Magnolienschlaf

Zwei Frauen, eine junge Russin und eine neunzigjährige Deutsche, sind aufeinander angewiesen: Jelisaweta braucht das Geld, Wilhelmine ist nach einem Sturz von der Leiter pflegebedürftig. Einfühlsam und umsichtig nimmt sich die Junge der dankbaren Alten an, doch plötzlich, nach einem Telefonat mit Rußland, beginnt die Katastrophe. Wilhelmine kann die Russin nicht mehr ertragen. Hilflos sucht sie das Mädchen aus dem Haus zu treiben und kann doch ohne sie nicht sein. Längst verdrängte Erinnerungen drohen sie zu überwältigen. Krieg, Angst, Verlust ergreifen Besitz von ihren Gedanken und Gefühlen und lassen keinen Dialog zu. Jelisaweta ist ratlos, aber auch entschlossen, ihre Rechte zu verteidigen. Immer wieder versucht sie die alte Frau zum Einlenken zu bewegen oder zumindest eine Erklärung zu bekommen. Was wirft sie ihr vor? Sie hat doch nichts Unrechtes getan, sich wirklich nach Kräften um die alte Dame bemüht. Froh ist Jelisaweta gewesen, der gespannten Atmosphäre daheim in Smolensk zu entkommen, wo ihre Mutter nach dem Tod der Großmutter den Boden unter den Füßen noch weiter verloren hat. Daß ihre Tochter ausgerechnet bei den Deutschen ihr Leben bestreiten will, verdrießt sie sehr. Und nun machen sich auch hier Beklemmung und Ratlosigkeit breit, verdrängen alle Freude an der ersehnten Freiheit. Wie nur, wie soll es weitergehen?
Eva Baronsky debütierte im Jahr 2010 mit dem originellen und hintersinnigen Roman „Herr Mozart wacht auf“. Nun präsentiert sie ein ganz andersartiges Werk, das durch seine Intensität und Dramatik besticht. Sie bindet ein Stück europäischer Geschichte in zwei unterschiedliche Lebenswege ein und inszeniert ein faszinierendes Kammerspiel von großer Eindringlichkeit. Diese Autorin verfügt über ungeahnte Facetten an Themen und Charakteren und begeistert ihre Leser mit magischen Geschichten.


Genre: Romane
Illustrated by Aufbau Berlin

Große Kannibalenschau

\"\"Kannibalenschau?

Große Kannibalenschau?

Ein derartiger Buchtitel weckt Erwartungen. Schließlich entspricht es den Tatsachen, dass noch bis 1940 exotisch aussehende Menschen von anderen Kontinenten durch deutsche Lande tourten und in Tierparks und Zoologischen Gärten ausgestellt wurden. Sie mussten teilweise sogar rohes Fleisch essen, um als Kannibalen durchzugehen.

Die in Scharen herbeiströmenden Besucher durften dann vor \”artgerecht\” gestalteten Anlagen die dort gefangenen \”Wilden\” bestaunen und ihrer Phantasie über die angeblichen Menschenfresser freien Lauf lassen. Als Völkerschauen bezeichnete spektakuläre Wanderausstellungen präsentierten dem Publikum wilde Amazonen aus Schwarzafrika, dick vermummte Arktisbewohner und unergründlich lächelnde Asiaten.\"amazonen1\"

Es mag seltsam scheinen, was vor einem Jahrhundert in deutschen Zoos geschah und mit welch kolonialer Überheblichkeit die weiße Herrenrasse andere Völker und Kulturen öffentlich zur Schau stellte. Doch während heute bereits die Verwendung von Begriffen wie Neger, Eskimo und Zigeuner als politisch inkorrekt gegeißelt wird, war es für unsere Urgroßeltern vollkommen normal, die derartigen Begriffen zugeordneten Zweibeiner selbst öffentlich vorzuführen und zu begaffen.

Vor diesem Hintergrund beschreibt Fischer in Romanform die Expedition eines Tierhändlers nach Deutsch-Neuguinea. Im Auftrag des Tierparkbesitzers Hagenbeck soll er dort besonders exotische Lebewesen aufspüren und an die Elbe bringen. Im Wettlauf mit einem französischen Veranstalter von Völkerschauen gelingt es ihm, einen Stamm Kopfgeldjäger unter Vertrag zu nehmen und nach Hamburg zu verfrachten. Doch die vermeintlich Wilden lernen schnell die Tricks und Kniffe ihrer Ve\"amazonen2\"rtragspartner, und bald sehen sich die Herrenmenschen mit Forderungen und Streiks konfrontiert.

Christian \”CKLKH\” Fischer erzählt seine phantasievolle Geschichte mittels zweier sich konsequent abwechselnder Erzählstränge (Hamburg und Neuguinea). Er betont dabei die grotesken Seiten des zoologischen Menschenhandels und beleuchtet das wechselseitige Unverständnis der heftig aufeinander prallenden Kulturen. Leider fehlen dem Band historische Illustrationen, die es wohl gibt, wenngleich viele Zoologische Gärten in den letzten Jahren einiges daran gesetzt haben, Bilddokumente in ihren Archiven zu verstecken.

Literarischer Höhepunkt ist das Gedankenbild, das Fischer ganz am Schluss seines Buches dem Leser in den Kopf pflanzt: Wie wäre es wohl, wenn Hagenbeck \”typische\” Deutsche in einer eigenen Schau in afrikanischen Kralen und Wüstenoasen gezeigt hätte? Männer in Leder\"Humanzoogermany\"hose mit Dackel oder Schäferhund und Frauen im Dirndl würden Bier trinkend und Eisbein nagend unter einem erzgebirgisch geschmückten Tannenbaum hocken, Weihnachtslieder singen und ihren Nachwuchs in adretten Matrosenanzügen mit bunten Kinkerlitzchen verwöhnen.

Ihr Erscheinen und ihre harte Sprache würden bei den einheimischen Besuchern Entsetzen wie Heiterkeit hervorrufen, man würde ihnen Datteln in den Käfig werfen und Ziegenmilch anbieten … Das Ganze ergäbe eine urdeutsche Kannibalenschau, deren Exotik viel Geld in die Taschen der Veranstalter spülen und das Deutschtum in aller Welt bekannt machen könnte …

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by Periplaneta Berlin

Das amerikanische Hospital

Ein genialer Beobachter ist dieser Michael Kleeberg. Es gibt nur wenige Schriftsteller, die so genau hinschauen und das Gesehene so lebendig wiedergeben, daß sie Atmosphäre schaffen. Und die Atmosphäre in Kleebergs neuem Buch geht unter die Haut.
Der Autor führt seine Leser durch Paris, wie es nur Einheimische kennen. Er nimmt sie mit in die irakische Wüste und in ein Dorf mitten im Krieg.
Die Pariserin Hélène und der amerikanische Offizier Cote begegnen einander im Amerikanischen Hospital der französischen Hauptstadt. Sie sucht Hilfe, um sich endlich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, er muß behandelt werden, weil er an einem schweren Kriegstrauma leidet. In den Stunden des Wartens erzählen die beiden einander ihre Geschichten. Kaum zu ertragen sind manche Szenarien, und doch lassen sich die faszinierten Leser mitten ins Geschehen ziehen. Auf einem Ölfeld ersticken die Vögel – sagenumwobene Ibisse -, arglose Kinder sterben, als sie amerikanischen Soldaten vertrauen, eine Flüchtlingskolonne wird bombardiert. Angst, Wut und Unsicherheit lösen Katastrophen aus, von denen sich auch die, die davongekommen sind, kaum erholen. Hélène hört dem Traumatisierten zu und sucht ihn mit ihrer positiven Lebenseinstellung zu stärken. Sie redet mit ihm über Gedichte und zeigt ihm Orte des Glücks. Doch auch ihre Zuversicht bröckelt, wenngleich ihr Urvertrauen bleibt. Ein Generalstreik versetzt Paris in einen Ausnahmezustand und verändert auch das Leben der beiden Besucher des Amerikanischen Hospitals.

Der 1959 in Stuttgart geborene Wahlberliner Michael Kleeberg, preisgekrönter Schriftsteller und Übersetzer, erzählt seine neue Geschichte lakonisch und mit höchster Intensität. In Ruhe, gleichsam entschleunigt, entwickelt er den Roman und öffnet seinen Lesern die Augen für innere wie äußere Katastrophen und Glücksmomente.


Genre: Romane
Illustrated by DVA München

Angriff auf Amerika

1940 in Europa: Die Deutsche Wehrmacht hat Polen überfallen und Europa mit Krieg überzogen. Die Nazis haben mit der systematischen Verfolgung und Ermordung der Juden begonnen und rüstet sich für den Überfall auf die Sowjetunion.
1940 in den USA: Präsident Franklin Delano Roosevelt kandidiert zum dritten Mal für die Präsidentschaft. Seine Regierung unterstützt Großbritannien im Kampf gegen die Nazis mit Rüstungsgütern und finanziellen Hilfen. Die Republikaner nominieren im Juni Charles A. Lindberg zum Präsidentschaftskandidaten. Lindbergh ist nicht nur ein international bekannter Flughelden, der als erster nonstop den Atlantik mit einem Flugzeug überquerte.
Lindberg ist auch Isolationist, tritt also gegen jegliche Einmischung der USA in den Krieg gegen die Nazis ein, er ist Antisemit und ein kaum verhohlener Bewunderer Hitlers.
Bei den Präsidentschaftswahlen geschieht das Unerwartete: Roosevelt verliert die Wahlen. Lindbergh ist der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Eine absurde Vorstellung? Was aber wäre geschehen, wenn die USA tatsächlich nicht in den Kampf gegen die Nazi-Horden eingetreten wäre? Wie sähen die USA aus, wenn sie sich von einem antisemitischen Präsidenten regiert worden wären?

Im 2006 erschienenen Roman von Philip Roth geschieht genau das. Rot lässt die Leserinnen und Leser diese USA durch die Augen eines jüdischen Kindes in Newark erleben. Das Kind erzählt uns von schleichenden Verwandlungen in seiner Umgebung, in der Schule und in der Familie. Er erlebt, wie die Erwachsenen in der jüdischen Gemeinschaft, in der er lebt, sich gegen die Niederlage von Präsident Roosevelt stemmen und sie doch nicht verhindern können. Er muss hilflos mit ansehen, wie sich die jüdische Gemeinschaft in seinem Stadtteil durch “Einbindung” in die “neue” amerikanische Gesellschaft spaltet. Sein eigener Bruder wird zu einem Fan des neuen Präsidenten Lindbergh. Ein Riss geht – nicht nur – durch seine Familie. Das ganze Land gerät an den Rand eines Bürgerkrieges.

In „Angriff auf Amerika“ lässt Roth das Bild einer liberalen Gesellschaft entstehen, die sich in rasender Geschwindigkeit in ihr Gegenteil verkehrt. Newark, die Stadt am Rande New Yorks, wird zu einer von Rassisten belagerten Stadt. Die USA, deren Entstehungsgeschichte erst durch Immigration und das Zusammenleben verschiedener Nationalitäten und Religionsgemeinschaften geprägt wurde, verwandelt sich in einen nationalistischen und rassistischen Staat.

Ein spannender Roman, ein politisches und psychologisches Lehrstück und ein Stück großer Literatur.


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Man Down

Kai Samweber, 25, Dachdecker im Dienst eine Leiharbeitsfirma, stürzt vom Dach und kommt darauf mit seinem Leben nicht mehr klar. Er haust in einem herunter gekommenen Loch, nährt sich von Hartz IV und ergibt sich dem Suff und den Drogen, die er von seinem türkischen Kumpel Shane bezieht. Dessen Brüder haben Kai Geld geliehen und fordern es nun zurück. Da der Arbeitsverleiher Lohn und Entschädigung zurück hält, wird der junge Mann zum Drogenkurier, um seine Schulden abzutragen.

Während seiner Kurierfahrten trifft Kai auf Marion, in die er sich verliebt. Das Mädchen wird für ihn zum Weg in die Freiheit. Bald stellt sich heraus, dass sie sich prostituiert, weil ihr Bruder ebenfalls Schulden bei den Dealern hat. Ein Selbstmordversuch bietet keinen Ausweg.

Kai hasst die Schwachen, er versucht alles, um nicht zu den Verlierern zu gehören Er verachtet vor allem seinen unter geheimnisvollen Umständen verunglückten Bruder Florian, weil er sich demütigen ließ und deshalb aus seine Sicht zu den Schwachen zählte. Gleichzeitig schreibt er dem Verstorbenen heimlich Briefe. Als er nach zehn Jahren erstmals gemeinsam mit seinem Dealerfreund Shane seine Stiefmutter besucht, hofft er, Antworten zu finden. Derweil beobachtet ihn die Polizei bereits, und bei seiner letzten Kurierfahrt greift sie zu …

Der Roman von André Pilz schildert in rasantem Tempo und harter Sprache Schicksale miteinander im Drogenmilieu verfilzter Underdogs, die nach der Maxime fressen oder gefressen werden leben. Für sie geht es nur nach oben oder nach unten, ein Dazwischen gibt es nicht mehr. Dabei schaut jeder selbst, wo er bleibt, und letztlich landen sie alle doch ganz tief unten. Freundschaft wird zur Farce; gegenseitiger Betrug gehört zur Tagesordnung. Ein jeder stirbt für sich allein. Es bleibt kaum Hoffnung, wenn »man down« ist.


Genre: Romane
Illustrated by Haymon Innsbruck

Der Koch

Martin Suter hat ja bereits einige Lorbeeren eingeheimst, nun ist der neue Suter ist da, viele Fans warten bereits aufs neue Buch. Vielleicht wird es ihnen so gehen wie mir: „Kochen ist Krieg“ (gemeint ist der Kampf des kochenden Personals untereinander, gegeneinander, miteinander – für den Gast).In diesem Buch ist das so nicht gemeint. Es wird sich dem geneigten Leser erst spät erschließen.

Der tamilische Asylant Maravan ist Aushilfe in einem Züricher Nobelrestaurant. Er arbeitet tief unter seinem Niveau. Die einst von seiner Großtante erlernten Fähigkeiten hatten ihn in Sri Lanka zu einem Meister seines Fachs gemacht. Maravan beherrscht die Kochkunst mit all ihren Raffinessen – und auch die Geheimnisse der aphrodisischen Küche. Doch er braucht das Geld, das er hier verdient, um seine Familie in Sri Lanka zu unterstützen, denn dort herrscht Krieg. Wie weit ist doch Sri Lanka? Man glaubt es kaum, daß dort ebenfalls Krieg herrscht und Tausende dort sterben. Martin Suter hat sein neues Buch ganz dicht an unsere Gegenwart gelehnt: 2008 und 2009.

Maravan möchte eines Tages eine neue Rezeptur ausprobieren und benötigt dafür einen Rotations-Entdampfer, den er sich aus der Küche ausleiht, um ihn am nächsten Tag gleich zurückzugeben. Leider wird er erwischt und fliegt sofort raus.
Die materielle Hilfe für seine Familie muß er nun auf ein Minimum beschränken. Bis Andrea, die Servicekraft aus dem Nobelrestaurant, auftaucht und ihm einen Geschäftsvorschlag unterbreitet: Catering für Lovefood. Maravan hatte für sie bereits ein erotisches Menue mit Erfolg gekocht. Eine befreundete Paartherapeutin hilft ihnen bei der ersten Kundenbeschaffung, indem sie Maravans Fähigkeiten nutzt, um Paare wieder zusammenzuführen. Als das Geschäft ganz gut floriert, glaubt Andrea, ohne die Paartherapeutin auszukommen, die das aber spitzkriegt und keine Paare mehr schickt. Daher fangen sie an, „unmoralisch“ zu kochen.

Ab und an tauchen wie aus dem Nichts Maravans Gedanken an die Heimat und an seine Familie auf. Nebenbei erfährt der geneigte Leser, daß sich dessen jüngerer Bruder bei der Freiheitsbewegung beworben hat. Die Angst Maravans kann man kaum spüren, gedankenverloren kocht er für das nächste Arrangement ein erotisches Menue. Ein obskurer Manager ist aufgetaucht, der auch als Manager des Jahres 2008 ausgezeichnet wurde. Maravan erfährt, daß dieser mit den beiden tamilischen Seiten, der staatlichen und der freiheitsbewegten, gleichzeitig Waffengeschäfte tätigt. Maravan beschließt Rache, denn er hat im Internet das Bild seines kleinen Bruders entdeckt, der von den Kriegern ermordet ist. Und selbiger Manager stirbt an Herzversagen. Leider wird der Leser nun mit dieser Tatsache alleingelassen. Man erfährt im Abspann stattdessen, daß Martin Suter die dort veröffentlichten Rezepturen von einem ihm bekannten Koch hat nachkochen und so verändern lassen, daß sie mit wenig technischem Aufwand von Interessierten nachzuempfinden sind. Da aber doch einige Rezepte auf der neuen molekularen Küche basieren und mit flüssigem Stickstoff zuzubereiten sind, entfällt das für mich als Laien, da ich zu Hause nur eine Pfanne und drei Kochtöpfe mein eigen nenne.
Martin Suter, der uns das wunderbare Buch „Small world“ schenkte und mit „Lila Lila“ sogar ein verfilmtes Stück Literatur in die Kinos bekommen konnte, hat hier ein unspektakuläres Buch, einen leicht dahinfließenden Text, veröffentlicht, aus dem zwei Sachen herausragen:
Wenn Maravan erklärt, Kochen ist, Aggregatzustände eßbar zu machen, und für mich am wichtigsten – die Erkenntnis, daß der Befreiungskampf in Sri Lanka auch direkt vor unserer Haustür stattfindet, denn die Waffenlobbyisten treiben auch in unseren Breiten ihr Unwesen.
Leider ist der Text so lau, als ob Marvan, der Koch aus Sri Lanka, für seine delikaten Gerichte keine vorgewärmten Teller benutzen würde.


Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich

Herr Mozart wacht auf

Kaum hat ihn der kalte Bruder Tod zu sich geholt, wacht Herr Mozart wieder auf – in einer chaotischen WG am Rande von Wien. Nichts ist mehr so wie vorher, nur der alte Stephansdom steht noch an der alten Stelle, sonst ist alles fremd. Menschen, Straßen und Gepflogenheiten. Wie soll er hier zurechtkommen? Der polnische Straßenmusiker Piotr bietet dem verwirrten Compositeur für gelegentliche Klavierbegleitung Kost und Logis, registriert aber schon bald, daß dieser Pianist ein genialer Musiker ist. Ansonsten jedoch stellt er sich ziemlich tollpatschig an, weiß weder mit Technik noch mit der U-Bahn umzugehen.
Als Mozart merkt, daß er quasi 200 Jahre übersprungen hat und niemand ihm diese Zeitreise glaubt, nennt er sich kurzerhand Wolfgang Mustermann und studiert beharrlich die neue Welt. Vor allem die Musik aus dem Mechanikum hat es ihm angetan. Begierig nimmt er alle Töne in sich auf, staunt über neue Strömungen ebenso wie über Altbewährtes und freut sich, daß die meisten seiner Widersacher und Rivalen vergessen scheinen. Den Nachfolgern lauscht er sehr aufmerksam: Apart findet er den lyrisch-milden Franz Schubert, recht ichsüchtig den schroffen Beethoven, der sich einen blauen Teufel um sein Publikum zu scheren scheint, oder ein wenig langatmig den ansonsten harmonischen Chopin.
Den eigentlichen Zweck seiner Wiedergeburt aber sieht der Zeitreisende in der Vollendung seines Requiems, dessen „stümperhafte“ Fortschreibung durch einen seiner Schüler er für unerträglich hält. Immer wieder ringt er sich weitere Teile des Schicksalswerkes ab. Was er sonst schreibt, stößt auf unterschiedliches Interesse: Ein Musikverleger ist perplex, empfiehlt ihm aber, sich „von Mozart freizumachen“, die Besucher eines Jazzclubs hingegen bejubeln unvoreingenommen Mustermanns geniale Improvisationskraft. Endlich entdeckt ihn ein erfahrener und wohlgesonnener Musikinstrumentenhändler und führt ihn anläßlich eines Benefizkonzerts in die gehobene Wiener Gesellschaft ein.
Doch Mustermann hat indessen Wichtigeres zu regeln: Ihm ist die Liebe begegnet, die ihn gleichermaßen beglückt und schmerzt. Mit Anju verbindet ihn vom ersten Augenblick an die innigste Seelenverwandtschaft, doch als er ihr seine wahre Herkunft offenbart, hält sie ihn für geisteskrank. Verzweifelt irrt er durch die Stadt, verursacht einen Verkehrsunfall und kommt ins „Tollhaus“. Seiner Mission aber bleibt er treu.

Unser modernes Leben mit den Augen einer anderen Zeit zu betrachten, ist an sich schon vergnüglich und kurzweilig, denn „Fuhrwerke ohne Pferde, Öfen ohne Feuer, Musik ohne Instrumente, Kaffee ohne Herdstelle“ sind nur für uns so selbstverständlich. Tiefe und Emphase aber erreicht Eva Baronsky vor allem durch die einfühlsame Darstellung der Musik als Medium zwischen allen Zeiten und Kulturen. Auf wundersame Weise findet ihr Mozart dank seines außergewöhnlichen Musikverständnisses einen erstaunlichen Anschluß an die Neuzeit, auch wenn ihn sein Temperament und seine überschäumende Phantasie des öfteren in Konflikt mit den Notwendigkeiten des Alltags geraten lassen.
Das unterhaltsame Debüt mit Hintersinn aus dem Berliner Aufbau Verlag macht gespannt auf weitere Werke aus der Feder von Eva Baronsky!


Genre: Romane
Illustrated by Aufbau Berlin

Houwelandt

Jorge Houvelandt braucht das Meer. Hier fühlt er sich seinem Gott nahe, hier flieht er den Schmerz, der ihn innerlich zerfrisst. Täglich schwimmt der Daueremigrant an der spanischen Costa Blanca zu einer unwegsamen Insel, um allein zu sein, und hier fasst er seinen Entschluss, sich einer Feier zu seinem 80. Geburtstag zu entziehen.

Der alte Mann und das Meer sind das bestimmende Thema in John von Düffels Novelle »Houwelandt«, die das Scheitern, Zerbrechen und erneute Zusammenwachsen einer Familie skizziert. Das Meer dient ihm dabei als romantische Metapher – Sinnbild für Sehnsucht und Aufbruch, für Abschied und Heimweh eines zerbrochenen Familienclans.

Jorges Sohn Thomas, 57, verwaltet dessen Besitz in Deutschland. Er hat in seinem Leben viel angefangen und wenig zu Ende gebracht. Entsprechend herunter gekommen ist das Anwesen derer von Houwelandts. Seine Mutter Esther, Jorges Frau, hat heimlich Geld gespart, um notwendige Renovierungsarbeiten zu bezahlen. Dafür will sie den Sohn zwingen, eine Rede zum 80. Geburtstag des Patriarchen zu schreiben.

Esther möchte nämlich ein dem Anlass gebührendes Fest veranstalten: kulinarisch anspruchsvoll, aber nicht extravagant, großzügig, aber ohne übertriebene Opulenz. Als ihre Sachwalterin vor Ort betrachtet sie Thomas Ex-Frau Beate, bei der sie sich einige Tage vor der Veranstaltung einquartiert.

Thomas nutzt die Ausarbeitung der Rede zu einer Generalabrechnung mit seinem Vater, einem unnahbaren Hagestolz, der seinen Sohn schikanierte. Mit der Aufarbeitung erlittener Grausamkeiten will er seinem eigenen Spross Christian, „Erstgeborener des Erstgeborenen“, die Augen öffnen. In seiner Aufarbeitung zerrt er tief sitzende Kränkungen und Verletzungen ans Licht. Dabei kämpft er um die eigene Wahrheit wie um Recht und Unrecht in der Vergangenheit.

Über die Vorbereitungen der Geburtstagsfeier wächst die aus lauter Fremden bestehende Familie wieder ein wenig zusammen. Derweil zieht Patriarch Jorge im weit entfernten Mittelmeer unverdrossen seine Bahnen und begegnet dabei einem Jungen, in dem er sich in seiner Härte, seinem Misstrauen und seiner Unfähigkeit, zu lieben, wieder findet. Die einzige Frage, die sich der Leser stellt, lautet nur noch: wird die Geburtstagsfeier tatsächlich stattfinden?

„Houwelandt“ liest sich spannend und schnell. Das Tempo der Erzählung wird durch den Wechsel der Erzählperspektive bestimmt, die jeweils das entsprechende Familienmitglied einnimmt. Was jedoch wie eine Familiensaga beginnt, ertrinkt bald im Klischee. Der bittere Alte, der missratene Sohn, die ungeliebte Frau, das alles sind Ansätze, aus denen sich wesentlich mehr entwickeln ließe.

John von Düffel beobachtet zwar ausgezeichnet und versteht es auch, die drei Generationen in ihrer jeweiligen Denkungsart deutlich zu machen. Er verzichtet jedoch auf den großen Bogen, mit dem er sein Thema zu einer wirklichen Familiensaga hätte machen können.

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Genre: Romane
Illustrated by dtv München

Das Lieblingsspiel

Ein großer Dichter ist Leonard Cohen, auch wenn ihn viele „nur“ als Sänger kennen oder wahrnehmen. Dabei unterlegte er seine Verse anfangs nur deshalb mit Musik, weil er damit besser Geld (auch fürs sorgenfreie Dichten) verdienen konnte, und weil die Gedichte selbst eher verhalten Absatz und Verbreitung fanden. Sogar zwei Romane schrieb der 1934 in Montreal Geborene, und so wäre eigentlich er, und nicht nur der dichtende Rockmusiker Bob Dylan, ein heimlicher Anwärter auf den Literaturnobelpreis, der sich der musikalischen Dichtung bislang verschlossen hat. Cohens elegante, originelle, psychologisch anspruchsvolle Liedtexte verraten bereits den Meister der Seelensprache.
Nun liegt der hierzulande nahezu unbekannte, autobiografisch geprägte Roman „Das Lieblingsspiel“ aus dem Jahre 1963 wieder vor. Er wurde im Auftrag des kleinen, aber feinen Blumenbar Verlages (vor kurzem aus München nach Berlin umgesiedelt) von Gregor Hens neu ins Deutsche übertragen.

Der poetische Roman mit den wunderbaren Metaphern erzählt die Geschichte eines Jungen, der hin- und hergerissen ist zwischen dem wohlhabenden jüdischen Elternhaus und dem Suchen nach einer eigenen Identität. Lawrence Breavman führt tagsüber philosophische Gespräche mit seinem Freund Krantz und pflegt des Nachts einsame Spaziergänge durch den menschenleeren Park zu unternehmen, wo er sich als Herr über die Stadt fühlen kann. Nach dem Tod des Vaters entflieht er der knebelnden Liebe seiner Mutter und geht zum Studium – zumindest bildet das College den lockeren Rahmen zu seinem anarchistisch anmutenden Leben. Er weiß nicht, was er mit seiner Zukunft anfangen soll. Er diskutiert und dichtet und verfällt einer eigentümlichen Hassliebe zu der schönen Kommunistin Tamara (die später länger währen soll als die große Liebe zu der gleichsam vollkommenen Shell). Allmählich gewinnt Breavman in der Stadt eine gewisse Popularität als Dichter, auch weil sich manche Leser seiner schonungslos offenen Texte Klatschgeschichten aus Westmount, dem vornehmen Vorort Montreals, erhoffen. Andere, vor allem Frauen, lieben die disziplinierte Melancholie, die Breavman zu Beginn seiner dichterischen Laufbahn der Welt vorgaukelt. Dabei hat seine Vorstellung vom Dichterdasein mit Demut und Opferbereitschaft zu tun. So tut er gleichsam Buße und wird Hilfsarbeiter, statt ein Dasein als Edeldichter zu genießen. Später entzieht er sich gar mit schmerzhafter Konsequenz der großen Liebe, um unabhängig und frei zu bleiben, um immer wieder die Möglichkeit eines neuen Anfangs zu haben, um weiter nur sich selbst zu gehören. Schließlich flüchtet er sich in ein jüdisches Sommerlager, das von seinem alten Freund Krantz geleitet wird, und scheitert auch dort dramatisch. Doch Breavman erinnert sich endlich an das Lieblingsspiel seiner Kindheit und nimmt dessen Unbeschwertheit mit in die Zukunft …
Selten sind das Wesen der Liebe und das Geheimnis des Lebens so originell und plastisch ergründet worden wie von dem eigenwilligen Kanadier Leonard Cohen. Seine Lieder entfalten ebenso wie der vor über vier Jahrzehnten entstandene lyrische Roman bis heute einen besonderen Zauber, sensibel, doch unsentimental und zuweilen auch verwirrend. Sie offenbaren so manches Rätsel menschlichen Miteinanders auf eigene, bedächtig-vitale und nachdrückliche Weise.


Genre: Romane
Illustrated by Blumenbar Verlag

Ein wenig sterben

Flammer liegt nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus und kann sich an nichts mehr erinnern. Sein Gehirn ist mangels Sauerstoffzufuhr irreparabel geschädigt. Georg, ein Jugendfreund, wird von Flammers Vater alarmiert. Schritt für Schritt taucht er darauf in die Welt seines Kumpels ein, um dessen Handeln zu verstehen. Dabei prallen zwei gegensätzliche Lebensentwürfe aufeinander.

Georg ist als selbständiger Versicherungsmakler erfolgreich. Mühsam hat er sich sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg erkämpft und möchte niemandem Rechenschaft ablegen. Er pflegt einen gehobenen Lebensstil und nimmt gern mal eine Nase Koks. Studienabbrecher Flammer hingegen hielt sich derweil mit miesen Jobs über Wasser. »Alles ist eine große Gleichgültigkeit«, lautete sein Credo. »Aus dieser Kälte gibt es kein Entkommen«.

Der Freund besucht den Platz im Wald, wo Flammer versucht hatte, sich aufzuknüpfen. Er inspiziert Flammers muffige Wohnhöhle und fragt sich, warum er nicht einfach vom Balkon gesprungen sei oder sich in den eigenen vier Wänden seiner Zelle aufgehängt habe.

Georg spürt die Spuren seines Jugendfreundes auf und reflektiert dabei sein eigenes Leben, das von Flucht vor Einsamkeit und daraus resultierender Arbeitswut geprägt war. Er lebte stets so, als bestünde die einzig erträgliche Methode mit dem Leben fertig zu werden, es permanent abzuwehren und sich so gut wie möglich gegen alle Risiken abzusichern. Georg spürt aber auch, dass das Leben, das Flammer geführt hat, stets ein Teil von ihm selbst war, und zwar jener Teil, den er bewusst verdrängte. Stück für Stück beginnt er sich zu häuten und streift die Vergangenheit ab.

Stefan Kalbers entwickelt mit seiner Erzählung ums mehr oder weniger freiwillige Sterben einen spannenden Dialog zwischen einem, der sich nicht mehr erinnern kann und einem, der alles verdrängt hat und sich langsam wieder besinnt. Dabei versteht er es, den Leser in die Gedankenwelt seines Protagonisten zu führen und die dunklen Seiten der eigenen Existenz zu belichten. Nun ist der Text alles andere als eine trocken-philosophische Abhandlung. Im Gegenteil. Kalbers schafft es, dem Stoff eine unerwartet spannende Wendung zu geben, die schrittweise den Grund für Flammers Unglück erhellt.


Genre: Romane
Illustrated by Ubooks Diedorf

Bitterstoffe

Der schüchterne Hobbydichter Felix liebt die selbstbewusste, zwei Jahre ältere Julia. Doch Julia bevorzugt Georg. Georg ist der Freund von Felix und war mit der langen, dünnen Annemarie zusammen. Julia wiederum ist mit der von Lithium aufgedunsenen Susanne befreundet. Dann gibt es noch Daniel, Franz, Sonja, Jesse und Anja, deren Verhältnis derjenige kennt, der sich durch den Beziehungsgeflechtsroman »Bitterstoffe« gebissen hat.

Die Protagonisten treffen jedenfalls nach fünfzehnjähriger Abstinenz bei der Beerdigung von Annemarie zusammen und der Ich-Erzähler Felix erinnert sich an das erste Mädchen, mit der er geschlafen hat, an Julia. Auch Julia erinnert sich an den schalen Geschmack der ersten Liebe und schläft, ebenso freudlos wie in der Jugendzeit, erneut mit Felix und dann – etwas intensiver – mit Georg. Die Jugendfreunde trennen sich nach der Beerdigung wieder und gehen ihrer Wege. Felix treibt es jedoch bald darauf von Berlin nach Hamburg, und er besucht Julia. Doch die ist bereits wieder mit Georg beschäftigt, Felix kommt ungünstig und kehrt wieder heim. Seiner Affenliebe zu Julia tut dies keinen Abbruch.

Florian Voß erzählt die Geschichte seiner ersten Beziehungskiste mit verquaster Distanziertheit. Nach 27 Seiten wechselt er jäh die Perspektive und benennt einen Felix, der als sein Alter Ego neben Julia erwachen darf. Es braucht allerdings Zeit, bis sich der Leser sicher sein darf, dass dieser Felix auch der Ich-Erzähler ist. Diesen Wechsel der Erzählperspektive wiederholt er, um auch aus Julias Sicht das Verhältnis zu dem schüchternen jungen Mann zu schildern. Weiter aufgepeppt wird die an sich unscheinbare Geschichte einer sich wieder begegnenden Jugendliebe, indem der Autor häufig Zeitsprünge vornimmt und den Leser zum Zurückblättern zwingt. Klingelt auf Seite 58 das Telefon, wurde das entsprechende Gespräch bereits zehn Seiten zuvor geführt. Schleppt Julia Felix auf Seite 74 zum Erinnerungsfick ins das nächste Gebüsch, hat der Leser bereits Seiten zuvor den jungen Mann begleitet, der sich abschleppen lässt.

Diese an sich reizvolle Methode, beide Parteien zu Wort kommen zu lassen, wirkt in der leidenschaftslosen Erzählung angestrengt und artifiziell. Eingebettet ist sie zudem in eine Hommage an den Großvater des Autors, an dessen Einäscherung der Leser gleich im Einstieg des Werkes teilnehmen darf, die aber mit dem Handlungsstrang selbst wenig zu tun hat. Dem Roman-Debut des Herbstes aus dem Rotbuch-Verlag hätte ein klein wenig mehr Farbigkeit, ein wenig Empathie, und ein Hauch jenes Knisterns, der Beziehungen bisweilen eigen sein soll, gut getan.


Genre: Romane
Illustrated by Rotbuch

Weiberabend

Joanne Fedler
Weiberabend
Knaur Verlag, München 2008, ISBN 978-3-426-66311-0

Acht Frauen, zwischen 37 und 43 Jahre alt, treffen sich zu einem ihrer seltenen und kostbaren Weiberabende.
Dieser eine Weiberabend steht für all das, was diese Frauen bewegt: ihr Dasein an sich, ihre Mutterschaft, ihre Kinder, ihre Partner, ihre Spiritualität, ihre Weiblichkeit; aber auch ihre Schwächen, ihre Verzweiflungen, ihre scheinbaren Niederlagen… All dies wird umrahmt von lukullischen Gaumenfreuden, zungenlösenden Getränken und anderen Sinnesfreuden…
Die Leserin oder auch der Leser wird schnell in das Geschehen hineingezogen, vor allem wenn ihr bzw. ihm diese Themen nicht ganz fremd sind.
Beim Lesen merkt man schnell, dass es sich hier auch um typisch amerikanische Lebensweisen handelt. Aber so weit ist diese Lebensart gar nicht von der europäischen entfernt… Nicht erst seit heute werden Frauen in Europa das erste Mal Mütter mit Ende zwanzig/ Anfang
dreißig oder sogar erst vierzig. Und das Hinzuziehen eines Psychotherapeuten für privates Krisenmanagement wird auch immer mehr kultiviert.
Natürlich bleibt es bei der Anwesenheit von soviel weiblichen Hormonen auch nicht aus, dass kleine und große Konflikte ausbrechen, die die Freundschaft der acht Frauen teilweise auf eine recht harte Probe stellen…
Ob man von diesen Frauen noch etwas lernen kann?

Auf jeden Fall macht dieses Buch Mut, trotz aller klugen und gut gemeinten Ratschläge von der ach so kompetenten Außenwelt, sein Leben als Frau und Mutter selbstbewusst und einzigartig zu leben.
Und dieses Leben sollte die Anwesenheit männlicher Hormone nicht ausschließen… Deshalb ist „Weiberabend“ nicht nur für weibliche Leserinnen empfehlenswert, sondern auch für männliche Leser.

Bettina Gromm, 10.08.2009


Genre: Romane
Illustrated by Knaur München

Brendels Fantasie

Zwar steht der entscheidende Brief aus England noch aus, doch die Vorbereitungen für die Fantasie sind in vollem Gange. Der Unternehmer Höller hat den idealen Ort für die Aufführung von Franz Schuberts „Wandererfantasien“ gefunden: Das kleine Örtchen Castelnuovo in der Toskana bietet die besten Rahmenbedingungen für das anspruchsvolle Werk des eigenwilligen Komponisten. Es kommt nur selten zur Aufführung und soll nun von dem herausragenden Pianisten Alfred Brendel interpretiert werden. Höller ist todkrank, doch die ihm verbleibende Zeit nutzt er mit Konsequenz. Die Straße lässt er frisch asphaltieren, sein Anzug hängt maßgeschneidert bereit, die künftigen Saaldiener aus dem Altenheim werden sorgsamst geschult, und der Neubau des Gemeindesaales ist nur noch eine Frage der Zeit. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Auch an die Überführung des sensiblen Bösendorfer Konzertflügels aus Wien ist gedacht. Die Finanzierung ist kein Problem, denn Höller verkauft seine Firma gerade an die Russen. Zwar sind alle aus der Familie dagegen – seine Frau, eine Wiener Staranwältin, sein Sohn, ein geldgieriger Karrieremensch, und seine Tochter, eine weltfremde Möchtegernkünstlerin -, doch Höller verfolgt sein Ziel unbeirrt: Alfred Brendel wird aus England nach Castelnuovo kommen und die Fantasie spielen!
Der Druck in Brendels Kopf nimmt zu, die Aussicht auf das grandiose Konzert aber beflügelt den Todkranken. Alles andere wird unwichtig angesichts der Fantasie. Schmerzen und Schwäche, Vorurteile und Vorschriften, falsche Anschuldigungen und andere Hindernisse gilt es zu überwinden, rasch und effizient. Medikamente, Überzeugungskraft und Geld machen fast alles möglich. Rückschläge fordern den Musikbesessenen erst recht heraus. Nichts wird der Fantasie mehr im Wege stehen. Der Brief aus England muss jeden Moment eintreffen …
Günther Freitag erzählt die Geschichte eines Idealisten, der im Angesicht des Todes allen Konventionen trotzt, um seinen Traum zu verwirklichen. Der lakonische Schreibstil macht die bedingungslose Entschlossenheit und glühende Begeisterung Höllers besonders anschaulich. Die Schilderung der örtlichen Gegebenheiten, die Vorstellung der verblüfften Einheimischen bilden den originellen Rahmen einer großen Leidenschaft zur Musik. Faszinierend und mitreißend beleuchtet Freitag Menschenelend und Alltagsglück. Das Gleichnis vom Tod als Luxusgut untermalt dieses fantastisch zuversichtliche Endzeitszenario.


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Brendels Fantasie

Zwar steht der entscheidende Brief aus England noch aus, doch die Vorbereitungen für die Fantasie sind in vollem Gange. Der Unternehmer Höller hat den idealen Ort für die Aufführung von Franz Schuberts „Wandererfantasien“ gefunden: Das kleine Örtchen Castelnuovo in der Toskana bietet die besten Rahmenbedingungen für das anspruchsvolle Werk des eigenwilligen Komponisten. Es kommt nur selten zur Aufführung und soll nun von dem herausragenden Pianisten Alfred Brendel interpretiert werden. Höller ist todkrank, doch die ihm verbleibende Zeit nutzt er mit Konsequenz. Die Straße lässt er frisch asphaltieren, sein Anzug hängt maßgeschneidert bereit, die künftigen Saaldiener aus dem Altenheim werden sorgsamst geschult, und der Neubau des Gemeindesaales ist nur noch eine Frage der Zeit. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Auch an die Überführung des sensiblen Bösendorfer Konzertflügels aus Wien ist gedacht. Die Finanzierung ist kein Problem, denn Höller verkauft seine Firma gerade an die Russen. Zwar sind alle aus der Familie dagegen – seine Frau, eine Wiener Staranwältin, sein Sohn, ein geldgieriger Karrieremensch, und seine Tochter, eine weltfremde Möchtegernkünstlerin -, doch Höller verfolgt sein Ziel unbeirrt: Alfred Brendel wird aus England nach Castelnuovo kommen und die Fantasie spielen!
Der Druck in Brendels Kopf nimmt zu, die Aussicht auf das grandiose Konzert aber beflügelt den Todkranken. Alles andere wird unwichtig angesichts der Fantasie. Schmerzen und Schwäche, Vorurteile und Vorschriften, falsche Anschuldigungen und andere Hindernisse gilt es zu überwinden, rasch und effizient. Medikamente, Überzeugungskraft und Geld machen fast alles möglich. Rückschläge fordern den Musikbesessenen erst recht heraus. Nichts wird der Fantasie mehr im Wege stehen. Der Brief aus England muss jeden Moment eintreffen …
Günther Freitag erzählt die Geschichte eines Idealisten, der im Angesicht des Todes allen Konventionen trotzt, um seinen Traum zu verwirklichen. Der lakonische Schreibstil macht die bedingungslose Entschlossenheit und glühende Begeisterung Höllers besonders anschaulich. Die Schilderung der örtlichen Gegebenheiten, die Vorstellung der verblüfften Einheimischen bilden den originellen Rahmen einer großen Leidenschaft zur Musik. Faszinierend und mitreißend beleuchtet Freitag Menschenelend und Alltagsglück. Das Gleichnis vom Tod als Luxusgut untermalt dieses fantastisch zuversichtliche Endzeitszenario.


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Holzfällen

Cover Bernhard HolzfällenThomas Bernhards Roman »Holzfällen« war kaum erschienen, das wurde das Buch in Österreich am 29. August 1984 gerichtlich beschlagnahmt und verboten. Der in dem Text angeblich dargestellte Komponist Lampersberg und seine Frau, die Sängerin Maja Lampersberg, meinten sich in dem Werk wieder zu erkennen und hatte die Klage ausgelöst. Erst im Februar 1985 konnte eine außergerichtliche Einigung erzielt werden, die Klage wurde zurückgezogen und der »Schlüsselroman« wieder freigegeben. Weiterlesen


Genre: Romane
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main