„Die gruseligsten Orte in München“ betitelt der Gmeiner Verlag eine Anthologie mit Schauergeschichten über die bayerische Hauptstadt. Der unbedarfte Rezensent preußischer Provenienz vermutet eine „Third Reich Tour“ und einen Besuch jener Keller, in denen brauner Geist die Hirne vernebelte. Er denkt vielleicht auch an einen Besuch in der CSU-Parteizentrale, doch das Buch beleuchtet München finstere Seiten weniger politisch als historisch.
Zwölf Autoren, die allesamt ihr Handwerk beherrschen und die Lektüre damit zum Vergnügen machen, sind in dem Geschichtenband „Die gruseligsten Orte in München“ vertreten. Lutz Kreutzer, Herausgeber der Anthologie, reist in der einleitenden Geschichte in die keltische Frühgeschichte der Gegend um die bayerische Metropole.
Kreutzer erzählt von der Legende um den Kometeneinschlag im Chiemgau. Spannend schildert er, wie sich Überlebende nach dem Auftreffen des riesenhaften Kometen aufraffen, um gegen Plünderer und Streuner zu kämpfen. Nach dem Sieg verbrennen sie ihre Fressfeinde in einem „Wicker“, einer großformatigen Skulptur aus Weidengeflecht in Menschengestalt, und opfern sie Taranis, dem Gott des Himmels, des Wetters und des Donners. So wurde der historische Acker bestellt, auf dem München wuchs.
Oliver Pötzsch, bekannt durch seine Romane um die Henkerdynastie in Schongau und andere historische Romane, schildert eine dramatische Geschichte aus dem 15. Jahrhundert. Sie spielt im Milieu der Henker, Huren und Hebammen rund um das Münchener Scharfrichterhaus, das Fausttürmchen und das Frauenhaus.
Ingeborg Struckmeyer erzählt die tragische Geschichte einer Hexenverbrennung auf dem Münchner Marktplatz. Angelehnt an einen Bericht, nach dem 1590 vier Frauen in München als angebliche Hexen hingerichtet wurden, verknüpft sie das Thema geschickt mit Überlegungen, ob das rituelle „Hexenbrennen“ zur Walpurgisnacht noch zeitgemäß ist.
Manuela Obermeier packt ihre Leser mit einer schaurigen Geschichte um den Türmer der Kirche Sankt Peter, eines der Wahrzeichen der Stadt. In wildem Gewitter kämpft der tapfere Mann gegen den Teufel, der ein Auge auf München geworfen hat und das Gotteshaus zertrümmern will.
Iny Klocke und Elmar Wohlrath sind wohl die bekanntesten Autoren des Sammelwerks. Das unter dem Pseudonym Iny Lorentz publizierende, unerhört erfolgreiche Autorenpaar („Die Wanderhure“, „Die Wanderapothekerin“) erzählen von einem Tag zu Beginn des 18. Jahrhunderts, an dem das Armesünderglöckerl, das zu einer kleinen Kapelle unweit des Münchner Galgenbergs südlich der Hackerbrücke gehörte, verstummte.
Nicole Neubauer, Verfasserin mehrerer München-Krimis um Hauptkommissar Waechter und sein Team, steuerte eine Geschichte aus Schwabing bei. Wo heute das Institut für Strahlenschutz residiert, gab es Ende des 18. Jahrhundert eine berüchtigte Spelunke, von der es hieß, wohlhabende Reisende verschwänden über Nacht – und tauchten in der Sülze wieder auf.
Leider fehlt dem Sammelband eine editorische Notiz, nach welchen Kriterien Autoren gesucht und Geschichten gewählt wurden. Erkennbar aber wird ein chronologischer Aufbau der Anthologie, deren abschließende Geschichten im 21. Jahrhundert spielen. So thematisiert die Erzählung des Krimiautors Werner Gerl das Massaker, das ein Achtzehnjähriger am 22. Juli 2016 am Olympia-Einkaufszentrum anrichtete.
München hat viele schaurige Orte vorzuweisen, die teils zerstört, teils noch zu sehen sind. Falls die Reihe fortgesetzt werden sollte, sollte das Hofbräuhaus am Platzl nicht länger fehlen. Denn dort wurde am 24. Februar 1920 vor zweitausend Fanatikern die NSDAP gegründet und Adolf Hitler umjubelt. Was in Folge geschah, ist wohl eine der schaurigsten Geschichten der Neuzeit.
Wer „Die gruseligsten Orte in München“ liest, wird schnell gefesselt. Er besichtigt mit gesträubtem Nackenhaar prominente Plätze, Kirchen, Friedhöfe und andere schaurige Tatorte, die von süßem Blut brutal Getöteter und kaltem Schweiß abergläubischer Massen getränkt sind.