An einem klaren, eiskalten Januarmorgen

schimmelpfennig-1Tragisch unterkühlt

Auffallen um jeden Preis ist wohl die Devise, und dazu geeignet scheint auch ein solch bandwurmartiger Romantitel wie «An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21ten Jahrhunderts». Frank Witzel hat seinen Lesern die Abkürzung «Die Erfindung» zugestanden für seinen noch üppigeren Romantitel, von Theaterautor und Dramaturg Roland Schimmelpfennig war diesbezüglich noch nichts zu hören. Er hat jedenfalls mit diesem deskriptiven Titel für seinen Debütroman vorab schon einiges angedeutet, die Eiseskälte dient ihm als Metapher für Erstarrung, Vereinsamung, Ausweglosigkeit als sozialer Befund. Und schon im ersten Satz wird neben dem geografischen Schauplatz der Handlung auch gleich eine Art Leitmotiv eingeführt, das einen weiteren literarischen Trend bestätigt, den Hang zum Tier als Subjekt der Handlung, hier in Form eines Wolfes. Also nicht gerade ein Kuscheltier, im Mythos wie im Volksverständnis als bedrohliches Tier angesehen, womit der Leser auf das Folgende bereits bestens eingestimmt ist.

In kurzen Episoden wird, auf mehrere Handlungsstränge verteilt, von Menschen erzählt, die im Dunstkreis der Metropole Berlin soziologische Typen verkörpern, denen allesamt etwas Unfrohes anhaftet, die permanent enttäuscht werden. Da ist zunächst der polnische Saisonarbeiter, der bei einem Stau auf der Autobahn dem Wolf als Erster begegnet und ihn geistesgegenwärtig fotografiert, vor einem Schild «Berlin 80 km» auch noch. Seine als Putzfrau arbeitende Freundin verkauft das Foto, und sofort ist der Wolf in allen Zeitungen präsent und wird schnell zum Problemwolf wie einst Bruno, der bayerische Problembär seligen Angedenkens. Der Pole wird arbeitslos, die Freundin lässt sich auf einer Party von einer Zufallsbekanntschaft schwängern, der jugendliche Erzeuger dringt auf Abtreibung. Ein junges Pärchen reißt von zuhause aus, weil die Mutter ihre Tochter ins Gesicht geschlagen hat, eine lebensgefährliche Flucht bei strengem Forst, bei der ihre Liebe auf der Strecke bleibt. Die Eltern suchen erfolglos nach ihnen, sie stecken ihrerseits in handfesten Problemen, Alkoholismus spielt eine dominante Rolle, auch Hoffnungslosigkeit und Sprachlosigkeit. Wir erleben den Kioskbesitzer, der die fixe Idee hat, den Wolf zu finden und zu erschießen, es gibt andere Figuren mehr, deren Wege sich mit dem Ausreißerpärchen kreuzen, und immer wieder taucht dabei unvermutet der Wolf auf.

Der Autor bedient sich in lose aneinandergereihten kurzen Szenen einer unterkühlt wirkenden Sprache, mit minimalistischen, schmucklosen Sätzen, die häufig ohne Nebensätze auskommen und wie Bühnensprache phonetisch zweckmäßig und dramaturgisch leichtverständlich aneinandergereiht sind. Die im Roman eh schon vorherrschende meteorologische wie mentale Eiseskälte wird dadurch aber entschieden überstrapaziert, der Leser muss sich warm anziehen, könnte man sagen, – oder viel Alkohol trinken wie die allesamt tragischen Romanfiguren. Viele von ihnen bleiben übrigens namenlos, was zu sperrigen Formulierungen wie «Die Freundin der Mutter des Jungen» führt, und über ihr Geschick können wir am Ende nur mutmaßen, irgendwelche Andeutungen gibt es keine. Im letzten Satz schließlich heißt es lapidar: «Der Wolf war verschwunden.»

In Form eines Gegenwartsromans beschreibt der Autor lakonisch eine äußerst triste Gesellschaft, wobei mir seine emotionslose Geschichte deutlich überzeichnet erscheint, allzu eiskalt konstruiert zudem, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Absicht, ein Panorama der Jetztzeit zu zeichnen, ist jedenfalls wenig überzeugend, sowohl in inhaltlicher als auch sprachlicher Hinsicht. Rückblickend gesehen war mir persönlich nur der Wolf sympathisch, der als Rudeltier hier aber einsam umherirrt, wie all die blutleeren menschlichen Figuren übrigens auch. Erstaunlich, dass es dieser fragwürdige Roman in die Shortlist des Leipziger Buchpreises geschafft hat, klug aber, dass die Jury ihm diesen Preis letztendlich nicht verliehen hat.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
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