Martin Suter ist ein Vielschreiber mit Hang zur stilistischen Experimentierfreude. Er bewegt sich souverän zwischen Romanform, Drehbuch und publizistischem Diskurs. Während ich seinen letzten Roman Melody als eine gelungene Mischung aus Eleganz und Melancholie empfand, blieb mir das darauf folgende, seitenstarke Gesprächsbuch mit Benjamin von Stuckrad-Barre fremd. Nun legt Suter mit Wut und Liebe ein neues Werk vor – sprachlich geschliffen, dramaturgisch ambitioniert, inhaltlich jedoch von ambivalenter Tiefe.
Im Mittelpunkt steht der mittellose Künstler Noah, dessen Lebenspartnerin Camilla ihn verlässt, weil ihr das prekäres Künstlerdasein nicht länger genügt. In dieser existenziellen Leere begegnet Noah der wohlhabenden Witwe Betty, die ihm ein ebenso verlockendes wie verstörendes Angebot macht: eine Million Franken für die Beseitigung ihres früheren Geschäftspartners. Was zunächst wie ein klassisches moralisches Dilemma anmutet, entwickelt sich rasch zu einem Geflecht aus Täuschung, Verführung und innerer Verlorenheit.
Suters Prosa bleibt seiner Handschrift treu: präzise, elegant und durchdrungen von einem feinen Gespür für Milieus. Seine Beschreibungen der Welt der Reichen – der gepflegten Bars, luxuriösen Interieurs und gestylten Oberflächen – sind atmosphärisch dicht und oft von leiser Ironie durchzogen. Der Autor entlarvt die emotionale Leere hinter dem sozialen Glanz mit der Routine eines geschulten Beobachters.
Doch trotz der vielversprechenden Anlage bleibt die psychologische Ausarbeitung der Figuren bemerkenswert blass. Noah und Betty sind eher Typen denn Charaktere – der scheiternde Künstler, die einsame Rächerin. Ihre Motive werden angedeutet, aber selten überzeugend vertieft. Die innere Not, aus der heraus sie handeln, bleibt Behauptung. So fehlt dem Roman jene emotionale Resonanz, die ein solches Sujet notwendig hätte.
Wut und Liebe ist ein typischer Suter-Roman im besten und problematischsten Sinne: stilistisch brillant, gesellschaftlich fein beobachtet, aber im Kern zu kühl kalkuliert. Wer sich mit einer unterhaltsamen, klug komponierten Lektüre begnügt, wird auf seine Kosten kommen. Wer hingegen auf seelische Tiefe und echte existenzielle Wucht hofft, dürfte ernüchtert zurückbleiben.