Der Todestagsverkäufer

Einer der angesehensten Bürger einer Stadt findet sich plötzlich im Hinterzimmer einer Kneipe wieder, um sich von einem zwielichtigen Quacksalber die Stunde seines Todes vorhersagen zu lassen. Magus Mortemer eröffnet seinem Kunden gegen einen prall gefüllten Beutel mit fünfzig süddeutschen Gulden, dass er bereits zwei Tage später das Zeitliche segnen wird. Und tatsächlich: Gevatter Tod schlägt auf die Minute genau zu.

Nachdem auch ein weiterer Städter mit seiner exakten Sterbestunde konfrontiert wird, zieht dieser Professor Froebius zu Rate, der auf vorsätzliche Giftmorde tippt. Doch die Sache ist weitaus vertrackter, es scheinen teuflische Mächte im Spiel zu sein, mit denen der geheimnisvolle Wahrsager verbündet ist.

Froebius schleicht sich in das Hotelzimmer des seltsamen Sehers und entwendet ein mysteriöses Buch, auf den ihn eine Erscheinung aus anderen Sphären hinweist. Damit versucht er, dem Todesboten auf die Schliche zu kommen. Doch der durchschaut den Arzt und schlägt ihn in seinen Bann …

Norman Nekro legt mit diesem Buch den dritten Teil seiner Reihe um den Medicus Froebius vor. Es ist das mit Abstand stärkste Abenteuer, das der ehemalige Militärarzt, der anno 1818 in einer hessischen Kleinstadt praktiziert, bestehen muss. Der Autor ist mit seinem Helden gewachsen, seine Geschichte ist brillant geschrieben, dramaturgisch erstklassig gebaut und historisch stimmig. Ein spannendes Lesevergnügen zur Geisterstunde!


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Kindle Edition

Leiden Sie an Nomophobie?

Nomophobie? Schon wieder ein neuer Begriff, eine seltene Krankheit, eine ausgefallene Mode?

Kirsten Wendt hilft weiter: Nomophobie ist ein Kunstwort aus dem englischsprachigen Raum und eine vom UK Post Office geprägte Abkürzung für “‘No Mobile Phone – Phobia'”, wörtlich “Kein-Handy-Angst”‘. Als Nomophobie bezeichnet man die Angst, mobil unerreichbar für soziale und geschäftliche Kontakte zu sein. Es geht also um jene brandaktuelle Erkrankung des Zeitgeistes, der uns an allen Ecken und Kanten mit dem Handy am Ohr begegnet.

Die Autorin verrät dem Leser ihres Buches zum Thema zwar nicht, ob sie selbst zu den Handysüchtigen zählt. Vielleicht besitzt sie nicht einmal einen sprechenden Knochen, wie Catweazle, der aus dem Mittelalter in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts katapultierte Zauberer in der gleichnamigen TV-Serie der BBC das schnurlose Telefon nannte. Jedenfalls hat sie sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich in ihrem Elektrobuch nachlesen.

Dabei erweist sich Kirsten Wendt als geübte Erzählerin, die locker und launig selbst schwierige Themen in den Griff bekommt, und so bleibt sie auch nicht beim Thema Handysucht stehen. Vielmehr schlägt sie einen Bogen über Winkefleisch, Jugendsprache und Migräne bis hin zur Sexsucht. Wie sie es schließlich sogar schafft, Nomophobie und Nymphomanie zu verknüpfen, das soll hier nicht verraten werden. Dazu muss man/frau schon selbst dieses kleine Büchlein lesen.


Genre: Gesundheit
Illustrated by Kindle Edition

Ein Ort schweigt

In „Ein Ort schweigt“ werden nicht nur die Krankentötungen mit etwa 8000 Opfern in Berlin-Buch an Hand von Sterbeurkunden nachgewiesen, sondern es wird auch die Haltung der Täter und Mittäter, der Bevölkerung, sowie der Umgang der Staatsführung der DDR mit den in Berlin-Buch begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet.

Die Opferzahlen wurden im Rahmen der erstmaligen Auswertung von zehntausenden Sterbeurkunden des Standesamtes Berlin-Pankow in den Jahren 2009/2010 ermittellt. Für mindestens 8000 Todesfälle gibt es keine hinreichende medizinische Erklärung. Hinzu kommen ungefähr 3000 Bucher Patienten, die im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion aus der Bucher Heil-und Pflegeanstalt in entfernte Tötungseinrichtungen verlegt und dort in Gaskammern oder durch Medikamente umgebracht worden sind. Unbekannt ist bis heute auch die erhebliche Zahl der pflegebedürftigen älteren Bucher Patienten, die während des Zweiten Weltkrieges – und dies fast ausnahmslos gegen ihren Willen – in östlich der Oder gelegene Einrichtungen verbracht wurden und nie zurück kehrten.

Der Grund für das hartnäckige Verdrängen und Verschleiern dieser in Buch begangenen Verbrechen liegt zum einen in den besonderen sozialen Strukturen des Ortes und zum anderen in der Absicht der damaligen DDR-Führung, Berlin-Buch zum größten und modernsten Krankenhausstandort Europas und zum Flaggschiff der DDR-Medizin zu entwickeln.


Genre: Dokumentation
Illustrated by Rosemarie Pumb

The Mirage

Am 09. November 2001 steuern christliche Fundamental-Terroristen Flugzeuge in die Wolkenkratzer der UAS-Metropole Bagdad, ermorden damit Tausende von Menschen und erschüttern die wirtschaftliche und militärische Supermacht United Arab States bis ins Mark. Der Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten und so beginnt man mit dem Verbündeten Israel die Invasion Amerikas, einem unbedeutenden Drittweltland, das als Drahtzieher der Anschläge und Heimat der Terroristen vermutet wird.

Acht Jahre später ist die angestrebte Zivilisierung Amerikas und Überführung in eine Demokratie immer noch nicht abgeschlossen und die Gefahr von Terroranschlägen im eigenen Land unverändert hoch. Mustafa, Amal und Samir arbeiten für Homeland Security und es gelingt ihnen, einen christlichen Selbstmordattentäter dingfest zu machen, der eine unglaubliche Geschichte zu erzählen hat: In Wahrheit wäre Amerika die fortschrittliche Supermacht und die zerstrittenen arabischen Länder befänden sich auf unterentwickeltem Niveau, als Beweis zeigt er den Ermittlern eine amerikanische Zeitung vom 12. September 2001.

Mustafa und seine Kollegen bekommen von höchster Stelle der Regierung den Auftrag, diesen mysteriösen Fall zu untersuchen und stoßen schon bald auf weitere Spuren: Der dubiose Unterweltsboss Saddam Hussein ersteigert regelmäßig im Internet Artefakte aus der vermeintlichen Parallelwelt und auch Senator Osama bin Laden, dem enge Verbindungen zum Geheimbund Al Kaida nachgesagt werden scheint daran sehr interessiert. Eine Reise nach Amerika soll schließlich des Rätsels Lösung bringen…

Matt Ruff hat es wieder einmal geschafft, seine Fans mit dieser fantastischen Geschichte zu überraschen und begeistert wie gewohnt mit einem mitreißenden Plot, dessen Details liebevoll sorgfältig ausgearbeitet sind: Die beliebteste TV-Serie der UAS ist der Echtzeit-Thriller “24/7 Jihad”, die Musik-Charts werden angeführt von der Punk-Band Green Desert mit ihrem Hit “Arabian Idiot” und der Gouverneur des Libanon war in seinem früheren Leben ein populärer Action-Filmheld. Und natürlich fehlen auch nicht die Protagonisten auf der anderen Seite, zu viel soll hier allerdings nicht preisgegeben werden.

Indem der Autor die persönlichen Geschichten der drei Hauptfiguren mit den politischen Bedingungen verknüpft, zeigt er auch den ganz normalen Alltag in einem islamischen Land, das hin- und hergerissen ist zwischen Säkularisierungsbemühungen moderner Aufklärung und reaktionärer Reglementierung der traditionellen Religion, eben ganz so wie heute in den realen USA. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Matt Ruff auch in seinem neuen Werk mit sprachgewaltigem Wortwitz glänzt, Bücher wie diese sorgen beim Leser für ungetrübte Freude!


Genre: Romane
Illustrated by Harper

Öffentlichkeitsarbeit für Autorinnen und Autoren

Im ersten Abschnitt seiner dem Thema Öffentlichkeitsarbeit für Autorinnen und Autoren gewidmeten mehrteiligen Arbeit befasst sich Autor Roland Zingerle mit den Grundschemata der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Zingerle bestimmt dazu den Begriff des “Mediums” als Mittler zwischen Sender und Empfänger und mit diesem Dreiermodell die Keimzelle dessen, was gemeinhin als ‘Kommunikation’ bezeichnet wird. Er differenziert Kommunikationsmedien und Massenmedien und erläutert, dass es darum gehe, mit Hilfe der Massenmedien auf die jeweiligen Kommunikationsmedien aufmerksam zu machen.
Um nun ein Medienunternehmen davon zu überzeugen, über eine Buch oder eine Veranstaltung zu berichten, muss ein Autor die Vorteile aufzeigen, die sich daraus für das Massenmedium ergeben. Schließlich möchte er keine Anzeigen bezahlen, sondern die Berichterstattung kostenlos haben. Dazu sind zwei entscheidende Fragen vorab zu klären, die letztlich Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit sein müssen: Welches Ziel verfolge ich mit meiner Öffentlichkeitsarbeit? und Wer sind meine Zielgruppen? Dazu stellt Zingerle praktische Fragen, die helfen, diese zentralen Aspekte positiv zu beantworten.

Im zweiten Abschnitt befasst sich der Autor mit Aufbau und Arbeitsweise von Medienunternehmen.
Zingerle unterscheidet zwischen der Aufbauorganisation, also der hierarchischen Struktur, sowie der Ablauforganisation eines Medienunternehmens, das sind jene Prozesse, die in der Alltagsroutine ablaufen müssen, um ein reibungsloses Erreichen des Tagesziels zu gewährleisten. Er geht von einem klassisch durch Anzeigen finanzierten Printmedium aus, wenn er die drei tragenden Säulen Redaktion, Anzeigenverkauf und Administration definiert.


Im dritten Abschnitt behandelt Roland Zingerle die Planung klassischer Öffentlichkeitsarbeit.
Danach sollte sich ein Autor erst einmal klar machen, welche Aktivitäten er in welchem Zeitraum umsetzen will. Möchte er nur sein Buch präsentieren oder auch eine Lese-Tournee abhalten? Dazu zählt weiter eine Vorstellung, in welchem Zeitraum bestimmte Ziele umgesetzt werden sollen und welche finanziellen Mittel hierfür aufgewendet werden können.
Zingerle gibt dann konkrete Hilfestellung bei der Kontaktaufnahme mit Medienunternehmen. Er nennt Kritierien für die Auswahl der Ansprechpartner und gibt Ratschläge für das richtige strategische Vorgehen bei der Kontaktaufnahme.

Im vierten Abschnitt befasst sich Zingerle mit Stilfragen klassischer Öffentlichkeitsarbeit.
Dazu skizziert er im Schweinsgalopp das Einmaleins der Journalismus, zu dem unter anderem die berühmten “W-Fragen” zählen. Er erwähnt, was in keine Pressemeldung gehört wie Negativ-Botschaften, persönliche Meinungen und Schmähungen. Schließlich beschreibt er den Aufbau eines redakionellen Artikels.
Ausführlich beschäftigt er sich anhand zahlreicher Bildbeispiele mit Grundregeln der Pressefotografie, da eine anspruchsvolle Öffentlichkeitsarbeit ohne Foto-Material undenkbar sei.

Im fünften Abschnitt behandelt Roland Zingerle die Schule des Sprechens.
Der Verfasser geht dabei davon aus, dass Autoren Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie betreiben, um ihre Lesungstätigkeit bekannt zu machen. Dazu möchte er dem Leser Einblick in das Handwerk des Sprechers gewähren.
Über Grundsätzliches zur Lautbildung kommt Zingerle zu konkreten Schnellsprechübungen, um die Zungenfertigkeit des Leser auf die Probe zu stellen. Er empfiehlt Übungen zum Gefühlsausdruck und gibt schließlich Verhaltensregeln zum Sprechen in der Öffentlichkeit. Abschließend nennt er sieben Punkte, die einen guten Rezitator ausmachen.

Schließlich befasst sich der Autor mit der organisatorischen Durchführung einer Lesung.
Sinn und Zweck einer Autorenlesung ist, ein Buch zu präsentieren und möglichst oft zu verkaufen. Das gelingt nur, wenn die Zuhörer durch den Vortrag positiv beeindruckt und neugierig gemacht werden. Zingerle nennt dazu verschiedene Maßnahmen, die helfen können, den gewünschten Zweck zu unterstützen und einen möglichst durchschlagenden Erfolg zu erreichen.
Der Band gibt auch Informationen über die Pflichten des Veranstalters, über Terminfragen, Audiotechnik und Beleuchtung bis hin zur konkreten Ablaufplanung.


Genre: Ratgeber
Illustrated by Kindle Edition

Sechs Getränke, die die Welt bewegten

Sechs GetränkeVor etlichen Jahren lernte ich in Amerika bei einer Dinner Show ein junges Paar kennen. In breitestem Südstaaten-Dialekt stellten die beiden sich mit folgenden Worten vor: “Hi, we are Betty and Jim from Atlanta. Atlanta, Georgia. Home of Coca-Cola.”

Das ließ mich damals so fasziniert wie irritiert zurück. Zig Dinge wären mir eingefallen zu Atlanta, Georgia. Scarlett. Tara. Martin Luther King. Die Peachtree Road. Die Sezessionskriege. Meinetwegen auch Coca-Cola. Jedoch nicht als Erstes, Einziges und Wichtigstes. Aber so sind sie, die Amerikaner. Unbändig stolz auf den Siegeszug der braunen Brause als global akzeptiertes, bewundertes Symbol des American Way of Life.

Genau dies bestätigt auch der englische Historiker und Journalist Tom Standage in seinem überraschenden Werk Sechs Getränke, die die Welt bewegten. Spätestens seit Coca Cola zum kriegswichtigen Gut geadelt wurde, war der Aufstieg des Getränks von der Brause aus dem Sodabrunnen zur nationalen Institution unausweichlich.

Coca-Cola ist das letzte der 6 Getränke, anhand derer Tom Standage seine Leser unterhaltsam durch die Weltgeschichte führt. Der deutsche Titel führt leicht in die Irre. In diesem Buch geht es nicht in erster Linie um Getränkekunde, sondern die Entstehungsgeschichten von sechs Getränken – neben Cola sind es Bier, Wein, Rum, Tee und Kaffee – werden verknüpft mit einer rasanten Zeitreise von der Steinzeit in die Gegenwart. Der Originaltitel A history of the world in 6 glasses trifft es wesentlich besser. Standage bietet nicht weniger als einen Crashkurs in Weltgeschichte, gepaart mit Exkursen in Technik, Chemie und Religion. Nur wenige der sorgsam recherchierten Verknüpfungen sind weithin bekannt, am bekanntesten dürfte die Boston Tea Party sein. Umso überraschender zu erfahren, dass beispielsweise die Pyramiden wohl ohne die zufällige Entdeckung des Bieres nie gebaut worden oder die Entdeckungen der Kolonialzeit ohne Rum nicht machbar gewesen wären. Besonders spannend die Geschichte des Kaffees. “Das nüchterne Geschenk der arabischen Welt”, es trat seinen Siegeszug im Zeitalters der Vernunft an. Kaffeehäuser etablierten sich als Heimstätten eines Bündnisses aus Kaffee, Innovation und Netzwerk, “eine Art Internet des 17. Jahrhunderts”.

Standage zieht destillierte Schlüsse aus dem “flüssigen Vermächtnis der Kräfte, die unsere Welt geprägt haben“. Dabei räumt er mit bis heute verbreiteten Mysterien auf und stellt neue Thesen auf. So stehe “der Konsum von Coca Cola in engem Zusammenhang mit dem Wohlstand und der Lebensqualität von Ländern”. Gewagt, aber nicht von der Hand zu weisen und daher durchaus bedenkenswert.

Dennoch irritiert seine rigorose Trennung, jeder Periode ein bestimmtes Getränk zuzuordnen. Bier kommt im Buch nur in vorchristlicher Zeit vor, von der “Amphore Kultur” (Wein) hört man nur bis zum Mittelalter und Tee war das Schmiermittel der industriellen Revolution. Die Dominanz britischer Tea-Time-Kultur bis heute interessiert nur am Rande. Selbst die Prohibition spielt allenfalls im Hinblick auf den Siegeszug von Coca Cola eine Rolle. Standage weist jedem Getränk einen Platz als Katalysator für die Förderung der Kulturen und Zivilisationen zu. Dass jedes dieser Getränke für sich genommen bis heute mehr ist als nur ein Durstlöscher, ist bei dieser Vorgehensweise uninteressant. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Standage ein allgemeingültiges Standardwerk vorlegen wollte. Vielmehr dürfte es seine Intention gewesen sein, mit einem Augenzwinkern auf die Weltgeschichte zu schauen und Geschichtsmuffeln einen unterhaltsamen Rundgang zu bieten. Dies ist ihm zweifellos gelungen. Und da er seinem Gesamtbild viele unbekannte Details zufügt, dürfte dieses Werk auch den in Historie Versierteren Spaß machen.

“Die Gepflogenheit, sein Glas zu heben, ist uralt und beschwört übernatürliche Kräfte”. Und so ist natürlich auch diese Buchbesprechung nicht entstanden ohne den beherzten Einsatz diverser inspirierender Getränke. In diesem Sinne Salute, Cheers und Prösterken.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Dokumentation
Illustrated by Artemis und Winkler

Apfeldiebe

ApfeldiebeFünf Jungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein großmäuliger Anführer, der aber noch gerne mit seinen Ritterfiguren spielend sich heimlich in ein Abenteuerland träumt. Der dicke Mitläufer, das Weichei. Der kleine Bruder, der nichts sehnlicher wünscht, als in der Welt der Großen akzeptiert zu werden. Der langhaarige, verträumte Einser-Schüler, bevorzugtes Mobbing-Objekt der anderen. Und schließlich der düstere Neu-zugezogene, den man ebenfalls mangels Alternativen hänselt. Denn eigentlich hat man Angst vor ihm.

Die Roggenbacher Burgruine, ein verbotener Platz. Alex, der selbsternannte Anführer findet dort eines Tages eine unerforschte Höhle mit mittelalterlichen Gerätschaften. Es sind Ferien und da er schließlich der Anführer ist, führt er die anderen dorthin. Doch was als Abenteuer für einen Tag gedacht war, endet in einer Katastrophe. Die Decke der Höhle stürzt ein, die Jungen sind gefangen. Schluss ist mit Spiel, das Abenteuer wird blutiger Ernst. So jung die Kinder noch sind, so schwer sind die Päckchen, die sie mit sich tragen. Auf sich alleine gestellt, in einer Situation, wo Hoffnung langsam in Panik umschlägt, wo das altbekannte Mobbing die Grenzen des Wahnsinns überschreitet, sind die Kinder auf sich selbst,ihre Ur-Ängste und Ur-Instinkte zurückgeworfen. Wird überhaupt einer von ihnen das Tageslicht wieder erblicken?

Nur ein Mann weiß ungefähr, wo die Kinder sein könnten. An der großangelegten Suchaktion beteiligt er sich jedoch nicht. Er ist der Dorf-Grantler, der Außenseiter, den alle fürchten. Er selbst hat nichts mehr zu verlieren, er wartet nur noch auf den Tod. Die verschwundenen Kinder interessieren ihn nicht wirklich, zunächst einmal sind es für ihn fünf Apfeldiebe weniger, um die er sich kümmern muss. In seinen letzten Lebenstagen denkt er über sich und sein verpfuschtes Leben nach, in dem er nicht einmal über seinen Schatten springen konnte. Nach einer durchwachten Nacht wird ihm klar, dass er sich nur einmal hätte umdrehen müssen, um über eben diesen Schatten zu springen. Schafft er jetzt diese Umdrehung und kann er die Kinder noch retten? Vor der Höhle und vor sich selbst?

Das Thema mutet bekannt an. Natürlich. Doch wer liest heute noch Herr der Fliegen? Leider wohl kaum einer. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dieses Thema nach einer Neuauflage schrie, um in die heutige Zeit transkribiert zu werden. Der Autor Michael Tietz, dem mit “Rattentanz” ein Überraschungserfolg gelang, wagt dieses Wagnis. Und er macht es gar nicht mal schlecht. Seine Apfeldiebe können zwar nicht mit der Symbolträchtigkeit und der Intertextualität eines Herrn der Fliegen mithalten, doch was das Grauen angeht, das dieser Roman mit seinen klaustrophobischen und befremdlichen Szenen auslöst, kann er durchaus mithalten. Er macht vor nichts halt, scheut vor nichts zurück. Der Kampf ums Überleben wird nicht nur zu einem Kampf gegen die fast aussichtslosen Umstände, in der sich die Jungen befinden, sondern vor allem zu einer Grenzerfahrung im Umgang mit sich selbst und den Freunden. Während die einen dem Wahnsinn nicht mehr fern sind, finden andere erst zu ihrer wahren Stärke.

Tietz entfaltet sein Szenario bildgewaltig, verliert sich zuweilen aber in Details. Fast hat man den Eindruck, dass er seiner eigenen Sprachmacht noch nicht so recht traut. Zu diesem Eindruck passt auch, dass seine Charaktere zwar sorgfältig ausgewählt und gegenübergestellt, aber gelegentlich einfach zu stereotyp gezeichnet sind.

Im Gegensatz zu seiner gelegentlich überbordenden Detailverliebtheit steht jedoch das Ende. So versöhnlich einige Schlußzenen den Leser stimmen mögen, so irritiert bleibt er doch mit der Wertung zurück. Exemplarisch sei da Timis Mutter genannt. Ohne hier zuviel verraten zu wollen, auch sie hat ein Verbrechen begangen. Dies mit einem einzigen, noch dazu recht freundlichen Satz abzuhandeln, das geht und passt gar nicht.

Dennoch: ein atmosphärisch und psychologisch dichter, spannungsgeladener Thriller, der durchaus kunstvoll zu schocken vermag, aber auch berührt und Fragen aufwirft.

Der Autor: Michael Tietz lebt mit seiner Familie als Krankenpfleger im Schwarzwald, wo auch seine Bücher spielen.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Thriller
Illustrated by Bookspot

Wie der Mensch zum Schluckauf kam

Dieses Büchlein ist unterhaltsam und kann als Partyspaß oder für einen Mini-Wissenstest eingesetzt werden. Ob damit nützliches Wissen vermittelt wird, muss jeder Leser für sich beanworten.

Systematisch wird jedenfalls nichts aufgearbeitet, es gibt weder Rubriken noch eine erkennbare Ordnung in dem Buch. Dass zudem beim E-Book auch noch ein Inhaltsverzeichnis fehlt, führt für mich zu einem klaren Abzug von einem Punkt. Derartiges ist bei einem Elektro-Sachbuch nun wirklich ein Muss.

Einen weiteren Punkt ziehe ich für den unverhältnismäßig hohen Preis ab. Die Antworten auf die bisweilen durchaus amüsanten Fragen (\”Welche Oper entstand mit Hilfe einer Badewanne?\”) sind stets auf zwei bis drei kurze Sätze reduziert und können insofern nur vages Wissen vermitteln. Von Brockhaus erwarte ich sehr viel mehr Tiefgang!

Bezogen auf den Verlag und die damit verbundenen Erwartungen an seine Bücher fällt mir ein chinesisches Sprichwort ein: \”Begibt sich der Drache in seichtes Wasser, wird er schnell zum Gesprött der Krabben.\” Will sagen: Brockhaus sollte sich besser nicht im Trivialen bewegen, sondern dort bleiben, wo das Unternehmen daheim ist: im Meer des Wissens.


Genre: Lexika und Nachschlagewerke
Illustrated by Brockhaus Leipzig und Mannheim

Mordsviecher

Im Landkreis Garmisch wird die Leiche eines Unternehmers gefunden, inmitten unzähliger Tiere, Pferde, Hunde und Kaninchen, aber eben auch Reptilien und fast alle davon in einem erbärmlichen Zustand. Der Tote war ein äußerst erfolgreicher Daunenproduzent, bayerischer Unternehmer des Jahres und betrieb aktive PR in Sachen Tierschutz und Ökologie. Kommissarin Irmi Mangold und ihr Team ermitteln rasch die Todesursache: Gift einer schwarzen Mamba. Dann aber wird es schwierig, denn der vermeintliche Saubermann hatte nicht nur Feinde unter den Tierschützern, sondern auch genügend Neider im Kreis seiner Wirtschaftsfeinde und selbst innerhalb der Familie waren ihm nicht alle wohl gesonnen. Oder war es doch nur ein Unfall? Fragen über Fragen tun sich auf und zudem kriecht auch noch eine schwarze Mamba irgendwo frei durch das bayerische Alpenland…

Der Roman greift das brisante Problem des “Animal Hoarding” (unkontrolliertes Ansammeln von Tieren) auf, ein Phänomen, das auch hierzulande immer öfter auftritt und engagiert sich für den Tierschutz, eine feine Sache, für die der Autorin Lob gebührt. Allerdings ist das auch so ziemlich der einzig positive Aspekt, den ich diesem Werk abgewinnen kann. Die Handlung schleppt sich für einen Krimi zu zäh und langatmig dahin, die Protagonisten agieren allesamt eindimensional und sind zu wenig facettenreich gezeichnet; sie interessieren den Leser daher nicht sonderlich. Der Versuch, dem Buch etwas Regio-Touch und Lokalkolorit zu verleihen wirkt bemüht und beschränkt sich weitgehend auf die örtlichen Verkehrswege (inklusive detailgetreuer Schilderung Münchener Baustellen); ein paar richtig schräge einheimische Charaktere (und daran besteht ja hier in Bayern kein Mangel!) hätten wohl eher zum Ziel geführt.

Wer den Roman dennoch lesen möchte, kann auch außerhalb des Freistaats bedenkenlos zugreifen, die Verständlichkeit wird jedenfalls nicht durch übermäßigen Dialektgebrauch eingeschränkt.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Pendo

Bugatti taucht auf

Bugatti Es ist ein eher unbekannter Bugatti, der zu Beginn auf den Seiten dieses erstaunlichen Romans auftaucht: Rembrandt Bugatti, jüngerer Bruder des legendären Erfinders und Konstrukteurs Ettore. Dieser Rembrandt lebt zurückgezogen und unglücklich als Bildhauer, Aus seinen Tagebüchern aus den Jahren 1914/15 erfährt der Leser einiges über die stilprägende italienische Dynastie, aber auch aus dem tragischen, unglücklichen Leben des Rembrandt Bugatti, eines Menschen, für den “die Routine des Wiederkehrenden” nicht tröstlich ist, sondern “der Beweis, dass es kein Entkommen gibt.”

Szenenwechsel: Gegenwart. Februar 2008. Im schweizerischen Locarno wird die “Stranociada”, der Tessiner Karneval gefeiert. Ein junger Mann, Luca, gerät unbeabsichtigt in eine alkoholisierte Auseinandersetzung, wird kaltblütig zu Tode geprügelt und getreten. Aus nüchternen Protokoll-Aufzeichnungen ergibt sich die Chronik eines beiläufigen und völlig sinnlosen Todes, das unfassbare, weil “triste Bild von jungen Leuten zwischen Langeweile und Überforderung, die nicht wissen, was sie tun und deren Lebensgefühl man vermutlich so zusammenfassen könnte: Was soll der ganze Scheiß?”

Szenenwechsel: Wir lernen Jordi kennen, einen Freund der Familie des getöteten Jungen. Jordi aus dem Nachbarort Ascona, der dort eine Unterwasserfirma besitzt und sich “ungeheuerlich schämte, ohne zu wissen, wofür. Einfach für das, was passiert war.” Jordi ist ein durch und durch integrer, moralischer Mensch. Er will es nicht hinnehmen, dass diese Tat ungesühnt bleibt, er will der im Tessin schwelenden, zuweilen hysterischen Aufregung etwas entgegenhalten, den Tätern keine größere Bühne bieten als unbedingt nötig. Er will der Sinnlosigkeit, dem Unfassbaren “eine andere Handlung entgegensetzen, die den Ausschlag dieser Waage veränderte, etwas gutartig Schönes [….] etwas, was dem Schrecken [….] trotzen konnte [….] eine Geschichte, die von irgendwo her kam und von der man nicht sagen konnte, wo sie enden würde. Ein Riesending, ein Zartes.”
Jordi erinnert sich an einen alten Asconeser Mythos. Es geht die Legende, dass auf dem tiefsten Grund des Lago Maggiore ein alter Bugatti ruht. Bewiesen wurde diese Legende nie, mehr denn ein vage als Radnabe zu interpretierendes Etwas hat kein Taucher je gesichtet. Jordi versucht mit Hilfe von Freunden und Familie, das Unmögliche möglich zu machen und nach einigen Rück- und Schicksalsschlägen gelingt es ihnen in der Tat. Sie bergen den erstaunlich gut erhaltenen Bugatti, lassen Piazza und Promenade sperren und den Bugatti aus dem See öffentlichkeitswirksam auftauchen. “Sie machten es für Luca, der am 1. Februar ermordet wurde. Und dann organisierten sie ein großes Fest. An einem Sonntagmorgen. Und es kamen viele Leute, viel mehr Leute, als sie erwartet hatten.”

Die Geschichten, die Dea Loher in ihrem Romandebüt erzählt, fußen allesamt auf realen Ereignissen. Im Roman wird er Luca genannt, in der ebenso unfassbaren Realität war es der junge Student Damiano, der in einer Februarnacht beim Locarneser Karneval jenen grundlosen und brutalen Tod starb. Seine Familie und seine Freunde gründeten zur Trauerbewältigung die Fondazione Damiano Tamagni und kamen auf die Idee, dem Mythos des Bugatti-Wracks im Wortsinne auf den Grund zu gehen. Beide Ereignisse haben im Tessin hohe Wellen geschlagen. Als der Bugatti auftauchte, war es ein Riesen-Ereignis im kleinen Ascona und auch ein kollektives Aufatmen. Der Bugatti wurde für 230.000 Euro versteigert, dieses Kapital bildete den Grundstock für die bis heute bestehende Stiftung.

Auf nur etwas mehr als 200 Seiten hat die Autorin ein Werk von beeindruckender Komplexität geschaffen. Für jeden Erzählstrang der miteinander verwobenen Geschichten findet sie eine eigene, authentische Sprache. Die schreckliche Tat beschreibt sie dokumentarisch, nicht die ihrer Schuld ausweichenden Täter macht sie zu Romanfiguren, sondern Jordi, seine Freunde und seine weisen Ratgeber. Nicht die Gewalttat ist das Thema des Romans, sondern der Versuch, dem Verlust von Lebensträumen eine Aktion gegen Sinn- und Hilflosigkeit entgegenzusetzen. So wie Asconas berühmter Berg, der Monte Verita, nie sein Versprechen auf Wahrheit einlöst, so kommen auch die Freunde des Ermordeten der Wahrheit oder dem Sinn hinter der schrecklichen Tat nicht näher.

Der Bugatti im See war lange nicht mehr als eine Legende der Moderne, die Fondazione ist eine Sühne, ein Versuch der Wiedergutmachung. Beidem setzt Lea Doher nun ein bewegendes literarisches Denkmal. Die vorgeschaltete Geschichte der Familie Bugatti sowie die später von einem Ratgeber Jordis enthüllten Geschehnisse rund um den Bugatti und dessen unvergessenem Fahrer Rene Dreyfus dienen der Gegenwartsgeschichte dabei als Reflektor. Der radikal kühlen Sprache in den Protokollen zur Tatnacht setzt die Autorin bei der Erzählung von Jordis Geschichte eine vorsichtige, rücksichtsvolle, poetische Sprache entgegen, die das filigrane Gewebe von Schuld und Sühne, Trauer, Verlust und Aufarbeitung schützt. Manche Sätze entfalten eine ungeheure Leuchtkraft, leuchtend wie das berühmte Tessiner Licht in seinen besten Momenten.

Bugatti taucht auf wurde von der Kritik bisher einhellig gelobt und gefeiert. Ich stimme diesen Pressestimmen uneingeschränkt zu, möchte aber aus persönlichen Gründen noch einen Aspekt zufügen, der bisher wenig bis kaum Erwähnung fand.
Auch für meine Familie spielt Ascona seit Jahrzehnten eine große Rolle, genau wie Jordi stehe auch ich manchmal auf der Piazza und gerate ins Fantasieren, wie es in Ascona früher gewesen sein mochte, seit ich –wie Jordi – bei den Großeltern ein Foto von früher fand:
 Ascona
Wie Jordi sind viele, die Ascona kennen, dem Ort in einer Art ambivalenter Hassliebe verbunden. Ascona war ungeachtet seiner pittoresken Fassade noch nie eine leichte Adresse. Es war sicher nicht Dea Lohers Hauptanliegen, Ascona und seine Bewohner zu charakterisieren, aber dennoch ist ihr dies ausgezeichnet und bei aller spürbaren und berechtigten Kritik an Ascona doch liebevoll und wahrhaftig gelungen. Es ist auch der Ort und das über ihm schwebende Flair eines bedauernden “Tempi passati”, die eine Geschichte wie die des Bugatti erst möglich machten. Die unterschwelligen Schwingungen und Befindlichkeiten des Ortes, der seit Jahren zwischen Magie und Spießbürgertum verharrt, erfasst sie ebenso genau wie das Entsetzen über die unfassbare Tat, welches das gesamte Locarnese lange gefangen hielt. Sätze wie die über den sich esoterisch spreizenden, schlussendlich aber traurigen Monte Verita formulieren eine Wahrheit, wie ich sie besser formuliert noch nicht gelesen habe. Sätze, die ich am liebsten auswendig lernen würde, um sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzubringen.

Fazit: Gut möglich, dass ich mein Buch des Jahres bereits gefunden habe, Bugatti taucht auf ist eins der beeindruckendsten Romandebüts, die ich bisher gelesen habe. Prädikat: Sehr empfehlenswert.

Die Autorin: Dea Loher ist eine der bekanntesten Theater-Dramatikerinnen unserer Zeit. Sie studierte u.a. bei Heiner Müller und erhielt für ihre Werke zahlreiche Auszeichnungen. Ihre Werke beschäftigen sich oft mit den Themen Schuld, Trauer und Vergebung.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift 

Links zu den Hintergründen der real existierenden Geschehnisse: 
Die Bergung des Bugatti und 
Die Geschichte der Fondazione Damiano Tamagni


Genre: Romane
Illustrated by Wallstein Göttingen

The cold cold ground

Frühling 1981: Während die Menschen im Vereinigten Königreich der Märchenhochzeit von Prince Charles und Lady Di entgegen fiebern, hat man in Belfast auch noch andere Probleme. Im Maze-Gefängnis kämpfen die Gefangenen der IRA mit Hungerstreiks für bessere Haftbedingungen und eine ihrer Ikonen, Bobby Sands, ist gerade gestorben. Premierministerin Thatcher (“The dragon lady with no fucking heart” (Jello Biafra)) ist wieder einmal wild entschlossen, Härte zu demonstrieren und so droht der seit Jahren latente Bürgerkrieg in Nordirland endgültig zu eskalieren.

Sean Duffy, katholischer Polizeipsychologe, hätte also eigentlich schon genug zu tun, als kurz nacheinander zwei Homosexuelle ermordet werden; jeweils versehen mit kryptischen Botschaften. Als dann auch noch bekannt wird, dass einer der Toten Kontakte zur IRA hatte, wird die Lage für Duffy richtig prekär, denn egal, ob Serienkiller oder politisch motivierte Morde, der Ermittler gerät schnell zwischen die Fronten protestantischer und katholischer Kämpfer…

Dieser Roman ist nicht nur ein exzellent geschriebener packender Thriller sondern dank der historischen Umstände, in die er eingebettet ist, auch ein höchst interessantes Dokument der Zeitgeschichte. Dem Autor, der selbst in Belfast aufgewachsen ist, gelingt es in überzeugender Manier, die beklemmend klaustrophobische Atmosphäre dieser Tage zu erfassen, zum Beispiel die Suche nach Autobomben vor jedem Fahrtantritt. McKinty enthält sich dabei weitgehend politischer Statements, macht aber auch sprachlich überzeugend klar, dass sich die Methoden der Kombattanten doch verblüffend ähneln. Ich freue mich jedenfalls schon auf das nächste Buch aus dieser Reihe!


Genre: Thriller
Illustrated by Serpent\'s Tail

Seelenfeuer

SeelenfeuerBis zu ihrem 19. Lebensjahr führte die junge Hebamme Luzia Gassner ein beschauliches Leben in einem kleinen Weiler am Bodensee. Eigentlich ist sie damit zufrieden, doch als eine Berufung aus der großen Stadt kommt, beugt sie sich und wird im Jahre des Herrn 1483 die neue Hebamme der Stadt Ravensburg.

Wie viele weise Frauen ihrer Zeit, die das Wissen um die Kräfte der Natur und ihrer Gaben bewahren, verlässt sich auch Luzia bei ihrer Arbeit nicht alleine auf Gebete und erregt so das Missfallen der Kirche. Als ein verheerendes Unwetter die Stadt heimsucht und auch noch die Pest ihre schwarzen Klauen ausfährt, holt der Kaplan der Stadt den gefürchteten Großinquisitor Heinrich Institoris. Es beginnt ein Hexensabbat, in dessen Folge sich alle Bewohner der Stadt von der vormals verehrten Hebamme abwenden. Einzig ihr Onkel, der geachtete Apotheker und ihr Verlobter, Medicus Johannes von der Wehr verteidigen sie vehement. Doch es kommt, wie es kommen muss. Luzia wird der Hexerei angeklagt und in den Kerker geworfen. Dem unerschrockenen Johannes bleiben nur wenige Tage, um Luzia zu retten.

Das Thema ist nicht neu. In Buch und Film hatten wir schon mehr als eine Hebamme, die als Geburtshelferin für einen Mittelalter-Roman zu fungieren die Ehre hatte. Dies war wohl auch der Autorin klar. Sie setzte das Ganze in einen stark regional bezogenen Kontext und thematisierte vordergründig die zu jener Zeit aufkommende Hexenjagd. Dank aufwändiger Recherchen wahrte sie so ihre Chance, kenntnisreich und mit viel Liebe zum Detail mit einem bereits ergiebig verwursteten Thema zu punkten. Die Gegend um den Bodensee war zum Ende des 15 Jahrhunderts eins der Zentren des Hexenwahns und der daraus entstandenen Hexenverfolgung in Europa. Es ist historisch belegt, dass Heinrich (Institoris) Kramer , der Verfasser des Malleus Maleficarum ( Hexenhammer) in Ravensburg, Konstanz und anderen Orten der Umgebung an die fünfzig Schauprozesse abhielt, die auf dem Scheiterhaufen endeten. Der Hexenhammer ist in engem Zusammenhang mit der päpstlichen Hexenbulle zu sehen, beides pseudowissenschaftliche Legitimationsschriften für den Wahn jener Tage. Cornelia Haller hat sicher ausgesprochen genau recherchiert, nach der Lektüre ist man umfassend und nachvollziehbar über damalige Gedanken – und Gefühlswelten informiert. Doch gelegentlich sind ihre detailverliebten Schilderungen zu überbordend und überfordern die Geduld des Lesers, der auf den Fortgang der Geschichte hin fiebert.

Die Autorin wurde gefördert und empfohlen vom ebenfalls in der Bodensee-Region ansässigen Martin Walser. Walser ließ die Gelegenheit, sich bei der Buchvorstellung mit aufs Podium zu setzen, nicht verstreichen und lobte die Genauigkeitsleistung der Autorin. Zwar ein Kompliment mit ungesagt mitschwingender Wertung, aber in Ravensburg reichte es für Begeisterung und Vorschußlorbeeren.

Cornelia Haller selbst sagte in einem Interview, das Formulieren sei für sie das Handwerk. Um Gerechtigkeit walten zu lassen, hat sie es dafür sehr gut gemacht. Ihr Stil ist flüssig und stockt selten. Manchen Dingen merkt man jedoch das mangelnde Vertrauen in ihre Formulierkunst an. So musste die Hebamme natürlich Luzia (von Luzifer) heissen und rotes Wallehaaar ihr Eigen nennen, damit auch der Letzte versteht, welche Projektionsfläche die Hebamme bot. Die Detailverliebtheit der Autorin führt dazu, dass sie sich manchmal im Fabulieren verliert, aber es gelingen ihr auch Sätze von allgemeiner Gültigkeit, die nachhallen und berühren. So wenn sie die Hebamme Luzia über die Mysterien der Geburt nachdenken lässt. “Erst wenn sie (die Frau) dem Tod als Unterpfand ein kleines Stück ihrer Seele überlässt, darf sie die heilige Flamme des Lebens weiterreichen. So lautet der Handel. Das ist der Preis”. Ein Wort, welches gerade Frauen, die schon geboren haben, tief ins Herz trifft und das viele bestätigen werden. Für ein Kind ist die Geburt der Eintritt in die Welt, für die Mutter aber auch der Eintritt in den Kreis der Frauen, die ein uraltes Wissen in sich tragen.

Was mir überhaupt nicht gefallen und die Freude am Buch deutlich geschmälert hat, waren die äußerst ergiebigen Folterszenen. Hexengemetzel aus der fixen Meisterklasse de luxe. Mir war es wirklich mehr als nur den berühmten Tick too much. Denn spätestens nach zwei Seiten Folterei hat man es kapiert. Ja, sie wurde gefoltert. Ja, es war grausam. Spätestens nach vier Seiten genüsslicher Folterei wünschte man sich eine ebenso detaillierte Schilderung darüber, wie man solches Gemetzel überleben kann. Um sich nach glücklicher Rettung auch noch romantischer Gefühle zu erfreuen.

Dafür hat sich Cornelia Haller um einen wichtigen Nebeneffekt verdient gemacht: Das Thema der Inquisition wieder auf den Schild zu heben. Schliesslich leben wir in einer Zeit, in der mit Herrn Ratzinger ein Mann die roten Pantöffelchen trägt, welcher noch vor wenigen Jahren Inquisition als Fortschritt im Rechtsbewusstsein bezeichnete.

Fazit: Trotz einiger Längen und Übertreibungen sind einem am Ende des Buches die Figuren ans Herz gewachsen und man wüsste schon gerne, wie es vor allem mit Luzia und Johannes weitergeht. Das Seelenfeuer, es lodert nicht heiß und ungezähmt, aber als wärmende, gut gemachte Unterhaltung taugt es durchaus.

Seelenfeuer ist das Debüt der Autorin. Die ausgebildete Heilpraktikerin lebt mit Mann und zwei Töchtern am Bodensee.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Hoffmann und Campe

Geschwisterkinder

GeschwisterkinderMilla und Ritschie sind Geschwister, gemeinsam verlebten sie eine wohl als normal und behütet zu bezeichnende Kindheit. Mittlerweile sind sie in ihren Zwanzigern, leben beide in Berlin, räumlich nicht weit voneinander entfernt und einander doch entfremdet. Es gab keinen greifbaren Anlaß für die Distanz, die zwischen ihnen entstand. Eher war es die Trivialität ihrer Alltage, die beide verstummen ließen und dazu führte, dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Was sie noch eint, sind die Erinnerungen an die Zeit, als der große Bruder die kleine Schwester Milla beschützte und ihr den Weg ebnete. Wenn auch jeder von ihnen sich seiner Erinnerungen nicht sicher ist, “wie viele Erinnerungen es geben mochte, die niemals wieder hervorgerufen wurden.”

In ihrer in fünf Abschnitte gegliederten Erzählung Geschwisterkinder berichtet die junge Autorin Hanna Lemke von einer langsamen Wiederannäherung zweier Geschwister im oft flüchtigen Umfeld einer hektischen Großstadt. Der Besuch eines alten Freundes ihrer Familie und die Einladung zu einer Hochzeit von Bekannten sind die Auslöser dafür, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie beginnen zu reden, über ihre Gedanken und Gefühle. Über die Zeit, die sie hatten und die Zeit, die vor ihnen liegt. Sie erkennen, dass nicht jede Erinnerung eine glaubwürdige sein muss und sie es verdienen, einander ganz neu kennen zu lernen und ihre erstarrte Beziehung zu beleben. Sich gegenseitig die Angst vor all dem zu nehmen, was sich in ihrem Leben falsch und fremdbestimmt anfühlt. Schließlich wagt der ältere Bruder ein klares, ehrliches Hilfsangebot. Für die nächste Zeit wird er wieder derjenige sein, der die kleine Schwester beschützt und unterstützt auf ihrem Weg zu sich selbst. Auch wenn ihrer beider Leben scheinbar einfach nur seinen Lauf fortsetzt, die Gangart in diesem Lauf wird eine andere sein.

Hanna Lemke legt mit ihrer Erzählung zwei fein gezeichnete Charakterstudien vor. Ihr klarer Bericht zwingt den Leser zur Langsamkeit, dazu jeden ihrer poetischen Sätze so genau und bewusst zu lesen, wie sie auch geschrieben wurden. Hanna Lemke erzählt geschliffen, sie beobachtet genau, fast schon detailverliebt, aber sie wertet nicht. Der Leser mag seine eigenen Schlüsse ziehen. Zwar kommt er den Geschwistern näher, doch so richtig versteht er sie nicht. Zur Identifikation wird er nicht aufgefordert. Er bleibt seltsam distanziert und ein Beobachter aus der Ferne. Man legt das Buch tief beeindruckt aus der Hand, doch richtig begeistert ist man nicht. Das Bemühen der Autorin, die Beziehung der Geschwister auf das Wesentliche zu reduzieren – vielleicht ist es zu radikal. Auch wenn man die Abgründe hinter der Banalität des Lebens spürt, der letzte entscheidende, empathische Funke – mir hat er gefehlt.

Nachwirken werden Hanna Lemkes Sätze. Sätze wie gemalt, fein komponiert. Es sind Sätze, die man sich in die eigene Erinnerung mitnehmen und von denen man sich begleiten lassen kann.

Die gebürtige Wuppertalerin Hanna Lemke studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2010 debütierte sie mit dem Kurzgeschichtenband Gesichertes, welcher von der Kritik hoch gelobt wurde. Auch Geschwisterkinder ist in Summe eine lesenswerte Erzählung, die Lust auf mehr von dieser jungen Autorin macht.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Kunstmann München

Ed King

Guterson / Ed King Ed King, der fünfte Roman des amerikanischen Bestseller Autors David Guterson, sorgte in seiner Heimat bereits für reichlich Schlagzeilen. Die Fachzeitschrift Literary Review verlieh ihm den Preis für die schlechteste literarische Beschreibung einer Sex-Szene. Wenn das nicht Erwartungen weckt. Genau wie das Thema des Buches. Ödipus in die Moderne transferiert. Es braucht wohl neben guten Nerven auch eine besondere Form literarischer Obsession, das Wagnis einzugehen, ein Motiv aus der klassischen Antike zu entlehnen. Das Fazit vorab: Es ist Guterson durchweg gelungen, des Königs Drama neu, relevant und glaubwüdig ins 21. Jahrhundert zu übertragen. Schlechter Sex hin oder her.

Gutersons König ist kein Royal per se, sondern sein zeitgenössisches Äquivalent. Ein Milliardär und Hightech-Titan. Ed King ist das Ergebnis einer flüchtigen Affäre zwischen einem verheirateten Mann und einem jungen Au-pair-Mädchen. Auf einer Türschwelle abgelegt, von einem wohlmeinenden, gut situierten Ehepaar adoptiert, mathematisch hochbegabt. Strotzend vor Selbstvertrauen, bar jeden Zweifels nutzt er die Chancen seiner von Technologie besessenen Zeit und steigt auf zum König der Suchmaschinen. Er führt das beste Leben, das man für Geld kaufen kann, “der Wind der Freiheit weht aus seinen Servern“. Und doch bleibt ihm am Ende nur die Frage, was ihm all die technischen Errungenschaften genutzt haben, wenn er vor der Unveränderbarkeit fundamentaler Gewissheiten menschlicher Natur steht.

Ed King ist ein schillerndes Buch. Guterson nimmt den Leser mit auf einen mal traurigen, mal wilden Parforceritt durch die letzten fünfzig Jahre amerikanischer Geschichte. Der Leser kennt zwar den Zielort, doch der Weg dorthin ist wie eine literarische Route voller Sehenswürdigkeiten. Manche Handlung ist arg weit hergeholt, doch die Persönlichkeiten und das Verhalten seiner Figuren sind immer glaubwürdig und dabei sympathisch. So ist Diane, die tragische Mutter und Ehefrau, zwar ein ausgekochtes Rabenaas, aber eins, das man mögen muss. Guterson erzählt von normalen Menschen, die ihr Bestes geben, um sich durch ihr Leben zu kämpfen. Er bündelt seinen Roman aus einzelnen Erzählsträngen, jeder einzelne in Ruhe auserzählt und am Ende eines jeden Kapitels lakonisch zusammengefasst. Seine bisherigen Romane waren oft getragen von einem elegischen, fast melancholischen Ton. Die Prosa in seinem neuen Roman ist gewohnt gestochen scharf, mit elegisch oder melancholisch ist aber größtenteils Schluss. Er erzählt gewinnend gutmütig, ab und an mit dreckigem Humor gewürzt, absichtlich ins Lächerliche abdriftend. Auch wenn er gelegentlich zwar nicht gerade die Moralkeule schwingt, den mahnenden Zeigefinger hebt er durchaus. Es ist schließlich eine Jahrtausende alte Geschichte, eine von denen, die uns sagen, dass man hingehen und Tabus brechen kann, dass man aber den Folgen von Hybris, übermäßiger Arroganz und lang zurückliegender Sünden nie ausweichen kann.

Ob der rasanten Handlung läuft man oft Gefahr, das Buch schneller zu lesen, als ihm gut tut. Man riskiert dabei, etliche klug versteckte Anspielungen – beispielsweise bei der Namensgebung handelnder Personen oder Erfindungen – zu überlesen. So gönnt der Autor sich einen äußerst geschickten Cameo-Effekt in Gestalt von Ed Kings Privat-Piloten Guido Sternvad. Dieser Pilot geht dem Leser mit seinem nicht enden wollenden Spaß an Anagrammen unsäglich auf die Nerven – bis man dahinter kommt, was ein mögliches Anagramm von Guido Sternvad wäre..Man kann nicht anders, als Guterson für diesen geschickten Schachzug zu bewundern. Ausgerechnet der Wegbereiter, von Ed King auch seine persönliche schwarze Nemesis genannt. Solcher Rätsel durchziehen den Roman wie ein roter Faden und machen, auch gerade weil sie reichlich Allgemeinwissen und Kenntnis klassischer Geschichten voraussetzen, einfach Spaß.

Und der bad sex in fiction award? Zugegeben – Sexszenen sind Gutersons Stärke nicht. Mit etwas bösem Willen ließen sich seine hölzernen Umschreibungen auch direkt auf jedes beliebige zu verrichtende Handwerk übertragen. Aber geschenkt. Die Literatur hat schon weit schlechtere Szenen dieser Art hervorgebracht. Auch wenn der Autor den Leser kurz vorher direkt anspricht. “Also gut, wir nähern uns dem Teil der Geschichte, bei dem wir es dem Leser nicht verübeln können, wenn er gleich bis hierher gesprungen ist” und vermutet, dass es wegen voyeuristischer Neugier auf eine Sexszene zwischen Mutter und Sohn sei – weit gefehlt. Die Erwartungshaltung, mit der man an ein Buch zu diesem Thema herangeht, beinhaltet andere Erregungszustände als ausgerechnet solche sexueller Art. Das Interessante, das Gelungene an Ed King ist, wie er dieses Jedem bekannte Motiv in die Moderne überträgt und die Spannung durchweg hält. Die Frechheit und die Chuzpe, mit der der Autor an das vermeintliche übergroße Thema herangeht, sind das halbe Lesevergnügen. Der Autor kommentierte die zweifelhafte Auszeichnung im übrigen mit der Aussage, Ödipus habe schlechten Sex praktisch erfunden. Er sei also nicht im Mindesten überrascht. Umso überraschter dürften etliche auch seiner treuen Leser dafür über sein gewagtes, aber im Großen und Ganzen gelungenes neues Buch sein.


Genre: Romane
Illustrated by Hoffmann und Campe

Traumziel Buch und wie Sie es erreichen

Setzen sich drei bekannte Namen der Verlagsszene zusammen, um den gefühlt 300. Ratgeber für Autoren zu schreiben, die auf der Suche nach einem Verlag sind, dann darf der interessierte Leser Großes erwarten. Wolfgang Ehrhardt Heinold zählt zum Urgestein des deutschen Verlagswesen und ist als Fachautor durch seine Werke “Bücher und Büchermacher” sowie “Bücher und Buchhändler” einschlägig bekannt. Martin Julius Bock wirkt als Unternehmensberater für Verlage und hat zahlreiche Verlagsverkäufe initiiert und begleitet. Prof. Dr. Peter Lutz ist Verfasser des Standardwerks “Grundriss des Urheberrechts” und als Jurist kompetent in allen Fragen rund um den Verlagsvertrag.

Die drei Autoren verstehen ihr Gemeinschaftswerk “Traumziel Buch und wie Sie es erreichen können” als Workout, das den Autor fit machen will für den Weg vom Manuskript zum eigenen Buch. Ihr Fitnesse-Studio untergliedern sie in 24 Trainingsstunden.

Interessanterweise startet der Parcours nicht mit einer Bestandsaufnahme der Autorenszene in Deutschland oder des Verhältnisses von eingesandten zu veröffentlichten Manuskripten, also dem Vergleich von Traum und Wirklichkeit. Die Autoren unterstellen vielmehr, dass für viele Menschen das Buch ein Traumziel ist, das es zu erreichen gilt. Sie untermauern dies mit einem Abriß der Kinderbuchautorin Heidemarie Brosche, die ihren Traum vom Büchermachen schildert. Sofort danach geht das Trio in die Vollen, damit sich die Türen für den Buchmarkt für diejenigen Leser öffnen, die ein abgeschlossenes Manuskript in Händen halten.

Nach einem Chrashkurs Urheberrecht werden grundlegende Kenntnisse über die unterschiedichen Verlagstypen unter dem Aspekt vermittelt, was ein Autor von ihnen jeweils erwarten kann. Es werden die Unterschiede zwischen Push- und Pull-Marketing und die Werkzeuge des Buchvertriebs dargestellt sowie die Funktionsweise des Buchhandels erläutert. Gewicht wird den vier verlegerischen Hauptgeboten beigemessen: eindeutige Identifizierbarkeit von Unternehmen und Produkt, fehlerlose bibliografische Erfassung, zweifelsfreie Titelkennzeichnung und Teilnahme am buchhändlerischen Verkehr.

Zum Krafttraining bitten die Trainer den Leser, wenn es ums Geld geht. Ausführlich werden die verschiedenen Honorararten von Vorschüssen der Verlage über Druckkostenzuschüsse bis hin zum Selbstverlag dargestellt. Bei letzterem verwenden sie Zahlen aus Werbeprospekten der Libri-Tochter Book on demand, die Autoren u.a. 380 Euro Einnahmen aus Ausschüttungen der VG Wort versprechen. Hier hätte ein wenig Recherche schnell zu anderen Ergebnissen geführt.

Das gilt auch für die Bezugsgröße des Autorenhonorars in Höhe von zehn Prozent auf den um die gesetzliche Mehrwertsteuer bereinigten Ladenpreis eines Buches: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Autoren muss sich mit einem Honorar von sechs bis acht Prozent auf den Netto-Verlagsabgabepreis bescheiden – und der beträgt rund die Hälfte des Ladenpreises. Anspruch und Wirklichkeit sind unterschiedliche Seiten einer Medaille. Doch gerade an seiner Verankerung in der täglichen Realität misst sich letztlich der Wert eines Autoren-Ratgebers für denjenigen, der konkret damit arbeiten will.

Ob sich mit dem in dem Werk vermittelten Wissen tatsächlich die Pforten der Verlage für suchende Autoren öffnen, mag dahingestellt bleiben. Denn im Training wird nicht verraten, in welcher Präsentationsform der Verfasser sein Werk anbieten soll. Es werden weder Exposé, Klappentext noch Leseprobe trainiert, die doch die eigentlichen Türöffner sein sollten, bevor später im Erfolgsfall über Verträge verhandelt wird. Es gibt auch keine Hilfestellung gegeben, wie beispielsweise die richtigen Ansprechpartnern in Verlagen ermittelt werden können.

Konkret zielt die Veröffentlichung damit auf diejenigen, die bereits einen Verlag gefunden haben und mit diesem in konkreten Verhandlungen stehen. Für exakt diese Zielgruppe ist “Traumziel Buch und wie Sie es erreichen”ein hervorragendes Fachbuch, das fundierten Einblick in die Betriebswirtschaft von Verlagen gibt und kundig hilft, Verlags- und Agenturverträge en detail zu verstehen. Man könnte es auch als flüssig geschriebenes Lehrbuch für den angehenden Verlagskaufmann sehen, der dieses Wissen beherrschen sollte.

Aber: Es ist ein Anachronismus, dass dieses Trainingsbuch ein Jahr nach Einführung des Kindle in Deutschland erscheint, ohne die Beeinflussung der Szene durch die epochalen Entwicklungen der letzten Jahre auch nur im Ansatz zu spiegeln. Das Werk reduziert das Thema auf klassische Holzbücher und streift das Elektrobuch lediglich am Rande. Dabei ist absehbar, dass Digital Print nicht nur einholt, sondern sehr bald überholen wird. Schon die spannende Ausgangsfrage, was denn in der Nach-Gutenberg-Ära eigentlich ein Buch ist, wird ignoriert. Auch das vollkommen veränderte Leseverhalten durch die Einführung von iPad und E-Book-Lesegeräten bleibt ausgeblendet, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen vorliegen.

Wir erleben derzeit den beginnenden Umbruch des Marktes, der weitreichende Folgen für alle Beteiligten im Verlagswesen haben wird. In 2011 haben sich immerhin mehr als 10.000 deutschsprachige Autoren entschlossen, ihre Werke direkt und ohne verlegerische Hilfe als Elekrobücher mittels Kindle Desktop Publishing (KDP) heraus zu geben. Autoren wie Jonas Winner haben aus dem Stand heraus Bestseller wie “Berlin Gothic” vorgelegt, von denen ohne einen Cent Werbeeinsatz 58.000 Exemplare verkauft wurden. Winner wurde übrigens inzwischen von Amazon weltweit unter Vertrag genommen, seine Bücher werden künftig auch in gedruckter Form über Amazons hauseigene Verlage erhältlich sein.

Begriffe wie Social Media, Social Communities, Blogs, Facebook, Twitter, LovelyBooks & Co bestimmen heute die Diskussion zwischen Autoren. Heinold, Bock und Lutz erwähnen dies nicht einmal. Damit hinken sie ähnlich wie die meisten deutschen Verlage der Entwicklung hinterher statt sich auf die Seite der Early Adoptors zu schlagen. Dabei findet derzeit ein Paradigmenwechsel ohnegleichen statt, denn das neue Medium ist sehr viel demokatischer und hebt die Gatekeeper-Rolle der Verleger, die ja in erster Linie pekunär und dann erst geschmacklich bestimmt ist, auf. Schließlich wird das Traumziel Buch damit auch sehr viel leichter erreichbar als es in der Gutenberg-Ära möglich war, auf die sich der Ratgeber reduziert.

Schon im Jahre Eins der Kindle-Zeitrechnung zeigte sich, dass die Welt der Bücher durch E-Books umbrochen und neu sortiert wird. Bedrucktes Papier wird zunehmend abgelöst von elektronischen Medien, die über das Internet empfangen werden. E-Paper und E-Books befreien das bislang auf Papier gefangene und in eine Linearität gepresste Wissen. Technik ermöglicht eine dynamische Wissensvermittlung, die zwar nicht völlig kostenlos, jedoch wesentlich preiswerter und vor allem sehr viel ökologischer erfolgt als bisher. Medienwissenschaftler sprechen bereits vom Untergang der durch den Erfinder des Buchdrucks im 15. Jahrhundert begründeten “Gutenberg-Galaxis”.
Wir erleben derzeit die Ära des selbstbestimmten Publizierens. Erstmals in der Geschichte des geschriebenen Wortes gewinnen Autoren: Sie können im Ergebnis der digitalen Revolution zensurfrei am Markt teilnehmen. Aus Bittstellern, die bislang an den Toren der etablierten Verlage kratzen und sich im Erfolgsfall deren geschmacklichen und ökonomischen Vorgaben anpassen mussten, sind über Nacht selbstbewusste Publizisten geworden. Autoren werden zu Herren ihres eigenen Schicksals und erlösen Tantiemen, die ihnen kein klassischer Buchverlag in dieser prozentualen Höhe bietet. Träume werden tatsächlich wahr.

E-Booker benötigen keine Agenten, Lektoren und Verleger. Sie kommen ohne die klassischen Torwächter eines vermeintlichen Zeitgeistes aus. Sie machen ihr eigenes Ding, über dessen späteren Erfolg die Leserschaft entscheidet. Die Stunde der verlagsunabhängigen Indie-Autoren (von independent = unabhängig) hat auch in deutschen Landen geschlagen. Autoren übernehmen von Verlagen einen Teil der Schlüsselgewalt. Einige Kommentatoren prophezeien sogar eine baldige Götterdämmerung der herkömmlichen Verlagswelt.

Was auch immer geschieht: Times are changing … und das sollte sich unbedingt auch in einem Autoren-Ratgeber aus dem Jahre 2012 spiegeln. In dieser Hinsicht hätten sich die Autoren vor der Veröffentlichung besser erst einmal selbst coachen lassen sollen.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Ratgeber
Illustrated by Uschtrin München