Am besten lebe ich ausgedacht / Bäume im Zimmer

       In diesem Frühling hat der Innsbrucker Haymon-Verlag zwei Lyrikbände veröffentlicht, “Am besten lebe ich ausgedacht” von Sabine Gruber, 1963 in Meran geboren, und “Bäume im Zimmer” von Josef Zoderer, geboren 1935, ebenfalls in Meran. Die Texte in beiden Sammlungen sind formal unterschiedlich, weisen auf einer tieferen Ebene aber doch Ähnlichkeiten in Themen, Bezügen und Stimmungen auf. Deshalb sollen sie hier zusammen besprochen werden.
       “Am besten lebe ich ausgedacht” von Sabine Gruber verzeichnet 43 Gedichte, auf festes Papier gedruckt, mit Fadenheftung in steifen Karton gebunden. Der Umschlag bezeichnet die Texte als “Journalgedichte” – damit wird auf eine Chronologie angespielt, auf einen Alltag, den diese Texte möglicherweise begleiten oder kommentieren. Das lyrische Ich erweckt einen dynamischen Eindruck von sich. Die Gedichte sind mit Zeit- und Ortsangabe versehen, gleich das erste z.B. mit: “Im März/ Leopoldstadt, Wien”. Insgesamt 25 von den 43 Gedichten sind mit “Wien” überschrieben, 11 tragen italienische Ortsbezeichnungen, 3 davon Südtiroler Schauplätze, 6 spielen an Orten in Deutschland oder Österreich, und ein Gedicht beschwört die Grenze zwischen Österreich und Italien, den Brenner.
       “Bäume im Zimmer” von Josef Zoderer ist ein schmales Hardcover, 81 Gedichte auf 85 Seiten. Das lyrische Ich erscheint in der Situation seines Sprechens statisch, als sei es eben an das Zimmer im Titel gebunden. Aber der Titel evoziert auch die unablässige Bewusstseinstätigkeit des lyrischen Ich, das sich eben die Eindrücke zu sich ins Zimmer holt. Erinnerung und Vorstellungskraft ermöglichen eine Überlappung  von Bewusstseinszuständen, für die das Gedicht eine gute Ausdrucksform zu sein scheint. Man könnte von “Mixturen der Zeit” sprechen, um eine Formulierung von Sabine Gruber zu entlehnen. Zoderers siebtes Gedicht “Was ich suche am Morgen” kann dafür vielleicht als programmatisch bezeichnet werden. Das lyrische Ich imaginiert einen Weg durch mediterrane Natur ans Meer als existenziellen Heimweg.
       Formal gehen die beiden Schreibenden unterschiedliche Wege. Mit Ausnahme der beiden letzten Texte gehen alle Gedichte in Sabine Grubers “Am besten lebe ich ausgedacht” über 20 Verszeilen. Grundsätzlich hat sie freies, oft der Prosa angenähertes Versmaß gewählt. Denkt man von Gedichten als Verdichtung von Sprache und Bildern, so schaden die Binnenverse, in die Sabine Grubers Sprache mitunter verfällt, den Gedichten mehr, als dass sie ihnen nützten. Auch der Zeilensprung, das Enjambement, das ein Wort auseinanderreißt, trägt nicht zur Verdichtung bei. Eines der stärksten Gedichte in der Sammlung, “Vierundzwanzigster August/Millstätter See, Kärnten” (S. 43) verzichtet auf diese Stilmittel. Grubers Tonfall spielt vorwiegend um die Färbungen Humor, Tapferkeit und Trotz.
     Auch Josef Zoderer hat sich für den freien Vers entschieden. Seine Verszeilen sind kurz, ebenso die einzelnen Gedichte. Der längste Text, ein Listen-Gedicht, geht über 11 Zeilen. Es war schon von der angestrebten Überlappung der Zustände die Rede – das sprechende lyrische Ich, das sich Erinnertes und Imaginiertes in sein Zimmer holt. Hier kann es passieren, dass eine Metapher doppelt gebucht wird, wie eben jene des Zimmers im 5. Gedicht – aus den vielen Zimmern des Schweigens werden die tanzenden Zimmer des lyrischen Ich. Hier droht die ästhetische Kohärenz unscharf zu werden. Zoderer tönt oft lakonisch, verstärkt durch den Verzicht auf jede Interpunktion, manchmal tastend, mitunter auch ängstlich.
       Motivisch setzt Sabine Gruber in “Am besten lebe ich ausgedacht” vor allem auf die verschiedenen Orte, die jeweils eigene Assoziationen heraufbeschwören. Im 15. Gedicht “Zweiundzwanzigster Jänner” beeinflusst z.B. Nestroy stark das lyrische Geschehen in der Leopoldstadt, das 37. Gedicht “Anfang März/Wien” hingegen führt über das Motiv der Schlange eine Begegnung zwischen dem Reich der Mitte und Dantes Universum herbei. Josef Zoderer hingegen setzt in “Bäume im Zimmer” auf zwei Naturmotive – eben den Baum, zu finden in 25 Gedichten, und auf das Wasser, das durch 20 Gedichte seiner Sammlung fließt oder darin steht, als Meer, als Regen oder Schnee, als Bach oder Fluss, einmal auch als Teich. Mitunter übt Wasser die Funktion eines Spiegels aus, öfters trennt der Fluss die Sphären oder Bewusstseinszustände, das Meer kann als Ursprung des Lebens auftreten, zu dem sich das lyrische Ich auf dem Rückweg sieht. Die Bäume, allen voran der Apfelbaum, stehen wohl eher für die Erinnerung – und hier ergibt sich eine Brücke zu Sabine Grubers Sammlung: Im 39. Gedicht – “Siebenundzwanzigster April / Prösels, Südtirol” – sehnt sich das lyrische Ich nach dem Nussbaum der Kindheit – doch geht es bei genauer Lektüre weniger um Erinnertes, sondern um den Wunsch nach der Wiedereinsetzung der Unschuld, nach dem Zurückgehen vor alle Lebenserfahrung, “ohne Tote, ohne Trauernde” zu sein, wie es im Gedicht heißt.
((c) Photo C. Pichler)
       
       Und damit wäre das große Motiv angesprochen, das beide Gedichtbände durchzieht – der Tod. Und mit ihm die Begleitmotive Vergänglichkeit, Nostalgie, Nacht, Angst und Traum. In Sabine Grubers Gedichten geht es vor allem um die Erinnerung an die Toten, an die toten Lebensmänner, an die Toten der Geschichte, an die Toten aus Afrika, die auf dem Meeresgrund liegen. In 11 Gedichten ist der Tod namentlich anwesend, in den anderen sorgt er gern fürs Hintergrundrauschen. In “Bäume im Zimmer” von Josef Zoderer begegnet uns der Tod in 16 Gedichten – als Todesflügel, als dunkle Tiefe, in der das lyrische Ich ertrinkt – verwandt mit der Meer-Metapher – als Todesröcheln, als Schnitter, als Nacht, als letzte Tür. Aber auch in einer Erinnerungssequenz als Tod, den das lyrische Ich Vögeln zugefügt hat. Wenn man von Dichtung als Möglichkeit denkt, in verdichteter Form Aussagen über die conditio humana zu treffen, so ist Zoderers stärkstes Gedicht das 45. – “Warum läufst du” – auf Seite 49. Ein siebenzeiliges Selbstgespräch, das gleichermaßen von Montaigne wie von japanischer Dichtung informiert zu sein scheint.
       “Am besten lebe ich ausgedacht” von Sabine Gruber und “Bäume im Zimmer” von Josef Zoderer – zwei Gedichtsammlungen, die sich einer jeweils eigenen Poetik verpflichtet haben. Doch zeigen beide Bücher das Bemühen, mit dem emotional aufgeladenen Erinnerungsgepäck zurande zu kommen, das uns Menschen begleitet. Ebenso finden sie Bilder für die schwierige Aufgabe, weiterzuleben, sich aus der Nacht zu schälen, jeden Tag aufs Neue zu beginnen, mit der geliebten oder unerwünschten Erinnerung an Vergangenes, mit den Sätzen, die sich an Tote richten, mit dem Tod selbst, der sich unaufhaltsam  nähert. Ein Leben mit der Angst und der irritierenden Unverlässlichkeit der Träume, aber auch mit dem Schatz, den ein gelebtes Leben darstellt. Denn was wäre eine Dichterin, ein Dichter ohne die eigenen Erfahrungen, ohne – um mit Josef Zoderer zu sprechen – “das Rätsel dieser Wahrheit”?

Illustrated by Haymon Innsbruck

Wörterbuch des Wienerischen

Drei Wiener schenken einem Berliner dieses Wörterbuch, damit er sie besser versteht. Der schlägt es auf und macht die Probe aufs Exempel: Was bitte ist ein »Kruspelspitz« (ein spezielles Stück Rindfleich) fragt er das Burli. Der Junge weiß es nicht. Wer oder was ist denn wohl ein »Halawachel« (ein unzuverlässiger Mensch) fragt er dessen Mame. Die Mutter weiß es nicht. Ob der Opschi denn den Begriff »Buserant« (Schwuler) kennt? Sorry, auch der Großvater aus der Josefstadt bleibt stumm.

Was sagt uns das?

Verfasser Robert Sedlaczek hat in seinem Wörterbuch wesentlich mehr Begriffe gesammelt, als dem gemeinen Wiener geläufig sind. Obwohl der Autor auf dem Titel behauptet, aufzuzeigen, woher die Wörter kommen, weist er leider nur bei einigen Begriffen deren Herkunft nach. – Der »Buserant« ist beispielsweise in Robert Musils «Mann ohne Eigenschaften« belegt.

Das tut dem Spaß, den dieses Nachschlagewerk schenkt, aber keinen Abbruch. Es schenkt jedenfalls viel Freude, in den mehr als 3.000 Wörter und Wendungen zu blättern.


Genre: Wörterbücher
Illustrated by Haymon Innsbruck

Man Down

Kai Samweber, 25, Dachdecker im Dienst eine Leiharbeitsfirma, stürzt vom Dach und kommt darauf mit seinem Leben nicht mehr klar. Er haust in einem herunter gekommenen Loch, nährt sich von Hartz IV und ergibt sich dem Suff und den Drogen, die er von seinem türkischen Kumpel Shane bezieht. Dessen Brüder haben Kai Geld geliehen und fordern es nun zurück. Da der Arbeitsverleiher Lohn und Entschädigung zurück hält, wird der junge Mann zum Drogenkurier, um seine Schulden abzutragen.

Während seiner Kurierfahrten trifft Kai auf Marion, in die er sich verliebt. Das Mädchen wird für ihn zum Weg in die Freiheit. Bald stellt sich heraus, dass sie sich prostituiert, weil ihr Bruder ebenfalls Schulden bei den Dealern hat. Ein Selbstmordversuch bietet keinen Ausweg.

Kai hasst die Schwachen, er versucht alles, um nicht zu den Verlierern zu gehören Er verachtet vor allem seinen unter geheimnisvollen Umständen verunglückten Bruder Florian, weil er sich demütigen ließ und deshalb aus seine Sicht zu den Schwachen zählte. Gleichzeitig schreibt er dem Verstorbenen heimlich Briefe. Als er nach zehn Jahren erstmals gemeinsam mit seinem Dealerfreund Shane seine Stiefmutter besucht, hofft er, Antworten zu finden. Derweil beobachtet ihn die Polizei bereits, und bei seiner letzten Kurierfahrt greift sie zu …

Der Roman von André Pilz schildert in rasantem Tempo und harter Sprache Schicksale miteinander im Drogenmilieu verfilzter Underdogs, die nach der Maxime fressen oder gefressen werden leben. Für sie geht es nur nach oben oder nach unten, ein Dazwischen gibt es nicht mehr. Dabei schaut jeder selbst, wo er bleibt, und letztlich landen sie alle doch ganz tief unten. Freundschaft wird zur Farce; gegenseitiger Betrug gehört zur Tagesordnung. Ein jeder stirbt für sich allein. Es bleibt kaum Hoffnung, wenn »man down« ist.


Genre: Romane
Illustrated by Haymon Innsbruck