, die verlogenen Konventionen seiner Zeit zu demaskieren, eine Absicht, die man ja auch in vielen anderen Werken der Literatur jener Zeit häufig antrifft, nicht nur in der russischen.

Während einer Bahnfahrt erzählt ein etwas verwirrt wirkender älterer Mann von seiner Ehe und ihrem tragischen Ausgang. Es handelt sich weitgehend um einen Erzählmonolog, sein Gegenüber, der Ich-Erzähler, fungiert ganz selten mal als Stichwortgeber, er bleibt fast imaginär. Ein Leitthema bei Tolstoi ist ja Liebe und Ehe mit ihren vielschichtigen Problemen, hier nun auf die Spitze getrieben durch eine rigorose Verurteilung der Geschlechterliebe als Wurzel allen Übels in der Beziehung zwischen Mann und Frau. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis sei die völlige sexuelle Enthaltsamkeit vonnöten, das Zölibat als Ziel für alle gewissermaßen, und die Arterhaltung ist dabei insofern sichergestellt, als ja nicht alle diesen idealen Zustand erreichen, nicht alle Paare wie Brüderlein und Schwesterlein zusammenleben werden. Starker Tobak, der da abgebrannt wird, aber ernst gemeint! Wie das alles geschildert wird, ist einfach meisterhaft, die Gedankenwelt eines eifersüchtigen Ehemannes wird geradezu seziert, seine Ansichten und Standpunkte zum Thema sind logisch aufeinander aufgebaut. Eine unglaublich detailreiche Beschreibung führt den Leser durch einen Plot, dessen Ende ihm zwar schon früh bekannt ist, ohne dass es dadurch jemals langweilig würde. Es entfaltet sich das Psychogramm eines verbitterten Mannes, der an seinen falschen Schlüssen scheitert, auch zwingend scheitern muss, da ihnen ein falsches Menschenbild, eine absurde Moralvorstellung zugrunde liegt. So weit, so gut!

Nicht gut aber ist die verbissene moralischer Verallgemeinerung, die Tolstoi seiner Geschichte als Leitfaden mitgibt, das, was Thomas Mann eine «Riesentölpelei« nannte im Werke seines russischen Kollegen. Auch wenn man Tolstois Geschichte als absolut zeitgebunden betrachtet, sind die von seinem Protagonisten vertretenen Ansichten nichts Abstraktes, keine philosophischen Reflexionen einer erfundenen Figur, der Autor identifiziert sich unzweifelhaft mit seinem Protagonisten, hat ein geradezu distanzloses Verhältnis zu ihm. Man könnte nun einwenden, diesen Schluss lasse der Text gar nicht zu, hätte Tolstoi seiner Geschichte nicht jenes unsägliche Nachwort hinzugefügt, in dem er seine abstrusen Thesen wiederholt und weiter verdeutlicht. Die zu diskutieren ich mir an dieser Stelle aber verkneife, solches Gedankengut war schon vor mehr als hundert Jahren jenseits aller menschlichen Erfahrungen und Erkenntnisse. Die «Kreutzersonate» ist also leider keine Satire und folglich ein äußerst ambivalentes Werk der Weltliteratur!

Und so bleibt als Motiv zum Lesen eigentlich nur der Spaß an der grandiosen Erzählkunst dieses Autors. Mancher mag vielleicht sogar Lust bekommen, mal wieder Beethovens «Kreutzersonate» zu hören, wie ich das gerade tue, während ich diese Rezension schreibe, um damit meinen Ärger über völlig ernst gemeinte Sätze wie «Kinder sind eine Plage» und die zugehörige, wortreiche Begründung dieser Weisheit wenigstens ein bisschen abzumildern.

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Insel Frankfurt am Main