Vater, Mutter, Tod

Vater,Mutter,TodEin Vater, der große Schuld auf sich lädt. Eine Mutter, die alles tun würde, um ihren Sohn zurückzubekommen. Ein Junge, der tot in einer Berliner Wohnung liegt. Eine Frau, deren Erinnerungen sie betrügen.  Kommissar Manthey sucht nach den Zusammenhängen. Er will ein Kind retten – um jeden Preis. Und stößt auf einen Abgrund aus Verzweiflung und Wahn.

 

Die Geschichte beginnt damit, dass eine namentlich nicht genannte Frau in eine Berliner Wohnung, in einem runtergekommenen Mehrfamilienhaus zurückkehrt. Dort wohnt Sie gemeinsam mit Ihrem saufenden und aggressiven Ehemann und Ihrem kleinen Sohn. Sie ist sichtlich unglücklich mit Ihrem Leben und möchte am liebsten gar nicht zurück in die Wohnung und zu Ihrem gewalttätigen Mann gehen…!

Nun ist das erste Kapitel des Buches auch schon beendet und es wird von der Ende 30 jährigen Jaqueline erzählt, einer erfolgreiche Architektin, die mit Ihrem Mann, einem erfolgreichen Anwalt und Ihrem kleinen Sohn in einer Berliner Villa wohnt. Sehr schnell wird klar dass mit Jaqueline etwas nicht stimmt denn ihr Leben könnte so schön sein, sie leidet allerdings immer häufiger an unerträglichen Kopfschmerzen und Gedächtnislücken. Sie kann sich plötzlich nicht mehr daran erinnern in welchem Stockwerk ihr Büro liegt und bildet sich ein mit Ihrer Mutter beim Einkaufen gewesen zu sein, obwohl diese bereits seit 2 Jahren tot ist…!

Das ist leider schon alles was ich zu diesem Buch schreiben kann ohne zu viel zu verraten. Selten ist es mir so schwer gefallen eine Rezension zu schreiben denn ohne zu spoilern ist das eigentlich nicht möglich.

Somit beschränke ich mich darauf nur etwas über den Aufbau der Geschichte zu erzählen.

Die Geschichte handelt abwechselnd von der unglücklichen Frau aus dem ersten Kapitel und Jaqueline. Sehr schnell wird alles ziemlich verwirrend und man blickt irgendwie nicht richtig durch…! Allerdings wirkt das nicht abstoßend sondern fesselt und macht richtig neugierig. Man versteht genug um in einen Bann gezogen zu werden und möchte unbedingt wissen wie alles zusammenhängt…! Erschwerend kommt noch hinzu dass die Kapitel quasi alle durcheinander sind und die Geschichte somit nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt wird (ich musste ein wenig an „Pulp Fiction“ denken)!

Das hört sich jetzt alles nach Chaos und völligem Durcheinander an, das ist aber gar nicht so anstrengend wie es sich jetzt vielleicht anhört sondern ist eine ziemlich coole Idee! Kapitel die erst nicht sooo den Sinn ergeben, werden in späteren Kapiteln, wenn man schon mehr Informationen hat, noch einmal aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet und somit schließen sich nach und nach alle Kreise…!

Ich merke selbst dass sich das Buch nach meiner Rezension ziemlich anstrengend anhört und vielleicht den einen oder anderen eher abschreckt aber es deshalb nicht zu lesen wäre defintiv ein Fehler! Ich fand das Buch super und absolut nicht zu anstrengend!

Es handelt sich bei dieser Geschichte um einen sehr komplexen Psychothriller den ich auf jeden Fall sehr empfehlen kann! Das Buch war super, ich konnte es kaum mehr aus der Hand legen und hatte es sehr schnell durch…!

Sorry dass ich zum Inhalt nicht mehr schreiben kann aber es geht wirklich nicht, ich würde die Geschichte kaputtmachen…!

Siegfried Langer wurde 1966 in Memmingen geboren und stand unter anderem als Schauspieler auf der Bühne und vor der Kamera. Nach 18 Jahren in Berlin, kehrte er 2014 in seine Heimatstadt zurück.

 


Genre: Psychothriller
Illustrated by List München

An schönen Tagen wie heute – Momentaufnahmen und bemerkenswerte Vorfälle im Leben und Umfeld eines Gewalttäters

Hermann Markau, An schönen Tagen wie heute

Eine dramatische Familiengeschichte im Deutschland des 20. Jahrhunderts, erschreckend realistisch und immer noch aktuell. Ein Buch, das lange im Kopf bleiben wird.

Joachim wird in der Nachkriegszeit in Schleswig Holstein geboren und erlebt vorerst eine ganz normale Kindheit. Sein Weg führt ihn kurz ins Ruhrgebiet, bevor er mit seinen Eltern Hanna und Dethlef wieder im hohen Norden heimisch wird. Alles klingt idyllisch und wenig spektakulär, nur langsam schlägt die Stimmung des Buches um. Zwischendurch gibt es immer wieder Rückblicke in Hannas vorheriges Leben, zu ihrer grauenvollen und lebensbedrohenden Flucht von Ostpreußen nach Kiel, zu Erlebnissen, die schon beim Lesen schwer zu ertragen sind. Irgendwann holt sie ihre Vergangenheit ein, sie kann ihre Seele nicht mehr vor dem Erlebten verschließen und die Gänsehautmomente nehmen zu. Auch für Joachim wendet sich das Blatt, bis hin zu einem dramatischen und trotzdem ganz leisen Schluss.

Selten habe ich ein Buch gelesen, dass mich so bewegt hat, so anrührend war. Protagonistin Hanna ist erst 17 Jahre alt, als sie ihre Heimat verlässt, ganz allein und immer mit der Angst vor den Russen oder wahlweise den Nazis im Nacken. Unterwegs lernt sie den etwa gleichaltrigen Fritz mitsamt seiner Familie kennen und beide erleben mehr Leid und Tod, als eine Seele verkraften kann. Mehr als einmal war ich beim Lesen entsetzt wegen der Grausamkeiten des Krieges, für mich nur Fiktion, für viele Menschen, die den 2. Weltkrieg miterleben mussten aber harte Realität. Und selbst heute noch, 70 Jahre später müssen Menschen vor Tod und Leid flüchten. Die Gedanken daran machen das Buch umso erschreckender. Die Handlung dieser Geschichte hätte genauso passiert sein können oder kann jederzeit wieder geschehen, eine schlimme Vorstellung.

Der Schriftstil des Autors ist durchgehend der jeweiligen Handlung angepasst, die beschrieben Stimmung überträgt sich sofort auf den Leser, egal ob positiv oder negativ. Die Protagonisten wirken sehr authentisch und echt, es ist kaum möglich, nicht mit ihnen zu leiden oder sich zu freuen (auch wenn diese Momente nur selten sind). Das Leben des kleinen Joachim erklärt sich durch seine Vorgeschichte und v.a. die der Mutter fast von selbst, so dass der Schluss durchaus logisch ist, wenn auch schockierend. Der Vater spielt eine leisere, weniger dramatische Rolle, nichtsdestotrotz eine wichtige. Auch ihn hat der Autor sehr realistisch gezeichnet, seine Unfähigkeit, Stellung zu beziehen, seine beinahe stoische Gleichgültigkeit. Nur selten lässt er Einblicke in seine Gefühlswelt zu.

Durch verschiedene Perspektiven und Zeitsprünge hat der Autor einen guten und interessanten Rhythmus zwischen An- und Entspannung geschaffen, er wechselt immer wieder zwischen Hannas Erlebnissen während des Krieges und die ihrer Familie einige Jahre später.

Gut so, die Schrecken der Flucht lassen sich für den Leser auch nur in kleinen Happen ertragen. Zwischendurch berichtet Joachim wieder aus der Ich-Perspektive, was ihn mir sehr nahe brachte.

Im gesamten Buch ist nicht klar, wer gut oder böse ist, wer schuld an irgendwas hat oder wem Fehler anzukreiden sind. Für mich ein weiterer großer Pluspunkt, weil es der Realität entspricht. Es gibt eben mehr Farben als schwarz und weiß.

Insgesamt wird mir dieses Buch noch lange in Erinnerung bleiben und ich empfehle es unbedingt weiter. Historisch Interessierte können hier zugreifen und auch solche LeserInnen, die für Familiengeschichten zu begeistern sind. Aber v.a möchte es jenen nahelegen, die immer noch nichts aus unserer deutschen Historie gelernt haben. So etwas wie die deutsche Nazi-Diktatur einschließlich all ihrer Folgen darf sich niemals wiederholen und hoffentlich kehrt auch in anderen Ländern wieder Frieden ein. Bis dahin lasst uns an unsere geflüchteten Vorfahren denken, wenn heute Flüchtlinge nach Deutschland kommen und um Hilfe bitten, hätte man sie damals abgewiesen und ihnen nicht geholfen, wären viele von uns heute gar nicht hier.


Genre: Roman

Orange 1

orange

„Liebe Naho“. So beginnt ein Brief an die 16-jährige Naho Takamiya. Soweit nichts Ungewöhnliches – aber der Brief hat es in sich! Denn die Absenderin kennt die Zukunft und gibt Naho Anweisungen, wie sie sich verhalten soll, um eine Katastrophe zu verhindern. Und das Ungewöhnlichste: Die Absenderin behauptet, die zukünftige Naho zu sein. Zuerst hält Naho das alles für einen schlechten Scherz. Dann aber treten die Ereignisse, die der Brief beschreibt, tatsächlich ein. Leider hat Naho schon den wichtigsten Tipp ignoriert: Sie soll sich nicht mit dem neuen Mitschüler Kakeru Naruse einlassen. Genau das macht sie aber und verliebt sich in ihn. Als sie merkt, dass alle Ereignisse des Briefes wahr werden, beschließt sie, die weiteren Tipps nicht mehr zu ignorieren. Und tatsächlich ändert sich ihr Leben und weicht allmählich von den Aussagen des Briefes ab.

Wer kennt sie nicht, die Frage „Was wäre, wenn…?“ Eigentlich gibt es immer Situationen im Leben, die man bereut und bei denen man sich fragt, wie sie verlaufen wären, hätte man im entscheidenden Augenblick anders gehandelt. Diese Frage wird in „Orange“ aufgegriffen und trifft damit den Nerv der Leserin /des Lesers. Man könnte diesen Manga schon fast als Mischung einer fiktiven autobiographischen Alternative History und eines Paralleluniversums sehen, denn man kann als LeserIn beide Entwicklungsstränge, die sich langsam entfalten, parallel verfolgen: den der 16-jährigen und den der 26-jährigen Naho. Der älteren Naho sieht man an, dass sie traumatisiert und mit ihrem Leben nicht wirklich zufrieden ist. Die jüngere dagegen nimmt mithilfe des Briefes ihr Schicksal selbst in die Hand und versucht zu ändern, was sie ändern kann. Und da sieht man im Manga die Liebe zum Detail, denn Takano verschweigt nicht, dass Naho nicht in der Lage ist, alles zu ändern, obwohl sie weiß, was auf sie zukommt, wenn sie es nicht tut. Der Manga ist gut durchdacht und man kann als LeserIn die Reaktionen Nahos gut nachvollziehen und sich mit ihr identifizieren. Und natürlich stellt man sich bei der Lektüre auch für sich selbst die Frage „Was wäre, wenn ich mir einen ebensolchen Brief an mein jüngeres Ich hätte schreiben können?“.

Die Zeichnungen selbst schmiegen sich an das Thema an. Da es vorwiegend um psychologische Vorgänge geht, gibt es kaum Hintergründe. Wenn, dann werden sie akzentuiert eingesetzt. Die Hauptrolle spielen die Mimik und die Gestik, die das Nicht-Gesagte hervorheben und damit das Zwischen-den-Zeilen-Lesen unterstützen.

Als Extra erwartet die Leserin /den Leser eine Karte mit Nahos Konterfei.

Fazit: Der Manga ist definitiv empfehlenswert und ich freue mich auf die Fortsetzung!


Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Eisesgrün

Skandal im beschaulichen Weimar: Kleiner Kriminalfall entwickelt sich zu rasantem Thriller mit Gänsehautgarantie

Wie auch schon im ersten Buch Felix Leibrocks, „Todesblau“, kommt dem Ermittlerduo Sascha Woltmann und Mandy Hoppe eher Eisesgrün, Felix Leibrockunerwartet eine große Aufgabe zu. Sascha, seines Zeichens immer noch unterforderter Streifenpolizist, bekommt eher nebenbei einen Tipp gesteckt, der ihn an ein früheres Verbrechen erinnert. Auch wenn sich dies erstmal als Sackgasse entpuppt, beginnen sich die Ereignisse bald zu überschlagen. Mitten im beschaulichen Weimar finden sich immer mehr sogenannte Hochgräber. Erst mit materiellen Opfern, dann mit solchen, die wenigstens schon länger tot sind. Aber ein guter Krimi wäre kein solcher, wenn es keine Steigerung gäbe…In der spannenden Geschichte verwickeln sich immer mehr Handlungsstränge rasant ineinander, tragische Familiengeschichten wechseln sich ab mit dubiosen Machenschaften der Pharmaindustrie zu DDR-Zeiten, eine geheimnisvolle Sekte treibt ihr Unwesen und mittendrin versucht die Weimarer Polizei, mehreren Morden auf die Spur zu kommen.

Das Buch beginnt nicht sonderlich schockierend, es braucht einige Zeit, um den verschiedenen Handlungen folgen zu können und zu verstehen, welche Rolle sie für den weiteren Verlauf spielen. Ab dem ersten Drittel der Geschichte zieht das Tempo jedoch stetig an, was anfangs eher nach unspektakulärem Kriminalfall aussieht, entpuppt sich zu immer mehr Gänsehautmomenten. Spätestens da hatte mich Felix Leibrock wieder in den Bann seiner Geschichte gezogen, meine Befürchtungen, dass es dieses Mal etwas seichter sein könnte, als in „Todesblau“, verkehrten sich glücklicherweise ins Gegenteil. Insbesondere die Praktiken der Sekte „Axt Satans“ bewirkten ein angenehm-gruseliges Herzklopfen (verbunden mit dem Gefühl der wohligen Sicherheit, die ein heimisches Sofa beim Lesen vermittelt).

Im Vergleich zum ersten Buch ist die Geschichte noch verzwickter und vielschichtiger, die verschiedenen Wege, Verdächtigen und potentiellen Mordmotive noch mehr miteinander verflochten.

Die handelnden Figuren bieten weitere Einblicke in ihr Privatleben und wirken auch in „Eisesgrün“ sehr überzeugend und authentisch. Hier ist es aber noch eher die Handlung, die großartige Steigerung im Verlauf der Geschichte, die mich als Leserin wieder begeistert zurückgelassen hat. Bei einem guten Buch möchte man, dass es schnell zu Ende ist, um den Ausgang zu erfahren. Andererseits will man gerade dies nicht, weil damit auch die fesselnde Lesezeit vorbei ist. Demnach ist „Eisesgrün“ nicht nur ein gutes Buch für mich, sondern ein mitreißendes, es wird kaum möglich sein, mindestens die letzten 100 Seiten nicht in einem Rutsch durchzulesen.

An den Schreibstil hatte ich nach dem Lesen des ersten Bandes hohe Erwartungen, die auch hier in keinster Weise enttäuscht wurden, ebenso ergeht es mir mit der Schlüssigkeit der Handlung. Auch die hervorragende Recherchearbeit des Autors zeigt sich wieder, dieses Mal unter anderem deutlich in medizinischen Belangen. Und ohne zuviel verraten zu wollen: Der Schluss ist logisch und passend, alle losen Fäden finden zum Hauptknoten und die mittlerweile bekannten Figuren würde ich liebend gerne in einem weiteren Buch wiederfinden.

Insgesamt hat mir „Eisesgrün“ noch ein bisschen besser gefallen als „Todesblau“, allerdings nur, weil es etwas blutrünstiger ist und noch eher in den Bereich des Thrillers geht. Kritikpunkte habe ich bei beiden nicht finden können, von mir gibt es eine klare und deutliche Kaufempfehlung für beide. Wenn ich Noten vergeben müsste, wäre „Todesblau“ eine 1 und „Eisesgrün“ eine 1 mit Sternchen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Knaur München

Todesblau

Todesblau, Felix LeibrockEine blaue Kathedrale, ein ehemaliges Kinderheim und zwei Mordopfer. In Verbindung mit reichlich Wortgewandtheit und guter Recherche: Ein überraschend spannendes Lesevergnügen.

Streifenpolizist Sascha Woltman ist gerade mit seiner Familie von Berlin nach Weimar gezogen und erhofft sich, hier zur Kripo wechseln zu können. Nach einem Mord an einer alten Dame wird er tatsächlich ins Ermittlerteam gerufen und trifft hier auf seine alte Schulfreundin Mandy Hoppe. Anfängliche Zwistigkeiten stören die Zusammenarbeit, sind aber Nichts im Vergleich zu den Unstimmigkeiten mit kriecherischen Kollegen und einem sehr karriereorientiertem Chef.

Die Ermittler erkennen schnell, dass die Tote eine ehemalige Erzieherin eines Kinderheims der DDR ist, die nicht gerade zimperlich mit ihren Schützlingen umging. Rache als Mordmotiv steht im Raum, bis das Gespräch auf ein mysteriöses Bild kommt und sich weitere potentielle Motive und damit auch Tatverdächtige dazu gesellen. Nichts scheint zusammen zu passen, heiße Spuren sind ganz schnell wieder kalt und der Druck der Öffentlichkeit wächst. Mehrere Wendungen bringen Spannung und Verwirrung dazu und bis zum Schluss ist nicht klar zu erkennen, wie das Ganze ausgeht.

Dies kurz zum Inhalt, wie immer bei Krimis und Co halte ich mich bei der Inhaltsangabe kurz, um nicht zuviel zu verraten. Und weil ich gerade den Schluss erwähnt habe: Genau der hat mir sehr gut gefallen, eben weil er nicht zu früh offensichtlich und trotzdem logisch war. Ein roter Faden zieht sich durch das gesamte Buch, ab und zu dröselt er sich in einzelne Stränge auf, aber zum Ende hin werden sie alle ordentlich verknotet.

Die Idee zu der Geschichte ist gut durchdacht und mir so vorher noch nicht untergekommen. Sämtliche Themen scheinen sehr gut recherchiert u sein, auf jeden Fall klingen sie für einen Laien wie mich so. Dies hat auch die Figuren sehr authentisch wirken lassen, ein Kunstprofessor zum Beispiel muss natürlich auch als fiktive Figur wissen, wovon er redet. Dies hat Felix Leibrock perfekt umgesetzt. Auch das Ermittlerduo samt Gegenspielern wurde sehr bildlich dargestellt, ich hatte schnell das Gefühl, die Personen zu kennen. Obwohl reichlich (Neben)figuren auftreten, hatte ich nicht das Gefühl, den Überblick zu verlieren.

Sprachlich und stilistisch hat mich das Buch ebenfalls sehr überzeugt. Es liest sich flüssig und angenehm, Fremdwörter werden an den passenden Stellen verwendet und insgesamt lebt die Geschichte durch einen großen Wortschatz und Bildreichtum. Damit sind alle für mich wichtigen Kriterien erfüllt, um ein Buch als perfekt zu empfinden: Schöne Handlung, plausibles Ende, authentische Personen und eine sehr guter Schreibstil.

So sehr ich also auch nachdenke: Ich finde nichts zu meckern, nicht mal Kleinigkeiten, die mir sauer aufgestoßen wären oder die mich gar daran hindern würden, das nächste Buch von Felix Leibrock zu lesen. Das einzig Fragwürdige ist, warum ich erst jetzt auf diesen Autor gestoßen bin 😉

Von mir gibt es demnach eine ganz deutliche Kaufempfehlung. Krimifans wird dieses Buch bestimmt gefallen und auch Leser wie ich, die sich sonst eher im düsteren Thrillersektor zuhause fühlen, sollten hier, zumindest was Idee und Schreibkunst angeht, auf ihre Kosten kommen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Knaur München

Der Keller

KellerMunas Leben ist die Hölle. Und niemand kommt ihr zu Hilfe, denn keiner weiß, dass die Familie Songolis ihr Hausmädchen behandelt wie eine Sklavin. Dabei muss sie sich nicht nur Tag für Tag bis zur Erschöpfung um das Wohl der Songolis kümmern, sondern wird auch noch jede Nacht in einen dunklen, fensterlosen Keller gesperrt. Doch dann kehrt eines Tages der jüngste Sohn der Familie aus unerklärlichen Gründen nicht mehr nach Hause zurück. Damit die ermittelnden Polizeibeamten nichts von Munas Schicksal erfahren, darf sie ihren Keller verlassen. Und diese Chance nutzt sie auch. Denn Muna ist sehr viel klüger, als alle ahnen – und ihre Pläne sind sehr viel schockierender, als irgendjemand jemals vermuten würde…

Muna ist 14 Jahre alt und wurde im Alter von 4 Jahren von der Familie Songolis aus einem afrikanischen Waisenhaus nach England geholt. Man könnte meinen dass die ebenfalls afrikanische Familie Mitleid mit dem schwarzen Mädchen hatte aber das ist nicht der Fall. Muna wurde nämlich nur aus einem Grund nach England geholt, nämlich um den Songolis auf jede nur erdenkliche Art und Weise zu Diensten zu sein. Für die faule Mutter ist sie Putzfrau, Köchin und Prügelknabe, für den Vater ist sie Sexsklavin und die beiden verzogenen Söhne (10 und 15 Jahre), reagieren Ihre sadistischen Triebe an ihr ab und behandeln sie ebenfalls wie Dreck.

Muna verlässt niemals das Haus, muss im Keller schlafen und darf auf keinen Fall die englische Sprache lernen damit sie keine Chance hat ihrem Schicksal zu entkommen…!

Eines Tages verschwindet aber der 15 jährige Sohn der Familie und von diesem Tag geht die Polizei im Haus der Songolis ein und aus. Zwangsläufig verändert sich Munas Leben denn jetzt bekommt sie schicke Kleidung und wird als zurückgebliebene Tochter der Songolis ausgegeben. Das ist Munas Chance aus dieser Hölle zu entkommen denn Muna ist viel schlauer als die Songolis ahnen denn sie hat u.a durch Kinderfernsehen, im Laufe der Jahre doch heimlich die englische Sprache gelernt und versteht es die Familienmitglieder geschickt gegeneinander auszuspielen…!

Das Buch ist schon ziemlich grausam! Zwar werden die krassesten Geschehnisse (der sexuelle Missbrauch) nicht detailliert geschildert sondern nur angedeutet aber die Geschichte ist schon ziemlich brutal und stellenweise sehr blutig.

Nach einer Weile wird ziemlich schnell klar wie Muna vorhat ihren Peinigern zu entkommen und was hinter dem Verschwinden des 15 jährigen Jungen wirklich steckt und die Geschichte wird recht durchschaubar…! Trotzdem ist sie ziemlich fesselnd und spannend und das Ende ist offen, was in diesem Fall aber gut passt…!

Das Buch hat mir gut gefallen, es hat mich zwar nicht umgehauen aber es hat mich gut unterhalten.

Allerdings ist eine solche Geschichte natürlich nicht jedermanns Sache, man muss schon auf solch kranke und grausame Geschichten stehen…!

Bevor Minette Walters Schriftstellerin wurde, arbeitete Sie lange als Redakteurin in London. Seit Ihrem Debüt “Im Eishaus” (1994) zählt sie zu den Lieblingsautoren von Millionen Leserinnen und Lesern in aller Welt. Ihre Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit wichtigen Preisen ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Dorset, England.


Genre: Psychothriller
Illustrated by Goldmann München

Wildrosengeflüster

Alexandara_SchumannAlexandra Schumann, eine Autorin, die mich mit ihrem Werk überrascht hat. Ich kenne sie als eine bezaubernde Person, die strahlend durchs Leben schreitet.

Diese Worte in ihrem Kurzroman haben mich zu tiefst beeindruckt.

Eine alte Frau spürt das näher kommende Ende, sie entschließt sich, für die Nichte noch einmal alles vor sich Revue passieren zu lassen.

Ein letztes Mal schreibt sie eine Geschichte, ihre Geschichte! Sie holt sich leere Blätter und Federhalter, beginnt, jenes zu Papier zu bringen, was sie der Liebsten nie erzählt hat. Die schlechten, grausamen Momente ihres langen Lebens genauso, wie die glücklichen, die voller Zufriedenheit.

So startet ein Roman, den ich mir eigentlich anders vorgestellt habe. Ich dachte an eine Liebesgeschichte, ein Auf und Ab, natürlich mit Happyend. Die Autorin schickt mich in völlig neue Gefilde. Ich gebe betroffen zu, es ist das erste Buch, das ich von ihr las. Es ist bestimmt nicht das Letzte!
Der Buch-Interessierte sollte sich nicht nur vom Cover verführen lassen. Ein Blick in den Klappentext schafft bessere Eindrücke!

Zum Inhalt:
Wildrosengeflüster hat mit seinen 146 angegebenen WildrosengeflüsterSeiten genau die richtige Länge. Erst einmal angefangen kann man nicht mehr aufhören. Die Geschichte zog mich von Anfang an in ihren Bann. Annas Leben beschreibt die Autorin so nah, es kam mir vor, als wäre ich zu jeder Sekunde dabei. Zittern, Schmerzen ertragen sich freuen, die Sorgen spüren. Ich fühlte, als sei ich ein Teil von ihr.
Ich konnte es nicht aus der Hand legen, habe es in vier Stunden geradezu verschlungen.
Danke Alexandra Schumann, für diese Zeit.

Das Buch ist sauber und rund geschrieben. Die Autorin kann den Leser fesseln.
Sie versteht es hervorragend, ihn in die Handlung einzubeziehen. Ich war bei ihr wunderbar aufgehoben.

Zum Cover:
Das erweckt den Eindruck einer Liebesgeschichte vom Feinsten. Es ist für sich betrachtet eines der schönsten, die ich gesehen habe. Für den Text dieses Romans sehe ich nach dem Lesen ein altes Haus am See mit einer von Wildrosen umrankten Tür vor Augen. Das ist aber meckern auf höchstem Niveau.

Fazit: Leseempfehlung pur, von mir fünf Sterne!

 


Genre: Roman
Illustrated by Kindle Edition

Micky Maus 24/25

micky maus

Heft 1: „Spielen oder Spülen“ heißt es für Donald, der gegen einen Schachmeister antreten will. Verliert er, darf er lange Zeit im Hause Donald das Geschirr spülen. „Alles höchst verdächtig“ erscheinen Micky Maus die Aktivitäten in Nachbars Garten. Als er nachforscht, erwartet ihn eine böse Überraschung. „Kampf um die Karten“ heißt es für Donald und seine Neffen beim EM-Eröffnungs- und Rätselratespiel. „Furchtlos wollen sich Tick, Trick und Track den Mädels gegenüber präsentieren. Aber der Schuss geht nach hinten los. „Gefährliche Gäste“ erwarten die Panzerknacker, als diese wieder einmal in Onkel Dagoberts Geldspeicher einbrechen wollen. Gustav Gans hat „Kriminell viel Glück“, als ihn Ganoven verfolgen. „Ein Reicher reicht“ denkt sich Dagobert Duck, als er seine Klone nicht mehr ertragen kann.

Heft 2: Donald „Verduftet“ gern, wenn es um Arbeit geht. Aber diesmal kommt er nicht drumherum: Er muss Schiri spielen im Spiel 1. FC Entenhausen gegen die brutalen Spartak Brutopia. Da kann nur noch der Erfindergeist Daniel Düsentriebs helfen. „Schöner schauen“ heißt es für Donald – in zweierlei Hinsicht. Zum „Autogrammjäger“ mutiert Donald für seine Neffen, denen er ein solches vom FCE versprochen hat. „In der Oper“ ist Fußball unerwünscht: Das muss Donald leidvoll erfahren.

Das MM-Heft 24/25 steht ganz im Zeichen der EM: Zumindest das Sonderheft, das neben Donald’schen Fußballgeschichten ein Interview mit Manuel Neuer, EM-Rekorde, eine Rezension zum EM-Game, einen Spielplan, ein Quiz, die Vorstellung der Stars und Premieren-Teams, sowie Texte und Fotos zu den einzelnen EM-Mannschaften bietet. Die Texte sind einfach und verständlich, damit kindgerecht für Grundschüler gehalten. Die Texte über die Teams bieten neben (recht wenigen) Infos Prognosen, wie für sie die EM laufen könnte. Meinen Sohn (4 Jahre) haben die Texte noch nicht begeistern können (kein Wunder bei dem Alter, aber er wollte sie ja unbedingt vorgelesen haben), dafür umso mehr das Schiri-Set, das als Extra beiliegt. Die roten Karten, der Bleistift und v.a. die Pfeife sind der Renner für ihn: Fouls pfeifen, Karten verteilen und sich Notizen machen – wie die Schiris im Fernsehen. Sohnemann ist derzeit im Fußballfieber, das auch durch diverse Jumpers, Stickeez und Stickers in der Kita grassiert. Da kommen solche Extras natürlich gerade recht.

Das klassische Heft bietet viele Stories außerhalb des Fußballs, die schön zu lesen sind. Außerdem sind wieder Witze, Rätsel, Experimente und Texte über die zweckentfremdete Verwendung von Badewannen und andere Kuriositäten dabei, die den MM-Fan unterhalten, sowie Wissenswertes und leicht Verständliches über die Sommersonnenwende. Der „Entenkicker“ auf der Rückseite bietet amüsante Artikel rund um den Entenhausener Fußball.

Insgesamt zwei gelungene Hefte, die nicht nur Grundschülern Spaß machen.


Genre: Comics
Illustrated by Egmont Ehapa

Der Karussellkönig

derkarussellk_nigDie Geschichte spielt in einem vom Krieg verwüsteten Land, ohne Eltern schlagen sich die Freundinnen Mina und Lili durch ein hartes und entbehrungsreiches Leben, gegenseitig geben sie sich den Halt den sie brauchen, bis die kleine Lili eines Morgens einfach verschwunden ist, wie so viele andere Menschen auch. Aber Mina glaubt nicht daran das Lili einfach so weggegangen sein soll und macht sie auf die Suche nach ihrer Freundin.
Der Karussellkönig habe sie geholt erfährt Mina von einer alten Frau mit weißen Augen. Diese Legende erzählte man kleinen Kindern um ihnen Angst vor der Dunkelheit zu machen.Mina macht sich auf die Suche und findet das Karussell, doch kann sie Lili finden und retten?
Wie bewertet man Poesie? An dieser Frage knabbere ich seit ich das Buch beendet habe, etliche Rezensionsentwürfe habe ich geschrieben und wieder verworfen, meine Worte schienen mir nie angemessen um diese fantastische Verbindung von Text und Illustrationen auch nur annähernd zu beschreiben.
Beziehe ich mich hauptsächlich auf die realen Elemente der Geschichte, die von Krieg und Leid erzählen von verlassenen Kindern die in einer Zeit leben in der es kaum noch Hoffnung gibt und die so viele Parallelen zur heutigen Situation vieler Menschen aufweist? Oder lege ich mein Hauptaugenmerk doch eher, auf das Märchenhafte, auf die Geschichte des Karussells das nur an drei Nächten im Monat unsere Welt berührt und in diesen Nächten lockt ein
Flötenspieler mit seiner Musik die Kinder in seinen Bann um sie nie mehr gehen zulassen?
Man kann die beiden Elemente der Geschichte nicht trennen, das hieße sie zu analysieren und das würde die Gefühle und Stimmung trüben die ich beim Lesen und beim Betrachten der Illustrationen hatte, ich war an vielen Stellen sehr berührt vom Schicksal der Mädchen und ich spürte ich auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft die Mina und Lili in sich trugen.
Die Autorin Fabienne Siegmund, hat einen wunderbaren Schreibstil, mit leisen Tönen führt sie ihre Leser durch die Seiten des Buches und zieht sie in den Bann des Karussellkönig.
Bei einer Graphic Novel dürfen natürlich auch die Illustrationen nicht unerwähnt bleiben. Eins vorweg, ich habe von Kunst keine Ahnung, aber die Bilder von Tatjana Kirsten gehören zur Geschichte sind untrennbar mit ihr verbunden und nebenbei bemerkt, wunderschön.
Ebenso gut gefällt mir die Covergestaltung von Thilo Corzilius, die dem Satz:
„Und bald schon gelangt sie an ein Karussell, das aus purem Mondlicht gegossen scheint und Schrecken und Hoffnung in sich vereint…“
Leben einhaucht.
Ncht zu vergessen, Katrin Minert die die Innenseiten des Umschlags gestaltete, allein damit kann man sich sehr lange beschäftigen und entdeckt immer wieder etwas Neues.
Ich vergebe aus tiefstem Herzen eine Leseempfehlung, lasst euch in den Bann des Karussellkönigs ziehen.

Genre: Graphic Novel
Illustrated by Torsten Low

Empfindliche Wahrheit (A Delicate Truth)

“Diese Herren da oben sind ausgezeichnete britische Gentlemen.
Aber ich versichere Ihnen, sie werden Sie, ohne mit der Wimper zu zucken, töten.”

Zitat aus “Le Silencieux” (Claude Pinoteau, Frkr. 1973; dt. “Ich – Die Nr. 1”)Empfindliche Wahrheit

In der britischen Kolonie Gibraltar findet eine streng geheime Anti-Terror-Operation statt: Ein islamistischer Waffenkäufer soll entführt werden. Die Drahtzieher: Fergus Quinn, ein hochrangiges Regierungsmitglied, und Jay Crispin, Chef einer internationalen Sicherheitsfirma. Toby Bell, ein Mitarbeiter Quinns, stolpert über die geheime Aktion. Irgendetwas ist an der Sache faul und soll vertuscht werden. Seine Nachforschungen bringen ihn in eine gefährliche Lage. Toby muss sich zwischen seinem Gewissen und der Verpflichtung gegenüber dem britischen Geheimdienst entscheiden. [Klappentext]

 

Nach dem Lesen dieses Romans bleibt die beklemmende Erkenntnis beim Leser zurück, dass das Fundament von überlegenem Recht und höherstehender Moral, auf das wir den Anspruch gründen, als sogenannter “Westen” besser zu sein, nicht mehr existent ist.
Diese Botschaft ist in John le Carrés Werk zwar nicht neu, sie wird vielmehr bereits in seinem frühen Meisterwerk “Der Spion, der aus der Kälte kam” vermittelt – doch lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass mit dem Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 eine neue Dimension erreicht wurde.
Man stellt sich systematisch über jegliches internationale Recht und scheut auch nicht davor zurück, das eigene Rechtssystem auszuhöhlen – dies alles begünstigt durch den rasanten Fortschritt in der Digitalisierung der Welt und die darin veranlagten Möglichkeiten im Zeitalter zunehmender Vernetzung.
Le Carré lässt keinen Zweifel an dessen Gefahren, wenn seine Protagonisten schließlich zu analogen Mitteln greifen (müssen), um der Allgegenwart eines Überwachungsstaates und dessen Zugriffsmöglichkeiten zu entgehen: Tonbänder, Briefe, persönliche Treffen (vorzugsweise auf dem Lande außerhalb des bekanntermaßen flächendeckend videoüberwachten Londons) – “nur nichts elektronisches”.

Die Einwohner der westeuropäischen Länder und der USA sind schon lange nicht mehr sicher vor Übergriffen ihrer eigenen Staatsorgane.
Wir müssen die Bedrohung unserer Freiheit nicht mehr nur im Ausland oder in Terroristenkreisen suchen. Sie trägt kein fremdes Gesicht. Sie geht von Amtsträgern aus, von Personen, die für gewöhnlich gesteigertes Vertrauen der Bevölkerung für sich in Anspruch nehmen dürfen.
Es ist eine fatale Entwicklung, dass unbescholtene Bürger eines demokratisch geführten Landes nun befürchten müssen, gerade von denjenigen, welche sie zu beschützen vorgeben und dazu aufgrund ihrer Funktion auch verpflichtet sind, bespitzelt, verschleppt oder gefoltert zu werden. Und selbst für politische Morde müssen wir den Blick nicht mehr in die Ferne schweifen lassen; sie können auch vor der eigenen Haustür geschehen, wie le Carré uns vor Augen führt.
Doch wenn wir “Sicherheit” nur zu diesem Preis haben können, dann ist er zu hoch – denn er bedeutet im Ergebnis nichts anderes als einen bloßen Austausch der Täterschaft: Für das Opfer ist es schließlich völlig unerheblich, ob es im Auftrag einer Terrororganisation oder eines Staates entführt oder gar getötet wird.

John le Carrés jüngster Roman ist ein Werk, dem man die Wut des Autors anmerkt – und das darum umso authentischer wirkt und einen Anstoß zu einer Debatte liefern könnte, die in der notwendigen Intensität erst noch geführt werden muss – denn ein “Aufwachen” der Bevölkerung, welches die unabdingbare Voraussetzung hierfür wäre, ist bislang ausgeblieben.

Mit Toby Bell und Christopher “Kit” Probyn – der eine am Anfang seiner Karriere als Beamter im britischen Außenministerium, der andere am Ende derselben – hat le Carré einmal mehr zwei Durchschnittsmenschen zu Protagonisten der Handlung erhoben.
Wie einst George Smiley üben sie den Beruf des Beamten im Dienste ihrer Majestät trotz bisweilen aufkommender Zweifel mit Überzeugung aus (Probyn wähnt sich auf Gibraltar für einen Augenblick gar – voller Stolz, seinem Lande einen Dienst erweisen zu können – in der Tradition von Größen des Empire wie Horatio Nelson) – nur sehen sie ihre Position neuerdings infrage gestellt.
Optimierung lautet das Zauberwort, und dies bedeutet dem Zeitgeist entsprechend Privatisierung auch solcher Tätigkeiten, welche bis dato selbstverständlich von staatlichen Stellen ausgeübt wurden und die aufgrund ihrer besonderen Sensibilität auch in keinen anderen Händen als denjenigen demokratisch legitimierter Institutionen liegen sollten.
“A Delicate Truth” verweist hier vor allem auf das Problem der Beauftragung privater Militärdienstleister zur Durchführung von Operationen, welche ansonsten von Einheiten der regulären Streitkräfte wahrgenommen würden. Besonders heikel wird diese Vorgehensweise dann, wenn die Dienstleister ihrerseits von politischen Lobbys getragen werden. So wird das Unternehmen Ethical Outcomes im Roman von christlich-konservativen Fundamentalisten US-amerikanischer Herkunft kontrolliert.

Am Beispiel von Sir Christopher Probyn wird die Geschichte eines alternden Mannes erzählt, welcher sich in dieser veränderten Welt der Außenpolitik nicht mehr zurecht findet:
Er handelt strikt nach den Regeln der politischen Institutionen, wie er sie einst gelernt hat – auch dann noch, als er längst hinreichend Anlass hat, an deren Integrität zu zweifeln – und fordert gleiches von seinem jungen Mitstreiter Toby Bell. Dabei entgeht ihm allerdings, dass eben diese Regeln gerade bei denjenigen, welche von ihren Untergebenen deren strikte Einhaltung einfordern, bestenfalls noch den Rang unverbindlicher Leitsätze einnehmen, die je nach Bedarf unterlaufen werden.
Kit Probyns Entfremdung verdeutlicht sich auch an seinen Begegnungen mit der veränderten Umwelt: Er liefert eine handschriftliche Démarche bei einer Behörde ab, die am liebsten keine mehr wäre, deren Leiter nicht mehr als “Staatssekretär”, sondern als “Geschäftsführender Direktor” bezeichnet wird, deren Personalabteilung zwischenzeitlich die zynische Bezeichnung “Human Ressources” erhalten hat und deren Mitarbeiter – eine ironische Fußnote zu demjenigen Attribut, welches in der Klischeevorstellung eines britischen Beamten niemals fehlen darf – sich selbst das Pfeiferauchen abgewöhnen mussten.
Es entsteht ein Bild allgegenwärtiger Entmenschlichung und Kälte.
Die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen gegenüber dem behördlichen Handeln sind – paradoxerweise im Namen effektiver Verteidigung gerade des Rechtsstaates – einer gewillkürten Erosion ausgesetzt, die sich eben erst im Anfangsstadium befindet.
Korrespondierend wird eine Geheimjustiz mit Gerichtsverhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und mit eingeschränkten prozessualen Rechten der Angeklagten aufgebaut.

Ein Mensch, dem demokratische Werte wirklich etwas bedeuten, muss an dieser Entwicklung notwendigerweise verzweifeln. Und so wird Kit Probyn am Ende als mehr oder minder gebrochener Mann auf die Trümmer eines Rechtsstaates blicken, an den er einmal geglaubt und dem er sein Berufsleben aus vollem Herzen gewidmet hat.
Wer Recht sucht und sich eine Minimalchance zu dessen Durchsetzung erhofft, muss den Weg an die Öffentlichkeit beschreiten, zum Whistleblower werden – etwas, zu dem sich Kit Probyn nicht bereitfinden kann, da er dafür Verrat begehen und somit einen Weg beschreiten müsste, der für ihn als treuen Diener ihrer Majestät schon aus Gründen der Ehre nicht gangbar ist.
Letztendlich obliegt es dem jüngeren Toby Bell, diesen Weg einzuschlagen – dem es zwar nicht unbedingt leichter fällt, der sich aber weniger durch Tradition und Ehre gebunden fühlt.

John le Carré, selbst zwischen 1958 und 1964 für die britischen Geheimdienste MI5 und MI6 tätig, bezeichnete den Roman in einem Interview mit dem Daily Telegraph als seinen autobiographischsten seit langem. Toby Bell sei “der ungefähr dreißigjährige aufgehende Stern im Außenministerium Ihrer Majestät, […] der eifrige und ehrgeizige Bursche, mit dem ich liebäugle, in seinem Alter ebenso gewesen zu sein.” Wohingegen Sir Christopher (“Kit”) Probyn “ein ziviler Bediensteter des Außenministeriums im Ruhestand ist, der im ländlichen Cornwall lebt,” wo auch der Autor seit mehr als 40 Jahren seinen Wohnsitz hat, “in einem Haus auf dem Gipfel eines Kliffs außerhalb von St. Buryan, nahe Land´s End.” (Jon Stock, “John le Carré gets personal for new novel”, The Daily Telegraph, April 5th 2013).

“A Delicate Truth” ist einer der bemerkenswertesten Thriller der vergangenen Jahre, welcher die brennendsten – und dennoch für viele in ihrem Gesamtausmaß unbekanntesten – Bedrohungen für Freiheit und Demokratie unserer Zeit verhandelt.
In der Nebenhandlung werden zudem kritische Schlaglichter auf die Politik von New Labour, infolge derer Großbritannien sich endgültig und sogar aus freiem Willen zum bloßen Verrichtungsgehilfen der USA herabgestuft hat, die Welt der Investmentbanken auf Canary Wharf und das desolate britische Gesundheitswesen geworfen.
Die Massenüberwachung spielt in dem Roman zwar nur eine untergeordnete Rolle, ihre Existenz wird aber gleichsam vorausgesetzt, ist allgegenwärtig und stets spürbar. Es kann nach der Lektüre keinerlei Zweifel daran bestehen, dass das Monster, welches da vorgeblich zu unserer Sicherheit erschaffen wurde, eines Tages uns selbst fressen wird.
Wir sollten also damit beginnen, uns Sorgen zu machen und mehr Misstrauen zu zeigen – es ist hoch an der Zeit! -, anstatt uns fortdauernd hinter dem Feigenblatt zu verstecken, wer nichts zu verbergen habe, brauche sich auch nicht zu fürchten.
Bemerkenswert: “A Delicate Truth” erschien im Frühjahr 2013 und somit gleichsam als Ouvertüre zu den niederschmetternden Enthüllungen Edward Snowdens im Sommer des nämlichen Jahres.
Dort noch in der Fiktion, hier schon in der Realität: Ein Whistleblower, dessen weiteres Schicksal im Dunkeln bleibt.


Genre: Thriller
Illustrated by Ullstein Berlin

Battle Angel Alita: Mars Chronicle 1

battle angel alita mars

Der Mars in ferner Zukunft: Um eine Atmosphäre wie auf der Erde zu schaffen, ist der Mars mit einem riesigen Baldachin versehen worden, der auf ebenso riesigen Stützen steht. Der Bereich unter dem Baldachin ist in verschiedene Zonen unterteilt. Allerdings erschüttert gerade ein Krieg den Mars, in welchem sich die Warlords zerfleischen. Darunter leidet besonders die Bevölkerung, denn das Militär der gegnerischen Parteien nimmt keinerlei Rücksicht auf Zivilisten. Das Mädchen Erika ist eine Kriegswaise, die von einem mobilen Arzt aufgelesen und zusammen mit dem Cyborg-Mädchen Yoko in ein Waisenheim gebracht worden ist. Yoko, nur zu 20 % Mensch, muss erst lernen, mit ihrem derzeitigen Maschinenkörper zurecht zu kommen. Da ist es auch nicht gerade hilfreich, dass die anderen Mädchen des Waisenhauses Yoko mobben. Erika hält zu ihr. Die Anführerin Ninon will Erika als ihre Dienerin, aber nur unter der Bedingung, dass Erika sich von Yoko lossagt. Um Erika für sich zu gewinnen, lädt Ninon die beiden Mädchen in ihr geheimes Versteck ein. Dort werden sie vom Militär überrascht, das kaltblütig nacheinander alle Mädchen bis auf Erika und Yoko tötet. Erika und Yoko können fliehen und werden wieder vom mobilen Arzt aufgenommen. Allerdings bricht durch die Rücksichtslosigkeit der Militärs der Baldachin an einer Stelle und die tödliche Atmosphäre bringt alle Flüchtlinge um – außer die drei, die in ihrem Bus überleben. Aber wie lange noch?

„Battle Angel Alita“ (Science Fiction, Cyberpunk) ist einer der Manga-Klassiker, der es in Deutschland schon Ende der 90er in die Comic-Läden geschafft hat. Damals noch in aufgeblasener, überteuerter Ausgabe mit nur ca. 40 Seiten – aber was tut (und kauft) man nicht alles als Fan, um in dem damals noch manga-unterentwickelten Land an seinen Lesestoff zu kommen. Bisher sind „Battle Angel Alita“ und „Battle Angel Alita: Last Order“ (quasi ein Alternativende zur ersten Serie) erschienen. „Battle Angel Alita: Mars Chronicle“ knüpft an „Last Order“ an. Die Serie ist nicht umsonst erst ab 16 Jahren freigegeben, denn die Grausamkeiten des Krieges und der apokalyptischen Welt, in der Alita lebt, werden nicht ausgespart. Und man wird als LeserIn an die aktuelle Flüchtlingslage erinnert, wenn man die Kapitel über die Kriegsverheerungen und Flüchtlingsströme liest. Gerade die gefühllose Tötung der Kinder (obwohl auch diese durch den Krieg anfangen zu verrohen), gehen einem nahe. Die Zeichnungen unterstreichen die Geschichte sehr gut, haben detaillierte Hintergründe oder auch nicht, je nach Situation, die herausgestellt werden soll, und zeigen die Dynamik, für die gerade Action-Mangas berühmt sind. Einziges Manko: Dass sich Ninon plötzlich zu einem netten Mädchen wandelt, nimmt man ihr nicht ab. Der Chara wirkt in der Kürze der Zeit, in der er vorgestellt worden ist, sehr unausgegoren. Da stellt sich der LeserIn die Frage, ob Ninon, wenn sie überlebt und tatsächlich später als Mensch adliger Herkunft eine Königin geworden wäre, eine gute Anführerin hätte werden können oder ob ihr Tod einiges an zusätzlichem Leid erspart hat.

Insgesamt eine spannende Geschichte für SF-Fans, die starke Frauen in lebensfeindlicher Umgebung zeigt. Nicht umsonst ein Klassiker. Wer solche Mangas mit starken Frauen in feindlicher Welt mag, dem sei noch „Sarah“ von Katsuhiro Otomo und Takumi Nagayasu ans Herz gelegt. Leider gibt es Letzteren nur noch gebraucht und unabgeschlossen.


Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Seelensühne von Eva Lirot

Inhalt:seelen
Die weiße Lilie, eine Gruppe engagierter Studenten prangert die Missstände der Welt an, die Profitgier der Oberen, die ohne Rücksicht auf Einzelschicksale immer mehr Geld scheffeln. Sie entführen Menschen, die sie für verantwortlich halten am traurigen Schicksal der Opfer der Profitgier wurden.
Mit starken Bildern wollen sie darauf aufmerksam machen, das Menschen zerbrechen wenn sie keine Arbeit haben oder immer in der Angst leben auf der Straße zu landen. Aber einer von ihnen macht eine schreckliche Entwicklung durch und verliert die Kontrolle über sich und seine Taten, er richtet die Opfer seiner Entführung hin.
Als die erste Leiche ohne Kopf gefunden wird, kommen auch Jim Devcon und sein Team an ihre Grenzen und sie ahnen noch nicht, wie weit sie noch in den Fall involviert werden.
Meine Meinung:
Liest man den Klappentext, erwartet man einen blutigen Thriller und keine Angst den bekommt man auch. Enthauptete Leichen sind kein schöner Anblick und die Opfer hatten sicherlich einen schrecklichen Tod, aber Seelensühne ist viel mehr als nur ein Thriller, viel mehr als nur die Jagt nach einer Tätergruppe, die von einem Psychopathen angeführt wird.
Eva Lirot hat mir vor Augen geführt, wie schnell man absteigen kann in unserer Gesellschaft und wie tief, das den einen oder anderen treffen kann, so tief das er seelisch und auch körperlich daran zerbricht.
Das Schicksal dieser Menschen ist meiner Meinung nach, der wahre Horror in diesem Buch.
Natürlich ist auch die Suche nach den Tätern spannend, die Protagonisten sind hervorragend beschrieben, nicht nur das Team um Jim Devcon die mir aus den vorhergehenden Bücher schon gut bekannt sind, auch die Täter konnte ich mir gut vorstellen, allen voran Hendrik, den Kopf der weißen Lilie, der seine Ansichten für die einzige Wahrheit hält und tatsächlich glaubt mit seinen Taten die Welt ändern zu können, er geht soweit in den sozialen Medien abstimmen zu lassen ob seine Opfer leben oder sterben.
Eva Lirot nimmt ihre Leser mit in die tiefen des Internets, ins Dark Net, da wo die abscheulichsten Verbrechen anonym geplant werden können und sie zeigt auf wie ermüdend Polizeiarbeit ist, wenn die Kriminellen keine Spuren hinterlassen.
In zwei Abschnitten werden kurz Opfer vorgestellt, die Autorin beschreibt wie die Menschen zu Opfern wurden, was sie vor und nach dem einschneidensten Erlebnis ihres Lebens durchmachten. Mehr verrate ich dazu allerdings nicht, es handelt sich aber um sehr wichtige Abschnitte, die mich wirklich berührt haben.
Seelensühne ist meiner Meinung nach der emotionalste Krimi aus der Jim Devcon Reihe, emotional ohne kitschig zu sein.

Illustrated by CreateSpace Independent Publishing Platform

LTB 481: Elf Enten müsst ihr sein

ltb 481ltb481__sterreich_mitst_rer_3

12 Geschichten beinhaltet das LTB mit einem deutschen und einem österreichischen Cover, das auf die EM 2016 Lust machen will. Schade nur, dass in nur drei der Geschichten der Fußball ein zentrales Thema ist: „Elf Enten müsst ihr sein!“, „Die Schreck-Schraube“ und „Mit viel Gefühl“. „Elf Enten müsst ihr sein!“ heißt es so schön mannschaftlich, allerdings geht es v.a. um eine Ente, nämlich Hermann Hattrick. Der ist zwar so breit wie tumb, dafür aber ein genialer Fußballer – allerdings nur, wenn er sein Maskottchen dabei hat. Ersatzballjunge Donald muss dem mangelnden Selbstbewusstsein des Torgenies auf die Sprünge helfen, sonst verliert der FC Entenhausen alle wichtigen Spiele. „Die Schreck-Schraube“ treibt Rudi Ross in den Wahnsinn: Ausgerechnet beim Supercupspiel ruft Klarabella an und braucht unbedingt jetzt eine neue Schraube für ihren defekten Wäscheständer. Rudi eilt schnell zum Baumarkt – und endet in einer Odyssee. „Mit viel Gefühl“ sind sogar Fußballfans dabei, wenn es um ihren Sport geht. Selbst wenn Fußballhasserin Daisy das gar nicht nachvollziehen kann. Ihr Donald könnte sich nämlich mehr um sie als um das runde Leder kümmern. Nach einem Streit eskaliert die Sache und die beiden reden nicht mehr miteinander. Dann aber erhält Daisy einen Auftrag von ihrer Firma, bei der es um Leben und Tod geht: Wenn sie nicht innerhalb eines Tages alle Fußballregeln drauf hat, springt die wichtigste Kundin ab.

Eins muss man den drei Fußballgeschichten lassen: Sie decken so ziemlich alle Felder ab. Es geht um die Fußballspieler selbst, um die Fans und um die Beziehungen der Fans zum Fußball und zu ihren Frauen. Allerdings werden da auch viele Klischees bemüht, denn natürlich mögen alle Frauen keinen Fußball, dafür umso mehr Klamotten und Mode. Alle Männer sind fußballverrückt und stellen das runde Leder fast noch über ihre Partnerin. Dass dem gottseidank nicht so ist, beweist die Realität, denn sonst gäbe es keine Fußballerinnen (wo bleibt da bitte ein LTB zur Frauen-WM oder EM?) oder Männer, die sich, wie in den USA, eher für Football oder Basketball interessieren.

Die in großer Mehrheit vorhandenen Nicht-Fußballgeschichten decken ein breites Spektrum ab: eine Karikatur von Hollywood alias „Hollyholz“, schreibende und sonstige Helden, eine Zeitmaschine in die 50er, getarnt als Themenpark („Zurück in die Zukunft“ lässt grüßen), einen Garten Eden für alle Dagobert Ducks, Privat-Detektive, die gern mal mit einem Auftrag groß rauskommen würden (und das nebenbei während eines kleinen auch tun, nur merken sie’s nicht), ein Vortrag über Katastrophen, garniert mit Dussel, ein Lachomat, der gar nicht zum Lachen ist, und ungewollte Romanzen mit heiklen Geschäftsabschlüssen.

Alles in allem ein Rundum-Sorglospaket, denn die abwechslungsreichen Storys bereiten großen wie kleinen LeserInnen einen heiteren Feierabend. Weniger Klischees dürften es dann aber doch sein. Wer noch mehr Fußballgeschichten rund um Entenhausen lesen will: Im LTB Extra Nr. 4 “Und wir holen den Pokal!” dreht sich alles um das Runde, das ins Eckige soll.


Illustrated by Egmont Ehapa

30 Jahre Wendy

wendy

Zum 30-jährigen Jubiläum hat Egmont Ehapa eine Wendy-Jubiläumsausgabe herausgegeben. Die Ausgabe wartet mit sechs hübschen Pferdepostern auf, darin enthalten eins, das Wendys Welt zeigt, sowie einem Extra, das an die Tamagochis der 90er erinnert: Die Spielerin kann zwischen 99 Tierbabys wählen und eines aufziehen. Dazu muss sie sich regelmäßig um das Tier und seine Bedürfnisse kümmern. Meine Meinung dazu ist zwiegespalten: Einerseits ist das sicher besser als ein echtes Haustier, an dem man früher oder später das Interesse verliert und das dann in einer Kinderzimmerecke dahinvegetiert und leidet, weil sich keiner mehr richtig um es kümmern will. Als Probe vor der Anschaffung eines echten Tieres wäre so ein Tamagochi evtl. geeignet. Auch für Nostalgiefans bestimmt nett, da das Tierbaby die typische alte Pixelung hat. Andererseits ist das Kind an das Digi-Tier gebunden, egal, was es gerade machen will/muss. Das könnte zur Sucht ausarten (und außerdem die Umgebung/Eltern mitterrorisieren). Und es gibt mit Handy, PC, Fernsehen usw. genug, um Kinder (und Erwachsene) von der Realität abzulenken. In Maßen genossen und kritisch damit umgegangen ist das alles sicherlich was Nettes und zuweilen Hilfreiches, aber momentan steckt die Gesellschaft bzgl. Digitalisierung noch in den Kinderschuhen. (Ich sehe mit Schaudern all die Handy-Zombies, die kaum noch das Handy aus der Hand legen können/wollen, und sowas muss man nicht unbedingt fördern, auch nicht mit der Neuauflage eines (Terror-)Tamagochis.)

Als weiteres Extra gratulieren Promis wie Rebecca Mir oder Helen Langehanenberg dem Magazin. Beim Durchlesen der Texte fragt man sich allerdings bei Lina Larissa Strahl, ob sie wirklich mit Wendy und Pferden viel am Hut hat. Der Text klingt eher nicht so. Für einen Oh-Effekt sorgen die Infos darüber, dass z.B. mit allen Wendy-Magazinen die Erde komplett bedeckt werden könnte. Das sind Infos, die zwar nicht unbedingt nötig, aber nett zu lesen sind. Etwas mehr Infos hätte ich mir dagegen über ein soziales Projekt gewünscht, das im Heft vorgestellt wird: Die Pferdeklappe hätte mehr Platz verdient als bloß unten auf der Seite nach einer Buch- und CD-Besprechung das Schlusslicht zu bilden. Als weiteres Extra wird You-Tube-Star Mia (11) von „Mias Welt“ vorgestellt und nebenbei bestimmte Begriffe bzgl. Videos erklärt. Ihr widmet Wendy eine ganze Seite, und durch ihr Alter und ihre Pferdebegeisterung spricht sie wohl die Zielgruppe der Sieben- bis Elfjährigen direkt an. Auf der Internetseite des Magazins gibt es noch viele weitere Extras wie ein Wendy-Expertenquiz, weitere Comics oder einen Charaktertest. Als Pferde werden diesmal zwei Gegensätze vorgestellt: Die Wasser liebenden Carmague-Pferde und die in der Wüste lebenden Namib-Pferde. Schon dieser Kontrast macht neugierig auf die Texte. Diese sind einfach gehalten und vermitteln die wichtigsten Infos im Einklang mit vielen Fotos. Schön auch der Artikel zu den Pferdekunststücken, der erklärt, dass die Dressur und viele Kunststücke auf natürlichen Bewegungen des Pferdes beruhen. Auch hier sind die Texte einfach, informativ und interessant gehalten. Bei der Rubrik „Wahre Geschichte“ zu wahren Begebenheiten, die neu im Heft ist, werden außergewöhnliche Geschichten von Leserinnen vorgestellt. Auch das liest sich gut.

Der Wendy-Comic basiert für meinen Geschmack zu sehr auf dem Gut-Böse-Schema: Vanessa ist die dumme Zicke und Wendy das liebe, reife Mädchen, das sogar noch für die Zicke ein gutes Wort hat. Wendy ist damit zwar ein Vorbild, aber ein recht realitätsfernes, denn nicht einmal Erwachsene verhalten sich so reif. Die Fotostory ist diesbezüglich etwas differenzierter: Die „böse“ Reiterin dort hat eine Hintergrundgeschichte, die ihr Verhalten verständlich macht und für deren Verhalten es eine Lösung gibt. Auch gut: Andere Reiterinnen sind bereit, hinter die Fassade zu blicken (und nicht gleich zu verurteilen), um sich ein realistisches Bild von einem Menschen machen zu können.

Das Gewinnspiel verspricht eine Woche Reiterferien wie auf dem Wendy-Hof. Für Leserinnen sicher eine schöne Sache.

Insgesamt ein schönes Heft. Es gibt zwar Makel, aber die sind behebbar. Was ich mir als ehemalige Leserin allerdings noch im Heft selbst gewünscht hätte: eine interessante Aufbereitung der 30-jährigen Geschichte von „Wendy“.

Anbei die Presseerklärung von Egmont Ehapa zum Jubiläumsheft:

Egmont Ehapa feiert das “Wendy”-Jubiläum: Am 3. Juni wird das erste
und zugleich erfolgreichste Pferdemagazin Deutschlands 30 Jahre alt!
“Wendy” legte 1986 den Grundstein für das Genre der
Pferdezeitschriften im Mädchensegment und begeistert seit
Generationen zahlreiche sieben- bis elfjährige Leserinnen.

Wichtigster Bestandteil des Magazins war und ist die Vermittlung von
Grundlagenwissen über Pferde. Daneben finden die Leserinnen im Heft
auch tolle Reportagen über Haustiere und vor allem die realitätsnahen
Fotostorys sind sehr beliebt. Mit lustigen Spiel- und Spaßseiten
sowie tollen Postern und einem großartigen Extra aus der Pferdewelt
dreht sich bei Deutschlands beliebtestem Pferdemagazin “Wendy” nach
wie vor alles um das liebste Hobby der Mädchen.

Ehapa veranstaltet im Rahmen des Jubiläumsmagazins einen aufregenden
Traumpferd-Contest und schenkt allen Lesern außerdem als Heftextra
ein digitales Haustier! Daneben überrascht das Magazin mit
zahlreichen spannenden Geschichten aus 30 Jahren “Wendy” und erfreut
sich auch prominenter Glückwünsche.

In 30 Jahren stellte “Wendy” so einige Rekorde auf: So gelangt man
mit allen bisher erschienenen “Wendy”-Magazinen übereinandergestapelt
bis Mond und sogar wieder zurück. Außerdem ließe sich mit allen
gedruckten Seiten der “Wendy” die Erdoberfläche einmal komplett
verhüllen – Christo lässt grüßen!

“Wendy” erscheint mit einer Auflage von 90.000 alle drei Wochen und
ist im Handel zu einem Preis von 3,50EUR erhältlich.“

 


Illustrated by Egmont Ehapa