Laufendes Verfahren

Die Beobachter auf der Empore

Selten ist sich das Feuilleton so uneins wie bei der Beurteilung des Romans «Laufendes Verfahren» von Kathrin Röggla, und ähnlich zwiespältig ist auch das Echo aus Leser-Kreisen. Es handelt sich, worauf ja schon der Titel hindeutet, um eine Geschichte aus dem Gerichtssaal, hier dem Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts. In dem wurde vor dem 6. Strafsenat an 438 Verhandlungstagen der NSU-Prozess abgehalten, eines der spektakulärsten Gerichtsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es ging, soviel sei angemerkt, um neunfachen Mord an Migranten, dem Mord an einer Polizistin, 43 Mordversuchen, um 2 Sprengstoffanschläge und um 15 Raubüberfälle, verübt von der Terrorgruppe National-Sozialistischer Untergrund. Kann man auf knapp 200 Seiten einen Roman über einen solch monströsen Kriminalprozess schreiben?

Man kann! Wenn man sich, wie die Autorin das tut, dem Verfahren konsequent aus einer ganz bestimmten Sichtweise widmet, der jener Prozess-Beobachter nämlich, die in München auf der Empore sitzen. Erzählt wird aus einer Wir-Perspektive im Futur II, bei der die Autorin eben gerade nicht im Pluralis Majestatis spricht, wie vielfach fälschlich behauptet wurde. Ihr geht es dabei um die Vermutungen ihrer bunt zusammen-gewürfelten Beobachter-Clique über das zu erwartende juristische Prozedere und das bekanntermaßen oft groteske Hickhack zwischen den Prozess-Beteiligten. Ebenso konsequent werden auch keine Namen genannt in diesem Roman, es gibt den «Vorsitzenden», die «Beisitzer», die «Staatsanwälte», die «Verteidiger», die «Anwälte der Nebenanklage», die «Zeugen». Einzig der Opfer ist im Nachspann des Romans ein namentliches Gedenken gewidmet. Auch für ihre Beobachter hat die Autorin übrigens keine Namen. Sie heißen, entsprechend ihrer Rolle in den Gesprächen unter sich und nach dem wenigen, was man von ihnen weiß, immer nur «Gerichtsopa», «Bloggerklaus», «Omagegenrechts», «O-Ton-Jurist», «Vornamenyildiz», «Die Frau von der türkischen Botschaft». Damit gelingt es der Autorin auf eine raffinierte Weise, ganz verschiedene Typisierungen vorzunehmen, ohne jede einzelne ihrer Figuren psychologisch determiniert zu beschreiben. Sie benutzt dazu vielmehr sehr geschickt ihre verbalen Geplänkel, ihre selbstgespräch-artigen Monologe, ihre gegenseitigen Belehrungen. Aus denen sich übrigens das erzählende Ich komplett heraushält, – es berichtet nur.

Natürlich ist es unmöglich, in einem kurzen Roman wie diesem die hanebüchenen Fehler und unverzeihlichen Versäumnisse bei der Aufklärung der Verbrechen gebührend abzuhandeln. Und auch die juristische Aufarbeitung solch terroristischer, fremden-feindlicher Straftaten kann allenfalls angedeutet werden. Die ganze Thematik ist hier komplett auf die Instanz der Beobachter verlagert, die sich auch über das Ungesagte im Prozessverlauf untereinander austauschen. Die da zum Beispiel über das beredte Schweigen der weiblichen Angeklagten diskutieren, was sie denn auch für einen von den Verteidigern ausgeheckten Verfahrenskniff halten. So ganz nebenbei erfährt man durch all diese Erörterungen ein wenig darüber, wie es in derartigen Strafprozessen zugeht. Dass die engagierten Dispute der Empore-Clique oft auch ausgesprochen komische Züge annehmen, das bewahrt den Roman übrigens davor, nur eine staubtrockene Lektüre aus dem Gerichtsmilieu zu sein.

Trotz aller Vereinfachungen steht die Dokumentation des Prozesses in diesem Roman stets im Vordergrund, auch wenn das durch die unkonventionelle Erzähl-Perspektive nicht erkennbar vorgegeben zu seien scheint. Dieser Chor der Erinnyen, verkörpert durch die Beobachter-Clique auf der Empore, die Stimme des Volkes quasi, kommentiert und bewertet teilweise durchaus kompetent, was sich da abspielt in diesem denkwürdigen Mammut-Prozess. Und dass dabei die Gräuel der Taten, die Trauer der Hinterbliebenen, das Versagen der Polizei, die Rolle des Verfassungs-Schutzes weitgehend außen vor bleiben, das kann einem fiktivem, literarischem Werk wie diesem wahrlich nicht angekreidet werden!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Gittersee

Verrat und Gegenverrat im Teenager-Milieu

Es ist sicher kein Zufall, dass neben Anne Rabe auch Charlotte Gneuß mit «Gittersee» einen DDR-Roman geschrieben hat, der es als Debüt immerhin auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2023 geschafft hat. Anders als ihre schreibende Kollegin ist Charlotte Gneuß ein Wessi, eine Schwäbin ohne jede DDR-Prägung, ihre Geschichte beruht also auf Erzählungen und Recherchen, nicht auf eigenem Erleben. Ihre Protagonistin schildert als 16jährige Ich-Erzählerin sehr anschaulich ihr Leben in einer zerrissenen Familie mit den «werktätigen» Eltern, einer strengen Oma und der kleinen Schwester. Die zu hüten ist ihre ständige Pflicht, was ihr eigenes Leben als Pubertierende zwar stark einschränkt, was Karin aber gerne tut, sie liebt das Kleinkind inniglich. Schauplatz des Geschehens ist der titelgebende Stadtteil «Gittersee» von Dresden, der durch seinen Bergbau bekannt ist. Erzählzeit ist das Jahr 1976, das von den innerdeutschen Verträgen ebenso geprägt war wie von der KSZE. Das stelle, wie die Autorin im Interview erklärt hat, für Ostdeutschland eine ähnliche Zäsur dar wie das Jahr 1968 für Westdeutschland.

Im Fokus des Romans steht die Stasi, allgewaltige Spitzel-Krake, deren Tentakel überall hin reichen im Arbeiter- und Bauernstaat, auch bis zu Karin hin. Deren älterer Freund Paul, Bergarbeiter in der Wismut, ihre erste Liebe, macht ihr den Vorschlag, sie bei seinem geplanten dreitägigen Kletterausflug in die Tschechoslowakei zu begleiten. Paul hat eine Schwalbe, ein damals in der DDR außerordentlich weitverbreitetes Kleinkraftrad, auf dem er sie mitnehmen könne. Er schärft ihr ein, aber ja niemandem davon zu erzählen. Wegen ihrer Pflichten in der Familie muss Karin jedoch absagen, Paul fährt mit einem Freund allein los. Nach der ersten Nacht im Zelt ist er spurlos verschwunden, und prompt stehen kurz darauf zwei Stasi-Mitarbeiter vor Karins Tür. Sie wollen von ihr wissen, ob sie von Pauls Plänen gewusst habe. Wenn ja, wäre das eine strafbedrohte Beihilfe zur «Republikflucht», – was für ein perverses Staatsverständnis steckt in diesem Wort! Guten Gewissens beteuert Karin, sie habe keine Ahnung gehabt und wisse nicht, wo Paul sei, sie habe auch keinerlei Lebenszeichen von ihm erhalten.

Von nun an ist die Stasi Dauergast bei Karin, ihre fragile Welt bricht zusammen, nichts ist mehr so. wie es war. Denn auch in der Familie rumort es, ihre Mutter verlässt Mann und Kinder und zieht zu einer Freundin in die Stadt. Sie fühlt sich zu Größerem berufen, möchte sich in anderen sozialen Kreisen bewegen als in der drögen Vorstadt-Gesellschaft mit ihren prekären Lebens-Bedingungen. Der Vater ist alkoholkrank und säuft sich gelegentlich ins Koma, kümmert sich aber immerhin mit Hilfe der Großmutter um die zwei Töchter. Einer der Stasi-Männer ist besonders hartnäckig und führt nun beinahe wöchentlich Gespräche mit Karin. Sie müsse doch etwas gespürt haben, wird ihr vorgehalten, ob ihr denn wirklich gar nichts aufgefallen sei! Schließlich hat er Karin so weit, sie verpflichtet sich als IM, als informelle Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit, von denen es in ‹Blütezeiten› 200.000 gab, etwa jeder achtzigste also. Karins Motive bleiben unklar: Erhofft sie sich Informationen über Paul? Will sie Karriere machen als Geheimdienst-Mitarbeiterin?

Dieser Roman hält sich strikt an das Private, er beleuchtet auf subtile Weise das zerrüttete Familienleben seiner Heldin Karin, die schon so früh eingespannt ist in die alltäglichen Pflichten. Schule und Freundschaften unter Teenagern sind ebenfalls Themen, die Charlotte Gneuß wichtig sind und von ihr, nicht ohne ironischen Unterton, mit einbezogen werden in ihren Debütroman. Stilistisch ist er durch seine sprachliche Verknappung geprägt, die vor allem in den Dialogen zum Ausdruck kommt. Der Plot ist von diversen Einschüben wirrer Träume durchzogen, lebt nicht zuletzt von einem gewissen Spannungsbogen und lässt auch Vieles im Schwebezustand. Wenig überzeugend allerdings ist das kriminalistisch inspirierte Ende dieser Story von Verrat und Gegenverrat im Teenager-Milieu der DDR.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
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Tomás Nevinson

Der letzte Roman des Romanciers Javier Marías

Tomás Nevinson. Das auf Deutsch 2019 erschienene „Berta Isla“ bildet mit “Tomás Nevinson”, das im Todesjahr des spanischen Autors, 2022, erschien, quasi ein Roman-Diptychon über die beiden gleichnamigen Eheleute. Javier Marías nennt seine beiden Romane im Nachwort zu vorliegender Ausgabe ein “Paar”, kein Fortsetzung. In seiner schon zuvor unter Beweis gestellten “Poetik der Abschweifung” gibt sich Javier Marias wieder ganz seinem eigentlichen Leitmotiv hin: die Unmöglichkeit, den anderen wirklich zu kennen.

Tomás Nevinson: Don’t linger and delay!

Bertram “Bertie” Tupra, der Chef des Geheimdienstes wendet sich erneut an Tomás Nevinson, der eigentlich mit seinem alten Arbeitgeber schon abgeschlossen hat. Seine Ehe mit Berta Isla war aufgrund seiner Arbeit tief zerrüttet worden, wovon der quasi erste nach ihr benannte Teil des Roman-Diptychons ausführlich Beweis ablegt. Zwischen der spanischen ETA und der irischen IRA, beides zwei Terrororganisationen, die die Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts beherrschten, so wie es heute die Dschihadisten tun, musste Tomás mit seinem natürlichen Talent für beide Sprachen dem Geheimdienst stets zur Stelle sein. Auch dieses Mal, im quasi zweiten Teil, sind wieder seine Sprachkenntnisse gefragt, denn er soll für Tupra eine nordirische Terroristin namens Magdalena Orue O’Dea enttarnen.

Drei Frauen im Terrorverdacht

Als Deckidentitäten wurden vom Geheimdienst drei Frauen eingekreist, die als Magdalena in Frage kämen: Maria Viana, Celia Bayo und Inés Marzán. Alle drei leben im Nordosten von Madrid in dem Städtchen Ruan. Nevinsons Aufgabe ist es nun, die “richtige” der drei Frauen als Magdalena Orue O’Dea zu identifizieren und dann zu liquidieren. Er hatte in seiner Laufbahn beim Geheimdienst schon zwei Männer umgebracht. Nun tut er sich allerdings als Vertreter der alten Schule noch etwas schwer bei dem Gedanken, eine Frau umzubringen. Erst als ihm sein Arbeitgeber, Tupra, unter Druck setzt und meint, ansonsten alle drei zu füsilieren, wenn er sich nicht für eine entscheiden könne, beginnt Nevinson zu spuren und will die Mordtat umsetzen. So kann er wenigstens zwei der drei Frauen “retten”. Aber genauso gut kann es sein, dass er selbst zum Opfer der Terroristin wird, da diese längst Lunte von seinem Vorhaben gerochen hat. Wird als der Verfolger bald zum Verfolgten? Auch dadurch erreicht Javier Marías ein “Moment der letzten Spannung”, das die Handlung in der Peripetie des Romans jederzeit wieder herumreißen könnte.

Der rote Faden: (Un-)Schuld

Als roter Faden des Romans kann zweifellos die Frage gelten, ob es legitim sei, einen Menschen zu töten, um ein Blutbad an der Menschheit zu verhindern. Marias bringt dabei immer wieder das Beispiel eines vermeintlichen Hitler-Attentäters, der diesen vom Wald in Berchtesgaden zwar im Korn hatte, beim Laden einer echten Patrone aber erwischt und verhaftet wird. Dieses vereitelte Attentat ist quasi die Mise en abyme des Romans Tomás Nevinson und der Person Tomás Nevinson. Lassen sich Schuld und Unschuld eines Menschen zweifelsfrei erkennen und vor allem beweisen? Und darf man einen Menschen töten, um ein größeres Verbrechen zu verhindern? Im Falle Hitlers wäre diese Antwort zweifellos einfacher mit “Ja” zu beantworten, als im Falle von Magdalena Orue O’Dea. Denn die Terroristin ist ja seit einiger Zeit untergetaucht und bereut vielleicht ihre Taten bereits.

Reue nur durch Misserfolg

Aber ist diese Reue ausreichend für eine Entschuldung? Die Massaker der Vergangenheit wiegen schwer und auch die Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation, die vor allem zivile Opfer im Visier hat, wäre eigentlich schon Grund genug, sich mit Schuld zu beladen. Und überhaupt Reue! Der einzige Grund zur Reue sei nicht nur bei einem Mörder der Misserfolg. “Dass ein Spiel schiefgeht. Die gelungenen beklagt man nicht, auch nicht die ungestraften.” Wenn es die mangelnde Reue ist, die einen Menschen vom Unschuldigen zum Schuldigen stempelt, sind wir dann nicht alle verurteilenswert? Und noch eine Frage steht ganz deutlich im Raum dieses Jahrhundertromans: Machen wir uns alle nicht gegenseitig etwas vor?

Maxime des 21. Jahrhunderts

Ist die Lüge nicht längst zum geheimen Credo dieses so scheußlich gewordenen 21. Jahrhunderts geworden? Die Lüge und die Täuschung, ja. Javier Marías’ letzter Roman ist voller Anspielungen und Zitate, darunter auch eine Huldigung an die drei Musketiere von Alexandre Dumas u.v.a.m. Aber auch Beispiele aus der Geschichte holt der Autor aus dem Vergessen und flechtet sie ein in diesen Roman der Abschweifung. Der Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen zeigt auch in seinem letzten Roman, dass es der Zweifel und der Selbstzweifel sind, die uns eigentlich zu den Menschen machen, die wir sind. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt. Am 11. September 2022 ist Javier Marías in Madrid verstorben.

Javier Marías
Tomás Nevinson. Roman.
Übersetzt von: Susanne Lange
2022, Hardcover, 736 Seiten
ISBN: 978-3-10-397132-3
S. FISCHER Verlag


Genre: Krimi, Roman, Spanien
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Herscht 07769

Inverse Heiligen-Legende

Der ungarische Schriftsteller László Krasnahorkai hat mit «Herscht 07769» einen hochaktuellen deutschen Gegenwartsroman geschrieben, und das in einem einzigen Satz, der Punkt kommt erst nach mehr als 400 Seiten. «Angela Merkel, Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Willy-Brand-Straße 1, 10557 Berlin» schreibt Florian, der titelgebende Held, ins Adressfeld, und als Absender «Herscht 07769». Das reicht völlig, in der thüringischen Kleinstadt Kana nahe Jena, kennt ihn ja jeder. Und was er der Physikerin Merkel brieflich mitzuteilen hat, ist der wissenschaftliche Beweis der unmittelbar bevorstehenden Apokalypse, das endgültige Verschwinden aller Materie.

Ein nur ‹Boss› genannter Gebäudereiniger und Neonazi hat den gutmütigen und von allen geliebten, bärenstarken, aber einfältigen Florian als billige Hilfskraft aus einem Heim geholt. Es gibt viel zu tun für sie beide, denn immer öfter werden in ihrer Gegend Graffitis mit einem Wolfskopf und verschiedenen Parolen auf Wände gesprüht, die sie dann als Spezialisten mühsam entfernen müssen. Alle haben die Neonazis in Verdacht, die sich in letzter Zeit zahlreich in Kana angesiedelt haben. Deren wütender Boss setzt schließlich seine ihm treu ergebene ‹Einheit› aus gescheiterten Existenzen und schrägen Vögeln darauf an, den wahren Täter nachts auf frischer Tat zu ertappen. weil die Polizei offensichtlich unfähig ist. Die Unruhe in der Bevölkerung steigt ins Maßlose, als ein Ehepaar beim Picknick von einem Wolf angegriffen und schwer verletzt wird.

Florians Geschichte, eine Art inverse Heiligen-Legende, wird bildstark und spannend erzählt, wobei ein stimmig beschriebenes Figuren-Ensemble dem Geschehen einen authentischen Anstrich verleiht. Ausgerechnet der zwielichtige, brutale ‹Boss› ist ein begeisterter Bach-Anhänger, der die ‹Kanaer Symphoniker› gegründet hat, die er zur Konzert-Reife führen will. Seine Bach-Euphorie steckt auch Florian an, der in dem Komponisten das Gute in Reinform verkörpert sieht. In der Volkshochschule führt ein ehemaliger Physiklehrer den inselbegabten Florian in die Quanten-Physik ein, und der setzt sich immer wieder hin und schreibt an Angela Merkel, um ihr die Dramatik der Situation nahe zu bringen, – eine Anspielung auf das dramatische Geschehen im Ort, bei dem der Wolfsangriff als Allegorie auf das Böse im Menschen fungiert. Die örtliche Tankstelle samt Imbiss, beliebter Treffpunkt im Ort, wird in die Luft gesprengt, das ausländische Pächterpaar kommt dabei um. Bald darauf werden der ‹Boss› und anschließend alle Mitglieder der Neonazi-Gruppe brutal ermordet, und wieder tappt die Polizei im Dunkeln. Im Ort herrscht heillose Panik, man traut sich kaum noch auf die Strasse, es gibt Selbstmorde, einige werden verrückt, andere wie Florian sind plötzlich verschwunden, keiner weiß, wohin.

Dieser Roman in einem Satz entwickelt nicht zuletzt aus seinem unkonventionellen Schreibstil heraus einen starken Lesesog, wobei sich erstaunlicher Weise zeigt, dass man schon nach wenigen Seiten die Trennung durch Punkte nicht mehr vermisst. Das oft aus Sicht seines einfältigen Helden beschriebene, absurde Geschehen wird so geschildert, wie es sich als Gedankenstrom in seinem Kopf abspielen könnte, und auch die Bewohner des Ortes werden auf diese Art stimmig charakterisiert in ihrer provinziellen Lebens- und Denkweise. «Dieses Buch enthält hunderte Monologe», hat der Autor zu seinem eigenwilligen Stil angemerkt. Geradezu parodistisch wird es, wenn die ständigen Flüche des leicht erregbaren Bosses fast ohne Vokale auskommen müssen, was der Verständlichkeit aber keinerlei Abbruch tut, Schße oder gttvrdmmmich versteht man auch so. Am Ende kommt eine «Krawattenversion der Nazis» sogar in den Stadtrat von Kana, ein mystischer Steinadler wird Florians wehrhafter Verteidiger, und aus Berlin trifft ein Brief mit dem Absender Angela Merkel ein, wird aber als unzustellbar behandelt, denn wo Florian abgeblieben ist, weiß ja keiner, auch die Post nicht.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Trauer ist das Glück, geliebt zu haben

Trauer ist das Glück, geliebt zu haben. “Trauer war die Feier der Liebe, diejenigen, die echte Trauer verspüren konnten, hatten das Glück, geliebt zu haben”, schreibt die Autorin von “Americanah”, das 2015 auch bei S. Fischer erschienen ist. Was für ein schöner Titel für ein Buch, was für ein schöner Satz. Auch wenn er leider aus einem traurigen Anlass geschrieben wurde.

Trauer und Verlust des Vaters

Chimamanda Adichie verlor durch die weltweite Pandemie so wie viele andere auch ihren Vater. Sie schreibt stellvertretend für die mit ihr Trauernden über den Verlust eines geliebten Menschen, der durch nichts aufzuwiegen ist. “Nie wieder” schreibt sie, “nie wieder wer ich das Lachen lachen, das ich mit ihm lachte”. Dieses “Nie Wieder” fühlt sich wie eine unfaire Strafe an, denn für den Rest ihres Lebens wird die 42-jährige nun ihre Hände nach etwas ausstrecken, das nicht mehr da ist. Die Nachricht vom Tod ihres Vaters war “wie eine grausame Entwurzelung. Ich werde aus der Welt gerissen, die ich seit meiner Kindheit gekannt habe”. Anfangs glaubt sie, dagegen Widerstand leisten zu können, doch bald ist sie auch mit ihren Erinnerungen allein. All die Kondolenzbriefe und Beteuerungen können die Trauer nicht ersetzen, es sei denn, jemand der anderen Trauerenden erzählt eine konkrete, unverfälschte Erinnerung an ihren Vater, von Menschen, die ihn kannten. Diese Worte trösten am meisten und erfüllen sie mit Wärme, schreibt sie. Aber Trauer bedeutet auch Wut und Zorn. Eine Anklage an die Ungerechtigkeit der Schöpfung und das Ende der Kindheit. Gerade dann, wenn die Eltern sterben, wird man unweigerlich erwachsen: man ist allein.

Memento mori für integre Vaterfigur

“Suche Frieden in deinen Erinnerungen.” Wie viele andere in ihrer Situation stellt sie sich die Frage, wie es möglich ist, dass die Welt sich weiterdreht, unverändert ein und ausatmet, wie man noch funktionieren kann nach so einem Verlust, wie es andere machen, damit zu leben. Sie war ein “Professorenkind” und liebte ihren Vater für seine Integrität. Er war kein Materialist, und das in einem Land, wo der “kompromisslose Ethos der Raffgier” überall herrscht, eine “hemmungslose, allgegenwärtige Habsucht”. In seinen letzten Jahren hatte ihr Vater sich in ihrem Heimatort Abba gegen diesen Materialismus eingesetzt. Ein Milliardär wollt sich das angestammte Land unter den Nagel reißen und verleumdete die Bewohner bei den Behörden. Ihr Vater war sogar entführt worden. “Zur Trauer gehört als eine ihrer vielen schrecklichen Komponenten das Einsetzen des Zweifels. Nein, ich bilde es mir nicht ein. Ja, mein Vater war wirklich wunderbar.”

In 30 kurzen, einfach geschriebenen Kapiteln erzählt Chimamanda Ngozi Adichie von ihrer Trauer über ihren verstorbenen und macht sich zum Sprachohr aller, die mit ihr trauern. Ein hilfreiches Buch für Situationen wie diese. Als leiser Trost bleibt: wer trauert, erfährt die Liebe neu.

Chimamanda Ngozi Adichie
Trauer ist das Glück, geliebt zu haben
Übersetzt von: Anette Grube
2021, Hardcover, 80 Seiten
ISBN: 978-3-10-397118-7
S. Fischer Verlag


Genre: Abschied, Biographie, Corona, Pandemie, Trauer, Verlust
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Baron Wenckheims Rückkehr

Zwiespältige Parabel

László Krasznahorkai, ein Meister der Apokalypse, gehört zu den bedeutendsten ungarischen Schriftstellern der Gegenwart. Sein jüngster Roman «Baron Wenckheims Rückkehr» bedeute eine Wende in seinem bisher «melancholischen und resignativen Werk», wie er im Interview erklärt hat, es sei sein erster humorvoller Roman. Der vor allem im englischen Sprachraum gefeierte Autor wurde 2015 mit dem dort wichtigsten Literaturpreis ausgezeichnet, die Jury des Man-Boocker-Preises bezeichnete ihn als «einen visionären Schriftsteller von außergewöhnlicher Intensität, dessen sprachlicher Ausdruck die Beschaffenheit der heutigen Existenz in Szenen einfängt, die besorgniserregend, befremdlich, erschreckend komisch und oft überwältigend schön sind». Das in der schwülstigen Laudatio als visionär Gelobte endet auch hier allerdings wieder in einer Apokalypse, der Weg dorthin ist jedoch urkomisch.

Der vor 46 Jahren aus Ungarn vertriebene Baron Béla Wenckheim hat sich in Südamerika durch seine Spielleidenschaft in den Ruin getrieben, er sitzt in Haft. Seine wohlhabende Familie holt den verwirrten, spindeldürren Mann nach Wien zurück und kleidet den völlig Verwahrlosten neu ein, ehe sie ihn mit dem Zug in seinen ungarischen Geburtsort Gyula weiterschickt, den der alte Mann vor seinem Tod unbedingt noch einmal sehen will. Boulevardpresse und Fernsehen bauschen diese Heimkehr medial derartig auf, dass die wildesten Gerüchte entstehen, angeblich würde der steinreiche Adelige seine Stadt finanziell äußerst großzügig unterstützen. Verwaltung und Einwohnerschaft malen sich eine glänzende Zukunft aus für die hoffnungslos heruntergekommene Stadt, manche Leute beginnen sogar schon, sich zu verschulden in Erwartung des Geldsegens, der da bald auf sie nieder regnen wird.

Mit seinem üppigen Ensemble wahrhaft wunderlicher Figuren zeichnet László Krasznahorkai das Panorama einer Provinzstadt im Ungarn von heute, die auf ihren Heilsbringer wartet. Da ist der unfähige Bürgermeister, der korrupte Polizeichef mit seiner aus zwei Dutzend Rockern bestehenden Motorrad-Bande, ein verwilderter Professor, der im Dornbusch-Ödland dahinvegetiert, Marika, die Jugendliebe des Barons, Dante Szolnoki, ein redegewandter Krimineller, der sich dem Baron als Sekretär andient, und viele skurrile Typen mehr. Der Autor beschreibt das alles in einer glanzvollen Sprache mit vielen parallelen Erzählsträngen und erschließt seinen Plot großenteils mit stimmigen Dialogen, oft aber auch als Bewusstseinsstrom oder innerer Dialog. Wobei seine kunstvoll konstruieren Sätze sich immer über mehrere Seiten hinweg erstrecken und die direkte Rede ohne Satzzeichen einbinden, «ungewöhnlich lang, weil ja auch unser Denken ein endloser stürmischer Prozess ist und keine Punkte kennt», hat er dazu angemerkt. Nach anfänglichen Problemen liest man sich aber doch schon bald ein in diese virtuos konstruierten Endlossätze, sei skeptischen Lesern versichert.

In seiner zeitgeschichtlichen Parabel über ein rückständiges, korruptes Ungarn, das ihm offensichtlich peinlich ist, hat László Krasznahorkai ein vernichtendes Urteil über seine Heimat gefällt, auch wenn er dies deutlich erkennbar satirisch überzeichnet, sich am Ende gar ins Surrealistische hineinsteigert. Unfähigkeit, Faulheit und grenzenlose Dummheit sind fürwahr nicht gerade schmeichelhafte Wesensmerkmale seiner Landsleute, auch wenn er recht wohlwollend über sie schreibt. Seine hanebüchene Story ist mit häufigen kontemplativen Einschüben angereichert und bietet gute Unterhaltung vor allem durch den köstlichen Humor, der das verrückte Geschehen permanent überlagert, nicht selten aber auch in Klamauk ausartet. Mehr als ein Wermutstropfen ist außerdem eine gewisse Langatmigkeit, manches ist erzählerisch einfach zu breit ausgewalzt in dem fast 500seitigen Roman, dessen apokalyptisches Ende mich ebenfalls nicht überzeugen konnte. Und so hinterlässt dieses stilistisch erstklassige Buch leider einen sehr zwiespältigen Eindruck.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Eine Geschichte des Lesens

manguel-1Vom Manna des Lesens

Wem das Lesen eine Passion ist, den wird über die reine Lektüre hinaus auch das Drumherum interessieren, Infos über Autoren, Interna aus Verlagen, Daten vom Buchmarkt, das Feuilleton natürlich, aber eben auch, und nicht zuletzt, literaturwissenschaftliche Themen. «Eine Geschichte des Lesens» von Alberto Manguel ist eines dieser Sachbücher, das den nicht nur am Lesegenuss interessierten Liebhaber von Literatur schon vom Titel her neugierig macht. 1996 erstmals erschienen, wird es inzwischen als das Standardwerk zum Thema angesehen, ein dickleibiger Band in prächtiger Aufmachung mit 624 Seiten Kunstdruck, jeder Seite gespickt mit wundervollen farbigen Abbildungen. Der in Argentinien geborene Autor aus einer Diplomatenfamilie, in Israel groß geworden, ist heute kanadischer Staatsbürger, er spricht mehrere Sprachen und war literarisch als Lektor, Dozent, Autor und Übersetzer tätig, seit 2016 ist er Direktor der argentinischen Nationalbibliothek. Manguel hat, als Kind seelisch vereinsamt, selbst früh zum Lesen gefunden, er ist inzwischen ein Bibliophiler durch und durch mit einer stattlichen, 30.000 Bände umfassenden Privatbibliothek.

Seiner Historie des Lesens ist das Zitat «Lies, um zu leben» aus einem Brief von Gustave Flaubert vorangestellt, und sie beginnt mit einem 2005 hinzugefügten Vorwort des Verfassers. Darin berichtet er staunend von seiner Entdeckung «einer weltweiten Gemeinde von Lesern, die auf individuelle Weise und unter Lebensumständen, die sich sehr von meinen unterschieden, die gleichen Erfahrungen gemacht hatten wie ich und die gleichen Initiationsriten, Offenbarungen und Obsessionen mit mir teilten». In den Hauptabschnitten «Akte des Lesens» und «Die Macht des Lesers» beleuchtet Manguel in diversen Kapiteln kenntnisreich alle Aspekte seines Themas bis in die allerletzten Winkel hinein, jener vor sechstausend Jahren entstandenen kulturellen Errungenschaft, deren Auswirkungen auf das Geistesleben man nicht hoch genug veranschlagen kann. Denn erst mit der Schrift, mit Schreiben und Lesen, war das Wissen der Zeit dauerhaft gespeichert und konnte als Fundament dienen, auf das dann weitere Entwicklungen aufbauen konnten.

Erstaunt erfährt man zum Beispiel, dass sich erst ab dem neunten Jahrhundert n. Chr. das stille Lesen endgültig durchgesetzt hatte, vorher wurde meist laut gelesen, körperlich oft auch begleitet von Bewegungen des Lesers, wie sie heute zum Teil noch rhythmisch im jüdischen Gebet praktiziert werden. «Die Ursprachen der Bibel – Aramäisch und Hebräisch – unterscheiden nicht zwischen dem Akt des Lesens und dem des Sprechens, beide werden durch dasselbe Wort ausgedrückt», erfahren wir. Manguels Buch ist eine Sammlung von Geschichten, oft mit netten Anekdoten angereichert, die thematisch, nicht chronologisch gegliedert, ganz unterschiedliche Zeiten und Kulturen umfasst. Dabei schimmert immer wieder die individuelle literarische Biografie des polyglotten Autors hervor, eine Intertextualität, die den Erwartungen seiner deutschen Leserschaft kaum entsprechen dürfte, ein kleiner Wermutstropfen mithin. Ob es um die noch nicht abschließend geklärten physiologischen Vorgänge beim Lesen geht, um das Lesenlernen, das Vorlesen, den weiblichen Leser, die Orte des Lesens, die Geschichte des Papiers, der Schrift und der Buchgestaltung, um Bibliotheken, die Sammelwut der Bibliophilen, die Prestigewirkung des Buches, Bücherdiebe, Bücherverbote und Bücherverbrennungen, um die metaphorische und soziale Komponente des Lesens, dieser Band erweist sich stets als eine historische Fundgrube par excellence.

Dem Liebhaber poetisch gestalteter Texte, dem Leser im engeren Sinne also, steht, so hat es Enzensberger mal konstatiert, der Analphabet als Normalfall der Geschichte gegenüber, zum nicht geringen Teil ja auch noch heutzutage. Wer dieses informative Buch gelesen, besser gesagt studiert hat, der kann ermessen, wie leer ein solches Leben sein muss, so ganz ohne das Manna des Lesens.

Fazit: erstklassig

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Genre: Sachbuch
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

An einem klaren, eiskalten Januarmorgen

schimmelpfennig-1Tragisch unterkühlt

Auffallen um jeden Preis ist wohl die Devise, und dazu geeignet scheint auch ein solch bandwurmartiger Romantitel wie «An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21ten Jahrhunderts». Frank Witzel hat seinen Lesern die Abkürzung «Die Erfindung» zugestanden für seinen noch üppigeren Romantitel, von Theaterautor und Dramaturg Roland Schimmelpfennig war diesbezüglich noch nichts zu hören. Er hat jedenfalls mit diesem deskriptiven Titel für seinen Debütroman vorab schon einiges angedeutet, die Eiseskälte dient ihm als Metapher für Erstarrung, Vereinsamung, Ausweglosigkeit als sozialer Befund. Und schon im ersten Satz wird neben dem geografischen Schauplatz der Handlung auch gleich eine Art Leitmotiv eingeführt, das einen weiteren literarischen Trend bestätigt, den Hang zum Tier als Subjekt der Handlung, hier in Form eines Wolfes. Also nicht gerade ein Kuscheltier, im Mythos wie im Volksverständnis als bedrohliches Tier angesehen, womit der Leser auf das Folgende bereits bestens eingestimmt ist.

In kurzen Episoden wird, auf mehrere Handlungsstränge verteilt, von Menschen erzählt, die im Dunstkreis der Metropole Berlin soziologische Typen verkörpern, denen allesamt etwas Unfrohes anhaftet, die permanent enttäuscht werden. Da ist zunächst der polnische Saisonarbeiter, der bei einem Stau auf der Autobahn dem Wolf als Erster begegnet und ihn geistesgegenwärtig fotografiert, vor einem Schild «Berlin 80 km» auch noch. Seine als Putzfrau arbeitende Freundin verkauft das Foto, und sofort ist der Wolf in allen Zeitungen präsent und wird schnell zum Problemwolf wie einst Bruno, der bayerische Problembär seligen Angedenkens. Der Pole wird arbeitslos, die Freundin lässt sich auf einer Party von einer Zufallsbekanntschaft schwängern, der jugendliche Erzeuger dringt auf Abtreibung. Ein junges Pärchen reißt von zuhause aus, weil die Mutter ihre Tochter ins Gesicht geschlagen hat, eine lebensgefährliche Flucht bei strengem Forst, bei der ihre Liebe auf der Strecke bleibt. Die Eltern suchen erfolglos nach ihnen, sie stecken ihrerseits in handfesten Problemen, Alkoholismus spielt eine dominante Rolle, auch Hoffnungslosigkeit und Sprachlosigkeit. Wir erleben den Kioskbesitzer, der die fixe Idee hat, den Wolf zu finden und zu erschießen, es gibt andere Figuren mehr, deren Wege sich mit dem Ausreißerpärchen kreuzen, und immer wieder taucht dabei unvermutet der Wolf auf.

Der Autor bedient sich in lose aneinandergereihten kurzen Szenen einer unterkühlt wirkenden Sprache, mit minimalistischen, schmucklosen Sätzen, die häufig ohne Nebensätze auskommen und wie Bühnensprache phonetisch zweckmäßig und dramaturgisch leichtverständlich aneinandergereiht sind. Die im Roman eh schon vorherrschende meteorologische wie mentale Eiseskälte wird dadurch aber entschieden überstrapaziert, der Leser muss sich warm anziehen, könnte man sagen, – oder viel Alkohol trinken wie die allesamt tragischen Romanfiguren. Viele von ihnen bleiben übrigens namenlos, was zu sperrigen Formulierungen wie «Die Freundin der Mutter des Jungen» führt, und über ihr Geschick können wir am Ende nur mutmaßen, irgendwelche Andeutungen gibt es keine. Im letzten Satz schließlich heißt es lapidar: «Der Wolf war verschwunden.»

In Form eines Gegenwartsromans beschreibt der Autor lakonisch eine äußerst triste Gesellschaft, wobei mir seine emotionslose Geschichte deutlich überzeichnet erscheint, allzu eiskalt konstruiert zudem, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Absicht, ein Panorama der Jetztzeit zu zeichnen, ist jedenfalls wenig überzeugend, sowohl in inhaltlicher als auch sprachlicher Hinsicht. Rückblickend gesehen war mir persönlich nur der Wolf sympathisch, der als Rudeltier hier aber einsam umherirrt, wie all die blutleeren menschlichen Figuren übrigens auch. Erstaunlich, dass es dieser fragwürdige Roman in die Shortlist des Leipziger Buchpreises geschafft hat, klug aber, dass die Jury ihm diesen Preis letztendlich nicht verliehen hat.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

selasi-1Quantität versus Qualität

Mit ihrem Debütroman legt Taiye Selasi ein Epos über eine neue Spezies von Weltbürgern vor, für die sie den Namen Afropolitans geprägt hat. Es sind dies junge, erfolgreiche Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die über alle Erdteile verstreut als Eliten leben, oft aber den schwarzen Kontinent noch nie betreten haben, mit dem sie in ihrem Innersten verbunden sind. So erklärt sich die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums zum guten Teil auch mit dem unbekannten Sujet dieses kosmopolitischen Romans, der den plakativen deutschen Titel «Diese Dinge geschehen nicht einfach so» trägt.

In einer gleich von Anbeginn an mitreißenden erzählerischen Wucht entwickelt die Autorin ihre Geschichte raffiniert um ein zentrales Ereignis herum, auf das sie immer wieder zurückkommt: den einsamen Tod des begnadeten Chirurgen Kweku, der am frühen Morgen im Garten seines Hauses in Ghana einem Herzinfarkt erliegt. Die Geschehnisse in den Minuten von der ersten Schmerzattacke bis zum Hinsinken ins taubenetzte Gras werden immer nur häppchenweise erzählt, unterbrochen jeweils von ausgedehnten Rückblenden in die Vergangenheit dieses einst so erfolgreichen Mannes und seiner kunterbunten Familie. Er bleibt auch im Fokus bis zum Schluss, einem arg inszeniert wirkenden Showdown allerdings, bei dem die verstreut lebenden Familienmitglieder anlässlich seiner Beerdigung in Ghana nach langer Zeit alle wieder zusammentreffen.

Es sind die Brüche im Leben einer sechsköpfigen Familie in den USA, denen die Autorin nachspürt, deren Vorbedingungen sie aufzeigt, deren Unabwendbarkeit sie zu erklären sucht. Der Chirurg Kweku muss unschuldig als Opfer herhalten, er wird fristlos entlassen, die Klinikleitung erfüllt damit beflissentlich die Rachegelüste einflussreicher Sponsoren. Seine Karriere scheint ihm zerstört, er verschweigt das aber seiner Familie und kämpft monatelang vergebens um seine Reputation, wobei er sich finanziell ruiniert. Der gewaltsame Rauswurf aus der Klinik nach einem letzten Protest wird von seinem völlig verdutzten Sohn beobachtet, den er zum strikten Schweigen verpflichtet. Untröstlich und voller Scham verlässt er spontan und ohne Abschied seine Familie. Seine nigerianische Frau handelt beherzt, gibt das Haus auf, schickt ihre Zwillinge zum Halbbruder nach Lagos, reicht die Scheidung ein, baut sich ihre eigene Existenz auf. Als Kweku Wochen später zurückkehrt, sind seine Frau und die vier Kinder spurlos verschwunden, die Zäsur ist endgültig. Er geht in seine Heimat zurück, heiratet dort noch einmal und lässt sich schließlich sein Traumhaus bauen von einem wundersamen Handwerker. Der älteste Sohn Olu, ebenfalls Arzt, rätselt immer wieder über die absolute Tatenlosigkeit des Vaters, der die Symptome eines Herzinfarkts sehr wohl gekannt hat, aber partout nichts tat, um Hilfe zu holen. So als ob Kweku den Tod herbeigesehnt hätte nach einem für seine perfektionistischen Vorstellungen aus dem Ruder gelaufenen Leben.

Eine Stärke dieses Romans ist die geradezu eindringliche Figurenzeichnung, die den Leser emotional in das äußerst detailliert geschilderte Geschehen hineinzieht, ihn fast hineinzwingt. Erschwert wird das aber durch eine verwirrende Namensgebung, bei der auch ein knapper Stammbaum vorne im Buch nicht wirklich hilft. Hinzu kommen die häufigen, teils aberwitzigen Zeitsprünge und hektischen Perspektivwechsel, nach denen dann oft lange unklar bleibt, über wen überhaupt berichtet wird. «Großes Gefühlskino» würde man einen Film vermutlich überschreiben, der auf diesem Romanstoff aufbaut. Mehrfach taucht denn auch ein fiktiver Kameramann auf, der Kwekus Leben filmt. Die auch fotografisch tätige Autorin soll von Toni Morrison persönlich in Oxford zum Schreiben animiert worden sein, glaubt man dem werbewirksam verbreiteten Gerücht. Der üppige Roman ist jedenfalls nahe am Rande des Kitsches angesiedelt, weniger Emotionen, weniger Wunderkinder, weniger «jung-schön-intelligent-erfolgreich», aber auch weniger tragisches Scheitern wäre mehr gewesen, so mein Fazit. Bei wichtigen Figuren wie der schnöde verlassenen Exfrau zum Beispiel bleibt der Roman nur an der Oberfläche, über ihre seelischen Wunden erfährt der Leser merkwürdigerweise fast nichts. Diese fehlende Tiefe ist denn doch recht enttäuschend!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Hoppe

hoppe-1Auf eigene Gefahr!

Schon der Buchtitel weckt Neugier. Man stelle sich nur mal «Walser» vor als Romantitel bei Martin Walser, da reibt sich doch jeder Bücherfreund verdutzt die Augen. Originalität also schon auf dem Cover, – und die Geschichte? Ebenfalls originell, soviel sei vorab schon gesagt. Irritierend dürfte es jedenfalls nicht sein für den Leser, dass die Autorin über eine gewisse Felicitas Hoppe schreibt in ihrem Roman, den man ebenso als fiktionale Autobiografie bezeichnen könnte. Auch wenn Denis Scheck «vor Freude einen Flickflack» schlägt bei diesem Roman, wozu ihn sprachlich die Pose des Titelfotos animiert haben mag, erweist sich das Feuilleton doch als ziemlich gespalten, zwischen Jubel und Verriss, und nicht anders auch die Leserkritiker. Das macht einen doch neugierig, mich jedenfalls!

Nahezu schrankenlos wird fabuliert in diesem unkonventionellen Roman der Postmoderne, der gegen so ziemlich alle Konventionen verstößt als grandiose Parodie der literarischen Gattung Autobiografie, deren Prinzip hier total auf den Kopf gestellt wird. Eigentlich ist diese Eulenspiegelei nichts anderes als eine amüsante Suche nach der Identität der Protagonistin. Treffend hat die Jury des Büchnerpreises dazu bemerkt: «In einer Zeit, in der das Reden in eigener Sache die Literatur immer mehr dominiert, umkreist Felicitas Hoppes sensible und bei allem Sinn für Komik melancholische Erzählkunst das Geheimnis der Identität.» Sie lügt wie gedruckt in diesem Schelmenstück, das in vielem an Don Quijote erinnert, ein frecher Parforceritt dieser überaus kreativen Autorin durch ihre imaginierte Lebensgeschichte. «Ihre Phantasie vertextete erbarmungslos alles» schreibt sie über Hoppe, die «in die eigenen Zweifel verliebt» ist, aber auch ironisch anmerkt: «Kröne dich selbst, sonst krönt dich keiner».

In einem virtuosen Spiel mit Identitäten erlebt der Leser diese literarische Wunderwelt jenseits der Realität, folgt Hoppe als begnadeter Hockeyspielerin, Musikerin, Erfinderin, Komponistin und Schriftstellerin von Hameln nach Kanada, Australien und bis hin nach Las Vegas, in «die schönste und prächtigste Stadt der Welt». Dabei begegnet er unter anderem Glenn Gould, Franz Kafka, Pippi Langstrumpf, Pinocchio, und dem Zauberer von Oz, erfährt von Hoppes genialen Erfindungen wie dem «leuchtenden Puck» für Hockeyspieler oder dem «Lakenwender», mit dem sich ein uraltes Menschheitsproblem sehr einfach lösen lässt. All das wird erzählt in einem verblüffenden Mix aus eigener Erzählung, Tagebucheinträgen, Interviews und Gesprächsnotizen, ergänzt durch häufige Anmerkungen (der Autorin /fh) und fiktiven Zitaten kritischer Rezensenten, denen sie auf diese Weise elegant den Wind aus den Segeln nimmt. Was prompt einige der echten Rezensenten, wie man überall nachlesen kann, denn auch gehörig verärgert zu haben scheint, man kann also auch literarisch ein Eigentor schießen.

Authentizität, soviel dürfte klar sein, ist kein Thema in Hoppes ebenso intelligentem wie amüsantem Roman voller origineller sprachlicher Finessen, sie hat sich ironisch eine turbulente Lebensgeschichte zusammen fantasiert, die den Leser förmlich mitreißt, sofern er nicht zur Gattung der mit roter Tinte schreibenden Kritikaster gehört. Den aufnahmefähigen und sprachsensiblen Leser hingegen erwarten einige beflügelnde Stunden mit «Hoppe», die mancher sogar spontan mit einem echten Flickflack krönen dürfte (auf eigene Gefahr /bo).

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

So fängt das Schlimme an

javier mariasSchuld und Verstrickung sind ohne Zweifel geeignete Themen für einen Längen-, Breiten- und Tiefenroman von 650 Seiten und wenn die Handlung unmittelbar nach dem Ende einer Diktatur angesiedelt ist erst recht. Dann lässt sich  genug aus dem Vollen schöpfen, um mit einer politischen und privaten Schiene sogar zweigleisig zu fahren.

Da gibt es das traurige Geheimnis zwischen den Eheleuten, dem Filmemacher Eduardo und seiner Frau Beatriz und die aus der Franco-Diktatur her rührende düstere Vergangenheit des Hausfreundes Dr. Vechten. Es wird aus der Sicht von Eduardos jungem Privatsekretär de Vere erzählt.

Man könnte das Ding eigentlich als einen klassischen Bildungsroman begreifen. Über den jungen Erzähler stürzt gar heftig die Bedeutungsschwere seiner Eindrücke und Beobachtungen herein, so sehr dass sie sich für ihn regelrecht zum  postjugendlichen Reifungsprozess auswachsen. Dennoch ist mit  Filmproduzent Eduardo die Hauptfigur eine andere. Sein  Werdegang vom privaten Haupt- und politischen Nebenkläger zum Vergeber und Vergesser darf wohl als der facettenreichste Entwicklungsstrang in dem Roman angesehen werden. Die beiden anderen wichtigen Figuren bleiben indes zur relativen Schablonenhaftigkeit verurteilt. Das gilt für den einfach nur triebhaft dauerschlechten Diktaturgewinnler Dr. Vechten ebenso wie für Eduardos Ehefrau Beatriz, die aus der Melancholie ihrer großbourgeoisen Dauergelangweiltheit kaum heraus kommt.

Immerhin versteht es Marias früh- und rechtzeitige Andeutungsmarken zu setzen, wer so seine tiefen Geheimnisse mit sich herum trägt und wer was mit sich aus zu machen hat, was dann auch zum Ende hin gekonnt aufgelöst wird. Das Lesevergnügen bis dorthin ist allerdings nicht gerade billig erkauft. Der Roman hat eine Ausschweiferitis, die einen Thomas-Mann dagegen noch zum Thriller-Autor gereichen würde. Es wird  weitaus mehr reflektiert und beschrieben als erzählt. Immer wieder spinnen sich Details und Vorkommnisse und seien sie auch vergleichsweise nebensächlich in zum Teil seitenlange Kokons des Augenblicks-Philosophierens ein. Die Betrachtungen über die Franco-Diktatur und vor allem ihrer nachträglichen gesellschaftlichen Verwerfungen, die ja einen wichtigen Kontext darstellen, gehören da noch zu den beeindruckenderen  Passagen. Ansonsten gebiert eine Fortabstrahierung die nächste. So wie auch nur Anflüge von Handlung Dramatik erkennbar werden, spült der nächste seitenlange Gedankenstrom sie wieder fort. Endlose, zum Teil halbseitenlange Relativ- und Schachtelsätze und der fehlende Verzicht auf Binsenweisheitlichkeit tun ihr übriges. So bleiben auch Doppelungen nicht aus, wenn die eigentlich dem Leser obliegende Verarbeitung der Erzählmasse noch einmal zusätzlich beschrieben und erklärt wird.

Fazit: Wer sich auf der Meta-Ebene gerne viel vorreflektieren und vorphilosophieren lässt, der ist mit dem Roman gut bedient, wer aber nicht nur vom Fortgang der Überlegungen sondern auch der Ereignisse getragen werden möchte, der bekommt so seine Probleme.

Zum Bestellen bitte hier klicken: So fängt das Schlimme an: Roman

 


Genre: Romane
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Die hellen Tage

Neun lange Jahre haben wir gewartet. 2002 wurde Zsuzsa Bank für ihren Debut-Roman “Der Schwimmer” gefeiert und mit Preisen überhäuft. Seit diesem Frühjahr liegt mit den “hellen Tagen” ihr zweiter Roman vor. Von den Lesern geliebt, vom Feuilleton zwiespältig bewertet.

helletage“Die hellen Tage” sind ein Buch über Freundschaft und Liebe, Verrat und Aufopferung, Heimat, über Verlust und brüchige Idyllen. Vor allem aber über die Sehnsucht nach hellen Tagen. Den hellen Tagen, mit denen alles angefangen hat.

Zsuzsa Bank erzählt die Geschichte dreier Familien und die Geschichte einer Lebensfreundschaft. Einer Freundschaft, einst zwischen drei Kindern geschlossen, die sich zum Zeitpunkt der Erzählung nicht erinnern können “an eine Zeit vor dieser Freundschaft, keine Vorstellung davon, wie sie ausgesehen haben könnten, die Tage ohne einander”.
Zsuzsa Bank erzählt von den Tagen miteinander, von dieser Freundschaft, die sie in einem Dreieck hält, aus dem sie sich nie lösen konnten und wollten. Von den Mädchen Siri und Aja, von dem Jungen Karl. Drei, die “lange aneinander gefädelte helle Kindheitstage verlebten, unbelastet von den Verschattungen, die sie doch schon ahnten.”
Sie erzählt von Ajas Mutter, der Seiltänzerin Evi. Evi, die anders war als die anderen Frauen im Dorf Kirchblüt. Deren Haus eigentlich eine Baracke war, aber ein in der Zeit schwebender Ort für die Kinder und ihre Mütter, wo die “Tage hell waren, wenn sie im Schatten der Bäume Grashalme zupften”.
Sie erzählt von Zigi, Ajas Vater, der als Trapezkünstler unter der Zirkuskuppel schwebt und nur wenige Wochen im Jahr präsent ist. Wenige Wochen, in denen sie eine ganz normale Familie sein können, in denen Zigi “mit seinen schiefen Zähnen und dem wirren Haar” Aja und Siri auf seine Schultern setzt und sie lange tragen kann, ohne müde zu werden. Sie erzählt die Geschichte von Evi und Zigi, die einst eine schmale Zeitschleuse nutzten, um über Nacht und ohne Abschied aus ihrem Zirkusleben in Ungarn zu fliehen und ihr Glück in Wanderjahren im freien Westen zu suchen.
Sie erzählt von Karl, dessen Leben von zwei Sekunden bestimmt und unabdingbar getaktet ist. Den zwei Sekunden, die sein Bruder brauchte, um in ein fremdes Auto zu steigen und für immer aus aller Leben zu verschwinden.
Sie erzählt vom gemeinsamen Aufbruch der Freunde nach Rom, der Suche nach einem Ort, an dem es nie schneite, einem Ort voller Licht und Wärme. Von den Fahrten dorthin, die sie andächtig zelebrierten, die Berge hinter sich lassend, den Süden begrüßend. Rom – ein Ort, der in Seris Vergangenheit schon einmal die Rolle der verlorenen Stadt übernahm und in dem sich auch für Seri, Aja und Karl ihre Lebenswege klären und entscheiden werden.
Sie erzählt von der sich entwickelnden Freundschaft der Mütter. Der Mütter, die das Dreieck stützen, die das trotz aller Verluste immer spürbare Glück der drei festhalten, die dafür sorgen, dass ihre Tage hell bleiben können.
Schliesslich erzählt sie die unerwarteten Wendungen in Ajas Leben. Aja, die übers Eis schwebend die Gabe hatte, den Schnee zu spüren, bevor er fiel. Aja, deren Fähigkeit zur Nähe sie eine wunderbare Ärztin werden liess. Aja, deren Idylle sich als die brüchigste erwies und die mehr noch als die anderen beiden das Freundschafts-Dreieck brauchte, um sich im Leben zu halten und den Schatten, die plötzlich über den hellen Tagen lagen, zu widerstehen

Wie in ihrem Debütroman sind auch “die hellen Tage” weitgehend ein Roman übers Erwachsenwerden. Anders ist die Sprache Zsuzsa Banks. Es kündigte sich schon in ihren zwischenzeitlich erschienenen Erzählungen an, die kurzen, klaren Sätze aus dem Schwimmer sind Vergangenheit. Von den hellen Tagen erzählt Zsuzsa Bank elegisch, fast schon poetisch, auf jeden Fall eigentümlich und unvergleichlich. Unwillkürlich fragt man sich, ob man wirklich ein Buch aus unserer Welt, aus unserer Zeit in den Händen hält. Auf jeden Fall ist es ein Buch, welches den Leser lange festhält, ihn nachhaltig begleitet.
Ein bisschen schwebt der Roman, so wie Evi über Seil und Aja übers Eis. Die Handlung wird nicht stringent erzählt, Bruchstücke aus der Vergangenheit verweben sich immer wieder mit der gegenwärtigen Erzählwelt. Zsuzsa Bank widersteht jeder Reflexion. In ihrem Buch gibt es Beziehungen, aber keine Gespräche oder Analysen darüber, es gibt Lebensgeschichten, Wahrheiten und Erkenntnisse, aber keine psychologischen Studien.
Mutig wagt sie sich an Gefühlswelten. Sie weiß, welchen schmalen Grat sie damit betritt. Sie hält ihren Stil und die Balance genau wie Evi auf dem Seil und schafft es – manchmal nur haarscharf – nie die Grenze zum Kitsch zu überschreiten.
Allen Verlusten zum Trotz, allen schmerzlichen Wahrheiten die Stirn bietend, zeugt dieser Roman vom möglichen Glück. Dem Glück, Freunde und Familie zu haben, die einen tragen und auffangen. Die es ermöglichen, die “hellen Tage zu behalten und die dunklen dem Schicksal zurückzugeben.”

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift.


Genre: Romane
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main