Kindeswohl

KIndeswohlInhalt: Familienrecht ist das Spezialgebiet der Richterin Fiona Maye am High Court in London: Scheidungen, Sorgerecht, Fragen des Kindeswohls. In ihrer eigenen Ehe ist sie seit über dreißig Jahren glücklich. Da unterbreitet ihr Mann ihr einen schockierenden Vorschlag. Und zugleich wird ihr ein dringlicher Gerichtsfall vorgelegt, in dem es um den Widerstreit zwischen Religion und Medizin und um Leben und Tod eines 17-jährigen Jungen geht.

Rezension: Gewissenskonflikte haben auch Richterinnen und Richter. Wie entscheiden sie im Sinne des Gesetzes und zum Wohl des Betroffenen?

Fremdes Blut vergiftet Geist und Körper, sagt die Sekte. Der Junge soll lieber an Leukämie sterben, als Heilung zu erfahren! Auch er selbst, infiltriert von dieser Meinung, ist überzeugt davon. Die Richterin, selbst in einem privaten Desaster, muss handeln.

Gerichtsfälle aus familiärem Umfeld – das Ressort der Richterin FionaMaye – bestürzen in ihrer grausamen Realität, wir leben ja leider damit, man lese nur die Tageszeitungen. Sehr schön, die privaten Ver- und Entwicklungen des intellektuellen Paars, und das Resümee der Ehefrau.

Anfangs fürchtete ich nach den ersten Seiten, oh, das wird eine juristische Abhandlung, dann aber packte mich McEwan durchaus, eigentlich packt er mich immer mit seiner Sicht auf die Menschen und seinem eleganten Erzählstil.  Ein Buch, das mich überzeugt.


Genre: Belletristik
Illustrated by Diogenes Zürich

Die Frau auf der Treppe

SchlinkFrauaufTreppe Drei völlig unterschiedliche Männer, vordergründig geeint durch eine unerfüllte Liebe: der narzisstische Künstler, der schwerreiche Unternehmer, der Anwalt, der nur solange vermitteln will, wie er Recht behält. Eine Frau, die sich allen drei Männern gleichermaßen entzogen hat.

Die Frau, Irene, stand einst Modell für ein Frühwerk des heute bedeutenden Künstlers Karl Schwind. Seit Jahrzehnten hat niemand mehr „die Frau auf der Treppe“ gesehen, der Verbleib des Gemäldes ist unklar, von Geheimnissen umwittert. Irenes erster Mann, der Unternehmer Gundlach hat es 1968 bei dem damals noch unbekannten Schwind in Auftrag gegeben, „um den Lauf der Zeit anzuhalten“. Zwischen Künstler und Modell entbrennt eine stürmische Liebschaft, woraufhin Gundlach das Werk systematisch beschädigt. Der Künstler erkennt, dass er nur weitermalen kann, wenn er selbst entscheiden kann, was mit seinen Bildern geschieht.

Es folgt ein erbitterter Streit um die Eigentumsrechte an dem Bild, um das Recht des Künstlers an seinem Werk. In dieser Phase betritt ein junger, aufstrebender Anwalt, Schlinks-Ich-Erzähler die Szene. Von ihm verlangen die Rivalen einen Vertrag, der den Tausch Frau gegen Bild vorsieht, ohne dass die Frau davon weiß. Denn für den einen ist sie doch nur die Muse, für den anderen die Vorzeigegattin, für beide eine Verschiebemasse. Der junge Anwalt verbündet sich mit Irene. Der Vertrag wird nur zum Schein geschlossen, er hilft Irene bei einem gewagten Vorhaben. Irene flieht, mit ihr das Bild. Der Anwalt, der zum ersten Male in seinem Leben die Liebe erahnte, bleibt zurück. Soweit die im Roman in Rückblenden erzählte Vorgeschichte.

In der Gegenwart begleiten wir den Anwalt auf einer Geschäftsreise nach Australien. In seiner Freizeit besucht er eine Kunstausstellung und findet sich plötzlich völlig unvermutet vor der „Frau auf der Treppe“ wieder. In diesem Moment sieht er ganz klar, dass seine Geschichte mit Irene noch nicht auserzählt ist. Er lässt seine Kontakte spielen, recherchiert und findet sie nach einer für seine Verhältnisse abenteuerlichen Reise schließlich wieder. Sie lebt – oder besser gesagt – stirbt auf einer einsamen Insel. Er ändert seine Pläne und bleibt bei ihr.

Ganz so einfach gestaltet es sich auch diesmal nicht, das Wiederauftauchen des Bildes hat sowohl den Maler als auch den Unternehmer auf den Plan gerufen. Auch sie finden Irenes Aufenthaltsort heraus und sich auf der Insel ein. Man reflektiert, streitet, spreizt sich und resigniert schließlich. Der Verbleib des Bildes wird geklärt, Irene hat ihren letzten großen Auftritt. Zum Schluß bleibt nur der Anwalt zurück und begleitet Irenes Sterben. Sie ziehen Bilanz, erträumen sich aber auch einen ganz anderen Lebens-Verlauf. Schlussendlich ist es ausgerechnet der Tod seiner ersten unerfüllten Liebe, der dem Anwalt zu einem neuen Leben verhelfen wird.

Hintergründig eint die drei Männer weniger ihre unerfüllte Liebe als ihr egozentrisches Wesen und ihr unbedingter Wille, ein Lebenswerk vorweisen zu können, dem sie alles opfern. Vor allem ihr eigenes Glück. Irene hingegen will – den nahenden Tod vor Augen – einmal noch die längst vergessen geglaubte Bewunderung „ihrer“ Männer spüren. Schade, dass ihre Figur derart reduziert wird, denn eigentlich hat gerade sie mit einer nicht näher beschriebenen RAF-Vergangenheit den spannendsten Lebenslauf.

Es ist ein ganzes Füllhorn voller Themen, welches Schlink über den Leser ausgießt. Feminismus, Kapitalismuskritik, Terrorismus, die Bedeutung der Kunst, Liebe und Tod, das Alter, Spießertum, Drogensucht – man kann dem Autor nicht vorwerfen, er hätte etwas ausgelassen. Leider wird vieles nur angerissen, weniges vertieft. Den Leser beschleicht das Gefühl, dass man es hier mit einem typischen Problem der Alt-68er-Generation zu tun hat: Sucht der Autor zwanghaft etwas, was geblieben ist und bleiben wird? Gerade diese Generation bedauert ja sehr, dass vieles von dem wegbricht, was sie einst erfolgreich machte und bewegte. Dazu passt auch die resignierte Erkenntnis des Anwalts, dass es doch meist die kleinen Niederlagen im Leben sind, die nachwirken. „Die kleinen Splitter sind schwerer zu entfernen als die großen… “

Seit dem „Vorleser“ scheint Schlink es keinem mehr recht machen zu können. Vielleicht sind die Erwartungen auch deshalb so hochgeschraubt, weil „der Vorleser“ es in den Lektüreschlüssel der gymnasialen Oberstufe geschafft hat, in dem z.B. Bertolt Brecht selten zu finden ist. Diesbezüglich kann man Schlink natürlich überbewertet finden, allerdings kann der Autor selbst wohl am allerwenigsten dafür. Mit der Frau auf der Treppe erzählt Bernhard Schlink einfach eine Geschichte, zwar etwas überfrachtet, aber nicht langweilend. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein leiser Hauch von Melancholie ist spürbar, eine leise Trauer über verpasste Chancen nachvollziehbar. Manchmal ist die Atmosphäre erstaunlich dicht, dann wiederum wird es doch arg schwülstig: „An der Kathedrale der Gerechtigkeit arbeiten viele Steinmetze!“ Ein Sympathieträger fehlt völlig.

Müßig sind Spekulationen, ob Schlink sich bei der Figur des Malers Schwind an Gerhard Richter orientiert hat. Schlink selbst verweist in einem Nachsatz darauf, dass ihn Richters Werk „Ema. Akt auf einer Treppe“ inspiriert habe, der Künstler Schwind jedoch frei erfunden sei.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de


Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich

Letzte Nacht in Twisted River

41fBYGsgFkL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_New Hampshire 1954: In einer kleinen Holzarbeitersiedlung verdient sich der verwitwete Koch Dominic (genannt Cookie) seinen Lebensunterhalt bis eines Tages sein Sohn Danny die Freundin des örtlichen Polizeichefs mit einem Bären verwechselt und kurzerhand pfännt (= mit einer Pfanne erschlägt). Gezwungen zur Flucht verschlägt es die beiden zunächst nach Boston, wo sie in der italienischen Gemeinde rasch heimisch werden und eine neue Liebe (Cookie) respektive eine gediegene Ausbildung (Danny) verpasst bekommen. 13 Jahre hält das fragile Glück, doch dann ist Constable Carl (der mit der bärigen Freundin) ihnen wieder auf den Fersen und sie setzen sich erneut ab, diesmal nach Vermont.

Auch hier finden sie sich prima zurecht, Cookie experimentiert (nicht nur in der Küche) mit asiatischen Einflüssen und Danny ist inzwischen selbst Vater und auf dem besten Weg, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden. Den Kontakt zur alten Heimat halten sie über ihren Freund Ketchum, ein grobschlächtiger aber herzensguter Holzarbeiter, der alles tut, um die beiden Exilanten vor dem verrückten und rachsüchtigen Cop zu beschützen. Allerdings können weder er noch eine weitere Flucht bis nach Kanada den unvermeidlichen Showdown nach fast 50 Jahren verhindern; die Dinge nehmen ihren Lauf und es kommt wie es kommen muss…

Es fällt nicht leicht eine Inhaltsangabe zu liefern, die diesem Epos gerecht wird, denn zu vielschichtig sind die Ereignisse in diesem neuen grandiosen Roman des begnadeten Erzählers John Irving. Natürlich finden wir jede Menge Liebe und Beziehungen, sowie tragische Tode und Verluste, die aber nie zu Bitterkeit führen, da sie als normaler Bestandteil des Lebens empfunden werden. Und natürlich gibt es auch Bären und schwergewichtig skurrile Frauengestalten wie Injun Jane, Six-Pack Pam oder Lady Sky, eine nackte Fallschirmspringerin, die im Schweinestall landet. Überhaupt die Charaktere: Wieder einmal gelingt es dem Romancier, liebenswert warmherzige und humorvolle Gestalten zu erschaffen, die den Leser tief anrühren, mit denen er nur zu gern Freud und Leid teilt und die er mit dem Zuklappen des Buches noch lange nicht vergisst.

Irvings fulminantes Werk umfasst fünf Jahrzehnte und ganz nebenbei serviert er als Soundtrack zum Leben der Protagonisten die dazu gehörige amerikanische Geschichte. „Last Night in Twisted River” ist somit auch ein politisches Buch; der Autor nimmt zum Beispiel kein Blatt vor den Mund, wenn die Rede auf den vorigen US-Präsidenten kommt. Keineswegs nur deswegen kann ich den Roman uneingeschränkt wärmstens ans Herz legen, denn viel zu selten stößt man heutzutage auf derartigen literarischen Hochgenuss wortwitziger Fabulierkunst. Irving-Fans werden das Epos lieben und für alle anderen ist es die perfekte Chance für den Einstieg in das Werk dieses außergewöhnlichen Schriftstellers. Zu wünschen wäre freilich, dass bald auch den Nobelpreisrichtern die Nordlichter aufgehen und dort nicht immer nur belanglose Brabbler á la Herta „Lieschen“ Müller prämiert werden.


Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich

Abschalten

Können Menschen, die sich für unverzichtbar halten, abschalten? Müssen sie Gefahr laufen, dass ihre Unentbehrlichkeit hinterfragt wird, wenn sie ein paar Wochen ausnahmsweise nicht ihren Arbeitsplatz verteidigen? Verlieren Sie an Ansehen, falls sie den Stress unterbrechen wollen? Dürfen sie überhaupt abschalten?

Martin Suter beantwortet diese Fragen mit Porträtminiaturen aus dem Management hierarchischer Unternehmen. Es geht um Manager, denen das Undenkbare widerfährt: Sie sollen Ferien machen!

Ein Entscheidungsträger, der sich wichtig nimmt, so lesen sich zumindest Suters Geschichten, setzt alles daran, seinen Urlaub zu verhindern. Er erfindet notfalls Projekte, um seiner Familie zu suggerieren, dass sie leider ohne ihn in Urlaub fahren müsse. Falls es dennoch gemeinsam auf Reisen geht, terrorisiert er seine Umwelt mit dem zwanghaften Versuch, die Freizeit zu managen. Denn das ist das Schlimmste: zur Untätigkeit gezwungen zu sein.

Dabei hält er ständig Kontakt mit seinem „Back Office“. Es könnte schließlich sein, dass der Betrieb untergeht, während er fort ist. Oder, noch krasser: Die Firma will nicht untergehen, obwohl er durch Abwesenheit glänzt. Am allerschlimmsten aber wäre, laut Suter, das Unternehmen wächst und gedeiht, gerade weil der angeblich Unentbehrliche nicht vor Ort wirbelt.

Mit seinen Geschichten beweist Suter, dass er sich in oberen Managementetagen auskennt. Seine Miniaturen lesen sich vergnüglich, wenngleich ihnen kräftigerer Biss gut bekommen würde. Der Autor erweist sich als ausgezeichneter Beobachter. Er kennt die sich häufig nur um sich selbst drehende Welt der Manager; er beherrscht ihren inhaltsleeren Jargon.

„Abschalten“ ist ein hübsches Geschenk für Zeitgenossen, die an der „Managerkrankheit“ zehren. Sie werden sich in manchen Storys wiedererkennen und darüber schmunzeln. Viel mehr allerdings auch nicht. Zudem sind die meisten der Texte bereits in anderen Suter-Büchern veröffentlicht: Lediglich 13 von den insgesamt 58 Kurztexten, also weniger als ein Viertel, wurden bislang noch nicht bei Diogenes veröffentlicht.


Genre: Kurzprosa
Illustrated by Diogenes Zürich

Ein perfekter Freund

Journalist Fabio Rossi erwacht in einem Krankenhaus. Er trägt einen schweren Kopfverband und wurde offensichtlich brutal niedergeschlagen. Durch die Verletzung ist der Faden der Erinnerung an die letzten Wochen vor dem Unfall abgerissen, und so erkennt er auch die junge Frau nicht, die an seinem Bett sitzt und ihn küsst. Er kann sich schlicht an nichts mehr erinnern. Weiterlesen


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Diogenes Zürich

Veronika beschließt zu sterben

Selbstbestimmt will Veronika, Mitte 20, ihr Leben beenden, da sie es „in vollen Zügen genossen hatte“ und jetzt endlich frei sein und vergessen wollte – für immer. Mutig nimmt sie die mühsam besorgten Tabletten …

Doch der Selbstmord missglückt und sie erwacht in „Villete“, dem „berühmt-berüchtigten Irrenhaus“ von Ljubljana, der Hauptstadt von Slowenien, welches Veronikas Heimat ist. In „Villete“ nimmt sich ihr Dr. Igor mit einem gewagte Experiment an, um Veronika von ihrem Todeswunsch zu heilen, obwohl sie ja nur noch eine Woche zu leben hat, da der Selbstmordversuch ihr Herz zu stark in Mitleidenschaft gezogen hat.

Veronika nutzt diese eine Woche und lernt die Insassen von Villete näher kennen und fühlt sich von einigen „Verrückten“ besonders stark angezogen. Sie ist fasziniert und irritiert von dieser so anderen Welt, fern des bisherigen Alltags und der Probleme ihrer Heimat, die gerade einen Bürgerkrieg überstanden hat.

Paulo Coelho verarbeitet in seinem Buch nicht nur seine, über zwanzig Jahre zurückliegenden, eigenen Erfahrungen als Psychatriepatient, sondern stellt Fragen und gibt mögliche gedankliche Anregungen an den Leser. Er versucht zu erklären, was eigentlich „Verrücktsein“ im jeweiligen gesellschaftlichen Rahmen bedeuten kann und wie Menschen überhaupt in die Psychatrie kommen, um Hilfe zu suchen oder zu fliehen vor dem, was als normales Leben angenommen wird. Der Arzt Dr. Igor steht zusammen mit dem Pflegepersonal den Patienten als Institution „Psychatrie“ gegenüber und oft scheinen ihre Handlungen willkürlich und unverantwortlich. Trotzdem genesen einige „Villete“- Patienten und wagen nach langer Zeit wieder den Schritt aus dem Schutz dieser Institution hinaus ins reale Leben.
Zu ihnen zählt auch der schizophrene Eduard, dessen Geschichte den Leser genauso in seinen Bann zieht wie Veronikas Geschichte.

Obwohl das Buch vor zehn Jahren das erste Mal erschienen ist, scheint es nichts von seiner Aktualität verloren zu haben. Es wird immer wieder, und der Statistik zufolge auch immer mehr, Menschen geben, die ihr Leben als beendet und abgeschlossen betrachten oder die sich mit den rasant voranschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen nicht arangieren können oder wollen. Und wenn diese Menschen psychatrische Hilfe erhalten, gibt es bestimmt inzwischen neue Medikamente und Methoden, die einige vielleicht von ihren Leiden heilen…
Letztendlich entscheidet jedoch jeder Leser dieses Buches selbst, in wie weit er sich während und nach der Lektüre des Buches gedanklich mit dem Sinn seines eigenen Lebens und seinem gesellschaftlichen Kontext auseinander setzen möchte. Ich, für meine Person, habe dieses dünne Büchlein weder schnell durchflogen, noch werde ich es schnell wieder vergessen können. Dazu war es viel zu faszinierend für mich!


Genre: Belletristik
Illustrated by Diogenes Zürich

Die dunkle Seite des Mondes

Urs Blank hat mehr erreicht, als er sich zu Beginn seines Jurastudiums hätte träumen lassen. In einer Schweizer Wirtschaftskanzlei ist er innerhalb kurzer Zeit zu einem hoch bezahlten Staranwalt aufgestiegen. Seine Klienten sind steinreiche Männer mit erheblicher Macht, die sie skrupellos zu mehren wissen, und der auf Fusionsverhandlungen spezialisierte Advokat hilft Ihnen dabei. Doch irgendetwas stimmt nicht mit dem smarten Volljuristen. Es schimmert eine dunkle Seite in ihm auf, und er muss sich bisweilen stark zurückhalten, um seine Gesprächspartner nicht zu ohrfeigen oder in den Arsch zu treten. Weiterlesen


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Diogenes Zürich

Small World

Small World. Konrad Langs Welt schrumpft und wird immer kleiner. Er vergisst seine Brieftasche im Kühlschrank, er verirrt sich im Dickicht der realen Welt, und eines Tages übergießt er feuchtes Kaminholz mit Benzin, um es leichter entzünden zu können. Das hat er zwar schon öfter gemacht, doch diesmal liegt das Holz noch neben dem Kamin, und die luxuriöse Ferienvilla seiner Chefin und Gönnerin Elvira Senn auf Korfu wird bald darauf zum Raub der Flammen. Nun ist es nicht mehr zu verbergen: Konrad Lang hat Alzheimer, und die Krankheit schreitet mit erschreckender Geschwindigkeit voran. Weiterlesen


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Diogenes Zürich

Der Koch

Martin Suter hat ja bereits einige Lorbeeren eingeheimst, nun ist der neue Suter ist da, viele Fans warten bereits aufs neue Buch. Vielleicht wird es ihnen so gehen wie mir: „Kochen ist Krieg“ (gemeint ist der Kampf des kochenden Personals untereinander, gegeneinander, miteinander – für den Gast).In diesem Buch ist das so nicht gemeint. Es wird sich dem geneigten Leser erst spät erschließen.

Der tamilische Asylant Maravan ist Aushilfe in einem Züricher Nobelrestaurant. Er arbeitet tief unter seinem Niveau. Die einst von seiner Großtante erlernten Fähigkeiten hatten ihn in Sri Lanka zu einem Meister seines Fachs gemacht. Maravan beherrscht die Kochkunst mit all ihren Raffinessen – und auch die Geheimnisse der aphrodisischen Küche. Doch er braucht das Geld, das er hier verdient, um seine Familie in Sri Lanka zu unterstützen, denn dort herrscht Krieg. Wie weit ist doch Sri Lanka? Man glaubt es kaum, daß dort ebenfalls Krieg herrscht und Tausende dort sterben. Martin Suter hat sein neues Buch ganz dicht an unsere Gegenwart gelehnt: 2008 und 2009.

Maravan möchte eines Tages eine neue Rezeptur ausprobieren und benötigt dafür einen Rotations-Entdampfer, den er sich aus der Küche ausleiht, um ihn am nächsten Tag gleich zurückzugeben. Leider wird er erwischt und fliegt sofort raus.
Die materielle Hilfe für seine Familie muß er nun auf ein Minimum beschränken. Bis Andrea, die Servicekraft aus dem Nobelrestaurant, auftaucht und ihm einen Geschäftsvorschlag unterbreitet: Catering für Lovefood. Maravan hatte für sie bereits ein erotisches Menue mit Erfolg gekocht. Eine befreundete Paartherapeutin hilft ihnen bei der ersten Kundenbeschaffung, indem sie Maravans Fähigkeiten nutzt, um Paare wieder zusammenzuführen. Als das Geschäft ganz gut floriert, glaubt Andrea, ohne die Paartherapeutin auszukommen, die das aber spitzkriegt und keine Paare mehr schickt. Daher fangen sie an, „unmoralisch“ zu kochen.

Ab und an tauchen wie aus dem Nichts Maravans Gedanken an die Heimat und an seine Familie auf. Nebenbei erfährt der geneigte Leser, daß sich dessen jüngerer Bruder bei der Freiheitsbewegung beworben hat. Die Angst Maravans kann man kaum spüren, gedankenverloren kocht er für das nächste Arrangement ein erotisches Menue. Ein obskurer Manager ist aufgetaucht, der auch als Manager des Jahres 2008 ausgezeichnet wurde. Maravan erfährt, daß dieser mit den beiden tamilischen Seiten, der staatlichen und der freiheitsbewegten, gleichzeitig Waffengeschäfte tätigt. Maravan beschließt Rache, denn er hat im Internet das Bild seines kleinen Bruders entdeckt, der von den Kriegern ermordet ist. Und selbiger Manager stirbt an Herzversagen. Leider wird der Leser nun mit dieser Tatsache alleingelassen. Man erfährt im Abspann stattdessen, daß Martin Suter die dort veröffentlichten Rezepturen von einem ihm bekannten Koch hat nachkochen und so verändern lassen, daß sie mit wenig technischem Aufwand von Interessierten nachzuempfinden sind. Da aber doch einige Rezepte auf der neuen molekularen Küche basieren und mit flüssigem Stickstoff zuzubereiten sind, entfällt das für mich als Laien, da ich zu Hause nur eine Pfanne und drei Kochtöpfe mein eigen nenne.
Martin Suter, der uns das wunderbare Buch „Small world“ schenkte und mit „Lila Lila“ sogar ein verfilmtes Stück Literatur in die Kinos bekommen konnte, hat hier ein unspektakuläres Buch, einen leicht dahinfließenden Text, veröffentlicht, aus dem zwei Sachen herausragen:
Wenn Maravan erklärt, Kochen ist, Aggregatzustände eßbar zu machen, und für mich am wichtigsten – die Erkenntnis, daß der Befreiungskampf in Sri Lanka auch direkt vor unserer Haustür stattfindet, denn die Waffenlobbyisten treiben auch in unseren Breiten ihr Unwesen.
Leider ist der Text so lau, als ob Marvan, der Koch aus Sri Lanka, für seine delikaten Gerichte keine vorgewärmten Teller benutzen würde.


Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich

Über Venedig, Musik, Menschen und Bücher

Wer mit einem literarischen Serienhelden so erfolgreich ist, wie Donna Leon mit ihrem „Commissario Brunetti“ (oder ist vielleicht die wirkliche Serienheldin doch Venedig?) wird vom Publikum gerne auf die Rolle als „Autorin der Brunetti-Romane“ reduziert. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass der seit nunmehr fast dreißig Jahren in Venedig lebenden US-Amerikanischen Schriftstellerin das Verfassen der Kriminalromane mit ihrem sympathischen Kommissar Guido Brunetti nicht als „Reduktion“ auf Etwas vorkommt.
Dass Donna Leon auch die kleine literarische Form beherrscht, dass sie kurze Geschichten erzählen, Glossen verfassen und auch journalistische Beiträge verfassen kann, dies ist in dem Sammelband „Über Venedig, Musik, Menschen und Bücher“ nachzulesen.
Das Buch, schon 2005 im Diogenes Verlag erschienen, versammelt in sechs Kapiteln kurze Texte, die die Autorin zwischen 1997 und dem Jahr 2005 veröffentlicht hat. In diesen, zumeist sehr kurzen Texten, beschreibt Donna Leon ihre Wahlheimat Venedig, („Weil es keine Autos gibt, hat Venedig die Freiheit, zumindest für seine Bewohner das zu sein, was es an Zahlen gemessen ist: eine Provinzstadt mit kaum 70.000 Seelen, wo eine der wichtigsten Quellen der Unterhaltung der Klatsch ist und wo es folglich keine Geheimnisse gibt.“ Seite 12), offenbart ihr Fremdeln mit elektronischer Kommunikation („E-Mail-Monster“, Seite 297), schwärmt für den klassischen Gesang („La Serve fedele – Cecilia Bartoli“, Seite 85) oder verrät etwas über ihre eigentliche Heimat im Kapitel „Über Amerika“.
Die Texte sind heiter, amüsant, kritisch und ernst. Vor allem sind sie gut geschrieben, von einer Schriftstellerin, die ihr Handwerk versteht und die wir hier „jenseits von Brunetti“ erleben können.


Genre: Kolumnen
Illustrated by Diogenes Zürich

Lasset die Kinder zu mir kommen

Kindersegen auf Abruf

Carabinieri dringen mitten in der Nacht in das Schlafzimmer eines Ehepaars ein, durchsuchen die Wohnung, nehmen das Baby des Paares mit, schlagen den sich wehrenden Mann krankenhausreif und lassen die Frau schockiert zurück.
Pech nur für die Carabinieri, dass der Zusammengeschlagene der Leiter der Pädiatrie des Krankenhauses ist, in das ihn die Carabinieri einliefern. Da muss die Polizei ermitteln, auch wenn die Täter ebenfalls vom Staat bezahlt werden. Und weil das alles in Venedig stattfindet, reißt ein nächtlicher Anruf Commissario Brunetti aus dem Schlaf.
In ihrem sechzehnten Brunetti-Roman ermitteln Carabinieri hinter einem organisiertem Kinderhändlerring her und denjenigen, die sich aus ihrem Angebot bedienen. Dabei geht es aber nicht um Kinder, die als Arbeitssklaven enden, sondern um die Vermittlung von Babys an Paare, die sich ihren Kinderwunsch nicht selbst erfüllen, aber für ihren „Kindersegen“ zahlen können.
Die Ermittlungen des venezianischen Commissarios öffnen den Blick nicht nur auf kriminelle Machenschaften in Medizinerkreisen, sondern auch auf das gesellschaftliche Umfeld, das diesen Fall begünstigt. Ist das Baby des Ehepaars Pedrolli nicht doch das leibliche Kind des Arztes, aber aus einem Seitensprung? Wer hat Anzeige erstattet oder wie kamen die Carabinieri dahinter? Ist die Vermittlung von elternlosen Babys an reiche Kinderlose ein Segen für die Kinder oder zu verurteilen? Und ist das alles überhaupt ein Fall für die Polizei oder eher für die Politik oder gar reine Privatangelegenheit?
Donna Leon bedient mit „Lasset die Kinder zu mir kommen“ nicht die Erwartung, mit Hilfe eines konstruierten Falles, könne die politische und moralische Grenzziehung in diesen Fragen gelingen. Alle Fragen bleiben letztlich offen, das Personal dieses Romanes mit seinen Zweifeln ist auf sich gestellt. Nach 355 Seiten Lektüre bleibt ein Gefühl von Unzufriedenheit übrig: In diesem Fall, nicht das schlechteste Ende.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Der Großaktionär

Athen ist nicht Hollywood

Auch in diesem Krimi brennt es, um einmal das Thema aufzugreifen, mit dem Griechenland traurigerweise im Jahr 2007 in der Öffentlichkeit von sich Reden machte. Allerdings brennen in diesem außerordentlich spannenden Kriminalroman weniger die Wälder, als über kurz oder lang die Nerven des Hauptdarstellers, Kommissar Kostas Charitos, durch. Dessen Tochter wurde nämlich, zusammen mit ihrem Zukünftigen und einigen hundert Touristen auf einem Kreuzfahrtschiff in der Ägäis enführt. Die Gauner geben sich als Nationalisten, versuchen Gesinnungsgenossen freizupressen und lösen verständlicherweise in der Familie des Kommissars ein emotionales und auch real ein ganz handfestes Chaos aus.
Petros Markaris letzter, 2007 bei Diogenes erschienener Kriminalroman, ist der mittlerweile sechste in einer nicht nur beachtlichen, sondern auch europaweit beachteten Reihe von Krimis. Sein Kommissar lebt und arbeitet in Athen, quält sich durch die lebensfeindliche Hauptstadt Griechenlands und versucht – obwohl anscheinend von Geburt an Misanthrop – sich das Leben nicht komplett vermiesen zu lassen. Der Mann isst gerne und trinkt gern, aber ein Gourmet ist er nicht. Hausfrauenkost, und nur die seiner ansonsten höchst nervigen Frau, ist ihm das allerliebste.
Wer sich durch die Krimis von Markaris liest, der bekommt einen Eindruck von einem Griechenland jenseits des Akropolis-Ausfluges, der Strand/Sonne/Taverne-Bilder. Korruption hat man zwar chauvinistischerweise sowieso den Griechen zugetraut, aber Markaris kommt mit politischen Zusammenhängen und Einblicken daher, die das Interesse an der Wiege der westlichen Demokratie ganz neu und auf ganz andere Weise entzündet wird.
Wie der Fall im neuesten Krimi ausgeht? Griechische Krimis sind keine Hollywood-Filme. Seine Tochter überlebt, aber glücklich wird der Kommissar am Ende doch nicht.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Das Tagebuch der Signora

Hinter der Mauer des Schweigens blüht der Horror.

Wer kann sich noch an die italienischen Neofaschisten erinnern? Können Sie ad hoc den Namen der Partei nennen, die das Erbe Mussolinis angetreten hat? Können Sie sich vorstellen, dass italienische Faschisten in der Gegenwart an einer Regierung beteiligt waren – und nun auch schon wieder sind, ja gar den Parlamentspräsidenten stellen?
Das vermutlich eine Mehrheit der Leserinnen und Leser dieses Textes nicht sofort und mit Gewissheit diese Fragen beantworten kann, kommt nicht von ungefähr. Die Tatsache, dass aus der offen neofaschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) eine Partei entstehen konnte, die es nach wenigen Jahren schaffte, sich das Image einer konservativen aber dennoch seriösen und demokratischen politischen Kraft zu geben, ist an und für sich schon schockierend. Dass diese, trotz aller erfolgreicher Camouflage, immer noch vom faschistischen Geist angefeuerte Partei mit dem heutigen Namen „Alleanza Nazionale“ tatsächlich zweimal Koalitionspartner in einer italienischen Regierung (unter dem nicht minder dubiosen Ministerpräsidenten Berlusconi) sein konnte, war den meisten politischen Kommentatoren in Europa nur noch wenige Monate lang überhaupt erwähnenswert und kritikwürdig. Dass sie nunmehr Teil der Partei Berlusconis geworden und damit erneut Regierungspartei ist, löst ausserhalb Israels keine ernstzunehmenden Befürchtungen mehr aus.
Dass aber hinter der demokratischen Fassade nicht trotz, sondern gerade wegen des Vergessens, schlimmste Verbrechen immer noch auf ihre Aufklärung warten und deren Urheber auf ihre Verurteilung, davon handelt der 2007 erschienene Roman der italienischen Autorin Liaty Pisani, die durch ihre Spionage-Krimis mit der für seinen Berufsstand zu nachdenklichen Hauptfigur, dem Geheimagenten Ogden, bekannt wurde.

Der vorliegende Roman ist kein Spionagethriller. Wohl tauchen am Ende wieder Angehörige eines „Dienstes“ auf – und gehören diesmal zu den „Guten“. Das Kriminale der Geschichte liegt aber in der der Historie des italienischen und deutschen Faschismus.
An den Ufern des Lago Maggiore ereignet sich im September 1943 das erste Massaker an italienischen Juden. Die deutsche Wehrmacht hatte nach der Kapitulation der italienischen Truppen gerade Oberitalien besetzt. Eine junge Frau, Signorina Brandini, war nicht nur Zeugin, sondern auch indirekt in dieses Verbrechen verstrickt. Das Massaker wurde nie gesühnt, die deutschen Mörder und ihre italienischen Kollaborateure laufen frei herum, bzw. wurden nie belangt.
60 Jahre später erhält ein amerikanischer Maler mit italienischen Wurzeln von der mittlerweile betagten, aber reichen Signora Brandini ein Tagebuch, in dem diese die damaligen Ereignisse beschreibt und sowohl Täter als auch Kollaborateure nennt. Ein alter italienischer jüdischer Schriftsteller, großväterlicher Freund des Malers, erhält durch dadurch ebenfalls Kenntnis vom Inhalt des Tagebuches. Er selbst hat einen Teil seiner Familie bei jenem Massaker verloren. Beide beschließen die Tatsachen endlich zu veröffentlichen.
Wie wenig aber das Vergangene wirklich vergangen ist, müssen sie im Folgenden leidvoll erfahren, da sich herausstellt, dass der Sohn des Hauptkollaborateurs, ein angeseher, reicher und skrupelloser Geschäftsmann mit politischen Ambitionen, diese Veröffentlichung um jeden Preis verhindern will.

Die Geschichte, die Liaty Pisani so meisterhaft und spannend erzählt, basiert auf Tatsachen. Am Ende des Romans schreibt sie: „Das hier Erzählte beruht zum Teil auf Tatsachen. Einige der Personen, die in diesem Roman vorkommen, haben existiert: zum Beispiel die Opfer, die bei ihrem richtigen Namen genannt werden (…) Auch nach sechzig Jahren nach der Tragödie von Meina hat keiner der Verantwortlichen für jene Verbrechen büßen müssen. (…)“

Die Pisani hat ein großartiges Buch vorgelegt!


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Wie durch ein dunkles Glas

Verseuchte Schönheit

Es funktioniert mittlerweile wie ein Familientreffen: Man möchte erfahren, wie sich die beiden Kinder des sympathischen Kommissars entwickelt haben und was seine belesene Gattin Paola treibt. Geht es Vianello, dem mittlerweile zum Inspektor beförderten Kollegen von Brunetti gut? Sogar der spießig-schleimige Vize-Questore Patta ist einem über die Jahre ans Herz gewachsen. Ganz zu schweigen von der ebenso klugen wie durchtriebenen Signorina Elletra. Man möchte fast glauben, Donna Leon habe extra für ihr deutsches Lesepublikum das Personal für eine venezianische “Lindenstraße” entwickelt. Gäbe es da nicht den Einbruch der Realität in diese Puppenstube, wäre diese Krimireihe mittlerweile allerdings eher zum Gähnen.
So sehr Venedig als Bühne für Leon´s Geschichten sowohl Klischee als auch Realität ist, so sehr sind die Krimis mit dem Kommissar Brunetti zugleich harmlose „Sittengemälde“ und -glücklicherweise – bissige, zum Teil sarkastische Kommentare der hinter den Fassaden waltenden Wirklichkeit. Bitterböse fallen diese Kommentare in der Regel allerdings nicht aus – Leon ist eben nicht Highsmith.
Lesegenuss entsteht unzweifelhaft bei fortgesetzter Lektüre der Abenteuer des braven Commissario. Dies ist sowohl dem Gefühl von Zugehörigkeit zu einer „Gemeinde“ von treuen Leserinnen und Lesern geschuldet, als auch durch das Lokalkolorit, das Geschichten aus Venedig zweifellos zu vermitteln in der Lage sind. Spannung entsteht durch die mit politischer Aktualität und Brisanz angereicherte Stimmung eines Kriminalfalls nebst allen denkbaren “italienischen” Verwicklungen, Verstrickungen und bürokratischen “Besonderheiten”.
Dieses Mal erfahren wir von Verunreinigungen, ja Verseuchungen der Lagune von Venedig. Diese werden durch den petrochemischen Großbetrieb in Mestre, dem Industriestadtteil Venedigs, der auf dem Festland liegt, verursacht. Aus der Produktion dieser Mammutfabrik fließen seit Jahrzehnten unterschiedlichste, zum Teil hochgiftige Stoffe in die Lagune und verpesten sie nach und nach.
Aber auch die venezianischste aller Industrien gerät im neuesten Buch von Donna Leon unter einen bösen Verdacht: Die Glasproduktion in Murano. Dort spielen die Inhaber zweier Glasmanufakturen eine unrühmliche Rolle. Einer ihrer Angestellten forscht nach Ursachen für die Behinderung, mit der eines seiner Kinder geboren wurde – und glaubt sie in toxischer Verunreinigung durch die Glasproduktion gefunden zu haben. Eines Nachts wird dieser als Nachtwächter arbeitende Angestellte tot vor den höllisch heißen Glasöfen vorgefunden…


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich

Wie durch ein dunkles Glas.

Verseuchte Schönheit

Es funktioniert mittlerweile wie ein Familientreffen: Man möchte erfahren, wie sich die beiden Kinder des sympathischen Kommissars entwickelt haben und was seine belesene Gattin Paola treibt. Geht es Vianello, dem mittlerweile zum Inspektor beförderten Kollegen von Brunetti gut? Sogar der spießig-schleimige Vize-Questore Patta ist einem über die Jahre ans Herz gewachsen. Ganz zu schweigen von der ebenso klugen wie durchtriebenen Signorina Elletra. Man möchte fast glauben, Donna Leon habe extra für ihr deutsches Lesepublikum das Personal für eine venezianische “Lindenstraße” entwickelt. Gäbe es da nicht den Einbruch der Realität in diese Puppenstube, wäre diese Krimireihe mittlerweile allerdings eher zum Gähnen.
So sehr Venedig als Bühne für Leon´s Geschichten sowohl Klischee als auch Realität ist, so sehr sind die Krimis mit dem Kommissar Brunetti zugleich harmlose „Sittengemälde“ und -glücklicherweise – bissige, zum Teil sarkastische Kommentare der hinter den Fassaden waltenden Wirklichkeit. Bitterböse fallen diese Kommentare in der Regel allerdings nicht aus – Leon ist eben nicht Highsmith.
Lesegenuss entsteht unzweifelhaft bei fortgesetzter Lektüre der Abenteuer des braven Commissario. Dies ist sowohl dem Gefühl von Zugehörigkeit zu einer „Gemeinde“ von treuen Leserinnen und Lesern geschuldet, als auch durch das Lokalkolorit, das Geschichten aus Venedig zweifellos zu vermitteln in der Lage sind. Spannung entsteht durch die mit politischer Aktualität und Brisanz angereicherte Stimmung eines Kriminalfalls nebst allen denkbaren “italienischen” Verwicklungen, Verstrickungen und bürokratischen “Besonderheiten”.
Dieses Mal erfahren wir von Verunreinigungen, ja Verseuchungen der Lagune von Venedig. Diese werden durch den petrochemischen Großbetrieb in Mestre, dem Industriestadtteil Venedigs, der auf dem Festland liegt, verursacht. Aus der Produktion dieser Mammutfabrik fließen seit Jahrzehnten unterschiedlichste, zum Teil hochgiftige Stoffe in die Lagune und verpesten sie nach und nach.
Aber auch die venezianischste aller Industrien gerät im neuesten Buch von Donna Leon unter einen bösen Verdacht: Die Glasproduktion in Murano. Dort spielen die Inhaber zweier Glasmanufakturen eine unrühmliche Rolle. Einer ihrer Angestellten forscht nach Ursachen für die Behinderung, mit der eines seiner Kinder geboren wurde – und glaubt sie in toxischer Verunreinigung durch die Glasproduktion gefunden zu haben. Eines Nachts wird dieser als Nachtwächter arbeitende Angestellte tot vor den höllisch heißen Glasöfen vorgefunden…


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Diogenes Zürich