Ethische Versuchsanordnung
Der Roman «Das amerikanische Hospital» von Michael Kleeberg stellt geradezu eine ethische Versuchsanordnung dar. Der Autor verknüpft in seiner ambitionierten Poetik die Conditio humana mit der hoffnungslosen Tragik des Menschseins, wie er es mal in einem Gespräch erläutert hat. Es sei die Suche nach «Gesetzmäßigkeiten im Individuellen», die es dem Epiker möglich mache, seinem Narrativ den Anschein des Möglichen zu geben. Der Buchtitel bezieht sich auf das hoch angesehene, durch Spenden finanzierte ‹Hôpital américain de Paris›, das im Roman als prominenter Handlungsort einen erzählerischen Fixpunkt bildet.
Vor den Augen der dreißigjährigen Hélène bricht im Korridor dieser Klinik unkontrolliert zuckend ein Mann mittleren Alters zusammen, um den sie sich sofort bemüht, ehe Helfer herbeieilen und ihn wegführen. Die glücklich verheiratete, junge Frau versucht, mit Hilfe der Spezialisten für künstliche Befruchtung in diesem Hospital endlich ihren Kinderwunsch zu verwirklichen, was sich aber als langwierige und äußerst schwierige Prozedur erweist. Bei der nächsten Routineuntersuchung trifft sie wieder auf diesen Mann. Er bedankt sich für ihre Hilfe, sie kommen ins Gespräch, beide lieben Lyrik und tauschen sich erfreut darüber aus. David ist ein amerikanischer Offizier, der in der Botschaft arbeitet und wegen posttraumatischer Belastungsstörungen aus dem Irakkrieg in Behandlung ist. In ihren Begegnungen, die sich schließlich über fünf Jahre hinweg wiederholen, offenbaren sie sich ihre Probleme. Das führt anfangs zu heftigen Wortwechseln zwischen dem amerikanischen Captain und der französischen Pazifistin, denn er erzählt immer wieder von den Gräueln des Krieges. Die kann er seelisch nicht verarbeiten, während sie von ihrem dornenreichen Weg zum Kinderglück berichtet.
Als Parabel auf die Körper-Seele-Problematik des Menschen werden hier zwei Schicksale geschickt miteinander verknüpft. Dabei werfen insbesondere Davids in ausgedehnten Rückblenden erzählte Kriegserlebnisse immer wieder Fragen nach ethischer Verantwortung in derart extremen Ausnahme-Situationen auf. Aber auch der beharrlich verfolgte, egoistische Kinderwunsch von Hélène wird nach diversen vergeblichen Versuchen letztendlich als Krieg gegen den eigenen Körper moralisch immer fragwürdiger. Michael Kleeberg schildert all diese Seelenpein in anschaulichen Bildern, ohne den falschen Ehrgeiz zu entwickeln, sie bis in ihre innersten Ursprünge aufdröseln zu wollen. Neben der Klinik steht besonders Paris als Ort des Geschehens im Fokus des Autors, er benutzt sprachlich gekonnt anschauliche Bilder der Metropole als Kulisse für viele seiner Szenen. Wobei insbesondere der Generalstreik am Schluss eine starke Wirkung erzeugt als allegorische Anspielung auf das Chaos, das seelisch auch in den beiden Protagonisten herrscht. Auffallend ist die Häufung von ornithologischen Einschüben, die zur Thematik allerdings rein gar nichts beitragen. Sie eskalieren in einem Vogeldrama, als eine Schar Ibisse auf einem riesigen Ölsee landen, – eine von den Irakern bei ihrer Flucht vor den US-Truppen verursachte und für die Vögel verhängnisvolle Umweltkatastrophe.
Wie ein Deus ex machina taucht im Schlusskapitel der bereits nach zwei Buchseiten spurlos verschwundene, namenlose Ich-Erzähler als Hélènes Mann plötzlich wieder auf. Er erzählt nun in einer raffinierten narrativen Volte, was aus den beiden Protagonisten schlussendlich geworden ist. Und es ist erfreulicherweise nicht das, was so mancher Leser hypothetisch hinein geheimnissen mag, alles bleibt nämlich völlig kitschfrei. Die unübersehbare Ambivalenz zwischen einer teilweise deutlich überfrachteten, vom Autor eitel vorgetragenen Detailfülle bei Paris-Spaziergängen oder In-vitro-Fertilisation einerseits und der raffinierten Konstruktion des Plots mit seiner brillanten sprachlichen Umsetzung andererseits mindert den Lesegenuss dieses vielschichtigen psychologischen Romans leider ein wenig.
Fazit: lesenswert
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